Wahrheit im Plural - Stefan Tobler Privatdozent für Systematische

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Wahrheit im Plural?
(Ottmaring, 6. Juni 2002)
Einstieg
Der Philosoph Peter Sloterdijk – bekannt geworden wegen seiner positiven
Haltung zu gentechnischen Eingriffen – sagte in einen Interview mit Focus,
„Wir tun immer so, als wäre Moral das letzte Wort, das es nur im Singular
gibt.“ (gef. Die ZEIT 2.8.2001 (nr.32)).
Moral im Plural ist also seine Feststellung. Wie ist hier ‘Plural’ gemeint?
Plural als Mehrzahl von Moralvorstellungen, über die man spricht. Jeder hat
seine eigene Moral, und das sind vielleicht je ganz verschiedene Dinge, über
die gar nicht mehr diskutiert werden kann.
Darin ist vorausgesetzt: die Wahrheit gehört zu jenen Worten, die es
selbstverständlich (und schon lange) nur noch im Plural gibt. Das brauchte er
gar nicht besonders zu erwähnen.
Im Plural. Das Fragezeichen deutet darauf hin, dass man einen solchen
Ausdruck auf verschiedene Weisen verstehen kann. Es steht auch für die
Schwierigkeit, die dieser Plural Menschen bereitet, die von einer festen
Glaubensüberzeugung und darin von einer einzigen Wahrheit ausgehen.
Hinter dem Titel hätte aber auch ein Punkt stehen können. Dann ist es schlicht
die Feststellung einer Tatsache in unserer heutigen Welt, die Welt Sloterdijks,
worin Wahrheit vorerst einmal nur als Vielfalt von Wahrheitsansprüchen
auftritt.
Schliesslich hätte ich aber auch ein Ausrufezeichen setzen können. Und es ist
eigentlich genau das, was ich heute abend tun will: W i Pl ! Also etwas
darlegen, was ich selbst wichtig finde und erläutern will. Dann muss man den
Ausdruck aber recht verstehen. Verstehen, wie das Wort ‘Plural’ gemeint ist.
Plural in meinem Titel kann sich grammatisch auf das Wort Wahrheit beziehen
und ausdrücken, man könne eigentlich nur von Wahrheiten reden. Eine solche
Redeweise ist in zusammengesetzten Wörtern durchaus gängig: man spricht
z.B. von Geschichtswahrheiten und meint damit einzelne gesicherte Fakten,
oder von Glaubenswahrheiten als Einzelelementen einer religiösen
Überzeugung. Die Rede von Teilwahrheiten ist bereits eher negativ besetzt: sie
deutet die Schwierigkeit an, das Ganze der Wahrheit erkennen zu können oder
zu wollen. Andererseits kommt zum Ausdruck, dass der Wahrheitsbegriff in
sich unendlich vielfältig ist: Wahrheit gibt es nur als vielgestaltig eine.
-1-
In der heutigen Zeit überwiegt aber die Radikalisierung dieser Beobachtung im
Sloterdijkschen Sinn: man will grundsätzlich nur noch von Wahrheiten reden.
Auch in theologischen Kreisen hört man diese Forderung oft; gelegentlich
wird sie nur noch als die Feststellung einer Tatsache präsentiert: “Fortan steht
Wahrheit im Plural.”1 – so ist in einer viel beachteten religionssoziologischen
Studie zu lesen. Dort wird die Individualisierung unserer Gesellschaft
beschrieben; sie wird nicht nur festgestellt und als Herausforderung für die
Kirche verstanden, sondern sie wird vielmehr zum Mass dafür, wie die
Theologie heute sachgemäss den Wahrheitsbegriff brauchen dürfe.
Und viel näher auf die Haut gerückt ist uns in dieser Zeit schliesslich das
interreligiöse Gespräch. Gibt es darin einen Weg, von der Wahrheit zu reden,
ohne den Gesprächspartner mit einem Absolutheitsanspruch zu konfrontieren
und somit das Gespräch abzubrechen, oder aber zu vereinnahmen, indem ich
ihn in meine Weltanschauung einpasse? Darum ist die Tendenz heute diese,
eine pluralistische Theologie der Religionen zu entwickeln. Der Übergang
vom faktischen Pluralismus der Weltanschauungen zur Forderung nach einem
prinzipiell pluralistischen Wahrheitsbegriff scheint vielen die einzige Lösung.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, den Begriff des Plurals im Titel zu
verstehen. Auf dieser Linie will ich weiterdenken. Statt den Plural auf das
Wort Wahrheit zu beziehen, kann man ihn als Hinweis auf eine Mehrzahl von
Subjekten, von Personen verstehen.
Es ist ein anderer Zugang, ein anderer Gesichtspunkt des Problems. Ich setze
nicht beim Wahrheitsbegriff selbst an, bei seiner Bedeutung und seinem
Anwendungsbereich, sondern bei der Situation, bei den Personen. [Für die
Fachleute: nicht der semantische, sondern der pragmatische Aspekt] Der Plural
bezieht sich auf den Ort, wo Wahrheit zu finden ist, auf die Art und Weise, wie
dies geschieht, und vor allem auch darauf, wer die Frage stellt. Sie ist also
bezogen auf Menschen, die eine solche Wahrheit ausdrücken und die sie
immer von neuem suchen. Wahrheit muss einleuchten, und dies ereignet sich
im Kontext zwischenmenschlicher Verständigung.
[Folie mit Skizze]:
Wahrheit ist der (theologischen) Erkenntnis zugeordnet,
das ‘im’ dem Ort,
der Plural dem Subjekt.
Mein Vortrag besteht im folgenden aus zwei Teilen. In einem ersten
Durchgang will ich diesen drei Titelworten nochmals nachgehen. Der zweite
Teil dagegen ist eine Anwendung auf die Methode der theologischen Arbeit.
Folie PP Einteilung
-2-
2. Wahrheit im Plural
2.1. “Wahrheit”
Was ist Wahrheit (Joh 18,38)? Nicht erst seit Pilatus steht die Frage im Raum
– sie drängt sich unwiderstehlich auf. Ebenso vielschichtig wie die Geschichte
des Begriffs sind die Möglichkeiten der Verwendung heute.
Wenn wir nach dem Gegenteil von Wahrheit fragen, kommen wir auf eine
erste grundlegende Unterscheidung. Das Gegenteil kann die Lüge sein. Dann
geht es um eine Frage der Ethik, nach der Zuverlässigkeit von
zwischenmenschlichen Beziehungen und politischem Handeln. So relevant
diese Frage auch ist – um sie geht es mir heute abend nicht.
Das Gegenteil von Wahrheit kann aber auch der Irrtum sein. Dann sind wir im
Bereich der Erkenntnislehre. Auch darin kann man nochmals unterteilen; ich
nenne drei Bereiche, die Logik, die Naturwissenschaft und die Philosophie.
In der erstgenannten, der Mathematik und Logik, gibt es eine ganz klare
Alternative zwischen wahren und falschen Schlussfolgerungen. Was im
System als wahr gelten soll, wird durch die anfänglich aufgestellten Axiome
und Schlussregeln klar festgelegt. Wer Computerprogramme schreibt, lebt von
der eindeutigen Unterscheidung von .t. (true) und .f. (false) – und wir alle
leben heute von beeindruckenden Stärke und Produktivität einer solchen
Eindeutigkeit.
Schon problematischer wird es um die Eindeutigkeit von ‘wahr’ und ‘falsch’
in den empirischen Wissenschaften. Jede naturwissenschaftliche Erkenntnis,
so weitreichend ihre technischen Anwendungen auch sein mögen, ist auf einer
Hypothese aufgebaut. Die Naturwissenschaft hat in den letzten Jahrzehnten
ihre Grenzen immer klarer gesehen und spricht nur noch in sehr beschränktem
Mass von einem Wahrheitsbeweis ihrer Annahmen; vielmehr geht sie nur von
der Möglichkeit einer mehr oder weniger sicheren Bestätigung aus.
Noch schwieriger wird die Sache innerhalb des philosophischen Denkens. Die
Zeit der grossen Entwürfe, die das Ganze der Wirklichkeit zu erklären und
damit Wahrheit auszusagen beanspruchen, ist scheinbar schon lange vorbei2.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde intensive Kritik geübt an allem
metaphysischen Denken; es wurde bestritten, dass es ausserhalb der Logik und
dem empirischem Erfahrungswissen überhaupt noch einen sinnvollen dritten
Bereich von Erkenntnis gebe. Die sogenannte Postmoderne hat ein Übriges
getan, indem sie die Gesellschaft nur als ein Nebeneinander von losen
Segmenten beschreibt und jede Einheit eines Weltentwurfs als sinnlos erklärt.
So jedenfalls präsentiert sich das Bild auf den ersten, oberflächlichen Blick.
Wo steht in diesem Ganzen der christliche Glaube und, eng damit verbunden,
die Theologie? Zwei ganz unterschiedliche Auswege bieten sich an, die nach
meiner Überzeugung beide gleichermassen ins Abseits führen.
-3-
Der eine ist das schlichte Beharren auf einer Glaubenswahrheit als einer
Wahrheit ganz anderer Art, die eben nur dem einsichtlich sei, der sich auf sie
einlasse. Der Hinweis auf den Glauben als einen unhintergehbaren
Ausgangspunkt christlicher Theologie ist zwar richtig; aber dieser Glaube
befragt wie schon zu Anselms Zeiten die Vernunft, und das heisst heute: die
mit dem gegenwärtigen Zeitgeist zutiefst verwobene Vernunft. Will sich das
Christentum nicht auf eine Nischenexistenz zurückdrängen lassen, kann es
nicht einfach einen Wahrheitsbegriff postulieren, der nur der Theologie eigen
ist und nicht kommunziert werden kann. Damit würde sie sich ja genau an das
postmoderne Bild anpassen und sich einfach in einem Segment – dem
christlichen eben – einrichten.
