Fachtagung „Auf dem Weg zur Inklusion –mit Blick auf eine interkulturelle, und partizipative Pädagogik“ „Da hilft nur Geduld und Spucke“ Traumapädagogik in Kindertageseinrichtungen Bürgerhaus Zähringen 02.11.2015 Eva Picard Wilma Weiß © Picard/Weiß 2015 1. Aspekte von Traumatisierung 2. Was bedeutet Traumapädagogik 3. Bindung, Ernährung, Pflege 4. Selbstbemächtigung: Partizipation und Selbstregulation © Picard/Weiß 2015 Trauma ist alltäglich sexualisierte, körperliche psychische Gewalt Armut kann traumatisieren „ Es gibt sowas nicht, wie eine heile Familie Behinderungen: FAS (Fetales Alkoholsyndrom), körperlich Behinderungen und schon gar nicht Lebensbedrohliche Krankheiten, transgenerativ“ Enge Bindungspersonen sterben. Unfälle der Bezugspersonen Immer öfter kommen Kinder direkt aus Kriegsgebieten. © Picard/Weiß 2015 Picard 2016 Was nutzt Mädchen und Jungen aus herausfordernden Lebenskontexten und was müssen wir bedenken • Die Übertragung alter Erfahrungen • Die Wirkkraft alter Bindungen • Die veränderte Funktionsweise des Gehirns • Die dissoziative Nichtreaktion • Die traumatischen Erwartungen • Das beeinträchtigte Rollenbild • Unsere Gegenreaktionen © Picard/Weiß 2015 Übertragungen, traumatische Übertragungen Die Übertragung Die traumatische Übertragung Übertragung ist eine psychoanalytische Bezeichnung. Neuauflagen, Phantasien, frühere Erlebnisinhalte beeinflussen aktuelle Beziehungen. (Freud 1910 Der wesentliche Unterschied zwischen positiver und traumatischer Übertragung ist die destruktive Kraft der frühen Erfahrungen der Mädchen und Jungen, die die Beziehungen zu anderen Menschen immer wieder stört. (J. L. Herman 1994: 184 ff) GW VIII: 55) © Picard/Weiß 2015 Traumatische Gegenübertragung/reaktion Die Gegenreaktion Begriff aus der Psychoanalyse: Gefühle und Gedanken, die in einer Person durch eine andere aufgerufen werden. Die ergänzende (komplementäre) Gegenreaktion sind psychische Inhalte, die das Erleben des Gegenübers ergänzen Die deckungsgleiche (konkordante) Gegenreaktion sind psychische Inhalte, die das Erleben des Gegenübers einfach spiegeln und nachbilden Die traumatische Gegenreaktion Traumatische Gegenreaktionen können Hass, sadistische Impulse und sexuelle Erregung beinhalten © Picard/Weiß 2015 Die Körperlichkeit der traumatischen Gegenreaktionen Wie spüre ich die Aufregung Wie spüre ich die Depression meines Gegenübers körperlich? meines Gegenübers körperlich? © Picard/Weiß 2015 Bindung und Trauma „Ich glaube, dass der Kern jeder Traumatisierung in extremer Einsamkeit besteht, im äußersten Verlassen sein. Eine liebevolle Beziehung, die in mancher Hinsicht einfach ist, wird unerlässlich sein, um überhaupt von einem Trauma genesen zu können.“ (Onno van der Hart) © Picard/Weiß 2015 Die Normalität der erworbenen Bindungsmodelle Calvin & Hobbes © Picard/Weiß 2015 Die Verhaltenssysteme von Bindung und Exploration Explorationssystem aktiviert Ist die Bindungsperson ausreichend nahe und reaktiv eingestimmt? Bindungsverhalten: •Visuelle Prüfung •Suche •Bedürfnis nach Kontakt anzeigen •Bitten •Klammern © Picard/Weiß 2015 JA Nein Gefühlte Sicherheit Liebe, Selbstvertrauen Angst Sorge Abwehrhaltung, Bedrohungserleben Verspielt, lächelnd, Erkundend, gesellig, neugierig auf die Welt Vermeidung Wachsamkeit Misstrauen Ambivalenz Hin und Weg Klammern Wut und Zorn Bedeutung der Bindung Soziale Beziehungen Wahrnehmungsfähigkeit Bindung Wissen, Erfahrungshorizont Emotionale Sicherheit Neugier Motorik © Picard/Weiß 2015 Angelehnt an Gerald Hüther Die