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Kompositionstechniken
im Klavierwerk Franz Liszts
Eine Gegenüberstellung kompositorischer Verfahren im
Früh- und Spätwerk unter besonderer Berücksichtigung
des Klavierstücks Funérailles
Dieter Kleinrath
Betreuer: Dr. phil. Christian Utz
September 2007
INHALTSVERZEICHNIS
DANKSAGUNG
2
EINLEITUNG
3
I. KOMPOSITIONSTECHNISCHE BESONDERHEITEN
IM SPÄTEN KLAVIERWERK LISZTS
9
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
10
1.2 Skalen in Liszts Kompositionen
19
1.2.1 Die Zigeunerskala
20
1.2.2 Die Ganztonskala
25
1.2.3 Die Halbton-Ganzton-Skala
31
1.2.4 Die mixolydische Skala mit erhöhter Quart (akustische Skala)
34
1.3 Reale Sequenzen und weitere Skalen
35
1.4 Harmonische Verläufe
39
1.5 Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien
42
II. LISZTS KLAVIERSTÜCK 'FUNÉRAILLES'
46
2.1 Formaler Überblick über 'Funérailles'
48
2.2 Teil A – Die Einleitung
52
2.3 Teil B – Das Hauptthema
56
2.4 Teil C und D – Das Seitenthema
62
2.5 Fanfare und Reprise
66
SCHLUSSWORT
68
QUELLENVERZEICHNIS
69
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
73
a) Verzeichnis der Notenbeispiele
73
b) Verzeichnis der Abbildungen
74
ANHANG
75
a) Werkverzeichnis der späten Solo-Klavierwerke Liszts (ab 1870)
75
b) Weiterführende Literatur
77
1
DANKSAGUNG
Ich möchte mich einleitend bei meinem Betreuer Christian Utz und meiner
Lebensgefährtin Barbara für die unbezahlbare Unterstützung bedanken, ohne deren
konsequentes Hinterfragen meiner Ausführungen diese Arbeit nicht zustande
gekommen wäre.
2
Einleitung
EINLEITUNG
In der folgenden Arbeit habe ich mir zum Ziel gesetzt einige kompositionstechnische
Entwicklungen in Franz Liszts Klavierwerken zu untersuchen. Der Schwerpunkt meiner
Untersuchungen liegt in einem Vergleich der Techniken früherer Kompositionen mit
denen späterer Werke (ab ca.1880). Insbesondere konzentriere ich mich dabei auf das
Stück Funérailles (1849) aus dem Zyklus Harmonies poétiques et religieuses (1848-53)
und präsentiere im Verlauf dieser Arbeit auch eine detaillierte Analyse dieses
außergewöhnlichen Klavierwerks. Ich erwarte mir dadurch ein besseres Verständnis für
die Vorgänge zu erhalten, die dazu führten, dass Liszt sich in seinen letzten
Lebensjahren zunehmends von der Tonalität abwandte und versuchte neue Wege zu
beschreiten.
Die Jahre um 1860 markieren einen wichtigen Wendepunkt in Liszts Leben. Am 15.
Dezember 1859 legt er sein Kapellmeisteramt in Weimar nieder, nachdem es zu einer
Demonstration bei der Uraufführung des Barbier von Bagdad von Peter Cornelius kam,
die Liszt leitete. Damit endete die für Liszt anfangs so erfolgreiche Weimarer Zeit, in
der einige seiner bedeutendsten Werke entstanden, mit einer Enttäuschung. 1860 wurde
Liszt von einem schweren Schicksalsschlag getroffen, als sein Sohn Daniel verstarb.
Am 17. August 1861 verlässt Liszt Weimar, wie er damals dachte für immer und folgt
der Fürstin Sayn-Wittgenstein, mit der er Heiratspläne geschmiedet hatte, nach Rom. Es
wurden Hochzeitsvorbereitungen getroffen, doch im letzten Moment entzog der Papst
der Fürstin die Einwilligung, sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen, wodurch eine
Heirat mit Liszt unmöglich wurde. 1862 folgte mit dem Tod seiner Tochter Blandine ein
weiterer Schicksalsschlag. In den Folgejahren wurde auch seine Beziehung zu Richard
Wagner immer angespannter.1
1
Zusammengefasst aus: Humphrey Searle, Liszt's Final Period (1860-1886), in: Proceedings of the
Royal Musical Association 78, 1951-1952, S. 67-81, hier S. 67f – Peter Raabe, Liszts Leben,
Meisenheim/Glan 1968, S. 297ff
3
Einleitung
Diese Ereignisse prägten Liszt bis an sein Lebensende. Er zog sich für einige Zeit fast
vollständig aus dem öffentlichen Leben zurück und begann einen Werdegang als
Geistlicher in der katholischen Kirche. Am 25. April 1865 empfing er vom Fürsten
Hohenlohe die Tonsur. Die Werke, die Liszt kurz danach schrieb, lehnen sich zwar
harmonisch noch an die Werke seiner Weimarer Zeit an, sind jedoch von einer neuen
Einfachheit und Zurückhaltung geprägt. In den Werken seiner letzten Lebensjahre gibt
es schließlich einige deutliche Neuerungen in Liszts Stil. Sein Spätwerk ist meist
schlicht und ernst gehalten, es gibt lange Passagen mit Unisonoverläufen und eine
deutliche Zunahme an übermäßigen Dreiklängen. Kadenzen scheint Liszt in dieser Zeit
bewusst zu vermeiden. Man findet diese Neuerungen zum Beispiel in seiner letzten
symphonischen Dichtung Von der Wiege bis zum Grabe (1881-1882) sowie in den
Klavierwerken, die in der Zeit nach 1880 entstanden sind.2 Diese Klavierwerke bilden
auch den Fokus der vorliegenden Arbeit.
Liszts Spätwerk fand nach seinem Tod am 31. Juli 1886 zunächst kaum Beachtung und
war bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend in Vergessenheit geraten. Liszts
Tochter Cosima schreibt im Zusammenhang mit diesen Werken in ihrem Tagebuch,
nach einer abendlichen Konversation mit ihrem Mann Richard Wagner, dass von
"Mißklängen" und "keimende[m] Wahnsinn"3 die Rede war. Manche Schüler Liszts
haben
das
Spätwerk
als
Senilitätserscheinung
abgetan.4
Der
Dirigent
und
Musikschriftsteller Peter Raabe führt "diese schwachen Alterswerke"5 auf das
Nachlassen der "schöpferischen Kräfte"6 Liszts zurück.
Erst die ungarische Musikwissenschaft hat sich dieser Werke wieder angenommen und
versuchte, zum Teil sicher aus nationalem Interesse, Liszt als einen zukunftsweisenden
Komponisten darzustellen, der mit übermäßigen Dreiklängen, dem tonikalosen Einsatz
der Ganztonskala und überraschenden atonalen Wendungen den Weg für Bartók und
das 20. Jahrhundert geebnet hat. Andere musikwissenschaftliche Forschungen sehen
2
3
4
5
6
Zusammengefasst aus: Searle, Liszt's Final Period (Anm. 1), S. 67ff. - Raabe, Liszts Leben (Anm. 1),
S. 297-302.
Cosima Wagner, Die Tagebücher (Bd. 2), Kösel/Kempten 1977, S. 1059. (29. November 1882)
Vgl. Gerhard J. Winkler, Liszt contra Wagner. Wagnerkritik in den späten Klavierstücken Franz Liszts,
in: Liszt-Studien 3, München/Salzburg 1986, S. 189-210, hier S. 199.
Raabe, Liszts Leben (Anm. 1), S. 222.
Ebd., S. 223f.
4
Einleitung
Liszt dagegen in einer Evolutionslinie mit Schönberg und der Zweiten Wiener Schule7
oder bringen Liszts Harfenakkorde aus Nuages gris mit dem mystischen Akkord
Skrjabins in Verbindung.8
Häufig wurden bei den Versuchen, Liszts Spätwerk mit der neuen Musik in Verbindung
zu bringen, einzelne unkonventionelle Teilaspekte der Musik Liszts aus dem
Zusammenhang gerissen und andere, traditionellere Elemente in Liszts Schaffen
ignoriert. Dieter Torkewitz wies 1986 auf die Probleme hin, die eine losgelöste Analyse
einzelner Teilaspekte aus Liszts Spätwerk mit sich bringen kann: "Das Herauslösen von
als neu empfundenen Details und das Hintanstellen, Übergehen oder Kritisieren von
vermeintlich Schwachem [...] machte [...] Liszt im Grunde 'vogelfrei' für die
unterschiedlichsten Strömungen im 20. Jahrhundert."9
Als einen der Auslöser für diese Problematik nennt Dieter Torkewitz die von
Béla Bartók und Arnold Schönberg verfassten Gedenkartikel anlässlich des
100. Geburtstages von Franz Liszt. Ein Hauptkritikpunkt in Schönbergs Artikel waren
"Liszts musikalische Formen, die 'so kahl, kalt und unwohnlich eingerichtet' seien, weil
sie der Verstand aufgezwungen hätte."10 Und Schönberg schreibt weiter:
"Liszts Form aber ist Erweiterung, Kombinierung, Verschweißung, eine
mathematisch-mechanische Weiterentwicklung der alten Formbestandteile. Die
Mathematik und die Mechanik können keine Lebewesen erzeugen. Von einem
richtigen Gefühl angeregt, hat ein richtig funktionierender Verstand diese Form
angefertigt. Ein richtig funktionierender Verstand jedoch tut fast immer das
Gegenteil von dem, was einem richtigen Gefühl angemessen ist. Ein richtiges
Gefühl darf sich nicht abhalten lassen, immer wieder von Neuem ins dunkle
Reich des Unbewußten hinabzusteigen, um Inhalt und Form als Einheit
heraufzubringen."11
7
8
9
10
11
Vgl. Norbert Nagler, Die verspätete Zukunftsmusik, in: Musik Konzepte 12, München 1980, S. 4-41,
hier S. 4f.
Vgl. Zsolt Gárdonyi, Paralipomena zum Thema Liszt und Skrjabin, in: Virtuosität und Avandgarde,
Untersuchungen zum Klavierwerk Franz Liszts, Mainz 1988, S. 9-31, hier S. 9.
Dieter Torkewitz, Die neue Musik und das Neue bei Franz Liszt, eine wechselvolle Beziehung,
in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae (Tl. 28,1), 1986, S. 117-124, hier S. 118.
Ebd., S. 117.
Arnold Schönberg, Franz Liszts Werk und Wesen, in: Stil und Gedanke (= Gesammelte Schriften
Bd. 1), in: Aufsätze zur Musik, Frankfurt/Main 1976, S. 169-173, hier S. 171.
5
Einleitung
Dieter Torkewitz versuchte bereits 1978 eine alternative Interpretation für Liszts Musik
anzubieten, die das vermeintlich Unvereinbare – das Neue und die Tradition – aus
einem übergeordneten Blickwinkel betrachtet. Er sieht in der für Liszts Schaffen
typischen Wechselbeziehung zwischen Neuem und Altem einen "Kompromiß als
übergeordnete Kategorie."12 Dieses Kompromissdenken lässt sich laut Dieter Torkewitz
schon in Liszts Frühwerk nachweisen.
Liszts erste Veröffentlichungen (1834-1835) nach einer längeren Studienzeit zwischen
1829-1832 stießen bei Publikum und Kritik auf Unverständnis. Zu revolutionär waren
die angewandten Kompositionstechniken. Beispielsweise überrascht der erste Teil der
Erstfassung des Klavierstücks Harmonies poétiques et religieuses (1835) durch eine
ungewöhnliche Metrik in der sich 8/4-, 10/4- und 9/4-Takte abwechseln. Liszt
distanziert sich nach dieser schlechten Rezeption unvermutet von diesen Werken und
schrieb in einem offenen Brief im Januar 1837:
"Um diese Zeit [um 1834] schrieb ich mehrere Stücke, die nothwendigerweise
den Charakter des Fiebers, das mich verzehrte, an sich trugen. Das Publikum
fand sie bizarr, unverständlich. [...] Ich war soweit entfernt gegen diese [...]
Verurtheilung zu appelliren, daß es meine erste Sorge gewesen – sie ins Feuer zu
werfen."13
In der 1853 publizierten endgültige Fassung der nun zum Klavierzyklus erweiterten
Harmonies poétiques et religieuses wird das gleichnamige Einzelstück aus dem Jahre
1835 in einer überarbeiteten Variante unter dem Titel Pensée des morts aufgenommen.
In dieser Neufassung hat Liszt die Musik an den Geschmack des Publikums
weitestgehend angepasst. So wurden die wechselnden Taktarten im ersten Teil durch
einen
durchgehenden
5/4-Takt
ersetzt.
Dieter
Torkewitz
kommt
zu
der
Schlussfolgerung, dass das "Kompromißdenken bei Liszt, das zum erstenmal deutlich
aus dem Verhältnis der Werke vor und nach 1834 ersichtlich wurde, [sich] somit
insgesamt als übergeordnete Kategorie [erweist]. Sie trifft selbst dort noch zu, wo man
sie – wie im Spätwerk – am wenigsten vermutet."14
12
13
14
Dieter Torkewitz, Harmonisches Denken im Frühwerk Liszts, München/Salzburg 1978, S. 98.
Franz Liszt, Reisebriefe eines Baccalaureus der Tonkunst (1835-1840), in: Gesammelte Schriften
(Bd. 2), Hildesheim/New York 1978, S. 124- 133, S. 129f.
Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 102.
6
Einleitung
Traditionelle Modelle der Geschichtswissenschaften verfolgten das Anliegen, möglichst
eindeutige evolutionistische Entwicklungsmodelle zu postulieren, um so jedes Stück
Geschichte an dem ihm gebotenen Platz einordnen zu können. Die Musikwissenschaft
machte hier keine Ausnahme und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass viele
Musikhistoriker das Spätwerk Liszts bereitwillig als Lückenbüßer beziehungsweise
"missing link"15 zwischen Tonalität, Modalität, Atonalität und Reihentechnik
aufnahmen (gab es da überhaupt eine Lücke zu schließen?16).
Besonders konstruiert erscheinen in diesem Zusammenhang die Untersuchungen Allen
Fortes, der mittels des Pitch-Class-Systems versuchte, die Klangstrukturen in Liszts
Spätwerk mit den Klängen Weberns und Bergs in Beziehung zu bringen. Forte
unterscheidet dabei strikt zwischen Liszts "experimental idiom" und der "traditional
music of triadic tonality."17 Er erläutert: "Under the term 'experimental' I mean to
include not only the radical late works, but also segments of earlier works, extending
back into the pre-Weimar period, before 1848."18
Forte kommt durch seine Analysen unter anderem zur Erkenntnis, dass die fraglichen
Werke einer strengen Struktur folgen und in ihnen übermäßige (trichord 3-12)
und verminderte Dreiklänge (trichord 3-10) ein auffällig häufiges musikalisches
Element darstellen.19 Diese Tatsache wurde wohl nicht einmal von den schlimmsten
Liszt-Kritikern jemals angezweifelt. Es stellt sich natürlich die Frage ob ein abstraktes
Analysemodell wie das Pitch-Class-System tatsächlich geeignet ist, eine Musik zu
beschreiben, die, obwohl sie atonale Züge trägt, doch weitestgehend von tonalen
Elementen durchsetzt ist.
15
16
17
18
19
Winkler, Liszt contra Wagner (Anm. 4), S. 200.
Eine berechtigte Frage meines Betreuers Christian Utz.
Allen Forte, Liszt's Experimental Idiom and Music of the Early Twentieth Century, in: 19th-Century
Music (Bd. 10,3), 1987, S. 209-228, hier: S. 210.
Ebd., S. 210.
Ebd., S. 209-228.
7
Einleitung
Ich zitiere an dieser Stelle nochmals Dieter Torkewitz:
"Die Qualität des Neuen beim alten Liszt besteht [...] in einer veränderten
Haltung zur Idee des musikalischen Kunstwerks, wo Heterogenität an die Seite
von Logizität tritt, und wo Zusammenhang durchgängig dennoch nicht fehlen
muß, nur daß er sich anders als im Motivischen oder Thematischen herstellt:
intervallisch und strukturell nämlich, also subkutan und somit die Heterogenität
ermöglichend und einbindend zugleich. Eine Kunst auch, die sich transparent
und – indem sie das Neue geduldig repetiert – beinahe didaktisch gibt."20
In der folgenden Studie steht nicht die Frage im Vordergrund, ob es möglich ist, eine
direkte Linie zwischen Liszts Spätwerk und Werken anderer Komponisten zu ziehen.
Für mich ist diese Frage nebensächlich. Meiner Meinung nach hat die Liszt-Forschung
einen wichtigen Schritt getan, indem sie das Interesse an Liszts Spätwerk neu erweckte
und klar darlegte, dass Liszt in einer Zeit in der die Tonalität allmählich zerfiel, zu
ähnlichen Konsequenzen gelangte wie viele seiner Zeitgenossen und Komponisten nach
ihm. Mich interessiert an den Kompositionstechniken in Liszts Spätwerk, in welcher
Beziehung sie zu einander und zu den Techniken früherer Werke stehen, um dadurch
vielleicht einen besseren Einblick in die komplexen Vorgänge zu erhalten, die zu den
kompositorischen Konsequenzen der späten Werke führten.
20
Torkewitz, Die neue Musik (Anm. 9), S. 124.
8
Kapitel 1 - Kompositionstechniken
KAPITEL I
KOMPOSITIONSTECHNISCHE BESONDERHEITEN IM SPÄTEN
KLAVIERWERK LISZTS
Bevor ich damit beginne die Kompositionstechniken früherer Werke Liszts mit denen
der späteren zu vergleichen möchte ich mich zunächst den Techniken im Spätwerk
selbst widmen, sie analysieren und einige Beispiele dazu geben. Ich konzentriere mich
bei den Analysen vorwiegend auf übermäßige und verminderte Dreiklänge,
verschiedene Skalen wie die Ganztonskala und die Halbton-Ganzton-Skala, Atonalität
und Verschleiern der Tonalität, Bitonalität, reale Sequenzen sowie chromatische
Rückungen beziehungsweise Harmonieverläufe in Sekundschritten. Außerdem gehe ich
auf einige strukturelle Zusammenhänge zwischen diesen Kompositionstechniken ein.