Der zweite, verlockende Weg wäre es, sich ausschliesslich auf die Sinnfrage
zu konzentrieren. Der Vorschlag einer friedlichen Arbeitsteilung liegt nahe
und ist auch unter Theologen beliebt3: den Wissenschaften sei die Frage nach
der Wahrheit aufgegeben, der Religion die Vermittlung von Sinn. Diese
friedliche Koexistenz erspart der Theologie den – scheinbar so hoffnungslosen
– Streit um die Sicht auf das Ganze des Menschen und ermöglicht die
Definition einer wenig umstrittenen gesellschaftlichen Funktion von Religion,
eben der Sinnstiftung; aber man erkauft sich diese Aufteilung letztlich zum
Preis der Belanglosigkeit nicht nur im gesellschaftlichen, sondern letztlich
auch im persönlichen Leben.
Die Kategorie des Sinnes ist grundsätzlich und unüberholbar subjektiv und
relativ. Etwas hat Sinn für mich und heute; was es für andere und was es in der
Zukunft bedeuten kann, muss der Andere bzw. muss die Zukunft ausmachen.
Dies widerspricht aber der Grunderfahrung des Glaubens – nicht nur in der
christlichen Tradition. Dasjenige, was mich im Glauben anspricht, ist gerade
deshalb für mich so relevant, weil es nicht nur für mich4 und nicht nur heute
gilt. Wegen diesem doppelten Nicht-Nur kann die Theologie auf den Begriff
der Wahrheit nicht verzichten. Nur er, nicht der Begriff des Sinnes ist
imstande auszudrücken, dass sich die Glaubenserfahrung auf etwas
Unbedingtes, Allgemeines bezieht.5 Der Glaube nimmt ernst, dass jeder
Mensch ein Woher hat, das er sich nicht selbst gegeben hat, und dass er in eine
Freiheit hinein geworfen ist, der er sich nie entziehen kann – ungeachtet aller
Knechtschaft, in die er verstrickt sein mag. Diese Unverfügbarkeit erlebt der
Glaube als ein ihn von aussen erreichender Zuspruch und Anspruch. Die
Allgemeinheit dieser Tatsache interpretiert er als Hinweis auf die Einheit der
Wirklichkeit, die vom Pluralismus und von der Fragmentierung der
Gesellschaft nicht berührt wird, sondern ihnen nochmals zugrunde liegt.
Darum kann sich die Theologie die Rede von der Wahrheit nicht nehmen
lassen und soll durchaus den Anspruch erheben, damit etwas zur Sprache zu
bringen, was alle angeht.
-4-
Von der Suche nach Wahrheit soll also die Rede sein, in Bezug auf die eine
Wirklichkeit, zu der aber unterschiedliche Zugänge bestehen. Ein grosser
Theologe des 20.Jhd., Paul Tillich, hat dies 1931 in einem kurzen
Lexikonartikel zum Thema Wissenschaft prägnant auf den Begriff gebracht6.
Wo er über die Beziehung zwischen dem Menschen und der ihn umgebenden
Welt nachdenkt, führt er den Begriff der Begegnung ein. Diese Begegnung sei
vorerst einmal eine ganz unmittelbare; von Wissenschaft hingegen beginne
man dann zu reden, wenn der Mensch in dieser Begegnung “zugleich auch
ausser ihr bleibt”7, also einen gewissen Abstand gewinnt, indem er ‘über’
etwas nachdenkt.8 Die Stärke von Tillichs Beschreibung besteht darin, dass er
kein Entweder-Oder postuliert, sondern von Gradabstufungen spricht. Unser
Zugang zur Wirklichkeit kann nie ein reines Sich-Heraushalten sein, also nie
rein objektivierende Wissenschaft. Der Denkende selbst ist vielmehr immer
auch mit drin in seiner Forschung, als leibhafte, an Raum und Zeit gebundene
Person. Philosophische und theologische Systeme sind dabei näher am jenem
Rand der Skala, wo es um unmittelbarere Begegnung geht; Erkenntnis, die
man dort gewinnt, ist zwar weniger gesichert und birgt grössere Möglichkeiten
des Irrtums, dafür ist sie aber auch reicher an Begegnungsgehalten.9 In allen
Fällen, auf der ganzen Skala, geht es aber um die gleiche Wirklichkeit und um
die gleiche Grundfrage nach dem, “was ist”.
Den Begriff der Begegnung dürfte Tillich dem Einfluss des sogennanten
Personalismus verdanken10, der v.a. in der Person von Martin Buber und
seinem berühmten Werk “Ich und Du”11 eine Reihe von Theologen geprägt
hat.12 Einer dieser Theologen ist Emil Brunner. Programmatisch entwickelt er
seine wichtigsten Folgerungen in einem kleinen Buch aus dem Jahr 1938 mit
dem Titel “Wahrheit als Begegnung”, das sein ganzes späteres Werk prägen
wird.13 Brunners Werk ist immer noch sehr lesenswert; ich habe manches
gelernt. Die Schwäche seines Ansatzes liegt in darin, dass er die Eigenheit des
christlichen Glaubens zu sehr betonen will. Das führt ihn auf die These eines
Gegensatzes zwischen einem biblischem und einem allgemeinphilosophischen Wahrheitsverständnis. Damit nimmt er – anders als Tillich –
nicht ernst, dass dieses Phänomen der ‘Begegnung’ allgemein ist. Zudem wird
Brunner auch der Mehrschichtigkeit der biblischen Texte nicht gerecht, deren
Wahrheitsverständnis sich nicht auf einen einzigen Nenner bringen lässt14. Der
Begriff ‘Wahrheit als Begegnung’ ist zwar biblisch gut begründet, aber er ist
nicht einfach biblisch ableitbar. Er sagt etwas aus über die Grundstruktur der
allgemeinen menschlichen Erfahrung von Wirklichkeit; und darin hilft er uns
auf dem Weg des Verstehens weiter. Er dient der Klärung, von welchem
Existenzvollzug wir reden, wenn wir auch in der Theologie den
Wahrheitsbegriff beanspruchen. So führt er uns auf die nun folgende Frage:
wo und wie findet solche theologische Erkenntnis von Wahrheit statt?
-5-
2.2. “im”
Welches ist der Ort theologischer Erkenntnis?
Vielen von Ihnen – gewiss nicht nur den Theologen – dürfte an dieser Stelle
eine Antwort auf der Zunge liegen: die Schrift natürlich. Die Schrift als das
uns tragende Zeugnis vergangener Glaubenserfahrung und als Ort, wo uns
Gott in seinem Wort als ansprechende, uns beanspruchende Wahrheit
begegnet. Diese für die Reformation grundlegende Überzeugung erfuhr in den
letzten dreihundert Jahren aber eine tiefgreifende Problematisierung, deren
Resultat ich so zusammenfassen möchte: der Bezug auf die Schrift ist zwar
eine notwendige, aber keine hinreichende Antwort auf die Frage nach dem Ort
theologischer Erkenntnis. Dies ergibt sich aus der Einsicht in das
geschichtliche Wachstum und die innere Vielfalt der biblischen Texte. Das
Prinzip der Auswahl, Zuordnung und Auslegung kann nicht nochmals aus der
Schrift selbst erhoben werden.
Zu Recht könnte an dieser Stelle jemand an den Heiligen Geist erinnern. In der
Zuordnung von Wort und Geist ist ein Prinzip der Auslegung zu finden, das
uns das Neue Testament in gewissem Sinn selbst darreicht; damit hätten wir
eine ergänzende Quelle theologischer Erkenntnis. Nur hilft uns dieser Hinweis
in der grundsätzlichen Frage nicht weiter. Es bleibt in gleicher Weise die Frage
stehen: wo ist dieser Geist denn vernehmbar? Die Kirchengeschichte
illustriert, wie unterschiedlich die Antworten sein können.15
Der Hinweis auf das Wort und auf den Geist sind also durchaus Klärungen,
aber vorläufig nur im Sinne einer Präzisierung der Frage, um die es sich
handelt. An den Menschen richtet sich ja das Wort, im Menschen wirkt der
Geist: was heisst es, wenn wir den Menschen als Ort theologischer
Wahrheitserkenntnis qualifizieren? Welcher Mensch ist gemeint, was an
diesem Menschen ist gemeint? In welcher Beziehung steht er zum Inhalt der
Wahrheit, die er zu verstehen und auszudrücken versucht?
Es war das Verständnis von Wahrheit als Begegnung, das uns auf die Frage
nach dem Ort geführt hat; daran will ich nun wieder anknüpfen. Von
Begegnung zu reden impliziert einige Elemente:
PP Folie
– Begegnung kann man suchen, aber nicht herstellen; es ist etwas, was auf
mich zukommt, worin ich mich vorfinde; sie hat Ereignischarakter.
– es ist eine personale Kategorie. Ich als Ganzer, als Person, begegne etwas
oder jemandem.
– Begegnung findet immer geschichtlich-leibhaft statt, in Raum und Zeit16.
Vorerst jedenfalls im Raum meines eigenen Leibes, der über die
Sinneswahrnehmung überhaupt den Zugang zu der uns umgebenden Welt
darstellt; aber dann auch in einem Raum des Zwischen17, da das, was mir
begegnet, nicht mit mir identisch ist, sondern mir immer gegenüber steht.
