Karriere Abbildung aus urheber- bzw. leistungsschutzrechtlichen Gründen entfernt Human Resources Zwischen digitaler Rekrutierung und analoger Willkommenskultur Der Kampf um Fach- und Führungskräfte kann nicht allein durch die Digitalisierung der Recruitingprozesse gelingen. Die Erwartungen der heutigen Bewerber an den potenziellen Arbeitgeber sind vielfältig und erfordern ein intelligentes Zusammenspiel digitaler Technologien und analoger Begegnungen. Autoren: Thomas Studer und Julia Schäfer, Kienbaum Durch den zunehmenden Fachkräftemangel und den damit einhergehenden War for Talent rückt die Candidate Experience in den Fokus des Recruitings. Candidate Experience meint die Wahrnehmung und das Erleben der Arbeitgebermarke durch den Bewerber. Candidate Experience Management ist eine konsequent bewerberorientierte Herangehensweise im Recruitingprozess, die zum Ziel hat, jeden Berührungspunkt mit dem eigenen Unternehmen als positives Erlebnis für Bewerber zu gestalten. Denn diese Erfahrungen mit dem potenziellen Arbeitgeber haben einen erheblichen Einfluss sowohl auf den weiteren Bewerbungsprozess, als auch auf das Arbeitgeberimage insgesamt: Rund ein Viertel der Bewerber teilt seine Erfahrungen nicht nur mit Freunden und Bekannten, sondern auch über soziale Netzwerke und Bewertungsplattformen. Zu den zentralen Erfolgsfaktoren für das Recruiting zählt nicht allein der Grad der Digitalisierung. Zunehmend spielt es eine entscheidende Rolle, dass digitale und analoge Human Resources-Maßnahmen, strategische Ausrichtung und Geschäftsmodell des Unternehmens zu Recruitingprozessen passen. Denn auch für das vordergründig in der Hauptsache digitale Candidate Experience Management dient der ursprünglich analoge kun- Healthcare Marketing 8/2016 67 Karriere Digitale und analoge Erfolgsfaktoren für die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften Mit Prozessqualität in der Rekrutierung Vertrauen erzeugen denzentrierte Ansatz aus Marketing und Customer Service als Vorbild. Erfolgreiches Candidate Experience Management nimmt also auch die veränderten Erwartungen der heutigen Mitarbeiter auf: Sie wollen nicht verwaltet werden, sondern eine vertrauensvolle Beziehung zum potenziellen Arbeitgeber aufbauen. Bewerber suchen nach Informationen Die Bewerber erwarten umfassende und schnell verfügbare Informationen zu Unternehmen und Jobs. Diese Erwartungshaltung sollten die Arbeitgeber auf mehreren Ebenen erfüllen: Eine übersichtlich gestaltete CorporateWebsite mit leicht zugänglichen und passgenauen Informationen und einer hohen Transparenz (z. B. aussagekräftige Job-Beschreibungen, namentliche Ansprechpartner mit persönlichen Kontaktdaten, Überblick über den gesamten Bewerbungsprozess) Sowohl schnell auffindbare Informationen zum Arbeitsplatz (personelle und materielle Ausstattung, fachliche Schwerpunkte, Kooperationen etc.), als auch konkrete Angaben zu Work-LifeBalance und individuellen Leistungen wie flexiblen Arbeitszeitmodellen, Kinderbetreuung und anderen Incentives (Smartphone, Laptop, Jobticket etc.). Denn Mitarbeiter erwarten heutzutage einen Arbeitgeber, der sich als fürsorglicher Unternehmer darstellt und ein spezifisches Package anbietet. Die Möglichkeit, sich ohne technische Barrieren bewerben zu können: 60 Prozent der Beweber erwarten zum Beispiel eine mobil optimierte Karriere-Website. ausreichend präsent sind, werden von potenziellen Bewerbern weniger wahrgenommen. Bayer nutzt zum Beispiel einen innovativen Ansatz, der das Bereitstellen von relevanten Informationen mit einem digitalen Erlebnis kombiniert: Die ‚360 Virtual Reality Career Experience‘ ist eine Reihe von 360-Grad-Videos, die sowohl mit Virtual-Reality-Brillen auf Karrieremessen als