Die späten Klavierwerke, die ich für eine Analyse dieser Techniken herangezogen habe,
sind Nuages gris (1881), La lugubre gondola (1882), R.W. - Venezia (1883), Am Grabe
Richard Wagners (1883), Unstern! sinistre, disastro (nach 1881) und Bagatelle sans
tonalité / Bagatelle ohne Tonart (1885).
Der folgenden Tabelle kann man entnehmen in welchen Stücken einige der genannten
Kompositionstechniken eine relevante Stellung einnehmen.
Kompositionstechnik
Stücke
verminderter Septakkord
La lugubre gondola II, Bagatelle ohne Tonart
übermäßiger Dreiklang
Unstern!, Nuages gris, La lugubre gondola I und II,
R. W. - Venezia
Ganztonskala
Unstern!, La lugubre gondola I, Bagatelle ohne
Tonart, Grand galop chromatique
Halbton-Ganzton-Skala
Bagatelle ohne Tonart
Harmonieverläufe in Sekundschritten
La lugubre gondola I und II, R. W. - Venezia,
Nuages gris, Unstern!
Bitonalität
La lugubre gondola I und II, Unstern!
9
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Diesen beiden Akkorden ist gemeinsam, dass sie aus äquidistanten Intervallen bestehen
und keinen eindeutigen Grundton besitzen. Setzt man mehrere dieser Klänge
hintereinander, ohne sie in der gewohnten Weise aufzulösen, wird jegliche Tonalität
aufgehoben oder zumindest entkräftet. Diesen Effekt nutzt Liszt in seinen Spätwerken
sehr häufig. Auch teilen beide Akkorde die Oktave in gleich große Intervalle, was später
bei der Behandlung der realen Sequenzen und der harmonischen Entwicklung mancher
Stücke von Bedeutung sein wird.
Der verminderte Septakkord ist seit dem Barock eines der wichtigsten Werkzeuge zur
Modulation. Es gibt nur drei mögliche verminderte Septakkorde mit unterschiedlichem
Tonvorrat. Als Stellvertreter für eine Dominante eingesetzt, kann man diesen Akkord,
wegen seiner symmetrischen Struktur, in vier verschiedene Toniken auflösen. Meist
wurde der verminderte Septakkord in Dominantfunktion verwendet, um in eine
neue Tonart zu modulieren, seltener war sein Gebrauch als Subdominantklang.21
Auf die subdominantische Funktion des verminderten Septakkords, wenn der
Subdominant-Grundton
im
Bass
liegt,
wies
auch
Wilhelm
Maler
hin22
(Notenbeispiel 123). Auf die Mehrdeutigkeit beziehungsweise "Doppelfunktion"24 von
Akkorden, die mit anderen Akkorden gemeinsame Töne teilen, wird im Verlauf dieser
Arbeit noch öfters eingegangen werden. Es handelt sich dabei um eines der
kompositorischen Elemente, die man sowohl in Liszts früheren Werken, als auch im
Spätwerk findet.
Notenbeispiel 1: Verminderter Septakkord als Stellvertreter der Subdominante
21
22
23
24
Vgl. Diether de la Motte, Harmonielehre, München 1995, S. 92-99.
Vgl. Wilhelm Maler, Beitrag zur durmolltonalen Harmonielehre. Lehrbuch 1, München 1992, S. 30.
de la Motte, Harmonielehre, (Anm. 21), S. 96.
Ebd., S. 97.
10
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Der übermäßige Dreiklang ist auch bereits seit dem Barock bekannt, auch wenn er dort
meist als Vorhalt oder in Durchgängen vorkam. Als eigenständiger Akkord wird er erst
in der Übergangszeit zwischen Klassik und Romantik gebräuchlich und dient dort meist
als Dominantklang. Es gibt vier mögliche übermäßige Dreiklänge, die einen
unterschiedlichen Tonvorrat besitzen und, wie beim verminderten Septakkord,
ermöglicht seine symmetrische Struktur, ihn in mehrere Toniken aufzulösen. In diesem
Fall gibt es drei mögliche Auflösungsakkorde.
Liszt macht von beiden Akkorden bereits in seinen frühen Werken auffallend häufig
Gebrauch, wie wir noch am Beispiel von Funérailles sehen werden. In seinen späten
Klavierwerken verwendet Liszt diese Akkorde (im Speziellen den übermäßigen
Dreiklang) jedoch nicht mehr primär als Werkzeug zur Modulation, sondern sie werden
zu einem formbildenden Element das zugleich die instabile Tonalität des Stückes
mitbestimmt.
In La lugubre gondola II steht gleich zu Beginn des Stückes eine teilweise Zerlegung
eines verminderten Septakkordes (Notenbeispiel 2).
Notenbeispiel 2: La lugubre gondola II, Takte 1-9
Das Prinzip der folgenden Sequenzen (Takte 10-26) dieser ersten Phrase ist von der
Struktur des verminderten Septakkordes abgeleitet. Jede Sequenz erklingt um einen
Halbton tiefer, bis die drei möglichen verminderten Septakkorde ausgeschöpft sind. Die
erste Sequenz des Vordersatzes beginnt auf F (Notenbeispiel 3).
Notenbeispiel 3: La lugubre gondola II, Takte 10-13
11
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Danach nutzt Liszt jedoch die Vieldeutigkeit des verminderten Septakkords und beginnt
den Nachsatz nicht wie erwartet mit der Terz sondern mit der verminderten Quint des
Akkordes (Notenbeispiel 4).
Notenbeispiel 4: La lugubre gondola II, Takte 14-18
Zuletzt wird das Thema noch in der letztmöglichen Variante sequenziert. Der
Vordersatz beginnt nun auf E, während der Nachsatz mit der Sept des verminderten
Septakkordes Des einsetzt. Damit hat Liszt einerseits den Vordersatz mit den drei
möglichen verminderten Septakkorden harmonisiert und andererseits den Nachsatz auf
allen Intervallen des verminderten Septakkordes, mit Ausnahme der Prim, einsetzen
lassen. Der verminderte Septakkord wurde hier sowohl für das Verschleiern der
Tonalität verwendet als auch als formbildendes Element für diesen Abschnitt genutzt.
Die Ableitung der musikalischen Form aus einer abstrakten Struktur, wie der
Intervallfolge eines Akkordes, ist dabei besonders bemerkenswert. Liszt verfolgt hier
einen
neuen
Ansatz
formalen
Denkens,
der
auch
in
der
Musik
des
20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle einnimmt – das der Musik zugrunde liegende
harmonische Material wird selbst zu einem Bedeutungsträger des formalen Prozesses.
Erste Anzeichen für diese formale Denkweise finden sich schon in Liszts frühesten
Werken. In seinem 1827 komponierten Scherzo kommt zum Beispiel dem verminderten
Septakkord strukturbildende Bedeutung zu.25 In Apparations Nr. 1 ist die Form dagegen
eng mit der Gestalt des übermäßigen Dreiklangs verwoben.26 Siegfried Mauser schreibt
über die "Simplizität der Formbildung" in Liszts Spätwerk:
"Sie vermeidet generell Mehrteiligkeit im Sinn etablierter Modelle und gibt sich
ganz der ungebundenen Klangformulierung des gewählten Materials hin."27
25
26
27
Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 15.
Ebd., S. 76.
Siegfried Mauser, Demontage und Verklärung: Zur Form und Dramaturgie in den späten
Klavierstücken Franz Liszts, in: Virtuosität und Avandgarde, Untersuchungen zum Klavierwerk
Franz Liszts, Mainz 1988, S.60-70, hier S. 61.
12
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Im Zusammenhang mit dem verminderten Septakkord möchte ich hier auch noch auf
das Tritonusintervall eingehen, das durch seine Eigenschaft die Oktave in zwei gleiche
Teile zu teilen ebenfalls oft für das Verschleiern der Tonart verwendet wird. Liszt macht
von diesem Intervall gerade in seinem Spätwerk sehr gerne Gebrauch. Exemplarisch
seien hier der Beginn von Unstern! (Notenbeispiel 5) und Bagatelle ohne Tonart
(Notenbeispiel 6) genannt.
Notenbeispiel 5: Unstern!, Takte 1-4
Notenbeispiel 6: Bagatelle ohne Tonart, Takte 1-8
Erwähnenswert ist auch noch, dass der Tritonus leitereigen in der Zigeunerskala, der
Ganztonskala und der Halbton-Ganzton-Skala vorkommt. Auf diese Zusammenhänge
wird noch im Kapitel über Skalen genauer eingegangen werden (vgl. Kapitel 1.2).
Der übermäßige Dreiklang wird von Liszt in seinen letzten Jahren noch häufiger
verwendet als der verminderte Septakkord. Ernest Newman meinte, dass Liszts enge
Freundschaft mit dem Komponisten und Musiktheoretiker Carl Friedrich Weitzmann
dazu beigetragen habe, dass sich Liszt zunehmends den übermäßigen Akkorden
widmete.28 Liszts ausgeprägtes Interesse für musiktheoretische Abhandlungen ist
bekannt. Es wäre also durchaus denkbar, dass er sich mit dem 1853 erschienenen
musiktheoretischen Lehrwerk Der übermäßige Dreiklang seines Freundes Carl
28
Vgl. Bernard C. Lemoine, Tonal organisation in selected late piano works of Franz Liszt, in: Liszt
Studien 2, München/Salzburg 1981, S. 123-131, hier S. 123.
13
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Weitzmann auseinander setzte.29 Humphrey Searle merkt allerdings an, dass Liszt den
übermäßigen Dreiklang schon 1840 und die Ganztonskala ansatzweise 1838 in Grand
gallop chromatique einsetzte.30 Liszts Freundschaft zu Weitzmann macht jedoch
zumindest hellhörig. Schließlich hat sich Weitzmann ausgiebig mit den Beziehungen
zwischen dem verminderten Septakkord und dem übermäßigen Dreiklang auseinander
gesetzt. Notenbeispiel 731 zeigt eine von Weitzmann erstellte Matrix, die alle 12 Töne
als Kreuzprodukt von verminderten Septakkorden und übermäßigen Dreiklängen
darstellt. Auch die äquidistante Teilung der Oktave (vgl. Kapitel 1.3) wurde von
Weitzmann in diesem Zusammenhang bereits systematisiert (Notenbeispiel 832). Aus
einem 1878 an Weitzmann gerichteten Brief geht unmissverständlich hervor, dass Liszt
Weitzmanns Schriften sehr schätzte:
"Hochverehrter Freund. Seit langen Jahren gebe ich mir die Genugtuung meine
aufrichtige Hochschätzung ihrer vortrefflichen Werke auszusprechen. [...] Ihre
theoretischen Schriften, Verehrter Freund, sind von wirklich praktischen Nutzen:
desshalb empfehle ich überall meinen Befreundeten Musikern Sie zu studieren
und zu verbreiten."33
Notenbeispiel 7: Weitzmanns Zwölftonmatrix
29
30
31
32
33
Vgl. Laszlo Somfai, Die musikalischen Gestaltwandlungen der Faust-Symphonie von Liszt, in: Studia
Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae (Tl. 2,1), 1962, S. 87-137, hier S. 98.
Vgl. Lemoine, Tonal organisation (Anm. 28), S. 123.
Carl Friedrich Weitzmann. Der übermäßige Dreiklang, Berlin 1853, Bsp. aus: Richard Cohn,
Weitzmann's Regions, My Cycles, and Douthett's Dancing Cubes, in: Music Theory Spectrum
(Bd. 22,1), 2000, S. 89-103, hier S. 91.
Ebd.
Franz Liszt, zitiert nach: Gyorgy Gábry, Neuere Liszt-Dokumente, in: Studia Musicologica Academiae
Scientiarum Hungaricae (Tl. 10, 3), 1968, S. 339-352, hier S. 348.
14
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Notenbeispiel 8: Weitzmanns äquidistante Oktavteilung
Liszt verwendet im Spätwerk den übermäßigen Dreiklang nicht mehr nur in seiner
ursprünglichen Funktion als Dominantklang, sondern auch als tonikalen Klang, den er
oft auch mit dem Molldreiklang auf der tiefalterierten II. Stufe ("Mollneapolitaner") zu
einem Klanggemisch vereint. Über den bitonalen Charakter dieses Akkordes gehe ich
ausführlich im nächsten Kapitel ein.
Die Auflösungsmöglichkeiten des übermäßigen Dreiklangs
Wie dargestellt kann man den übermäßigen Dreiklang, wenn er als Dominante
eingesetzt wird, in drei mögliche Toniken auflösen. Wenn man dabei die Umkehrung
des übermäßigen Dreiklangs beibehält, entstehen durch die Auflösung drei
unterschiedliche Fundamentschritte (Notenbeispiel 9).
Notenbeispiel 9: Auflösungsmöglichkeiten des überm. Dreiklangs in einen Moll-Dreiklang
V
I
III
I
#VII
I
Der erste Fundamentschritt im Beispiel entspricht der Verbindung Dominante - Tonika.
Diese Form der Auflösung war bereits in der Klassik üblich. Auch in den Choralsätzen
J. S. Bachs findet man den übermäßigen Dreiklang in der Dominantfunktion. Er wird
15
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
dort jedoch noch nicht als eigenständigen Akkord verwendet, sondern als Vorhalt
(Notenbeispiel 10).34
Notenbeispiel 10: J. S. Bach, Choralstelle mit übermäßigem Dreiklang
Ein typisches Beispiel, in dem Liszt diese Auflösungsvariante anwendet ist die Faust
Symphonie (1854). Das Stück beginnt mit einer 22-taktigen Umspielung eines
übermäßigen Dreiklangs auf C. Dieser wird erst in Takt 24 nach f-Moll aufgelöst.35
Der zweite Fundamentalschritt aus Notenbeispiel 9 ist der von der III. zur I. Stufe. Der
übermäßige Dreiklang kommt leitereigen auf der III. Stufe der melodischen
Molltonleiter vor. In diesem Zusammenhang wird er auch in Arnold Schönbergs
Harmonielehre erwähnt. Als leitereigenen Klang in Moll führt Schönberg die III. Stufe
mit der erhöhten Quint zunächst als dissonanten Klang ein, der einer Auflösung und
einer Vorbereitung bedarf. Als Auflösungsmöglichkeiten gibt Schönberg die I. und die
VI. Stufe an, als mögliche vorbereitende Akkorde die V. und auch die VII. Stufe.36 Im
Kapitel "An den Grenzen der Tonart" behandelt Schönberg auch die anderen
Auflösungsmöglichkeiten des übermäßigen Dreiklangs.37
Im Zusammenhang mit Liszt setzt sich Zdenek Skoumal ausgiebig mit dieser
Akkordfortschreitung auseinander. Dabei weist er auf den Zusammenhang zwischen der
III. Stufe in Dur und der III. Stufe in Moll hin. In Dur kann die III. Stufe sowohl als
Stellvertreter für die Tonika (Tonikagegenklang) als auch als Stellvertreter für die
Dominante (Dominantparallele) verwendet werden. Dies liegt daran, dass beide
Funktionen zwei gemeinsame Töne mit ihrem "Vertreterklang", oder nach Schönberg
34
35
36
37
de la Motte, Harmonielehre, (Anm. 21), S. 89.
Vgl. Zdenek Skoumal, Liszt's Androgynous Harmony, in: Music Analysis, Bd. 13,1, 1994, S. 51-72,
hier S. 60.
Vgl. Arnold Schönberg, Harmonielehre, 2001, S. 114, 123.
Vgl. Ebd., S. 291f.
16
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
ein "harmonisches Band"38, besitzen. Außerdem enthält die III. Stufe den für die
Dominantfunktion charakteristischen Leitton.39 Zdenek Skoumal weist darauf hin, dass
Liszt in manchen seiner Stücke die III. Stufe so einsetzt, dass man kaum zwischen ihrer
Dominant- und Tonikafunktion unterscheiden kann. Er bezeichnet diese Mehrdeutigkeit
eines Klanges als "androgynous harmony."40 So gesehen ist die III. Stufe in Dur ein
Zwitter zwischen Dominante und Tonika. In ganz ähnlicher Weise bezeichnet übrigens
Diether de la Motte den verminderten Septakkord bei J. S. Bach als "Doppelfunktion"
der beiden Funktionen Dominante und Subdominante.41
Im natürlichen Moll verhält es sich etwas anders, da die III. Stufe den Leitton nur dann
enthält, wenn man sie zu einem übermäßigen Dreiklang alteriert. Danach kann die
III. Stufe aber wie in Dur als Mischklang zwischen Dominante und Tonika aufgefasst
werden. Wieder kann ein Beispiel aus Liszts Faust Symphonie herangezogen werden, in
dem diese Akkordverbindung zum Einsatz kommt. In den Takten 359-381 wiederholt
sich die Einleitung des Stücks, nur wird der übermäßige Dreiklang auf C dieses Mal in
Takt 382 nach a-Moll aufgelöst.42
Der letzte mögliche Fundamentalschritt bei der Auflösung eines übermäßigen
Dreiklangs (vgl. Notenbeispiel 9) ist der von der erhöhten VII. zur I. Stufe, also ein
Halbtonschritt. Wenn man diese Akkordverbindung nicht von der I. Stufe aus denkt,
sondern von der VII. Stufe, handelt es sich dabei um eine Verbindung von der I. Stufe
mit erhöhter Quint zur tiefalterierten II. Stufe (Notenbeispiel 11).
Notenbeispiel 11: Beziehung zwischen I. Stufe und tiefalterierter II. Stufe
bVII
38
39
40
41
42
I
I
bII
Ebd., S. 42.
Vgl. Skoumal, Liszt's Androgynous Harmony (Anm. 35), S. 52f.
Vgl. Ebd.
Vgl. de la Motte, Harmonielehre, (Anm. 21), S. 95ff.
Vgl. Skoumal, Liszt's Androgynous Harmony (Anm. 35), S. 60f.
17
1.1 Der verminderte Septakkord und der übermäßige Dreiklang
Der Dreiklang auf der tiefalterierten II. Stufe war zu Liszts Zeit bereits bestens bekannt.