größte Angst ist die Angst vor der Angst (Roosevelt) Ressourcen bei Angst Vertrauen in eigene Fähigkeiten Wissen Vertrauen in die Fähigkeiten anderer Bindung Angst Vertrauen in vorgestellte Kräfte Spiritualität © Picard/Weiß 2015 Angelehnt an Hüther Die veränderte Stressregulation Das Gehirn verändert seine Funktionsweise Präfrontaler Kortex Mittelhirn, limbisches System mit Amygdala Unteres Gehirn, Reptiliengehirn © Picard/Weiß 2015 13 Das dreigliedrige Gehirn dissoziiert Im Normalzustand Bei chronischem (traumatischem) Stress Neuroendokrine Neurochemische Vizerale Motorische Abwehrreaktion © Picard/Weiß 2015 Lukas Picard 2013 Die dissoziative Nichtreaktion © Picard/Weiß 2015 Marc Schmid 2009 Das Kernkonzept einer Person von sich selbst resultiert zu einem beträchtlichen Grad aus ihren Fähigkeiten, innerpsychische Zustände zu regulieren. Der Verlust selbstregulatorischer Prozesse führt zu Störungen in der Ich-Wahrnehmung, zu ungenügender Affektmodulation und Impulskontrolle und zu Unsicherheit in Beziehungen. (van der Kolk 2000, S. 173 ff). © Picard/Weiß 2015 Was nutzt Mädchen und Jungen aus herausfordernden Lebenskontexten • Verstehen der PädagogInnen der Übertragungen, Bindungsmodellen und traumaspezifischen Reaktionen • Viele Bindungen • Selbstwirksamkeit • Schutz vor Re-Traumatisierung • Nahrung und Pflege • Selbstausdruck • Partizipation • Körperwahrnehmung © Picard/Weiß 2015 Die Haltung Die Annahme eines „guten Grundes“ (hinter jedem Problemverhalten und Widerstand) „Alles, was ein Mensch zeigt, macht einen Sinn in seiner Geschichte!“ Wertschätzung „Es ist gut so, wie Du bist!“ Wahrgenommen-Werden als Individuum Pychoedukation Fachkompetenz Stärkung des Selbstwertgefühls ein professionelles Beziehungsangebot Partizipation „Ich traue Dir was zu und überfordere Dich nicht!“ Selbstkompetenz Partizipation Transparenz „Jeder hat jederzeit ein Recht auf Klarheit!“ Sozial- und Selbstkompetenz Gewähren von klaren Strukturen gute Rahmenbedingungen Spaß und Freude „Viel Freude trägt viel Belastung!“ Stärkung des Selbstwertgefühls Sozial- und Selbstkompetenz Tabelle 7: Parallelen zwischen den traumapädagogischen Standards der BAG Traumapädagogik (Lang et al. 2013) und den zentralen Kategorien der qualitativen Studie aus: Gebrande, J. (2014): Kinder mit sexualisierter Gewalterfahrung unterstützen. Bedarfsanalyse von pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen © Picard/Weiß 2015 „Man ist dort zu Hause, wo man verstanden wird.“ Indianisches Sprichwort © Picard/Weiß 2015 Und sich selbst versteht Das hilfreiche Wort „Weil“ zur Unterstützung von Selbstakzeptanz Das Wort weil lädt zum Antworten ein Es lädt ein, über sich nachzudenken Weil? Transportiert eine wertschätzende Haltung Die Weilfrage ermöglicht die Suche nach alternativem Verhalten © Picard/Weiß 2015 Bindung, Ernährung, Pflege Bindung • Vertrauen • Gefühl • Angebote • Wissen um die Lebensgeschichte • Partnerschaftliche Elternarbeit Ernährung • Lebensgrundlagen • Liebe • Sorgsam sein • Entwicklung sichern • Vorlieben beachten Pflege • Fürsorge • Achtsamkeit • Behutsamkeit • Respekt • Selbstständigkeit © Picard/Weiß 2015 • Schönes Bild? Bindung • Bindungsfallen erkennen • Klarheit im eigenen Angebot • Entängstigung im Beziehungsangebot • Wertschätzung und Selbststärkung als Inhalt des Bindungsangebotes © Picard/Weiß 2015 Ernährung Für sie ist es eine Katastrophe, den Zugang zu essen zu reglementieren, sowohl in der Menge als auch im Angebot: Nahrung, Nahrungsüberfluss wird „… nicht nur als