-6-
Diese Prädikate – ereignishaft, personal und leibhaft – sind mitgemeint, wenn
der Begriff der Begegnung uns auf das hinführen soll, was Wahrheit im
theologischen Sinn bedeuten kann.
Das Neue Testament – vor allem bei Paulus und Johannes – kennt eine
grundlegende Kategorie für das Leben der Gläubigen, die auch eine
Ortsangabe ist: das Sein in Christus. In Christus sein kann einerseits auf
Christi Werk deuten, durch das der Mensch in Gott aufgenommen ist,
andererseits kann man es als den Raum verstehen, in dem der Gläubige lebt:
Leib Christi, eine ganz geschichtliche und – eben – leibhafte Kategorie18.
In diesem Leib Christi ergeht das Wort; er ist sozusagen der Klangkörper, in
dem es zum Klingen kommt und gehört wird. Auf diesen Leib Christi hin
zugeordnet ist auch der Geist; Geist Gottes ist er, wenn er der Auferbauung
des Leibes dient.
Leib Christi ist die Gesamtheit der Gläubigen – aber nicht als Summe der
Teile, sondern nur weil und insofern Christus das Haupt bzw. das verbindende
Ganze ist. Leib Christi ist aber auch die kleinste Zelle von Menschen – das
matthäische ‘wo zwei oder drei’ – jedoch nur in Kraft dessen, der in ihrer
Mitte da ist. Dieser Leib im Grossen oder im Kleinen ist der Ort, wo
Begegnung mit Gott sich je und je ereignet.
Eine Begegnung mit dem Du Gottes ist also unlöslich mit dem
zwischenmenschlichen Du verbunden. Die Verbindung dieser beiden DuBeziehungen kann im Bild des Raumes sogar treffend gefasst werden. Das
zwischenmenschliche Ich-Du ist immer dann, wenn es als Leib Christi
qualifiziert ist – wenn es Begegnung im Glauben und in der Liebe ist – der
Raum, worin das Ich-Du zwischen Gott und Mensch erfahren werden kann.19
In diesem Raum, im Leib Christi als dieser qualifizierten Mehrzahl von
Personen, wird das Wort Gottes lebendig, wird die Schrift verstanden und
kann sich so Gottesbegegnung ereignen. In dieser Begegnung mit Gott kann
sich dann auch Erkenntnis Gottes eröffnen. Das ‘Sein in’ geht der ‘Erkenntnis
von’ voran; der Raum ist also konstitutiv für das Erkennen.20
Ein möglicher Einwand ist hier noch aufzunehmen. Der vorangehende
Gedankengang könnte den Eindruck geweckt haben, dass ich zwar von einem
Leben im Glauben gesprochen habe und von der Kirche als dem
gemeinschaftlichen Vollzug und Raum dieses Lebens, aber noch nicht von der
nachträglichen theologischen Reflexion im Sinne akademischer Forschung.
Kann man – so lautet die Frage – das Gesagte übertragen auf die Ebene des
denkenden Suchens nach der Wahrheit? Ist auch die Theologie ihrerseits das
Ereignis dieser Begegnung, und teilt sie mit dem Glauben denselben Raum?
Ich glaube, dass ein klares – wenn auch differenziertes – Ja auf diese Frage
gute Gründe hat. Dabei erinnere ich an die Skala, von der Tillich spricht, wenn
-7-
er unseren Zugang zur Wirklichkeit beschreibt. Die Theologie – für Tillich
aber auch die Philosophie – steht an jenem Ende der Skala, in der das SichHeraushalten nur in sehr beschränktem Mass möglich ist. Reflexion und
Existenzvollzug liegen dort eng beieinander21. Die Theologie ist für einen
adäquaten Zugang zu ihrer Sache auf denselben Raum der Begegnung mit Gott
verwiesen; jener Raum eben, in dem Gottes Wort als Gottes Wort gehört wird;
worin Gottes Wahrheit letztlich sich selbst mitteilt; zugespitzt formuliert:
worin Gott – Gott in seinem Geist – letztlich Subjekt der Theologie ist.
Dies aber kann immer nur ein Geschenk – Gnade – sein. Allerdings ist dabei
das Nachdenken über den Raum, worin dies geschehen kann, keineswegs
nebensächlich22. Der Ort, an dem ich jene Wahrheit finde, die nicht nur für
mich gilt, ist wie gesagt ein Zwischen, ein ‘wo zwei oder drei’, ein Plural.
Wahrheit im theologischen Sinn eröffnet sich nur im Plural. Ihm wollen wir
uns nun noch näher zuwenden.
2.3. “Plural”
Manches von dem, was an dieser Stelle zu sagen ist, war in den bisherigen
Ausführungen schon implizit enthalten. Ich kann es darum kurz
zusammenfassen und tue dies, der Griffigkeit zuliebe, mit einer graphischen
Skizze, die verschiedene Möglichkeiten illustriert, wie Wahrheit und Plural
zusammenhängen können.
Die ersten zwei Skizzen bezeichnen gesellschaftliche Situationen, in denen das
Ideal der einen, gültigen Wahrheit unangefochten ist. Die Mehrzahl der
Subjekte ist kein Pluralismus, sondern ein Kollektiv: alle haben sich der einen
Denkrichtung einzuordnen
Folie: Skizze 1
Natürlich kann es zu Umbrüchen führen; damit wird zwar der Grundsatz der
Einheit der Weltanschauung nicht verletzt, aber zwei oder mehr Richtungen
streiten um die Vorherrschaft.
Folie: Skizze 2
Wo sich die Mehrzahl von Positionen in eine Vielzahl auflöst und wo der
Streit gesellschaftlich zerstörerisch zu werden beginnt, da gibt es – wie die
historische Entwicklung zeigt – eine nächste Möglichkeit. Die Einzelnen lösen
sich aus ihrem festen Verband. Der Gedanke einer Einheit der Wahrheit wird
zwar nicht aufgegeben, aber ihre Erreichbarkeit wird verneint. Die eine
Wahrheit ist nur noch eine regulative Idee23, die im Unendlichen liegt.
Folie: Skizze 3
Die Einzelnen mit ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen für diese
Wahrheit stehen als Parallelen nebeneinander, unverbunden und ohne
Notwendigkeit der Kommunikation.
-8-
Der Schritt ist nicht mehr gross, um diese regulative Idee als Fiktion zu
bezeichnen und aufzudecken, dass die verschiedenen Intentionen eigentlich
gar nicht in dieselbe Richtung zeigen:
Folie: Skizze 4
wir sind bei einem radikaleren Pluralismus angekommen, der in Bezug auf die
Wahrheitsfrage reiner Skeptizismus ist.
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass auch dies noch nicht das letzte Wort
ist. Nicht nur die Einheit der Gesellschaft, sondern auch die Einheit der Person
wird in Frage gestellt. Das zeigt die folgende Skizze
Folie: Skizze 5
Die Gesellschaft besteht aus ganz unterschiedlichen, in sich immer
autonomeren Segmenten – wie etwa Arbeitsleben, Familie, Vereine, Politik,
Religion – in denen ganz unterschiedliche Verhaltensweisen gelten. Ein
einzelner Mensch lebt abwechslungsweise in einem dieser Segmente und
verhält sich dort je ganz unterschiedlich. Er hat auch in sich keine Richtung
mehr, sondern nur noch Facetten.
Keine dieser Skizzen passt zu dem, was ich bisher zu entwickeln versuchte.
Die Fragmentierung der Person scheint mir in grossem Mass eine Ideologie zu
sein. Um einen Schritt hinter den Pluralismus zurück kann es ernsthafterweise
nicht gehen. Andererseits kann ich den Gedanken der einen Wahrheit nicht
aufgeben; und die Perspektiven auf diese Wahrheit hin dürfen nicht
kommunikationslos nebeneinander stehen. Darum ergibt sich mir die folgende
Skizze:
Folie: Skizze 6
Jedes der Subjekte weiss sich in eigener Verantwortung auf das Eine
ausgerichtet. Keines erreicht für sich den Zielpunkt; die Intentionen treffen
sich aber nicht erst im Unendlichen, sondern davor. Etwas von diesem Einen,
Gemeinsamen leuchtet da auf, wo sich die Linien treffen.24
Meine These ist diese: eigentlich nimmt erst dieses letzte Schema den Plural
der Subjekte wirklich ernst und ist darum für das Denken interessant. Solange
mich der Andere in seiner anderen Ausrichtung nämlich schlicht nichts angeht,
rechne ich zwar mit der Tatsache der Andersartigkeit, setze mich aber mit
deren Inhalt noch nicht wirklich auseinander. Erst wo seine Ausrichtung zur
Frage an mich wird und die Auseinandersetzung damit meine eigene
Wahrnehmung dessen, worum es auch mir geht, mit beeinflusst – da erhält der
Plural ein Gesicht: das Gesicht des Du.
Dass wir in der Wahrheitssuche so grundsätzlich auf das Du verwiesen sind,
entspricht interessanterweise auch einer Forderung der modernen
Wissenschaftstheorie. Im 20. Jhd. gab es eine starke Strömung der Kritik an
der ganzen bisherigen Philosophie und erst recht an der Theologie. Diese
drehe nämlich immer um die gleichen (metaphysischen und spekulativen)
-9-
Fragen. Ein System bzw. Schule löse die andere ab, aber ein Fortschritt sei
nicht zu erkennen. Dagegen habe sich die Logik und die Naturwissenschaft
immer weiter entwickelt. Warum? Weil sie ein strenges Kriterium aufgestellt
habe: nur jene Ergebnisse sollen anerkannt werden, die intersubjektiv
überprüfbar sind. So kann nie einer nur für sich allein etwas behaupten,
sondern alles wird von der Forschergemeinschaft geprüft, kritisiert,
weiterentwickelt. Dies sei zwar ein oft mühsamer und langsamer Prozess,
führe aber zu wirklichen, bleibenden Fortschritten25.
