Über das Requiem-Fragment von Mozart

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Das Requiem­Fragment Lediglich das Langhaus der neuen Kirche steht im Rohbau, als der Architekt stirbt. Querhaus und Chor fehlen. Später wird man behaupten, er habe umfangreiche Skizzen hinterlassen, um so dem Auftraggeber vorzumachen, es handele sich um ein vom Meister selbst vollendetes Werk. Tatsächlich aber weiß niemand, wie er diesen Bau wirklich vollendet hätte. Lediglich am Portal ist ein kleiner Abschnitt fertig ausgestaltet und gibt so einen Hinweis, in welcher Farbigkeit und mit welcher Wirkung der Kirchenbau möglicherweise gedacht war. Hätte der Meister die Farben noch mal verändert? Oder wäre noch etwas hinzugekommen? Die Witwe des Baumeisters ist mittellos und versucht alles, um den Auftrag fertigstellen zu lassen. Der erfahrenste Schüler des Meisters soll nun rasch den Bau vollenden, beginnt auch damit, gibt aber schnell auf. Dasselbe wiederholt sich mit dem nächsten Schüler. Vor allem wagt sich dieser nicht an die Konzeption der noch fehlenden Teile. Auch der dritte wagte sich lediglich an die Fertigstellung des vorhandenen Rohbaus. Erst der vierte und jüngste wird dann tatsächlich die Arbeit vollenden und das Gebäude fertigstellen. Später wird er dazu schreiben: “Die Endigung des Werkes wurde also mehreren Meisterschülern übertragen; einige davon konnten wegen gehäuften Geschäften sich dieser Arbeit nicht unterziehen, andere aber wollten ihr Talent nicht mit dem Talent des Lehrmeisters kompromittieren.” Als dessen Assistent sei er immer wieder mit diesem die bereits existierenden Teile gegangen und der Meister habe ihm seine Gedanken dazu mitgeteilt. Und er wird stets bescheiden seinen Anteil an der Fertigstellung herunterspielen. Teilweise wird er Passagen der anderen Schüler übermalen, was in manchem Detail eher eine Verschlechterung bedeutet, aber bemerkenswert rasch bringt er das Bauwerk zu Ende, mit einigen Ungeschicklichkeiten, aber doch in einer großen Schönheit der ergänzten Teile. Es wird sein Meisterwerk sein. Trotzdem werden künftige Generationen auf ihn herabschauen, ihn kritisieren und vermeintlich besser wissen, wie die Vollendung hätte aussehen müssen. Manche werden auch noch versuchen Anbauten zu machen, werden einzelne Ecken neu ausmalen und unzählige Buchseiten mit Herablassendem füllen. Mozart stirbt mitten über der Arbeit am Requiem Als Wolfgang Amadeus Mozart am 5. Dezember 1791 starb, waren lediglich neun Seiten der Partitur zum Requiem vollständig (Introitus), weitere 75 Seiten waren im Entwurfstadium (bis zum Hostias), also weitgehend ohne Instrumentalstimmen, mit Ausnahme der Bassstimme. Es entsprach Mozarts üblicher Arbeitsweise, zuerst die Chor­ und Solostimmen zu notieren und dann, zu einem späteren Zeitpunkt, die Instrumentierung vorzunehmen. Oft skizzierte er nur so viel, wie für ihn selbst als Gedächtnisstütze notwendig war und ergänzte den “selbstverständlichen” Rest später, manchmal erst nach Jahren. Bei den rein instrumentalen Stellen sind ebenfalls die wichtigsten Stimmen notiert, manchmal nur angedeutet. Das Lacrimosa, der letzte Satz der Sequenz, brach nach den ersten acht Takten ab. Das ist verwunderlich, denn Mozart schrieb danach ja noch die nächsten beiden Sätze. Bis zum Text zum Programmheft Mozart Requiem 2016 Offertorium ließ er lediglich zweieinhalb Seiten frei, was kaum für mehr als 15 Takte reichte. Das spricht sehr dafür, dass er das Ende des Satzes bereits im Kopf hatte und ihm die Fortführung so klar erschien, dass er sie vorerst nicht notierte. Zu Beginn der Arbeit an der Vertonung der Totenmesse hatte Mozart noch ein anderes Ende der Sequenz im Sinn gehabt: Es existieren Skizzen zu einer Amen­Fuge in d­moll. Offenbar hat Mozart diesen Plan aber später verworfen, denn der Umfang des Satzes wäre dann