In der dur-moll-tonalen Musik begegnet uns dieser Akkord zuerst als neapolitanischer
Sextakkord. Dieser Akkord, mit seinem eigentümlichen Klang, erfreut sich von der Zeit
des Barock bis in die Hochromantik hinein sehr großer Beliebtheit und macht auf
diesem Weg einige erstaunliche Entwicklungen durch. Ursprünglich wurde er
üblicherweise in seiner Funktion als Mollsubdominante mit tiefalterierter Sext
eingesetzt. Spätesten ab Beethoven hat sich der Akkord jedoch zunehmends
verselbstständigt und wird oft in Grundstellung und auch mit vorangestellter
Zwischendominante verwendet. Ab dem frühen 18. Jahrhundert beginnen sich
Komponisten zunehmend auch für die Mollvariante der tiefalterierten II. Stufe zu
interessieren. So steht zum Beispiel der 1. Satz von Beethovens Eroica in Es-Dur, die
zentrale Tonart der Durchführung ist jedoch e-Moll. Auch Schubert und Wagner
machen gerne vom Molldreiklang auf der tiefalterierten II. Stufe Gebrauch. Natürlich
hat
dieser
Akkord,
so
wie
er
in
der
Romantik
meist
verwendet
wird,
funktionsharmonisch mit dem ursprünglichen Neapolitaner nur noch den Namen der
Stufe gemeinsam, ich behalte die Schreibweise "n" und die Bezeichnung
"Mollneapolitaner" bei meinen Analysen aber trotzdem bei.
Es besteht ein erstaunlicher Zusammenhang zwischen Mollneapolitaner, Tonika, dem
übermäßigen Dreiklang und der im nächsten Kapitel behandelten Zigeunerskala.
Zunächst
besitzen
Mollneapolitaner
und
Tonika
eine
gemeinsame
Terz
(Notenbeispiel 12). Wenn man die Tonika zu einem übermäßigen Dreiklang erweitert,
haben diese Akkorde sogar zwei gemeinsame Töne (Notenbeispiel 13). Es liegt also
nahe, den übermäßigen Dreiklang auf der I. Stufe wieder als eine Doppelfunktion zu
betrachten. Diesesmal als eine Mischung aus Tonika und Mollneapolitaner.
Notenbeispiel 12: E-Dur und f-Moll
E-Dur
f-Moll
Notenbeispiel 13: E-Überm. und f-Moll
E-Überm.
f-Moll
18
1.2 Skalen in Liszts Kompositionen
Ein weiterer Zusammenhang besteht darin, dass der übermäßige Dreiklang auf der
I. Stufe zugleich auch als Zwischendominante zum Mollneapolitaner gedeutet werden
kann. Damit ergibt sich gewissermaßen sogar eine Tripelfunktion.
Schönberg erwähnt in seiner Harmonielehre auch noch den Zusammenhang zwischen
Tonika und I. Stufe mit erhöhter Quint. Er skizziert die Möglichkeit der Auflösung
eines übermäßigen Dreiklangs, indem man die Quint nach unten führt und nicht, ihrem
Leittoncharakter entsprechend, nach oben (A60 _ 5 ). Allerdings bezeichnet er diese
Auflösung als "harmonisch belanglos" und erwähnt sie nur am Rande.43
Wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, wendet Liszt auch diese
Doppelfunktion des übermäßigen Dreiklangs häufig in seinen Werken an. So zum
Beispiel in La lugubre gondola I und La lugubre gondola II. In Unstern! dehnt er diese
Beziehung sogar noch weiter aus, indem er die erste und die tiefalterierte II. Stufe in
Moll zu einem Klanggemisch vereint (vgl. Kapitel 1.2.1 u. 1.2.2).
1.2 Skalen in Liszts Kompositionen
Die kompositionstechnische Bedeutung von Skalen bei Liszt lässt sich auf seine
Beschäftigung mit antiken griechischen Tonsystemen zurückführen. In einer
Skizzenbucheintragung um 1855/56 zeichnete Liszt das ihm bekannte System der
antiken griechischen Musik auf. Er beschrieb dort die verschiedenen Tetrachorde und
antiken Modi sowie damit verbundene Kompositionstechniken wie die Erweiterung
eines Tetrachords durch Hinzufügen eines Tones.44 Das Erweitern von Tonsystemen,
Harmonien und auch Themen und Motiven durch das Hinzufügen beziehungsweise
Abändern eines Tones ist eine Kompositionstechnik, von der Liszt in allen
Schaffensperioden sehr gerne Gebrauch machte (vgl. Kapitel 1.5).
43
44
Vgl. Schönberg, Harmonielehre (Anm. 36), S. 295.
Vgl. Istvan Szelényi, Der unbekannte Liszt, in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum
Hungaricae (Tl. 5,1), 1963, S. 311-331, hier S. 313.
19
1.2.1 Die Zigeunerskala
1.2.1 Die Zigeunerskala
Durch Liszts Beschäftigung mit der Musik der griechischen Antike und der ungarischen
Folklore war es für ihn naheliegend, sich mit der sogenannten "Zigeunerskala" (auch
ungarisches Moll oder Ungar-Skala genannt) auseinander zu setzen.
Laut Istvan Szelényi kann man die Zigeunerskala aus dem altgriechischen
"chromatischen Tetrachord" (eine kleine Terz gefolgt von zwei Halbtonschritten)
ableiten. Wenn man die Zigeunerskala in Viertongruppen unterteilt, entspricht jede
dieser Gruppen einem der Modi des chromatischen Tetrachords (vgl. Notenbeispiel 14).
Liszt selbst nimmt in seinem Buch über "Zigeunermusik" (1883) an, dass die Musik der
Griechen und Zigeuner einen gemeinsamen Ursprung haben muss.45
Notenbeispiel 14: Zigeunerskala auf D und Modi des chrom. Tetrachords
Ein typisches Beispiel für die Verwendung dieser Skala sind die ersten Takte in Liszts
Sonate in h-Moll. Weitere Werke, die auf dieser Skala aufbauen, sind die Sätze
Széchényis und Deák aus dem Zyklus Historische ungarische Bildnisse (1885).46
Wenn man die Struktur der Zigeunerskala betrachtet, fällt auf, dass sie sich
außergewöhnlich gut dafür eignet, mit verminderten und übermäßigen Dreiklängen
kombiniert zu werden. Einerseits bildet sich ein leitereigener, übermäßiger Dreiklang
auf der III. Stufe, andererseits enthält die Skala den Tritonus sowohl auf der I. als auch
auf der II. Stufe. Erweitert man die Zigeunerskala um die Töne der natürlichen
Molltonleiter,
lässt
sich
außerdem noch
der
Tritonus
auf der
IV.
Stufe
(Notenbeispiel 15) leitereigen bilden.
Notenbeispiel 15: Zigeunerskala auf F um die Töne des natürlichen Molls erweitert
45
46
Vgl. Ebd., S. 313f.
Vgl. Sándor Kovács, Formprinzipien und ungarische Stileigentümlichkeiten in den Spätwerken von
Liszt, in: Liszt Studien 2, München/Salzburg 1981, S. 114-122, hier S. 118-121.
20
1.2.1 Die Zigeunerskala
Dieser erweiterten Zigeunerskala begegnet man im Stück La lugubre gondola I als
Übergangselement zwischen dem ersten und zweiten A-Teil (Notenbeispiel 16).
Notenbeispiel 16: "La lugubre gondola I", Takte 27-34
Wie bereits angedeutet steht die Zigeunerskala in einer engen Beziehung zum
übermäßigen Dreiklang und zum Mollneapolitaner. Wenn man von E-Dur ausgeht, sind
die Tonika, der übermäßige Dreiklang auf der I. Stufe und der Mollneapolitaner
leitereigen in der um die Töne der natürlichen Molltonleiter erweiterten Variante der
Zigeunerskala auf F (Notenbeispiel 17).
Notenbeispiel 17: Leitereigene Dreiklänge (Notiert in f-Moll, Funktionsbezeichnung in E-Dur)
A
A5ß
n
Ich habe bereits mit Notenbeispiel 16 darauf hingewiesen, dass die erweiterte
Zigeunerskala in La lugubre gondola I offenbar von Bedeutung ist. Formal gesehen
gliedert sich dieses Stück in drei Abschnitte (im Folgenden: A1 | A2 | A3). Teil A2
(Takte 39-77) ist eine Wiederholung von A1 (Takte 1-38), um eine große Sekunde tiefer.
A3 wiederholt den ersten Abschnitt (Takte 1-18) von A1 nochmals, enthält jedoch einige
eingeschobene sequenzierende Takte (Takte 77-93) und eine Coda (Takte 111-120).
Betrachten wir nun den ersten Teil dieses Werkes etwas genauer (Notenbeispiel 18).
Liszt notiert diesen Teil in f-Moll, der erste Akkord ist aber ein übermäßiger Dreiklang
auf E. Das erste Intervall der Melodie deutet f-Moll an, der weitere Melodieverlauf
scheint aber im ersten Moment zu verwundern. Bei genauer Beobachtung erkennt man,
dass es sich bei den Takten 6-10 um einen Ausschnitt aus der E-Dur-Tonleiter handelt,
21
1.2.1 Die Zigeunerskala
bei den Takten 11-13 jedoch wieder um einen Ausschnitt aus der erweiterten
F-Zigeunerskala. In Takt 19 scheint es so, als wolle Liszt f-Moll durch die Begleitung
der linken Hand zunächst bestätigen. Der f-Moll-Akkord wird aber durch das darauf
folgende des1 sofort wieder entkräftet.
Notenbeispiel 18: La lugubre gondola I, Takte 1-22
Wenn man E-Dur mit der Zigeunerskala auf F vergleicht, erkennt man, dass sie sich nur
durch zwei Töne von einander unterscheiden – A und Fis. Vereinigt man beide Skalen
zu einer, erhält man eine Elftonskala, welcher als einziger Ton das D fehlt. Tatsächlich
ist D auch der einzige Ton, der im gesamten ersten Teil (Takte 1-27) nie auftritt. Er wird
erst in Takt 37 eingeführt, zwei Takte vor der transponierten Wiederholung des
Teils A1, die dieses Mal in D-Dur / es-Moll steht. Interessant ist auch, dass Liszt
die Wiederholung hier nicht in der Molltonart es-Moll notiert, sondern in der
entsprechenden Durtonart D-Dur.
22
1.2.1 Die Zigeunerskala
Das zugrunde liegende tonale System scheint also tatsächlich aus einer Symbiose der
I. Stufe mit der tiefalterierten II. Stufe in Moll zu bestehen – also einer bitonalen
Mischung aus E-Dur und f-Moll. Ein weiteres Indiz dafür findet sich in den
Überleitungstakten 28-38 und 66-76. Wie in Notenbeispiel 16 dargestellt, handelt es
sich bei der "Modulation" von E-Dur/f-Moll nach D-Dur /es-Moll um eine erweiterte
F-Zigeunerskala. In den entsprechenden Takten der Wiederholung (Takte 66-76) wird
diese zu einer Mischung aus E-Dur und F-Zigeunerskala abgeändert, um gleichsam
wieder zurück zu "modulieren". In Takt 75 endet die "Modulation" erneut um einen
Ganzton tiefer mit einem übermäßigen Dreiklang auf C, was wieder dem
Ausgangsakkord entspricht, mit dem Unterschied, dass nun ein C im Bass liegt.
Bemerkenswert sind auch die beiden Takte 9 und 13 (vgl. Notenbeispiel 18), in denen
die Melodie auf dem Ton es1 verharrt. Der Akkord der an dieser Stelle klingt ist ein
übermäßiger Septakkord mit großer Septim, ein Akkord, der eher als in sich ruhend
wahrgenommen wird und nicht das starke Auflösungsbedürfnis einer Dominante in sich
trägt. Dieser Akkord nimmt vor allem im letzten Teil (Takte 101, 105, 109 u. 111) eine
herausragende Rolle ein, um das "Klangzentrum"47 E-Übermäßig nochmals zu
bekräftigen.
Das Thema aus La lugubre gondola I (Takte 3-38) wird in La lugubre gondola II
variiert (Takte 35-51). In dieser Variation tritt die Beziehung zwischen dem
übermäßigen Dreiklang auf E und dem f-Moll-Dreiklang noch stärker zum Vorschein.
Diesesmal wechselt Liszt alle zwei Takte zwischen diesen beiden Akkoden hin und her
(vgl. Notenbeispiel 19).
Notenbeispiel 19: La lugubre gondola II, Takte 35-44
47
Hermann Erpf versteht unter dem Begriff "Klangzentrum" einen Klang der durch
"Intervallzusammenhang, Lage im Tonraum und Farbe" bestimmt wird. Vgl. Hermann Erpf, Studien
zur Harmonie- und Klangtechnik der neueren Musik, Leipzig 1927, S. 122.
23
1.2.1 Die Zigeunerskala
Als weiteres Beispiel zu diesem Thema möchte ich das 1881 entstandene Klavierstück
Nuages gris diskutieren. Unter Miteinbeziehung der bisher genannten Verfahren ist
dieses Werk relativ leicht zu erklären. Die Anfangstakte (Takte 1-10) entstammen einer
G-Zigeunerskala. Auch das in Takt 9 klingende es-Moll ist in dieser Skala leitereigen.
Liszt notiert diesen Akkord auch, der G-Zigeunerskala entsprechend, mit den Tönen fis,
b und es1 (Notenbeispiel 20). Zusammengenommen sind in den Takten 1-12 sogar alle
Töne der Zigeunerskala enthalten. Auch die Variation des Anfangsmotivs, das in den
Takten 21-24 erklingt, ist dieser Skala entnommen (Notenbeispiel 21).
Notenbeispiel 20: Nuages gris, Takte 1-12
Notenbeispiel 21: Nuages gris, Takte 21-24
Den Akkord in Takt 11 kennen wir auch bereits aus den vorangegangenen
Untersuchungen. Es ist der mit dem G-Zigeunermoll in Beziehung stehende übermäßige
Dreiklang auf Fis. Liszt transponiert diesen Dreiklang in den folgenden Takten
(Takte 13-20) dreimal um eine kleine Sekunde nach unten, bis er wieder bei dem
Ausgangsakkord Fis-Übermäßig angelangt ist. Die Form ergibt sich in diesem Abschnitt
also wieder aus der Struktur eines Akkordes – dem übermäßigen Dreiklang.
24
1.2.2 Die Ganztonskala
1.2.2 Die Ganztonskala
Die Ganztonskala ist ein weiteres Element, das man in Liszts Spätwerk häufig antrifft.
Sie ist eine symmetrische, äquidistante Skala, die die Oktave in sechs gleiche Teile teilt
und steht in einer engen Beziehung zum übermäßigen Dreiklang. Dieser ist der
einzige leitereigene Dreiklang, der sich mit dieser Skala bilden lässt. Damit ist die
Ganztonskala wie der übermäßige Dreiklang selbst ein geeignetes Instrument um die
Dur-Moll-Tonalität zu verschleiern.
Die Ganztonskala kannte man bereits vor Liszts Zeit. Zoltán Gárdonyi erwähnt unter
anderem Schubert und Berlioz, bei denen sich Ausschnitte der Ganztonskala zum Teil
nachweisen lassen. In diesem Zusammenhang wird auch gerne der canon circularis per
tonos aus J. S. Bachs Musikalischem Opfer zitiert. Dieser Kanon schreitet harmonisch
durch die Stufen der Ganztonleiter, wegen seiner immerwährenden Modulation um eine
große Sekund. Liszt verwendet die Ganztonskala schon in seinem Frühwerk. Sie kommt
zum Beispiel in den Schlussteilen der Klavierstücke Harmonies poétiques et religieuses
(Erstfassung 1835) und Lyon (1834) vor.48
Wie gut sich die Ganztonskala mit den bisher vorgestellten Techniken Liszts verträgt,
lässt sich wieder an einem Beispiel von La lugubre gondola I zeigen (Notenbeispiel 22).
Wie dargestellt endet der Teil A2 mit einem übermäßigen Dreiklang auf C
(Takte 75-76). Dies ist auch der Akkord, mit dem der Teil A3 (Takte 77-110) beginnt.
Strukturell sind die Takte 77-100 dieses Teils recht einfach zu erklären. Das Verfahren,
das Liszt hier anwendet, ist aber sehr außergewöhnlich und zukunftsweisend.
48
Vgl. Zoltán Gárdonyi, Neue Tonleiter- und Sequenztypen in Liszts Frühwerken (Zur Frage der
"Lisztschen Sequenzen"), in: Studia Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae (Tl. 11,1),
1969, S. 169-199, hier S. 171f.
25
1.2.2 Die Ganztonskala
Notenbeispiel 22: La lugubre gondola I, Takte 77-100
Im Prinzip laufen in diesem Abschnitt zwei gegenläufige, von einander unabhängige,
reale Sequenzen ab. Die erste Sequenz findet sich in der rechten Hand, die in großen
Sekunden ansteigt, die zweite in der Begleitung, die in großen Sekunden abfällt.
Insgesamt wird durch diese Sequenzen die Ganztonskala auf C umrahmt. Liszt muss die
Akkorde der linken Hand nicht einmal zu übermäßigen Dreiklängen vervollständigen,
um das Gefühl der Ganztonskala zu vermitteln. Durch die gegebene Sequenzstruktur
in großen Sekunden reichen die kleinen Sexten der rechten Hand vollkommen aus.
In Takt 100 ändert Liszt den vorherigen chromatischen Durchgang der Sequenz wieder
in das ursprüngliche Thema aus A1 ab (vgl. Takt 8, Notenbeispiel 18). So dient die
letzte Sequenz (Takte 95-100) zugleich als Beginn der Wiederholung der Takte 1-18.
26
1.2.2 Die Ganztonskala
Wenn man die Ganztonskala auf E mit dem oben beschriebenen bitonalen System
zwischen E-Dur und f-Moll vergleicht, erkennt man viele Parallelen und sieht, dass das
Verwenden dieser Skala ein ganz natürlicher Schritt ist, um diese Bitonalität nochmals
zu betonen. Die Ganztonskala erweitert das bisherige System, das elf Töne umfasst, um
den zwölften Ton zu einer Zwölftonskala. Diese ist aber nicht als eine Reihe zu
verstehen, sondern als ein Tonraum, der sich aus verschiedenen Skalen zusammensetzt
und eindeutige Schwerpunkte besitzt. Diese Schwerpunkte sind die Töne E, F, As, H
und C, die sich aus den Dreiklängen E-Dur und f-Moll ergeben. Dadurch erhält diese
Skala auch das ihr eigene Klangzentrum49, das sich zwischen E-Dur, E-Übermäßig und
f-Moll befindet. Eine genaue Gegenüberstellung dieser Skalen unter Miteinbeziehung
der Halbton-Ganzton-Skala und des verminderten Septakkordes findet sich im nächsten
Kapitel (vgl. Notenbeispiel 30).