Auch wer mit guten Gründen die pauschale Kritik an Philosophie und
Theologie ablehnt, kann sich doch der Beobachtung nicht entziehen, dass da
eine ernst zu nehmende Anfrage im Raum steht: der Grundsatz nämlich, dass
Wahrheitsansprüche intersubjektiv überprüfbar sein müssen. Dieser Grundsatz
ist keineswegs ein der Theologie fremdes Kriterium, das einfach von aussen an
sie herangetragen wird. Ich habe ja vorher zu zeigen versucht, was den Ort
theologischer Erkenntnis ausmacht: Wahrheit kann nur im Plural gehört
werden, das wurde aus innertheologischen Gründen formuliert. Die
Verwandtschaft der beiden Gedanken ist interessant. Ich bin mir zwar bewusst,
dass ich an dieser Stelle zwei Prinzipien aus sehr unterschiedlichen
Sprachebenen und Anwendungsbereichen (eben: Theologie und
Naturwissenschaft) miteinander verbinde. Dennoch glaube ich, dass gerade
eine solche Verbindung spannende neue Perspektiven eröffnen kann.
Sie führt mich zur Frage, die ich im letzten Teil meines Vortrags behandeln
möchte: PP Folie welches ist jene Form von Intersubjektivität und
Bestätigbarkeit26, die der theologischen Frage nach der Wahrheit angemessen
ist? Wie findet der Plural der Subjekte hin zum Einen der Wahrheit? Welche
Merkmale hat eine dazu passende Methode theologischen Denkens?
3. Qualifizierter Plural
3.1. Qualifiziert
Der Plural der Subjekte ist bisher ein abstrakter Begriff geblieben. Aber der
darin ins Auge gefasste Mensch kann nicht abstrakt bleiben. Wie ist er
qualifiziert – theologisch gesprochen? Der nächste Gedanke ist eine Zäsur, die
– wegen der gebotenen Kürze eines Vortrages – abrupt erscheinen mag, aber –
so hoffe ich – ihre Plausibilität im Ganzen meines Vortrags erhält. Dieser
gedankliche Neuansatz ist die christologische Sicht auf den Menschen, die ich
im folgenden Satz zusammenfassen möchte: PP Folie der Mensch wird erst
vom Kreuz her eindeutig qualifiziert. Das Kreuz, so kann Paulus sagen, ist sein
Verhältnis zur Welt (Gal 6,14)27; er kann sie nur noch in diesem Licht sehen.
Vom Kreuz her gesehen steht gerade auch die menschliche Wahrheitssuche
unter einem doppelten Vorbehalt: dem der geschöpflichen Beschränktheit, und
- 10 -
vor allem dem der sündhaften Ich-Verschlossenheit. Ich habe vorher das Sein
in Christus als Ort aller Gotteserkenntnis bezeichnet. Dieses In-Christus-Sein
wird in den paulinischen Briefen durch eine andere Gruppe von typischen
Redewendungen näher bestimmt: den Lebensvollzug mit Christus –
 mit einer ganzen Reihe von damit verwandten Wortverbindungen.
In jenen Ausdrücken wird umschrieben, dass der Mensch in Christi Tod und
Auferstehung hineingenommen ist. Dieses ‘Syn’/Mit bedeutet in seiner letzten
Konsequenz, dass in den entscheidenden Vollzügen und Einsichten Gott selbst
Subjekt meines Lebens wird; oder, wie Paulus es beschreibt, Christus in uns
lebt bzw. Gottes Kraft gerade auf unserer Schwäche wirksam wird.
Das Kreuz hat also eminent erkenntniskritischen Charakter. Die
Auseinandersetzung von Paulus im 1Kor mit denjenigen, die sich auf den
Besitz von Weisheit berufen und darin nur zu Eifer und Streitigkeiten führen,
zeigt dies exemplarisch. Was bedeutet das für die Theologie?
Eine problematische Anwendung findet sich in einem bekannten Aufsatz von
Ernst Käsemann mit dem Titel Die Heilsbedeutung des Todes Jesu bei
Paulus28. Er gibt dort u.a. folgende Antwort: Jesu Kreuz als wahrhaft kritische
Macht wende sich “konstitutiv gegen jede religiöse Illusion”29.
Kreuzestheologie sei darum ihrer Natur gemäss immer polemisch, sie scheide
notwendigerweise die Geister und schaffe klare Fronten, z.B. auch im
ökumenischen Dialog. Ich stimme Käsemann in der These von der kritischen
Kraft des Kreuzes gerne zu. Die entscheidende Frage aber ist die: gegen wen
richtet sich die Kritik30?
Doch jedenfalls zuerst gegen mich selbst! Bevor die kritische Kraft des
Kreuzes sich in meiner Theologie ausdrückt, richtet sie sich an sie. Dieses
Zuerst ist grundlegend und unhintergehbar. Es bedeutet einen letzten
Vorbehalt, der mit der wesensmässigen Unzulänglichkeit meines Verstehens
verbunden ist. Jeder ernsthafte Forscher rechnet mit ihm und erfährt ihn oft
genug schmerzhaft: immer dann, wenn bisher als sicher Geglaubtes einstürzt,
wenn vermeinte Zusammenhänge sich als falsch erweisen, wenn die Suche in
der Leere endet und kein Wort mehr tragfähig scheint. Es sind notwendige
Phasen der Wüste, ohne die nichts Neues entstehen kann. Es ist jene Leerstelle
– mit zwei ‘ee’, aber auch mit ‘eh’ – die im besonderen Mass die Stelle des Hl.
Geistes ist.
Wie aber – und darum geht es mir jetzt – kann sich diese Priorität der
Selbstkritik vor jeder Kritik am Andern auch in der theologischen Arbeit
ausdrücken? Wie können diese beiden Einsichten zusammenfinden: dass der
Mensch vom Kreuz her qualifiziert ist, und dass der Plural von Subjekten der
eigentliche Ort der Wahrheitserkenntnis ist?
3.2. Unterscheidung zweier Gestalten theologischer Rede
- 11 -
Um an dieser Stelle einen Schritt weiterzukommen, ist eine Unterscheidung
nötig zwischen zwei Gestalten theologischer Rede mit je unterschiedlichem
Sitz im Leben. Meine These – dies sei vorweggenommen – ist die, dass die
Vermischung dieser zwei Gestalten häufig vorkommt und den Fortschritt in
der theologischen Wahrheitserkenntnis nicht wenig behindert.
Es gibt – erstens – Orte und Zeiten des Zeugnisses. Wo es darum geht, dem
Bösen zu widerstehen oder blinden Irrtum aufzuklären, ist Klarheit gefordert.
Als reformatorische Theologie ist dies – historisch gesehen – sozusagen unsere
Ursituation. In den Formen von Apologetik und Polemik hat sie sich ihre
Formen geschaffen, als Verteidigung der Wahrheit nach aussen und nach
innen. Es gibt ja tatsächlich politische und theologische Konstellationen, in
denen nur die grösste Eindeutigkeit im Reden angemessen ist. An diese Stelle
gehört auch die (beliebte!) Redewendung vom Streiten um die Wahrheit und
damit auch das Käsemannsche Verständnis der kritischen Macht der
Kreuzestheologie.
Es gibt daneben – zweitens – Orte und Zeiten der Suche; Suche nach dem
heute treffenden Ausdruck für Gottes Wahrheit. Ich möchte es als den
Normalfall bezeichnen und denke an den Betrieb an einer Fakultät oder an
jedes innerkirchliche Ringen um Klärungen und Positionen. Dieses zweite
interessiert mich heute, und ich stelle die Frage: wie kann sich in dieser Arbeit
die doppelte Näherbestimmung des Menschen in Christus und mit Christus
ausdrücken, des Menschen in einem Raum und in einem Durchgang, als Teil
eines vielfältigen, leibhaften Plurals und im Mitvollzug von Jesu Weg durch
den Tod ins Leben?
3.3. Das ‘neue Denken’
Zur Einführung des nächsten Gedankenschrittes möchte ich in aller Kürze auf
einen grossen Denker zurückgreifen, der in jüngster Zeit wieder vermehrt
Beachtung findet: Franz Rosenzweig. Dieser jüdische Religionsphilosoph, der
eng mit Martin Buber zusammengearbeitet hatte und früh an einer schweren
Krankheit gestorben war, hat uns im wesentlichen ein grosses Werk
hinterlassen, Der Stern der Erlösung31, erstmals 1921 veröffentlicht. In einer
kulturellen Krisenzeit beschreibt er die Tatsache, dass alle philosophischen
Einheitssysteme gescheitert sind. Er ringt mit der Frage, wie der
Ausgangspunkt des Denkens beim Subjekt ernst genommen werden kann,
ohne dabei in einen grundsätzlichen Relativismus abzugleiten, wo subjektive
Wahrheiten verbindungslos nebeneinander stehen. Rosenzweig setzt bei der
menschlichen Sprache und ihrer Situation des Dialoges an. Der Stern der
Erlösung ist ein grossartiges, aber schwieriges Werk. Vier Jahre nach
Erscheinen schreibt Rosenzweig darum einige nachträgliche Bemerkungen in
- 12 -
einem Aufsatz unter dem Titel Das neue Denken, aus dem ich Ihnen einige
Sätze zitieren will.
Folie PP
"An die Stelle der Methode des Denkens, wie sie alle frühere Philosophie ausgebildet
hat, tritt die Methode des Sprechens. Das Denken ist zeitlos, will es sein; es will mit
einem Schlag tausend Verbindungen schlagen; das Letzte, das Ziel ist ihm das Erste.