um vieles länger gewesen, als er es zuletzt in seiner Partitur vorgesehen hatte. Mozarts Requiem Fragment zwischen Retrospektive und neuen Wegen Den Vertonungen der Totenmesse ist schon seit Beginn der Gattungsgeschichte um 1500 eine eher konservative, oft sogar retrospektive Stilhaltung eigen. Das gilt auch sehr stark für Mozarts Requiem­Fragment: Es greift auf Choralmelodien zurück, zitiert Händel, lehnt sich am Requiem Michael Haydns an und ist in seiner Satztechnik unverkennbar von Bachs Kontrapunktik beeinflusst. Aber auch die Verwendung der drei Posaunen zur Verstärkung der unteren drei Chorstimmen ist der Tradition verpflichtet, die Mozart bereits in Salzburg in seinen Messen übernommen hatte. Gleichzeitig geht Mozart ganz neue Wege: Die Tonart d­moll war ungewöhnlich für ein Requiem, die meist in c­moll oder Es­Dur, gelegentlich auch in C­Dur standen. Für Mozart war diese Tonart aber schon im “Don Giovanni” mit der Sphäre des Todes verbunden. Völlig neu aber ist die Instrumentierung mit der Verwendung der Bassetthörner anstatt der üblichen Oboen. Die Bassetthörner, tiefe Klarinetten in der Alt­ und Tenorlage, waren in der Wiener Zeit zu einem Lieblingsinstrument Mozarts geworden, die er u.a. in der Zaubeflöte prominent präsentierte. Ob Mozart später in der Partitur vielleicht noch Oboen oder gar Flöten verwendet hätte? Dazu gibt es keine Hinweise, genauso wenig ist es auszuschließen. Interessant ist übrigens, dass das Motiv vom Anfang des Introitus, das “Requiem”, bereits in einem sehr frühen Werk verwendet wurde, dem Kyrie in d­moll KV90, also einem Werk aus der Salzburger Zeit. Wie hätte Mozart das Werk vollendet? In welchen Farben, in welcher Stimmung? So zweifelnd fragend wie die vorhandenen Teile? Hoffnungsvoll, im Vertrauen auf Erlösung? Und hatte er das fertige Werk bereits fertig im Kopf als er starb? Wir wissen es nicht. Nüchterne Betrachtung eines grell übermalten Bildes So wie das ganze “Mozart­Bild” bis zur Unkenntlichkeit durch Mythen übermalt ist, so ist dies ganz besonders mit seinem letzten Werk, dem Requiem, geschehen. Ein schwarzer Bote habe den Auftrag überbracht, Mozart sei seitdem in Todesfurcht gewesen und habe geglaubt, das Requiem für sich selbst zu schreiben, sei immer kränker geworden und habe unter größtem Zeitdruck versucht, das Werk noch rechtzeitig fertigzustellen, bevor ihm dann der Tod mitten im Lacrimosa die Feder aus der Hand riss. Die Wahrheit ist nüchterner. Vermutlich im Juli 1791 erreichte Mozart über einen Rechtsanwalt aus Wien per Brief den Kompositionsauftrag. Mozart erfuhr wohl nie, wer 1 Text zum Programmheft Mozart Requiem 2016 hinter diesem Auftrag stand, Constanze vermutlich erst um 1800. Es war Franz Graf von Walsegg­Stuppach, ein Musikliebhaber mit extravagantem Freizeitvergnügen: Er pflegte immer wieder bei Komponisten anonym Werke in Auftrag zu geben, meist Quartette, um sie dann in eigener Abschrift bei Privatkonzerten aufzuführen und die Gäste dann den Komponisten erraten zu lassen. Diese tippten dann stets höflich auf ihn, was ihm die größte Freude bereitete. Am 14. Februar 1791 war Anna Edle von Flammberg, die Gattin des Grafen, mit 20 Jahren verstorben. Ihrem so frühen Tod, verdanken wir das Mozart­Requiem, denn zum Jahrestag wollte der Graf ein Requiem aufführen und ließ dieses in Auftrag an Mozart vergeben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Gläubiger Mozarts dabei seine Hände im Spiel hatte, der im Haus des Grafen wohnte. Mozart nahm den sehr gut bezahlten Auftrag an, bekam die Hälfte des Geldes sofort als Vorschuss, schob die Arbeit aber immer wieder auf, da er u.a. “Die Zauberflöte” und “La clemenza die Tito” fertigstellen musste. Erst in der zweiten Oktoberwoche scheint er mit der Komposition am Requiem begonnen zu haben. Dass er dabei Todesahnungen gehabt haben soll ist