Ein weiteres Beispiel zur Verwendung der Ganztonskala und auch zur Beziehung
zwischen übermäßigem Dreiklang auf der I. Stufe und Molldreiklang auf der
tiefalterierten II. Stufe findet sich in Unstern!. Die Melodie der ersten Phrase
(vgl. Notenbeispiel 5) bleibt zwar durch die beiden Tritonusintervalle sehr offen, aber
dennoch kann man als tonales Zentrum F vermuten. Zum einen liegen die metrischen
Schwerpunkte auf der I. und V. Stufe von F, zum anderen wird der Ton F durch die
beiden Töne E und Fis chromatisch eingekreist. Tatsächlich ist der Tonvorrat dem von
La lugubre gondola I nicht unähnlich.
Die Takte 21-25 von Unstern! (Notenbeispiel 23) beginnen mit einem Gis in der
Oberstimme, dem später in der Unterstimme ein F hinzugefügt wird. Dies scheint im
ersten Moment f-Moll zu bestätigen, in den Takten 23-25 kommt es jedoch zu einer
Umspielung eines übermäßigen Dreiklangs auf E.
49
Vgl. Anm. 47.
27
1.2.2 Die Ganztonskala
Notenbeispiel 23: Unstern!, Takte 21-25
Sándor Kovács erkannte in seiner Analyse von Unstern!, dass sich zusätzlich zu dieser
Umspielung auch noch die Struktur eines verminderten Septakkordes auf F innerhalb
dieser Phrase versteckt.50 Dieser verminderte Septakkord fügt sich hervorragend in die
bitonale Mischung zwischen E-Dur und f-Moll ein (vgl. Notenbeispiel 30). Man kann
diese Takte also auch als bitonal zwischen E-Übermäßig und F-Vermindert auffassen.
Die Takte 21-28 werden drei Mal real sequenziert, immer um einen Halbton
höher, wobei die letzten beiden Sequenzen verkürzt wurden. Dies ist ein weiteres
Beispiel dafür, wie die Akkordstruktur selbst zum formbildenden Element wird.
Das Sequenzmotiv erklingt insgesamt über die übermäßigen Dreiklänge auf E, F, Fis
und schließlich G. Das entspricht genau den vier möglichen übermäßigen Dreiklängen.
Man vergleiche dazu auch meine Analyse zu La lugubre gondola II in Kapitel 1.1.
Dort wendet Liszt eine ganz ähnliche Technik an, und leitet in diesem Fall aus dem
verminderten Septakkord die Form ab.
An diese Sequenzen schließt ab Takt 45 ein Teil an, der ausschließlich auf der
Ganztonskala beruht, und der das vorherige Sequenzmotiv noch weiter verarbeitet
(Notenbeispiel 24). Der diese Takte einleitende Vierklang (A-H-Dis-F) besteht aus
Tönen der Ganztonskala auf A. Seine Struktur ist interessant, da er, trotz seiner
Ganztönigkeit, keinen übermäßigen Dreiklang in sich birgt. Statt dessen setzt er sich aus
50
Vgl. Kovács, Formprinzipien (Anm. 46), S. 116.
28
1.2.2 Die Ganztonskala
zwei um eine große Sekunde verschobenen Tritoni zusammen. Das kann man als eine
Anspielung auf das Anfangsmotiv, in dem zwei um eine kleine Sekunde verschobene
Tritoni die Grundstruktur bilden, auffassen. Man kann diesen Akkord auch als dritte
Umkehrung eines Dominantseptakkords auf H mit tiefalterierter Quint auslegen, also als
Dominante in E-Dur. Auch diese Interpretation deutet darauf hin, dass in diesem Teil
Reste einer E-Dur-Tonalität vorhanden sind. Dieser Teil ist auch formal von der
Ganztonskala abgeleitet. Das Bassmotiv wird auf jedem Ton der Skala genau einmal
sequenziert.
Notenbeispiel 24: Unstern!, Takte 45-57
Besonders deutlich wird der bitonale Mischklang zwischen E-Dur und f-Moll in den
Takten 70-84, welche den ersten größeren Formteil von Unstern! abschließen. Die in
Notenbeispiel 25 abgebildete Phrase wird gleich viermal wiederholt.
Notenbeispiel 25: Unstern!, Takte 70-72
Es handelt sich dabei um einen übermäßigen Dreiklang auf E, zu dem in der
Bassmelodie E-F-H erklingt. Dieses Motiv kennen wir bereits aus der ersten Phrase des
Stückes (Takt 1-2). Der Akkord über dem H ist ein Fünfklang, der genau aus den Tönen
29
1.2.2 Die Ganztonskala
von E-Dur und f-Moll besteht: E, F, Gis(As), H und C. Andererseits setzt sich dieser
Klang natürlich auch aus den Tönen des übermäßigen Dreiklangs auf E und des
verminderten Dreiklangs auf F zusammen, worauf auch Thomas Kabisch in seiner
Analyse von Unstern! hinwies. 51 Ab Takt 78 wird das H im Bass in ein Gis überführt
und der Teil endet mit einer Repetition eines übermäßigen Dreiklangs auf Gis mit
hinzugefügtem F (Notenbeispiel 26).
Notenbeispiel 26: Unstern!, Takte 79-82
Im ersten Teil von Unstern! ist keine Tonart angegeben. Dagegen steht der deutlich
kontrastierende zweite Teil (Takt 85 - Schluss) in H-Dur. Wie wir gesehen haben,
verbleibt im ersten Abschnitt die Tonalität weitestgehend in einem offenen, bitonalen
Raum zwischen E-Dur und f-Moll. Die Harmonik wird meist von übermäßigen
Dreiklängen und der Ganztonskala bestimmt. Der zweite Teil beginnt im Gegensatz
dazu tonal eindeutig in H-Dur, auch wenn Liszt keine Kadenzen im traditionellen Sinn
einsetzt. Man könnte fast glauben, dass die Takte nach Takt 85 aus einem anderen Stück
stammen und tatsächlich wirkt das klangliche Ergebnis im ersten Moment auch etwas
"fehl am Platz". Bernard C. Lemoine versucht in seiner Analyse von Unstern! das
H-Dur im zweiten Teil mit dem Tritonus des Anfangsmotivs (F-H) zu erklären.52
Dieser Zusammenhang ist sicher nicht zu bestreiten. In dem von mir vorgeschlagenen
bitonalen System ergibt sich der Tritonus zu Beginn aber aus der Wahl der
Anfangstöne: e-f-h-c1. Diese Töne entsprechen den Grundtönen und Quinten von E-Dur
und f-Moll. Wenn man Unstern! unter diesem Gesichtspunkt betrachtet ist das
plötzliche H-Dur im zweiten Teil auch gar nicht mehr so ungewöhnlich. Im Gegenteil –
auf die Form bezogen ist H-Dur, als Dominantregion von E-Dur, in einem
kontrastierenden B-Teil schon fast als klassisch zu bezeichnen. Aber im Kontext und
51
52
Vgl. Thomas Kabisch, Struktur und Form im Spätwerk Franz Liszts. Das Klavierstück "Unstern"
(1886), in: Archiv für Musikwissenschaft (Jahrg. 42,3), 1985, S. 178-199, hier S. 190.
Vgl. Lemoine, Tonal organisation (Anm. 28), S. 127.
30
1.2.3 Die Halbton-Ganzton-Skala
durch die außergewöhnlichen Techniken die Liszt im ersten Teil anwendet, kann er der
altmodisch anmutenden Dominantregion wieder neues Leben einhauchen. Bezeichnend
ist auch, dass Liszt das Stück nach einem kurzen Ausschnitt aus der Ganztonskala auf
dem Ton E beendet.
Notenbeispiel 27: Unstern!, Schlusstakte
1.2.3 Die Halbton-Ganzton-Skala
Wie bei der Ganztonskala handelt es sich bei der Halbton-Ganzton-Skala um eine
symmetrische Skala. Der ihr zuzuordnende Akkord ist der verminderte Septakkord. Von
den drei möglichen verminderten Septakkorden lassen sich zwei leitereigen in der
Halbton-Ganzton-Skala bilden. Messiaen bezeichnet diese Skala als den "2. Modus mit
begrenzter Transponiermöglichkeit."53 Mit dieser Bezeichnung deutet er darauf hin,
dass diese Skala wie der verminderte Septakkord nur dreimal transponierbar ist. Weitere
Bezeichnungen sind "oktatonische Skala", "alterierende Achtstufigkeit"54 oder einfach
"verminderte Skala". Letztere Bezeichnung findet sich vor allem im Jazz, wo diese
Skala zur Improvisation über verminderte Septakkorde und Dominantseptakkorde mit
tiefalterierter None verwendet wird.
Elmar Seidel wies darauf hin, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der
Halbton-Ganzton-Skala
und
der
sogenannten
"Teufelsmühle"
gibt.
Bei
der
Teufelsmühle handelt es sich um folgende Akkordfolge:
Notenbeispiel 28: "Teufelsmühle"
53
54
Oliver Messiaen, Technik meiner musikalischen Sprache, Paris 1966, S.57.
Gárdonyi, Paralipomena (Anm. 8), S. 11.
31
1.2.3 Die Halbton-Ganzton-Skala
1776 erscheint diese Akkordfolge in Georg Joseph Voglers Tonwissenschaft und
Tonsetzkunst.55 Der Wiener Komponist Emanuel Aloys Förster bezeichnete sie in seiner
1805 erschienenen Anleitung zum General-Bass als "Teufelsmühle". Bekannt war sie
aber schon sehr viel früher. So verwendet J. S. Bach die Teufelsmühle teilweise in der
Matthäus-Passion56, die Liszt 1855 gezielt studiert hatte.57 Ab dem ausklingenden
18. Jahrhundert wurde diese Akkordfolge sehr häufig verwendet, unter anderem von
Komponisten wie C. Ph. E. Bach, den Wiener Klassikern, Schubert und Weber. Auch
Liszt bedient sich dieser Akkordfolge mehrfach.58 Dieter Torkewitz wies in seiner
Dissertation auf einige Fälle in frühen Werken hin.59 Sie findet sich aber in allen
Schaffensperioden Liszts, wie zum Beispiel in der 1852 erschienenen Etüde Ab Irato.
Der Zusammenhang zwischen Teufelsmühle und Halbton-Ganzton-Skala besteht darin,
dass sich die Harmonien der Teufelsmühle, abgesehen vom chromatischen Bassverlauf,
ausschließlich innerhalb eben dieser Skala bewegen.60 Das liegt daran, dass es sich bei
dieser Akkordfolge um eine reale Sequenzierung in kleinen Terzen handelt (Kapitel 1.3).
Ein typisches Beispiel, in dem Liszt von der Halbton-Ganzton-Skala Gebrauch macht,
ist Bagatelle ohne Tonart. In der überleitenden Passage in Takt 86 verwendet er
ausschließlich Tonmaterial aus der Halbton-Ganzton-Skala auf Cis (Notenbeispiel 29).
Notenbeispiel 29: Bagatelle ohne Tonart, Takte 85-86
55
56
57
58
59
60
Vgl. Elmar Seidel, Ein chromatisches Harmonisierungs-Modell in Schuberts "Winterreise", in: Archiv
für Musikwissenschaft (Jahrg. 26,4), 1969, S. 285-296, hier S. 289.
Vgl. Elmar Seidel, Über den Zusammenhang zwischen der sogenannten Teufelsmühle und dem 2.
Modus mit begrenzter Transponiermöglichkeit in Liszts Harmonik, in: Liszt Studien 2, MünchenSalzburg 1981, S. 172-206, hier S. 172f.
Vgl. Dorothea Redepenning, Franz Liszts Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach, in: Studia
Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae (Tl. 34, 2), 1992, S. 97-123, hier S. 97f.
Vgl. Seidel, Über den Zusammenhang (Anm. 56) S. 172f.
Vgl. Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 32-35.
Vgl. Seidel, Über den Zusammenhang (Anm. 56), S. 172-178.
32
1.2.3 Die Halbton-Ganzton-Skala
Wenn man die Halbton-Ganzton-Skala mit den bisherigen Techniken in Beziehung
bringt, ergibt sich ein interessantes Skalensystem, welches Liszt die Möglichkeit bietet
in einem zwölftönigen System zu komponieren. Die diesem System zugrunde liegende
Ordnung entfaltet eine eigenständige, für die letzten Klavierstücke typische Harmonik.
Um dies zu veranschaulichen, stelle ich die bisher vorgestellten Techniken nochmals
einander gegenüber (Notenbeispiel 30).
Notenbeispiel 30: Gegenüberstellung der Skalen
Der direkte Vergleich zeigt, dass diese Skalen viele Gemeinsamkeiten besitzen. Sie
unterscheiden sich von einander meist nur in zwei Tönen und besitzen ähnliche
Schwerpunkte. Diese Schwerpunkte entsprechen den Tönen der Dreiklänge, die man in
den bisher beschriebenen Stücken Liszts am häufigsten antrifft.
33
1.2.4 Die mixolydische Skala mit erhöhter Quart (akustische Skala)
1.2.4 Die mixolydische Skala mit erhöhter Quart (akustische Skala)
Eine weitere, von Liszt in seinen Kompositionen eingesetzte Skala, ist die mixolydische
Skala mit erhöhter Quart (Notenbeispiel 31). Sie wird oft auch als "akustische Skala"
bezeichnet und die, von ihr beschriebene Tonalität, als "akustische Tonalität".
Diese Bezeichnung rührt daher, dass sie der Teiltonreihe vom 8. bis zum 14.
Teilton entspricht. Man kann sie auch als eine Mischung von Ganztonskala und
Halbton-Ganzton-Skala auffassen. Der erste Skalenausschnitt verläuft in großen
Sekunden, während sich im zweiten Teil große und kleine Sekunden abwechseln.61
Notenbeispiel 31: mixolydische Skala mit erhöhter Quart
(Die Teiltonreihe wurde zur Vereinfachung ohne mikrointervallische Abweichungen dargestellt)
Diese Skala entspricht in ihrem Aufbau der melodischen Molltonleiter aufwärts,
beginnend bei der IV. Stufe (C-akustisch ≙ G-melodisch). In der Musik des
20. Jahrhunderts trifft man sie, wie auch die Halbton-Ganzton-Skala, sehr häufig
an, unter anderem in der Musik von Bartók, Skrjabin, Debussy, Ravel, Strawinsky
und Messiaen.62 Im Jazz wird sie gerne zur Improvisation über alterierte
Dominantseptakkorde verwendet. Sie wird dann auch als alterierte Skala bezeichnet
(C-akustisch ≙ Fis-alteriert).
Beispiele für die Verwendung der akustischen Skala bei Liszt sind unter anderem
Angelus! und Les jeux d'eaux à Villa d'Este aus dem Zyklus Années de pèlerinage,
Troisième annèe (1877) und der Dritte Mephisto-Walzer (1883). Zsolt Gárdonyi vertritt
die Auffassung, dass die Schlussakkorde aus Nuages gris ebenfalls als ein Ausschnitt
einer akustischen Skala aufgefasst werden können.63
61
62
63
Vgl. Gárdonyi, Paralipomena (Anm. 8), S. 11-14.
Vgl. Ebd., S. 11-27.
Vgl. Ebd. S. 28-31.
34
1.3 Reale Sequenzen und weitere Skalen
1.3 Reale Sequenzen und weitere Skalen
Reale Sequenzen, also Sequenzen bei denen jeder Ton im gleichen Intervall sequenziert
wird, sind in Liszts Musik bereits seit seinen frühesten Werken ein wesentliches
kompositorisches Element. Dieter Torkewitz zeigt die wichtige Beziehung zwischen
den realen Sequenzen in Liszts Musik und seiner Beschäftigung mit der Form des
achttaktigen Satzes (als Alternative zur achttaktigen Periode) auf.64 Die Unterscheidung
zwischen Periode und Satz geht vor allem auf Schönberg zurück, der den Satz als die
"höhere Form der Konstruktion als die Periode" bezeichnet.65 Bei einem Satz wird im
Unterschied zur Periode das Anfangsmotiv bereits im Vordersatz wiederholt oder
sequenziert. Der Nachsatz bildet einen Kontrast zum Vordersatz, indem er dessen
Motive abspaltet und weiterentwickelt.66 Besonders die Sequenz im Vordersatz scheint
Liszt in diesem Zusammenhang angezogen zu haben. Carl Dahlhaus sieht in der "realen,
modulierenden Sequenzierung" ein grundliegendes Formprinzip Liszts und Wagners.67
Mit den realen Sequenzen in enger Verbindung steht das sogenannte "Distanzprinzip".
Dieser Begriff, der eigentlich aus der Akustik stammt, wurde von Zoltán Gárdonyi
verwendet um harmonische und melodische Erscheinungen zu bezeichnen, die nicht auf
die zugrunde liegende Tonalität zurückzuführen sind, sondern sich aufgrund
übergeordneter Ordnungsprinzipien bilden. Damit ist gemeint, dass der Oktavraum
nicht mehr diatonisch strukturiert wird, sondern sich seine Struktur aus gleichen oder
periodisch alterierenden Intervallen ergibt.68 Thomas Hitzlberger merkt an, dass "die
verschiedenen Erscheinungsformen des Distanzprinzips bei Liszt [...] zum größten Teil
aus zwei harmonischen Phänomenen, der realen Sequenz und der realen Figuration
[resultieren]."69
64
65
66
67
68
69
Vgl. Dieter Torkewitz, Modell, Wiederholung - Sequenz. in: Liszt-Studien 3, München/Salzburg
1986, S. 177-188, hier S. 177f.
Arnold Schönberg, Die Grundlagen der musikalischen Komposition, Wien 1979, S. 31.
Vgl. Ebd., S. 21, 31f.
Vgl. Torkewitz, Modell, Wiederholung (Anm. 64), S. 177.
Vgl. Thomas Hitzlberger, Zwischen Tonalität und Rationalität, in: Virtuosität und Avandgarde,
Untersuchungen zum Klavierwerk Franz Liszts, Mainz 1988, S. 32-59, hier S. 32.
Ebd., S. 34.