Das Sprechen ist zeitgebunden, zeitgenährt; es kann und will diesen seinen
Nährboden nicht verlassen; [...]. Im wirklichen Gespräch geschieht eben etwas; ich
weiss nicht vorher, was der andre sagen wird, weil ich nämlich auch noch nicht
einmal weiss, was ich selber sagen werde; ja vielleicht noch nicht einmal, dass ich
überhaupt etwas sagen werde; es könnte ja sein, dass der andre anfängt, ja es wird
sogar im echten Gespräch meist so sein; [...]. Der Denker weiss ja eben seine
Gedanken im voraus; dass er sie 'ausspricht', ist nur eine Konzession an die
Mangelhaftigkeit unserer, wie er es nennt, Verständigungsmittel; die nicht darin
besteht, dass wir Sprache, sondern darin, dass wir Zeit brauchen. Zeit brauchen
heisst: nichts vorwegnehmen können, alles abwarten müssen, mit dem Eigenen vom
andern abhängig sein."32
Diese Sätze Rosenzweigs faszinieren mich – vielleicht gerade weil sie eine
Provokation darstellen, und weil sie mich – auch gerade als christlichen
Theologen – auf den Kern meiner Existenz ansprechen, worin Lebensvollzug
und Denken eins sind.
Es kann an dieser Stelle nur darum gehen, stichwortartig Verbindungslinien
zum bisher Ausgeführten zu ziehen und damit auf die Relevanz dieses sog.
‘neuen Denkens’ hinzuweisen.
– im Vorrang des mündlichen Sprechens liegt ein Verständnis von Wahrheit,
die je neu zum Ereignis werden muss, will sie jetzt in der Begegnung mit dem
Du wahr werden. Die eine Wahrheit “bewährt sich”33 in der Vielfalt der
Begegnung. Dass dies keine Traditionsvergessenheit bedeutet, liegt in der
unaufhebbaren geschichtlichen Verwurzelung jedes Einzelnen.
– Ich habe aufgrund der Kreuzestheologie von einem grundlegenden
Vorbehalt gesprochen, der sich immer zuerst an mich richtet. Rosenzweigs
Sprachdenken zeigt, wie dies im Vollzug des Gesprächs ganz konkret wird:
“ich weiss nicht vorher, was der andre sagen wird, weil ich nämlich auch noch
nicht einmal weiss, was ich selber sagen werde; ja vielleicht noch nicht einmal,
dass ich überhaupt etwas sagen werde.” “abhängig sein”. Ein solches Nichtwissen ist alles andere als Unsicherheit oder Profillosigkeit, sondern im
Gegenteil eine Haltung der inneren Stärke, die nicht von eingenommenen
Positionen abhängt.
– Solches Nicht-wissen ist nicht einfach da, sondern bedeutet bewusstes
Loslassen alles Vorwissens, weil dieses dem Aufleuchten von Wahrheit als
dem Ereignis des Neuen im Wege stehen könnte. Ein solches Loslassen muss
immer wieder von neuem vollzogen werden. Es bedeutet die Entscheidung, im
Vollzug des Dialogs jene Leerstelle offen zu lassen, die das Eingangstor des
Hl. Geistes sein kann.
- 13 -
3.4. Gegenseitiger Perspektivenwechsel
Wer sich in dieser Weise auf das Gespräch einlässt, der entscheidet sich auch
für die Verletzlichkeit. Nicht immer ist sie möglich und angebracht; sie kann ja
missbraucht werden und zur Herrschaft des einen über den anderen führen.
Wenn ich hier dennoch von einer Methode theologischer Wahrheitssuche rede,
dann kann dies nur dann und nur solange gelten, als von Gegenseitigkeit die
Rede ist. Nicht inhaltliche Übereinstimmung zwischen den Gesprächspartnern
ist dabei gefordert, im Gegenteil; aber die grundsätzliche und immer wieder zu
erneuernde Bereitschaft, sich beiderseits auf diese Form des sprechenden
Denkens einzulassen.
Dafür ist ein Akt des Loslassens als Akt der inneren Freiheit fundamental. Er
ist – auf intellektueller Ebene – Ausdruck jenes syn Christo, Mit-Christus, des
Miteinbezogenseins in den Weg Christi. Das Loslassen heisst darum
wesentlich: sich tragen lassen. In seiner Konsequenz ist dieser Akt Offenheit
für den Heiligen Geist. In seinem konkreten Vollzug schliesslich bedeutet eine
solche Freiheit die Bereitschaft zu einer bestimmten Qualität des theologischen
Gespräches – Freiheit vollzieht sich darin im frei-Sein für den Andern. Es
bedeutet z.B. ein wahrhaftes Zuhören in der Bereitschaft, sich vom Andern
füllen zu lassen; es ist ein zeitweiliges Sein-im-Andern also. Dies will ich hier
gegenseitigen Perspektivenwechsel nennen34.
Weiter oben habe ich vom Problem der Bestätigbarkeit jener Wahrheit
gesprochen, um die es in der Theologie geht. Sie kann nicht dieselbe Gestalt
haben wie die Intersubjektivität in der logischen oder naturwissenschaftlichen
Forschung. Man kann sich ja, mit Tillich gesprochen, in theologischen Fragen
nur sehr beschränkt heraushalten, sondern muss jene Existenzvollzüge, um die
es zu tun ist, mit in den Prozess der Erkenntnissuche einbeziehen. Theologisch
gesprochen: man muss ernst machen damit, dass letztlich Gott Subjekt der
Gotteserkenntnis ist, Gott selbst sich sagt, sich in uns ausdrückt.
Ich will das Ergebnis hier versuchsweise einmal so formulieren: Eine
Erkenntnis darf dann als bestätigt gelten, wenn sie durch einen gegenseitigen
Perspektivenwechsel hindurchgegangen ist und diesem Durchgang
standgehalten hat. Das heisst konkreter:
Folie PP
1. wenn ich das, was mir als Wahrheit erscheint, im Gespräch so dargestellt
habe, dass ich es dem Andern nicht durch Kraft der Rhetorik oder der
Persönlichkeit aufgedrängt, sondern ihm die Möglichkeit gelassen habe, die
Gedankenschritte in Freiheit mit mir mitzugehen,35
2. wenn ich die Antwort des Andern auch dann, wenn sie mir vorerst
unbequem erscheint, bis ins Letzte mitzuvollziehen versuche, weil ich dann die
innere Distanz zu meiner eigenen Position gewinne,
- 14 -
3. wenn das, was am Ende dieses Prozesses standgehalten hat oder auch als
Konsens unerwartet aufleuchtet, von beiden als solches erkannt wird – was
nicht ‘die gleiche Meinung haben’ zu bedeuten braucht.
Eine solche Form theologischer Wahrheitssuche gibt es gewiss da und dort,
auch wenn sie vielleicht nicht mit diesen Worten benannt wird. Es gibt sie in
Forschergemeinschaften und Gesprächskreisen. Aber – und das ist meine
Frage – haben wir ihre Kreativität und Tragkraft schon im vollen Umfang
erkannt und ernst genommen? Wage ich es, mich auch da darauf einzulassen,
wo die Positionen weit auseinander zu liegen scheinen? Der
Perspektivenwechsel wird dann gewiss schwieriger – aber auch der
Erkenntnisgewinn könnte entsprechend grösser sein. Dass sich ein solcher
Weg zu gehen lohnt, ist eine keineswegs unvernünftige Annahme, obwohl –
oder vielleicht auch weil – sie von einer notwendigen Selbstbeschränkung der
Vernunft ausgeht.
Wahrheit im Plural – ich schliesse den Kreis. Der Plural der Subjekte hat uns –
natürlich – auch auf den Plural der Wahrheitsüberzeugungen geführt; in
diesem Sinn war die Mehrdeutigkeit des Titels mehr als nur ein rhetorisches
Spiel. Wenn dieser Plural der Subjekt aber eine qualifizierte Einheit von
Personen ist, dann können Perspektiven einander begegnen, sodass das Eine
der Wahrheit aufleuchtet – bruchstückweise gewiss, aber doch nicht erst im
Unendlichen, sondern hier und jetzt36. So jedenfalls – und damit meine ich:
christologisch fundiert – ist es mir möglich, das Eine festzuhalten, ohne den
Pluralismus zu verleugnen. Ich denke darin nicht zuletzt an Chancen für den
interreligiösen Dialog37. Wenn die eine Wahrheit, an die ich glaube, nicht nur
für mich gilt, so bezieht sich dieses Nicht-nur zwar immer beschränkt und
konkret auf das Gegenüber zum einen Menschen – zum ‘Nächsten’ eben – und
hat sich dort zu bewähren in dem präzisen, beschriebenen Sinn. Aber gerade
darin ist es auch grenzenlos, weil ich niemanden als den mir Nächsten
ausschliesse und darum letztlich auf das für alle hinziele.
- 15 -
Literatur
Brunner, Emil: Wahrheit als Begegnung, Berlin 1938
Dubach (Hg.), Alfred: Jede(r) ein Sonderfall? Religion in der Schweiz.
Ergebnisse einer Repräsentativbefragung, Zürich/Basel 2.Aufl. 1993; 381;
(Mithg. Roland J. Campiche)
Fischer, Johannes: Pluralismus, Wahrheit und die Krise der Dogmatik.