auch über Smartphones auf YouTube angeschaut werden können. In den Videos präsentiert die Bayer AG ihre Arbeitgebermarke, vermittelt Informationen zum Unternehmen und zu aktuellen Stellenangeboten. Rekrutierung wird zum Erlebnis Werte des analogen Zeitalters bleiben zentral Auch die Nutzung verschiedener Recruitingkanäle ist ein wichtiger Erfolgsfaktor: Zentrales Recherche-Tool für viele Bewerber ist Google, ebenso wie soziale Netzwerke wie Xing, LinkedIn, Facebook, Twitter und YouTube. Unternehmen, die in den Such- und Informationskanälen ihrer Bewerbergruppe nicht Neben der digitalen Unternehmenspräsenz bleibt eine persönlich-empathische und wohlwollende Haltung, die dem Kandidaten gegenüber Wertschätzung zum Ausdruck bringt, der weitaus wichtigste Baustein in einem erfolgreichen Candidate Experience Management. Fühlt sich ein zum analogen Vorstellungsgespräch eingeladener Kandidat nicht wertgeschätzt, wird er wahrscheinlich von seiner Bewerbung Abstand nehmen. Mögliche Gründe für eine mangelhafte Wertschätzung gibt es viele: Zum Beispiel wirkt es abschreckend, wenn der Bewerber sich seinen Weg quer durch die Katakomben eines Krankenhauses suchen muss. Besonders schädlich für den Verlauf des Gesamtprozesses ist es, wenn Fresenius-Site ausgezeichnet Die Karriere-Website von Fresenius wurde von der Online-Talent-Communication-Beratung Potentialpark als besonders bewerberfreundlich ausgezeichnet: Sie enthält neben ausführlichen Informationen zu den Bewerbungsprozessen für unterschiedliche Bewerbergruppen und Bewerbungsmasken mit kurzer Bearbeitungsdauer auch ein digital gestütztes Qualifikationsmatching und die Möglichkeit, durch eine Standortsuche nach dem Prinzip von Google Maps passende Stellenangebote in der Umgebung zu finden. karriere.fresenius.de 68 Healthcare Marketing 8/2016 Karriere Betrachtet man die Candidate Experience im Gesundheitswesen, ist diese häufig noch nicht durch einen professionell gesteuerten Rekrutierungsprozess gekennzeichnet. Gerade Fachpersonal und Führungskräfte in Krankenhäusern verlieren oft die Geduld mit unübersichtlichen Websites, in denen zielgruppenunspezifisch für Reinigungskräfte wie für Chefärzte alle Informationen zusammengewürfelt sind. Auch die Ausschreibungen sind häufig noch nicht das Resultat einer Zusammenarbeit von Personal- und Fachabteilung beziehungsweise Klinik, sondern bestehen zum Teil aus StandardTextbausteinen, die aus der Perspektive des Arbeitgebers formuliert sind. Strategisches Employer Branding Viele Krankenhäuser haben das Thema Arbeitgeberattraktivität auf ihrer Agenda, allerdings oft nur auf einem abstrakten Level: Es geht dann um die Planung einer Corporate Identity auf der visuellen Oberfläche, vor allem im Binnenverhältnis von Dachmarke zu Subunternehmen in Verbundstrukturen. Employer Branding wird hierbei nicht strategisch Orchestrierung digitaler und analoger Touchpoints Eine authentisch erlebte Arbeitgebermarke und hybride Rekrutierungsstrategien werden vor dem Hintergrund des sich weiter verschärfenden Fachkräfte- mangels in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen. Hierbei steht die Orchestrierung digitaler und analoger Kontaktpunkte der Kandidaten mit der Arbeitgebermarke im Mittelpunkt. Um die Erwartungen der gesuchten Zielgruppe erfüllen zu können, müssen die Unternehmen deren Anforderungen kennen. Wichtig ist hierbei, das Unternehmen authentisch zu vertreten: Wenn man zum Beispiel Qualität als Unternehmenswert hoch hält, muss man auch im Rekrutierungsprozess durch Qualität überzeugen. Ein weiterer Faktor für eine positive Candidate Experience: die Verknüpfung der analogen Erfahrung im Auswahlprozess mit digitaler Interaktivität. Diese dient dazu, die