35
1.3 Reale Sequenzen und weitere Skalen
Hermann Erpf bezeichnete Klänge aus äquidistanten Intervallen in seinen Studien zur
Harmonie und Klangtechnik der neueren Musik als symmetrische Klänge. Diese
"funktionslosen" Klänge unterscheiden sich von den "Funktionsträger"-Klängen darin,
dass ihre einzelnen Töne gleichwertig und damit austauschbar sind. Erpf unterscheidet
zwischen sechs verschiedenen symmetrischen Klängen:70
1. der "Kleinterzklang" (≙ verminderter Septakkord)
2. der "Kleinterzklang" (≙ übermäßiger Dreiklang)
3. der "Ganztonklang" (≙ Ganztonleiter)
4. der "Tritonusklang"
5. der "Quartenklang"
6. der "Halbtonklang"
Dem Distanzprinzip sind wir in den bisher beschriebenen Kompositionstechniken
Liszts schon mehrmals begegnet. Der übermäßige und der verminderte Dreiklang
sowie die Ganztonskala setzen sich aus äquidistanten Intervallen zusammen. Die
Halbton-Ganzton-Skala wäre ein Beispiel für eine Oktavteilung, die auf periodisch
alterierenden Intervallen basiert.
Wenn mehrere reale Sequenzen in gleichem Intervallabstand aneinander gereiht
werden, ergibt sich durch die innere Struktur meist automatisch eine übergeordnete
äquidistante Skala, die aus diesen Sequenzen abgeleitet werden kann. Ein einfaches
Beispiel für diesen Vorgang ist die Sequenzierung eines Dur- oder Molldreiklangs
in kleinen Terzen. Eine solche Sequenz enthält ausschließlich die Töne der
Halbton-Ganzton-Skala (Notenbeispiel 32).
In Liszts Etüde Mazzepa (1853) entsteht zum Beispiel eine Halbton-Ganzton-Skala
durch eine Reihe von realen Sequenzen in kleinen Terzen. Grand galop chromatique
(1883) ist dagegen ein Beispiel für reale Sequenzen, aus denen sich die Ganztonskala
ableiten lässt.71
70
71
Vgl. Erpf, Studien (Anm. 47), S. 77ff.
Vgl. Hitzlberger, Zwischen Tonalität und Rationalität (Anm. 68), S. 35ff.
36
1.3 Reale Sequenzen und weitere Skalen
Notenbeispiel 32: reale Sequenzen von Dreiklängen in kleinen Terzen
Eigentlich ist es nicht weiter verwunderlich, dass in der romantischen Musik die
Teilung der Oktave in gleiche Teile immer mehr an Bedeutung gewann. Im Barock und
auch noch während der Klassik war der wichtigste Fundamentalschritt die Quint
beziehungsweise ihr Komplementärintervall die Quart. Dies machte sich in der häufigen
Verwendung von Quintfallsequenzen und den bevorzugten Modulationen in die
Dominant- und Subdominantregion bemerkbar. Um neue harmonische Wege im
dur-moll-tonalen System zu gehen, war man also gewissermaßen gezwungen in
anderen Intervallen zu sequenzieren oder in andere Regionen zu modulieren. Quint
und Quart sind allerdings die einzigen Intervalle die, bei äquidistanter Fortsetzung,
die Oktave nicht in gleiche Teile teilen. Wenn man also real in anderen Intervallen als
Quint oder Quart sequenziert, ergibt sich als Resultat automatisch eine gleichmäßige
Teilung der Oktave.
Ähnlich
verhält
es
sich
mit
periodisch
alterierenden
Skalen
oder
Akkordfortschreitungen, die aus Sekunden und Terzen bestehen. Diese teilen die
Oktave genau dann in periodisch alterierende Intervalle auf, wenn sich die beiden
verwendeten Intervalle nicht zu einer Quint oder Quart ergänzen. In Notenbeispiel 33
habe ich alle möglichen Oktavteilungen mittels alterierender Sekunden und Terzen
zusammengefasst und zwei alterierende Skalen angegeben, die die Oktave nicht teilen.
Ich verwende dabei die gleiche Namensgebung, die auch Zoltán Gárdonyi benutzt.72
Dabei bezeichnet Modell 1 : 2 eine alterierende Skala, die sich aus einer Fortsetzung
von kleinen und großen Sekunden zusammensetzt, Modell 2 : 3 steht dagegen für große
Sekund und kleine Terz.
72
Vgl. Gárdonyi, Neue Tonleiter- und Sequenztypen (Anm. 48), S. 180.
37
1.3 Reale Sequenzen und weitere Skalen
Notenbeispiel 33: Alterierende Skalen mit und ohne Oktavteilung
Bei Modell 1 : 2 handelt es sich um die bereits besprochene Halbton-Ganzton-Skala.
Auch Modell 1 : 3 wird von Liszt in verschiedenen Werken verwendet. Zum Beispiel in
Réminiscences de Don Juan (1839) und in Fleurs mélodiques des Alpes (1843).73 Das
Modell 2 : 4 entspricht genau dem bereits erwähnten Akkord aus Unstern! in Takt 46,
der sich aus Tönen der Ganztonskala auf A zusammensetzt. Man könnte auch die
Töne des einleitenden Motivs von Unstern! (e-f-h-c1-fis) als einen Ausschnitt des
Modells 1 : 5 interpretieren. Das Modell 1 : 5 wendet Liszt unter anderem auch noch im
Klavierstück Orage (1855) an.74 Zu Modell 2 : 3 sei noch erwähnt, dass die
pentatonische Skala eine Teilmenge dieses Modells ist – eine weitere Skala, deren
Bedeutung in der romantischen Musik immer mehr zunahm.
Neben den alterierenden Skalen experimentierte Liszt auch noch mit anderen Skalen,
die die Oktave symmetrisch teilen. Eine solche Skala wird in Notenbeispiel 34
dargestellt. Diese Skala findet sich in dem Klavierstück Preludio funebre (1885), als
eine sich immer wiederholende Basslinie. Das harmonische Gerüst dieser Skala ist der
übermäßige Dreiklang Cis-F-A. Dieser bildet auch die zentrale Harmonie des
nur 18 Takte langen Werkes. Die Skala besteht aus zwei Viertongruppen, wobei die
eine der Krebs der Umkehrung der anderen ist. Dadurch ergibt sich auch ihre
symmetrische Struktur.75
Notenbeispiel 34: symmetrische Skala aus Preludio funebre
73
74
75
Vgl. Ebd., S. 191.
Vgl. Ebd., S. 195.
Vgl. Dieter Torkewitz, Anmerkungen zu Liszts Spätstil. Das Klavierstück "Preludio funebre" (1885),
in: Archiv für Musikwissenschaft (Jahrg. 35,3), 1978, S. 231-236, hier S. 232ff.
38
1.4 Harmonische Verläufe
1.4 Harmonische Verläufe
Wie bereits angedeutet macht die dur-moll-tonale Harmonik während der Romantik
eine Entwicklung durch, die mit der Entwicklung von äquidistanten Skalen und
Akkorden einhergeht. Einerseits wurden harmonische Verbindungen im Terzabstand
(Medianten) immer beliebter, andererseits nahmen auch großformale Harmonieverläufe,
die auf Terzschichtung beruhen, zu. So findet sich schon in Haydns Streichquartett in
G-Dur, op. 54, 1 ein harmonischer Verlauf in kleinen Terzen, bei dem von G-Dur über
B-Dur nach Des-Dur moduliert wird. Besonders in Beethovens und Schuberts Werken
finden sich Harmonieverläufe sowohl in großen, als auch in kleinen Terzen.76 Auch in
Liszts Musik finden sich diese Wendungen sehr häufig. Möglicherweise hat Anton
Reicha, bei dem Liszt 1826 Unterricht im Kontrapunkt nahm, ihn in diesem
Zusammenhang beeinflußt. Reicha ermutigte seine Schüler darin, ungewöhnliche
harmonische Wendungen zu verwenden, und veröffentlichte 1803 selbst das Aufsehen
erregende Werk 36 Fugues d'après un nouveau système. In diesen Fugen beantwortet er
die Themen nicht wie üblich in der Quint, sondern in großen und kleinen Terzen, die
von Einsatz zu Einsatz fortschreiten.77
Die ersten Anzeichen für Terzschichtungen finden sich schon in Liszt Frühwerk. So
sind die 1827 komponierten Jugendetüden in Tonarten geschrieben, die in einer direkten
Terzverwandschaft zueinander stehen.78 In den Klavierwerken Lyon (1834) und
Harmonies poétiques et religieuses (Erstfassung 1835) finden sich Akkordfolgen in
kleinen
Terzen.79
Auch
im
Modulationsverlauf
ganzer
Sätze
lassen
sich
Kleinterzschichtungen nachweisen. Ein Beispiel hierfür ist die Fantasie Réminiscences
de Lucrezia Borgia (1840), deren tonale Zentren C-Dur, A-Dur, Fis-Dur und Es-Dur
sind. Auch während der Analyse des Stückes Funérailles werden wir später einige
harmonische Verläufe finden, die auf demselben Prinzip beruhen.
76
77
78
79
Vgl. Gárdonyi, Neue Tonleiter- und Sequenztypen (Anm. 48), S. 175-180.
Vgl. Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 23ff.
Ebd.
Vgl. Gárdonyi, Neue Tonleiter- und Sequenztypen (Anm. 48), S. 177.
39
1.4 Harmonische Verläufe
Wie wir gesehen haben, basieren die letzten Werke Liszts harmonisch hauptsächlich auf
dem übermäßigen Dreiklang und dem verminderten Septakkord. Eine weitere
harmonische Eigenheit, die auffällt, ist das häufige Auftreten von Harmonieverläufen in
großen und kleinen Sekunden. Chromatische Verläufe von verminderten Septakkorden
scheinen Liszt schon in seiner Jugend fasziniert zu haben. So kommt zum Beispiel in
seinem im Alter von 13 Jahren komponierten Klavierstück Allegro di bravura (1824)
eine ansteigende Linie von chromatisch versetzten Septakkorden vor.80
Der folgenden Tabelle kann man Werke entnehmen, in denen harmonische Verläufe in
großen und kleinen Sekunden in unterschiedlicher Form auftreten.
Stück
Anmerkung
Nuages gris (T. 11-20)
Ein übermäßiger Dreiklang wird über eine gleichbleibende
Bassmelodie chromatisch verschoben.
La lugubre gondola I
Der zweite Teil steht um eine große Sekunde tiefer als der erste.
(Teil A1 und A2)
La lugubre gondola I
Die Harmonien fallen in gr. Sekunden ab während die Melodie in
(T. 77-100)
großen aufsteigenden Sekunden real sequenziert wird.
La lugubre gondola II
Der Vordersatz der Anfangsphrase wird in kleinen absteigenden
(T. 1-26)
Sekunden 2-mal real sequenziert.
La lugubre gondola II
Das Thema wird im Gegensatz zu "La lugubre gondola I" eine
(T. 35-51 u. T. 52-68)
kleine Sekund tiefer real sequenziert.
La lugubre gondola II
Reale Sequenz um einen Ganzton tiefer.
(T. 69-88 u. T. 89-108)
Unstern! (T. 21-44)
Drei reale Sequenzen um einen Ganzton höher.
Unstern! (T. 58-70)
Ein übermäßiger Dreiklang wird über eine gleichbleibende
Bassmelodie chromatisch verschoben.
80
Vgl. Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 11.
40
1.4 Harmonische Verläufe
Harmonische Verläufe in großen und kleinen Sekunden ergeben sich ganz automatisch
aus der Verwendung von übermäßigen Dreiklängen oder verminderten Septakkorden in
Verbindung mit realen Sequenzen. In Notenbeispiel 35 sieht man exemplarisch die
realen Sequenzmöglichkeiten des übermäßigen Dreiklangs, die Möglichkeiten beim
verminderten Septakkord verhalten sich in ähnlicher Weise. Bezogen auf reale
Sequenzen, bietet diese Harmonik nur eine begrenzte Anzahl an Varianten. So erzeugt
zum Beispiel eine reale Sequenzierung von übermäßigen Dreiklängen in Quarten immer
einen Harmonieverlauf in kleinen Sekunden.
Notenbeispiel 35: reale Sequenzmöglichkeiten beim übermäßigen Dreiklang
Das häufige Auftreten dieser harmonischen Verbindungen in Liszts Spätwerk kann
somit als eine Konsequenz des in diesen Stücken verwendeten harmonischen Materials
gedeutet werden. Andererseits kommt aber gerade dieses harmonische Material Liszts
Vorliebe zur Chromatik, die er bereits in früheren Werken bewiesen hatte, sehr
entgegen.
41
1.5 Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien
1.5 Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien
Eine weitere Kompositionstechnik, die ich im Zusammenhang mit Liszts Spätwerk für
erwähnenswert halte, ist das chromatische Verändern von Themen und Harmonien. Bei
diesem Verfahren werden einzelne Töne eines Themas oder einer Harmonie um einen
Halbton abgeändert, um so zu einer neue Variante zu gelangen.
Carl Dahlhaus hat bei seiner Analyse der symphonischen Dichtung Mazzepa diese
Kompositionstechnik als "Alternativchroma" bezeichnet. Er untersuchte dabei die
thematischen Variationen des Werkes.81 "Dahlhaus sieht im Alternativchroma ein (von
Liszt entdecktes) Pendant zur Modulation, das besonders 'unter den Bedingungen
des Nicht-Modulierens, die im Variationszyklus gelten' sinnvoll ist."82 Dieter
Torkewitz konnte dieselbe Kompositionstechnik in dem Klavierstück Harmonies
poétiques et religieuses (Erstfassung 1835) nachweisen. Nur, dass Liszt hier die
chromatisch abgeänderte Variation nicht auf ein Thema, sondern auf die Harmonik
selbst anwendet.83 Auch Ramon Satyendra hat sich ausführlich mit dieser
Kompositionstechnik im Zusammenhang mit Liszts Musik auseinandergesetzt und
bezeichnet dieses Verfahren als "inflected repetition". Er weist darauf hin, dass man
diese Technik auch in der Symphonie fantastique (1830) von Berlioz und bei Donizetti
findet.84 Liszt, der mit Berlioz seit der Uraufführung der Symphonie fantastique am
5. Dezember 1830 befreundet war, hat 1833 eine Klavierübertragung dieses Werkes
veröffentlicht und war deshalb mit den darin eingesetzten Kompositionstechniken sicher
bestens vertraut.85
Das Aternativchroma ist eine Technik, die mit einigen der bisher beschriebenen
Kompositionstechniken in einer Wechselbeziehung steht. So besteht zum Beispiel die
Verbindung von Dur und Molldreiklängen mit übermäßigen Dreiklängen aus dem
chromatischen Abändern nur eines Tones. Genau so verhält es sich bei der Auflösung
eines übermäßigen Dreiklangs. Auch chromatische Harmoniefolgen kann man mit
diesem Prinzip in Verbindung bringen. Weiters ist in diesem Zusammenhang Liszts
81
82
83
84
85
Carl Dahlhaus, Mazzepa, in: Analyse und Werturteil, Mainz 1970, S. 85-89.
Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 59.
Vgl. Ebd., S. 59f.
Vgl. Ramon Satyendra, Conceptualising Expressive Chromaticism in Liszt's Music, in: Music Analysis
(Bd. 16,2), 1997, S. 219-252, hier S. 221.
Raabe, Liszts Leben (Anm. 1), S. 275ff
42
1.5 Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien
Beschäftigung mit antiken Kompositionstechniken, wie dem Erweitern eines
Tetrachords durch Hinzufügen eines Tones, zu nennen.86 Diese Wechselbeziehungen
zwischen den Kompositionstechniken machen es fast unmöglich eine dieser Techniken
isoliert von den anderen zu betrachten, da sie sich immer gegenseitig erweitern,
ergänzen und bedingen.
Ein Werk, bei dem diese Zusammenhänge besonders gut nachvollziehbar sind, ist das
Klavierstück R.W. Venezia (1883). Fast das gesamte harmonische Gerüst dieses Stückes
lässt sich mit einer chromatischen Variation der ersten vier Takte erklären. In
Notenbeispiel 36 sieht man den harmonischen Verlauf der Takte 1-24. Um das Beispiel
übersichtlicher zu gestalten, habe ich dabei einige Tonverdoppelungen ausgespart. Man
kann gut erkennen, wie der Ausgangsklang, ein übermäßiger Dreiklang auf Cis, durch
chromatische Veränderungen immer weiter variiert wird. In gleicher Weise wird auch
das sich immer wiederholende Bassmotiv der ersten beiden Takte variiert.
Notenbeispiel 36: Harmonisches Gerüst von R.W. Venezia, T. 1-24
Cis-Übem.
b-Moll
D-Überm.
h-Moll
Dis-Überm.
Aber die chromatische Variation macht bei weitem noch nicht die gesamte Substanz
dieses Stückes aus. Zum einen entsteht durch die Variation eine Harmoniefolge, die drei
chromatisch versetzte übermäßige Dreiklänge auf Cis, D und Dis enthält. Zum anderen
werden die ersten beiden übermäßigen Dreiklänge dieser Harmoniefolge in
Molldreiklänge aufgelöst. Die in Notenbeispiel 36 nicht behandelte Melodielinie der
Takte 5-7 lässt sich auch als eine chromatische Veränderung des Ausgangsakkords
auffassen. Die Chromatik dieser Linie bereitet durch ihre Viertelbewegung auch die
Überleitungstakte 24-30 vor. In Takt 24 folgt ein vierter chromatisch versetzter
übermäßiger Dreiklang auf E und leitet die Überleitung (Takte 24-30) zum nächsten
Teil (Takte 31-42) des Stückes ein.
86
Zu den Zusammenhängen zwischen Alternativchroma und griechischen Tetrachorden vgl. auch:
Satyendra, Conceptualising Expressive Chromaticism (Anm. 84), S. 225-230 und Szelényi, Der
unbekannte Liszt (Anm. 44), S. 311-331.
43
1.5 Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien
Die Überleitung (Notenbeispiel 37) führt die chromatisch versetzten übermäßigen
Dreiklänge des ersten Teils zunächst fort. Ab Takt 28 wird diese Linie jedoch in eine
neue Linie abgeändert, die aus einem Wechsel zwischen einem übermäßigen Dreiklang
auf A und einem gis-Moll-Dreiklang besteht. Bis zu diesem Takt wurden harmonische
Wechsel in R.W. Venezia immer durch chromatische Veränderung der vorangegangenen
Harmonie erreicht. Der Wechsel zwischen A-Übermäßig und gis-Moll beinhaltet zum
ersten Mal eine Veränderung der Harmonie um zwei Ganztöne (Cis zu H und F zu Dis).