Fülle guter Dinge im Allgemeinen empfunden, sondern als reichlich vorhandene allgemeine Sicherheit“ (Bettelheim 1997, S. 171). Schwere und frühkindliche Mangelerlebnisse führten – so Bettelheim weiter – zu einer ausgeprägten Angst in Bezug auf Nahrung, im Gegenzug das Vorhandensein von Nahrung zur Spannungsabfuhr und Sicherheit (ebenda 171 ff.). © Picard/Weiß 2015 Bettelheim, B. (1997): Liebe allein genügt nicht. Pflege Die Badezimmer und Toiletten z. B. sollten nicht nur zweckmäßig eingerichtet sein, um sie zu freundlichen Aufenthaltsorten werden zu lassen, damit die Kinder auch hier „ … zu einer entspannten Einstellung zu ihrem Körper kommen.“ (Bettelheim 1975, S. 173). © Picard/Weiß 2015 Bettelheim, B. (1975): Der Weg aus dem Labyrinth Die Isolation korrigieren • Den Stress der Kinder wahrnehmen • Die Selbstregulation und den Selbstausdruck unterstützen • Die Körperwahrnehmung fördern • Die Entstehung von Stress erklären • Die interkulturelle Kompetenz • Die Partizipation alltäglich und speziell fördern © Picard/Weiß 2015 Stress der Kinder wahrnehmen • „dann ist das immer so wie ein • • • • Karussell im Kopf und alles wirbelt durcheinander“ Mike geht nicht aus‘s Klo Yasser kann nicht reden Eric wirft der Praktikantin ein Loch in den Kopf Niklas rastet immer zu aus, vor allem, wen er Angst hat alleine gelassen zu werden oder nichts zu essen zu bekommen © Picard/Weiß 2015 Selbstregulation Meine sekundären Traumasymptome kennen Überregung Dissoziation Möglichkeiten der Regulation einüben Trigger und Stimuli identifizieren Energie- und Stressniveau wahrnehmen lernen Körperempfindungen wahrnehmen lernen Trockenübungen zur Versorgung der dissoziativen Symptome Erstarrung Ankerungen einbauen Notfallkoffer Körperübungen © Picard/Weiß 2015 Selbstregulation Empfindungen wahrnehmen Symptome versorgen C. Cross-Mülller: Nur Mut. Das kleine Überlebensbuch) © Picard/Weiß 2015 Selbstregulation: Hilfeliste der Kinder Was sie schon tun • • • • • • Boxen am Bett Aufstehen Gerüche wahrnehmen Tief atmen Rumrennen Kaugummi kauen © Picard/Weiß 2015 Weitere Möglichkeiten Die Körperwahrnehmung fördern © Picard/Weiß 2015 Das Befreiende von Bewegung Baut innere Erregungszustände ab Verbessert den nächtlichen Schlaf Fördert die Durchblutung des Gehirns Lindert Konzentrationsstörungen Setz vermehrt Botenstoffe, Neurotransmitter, im Gehirn frei Unterstützt die Balance im autonomen Nervensystem Trainiert das gesamte Herz- und Kreislauf-System Verbessert Körperhaltung, Kraft und Ausdauer Trägt zu einer besseren Informationsverarbeitung bei Hemmt entzündliche Mechanismen im Körper Setzt Wachstumsfaktoren zur Neubildung von Nervenzellen und Verbesserung der Synapsenbildung Lenkt die Aufmerksamkeit auf das Hier © Picard/Weiß 2015 und Jetzt Die Funktionsweise des Gehirns erklären Wie das Gehirn funktioniert © Picard/Weiß 2015 Die Entstehung von Stress erklären Kinder verstehen das. Kinder entlastet das. Kinder können dann mitreden. „Da hat sich eine Fernbedienung reingehängt“ „Das Erdgeschoss ist viel größer, Ihr wisst gar nicht, was da alles drin ist.“ „Das war nicht ich , das war mein Reptiliengeh irn“ © Picard/Weiß 2015 © ZTP November 2011 Der soweit als möglich sichere Ort Unterschiedliche Kulturen integrieren • Die Bedeutung von Ausdrucksmöglichkeiten • Die Essensgewohnheiten beachten © Picard/Weiß 2015 Partizipation ermöglichen Vielen Dank für die Aufmerksamkeit Vorankündigung: Weiß/Kessler/Gahleit ner (Hrsg.) (2016): Handbuch Traumapädagogik. Weinheim: Beltz © Picard/Weiß 2015