reine Spekulation, auch wenn Quellen angeben, er habe seit September fortlaufend gekränkelt und an Depression gelitten. Am 17. November leitete er noch die Uraufführung der Freimaurerkantate und wurde dann wohl eher plötzlich sehr krank. Die Krankheit fesselte ihn um den 20. November ans Bett und machte ihn weitgehend bewegungsunfähig. Vermutlich hat er von da an bis zu seinem Tod nichts mehr geschrieben. Fünf Tage nachdem Mozart gestorben war, wurden Introitus und Kyrie im Rahmen von Exequien aufgeführt, die Schikaneder für Mozart halten ließ. Von Mozart selbst sind keine Äußerungen zu dem Werk und seiner Entstehungsgeschichte überliefert. Was später als angebliche Äußerungen Mozarts niedergeschrieben wurde, geht auf Aussagen seiner Frau Constanze zurück. Constanze Mozart ist die zweite, die neben Süßmayr von der Nachwelt oft mit großer Herablassung behandelt wurde. Das begann schon damit, dass man es im Streben nach einem romantisierten Genie­Mythos offenbar nicht hinnehmen wollte, dass Mozarts Ehe wohl eine glückliche war. Zwar hatte er, wie übrigens auch Haydn, eigentlich die ältere Schwester seiner späteren Frau heiraten wollen, nur sprechen alle erhaltenen Dokumente dafür, dass diese Geschichte, anders als beim älteren Kollegen, für Mozart ein gutes Ende nahm. Stets hat man auch den Gattinnen der Genies vorgeworfen, dass sie dieses nicht erkannt oder ausreichend gewürdigt hätten, so auch Constanze Mozart, obwohl es keinen Hinweis gibt, dass sie an das herausragende Talent ihres Mannes nicht geglaubt hat, im Gegensatz zu zahlreichen Musikern und Würdenträgern der damaligen Zeit. Als ihr Mann gestorben war, stand sie mittellos mit ihren beiden Kindern und nicht unerheblichen Schulden da. Es ist beeindruckend, mit welcher Geschicklichkeit und Energie sie diese Situation meisterte. Ihr war klar, dass das Requiem fertiggestellt werden musste, um den Vorschuss nicht auch noch zurückzahlen zu müssen. So sorgte sie dafür, dass zum einen das Gerücht gestreut wurde, Mozart habe das Werk noch vollenden können und zum anderen ein Schüler Mozarts das Werk in aller Eile fertig schrieb, was dann aber erst beim vierten Anlauf, nämlich durch Franz Xaver Süßmayr, wirklich geschah. Trotz seines erstaunlichen Tempos wurde das Werk nicht mehr rechtzeitig zum Jahrestag des Todes der 2 Text zum Programmheft Mozart Requiem 2016 jungen Gräfin fertig und wir wissen nicht, ob der Graf das Werk jemals aufgeführt hat. Bezahlt hat er es. Gegen den vertraglich vereinbarten Exklusivitätsanspruch ließ Constanze Kopien der vollendeten Partitur anfertigen und machte diese sehr erfolgreich zu Geld: für 100 Dukaten, das doppelte des mit Graf Walsegg vereinbarten Honorars, verkaufte sie ein Exemplar an Friedrich Wilhelm II. von Preußen, 1796 eine weitere an den Kurfürsten von Sachsen. 1800 bot sie das Werk für 50 Dukaten erfolgreich gleich zwei Verlagen an. Und nochmal verletzte Constanze den Vertrag mit dem Grafen, als sie am 2. Januar 1793 das vollständige Requiem in Wien uraufführen ließ und dafür weitere 300 Dukaten bekam. Das Werk des Meisters wurde fertiggestellt. Wer weiß, ob wir Mozarts letzte Musik noch hätten, wenn Constanze nicht für die Fertigstellung der Partitur gesorgt hätte? Wer bewahrt einen halb fertigen Rohbau auf? Und ist es nicht bewegend, wie Süßmayr im Geiste seines Lehrers vielleicht diese wundervollen Ergänzungen schaffen konnte? Selbst in den Fakten erzählt, hat eines der bedeutendsten Werke unserer Kultur eine sehr aufregende Entstehungsgeschichte. Aber diese ist nicht mehr als die Verpackung um eine mit Worten nicht fassbare Kostbarkeit. Quellen: Hartmut Schick in “Mozart Handbuch” ­ Silke Leopold (Hg.), Bärenreiter­Metzler 2005 Franz Beyer im Vorwort zur Edition des Mozart Requiem bei Kunzelmann 2005 3 
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