David Butler Cannata erklärt den gis-Moll-Dreiklang in seiner Analyse von
R.W. Venezia als eine verspätete Auflösung des übermäßigen Dreiklangs auf Dis, der
im ersten Teil als Einziger nicht in einen Molldreiklang aufgelöst wurde.87 Interessant
ist auch, dass die Takte 28-29 dem Tonvorrat der akustischen Skala auf H entstammen
(vgl. Kapitel 1.2.4 Die mixolydische Skala mit erhöhter Quart (akustische Skala)). Die
Überleitung endet in Takt 30 auf dem übermäßigen Dreiklang auf Cis, dem
Anfangsakkord des Stückes.
Notenbeispiel 37: R.W. Venezia, T. 24-30
Der nächste Teil (Takt 31-42) von R.W. Venezia beginnt mit einem B-Dur-Dreiklang,
der wieder als chromatische Veränderung der Ausgangsharmonie aufgefasst werden
kann. Die Akkordfortschreitung der Takte 31-42 kann man auf vielerlei Arten erklären.
Einerseits
handelt
es
sich
um
eine
Akkordfortschreitung,
in
der
zwei
aufeinanderfolgende Akkorde immer zwei gemeinsame Töne enthalten. Durch dieses
harmonische Band kann man jeden Akkordwechsel auch als Veränderung des
vorherigen Akkordes um einen Halbton oder um einen Ganzton auffassen. Diese
Auffassung ist nicht ganz abwegig, wenn man bedenkt, dass der erste Teil des Stückes
auf chromatischen Veränderungen beruht und die Veränderung der Harmonie um einen
87
Vgl. David Butler Cannata, Perception & Apperception in Liszt's Late Piano Music, in: The Journal of
Musicology (Bd. 15,2), 1997, S. 178-207, hier S. 182f.
44
1.5 Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien
Ganzton erst drei Takte vorher in der Überleitung eingeführt wurde (die wechselnden
Akkorde der Takte 28-29).
Andererseits kann man den Harmonieverlauf dieses Teiles auch als Ganzes betrachten.
Es handelt sich dabei um nichts anderes als um reale Sequenzen in kleinen Terzen, die
zur Harmoniefolge B-Des-E führen. Natürlich ergibt sich aus diesen realen Sequenzen
auch wieder ein Ausschnitt der Halbton-Ganzton-Skala (vgl. Notenbeispiel 32).
Der letzte Akkord dieses Teiles, ein A-Dur-Dreiklang (Takt 42), leitet in den
letzten Teil des Stückes über, den David Butler Cannata als Coda bezeichnet.88 Diese
Coda beginnt wieder mit einem übermäßigen Dreiklang auf Cis, den man als
chromatische Veränderung des vorangegangenen A-Dur-Dreiklangs auffassen kann. Die
absteigende Melodielinie, mit der das Stück endet, besteht aus den Tönen der
Dreiklänge Cis-Übermäßig und b-Moll, mit denen R.W. Venezia begann.
Es gibt wahrscheinlich noch zahlreiche weitere Möglichkeiten R.W. Venezia zu
interpretieren. Auf die Beziehung dieses Stückes zu Richard Wagners Tod am
13. Februar 1883 und zu dem Klavierstück Am Grabe Richard Wagners (1883) bin ich
in dieser Analyse bewusst nicht eingegangen. Ich verweise hier auf die Analysen von
Bernard C. Lemoine89, Dorothea Redepenning90, Gerhard J. Winkler91, Zdenek
Skoumal92, David B. Cannata93 und James M. Baker94, die zum Teil unterschiedlichste
Ansätze verfolgen und damit belegen, wie reichhaltig die Assoziationen sind, die Liszt
mit seiner Musik in uns auslöst. Auch zeigen diese Analysemodelle, wie komplex und
vielschichtig die Beziehungen zwischen Liszts Kompositionstechniken sind und auch,
dass sie sowohl mit denen der Romantik als auch mit denen der Musik des
20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden können. Es würde keinen Sinn machen
eine dieser Kompositionstechniken aus dem Zusammenhang zu reißen, da sie immer nur
einen kleinen Ausschnitt eines größeren Bildes vermitteln können.
88
89
90
91
92
93
94
Vgl. Ebd., S. 183.
Vgl. Lemoine, Tonal organisation (Anm. 28), S. 126f.
Vgl. Dorothea Redepenning, Erinnerung und Vergessen: Bemerkungen zu einigen Spätwerken Franz
Liszts, in: Liszt-Studien 3, München/Salzburg 1986, S.119-127, hier S. 124ff.
Vgl. Winkler, Liszt contra Wagner (Anm. 4) S. 200-203.
Vgl. Skoumal, Liszt's Androgynous Harmony (Anm. 35), S. 67ff.
Vgl. Cannata, Perception & Apperception (Anm. 87), S. 179-183.
Vgl. James M. Baker, The Limits of Tonality in the Late Music of Franz Liszt, in: Journal of Music
Theory (Bd. 34, 2), 1990, S. 145-173, hier S. 167-171.
45
Kapitel 2 - Funérailles
KAPITEL II
LISZTS KLAVIERSTÜCK 'FUNÉRAILLES'
Der zweite Teil dieser Arbeit enthält eine Analyse des Klavierstücks Funérailles (1849)
aus dem Zyklus Harmonies poétiques et religieuses (1848-53). Ich stelle im Verlauf
dieser Analyse die in Funérailles angewandten Kompositionstechniken den Techniken
des Spätwerks in einem Vergleich gegenüber.
Der Titel Harmonies poétiques et religieuses bezieht sich auf die gleichnamige
Gedichtsammlung von Alphonse de Lamartine. Die erste Fassung von Harmonies
poétiques et religieuses war ursprünglich als einzelnes Klavierstück im Jahre 1835
erschienen. In einer umgearbeiteten Fassung wurde dieses Einzelstück später in das
1853 erschienene Sammelwerk Harmonies poétiques et religieuses unter dem Namen
Penseé des morts aufgenommen (vgl. Einleitung S. 5).95 Liszt scheint für den Zyklus
Harmonies poétiques et religieuses eine besondere Vorliebe gehabt zu haben.
In späteren Jahren, als er längst nicht mehr öffentlich auftrat, spielte er im Freundeskreis
noch gerne Stücke aus diesem Zyklus vor. Eines dieser Stücke war Funérailles.96
Liszt wurde von der misslungenen ungarischen Revolution (1848-1849) zu Funérailles
inspiriert. Auf diese Ereignisse bezieht sich wahrscheinlich auch die Angabe "Oktober
1849" im Notentext. Am 3. Oktober 1849 kapitulierten die letzten ungarischen
Revolutionäre gegenüber den österreichischen Besatzern. Es wurde schon frühzeitig
vermutet, dass auch ein Zusammenhang zwischen Funérailles und Chopins Tod besteht.
Diese Vermutung wurde jedoch nach einer Veröffentlichung Lina Ramanns
fallengelassen.97 Laut Ramann bezieht sich Funérailles statt dessen auf den Tod des
Fürsten Felix Lichnowsky und der Grafen Ladislaus Teleky und Ludwig Batthyanyi.98
Allerdings lässt sich ein Bezug zu Chopin nicht ganz leugnen. Liszt selbst hat sogar,
laut seinem Schüler August Gollerich, auf einen Zusammenhang zwischen Chopins
95
96
97
98
Vgl. Dieter Torkewitz, Die Erstfassung der "Harmonies Poétiques et Religieuses" von Liszt, in: Liszt
Studien 2, München/Salzburg 1981, S. 220-236, hier S. 220.
Vgl. Peter Raabe, Liszts Schaffen, Meisenheim/Glan 1968, S. 57.
Vgl. Torkewitz, Harmonisches Denken (Anm. 12), S. 101.
Vgl. Raabe, Liszts Schaffen (Anm. 96), S. 248.
46
Kapitel 2 - Funérailles
As-Dur-Polonaise op. 53 und Funérailles hingewiesen.99 Adrienne Kaczmarczyk weist
zusätzlich noch auf einen Beziehung zu Liszts unvollendeter Revolutions-Symphonie
(1830) hin.100
Der Untertitel dieser Arbeit lautet: "Eine Gegenüberstellung kompositorischer
Verfahren im Früh- und Spätwerk unter besonderer Berücksichtigung des Klavierstücks
Funérailles". Da Funérailles ungefähr 1849 von Liszt komponiert wurde, also im Alter
von fast 40 Jahren, muss ich hier kurz darauf eingehen, warum ich dieses Werk
trotzdem zu Liszts früheren Werke zähle. Der Grund dafür liegt in Liszts Biografie.
Nachdem die erste Fassung von Harmonies poétiques et religieuses 1835 zu einem
Misserfolg geworden war, kündigte Liszt an das Werk in einer neuen Fassung als Teil
eines Sammelwerkes herauszubringen. Liszt versprach zu dieser Zeit auch noch weitere
Werke herauszubringen, die seine Fähigkeiten als Komponist unter Beweis stellen
sollten. Dieses Versprechen blieb jedoch für lange Zeit uneingelöst, was ihm bei
Publikum und Kritik einen zweifelhaften Ruf einbrachte. Einer der Gründe, warum
Liszt in den Jahren zwischen 1835 und 1848 kaum künstlerisch hochwertige Musik
veröffentlichte, war seine Tätigkeit als Klaviervirtuose. Er schrieb zwischen 1835 und
1848 hauptsächlich Gebrauchsmusik und Transkriptionen fremder Werke, die er in
seinen Konzerten aufführte. Dies änderte sich erst mit seiner Tätigkeit als Kapellmeister
in Weimar 1848. In dieser Zeit holte Liszt die versäumten Jahre nach und es entstanden
die musikalischen Monumente, für die er noch heute berühmt ist. Funérailles war eines
der ersten in Weimar komponierten Stücke, deshalb analysiere ich es in dieser Arbeit
stellvertretend für die "frühen" Werke Liszts.
99
100
Vgl. Adrienne Kaczmarczyk, The Genesis of the Funérailles. The Connections between Liszt's
"Symphonie révolutionnaire" and the Cycle "Harmonies poétiques et religieuses", in: Studia
Musicologica Academiae Scientiarum Hungaricae (Tl. 35,4), 1993-1994, S. 361-398, hier S. 370.
Ebd., S. 361.
47
2.1 Formaler Überblick über 'Funérailles'
Zur Erinnerung fasse ich die Kompositionstechniken des Spätwerks, die im Verlauf der
Analyse von Funérailles relevant sind hier nochmals zusammen:
•
Verminderte und übermäßige Dreiklänge (vgl. Kapitel 1.1)
•
Enge Beziehung zwischen I. Stufe und Mollneapolitaner (vgl. Kapitel 1.1,
Kapitel 1.2.1 und Kapitel 1.2.2)
•
Reale Sequenzen (vgl. Kapitel 1.4)
•
Distanzprinzip – Teilung der Oktav in äquidistante Intervalle (vgl. Kapitel 1.4)
•
Chromatische Veränderung von Motiven und Harmonien (vgl. Kapitel 1.5)
2.1 Formaler Überblick über 'Funérailles'
Den großformalen Ablauf von Funérailles (Abbildung 1) kann man als eine dreiteilige
Strophenform mit einer Einleitung (Takte 1-23) und einer stark reduzierten Reprise
(Takte 156-192) bezeichnen. Diese dreiteilige Form besitzt mehrere Gemeinsamkeiten
mit der klassischen Sonatensatzform. Beispielsweise steht die Einleitung in der
Dominantregion und das zweite, kontrastierende Thema in der Tonart der
Tonikaparallele. In der Reprise kommt nach der Wiederholung des ersten Themas
(Takte 156-167) eine Rückführung (Takte 168-176) zur Haupttonart f-Moll – auch das
deutet auf eine Verwandtschaft mit der Sonatensatzform hin.
Da ich in meiner Analyse von Funérailles öfters auf die Zusammenhänge mit der
Sonatensatzform eingehen werde, bezeichne ich die ersten beiden Teile des Werkes als
"Hauptthema" (Takte 24-55) und "Seitenthema" (Takte 56-108). Dies soll jedoch nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Überreste der Sonatensatzform in Funérailles nur
einen kleinen Teil der formalen Konzeption ausmachen. Zum einen gibt es statt einer
Durchführung ein drittes Thema (Takte 109-155 – im Folgenden: "Fanfarenthema" oder
"Fanfare"), das in seinem Charakter einer Fanfare ähnelt. Der Beginn dieser Fanfare
wird ebenso wie das Hauptthema und das Seitenthema in der Reprise wiederholt.
Allerdings wirkt diese Wiederholung zugleich auch als eine Coda, da sie über dem
Pedalton der Haupttonart f-Moll den Schluss des Stückes einleitet.
48
Abbildung 1: Formaler Überblick über Funérailles
2.1 Formaler Überblick über 'Funérailles'
49
2.1 Formaler Überblick über 'Funérailles'
Ein weiterer Unterschied zur Sonatensatzform sind die Überleitungen zwischen den
einzelnen Teilen – in Funérailles sind die überleitenden Takte direkt in die Schlusstakte
der Themen integriert. Dies unterstreicht den strophenartigen Charakter des formalen
Ablaufs, da jeder Teil einerseits in sich abgeschlossen ist, andererseits aber logisch in
den nächsten Teil überleitet.
Durch das Fehlen einer Durchführung findet auch die Themen- und Motiventwicklung
in Funérailles auf einer anderen Ebene statt – nämlich innerhalb der einzelnen Teile.
Die Einleitung, und das Hauptthema von Funérailles haben einen ähnlichen formalen
Aufbau: Das Thema, bei dem es sich um eine satzartige Struktur handelt, wird einmal
wiederholt. Der Vordersatz dieser Wiederholung enthält zwar meist nur leichte,
satztechnische Änderungen, diese modifizieren den Charakter des Themas allerdings in
einer Weise, dass man von einer ersten Entwicklung sprechen kann. Der Nachsatz der
Wiederholung wird so abgeändert, dass er in den nächsten Teil überleitet und entwickelt
das Thema und dessen Motive noch weiter. In Abbildung 2 sieht man diesen formalen
Aufbau am Beispiel der Einleitung dargestellt.
Abbildung 2: Formaler Überblick der Einleitung
50
2.1 Formaler Überblick über 'Funérailles'
Das Seitenthema und die Fanfare von Funérailles sind dreiteilige Formmodelle. Das
Interessante an diesen Modellen ist, dass der zweite Teil vom Thema des ersten Teiles
abgeleitet ist. In diesem Mittelteil wird das Thema verändert und weiterentwickelt, was
im Falle des Seitenthemas diesem Teil einen durchführungsartigen Charakter verleiht.
Im dritten Teil wird das Thema des ersten Teils in einer abgeänderten Variante
wiederholt.
Eine weitere Motiventwicklung lässt sich zwischen dem Hauptthema und dem
Seitenthema feststellen. Die Nachsätze dieser Teile sind einander in ihrem Charakter
sehr ähnlich. In Abbildung 3 sieht man einige der entwickelten Motive in einer
Gegenüberstellung.
Die
Takte
101-108
wirken
fast
wie
eine
vergrößerte
Zusammenfassung der vorangegangenen Nachsätze. Besonders auffällig ist, dass die
Takte 52-55 und die Takte 101-108, die zeitlich am weitesten von einander entfernt
sind, fast aus demselben Tonvorrat bestehen.
Abbildung 3: Motiventwicklung zwischen Haupt- und Seitenthema
Takte 68-71
Takte 76-79
Takte 84-88
Takte 52-55
Takte 101-108
51
2.2 Teil A – Die Einleitung
2.2 Teil A – Die Einleitung
Die Haupttonart von Funérailles ist f-Moll. Allerdings zögert Liszt die Bestätigung
dieser Tonalität bis zum Beginn des Hauptthemas hinaus (Takt 24). Die gesamte
Einleitung kann harmonisch als ein einziger Auftaktakkord auf der Dominante
angesehen werden. Allerdings beinhaltet sie einige Schlüsselstellen, die für den
weiteren Verlauf des Stückes von Bedeutung sein werden.
Die Einleitung gliedert sich in drei Teile (im Folgenden: A1, A2 und A3 – vgl.
Abbildung 1) und erstreckt sich über die Takte 1-23. Wie bereits angedeutet ist der
Vordersatz von Teil A2 (Takte 10-13) eine Wiederholung des Vordersatzes von Teil A1
(Takte 2-5), mit dem Unterschied, dass die Stimmen etwas anders ausgesetzt wurden,
wodurch sich in Verbindung mit der intensivierten Dynamik der Charakter stark ändert.
Ein
wichtiges
kompositorisches
Element,
das
Liszt
in
Funérailles
immer
wieder einsetzt, sind Doppelfunktionen, also harmonische Verbindungen, die
funktionstheoretisch in mehrfacher Weise gedeutet werden können (vgl. S. 10). Die
erste Doppelfunktion, die in diesem Zusammenhang auftritt, ist die Wechselbeziehung
zwischen dem f-Moll-Dreiklang und dem Des-Dur-Dreiklang. Mit diesen beiden
Dreiklängen verwandt sind der übermäßige Dreiklang auf Des und der F-Dur-Dreiklang
(Notenbeispiel 38).
Notenbeispiel 38: Harmonisches Band der Dreiklänge
f-Moll Des-Dur F-Überm.
F-Dur.
Diese Akkorde besitzen ein harmonisches Band, weshalb sie als Stellvertreter für
einander angesehen werden können. Der übermäßige Dreiklang auf F beziehungsweise
Des kann als Bindeglied zwischen den Tonarten f-Moll/F-Dur und Des-Dur aufgefasst
52
2.2 Teil A – Die Einleitung
werden. Zusammen bilden diese Dreiklänge eine Akkordfamilie, auf die Liszt in
Funérailles immer wieder Bezug nimmt. Die Doppelfunktion des Tonikagegenklangs in
Moll ist zu Liszts Zeit, durch seine Funktion als Tonika-Stellvertreter im Trugschluss,
natürlich nichts Neues mehr.