(Eberhard Jüngel zum 60. Geburtstag), in: ZThK 4, 1994; 487-539
Fischer, Johannes: Zum Wahrheitsanspruch der Theologie, in: ThZ 50/ 1994;
93-107
Leonhard, Rochus: Unklarheit über die Klarheit der Schrift. Skeptische
Überlegungen zum protestantischen Schriftprinzip 1999; 157-183
Marquard, Odo: Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, Stuttgart
1981
Marquard, Odo: Apologie des Zufälligen. Philosophische Studien, Stuttgart
1986
Newbigin, Lesslie: Gott kennenlernen. Wahre Erkenntnis der Wirklichkeit
verlangt persönliche Hingabe., in: EvKo 5/ 1995; 254-257
Pannenberg (Interview mit), Wolfhart: Geist gegen Zeitgeist. Gespräch mit
dem Theologen Wolfhart Pannenberg, in: EvKo 5/95 1995; 265-269
Rosenzweig, Franz: Der Stern der Erlösung, Frankfurt 51996
Rosenzweig, Franz: Das neue Denken. Einige nachträgliche Bemerkungen
zum 'Stern der Erlösung' (1925), Königstein 1984; 186-211; in: Die Schrift
(nr.1532)
Sundermeier, Theo: Pluralismus, Fundamentalismus, Koinonia, in: EvTh 4/
1994; 293-310
Tillich, Paul: Wissenschaft (1931), RGG 2.Aufl. Bd. [??], aufgenommen in:
Hauptwerke Bd.1. Philosophische Schriften, Berlin/New York 1989, S. [??]
Ven, Johannes van der: Religiöser Pluralismus und interreligiöses Lernen,
Kampen 1994; 291; Mithg. Hans-Georg Ziebertz
u.a., s. Fussnoten
1
So Dubach im Nachwort seiner Studie (A. Dubach, Sonderfall, 299).
2
Kant konnte noch mit dem bescheiden klingenden, aber sehr grundlegenden Anspruch auftreten, die
philos. Fak. lebe aus der Maxime der “Anspruchlosigkeit, blos frei zu sein, aber auch frei zu lassen,
blos die Wahrheit zum Vortheil jeder Wissenschaft auszumitteln” (nr.1337 28), und geht damit von
der Einheit der Vernunft und der Einheit der Wahrheit ganz einfach aus.
3
Ein Beispiel: Wilhelm Gräb; etwa in “Von der Religionskritik zur Religionshermeneutik” (nr.1111
128 u.a.). So auch der Vorschlag von Ken Wilber (nr.1007), der der Naturwissenschaft die Begriffe
Wissen und Wahrheit zuordnet, der Religion die Begriffe Weisheit und Sinn bzw. Werte.
- 16 -
4
Warum sage ich nicht: für alle? Weil das Alle abstrakt ist. Es geht immer um den einen Menschen
neben mir, mit dem ich mich über die Wahrheit unterhalten, verständigen kann. Theologische
Wahrheit ist immer persönlich, einzeln. Eben: Begegnung. Und ‘Allen’ kann ich nicht begegnet. Auch
Gott liebt nicht alle, sondern mich und darum auch dich. Nur im Fortschreiten über ein sich
fortpflanzendes Nicht-Nur erreicht die Wahrheit alle. --> vgl. Rosenzweig im Stern der Erlösung: es
ist genau sein Konzept von Gottes Liebe! Das Alle wird nur eschatologisch erreicht, nicht im
abstrakten Heute. Darum – so erklärt er – kann es Erwählung z.B. eines Volkes geben.
5
Wenn ich hier von Unbedingtheit und Allgemeinheit rede, muss gleich etwas präzisiert werden.
Diese Prädikate gelten hier nur der reinen Tatsache, dem Dass einer solchen Glaubenserfahrung, nicht
jedoch ihrer spezifischen Form oder ihren einzelnen Aussagen. Es ist also noch nichts über die –
durchaus der Diskussion würdige – Frage ausgesagt, inwiefern auch eine konkrete geschichtliche Form
des Wahrheitsanspruchs (z.B. das Christentum) einen solchen Anspruch erheben darf oder soll.
6
In dem kurzen Artikel zum Thema Wissenschaft in der RGG 2.Auflage, neu abgedruckt in: Paul
Tillich, Hauptwerke Band 1. Philosophische Schriften, Berlin/New York 1989, 349-351.
7
nr.1131 349
8
Je grösser der Abstand, desto mehr ist die Forschung gesichert gegen Überraschungen,
“Enttäuschung der Erwartung”, wie Tillich das nennt. So ergibt sich eine Bandbreite von
Möglichkeiten: “Je mehr die Wissenschaft das Gegenüber festhält, je mehr sie also draussen bleibt,
desto sicherer ist sie vor den Enttäuschungen ihrer Erwartung, aber desto ärmer ist sie an
Begegnungsgehalten [...]. Und je mehr sie eingeht in die Begegnung, desto mehr Begegnungsgehalte
gehen in die wissenschaftliche Formung ein, desto mehr aber ist sie Enttäuschungen ausgesetzt.”
(nr.1131 349f)
9
“Ob und wie es sinnvoll ist, von Begegnungen zu sprechen, deren Charakter das Sich-Heraushalten
unmöglich macht, die also der wissenschaftlichen Begegnungsart entzogen sind, ist die Grundfrage der
normativen Religions-Wissenschaft und Systematischen Theologie." (nr.1131 351)
10
Beziehung Tillich-Buber evtl. noch prüfen; vgl. dazu der Lit.hinweis bei Leiner, nr.1610 26.
11
Erstauflage Leipzig 1923. Das Ich-Du und das Ich-Es ist die zwiefältige Weise, wie sich der Mensch
zur Welt verhält bzw. wie er in der Welt steht. Es sind zwei Grundrelationen: beides aber als
Relationen verstanden (nr.1610 152f).
12
Bubers Werk sei aber – so lautet die These einer im vergangenen Jahr erschienenen
Forschungsarbeit – allzu oft als rein dichterischer Ansatz missverstanden worden, und so täusche seine
Popularität darüber hinweg, dass seine hochreflektierten philosophischen Skizzen noch gar nicht
umfassend aufgenommen worden seien, auch nicht innerhalb der evangelischen Theologie (Martin
Leiner, Gottes Gegenwart. Martin Bubers Philosophie des Dialogs und der Ansatz ihrer theologischen
Rezeption bei Friedrich Gogarten und Emil Brunner, Gütersloh 2000; S.17 u.a.)
Gibt es auch eine Linie zu Newbigin (nr.429 256)? Er unterscheidet zwischen kennen und wissen,
connaître und savoir. In Bezug auf Menschen gilt das kennen, nicht das wissen. Dies gilt auch für Gott,
wenn wir ihn – wie Newbigin es tut – personal denken. Kennen aber ereignet sich im Umgang
miteinander – Gott kennen in der Nachfolge. “Letzlich ist wahre Erkenntnis ohne Liebe unmöglich;
und die Liebe ist eine personale Kategorie”. Dazu jedenfalls neuerdings Udo Kern (nr.1613).
- 17 -
13
Unter dem Begriff der ‘personalen Korrespondenz’ entwickelt Brunner dort die Beziehung zwischen
Gott und Mensch: Gott löst in seiner Anrede die Begegnung aus und macht auch die Antwort des
Menschen möglich, die allerdings in Freiheit ergehen muss.
14
Die Philosophie arbeite mit dem Subjekt-Objekt-Gegensatz, den es gerade zu überwinden gelte.
Brunner muss aber ausblenden, dass der Wahrheitsbegriff in der Bibel, sowohl in ihren
alttestamentlichen Teilen als auch ihren griechischen Wurzeln, ein mehrschichtiger ist und nicht nur
die Kategorie der personalen Begegnung umfasst. Es gibt auch (gg Bultmanns Auslegung, vgl. u.a.
ThWNT zu ) keine eigentliche Diskrepanz zw. griech. und hebräischem Wahrheitsbegriff.
Auch in letzterem ist das Wahrsein von Aussagen wichtig (vgl. Art. Wahrheit in LThK III Bd.10 933).
Zudem ist es Brunner so verwehrt, die Allgemeinheit der Kategorie der Begegnung zu erfassen (vgl.
dazu zuch Gadamer; s. Hinweise in LThK III Bd.10 936f. Bei Gadamer allerdings eine Schwergewicht
auf dem Begriff des Sinns), die im Buberschen Werk und auch in dessen Aufnahme durch Tillich jede
Beziehung des Menschen zu der ihn umgebenden Wirklichkeit zum Ausdruck bringen will.
Zu Buber: Schon ein erster Einblick in Leiners Buber-Interpretation (nr.1610) bestätigt dies. Für
Buber gelte, dass das kantische “Ding-an-sich uns begegnet” (150). Z.B. ein Lindenbaum (127), von
dem sogar gefragt werden kann, ob nicht auch er aus dieser Begegnung anders hervorgehe – eine für
die bisherige philos. Tradition sinnlose Frage. Die ganze Sinnenwelt begegnet uns: Unterscheidung
zw. ‘Erfahrung’ und ‘Begegnung’ (129f), letztere primär, aber ungegenständlich; das weisse Licht,
bevor es im Prisma auseinanderstrahlt bzw. worin sich alles Licht bündelt (130).
Näher zu prüfen, inwiefern bei Brunner Allgemeinheit über den Umweg (des Anspruchs) der
Allgemeingültigkeit eingeführt wird – ein unter Theologen beliebter Weg. Brunner formuliert einen
Geltungsanspruch – es wird also als (Glaubens-) Entscheidung gefordert -, während Buber den
Anspruch hat, ontologisch etwas über den Menschen auszusagen. Bei Brunner also (tendenziell)
Glaube oder Unglaube ggüber dem ansprechenden Wort Gottes, bei Buber Verstehen oder Blindheit
ggüber der Konstitution der Wirklichkeit (Welt).