Verlaufskommunikation kontinuierlich zu steuern, die Abstimmung über vertragliche Dokumente zu beschleunigen und Fragen beispielsweise im Chatformat zu klären (unter Vertraulichkeits- und Datenschutzaspekten auch gesichert). Wird ein Verfahren durch eine Personalberatung begleitet, können Unternehmen und Berater die Binnenkommunikation kompensieren und die zeitliche Taktung forcieren. Letztere ist entscheidend, um Kandidaten in einem umkämpften Markt zu gewinnen, weil diese meist mehrere Optionen und entsprechenden Entscheidungsdruck haben. Durch eine solche Prozessqualität in der Rekrutierung können Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, insbesondere Krankenhäuser, punkten und Vertrauen erzeugen: die Basis jedes Arbeitsvertrags. Thomas Studer © Fotografie Joachim Rieger Besondere Herausforderungen verstanden, das heißt, mit dem Ziel ein nachhaltiges Image des jeweiligen Arbeitgebers im Auswahlprozess zu platzieren, sondern dient als bessere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Mit Methoden des viralen Marketings, die die Marke Krankenhaus auch für Kandidaten spürbar machen, könnten nachhaltige Bewerber-Beziehungen gestärkt werden. Auch Geschäftsbeziehungen und arbeitsrechtliche Engagements bauen sich über das Bauchgefühl auf. Daher sind auch im digitalen Zeitalter Hospitationen, in denen der Kandidat in Berührung mit potenziellen Arbeitskollegen kommt, wichtig. Marketing und die realen Arbeitsbedingungen müssen kongruent sein; das ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit des gesamten Rekrutierungsprozesses. Dies bedeutet auch bei schwierigen, konfliktreichen oder neugeschaffenen Positionen – wie es sie etwa in hybriden Geschäftsmodellen ohne disziplinarische Linienzuordnung, sondern mit einer aufgabenorientierten Struktur gibt –, dass diese offen dargestellt und gegebenenfalls erklärt werden sollten, damit Akzeptanz und eine adäquate Erwartungshaltung entsteht. ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Kienbaum Management Consultants, Köln, und verfügt über mehr als zwanzig Jahre Beratungserfahrung, insbesondere in Public Management, Human Resources und Change Management. Er hat Beratungsprojekte für AOK NordWest, AOK Hessen, die Oberschwabenklinik, das Universitätsklinikum Leipzig und das Klinikum Leverkusen geleitet. [email protected] Dr. Julia Schäfer Foto: Kienbaum der Kandidat einem schlecht informierten und unzureichend vorbereiteten Gremium gegenübersitzt, das möglicherweise die Unterlagen nicht vorliegen oder gelesen hat. Die Präsentation des Unternehmens gehört ebenso zu einem professionellen Entrée wie die persönliche Vorstellung der Teilnehmenden mit entsprechenden Rollen, die Beschreibung der Agenda und ein abgestimmtes Frage-Set beziehungsweise teilstrukturierte Interviews, um einen nachvollziehbaren und auf Ergebnisorientierung bedachten Bewerbungsprozess zu ermöglichen. Schaffen es Unternehmensvertreter, in persönlichen Begegnungen mit dem Kandidaten eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, nimmt er selbst bei einer Absage durch das Unternehmen die Arbeitgebermarkte positiv wahr. Die Professionalisierung der Unternehmensvertreter und des Recruitingprozesses ist deshalb der zentrale Stellhebel für ein erfolgreiches Recruiting. ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Kienbaum Executive Consultants, Köln, und ist seit 2002 mit dem Schwerpunkt Gesundheitswesen – zunächst in der Wissenschaft, ab 2005 in der Beratung – tätig. Sie betreut kaufmännische, medizinische und pflegerische Beratungsmandate in der Rekrutierung für Krankenhäuser, Krankenkassen, Stiftungen und Verbände sowie Unternehmen der Gesundheitswirtschaft. [email protected] Healthcare Marketing 8/2016 69