Bis Takt 17 unterliegt den harmonischen Fortschreitungen ein Pedalbass auf der
V. Stufe (C), der als Dominantpedal den Bezugspunkt zur Zieltonart f-Moll darstellt.
Der erste Hinweis auf die Bedeutung von Des-Dur findet sich schon im ersten Ton von
Funérailles. Noch bevor der Pedalbass einsetzt, erklingt im Bass ein Des. Dieses Des
trübt die Farbe des Pedaltons C1 drei Takte lang durch das Intervall der kleinen None
ein und verschleiert so die anfangs auch aus anderen Gründen instabile Tonart
(Notenbeispiel 39).
Notenbeispiel 39: Funérailles, Takte 1-3
Ein weiteres wichtiges kompositorisches Element in diesem Werk ist der verminderte
Septakkord. Er tritt zum ersten Mal in Takt 2 über dem C-Pdeal als Dominante mit
tiefalterierter None auf. In Takt 3 wird er jedoch nicht in die Tonika f-Moll aufgelöst,
sondern in den Tonikagegenklang Des-Dur weitergeführt. Ebenfalls in Takt 3 setzt Liszt
einen fis-Moll-Dreiklang (letztes Achtel), die tiefalterierte II. Stufe von f-Moll. Dieser
Akkord wird hier zwar nur als kurzer chromatischer Wechselakkord zu Des-Dur
eingeführt, er wird jedoch im Verlauf des Stückes noch eine wichtige Rolle einnehmen.
Die Beziehung zwischen dem Molldreiklang auf der erniedrigten II. Stufe und der DurTonika wurde bereits ausführlich in Kapitel 1.1 dargestellt. Hier tritt dieser Dreiklang
nun im Kontext einer Molltonart auf. An dieser Stelle ist darüber hinaus auch noch
seine Beziehung zum Tonikagegenklang von Bedeutung – es handelt sich um dessen
Mollsubdominante.
53
2.2 Teil A – Die Einleitung
In den Takten 4-5 folgt eine reale Sequenz (vgl.Kapitel 1.3) der Takte 2-3, um eine
große Sekund höher. Durch den Einsatz einer realen Sequenz wird die Tonart f-Moll
hier noch weiter verschleiert und es entsteht kurzzeitig der Eindruck als sei die
Grundtonart g-Moll. Danach wird die Melodie nochmals eine große Sekund höher
sequenziert (Takte 6-7). Die zugrunde liegenden Harmonien werden hier jedoch
zugunsten von verminderten Dreiklängen abgeändert, was zur Folge hat, dass in Takt 7
die Tonalität des Stückes nahezu aufgehoben wird. In meiner Analyse schließt der
Vordersatz des A1-Teils nach dieser 2. Sequenz (vgl. Abbildung 2). Dies sind auch jene
Takte, die im Teil A2 weitgehend auf denselben Tonstufen wiederholt werden.
Im Nachsatz des Teils A1 (Takte 8-9) werden die Motive des vorangegangenen
Sequenzmodells abgespaltet und nach einem kurzen Umweg über As-Dur – die Tonart
des Seitenthemas – folgt eine chromatische Linie von verminderten Dreiklängen, die
diesen ersten Teil beendet (Notenbeispiel 40). Der Nachsatz des Teils A2 (Takte 16-17)
ist eine Variation dieser chromatische Linie. Allerdings wird sie nicht mehr mit
verminderten Dreiklängen ausgesetzt sondern mit großen Terzen und Oktaven
(Notenbeispiel 41). Damit bereitet Liszt in diesen Nachsätzen die für Funérailles
wichtigen Elemente der Kleinterzschichtung (entspricht dem verminderten Septakkord)
und der Großterzschichtung (entspricht dem übermäßigen Dreiklang) vor.
Notenbeispiel 40: Funérailles, Takte 9-10
Notenbeispiel 41: Funérailles, Takt 17
54
2.2 Teil A – Die Einleitung
Die ersten Takte des Teils A3 (Takte 18-19) sind für den weiteren Verlauf des Stückes
von besonderer Bedeutung, da sie gleich mehrere in Funérailles wichtige musikalische
Elemente in komprimierter Form einführen. Takt 18 beginnt mit einem liegenden des1
im fff, auf dem die Musik plötzlich inne hält. Ein Des-Dur-Akkord an dieser Stelle
würde dem oben erwähnten Trugschluss in Moll entsprechen. Liszt bildet unter diesem
des1 jedoch in Takt 19 mittels hinzugefügter großer Terzen einen übermäßigen
Dreiklang auf F, den er schließlich in einen A-Dur-Dreiklang (2. Umkehrung)
weiterführt (Notenbeispiel 42).
Notenbeispiel 42: Funérailles, Takte 18-19
Die Takte 20-22 scheinen zunächst eine erneute Wiederholung des Teils A1 zu
sein (Notenbeispiel 43). Unter derselben Akkordfolge erklingt nun allerdings ein
Pedalbass auf Des1, womit sich die Tonart in Takt 21 nach Des-Dur abändert.
Der Des-Dur-Septakkord auf der dritten Viertel dieses Taktes stellt allerdings, als
Stellvertreter der Doppeldominante101, sofort wieder den Bezug zur Haupttonart f-Moll
her. In Takt 22 erklingt auf die zweite Viertel kurz der Neapolitaner (tiefalterierte
II. Stufe) von Des-Dur, der danach in einen verminderten Septakkord auf E (Dominante
in f-Moll) weitergeführt wird. Somit wird im Teil A3 eine harmonische
Großterzschichtung erreicht – von A-Dur über Des-Dur nach f-Moll.
Notenbeispiel 43: Funérailles, Takte 20-23
101
Des-Dur-Septakkord als Tritonusstellvertreter der Doppeldominante G7 ohne Grundton mit kleiner
None und tiefalterierter Quint.
55
2.3 Teil B – Das Hauptthema
2.3 Teil B – Das Hauptthema
Dieser Abschnitt von Funérailles (Takte 24-55) steht in der Tonart f-Moll. Die
Beziehung zwischen der auf einem Dominantpedal basierenden Einleitung und dem
Hauptthema ist also formal gesehen sehr konventionell. Das Hauptthema gliedert sich in
zwei Abschnitte (im Folgenden: B1 und B2 – vgl. Abbildung 1), die wieder dem
eingangs erwähnten Formmodell entsprechen (vgl. S. 50).
Der Vordersatz (Takte 24-31) dieses Themas beginnt mit einem Wechsel zwischen
einem f-Moll Akkord und einem übermäßigen Dreiklang auf C (Notenbeispiel 44).
Notenbeispiel 44: Funérailles, Takte 24-27
Einerseits ist die Funktion dieses übermäßigen Dreiklangs natürlich dominantisch zu
f-Moll. Andererseits macht sich auch wieder die Doppelfunktion dieses Akkords
bemerkbar. Der übermäßige Dreiklang auf C steht zu f-Moll in derselben Beziehung,
die man im Spätwerk Liszts so häufig antrifft: f-Moll ist die tiefalterierte II. Stufe von
E-Dur (vgl. S.17). Diese Beziehung mag im ersten Moment etwas weit hergeholt
erscheinen, aber die Behandlung des übermäßigen Dreiklangs in diesen Takten ist für
eine Dominante recht ungewöhnlich. Zum einen führt die Bassmelodie in Takt 24/3.
Viertel zunächst zum Ton E. In Takt 25, in dem der Bass auf dem Grundton der
Dominante anlangt, erklingt darüber allerdings schon wieder ein f-Moll-Dreiklang. Zum
anderen wird in der Wiederholung dieser Takte (Takte 40-43) ein Pedalbass auf F/F1
unter die in den Diskant transponierte Melodie gesetzt. In der Reprise (Takte 156-192)
bestätigt Liszt schließlich die in diesen Takten nur angedeutete Doppelfunktion von
56
2.3 Teil B – Das Hauptthema
f-Moll und E-Dur, indem nach der Einrichtung der Haupttonart das Seitenthema nicht –
wie im klassischen Sonatensatz üblich – in der Tonart des Hauptthemas f-Moll steht,
sondern in E-Dur (Takte 177-180).
Istvan Szelényi macht auf einen Zusammenhang zwischen der Basslinie der
Takte 24-27, einem Melodieausschnitt der in der Bagatelle ohne Tonart wieder
auftaucht und einem Tetrachord der antiken griechischen Musik aufmerksam
(vgl. S. 20). Szelényi bezeichnet diesen Tetrachord als "Lochryses Molltetrachord", da er
"aus dem 7-ten, 1-, 2- und 3-ten Ton des Zigeunermolls (und harmonischen Molls)
besteht" (Notenbeispiel 45).102 Wie wir bei den Analyses von von La lugubre gondola I / II
und Unstern! gesehen haben steht die Zigeunerskala in einer engen Beziehung zu der
Doppelfunktion Tonika/Mollneapolitaner.
Notenbeispiel 45: "Lochryses Molltetrachord"
Istvan Szelényi zeigt, dass man in Bagatelle ohne Tonart und Funérailles den
gleichen Intervallaufbau wie in diesem Tetrachord findet (Notenbeispiel 46 und
Notenbeispiel 47).103
Notenbeispiel 46: Bagatelle ohne Tonart
Notenbeispiel 47: Funérailles
102
103
Szelényi, Der unbekannte Liszt (Anm. 44), S. 316.
Vgl. Ebd., S. 317.
57
2.3 Teil B – Das Hauptthema
Der Nachsatz von Teil B1 (Takte 32-39) beginnt in der Tonart des Mollneapolitaners
fis-Moll, den Liszt in Takt 3 der Einleitung bereits angedeutet hatte. Interessant ist auch
die Rückmodulation nach f-Moll in den Takten 36-39 (Notenbeispiel 48), in denen Liszt
in die Tonart es-Moll (die Doppelsubdominante der Grundtonart) ausweicht.
Notenbeispiel 48: Funérailles, Takte 36-39
Ausweichung nach es-Moll
Es entsteht dadurch in diesem Teil wieder eine Harmoniefolge in Terzen: b-Moll
(Takte 28-31) → fis-Moll (Takte 32-35) → es-Moll (Takte 36-38). Der letzte Takt des
Nachsatzes (Takt 39) ähnelt dem Ende der Einleitung (vgl. Notenbeispiel 43), nur, dass
dieses Mal die Terz der Doppeldominante im Bass liegt.104 Die Dominante zu f-Moll,
auf das letzte Viertel dieses Taktes, ergibt zur Tonart es-Moll eine weitere kleine Terz
und leitet in den Teil B2 über, der eine leicht abgeänderte Wiederholung von B1 ist.
In Teil B2 setzt Liszt in den Takten 52-53 die chromatische Linie im Bass aus den
Takten 36-37 weiter fort und setzt auf das 3. und 4. Viertel von Takt 53 einen
verminderten Septakkord auf A (Notenbeispiel 49).
Notenbeispiel 49: Funérailles, Takte 52-55
104
Vgl. Anm. 101
58
2.3 Teil B – Das Hauptthema
Es macht wenig Sinn diesen Akkord noch funktionshamonisch deuten zu wollen. Es ist
hier vollkommen ungewiss, wie sich die Musik weiterentwickeln wird und auch der
nächste Akkord, ein A-Dur-Dreiklang mit Terz im Bass, macht erst im Nachhinein als
neapolitanischer Sextakkord in As-Dur einen Sinn, wird aber bei seinem Eintreten wohl
kaum als solcher gehört.
Um die vielen Assoziationen aufzuzeigen, die diese Verbindung (Av7 nach A-Dur mit
Terz im Bass) bei der Analyse auslösen kann, möchte ich es dennoch wagen mich dieser
Akkordfolge funktionsharmonisch aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern.
Die erste Möglichkeit wäre sie als Zwischendominante zur Subdominante in As-Dur zu
deuten (vgl. Abbildung 4). Gegen diese Interpretation spricht allerdings die eigenwillige
Stimmführung der Takte 53-54.
Abbildung 4: Funérailles, T. 53-54, Funktionsanalyse 1
in As-Dur
T.53
T.54
<C7 >m
sj
b9
3
Die zweite Möglichkeit besteht darin, den ersten Akkord (Av7) als einen Vorhaltsakkord
beziehungsweise Wechselakkord zu hören (vgl. Abbildung 5). Wiederum lässt die
Stimmführung zu wünschen übrig. Allerdings ist interessant, dass eben dieser
Wechselakkord kurz danach in Takt 56 vorkommt und zu einem wichtigen Element des
anschließenden Abschnitts wird (in diesem Fall Iv7 → I / As v7 → As-Dur).
Abbildung 5: Funérailles, T. 53-54, Funktionsanalyse 2
in As-Dur
T.53
T.54
NRÜwü6 -_.
1
5Te
3
59
2.3 Teil B – Das Hauptthema
Die Verbindung eines verminderten Septakkords zu einem Durdreiklang auf derselben
Stufe (zum Beispiel Av7 → A-Dur mit Terz im Bass) spielt in Funérailles eine wichtige
Rolle. In den Takten 68-71 (Notenbeispiel 50) findet man im Prinzip die gleiche
Harmoniefolge wie in den Takten 52-55 (vgl. Notenbeispiel 49). Allerdings wird in den
Takten 68-71 der verminderte Septakkord durch eine Zwischendominante ersetzt
(Takt 69 – C7 mit Terz im Bass), weshalb man die Verbindung hier als Trugschluss
hört – anstelle der Tonikaparallele f-Moll steht auf der 1. Viertel von Takt 70 ein
Fes-Dur-Sextakkord (der neapolitanische Sextakkord der Zieltonart es-Moll).
Notenbeispiel 50: Funérailles, Takte 68-71
in As-Dur:
in es-Moll:
Sh
<D7> m [Ah]
5
3
[sj
3
D7ZP - T ]m
a
3
Trugschluss
Diese letzte Interpretation der Akkordfolge ist meiner Meinung nach die, die Liszts
Gedankengang am nächsten kommt (obwohl Liszt natürlich nicht in Funktionen gedacht
hat) und sie ist die einzige, die auch den es-Moll-Quartsextakkord in Takt 53 (1. und
2. Viertel) zu deuten vermag. Wenn wir die Takte 53-54 mit diesem Hintergrundwissen
analysieren ist die Grundtonart b-Moll, in Takt 54 steht ein Trugschluss, der
es-Moll-Dreiklang entspricht der Subdominante (Abbildung 6). Man darf auch nicht
vergessen, dass die Takte 53-54 als Modulation von der Haupttonart f-Moll zur
Tonikaparallele As-Dur dienen. Für diesen Modulationsweg ist b-Moll, als
Subdominantregion von f-Moll und als Region der Subdominantparallele von
As-Dur, eine gut geeignete Übergangstonart.
Abbildung 6: Funérailles, T. 53-54, Funktionsanalyse 3
in b-Moll:
in As-Dur:
T.53
T.54
s C90u m [a]
sj V90Utp
5
3
3
T.55
D6R -_ /5E
3
Trugschluss
60
2.3 Teil B – Das Hauptthema
Dieser Trugschluss ist so interessant und ungewöhnlich, dass ich mich hier näher mit
ihm auseinander setzen möchte und ihn dem üblichen Trugschluss in Moll und der
regulären Auflösung einer Dominante gegenüberstelle. Um das Beispiel zu vereinfachen
steht es in c-Moll. Ich übertrage dabei die Stimmführung des traditionellen
Trugschlusses auf die Trugschluss-Varianten von Liszt (Notenbeispiel 51).
Notenbeispiel 51: Der Trugschluss zur tiefalterierten Dur-Tonika
reguläre Auflösung
in c-Moll:
D7
3
a
regulärer Trugschluss
in c-Moll:
Trugschluss nach
Liszt T.53-54:
Trugschluss nach
Liszt T.69-70:
D7
aG
D7
3
3
3
?
C90UP
?
3
Die Reduktion der entsprechenden Stellen bei Liszt:
Takte 53-54
Takte 69-70
Der einzige Ton des erwarteten Auflösungsakkords (b-Moll in Takt 53/54, f-moll in
Takt 69/70), der in Liszts Trugschlussakkorden noch vorhanden ist, ist die Terz (cis/des
bzw. As). Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet macht nun auch der Sprung im Bass
einen Sinn, da dadurch genau diese Terzen verdoppelt werden. Der üblicherweise
bei einem Trugschluss verdoppelte Grundton ist ja in der Liszt-Variante
tiefalteriert. Es ist nicht möglich diesen Trugschluss aus Sicht der Ursprungstonart
funktionsharmonisch sinnvoll zu bezeichnen, deshalb bezeichne ich ihn in dieser
Analyse als "Trugschluss zur tiefalterierten Dur-Tonika". Man könnte die VII. Stufe
zwar auch als Dur-Dominant-Gegenklang ansehen (DG), damit würde aber nicht
ausgedrückt, dass dieser Akkord eigentlich ein Stellvertreter der Tonika ist.
61
2.4 Teile C und D – Das Seitenthema
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass dieser Trugschluss wieder in
einer engen Beziehung zur oben beschriebenen Doppelfunktion – I-Moll | bI-Dur
(bzw. I-Dur | bII-Moll) – steht. In der Reprise von Funérailles wird er zum Beispiel
verwendet, um von der Haupttonart f-Moll zu der Tonart des wiederholten
Seitenthemas in E-Dur überzuleiten (Takte 174-177). Der letzte Akkord, der vor
dem Seitenthema steht, ist eine Dominante in f-Moll, während das Thema in E-Dur
einsetzt. Es ist auch bemerkenswert, dass die Grundtöne dieses Trugschlusses in großen
Terzen fortschreiten (C → E).
2.4 Teile C und D – Das Seitenthema
Das lyrische Thema dieses Abschnitts ist ein deutlicher Kontrast zum Hauptthema. –
Liszt folgt hierin wieder dem Beethovenschen Modell der Sonatensatzform. Ebenso
dem Modell entsprechend steht die Tonart des Seitenthemas (Takte 56-108) in As-Dur,
der Region der Tonikaparallele. Allerdings macht die Modulation nach As-Dur einen so
weiten Umweg, dass man die Tonikaparallele beim ersten Hören von Funérailles kaum
als solche identifizieren wird. Die Form besteht aus drei Teilen (im Folgenden: C1 C2 |
D1 D2 | C3 C4 – vgl. Abbildung 1).
In diesem Abschnitt wendet Liszt die von Dahlhaus beschriebene Kompositionstechnik
des "Alternativchromas" an (vgl. S. 42). Die Vordersätze aller Teile entstammen
demselben Thema. In den Vordersätzen des Mittelteils (Takte 72-88) wird dieses Thema
jedoch anders harmonisiert und das harmonische Gerüst danach durch chromatische
Veränderung einzelner Töne variiert. Durch diese Variation und durch die rasch
aufeinander folgenden Modulationen erhält der Mittelteil einen durchführungsartigen
Charakter.
