WIESBADENER MUSIKAKADEMIE Sonntag, 9. Juni, 17:00 Uhr Kloster Eberbach Programm Edvard Grieg 1843 - 1907 Peer Gynt-Suite Nr. 1, op. 46 Morgenstimmung, Allegretto pastorale Åses Tod, Andante doloroso Anitras Tanz, Tempo di Mazurka In der Halle des Bergkönigs, Alla marcia e molto marcato Charles Ives 1874 - 1954 The Unanswered Question Largo molto sempre Yukiko Uehara, Trompete Stanislav Malkeev, Chi-Ju Huang, Yilina, Hakan Tanriverdi, Flötenquartett Cécile Chaminade 1857 - 1944 Concertino für Flöte und Orchester, op. 107 Moderato Lei Zhang, Flöte PAUSE Béla Bartók 1881 - 1945 Rumänische Tänze Der Tanz mit dem Stabe - Jocul cu bata, Molto moderato Gürteltanz - Braul, Allegro Der Stampfer - Pe loc, Moderato Horn-Tanz - Buciumeana, Andante Rumänische Polka - Poarga romaneasca, Allegro Schnell-Tanz - Maruntel, Allegro - Allegro vivace Georges Bizet 1838 - 1875 Suite Nr. 1 L‘Arlésienne Ouverture, Allegro deciso (Tempo di marcia) Minuetto, Allegro giocoso Adagietto Carillon, Allegro moderato Antonin Dvořák 1841 - 1904 Slawischer Tanz op. 46 Nr. 3, As-Dur Poco Allegro Jugend-Sinfonie-Orchester der Wiesbadener Musikakademie / Wiesbadener Musik- und Kunstschule Leitung Christoph Nielbock Edvard Grieg, Peer Gynt-Suite I Henrik Ibsen widmet ihm ein Versdrama: Peer Gynt, dem Phantasten und Illusionisten, dem „verlorenen Sohn“ und „nordischen Faust“, der lügt und liebt und scheitert und schließlich doch erlöst wird. Auf Wunsch des Dichters nimmt Edvard Grieg (1843 - 1907) sich des Textes an und schreibt zu zahlreichen, von Ibsen genau benannten Szenen seine Schauspielmusik. Die gemeinsame Uraufführung 1876 ist in Norwegen ein gewaltiger Erfolg. Außerhalb Skandinaviens hingegen findet Peer Gynt nur wenig positiven Widerhall, so dass sich Grieg entschließt, aus den insgesamt 22 Nummern die vier prägnantesten für den Konzertgebrauch zu einer Suite zusammenzustellen. In ihnen bringt er den „Zauberton“ der norwegischen Morgenlandschaft zum Klingen, widmet dem Sterben von Peer Gynts Mutter Åse einen Trauermarsch, lässt Anitra tanzen, die Häuptlingstochter eines Wüstenstammes, in deren Arme es den unsteten Helden getrieben hat, und gewährt in der „Halle des Bergkönigs“ einen Einblick in die dämonisch-mythische Welt der Geister und Trolle. Charles Ives, The Unanswered Question Charles Ives gilt als Begründer der modernen amerikanischen Musik. Bereits im Alter von fünf Jahren führt er mit seinem Vater musikalische Experimente durch, unternimmt wenig später erste Kompositionsversuche. Mit vierzehn Jahren tritt er als Klavier- und Orgelvirtuose vor die staunende Öffentlichkeit. In den folgenden Jahren bildet er sich umfassend und nicht nur musikalisch aus und wird 1898, allen anderen Erwartungen zum Trotz, Versicherungsfachmann. Als „professionell ausgebildeter Freizeitkomponist“ experimentiert Ives weiterhin in verschiedenen musikalischen Gattungen, Stilen, Formen und Strukturen. The Unanswered Question entsteht 1906 als seine bekannteste „Raumkomposition“: Während eine Streichergruppe in tonalen Akkorden eine Hintergrundmusik des „tönenden Schweigens“ erklingen lässt, spielt sich im Vordergrund ein atonal strukturierter Dialog ab zwischen einer stets identischen „Frage“ der Trompete und immer drängenderen „Antworten“ einer Bläsergruppe. Unvermittelt, in der sechsten Etappe dieses Bläserdialogs, vollzieht sich die Wende, die den Schluss des Werks herbeiführt. An dieser Stelle erklingt die Fragefigur der Trompete über einem chromatischen Cluster der Flötengruppe, worauf „die ‚fighting answerers‘ auf einen weiteren Antwortversuch verzichten und die Vergeblichkeit ihres Bemühens durch eine ironische Nachahmung der Trompetenfrage eingestehen“. Dr. Ute Ringhandt Cécile Chaminade, Concertino D-Dur für Flöte und Orchester op. 107 Cécile Chaminade stammte aus dem wohlhabenden Pariser Bürgertum. Durch die Familie kam sie schon sehr jung mit Musik in Berührung und gab mit 20 Jahren in der Salle Pleyel am 3. Mai 1877 ihr Début als Konzertpianistin. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits einige Kompositionen veröffentlicht. Als Mitglied der société nationale de musique konnten diese im Rahmen der dort veranstalteten Konzerte zur Aufführung kommen. Die Zeitgenossen bewerteten ihre Werke als Salonmusik. In einer Kritik aus Brüssel heißt es: „Mlle Chaminade était moins troublante à entendre, elle était bien plus agréable à regarder que le terrible Kapellmeister“. Mit selbigem war Hans von Bülow gemeint, der kurz vorher in Brüssel aufgetreten war. Das Concertino op. 107 ist 1902 für einen Wettbewerb am Conservatoire von Paris komponiert worden. Zwei Themen wandern zwischen Flötenstimme und Orchester hin und her. Beide werden im Flötenpart in umfangreiche Holzbläservirtuosität ausgeweitet. Die Begleitung ist überwiegend akkordisch, was der Flöte unzählige Figurationen aus Läufen, Arpeggien, Tonrepetitionen, verschiedenen Rhythmen und Artikulationsarten sowie Spiel in extremen Lagen erlaubt. Auch eine virtuose Kadenz, von Fis-Dur über fis-Moll zum Leitton cis der Ausgangstonart D-Dur führend, darf nicht fehlen. Durch die farbige Harmonik mit romantischen Modulationsverhältnissen ist der Klang durchaus abwechslungsreich und bietet der Flöte ein wunderbares Podium zur Darstellung ihrer musikalischen und virtuosen Möglichkeiten. Dr. Ellen Glaesner Béla Bartók, Rumänische Volkstänze Béla Bartók ist längst ein gefeierter Pianist und Komponist, als er seine musikalischen Tätigkeiten auf ein weiteres Gebiet ausdehnt: die Volksmusikforschung. Ab 1905 unternimmt er – oft gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Zoltán Kodály – ausgedehnte „Sammelreisen“ in verschiedene östliche und südliche Länder, u. a. in die Slowakei, nach Rumänien, Bulgarien, in die Ukraine und Türkei. Deren Ergebnisse liegen in umfangreichen, wissenschaftlich verbindlichen Publikationen vor. Und umgekehrt ist es diese „Bauernmusik“, die Bartóks kompositorisches Schaffen maßgeblich beeinflusst. Er selbst schreibt dazu: „Die Wende im 20. Jahrhundert war ein Wendepunkt in der Geschichte der modernen Musik. Vielen begann die Maßlosigkeit der Romantik unerträglich zu werden, und es gab Komponisten, die das Gefühl hatten, unser Weg führe ins Uferlose, es sei denn, wir brächen mit dem 19. Jahrhundert. Unschätzbare Hilfe kam diesem Wandel, dieser Verjüngung, von einer Art Bauernmusik, die bislang unbekannt war. Die eigentliche Bauernmusik zeigt in ihren Formen eine recht verschiedenartige Vollkommenheit. Erstaunlich, dass sie trotz ihrer eindringlichen Kraft ganz frei von Sentimentalität und überflüssigen Ornamenten ist. Einfach, häufig auch rau, aber niemals dumm, bildet sie den idealen Ausgangspunkt für eine musikalische Wiedergeburt. [...] Wie nun zieht der Komponist den meisten Nutzen aus seinen Studien mit der Bauernmusik? Indem er ihr Wesen ganz in sich aufnimmt und sie wie seine musikalische Muttersprache gebraucht.“ Zeugen dieser musiksprachlichen Aneignung sind Bartóks Rumänische Volkstänze. Allgemein begleiten Tänze im rumänischen Volkstum gesellschaftliche und familiäre Ereignisse wie Hochzeit, Kindstaufe oder Erntedank. Sie sind reich an Bewegungsakzenten – schnellen, hüpfenden Schritten, Fußüberkreuzungen, lustig-leichtem Stampfen. Dr. Ute Ringhandt Georges Bizet: L’Arlésienne Suite Nr. 1 1872 erteilt Léon Carvalho, Direktor des „Théâtre du Vaudeville” in Paris, Georges Bizet den Auftrag zur Komposition einer Schauspielmusik zu „L’Arlésienne“, einem Drama von Alphonse Daudet. Es handelt sich um eine tragische Liebesgeschichte: Von zwei Brüdern nimmt sich der Ältere aus Verzweiflung über die unglückliche Liebe zu einem Mädchen aus Arles - eben „l’Arlésienne“ - das Leben; der Jüngere, bis dahin geistig umnachtet, erlangt gleichzeitig die Klarheit seines Geistes zurück. Die Atmosphäre der Geschichte atmet den Geist des „fatums“, den Nietzsche 1876 in Bezug auf Carmen beschwor: „ …die Liebe als Fatum, als Fatalität, zynisch, unschuldig, grausam – und eben darin Natur.