Allerdings scheint Leiner (nr.1610 20f) auch bei Brunner eine Allgemeinheit des Begriffs zu sehen.
Prüfen.
15
Die kath. Kirche hat auf diese Grundfrage eine Antwort: in der Kontinuität der Tradition und des sie
bewahrenden und fortschreibenden Lehramts ist das Kriterium der Unterscheidung. Dies ist evang.
Theologie verwehrt.
Die Frage ist alt und bleibend aktuell; sie ist so grundlegend, dass Bonhoeffer sie zugespitzt als Frage
nach der Möglichkeit von evangelischer Kirche überhaupt benannt hat. "Es ist die Frage, ob nach der
Trennung von der päpstlichen und von der weltlichen Autorität in der Kirche eine Autorität in der
Kirche aufgerichtet werden kann, die allein vom Wort und vom Bekenntnis her begründet ist. Ist eine
solche Autorität nicht möglich, dann ist die letzte Möglichkeit evangelischer Kirche vorbei; dann gibt
es wirklich nur Rückkehr nach Rom oder unter die Staatskirche oder den Weg in die Vereinzelung, in
den 'Protest' des echten Protestantismus gegen falsche Autoritäten." (D. Bonhoeffer, Gesammelte
Schriften Bd.6, E.Bethge (Hrsg.), München 1974, 485 f.)
Gibt es nur den Weg in die Subjektivität? Ist das postmoderne Verständnis von Individualisierung
vielleicht doch der authentische Ausdruck protestantischer Tradition, oder gibt es andere Wege, den
Pluralismus zu würdigen, ohne dass dies zur Beliebigkeit wird?
- 18 -
Letztlich also auch die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Kirche. Spontane These: nur
wenn die Kirche Theologie ist, d.h. sich der Wahrheitsfrage auch auf der Ebene des intellektuellen
Denkens immer von neuem stellt und sich damit nicht aus dem Gespräch mit allen anderen
gesellschaftlich prägenden Kräften verabschiedet, und nur wenn die Theologie auch Kirche ist, d.h.
wenn ihr Vollzug nicht nur als Dienst an der Kirche verstanden wird, sondern selbst auch als Ereignis
von Kirche und damit in ihrer Methode die doppelte Dimension der Kirche (Leben aus und verwiesen
auf den gekreuzigten Auferweckten, und Dasein als Leib Christi und damit immer als ein ‘Kollektiv’)
widerspiegelt, dann kann vom Vertrauen auf den Hl. Geist mit Grund die Rede sein.
16
Bei Brunner heisst dies so: Wahrheit sei geschichtlich, als “Wahrheit, die nicht in uns ist, sondern zu
uns kommt. Dies ist der autonomen Vernunft am meisten anstössig. Dieser Anstoss aber besteht nur
solange, als wir im du-losen, im ich-einsamen Denken befangen sind.” (nr.465 2.A. 26)
17
Zur Leiblichkeit und dem Raum des Zwischen wäre der philos. Ansatz Plessners näher zu
untersuchen.
18
Man könnte andere Raumbegriffe biblisch suchen: im AT das Volk, Israel; im NT: Epheser:
“Wahrheit in der Liebe suchen” (Eph 4,15), Wahrheit ist ‘in Jesus’ Wirklichkeit geworden (4,21). -->
doppeltes ‘in’, doppelte Ortsangabe! Also immer: Wahrheit im Zwischen. – Brunner: In der Erkenntnis
der Tat Jesu als Gottestat erkennt der Mensch wahrhaft sich selbst; daran zu glauben aber “heisst nicht
nur, die Wahrheit erkennen, sondern durch Gottes Selbstmitteilung in ihr sein, in der Wahrheit, die als
Liebe zugleich Gemeinschaft ist." (nr.465 2.A. 25).
19
Diese Definition schliesst andere Formen des Verständnisses aus. Es ist nicht von einer Identität die
Rede, die das zwischenmenschliche Ich-Du überhöhen und überfordern würde – obwohl im Begriff der
Agape beide nahe beieinander liegen19. Es ist aber auch nicht in erster Linie von einer Analogie die
Rede, wie z.B. Emil Brunner es zu beschreiben versucht. Das zwischenmenschliche Ich-Du ist nicht
nur ein Hilfsgedanke oder ein Bild, von dem her die Erkenntnis mit Hilfe von Analogieschlüssen
weiterschreiten könnte auf das Verstehen des Ich-Du von Gott und Mensch.
20
Konstitutiv: immer muss mitgedacht werden, dass sowohl Raum als auch Erkennen, Leib Christi als
auch Wort Gottes, durch Gott konstituiert ist.
21
Theologie, wie ich sie verstehe, ist Selbstreflexion des Glaubens in Bezug auf die ihm eigene Sache.
Oder in den Worten von Ingolf Dalferth: sie ist selbst religiöse Rede, wenn auch in einem besonderen
Modus.
22
Darum gilt auch: die Kirche als die konkrete christliche Gemeinschaft ist also nicht das Subjekt der
Theologie, sondern der (notwendige) Raum. Die Subjektivität kann nicht vom Einzelnen übertragen
werden auf ein Kollektiv oder auf eine Institution. Nicht , sondern  (Gal 3) ist der Ausdruck für
die Einheit der Gemeinde: Christus als Person ist der Ausdruck für das Subjekt, die Kirche der
Ausdruck für den Raum der christlichen Gemeinde. Der Raum soll aber nicht unterschätzt werden. Das
Zusammenkommen der Gemeinde: wo zwei oder drei. Aber dieses Zusammenkommen wird nur dann
erfüllt, wenn der lebendige Herr in der Mitte da ist.
Vielleicht ist das gerade das spezifisch Evangelische: Kirche ist notwendig, aber ersetzt nicht den
Einzelnen.
23
Vgl. die Auseinandersetzung Stegmüllers mit (dem späten) Husserl. Gibt es absolute Evidenz?
Irgendwo muss es sie geben, sagt Stegmüller in Auseinandersetzung mit Husserl (nr.1372 193f).
- 19 -
“Irgendein absolutes Wissen muss es geben; ohne dieses könnten wir überhaupt nicht beginnen” (194).
Also muss der Satz des (späteren) Husserl von der Wahrheit als einer “im Unendlichen liegenden
Idee” (192) recht verstanden werden: zwar mag es viele einzelne Forschungsbereiche geben, in denen
diese Vorstellung durchaus zutreffend ist; aber sie kann nicht für das Ganze menschlicher Erkenntnis
gelten. Von gewissen, als absolut angenommenen Einsichten muss jemand ausgehen, sonst kann er gar
nicht mehr mitreden (195).
24
Diese Konzept wäre eine reine Konsenstheorie von Wahrheit, wenn ich hier aufhören würde. Eine
solche Theorie ist theologisch problematisch; erst der letzte Abschnitt, der Perspektivenwechsel, zeigt,
inwiefern es hier nicht dabei bleibt, indem dort von einer grundsätzlichen Offenheit für Unerwartetes –
theologisch: für den Hl. Geist – die Rede ist.
25
So formuliert Günther Patzig 1966 im Nachwort zum Carnap-Buch (nr.1630 129): “dass die
wenigen mit den neuen Methoden unter den verschärften Bedingungen erarbeiteten und von den
Mitforschern anerkannten Ergebnisse unserer Arbeit eher bestehen bleiben, als die ansprechenden
Schöpfungen der philosophischen ‘Luftbaumeister’.” Die Sorgfalt und darum Langsamkeit dieser
Form der Philosophie mache es aber unmöglich, vorschnell “Weltorientierung und Weltanschauung”
(133) zu liefern und zu sagen, “wie wir leben sollen” – worauf sie darum realistischerweise besser
vorläufig verzichten sollte. Es braucht “die Geduld, lieber auf das Wahre lange zu warten, als mit
einem Surrogat vorlieb zu nehmen” (133). Oder Carnap selbst im “Logischer Aufbau der Welt”,
Vorwort zur 1.Aufl. von 1928: “... Haltung des Philosophen alter Art mehr der eines Dichtenden
gleicht. Diese neue Haltung [der log. Emp.] ändert nicht nur den Denkstil, sondern auch die
Aufgabestellung; der Einzelne unternimmt nicht mehr, ein ganzes Gebäude der Philosphie in kühner
Tat zu errichten. Sondern jeder arbeitet an seiner bestimmten Stelle innerhalb der einen
Gesamtwissenschaft. Den Physikern und Historikern ist solche Einstellung selbstverständlich; in der
Philosophie aber erlebten wir das Schauspiel (das auf Menschen wissenschaftlicher Gesinnung
niederdrückend wirken muss), dass nacheinander und nebeneinander eine Vielzahl philosophischer
Systeme errichtet wurde, die mit einander unvereinbar sind. [... Jedem nur eine Teilaufgabe:] jeder
trägt nur bei, was er vor der Gesamtheit der Mitarbeitenden verantworten und rechtfertigen kann. So
wird sorgsam Stein zu Stein gefügt und ein sicherer Bau errichtet, an dem jede folgende Generation
weiterschaffen kann.” (nr.1631 XIX)
26
Ich werde nicht bis zur Forderung der Allgemeinverbindlichkeit vorstossen, aber vom
intersubjektiven Gelten reden; so wie ich nicht von der ‘Wahrheit für alle’, sondern nur von der
Wahrheit ‘nicht nur für mich’ rede. Aber von intersubjektiv statt von allgemeinverbindlich zu reden
heisst nicht, ein zum vorneherein eingeschränktes Gelten anzunehmen; es will nur nicht das Ganze auf
einmal erfassen, sondern Schritt für Schritt.