62
2.4 Teile C und D – Das Seitenthema
Um den Vorgang dieser chromatischen Veränderungen zu veranschaulichen, habe ich in
Notenbeispiel 52 den ersten Vordersatz und die beiden Vordersätze des Mittelteils in
einer nach C-Dur transponierten Reduktion einander gegenübergestellt. Man sieht, dass
der Unterschied zwischen den Takten 72-75 und 80-83 minimal ist. Die Wirkung dieser
Änderung ist jedoch enorm. Man kann an dieser Gegenüberstellung auch gut erkennen
wie Liszt ein und dieselbe Melodie immer wieder in ein neues harmonisches Gewand
kleidet. Dieses Verfahren wirkt hier fast wie eine entwickelnde Variation, die nicht die
Melodie direkt verändert – wie wir es von Brahms und Schönberg kennen – sondern die
Melodie mit Hilfe der darunter liegenden Harmonien variiert.
Notenbeispiel 52: Reduktion der Vordesätze des Seitenthemas
Takte 56-59 von As-Dur nach C-Dur transponiert
A tE -. rüWÜ
.-
Et
A tE
-.
rüWÜ
.-
Et
Takte 72-75 von H-Dur nach C-Dur transponiert
Dz . o
A tü . t
D z .
o
A tü .
t
Takte 80-83 von F-Dur nach C-Dur transponiert
<D7>m Ah
A tü
.
t
<D7>m Ah
A (in As-Dur)
Trugschluss
63
2.4 Teile C und D – Das Seitenthema
Bei der harmonischen Entwicklung dieses Mittelteils spielt das Distanzprinzip eine
wichtige Rolle. Der Vordersatz von Teil D1 steht in H-Dur, der von Teil D2 steht, auf
das variierte Thema bezogen, in F-Dur. Allerdings muss zu Teil D2 angemerkt werden,
dass man ihn zunächst nicht in F-Dur wahrnimmt sondern eher in der Tonikaparallele
d-Moll. Das liegt daran, dass der Takt 79 auf A-Dur endet und man deshalb Takt 80
dominantisch zu d-Moll hört. Liszt verbindet die beiden Teile, indem er in der ersten
Hälfte von Takt 77 zunächst die Zwischendominante zur Subdominantparallele der
Bezugstonart H-Dur setzt – Gis-Dur-Septakkord (Notenbeispiel 53).
Notenbeispiel 53: Funérailles, T. 76-79
Statt in die erwartete Subdominantparallele (cis-Moll) wird dieser Akkord jedoch in
einen übermäßigen Dreiklang auf Cis weitergeführt, den Liszt im nächsten Takt nach
A-Dur auflöst. Diese harmonische Wendung hat Liszt bereits in der Einleitung von
Funérailles angekündigt (vgl. Notenbeispiel 42).
A-Dur steht zur folgenden Tonart F-Dur in einem Großterzverhältnis. Die harmonische
Wendung der Takte 82-83 (vgl. Notenbeispiel 52) entspricht wieder dem oben
vorgestellten Trugschluss und moduliert so um eine weitere Großterz nach Des-Dur.
Interessant ist allerdings, dass dieselbe Wendung hier durch die chromatische
Veränderung des ursprünglichen Themas um nur einen Ton entsteht. Der harmonische
Verlauf der Takte 78-83 (A-Dur → F-Dur → Des-Dur) leitet sich somit abermals von
der Struktur des übermäßigen Dreiklangs auf Des ab.
64
2.4 Teile C und D – Das Seitenthema
Wie bereits erwähnt entspricht der Trugschluss zur tiefalterierten Dur-Tonika auch
folgender Akkordverbindung: verminderter Septakkord auf der I. Stufe → Durdreiklang
auf der I. Stufe. Diese Verbindung kann, da der erste Akkord ein verminderter
Septakkord ist, in vier verschiedene I. Stufen aufgelöst werden. Reiht man mehrere
dieser Verbindungen aneinander und löst sie in unterschiedliche Toniken auf entsteht
eine Harmoniefolge in Kleinterzschichtung (Notenbeispiel 54).
Notenbeispiel 54: Auflösung des verminderten Septakkords auf der I. Stufe
As-Verm.
As-Dur
As-Verm.
kleine Terz
H-Dur
As-Verm.
D-Dur
kleine Terz
Diese Mehrdeutigkeit des verminderten Septakkords nutz Liszt in den Takten 99-104,
um von As-Dur über H-Dur und D-Dur nach Des-Dur zu gelangen. Im ersten Teil des
Seitenthemas kommt der verminderte Septakkord noch als Wechselakkord zur Tonika
vor (vgl. Takte 56-57: As-Vermindert → As-Dur), während er in den Takten 99-100 in
einen H-Dur-Dreiklang aufgelöst wird. Zwei Takte später (Takte 102-103) löst Liszt
denselben verminderten Septakkord (mit geändertem Bass: D statt As) schließlich in
einen D-Dur-Dreiklang auf. Dieses D-Dur deutet Liszt anschließend in den
neapolitanischen Sextakkord in Des um. Diese Umdeutung entspricht auch der
Wendung der Takte 53-54 in denen diese Verbindung zum ersten Mal auftritt.
Die Beziehung zwischen D-Dur und Des-Dur ist auch dieselbe wie zwischen der
I. Stufe und der tiefalterierten zweiten. Offensichtlich handelt es sich bei diesen
beiden harmonischen Wendungen und ihrer Beziehung zu einander um zentrale
kompositorische Elemente in Funérailles.
65
2.5 Fanfare und Reprise
2.5 Fanfare und Reprise
Bei der Fanfare (Takte 109-155) handelt es sich wieder um eine dreiteilige Form
(im Folgenden: E1 E2 | F1 F2 | E3 – vgl. Abbildung 1). An diesem Abschnitt fällt
zunächst auf, dass die einzelnen Teile harmonisch sehr viel einfacher gehalten sind, als
im übrigen Stück. Über einer ostinaten Bassfigur erklingt meist die Tonika, die
nur gelegentlich von der Dominante oder der Subdominante unterbrochen wird.
Liszt stellt den harmonischen Bezug zu den bisherigen Elementen hier nicht
innerhalb der einzelnen Teile her, sondern über den harmonischen Verlauf des
ganzen Abschnitts (vgl. Abbildung 1).
Die Tonarten der ersten drei Teile (E1, E2, F1) entsprechen der Großterzschichtung
Des-A-F, also jenem übermäßigen Dreiklang, den ich in Kapitel 2.1 (vgl. Notenbeispiel 38)
mit
Des-Dur
und
f-Moll/F-Dur
in
Beziehung
gebracht
habe.
Ähnliche
Akkordfortschreitungen fanden wir in Funérailles bereits in der Einleitung
(Takte 18-19) und im Seitenthema (Takte 78-83). Die nächsten beiden Teile
(F2 und E3) stehen in den Tonarten Es-Dur und D-Dur. Die Beziehung zwischen
diesen beiden Tonarten entspricht der Verbindung zwischen tiefalterierter II. Stufe
und I. Stufe, ein weiteres kompositorisches Element, das in Funérailles von Bedeutung
war. Die Rückmodulation zur Tonart f-Moll der Reprise geschieht wieder über den
übermäßigen Dreiklang auf Des in Takt 150.
Wie bereits erwähnt wird in der Reprise das Seitenthema in der Tonart E-Dur
wiederholt (Takte 177-180). In den Takten 185-189 folgt eine Reprise des
Fanfarenthemas. Die Tonart bleibt in diesem Schlussteil von Funérailles allerdings
unbestimmt. Das ostinate Bassmotiv deutet auf Des-Dur oder f-Moll hin, die Harmonien
die darüber klingen sind allerdings ein Wechsel zwischen einem F-Dur-Dreiklang und
einem übermäßigen Dreiklang auf Cis (Des). So treffen die vier Harmonien der in
Notenbeispiel 38: vorgestellten, Akkordfamilie in den letzten Takten aufeinander und
beenden damit das Stück.
66
2.5 Fanfare und Reprise
Betrachtet man den großformalen harmonischen Ablauf in Funérailles, zeigt sich,
dass dieser einer interessanten Logik folgt (Abbildung 7). In der Einleitung fand
sich zum ersten Mal eine angedeutete harmonische Folge in großen Terzen:
A-Dur → Des-Dur → f-Moll (Takte 19 - 24). Vom Hauptthema zum Seitenthema
entsteht die Kleinterzfolge f-Moll → As-Dur → H-Dur (Hauptthema in f-Moll,
Seitenthema in As-Dur, Teil D1 in H-Dur). Im Mittelteil des Seitenthemas findet sich
wieder eine harmonische Folge in großen Terzen: A-Dur → F-Dur → Des-Dur
(Takte 78-83) und im letzten Teil des Seitenthemas kommt wieder eine Folge in kleinen
Terzen: As-Dur → H-Dur → D-Dur (Takte 97-103). Die Fanfare beendet diese
harmonische Entwicklung mit der Großterzfolge Des-Dur → A-Dur → F-Dur.
Der großformale Prozess in Funérailles ist offenbar von dem musikalischen Material
der übermäßigen und verminderten Dreiklänge abhängig.
Abbildung 7: Harmonische Folgen in großen und kleinen Terzen
Auch in seinem Spätwerk hat Liszt den formalen Ablauf häufig von der Struktur des
harmonischen Materials abgeleitet (vgl. S. 12). Allerdings hat Liszt diese Idee im
Spätwerk zunehmends abstrahiert und weiterentwickelt. So finden sich im Spätwerk
nicht nur harmonische Folgen, die auf dem Intervallaufbau äquidistanter Akkorde
beruhen, sondern auch solche, die auf die begrenzte Anzahl von möglichen
übermäßigen Dreiklängen oder verminderten Septakkorden zurückzuführen sind.
67
SCHLUSSWORT
Ich
machte
im
Verlauf
dieser
Arbeit
auf
die
Gemeinsamkeiten
der
Kompositionstechniken in Liszts Früh- und Spätwerk aufmerksam. Es zeigte sich, dass
Berührungspunkte in den unterschiedlichsten Teilbereichen zu finden sind – in der
Materialauswahl, der Harmonik, den harmonischen Verläufen und auch in der Form.
In
Funérailles
gibt
es
eine
besondere
Vielzahl
von
Parallelen
zu
den
Kompositionstechniken im Spätwerk. Die Techniken, die Liszt im Alter einsetzte, sind
somit durchaus als Erweiterung und Konsequenz seiner früheren Techniken zu
verstehen und sollten nicht als experimentelle Sonderfälle behandelt werden. Auch
zwischen den einzelnen Kompositionstechniken, die in dieser Arbeit behandelt wurden,
fanden sich viele Anknüpfungspunkte die eine unreflektierte Abqualifizierung von
Liszts Spätwerk als "schwache Alterswerke" ohne Beziehung zum sonstigen Schaffen
des Komponisten sehr fragwürdig erscheinen lässt.
68
Quellenverzeichnis
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72
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
a) Verzeichnis der Notenbeispiele
Notenbeispiel 1: Verminderter Septakkord als Stellvertreter der Subdominante
10
Notenbeispiel 2: La lugubre gondola II, Takte 1-9
11
Notenbeispiel 3: La lugubre gondola II, Takte 10-13
11
Notenbeispiel 4: La lugubre gondola II, Takte 14-18
12
Notenbeispiel 5: Unstern!, Takte 1-4
13
Notenbeispiel 6: Bagatelle ohne Tonart, Takte 1-8
13
Notenbeispiel 7: Weitzmanns Zwölftonmatrix
14
Notenbeispiel 8: Weitzmanns äquidistante Oktavteilung
15
Notenbeispiel 9: Auflösungsmöglichkeiten des überm. Dreikl. in einen Moll-Dreikl. 15
Notenbeispiel 10: J. S. Bach, Choralstelle mit übermäßigem Dreikl.
16
Notenbeispiel 11: Beziehung zwischen I. Stufe und tiefalterierter II. Stufe
17
Notenbeispiel 12: E-Dur und f-Moll
18
Notenbeispiel 13: E-Überm. und f-Moll
18
Notenbeispiel 14: Zigeunerskala auf D und Modi des chrom. Tetrachords
20
Notenbeispiel 15: Zigeunerskala auf F um die Töne des natürlichen Molls erweitert
20
Notenbeispiel 16: "La lugubre gondola I", Takte 27-34
21
Notenbeispiel 17: Leitereigene Dreiklänge
21
Notenbeispiel 18: La lugubre gondola I, Takte 1-22
22
Notenbeispiel 19: La lugubre gondola II, Takte 35-44
23
Notenbeispiel 20: Nuages gris, Takte 1-12
24
Notenbeispiel 21: Nuages gris, Takte 21-24
24
Notenbeispiel 22: La lugubre gondola I, Takte 77-100
26
Notenbeispiel 23: Unstern!, Takte 21-25
28
Notenbeispiel 24: Unstern!, Takte 45-57
29
Notenbeispiel 25: Unstern!, Takte 70-72
29
Notenbeispiel 26: Unstern!, Takte 79-82
30
Notenbeispiel 27: Unstern!, Schlusstakte
31
Notenbeispiel 28: "Teufelsmühle"
31
Notenbeispiel 29: Bagatelle ohne Tonart, Takte 85-86
32
73
Abbildungsverzeichnis
Notenbeispiel 30: Gegenüberstellung der Skalen
33
Notenbeispiel 31: mixolydische Skala mit erhöhter Quart
34
Notenbeispiel 32: reale Sequenzen von Dreiklängen in kleinen Terzen
37
Notenbeispiel 33: Alterierende Skalen mit und ohne Oktavteilung
38
Notenbeispiel 34: symmetrische Skala aus Preludio funebre
38
Notenbeispiel 35: reale Sequenzmöglichkeiten beim übermäßigen Dreikl.
41
Notenbeispiel 36: Harmonisches Gerüst von R.W. Venezia, T. 1-24
43
Notenbeispiel 37: R.W. Venezia, T. 24-30
44
Notenbeispiel 38: Harmonisches Band der Dreiklänge
52
Notenbeispiel 39: Funérailles, Takte 1-3
53
Notenbeispiel 40: Funérailles, Takte 9-10
54
Notenbeispiel 41: Funérailles, Takt 17
54
Notenbeispiel 42: Funérailles, Takte 18-19
55
Notenbeispiel 43: Funérailles, Takte 20-23
55
Notenbeispiel 44: Funérailles, Takte 24-27
56
Notenbeispiel 45: "Lochryses Molltetrachord"
57
Notenbeispiel 46: Bagatelle ohne Tonart
57
Notenbeispiel 47: Funérailles
57
Notenbeispiel 48: Funérailles, Takte 36-39
58
Notenbeispiel 49: Funérailles, Takte 52-55
58
Notenbeispiel 50: Funérailles, Takte 68-71
60
Notenbeispiel 51: Der Trugschluss zur tiefalterierten Dur-Tonika
61
Notenbeispiel 52: Reduktion der Vordesätze des Seitenthemas
63
Notenbeispiel 53: Funérailles, T. 76-79
64
Notenbeispiel 54: Auflösung des verminderten Septakkords auf der I. Stufe
65
b) Verzeichnis der Abbildungen
Abbildung 1: Formaler Überblick über Funérailles
47
Abbildung 2: Formaler Überblick über die Einleitung
50
Abbildung 3: Funérailles, T. 53-54, Funktionsanalyse 1
59
Abbildung 4: Funérailles, T. 53-54, Funktionsanalyse 2
59
Abbildung 5: Funérailles, T. 53-54, Funktionsanalyse 3
60
Abbildung 6: Harmonische Folgen in großen und kleinen Terzen
67
74
Werkverzeichnis
ANHANG
a) Werkverzeichnis der späten Solo-Klavierwerke Liszts (ab 1870)105
Entstehungsjahr Searle
Titel
1870
194
Mosonyis Grabgeleit - Mosonyi gyázmenete
1870
233
Ungarischer Geschwindmarsch - Magyar Gyors induló
ca. 1870?
233a
Siegesmarsch - Marche triomphale
1872
191
Impromptu ("Nocturne")
1873
245
Fünf ungarische Volkslieder
1874
196
[Erste] Elegie
ca. 1875
500
Excelsior! [Prelude zu Die Glocken des Straßburger
Münsters (Nr.6)]
1874-76
186
Weihnachtsbaum - Arbre de Noel (Sammelwerk)
1877
187
Sancta Dorothea
1877
187a
Resignazione
1877
195
Dem Andenken Petöfis - Petöfi szellemének
1877
197
Zweite Elegie
1865-79
192
Fünf kleine Klavierstücke
1879
181
Sarabande und Chaconne aus Händels "Almira"
1865-81
197a
Toccata
1865-81
214a
Carousel de Mme Pelet-Narbonne
1870-80?
239
Vive Henri IV
1880
188
In festo transfigurationis Domini nostri Jesu Christi
o.D. (1881?)
198
Wiegenlied - Chant du berceau
1881
199
Nuages gris
1881/82
224
Csárdás macabre
105
Zusammengefasst aus: Manfred Wagner, Franz Liszt, Wien 2000, S. 204-239.
75
Werkverzeichnis
1882
200
La lugubre gondola 1 / 2
1883
230
Bülow-Marsch
1883
201
R. W. - Venezia
1883
202
Am Grabe Richard Wagners
1883
203
Schlaflos, Frage und Antwort; Nocturne
1883
216
Dritter Mephisto Walzer
1883
217
Mephisto-Polka
nach 1880
246
Puszta-Wehmut - A Puszta keserve
nach 1880
204
Receuillement
nach 1880
208
Unstern! sinistre, disastro
1884
225
Zwei Csárdás: 1. Allegro; 2. Csárdás obstiné (1886)
1881?-1885
215
Quatre valses oubliées
1885
205
Historische ungarische Bildnisse (Sammelwerk)
1885
206
Trauervorspiel und Trauermarsch
1885
207
En rêve, nocturne
1885
251
Abschied
1885
216a
Bagatelle ohne Tonart - Bagatelle sans tonalité
1885
696
Vierter Mephisto-Walzer (unvollendet)
nach 1880
698
La mandragore, Ballade aus Delibes' Jean de Nivelle
(unvollendet)
76
Literaturverzeichnis
b) Literaturverzeichnis
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