kulturelle Errungenschaft – von unserer Biologie haben wir uns seitdem kaum verändert. Aber jeder scheint auch das Potenzial in sich zu tragen, ein Mörder zu sein. Unter Säugetieren gibt es innerhalb einer Art bestimmte Mechanismen, die sie davon abhalten, sich gegenseitig zu töten. Der Mensch hat das nicht, da er keine dieser intraspezifischen Tötungshemmungen hat. Er stammt ursprünglich von Vegetariern ab und ist erst zum Jäger geworden. Ein Tier mit einem Knüppel, einem Stein oder Speer zu erlegen, musste er lernen. Die Jagd ist hart – ein Mensch muss viel entbehren und Schmerzen in Kauf nehmen. Daher ist es gut, wenn sie Spaß macht, und es nicht bloß um die Kalorienaufnahme geht. Warum sind manche Menschen gewaltbereiter als andere? Im Kindergarten bringen wir den Kleinen bei, dass sie anderen Kindern nicht eins mit der Schaufel über den Kopf geben dürfen. Manche Betreuer erziehen durch belohnen und bestrafen, andere erziehen – und das ist der bessere Weg –, indem sie eine positive Lebensweise vorleben. Die Kinder lernen dann durch Nachahmung das richtige Verhalten. Fehlen die Vorbilder, leben die Kleinen das aus, was ihre Biologie ihnen sagt. Könnte ich zum Gewalttäter werden? Ja, indem Sie etwa Alkohol trinken und dadurch ihre Hemmschwellen senken. Der Alkohol beeinflusst die Hirnregionen, die Moral und Emotionen regulieren. Darum trinken viele Menschen ja Alkohol, weil er die Kontrollmechanismen lockert – damit aber auch die Gewaltbereitschaft. Die meisten Menschen sind einigermaßen sozialisiert und haben Hemmungen erlernt, die aggressives Verhalten verhindern. Es gibt aber ein paar Ausnahmen, etwa Menschen, die eine ungünstige Kindheit hatten oder regelmäßig Drogen nehmen. Man weiß bereits, dass im Frontallappen hinter der Stirn die Hirnzentren sitzen, die es Menschen ermöglichen, Fehler zu entdecken sowie Verhalten und Gefühle zu regulieren. Hier sind auch die Hemmmechanismen gespeichert. Gewalt wird im Übrigen nicht nur von Kriminellen ausgeübt. Wie meinen Sie das? Polizisten und Soldaten müssen in ihrem Beruf auch Gewalt ausüben. Die Gesellschaft sagt ja nicht, du darfst nicht töten, sondern nur, du darfst nicht immer töten. In Afghanistan dürfen wir töten, auch der Tod von Osama bin Laden empfinden viele für gerechtfertigt. Stellen Sie sich vor, ein Amokläufer läuft umher und schießt um sich. Ergibt sich eine Gelegenheit ihn zu töten, wird das getan – es wird sogar erwartet, dass jemand einschreitet. Kann Gewalt also auch etwas Positives haben? Nein. Ein Staat wie Deutschland sagt hingegen, dass es gut ist, wenn junge Männer die Demokratie am Hindukusch verteidigen. Die Soldaten stehen oft zwischen den Lagern: Einerseits wird von ihnen verlangt, Gewalt auszuüben, andererseits wird ihnen vorgeworfen, dass sie ihren Job erledigen. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit für seelische Erkrankungen wie etwa Posttraumatische Belastungsstörungen. Sie führen Befragungen in Krisengebieten vor allem in Afrika durch. Dort stehen Sie Menschen gegenüber, die anderen unvorstellbares Leid zugefügt haben. Was stellt man da für Fragen? Wir fragen uns: Warum sind gerade dort Rebellengruppen so brutal? Wir haben diese Männer gefragt: Muss das Opfer bluten? Die Antwort lautet meist: Ja. Muss es schreien? Ja. Verspürst du Lust am Kampf? Ja. Wie ist das, wenn Du tötest? Die meisten sagen dann: Das erste Mal war schrecklich. Ich musste mich übergeben und mir war ganz schlecht. Das zweite Mal ging es schon, und beim dritten