27
Beide sind einander 'gekreuzigt', ihr Verhältnis ist kreuzförmig. Alles was 'Welt' ist hat seine rechte
Interpretation vom Kreuz her, im Licht des Kreuzes. Ohne die Mittlerschaft des Kreuzes gibt es keine
Weltverhältnis, das nicht in den Abgrund führen würde.
--> Was meint hier Paulus mit kosmos? Entscheidend ist dies: am Kreuz Christi ist nicht nur ein neues
Gottesverhältnis ermöglicht (bzw. überhaupt erst eines ermöglicht), sondern es ist auch grundlegend
ein neues Weltverhältnis begründet. Oder sogar: überhaupt erst ein Weltverhältnis ermöglicht, in dem
Sinn dass ich nicht mehr Teil dieser Welt bin, verstrickt und abhängig, in Angst vor den Mächten und
- 20 -
Versuchen zur Selbsterlösung; sondern: ich trete in Distanz zu ihr und damit erst in ein Verhältnis.
Nicht mehr Identität mit der Welt, die kein Verhältnis ermöglicht, sondern, aufgrund eines vorerst
radikalen Bruches (Kreuz) eine ganz neue Hinnäherung: 'neue Schöpfung', Gal 6,15.
--> Worin äussert sich dieses neue Weltverhältnis? Vielleicht u.a. in den sog. 'ethischen' Stücken? Ist
Paulus darum so streng in Phil 3,18, dass er diejenigen, die ihren Lebenswandel nicht geändert haben,
Feinde des Kreuzes Christi nennt?
28
in: E. Käsemann, Paulinische Perspektiven, Tübingen 1969, 61-107
29
Käsemann, Heilsbedeutung 66
30
Eine scharfsinnige Antwort auf Käsemann gibt Günter Bader 1988 in seinem Buch Symbolik des
Todes Jesu (Tübingen 1988). Er benennt die Gefahr, dass “Kreuzestheologie nur der Ideologisierung
von Polemik dient” (58) und urteilt in seiner typischen bildhaften Sprache – seinerseits gewiss
polemisch gemeint -, oft sei vielleicht “der naive Abbildungseifer am Werk, Polemik vermöge, wohl
weil sich in ihr etwas kreuzt, Nachahmung des Kreuzes sein.” (58) Nicht die Sprachgestalt sei jedoch
entscheidend für die Nähe einer Rede zum Kreuz Jesu; vielmehr gelte sogar: “sprachimmanentes
Kreuz ist immer Ausdruck von Wortweisheit” (59) – Zum selben Thema vgl. auch Ulrich Luz,
Theologia crucis als Mitte der Theologie im Neuen Testament, in EvTh 34 (1974) 116-141. Auch Luz
spricht vom polemischen Charakter der Kreuzestheologie (ca. S.121 und 140), geht aber stärker darauf
auf, dass diese ‘Polemik’ sich vor allem auch auf denjenigen richtet, der eine solche Theologie vertritt:
bei Paulus wird in dessen Furcht und Schwäche, im Dienen und Lieben sichtbar, dass
Kreuzestheologie ihre Wahrheit nicht einfach in ihrem Inhalt hat, sondern auch darin, wie sie in ihrem
Vertreter Gestalt annimmt (130). Luz weist auf die Unterscheidung hin zwischen Wort vom Kreuz (für
das Paulus allerdings eine absolute Autorität beansprucht) und Kreuzestheologie (als nachträgliche
Beschreibung und äussere Gestalt des Wortes vom Kreuz).
31
Frankfurt a.M. 51996; 1.Auflage 1921
32
Vollständig: "An die Stelle der Methode des Denkens, wie sie alle frühere Philosophie ausgebildet
hat, tritt die Methode des Sprechens. Das Denken ist zeitlos, will es sein; es will mit einem Schlag
tausend Verbindungen schlagen; das Letzte, das Ziel ist ihm das Erste. Das Sprechen ist zeitgebunden,
zeitgenährt; es kann und will diesen seinen Nährboden nicht verlassen; es weiss nicht im voraus, wo es
herauskommen wird; es lässt sich seine Stichworte vom andern geben. Es lebt überhaupt vom Leben
des anderen, mag der nun der Hörer der Erzählung sein oder der Antwortende des Zwiegesprächs oder
der Mitsprecher des Chors; während Denken immer einsam ist, mag es auch gemeinsam zwischen
mehreren 'Symphilosophierenden' geschehen: auch dann macht der andre mir nur die Einwände, die
ich mir eigentlich selbst machen müsste [...]. Im wirklichen Gespräch geschieht eben etwas; ich weiss
nicht vorher, was der andre sagen wird, weil ich nämlich auch noch nicht einmal weiss, was ich selber
sagen werde; ja vielleicht noch nicht einmal, dass ich überhaupt etwas sagen werde; es könnte ja sein,
dass der andre anfängt, ja es wird sogar im echten Gespräch meist so sein; wie man sich bei einem
vergleichenden Blick in die Evangelien und die sokratischen Dialoge leicht überzeugen kann [...]. Der
Denker weiss ja eben seine Gedanken im voraus; dass er sie 'ausspricht', ist nur eine Konzession an die
Mangelhaftigkeit unserer, wie er es nennt, Verständigungsmittel; die nicht darin besteht, dass wir
Sprache, sondern darin, dass wir Zeit brauchen. Zeit brauchen heisst: nichts vorwegnehmen können,
alles abwarten müssen, mit dem Eigenen vom andern abhängig sein. Das alles ist dem denkenden
- 21 -
Denker völlig undenkbar, während es dem Sprachdenker einzig entspricht. [...] der Unterschied
zwischen altem und neuem, logischem und grammatischem Denken liegt liegt nicht in laut und leise,
sondern im Bedürfen des andern und, was dasselbe ist, im Ernstnehmen der Zeit: denken heisst hier für
niemanden denken und zu niemandem sprechen (wobei man für niemanden, wenn einem das lieblicher
klingt, auch alle, die berühmte 'Allgemeinheit', setzen kann), sprechen aber heisst zu jemandem
sprechen und für jemanden denken; und dieser Jemand ist ein ganz bestimmter Jemand und hat nicht
bloss Ohren wie die Allgemeinheit, sondern auch einen Mund. (nr.1533 199f)
33
nr.1533 208
34
Dass es sich um einen mündlichen Vorgang handelt und darin Gegenseitigkeit möglich ist, ist der
wichtigste Unterschied zu dem, was die Hermeneutik als eine – andere – Form des
Perspektivenwechsels beschrieben hat. Dort begegnet meine eigene Welt der Welt eines Textes; dies
lässt mich nicht unberührt und verändert auch den Text in dem Sinn, als seine Auslegung von meiner
Situation her neu wird; aber eine wirkliche Gegenseitigkeit ist dies nicht, da beide Veränderungen – in
meiner ‘Welt’ und in der Auslegung des Textes – sich doch in mir abspielen, also letztlich nur mich
verändern.
35
“Haben als hätte ich nicht” – dies wäre die dem eschatologischen Vorbehalt entsprechende
intellektuelle Haltung, die die Freiheit des Andern und letztlich von Gottes Geist als Subjekt wahrt.
36
In diesem – präzisen – Sinn ist die Einheit das erste, woraus sich erst Wahrheit kundtut. – An dieser
Stelle wären Gedanken zur Liebe als hermeneutischer Kategorie auszuführen.
37
Für mich ist das Eine interessant: dass das kompromisslose Festhalten am Christentum (so, wie ich
es verstehe; als Evangelium so, wie ich das zu formulieren versuche) kein Fundamentalismus ist,
sondern ins Herz der Welt hineinführt; nicht kritiklos, sondern vielmehr eminent kritisch; aber kritisch
im Sinne des Wortes vom Kreuz, unter dem auch der heutige Träger dieses Wortes steht, dessen
Urteilsmacht er unterliegt und worin er deshalb gerade ganz ursprünglich solidarisch ist mit der ganzen
Welt. Dass das kompromisslose Festhalten gerade grenzenloses Loslassen bedeutet. Und dass solches
Loslassen ein Akt des Glaubens ist. Der Grundakt des Glaubens: der nicht mehr auf sich selbst schaut,
weder auf eigenes Heil noch auf eigene Werke noch auf eigene Sünde. Aus sich heraustritt. Nur wo
das zusammenfällt: Konzentration auf den Kern des Glaubens und Dialog, ehrlicher und entschiedener
Dialog; da kann ich mitgehen.
Interessant dazu V.d. Ven mit seiner Differenzierung von (interreligiösem) Pluralismus in vier Formen
(nr.986 32f):
1. extremer Pl (alle religiösen Verhaltensweisen in allen religiösen Traditionen sind gleichwertig); 2.
harter Pl (alle grossen Traditionen sind gleichwertig). Diese beiden ersten Formen führen, so VdVen,
zum Relativismus; er lehnt sie beide ab. 3. weicher Pl (macht keine Aussagen über die relig.
Traditionen an sich, sondern nur über Menschen innerhalb dieser Traditionen, die nicht ‘durch’,
sondern ‘in’ diesen Traditionen Gott begegnen); 4. revisionistischer Pl (die grossen relig. Traditionen
müssen im ggseitigen Licht hermeneutisch neu interpretiert werden; diese Fassung entkommt jedem
Exklusivismus oder Inklusivismus, ohne Relativismus zu sein).
Im Begriff des sog. weichen Pluralismus kommt schon zur Geltung: Wahrheit und Plural haben eine
wesentliche Beziehung zueinander, allerdings ist dasjenige, was unumstritten im Plural steht, nicht die
Wahrheit an sich, sondern die Wahrheitsträger.
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