“ Ging es Nietzsche zu diesem Zeitpunkt um die Abgrenzung von Richard Wagners Musikdrama, beschreibt er doch sehr treffend die Mentalität der Provence, eben der Heimat des Dichters Alphonse Daudet, dessen „Lettres de mon moulin“ bis heute zur Schullektüre gehören. Der Unerbittlichkeit der Landschaft zwischen Avignon und Marseille - Hitze, Mistral, Stierkampf - entspricht der schicksalhafte Handlungsverlauf. Die Schauspielmusik wurde am 1. Oktober 1872 uraufgeführt und umfasst 27 Stücke. Trotz der budgetbedingten Beschränkung auf 26 Musiker gelang Bizet eine ungemein farbige Musik, indem er die verfügbaren Instrumente mannigfaltig und phantasievoll kombinierte. Auf Bitten des Direktors der „Concerts populaires“, Jules Pasdeloup, wählte Bizet aus dieser Schauspielmusik vier Sätze aus, die als Suite am 10. November 1872 im Konzertsaal uraufgeführt wurden. Im Prélude reihen sich drei große Themen: zu Beginn der Marsch der Könige, Marcho de Rei, eine Komposition aus dem französischen 17. Jahrhundert, welche später in Verbindung mit den drei Heiligen Königen gebracht worden war; es folgt ein diatonisches Thema in Klarinette und Saxophon, dem jüngeren Bruder zugeordnet, und direkt anschließend das durch Chromatik und Sequenzierung gekennzeichnete Liebesthema des älteren Bruders in den Violinen. Das Minuetto, im Autograph passender als Valse-menuet bezeichnet, entstammt der Zwischenaktmusik vor dem 4. Akt. Der kontrastierende und umfangreiche Mittelteil endet mit der allmählichen Reduzierung der Streicher Pult für Pult, der Schluss verklingt im Nichts eines mehrfachen Pianissimos der sechstaktigen Coda. Das Adagietto ist ein reiner Streichsatz. Hier wird das Wiedersehen zweier Menschen, die in der Jugend ihre Liebe nicht leben durften, nach 50 Jahren geschildert. Der vierte Satz Carillon setzt sich aus dem ehemaligen Vorspiel zum 4. Akt sowie aus dem Melodram, das den Auftritt der alten Frau begleitet, zusammen. Die Wiederholung des Anfangs bedingt die dreiteilige Form A-B-A. Antonin Dvořák, Slawischer Tanz As-Dur op. 46 Nr. 3 Johannes Brahms hatte den Kontakt zwischen seinem Verleger Fritz Simrock und dem von ihm hoch geschätzten Dvořák geknüpft. Daraus ergab sich im März 1878 folgender Kompositionsauftrag: „Ich möchte Sie fragen, ob Sie nicht Lust hätten, mir eine Anzahl, sagen wir z. B. 2 Hefte böhmische und mährische Tänze für Klavier zu vier Händen – in der Art wie die ungarischen von Brahms – zu schreiben und zwar von Verwendung Ihnen passend dünkender Originalmelodien, durchflossen von Ihrer eigenen Erfindung und damit verknüpft?“ Dvořák komponierte zwischen März und Mai 1878 acht Tänze, die so viel Erfolg hatten, dass Simrock umgehend die instrumentierte Fassung bei ihm bestellte. Andere Musikverleger sowie Dirigenten nahmen Kontakt mit Dvořák auf, dessen Berühmtheit durch diesen Erfolg ungemein zunahm. Grundlage der Stücke sind böhmische Tanzformen, in deren musikalischer Idiomatik Dvořák völlig neu komponierte. Es werden keine überlieferten Sätze bearbeitet oder übernommen. Der heute gespielte dritte Tanz ist eine Polka, die mehrere Themen in der Folge A-B-A-C-B-A reiht. Dvořák erfindet im Ton der traditionellen Musik neue Themen und Rhythmen. Dabei nutzt er alle Lagen und Klangfarben seiner Orchesterbesetzung. Becken, Triangel und große Trommel sowie die Piccolo-Flöte sorgen für einen böhmisch-mährischen Tonfall. Dr. Ellen Glaesner