Mal spürte ich ein unglaubliches Gefühl der Macht und der Euphorie. RÜCKKEHR INS LEBEN Auszug aus Ismael Beahs autobiographischem Roman JUNGE AKTEURE Es war nachts, und wir saßen am Feuer, streckten die Arme nach den Flammen aus, hörten Geschichten und sahen zu, wie sich der Mond und die Sterne schlafen legten. Pa Sesay, einer der Großväter meiner Freunde, hatte uns an jenem Abend diese Geschichte erzählt: „Da war ein Jäger, der ging in den Busch und wollte einen Affen töten. Er hatte erst vor ein paar Minuten gesucht, als er einen Affen entdeckte, der es sich auf den Ästen eines niedrigen Baumes bequem gemacht hatte. Als der Jäger nahe genug herangekommen war und hinter einem Baum stand, von dem aus er den Affen deutlich sehen konnte, hob er sein Gewehr und zielte. Gerade in dem Moment, in dem er den Abzug betätigen wollte, sagte der Affe: „Wenn du mich erschießt, wird deine Mutter sterben, und wenn nicht, stirbt dein Vater.“ Der Affe nahm wieder seine gewohnte Haltung ein, kaute auf seinem Essen und kratzte sich am Kopf und an der Seite. Was würdet ihr anstelle des Jägers tun?“ Es gab keine richtige Antwort. Verschonte man den Affen, würde jemand sterben, und tat man es nicht, würde auch jemand sterben. Als ich sieben Jahre alt war, fand ich eine Antwort auf die Frage, die mir einleuchtete. Allerdings sprach ich mit niemandem darüber, aus Angst, es würde meine Mutter verletzen. Wenn ich der Jäger wäre, entschied ich, würde ich den Affen erschießen, damit er niemals wieder die Gelegenheit bekäme, andere Jäger in solch eine Notlage zu bringen. KINDER | SOLDATEN von Gernot Grünewald KINDER|SOLDATEN FAKTEN von Gernot Grünewald / 14+ Uraufführung Mit: Hannah Aulepp, Jaimie Lee Barban, Lilly Rose Barshy, Cosi Beez, Paul Bünger, Paris Phillip Deuter, Edin Emeri, Fanny Lya Hilken, Thorge Just, Noah Jonatan Kappe, Rieke Klaßen, Ben Klee, Jeanne Catherine Köster, Joop Naumann, Luis Nowotny, Carla Anna Njine, René Rönitz Regie: Gernot Grünewald Ausstattung: Michael Köpke Musik: Daniel Sapir Dramaturgie: Sabrina Bohl Produktionsleitung: Christiane Renziehausen Regieassistenz: Numan Jadallah Regiehospitanz: Isabel Heyne Ausstattungsassistentin: Bettina Eichner Premiere 27. April, 19 Uhr im Moks Bei folgenden Personen und Institutionen möchten wir uns für die freundliche und hilfreiche Unterstützung bedanken: Michael Davies, Gotta Depri, Refugio Bremen, Vivienne Urbach, Antje Weber, Moustapha Moukaila, Ellen Reichel Texte: Fakten: http://reset.org/knowledge/kindersoldaten und http:// www.tdh.de/ aufgerufen am 2. April 2014; Interview: www.zeit.de aufgerufen am 7. April 2014; Auszug: Ismael Beah: Rückkehr ins Leben. Mein Leben als Kindersoldat. München 2008 ÜBER KINDERSOLDATEN WER UND WO Eine international anerkannte Definition darüber, wer als Kindersoldat gilt, ist im Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention formuliert: Jede Person, die sich in nationalen Streitkräften oder militärischen bewaffneten Gruppen befindet und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, gilt als Kindersoldat/in. Dabei ist unerheblich, ob er/sie Waffen trägt oder an Kämpfen teilgenommen hat, ob er/sie zwangsweise rekrutiert oder als Freiwilliger angeworben wurde. Generell gehen die Vereinten Nationen davon aus, dass es weltweit zwischen 250.000 und 300.000 KindersoldatInnen gibt. In mindestens 20 Ländern werden weltweit Kindersoldaten in staatlichen Armeen und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen eingesetzt, darunter: Afghanistan, Myanmar, Zentralafrikanische Republik, Kongo, Somalia, Sudan und Südsudan, Kolumbien, Irak, Uganda, Indien, Nepal, Pakistan, Philippinen, Thailand, Sri Lanka. WIE Aus eigener politischer oder religiöser Überzeugung kämpfen die Kinder und Jugendlichen in fast allen Fällen nicht. Manche werden von den bewaffneten Gruppen als Soldaten zwangsrekrutiert und entführt, sie machen aus Angst vor Strafen und Misshandlungen durch eine Kriegspartei mit. Andere werden mit falschen Versprechungen und einem geringen Sold gelockt. Die Kinder hoffen, Schutz, Sicherheit und Versorgung zu bekom- men oder einen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Nicht selten spielt auch eine Rolle, dass man mit der Waffe Macht ausüben und rauben und plündern kann. Manche Kinder melden sich freiwillig, weil sie sich für die Ermordung der Eltern oder von Familienangehörigen rächen wollen. Sobald sie bei den bewaffneten Gruppen sind, unterliegen Kindersoldaten – wie alle Soldaten – dem Gesetz von Befehl und Gehorsam. Die meisten werden von Rebellenarmeen für den Kampf gegen die Regierung rekrutiert. Allerdings unterstützen Regierungen häufig paramilitärische Gruppen und Milizen, die Kinder in den Kampf schicken oder sie zu Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung anstacheln. Auch scheuen einige Regierungen nicht vor der bewussten Anwerbung oder sogar Zwangsrekrutierung von Kindern und Jugendlichen zurück. DANACH Es gibt mehrere thematische Ansatzpunkte für die Arbeit mit Kindersoldaten wie sie von Organisationen wie Terre des hommes oder z. B. UNICEF und der Kindernothilfe geleistet wird. Aspekte sind die Verhinderung von Rekrutierung (Prävention), die Behandlung desertierter/gefangener Kindersoldaten, die Bemühungen um Entlassung, Rehabilitation und Versöhnung. Ehemalige Kindersoldaten leiden in der Regel an Spätfolgen wie Traumata, Verwundungen oder Behinderungen, die sie ohne Hilfe nicht verarbeiten können. Kindersoldaten, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, benötigen Betreuung und Rechtsbeistand. Eine der größten Herausforderungen ist der schwierige Zugang zu den Kindersoldaten. DID YOU KILL? NO. DID YOU HAVE A GUN? YES. DID YOU AIM THE GUN? YES. DID YOU FIRE? YES. WHAT HAPPENED? THEY JUST FELL DOWN. INTERVIEW „DU DARFST NICHT IMMER TÖTEN“ Auszüge aus einem ZEIT-Online-Interview mit Thomas Elbert, der Professor für klinische und Neuropsychologie an der Universität Konstanz ist und die Psychobiologie menschlicher Gewalt- und Tötungsbereitschaft erforscht. Herr Elbert, ist jeder Mensch dazu fähig, einem anderen den Kopf einzuschlagen? Thomas Elbert: Ich bin überzeugt, dass der Mensch darauf ausgelegt ist, Gewalt auszuüben. Die Untersuchungen steinzeitlicher Kulturen zeigen, dass die Hälfte aller Männer erschlagen worden ist. Und von unserer genetischen Zusammensetzung sind wir nicht großartig anders als der Steinzeitmensch. Nun überstehen die meisten von uns den Alltag heute recht unversehrt. Woran liegt das? Schon im Alten Testament steht „Du sollst nicht töten!“ oder „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Ich darf einem anderen nur das antun, was er mir zuvor angetan hat – und nicht gleich seine ganze Sippe umbringen. Vor 3.000 bis 4.000 Jahren waren diese Erkenntnisse ein Riesenfortschritt. Im Neuen Testament folgte dann „Dem anderen die Wange hinhalten“. Die Sätze haben eines gemeinsam, sie definieren ein friedliches Miteinander. Dass wir heute im Alltag weniger töten, ist eine