Das Talente-Trio beim Berliner Theatertreffen: Internationales Forum, Stückemarkt und Festivalzeitung „Die Kunst resigniert vor der Welt.“ Ein Satz wie ein Manifest. Die harsche Behauptung traf vor fünf Jahren „Das 39. Internationale Forum junger Bühnenangehöriger“ am Ende des 40. Berliner Theatertreffens. Kernaussage eines viel veröffentlichten und diskutierten Statements, in dem der künstlerisch und professionell im Bereich Schauspiel arbeitende Nachwuchs sein Unbehagen gegenüber dem „Weltverständnis“ der etablierten Theatermacher in ihren zehn ausgewählten Inszenierungen äußerte. Das alljährlich im Mai ausgerichtete Berliner Theatertreffen ist und bleibt die Leistungsschau der deutschsprachigen Bühnen. Aber das Festival besteht nicht allein aus der Königsdisziplin, eben jenen von einer Kritiker-Jury ausgesuchten besten bzw. „bemerkenswerten“ Aufführungen. Es beinhaltet in Kooperation mit dem Goethe-Institut auch ein Programm, das sich in drei Bereichen engagiert jungen Talenten widmet. Das „Internationale Forum“ ist nur ein Jahr jünger als das Theatertreffen selbst. Und wie sich die Sphären durchdringen, erkennt man daran, dass eine ehemalige Forum-Teilnehmerin, nämlich Iris Laufenberg, zur erfolgreich tätigen Chefin des Theatertreffens wurde. Kritische Auseinandersetzung mit der saturierten Szene: Das Internationale Forum Im Jahr 2003 formulierten die deutschen Forum-Teilnehmer mit Zustimmung ihrer ausländischen Kollegen das Thesenpapier. Es richtete sich gegen die zehn Aufführungen, denen mehrheitlich abgesprochen wurde, verbindende und verbindliche moralische Markierungen zu setzen. Ästhetisch und inhaltlich würden sie sich affirmativ verhalten, kein Risiko eingehen, keine Standpunkte vertreten, um sie der Gesellschaft als Angebot zu unterbreiten. Der Vorwurf hat an Aktualität kaum eingebüßt. Gewiss äußert sich in ihm der typische Generationskonflikt; Privileg eines rebellischen Geistes, der entweder den Muff aus Talaren befreien, Opas Kino erneuern oder Papas Theater abschaffen will. Die Kontroverse findet regelmäßig auch während der traditionellen Schlussdiskussion zwischen Theatertreffen-Jury, Publikum und den Jungen Bühnenangehörigen Ausdruck, wenn letztere die Veranstaltung als Tribunal benutzen, um die eigene Position gegen die Saturiertheit der Szene kritisch zu formulieren. Die Zehner-Kür ist zweifellos der am weitesten ausstrahlende Leuchtpunkt innerhalb des unter dem Dach der Berliner Festspiele angesiedelten Theatertreffens. Die übrigen Sektionen sind unter dem Titel „tt talente“ zusammengefasst. Das „Internationale Forum“ unter Leitung von Uwe Gössel trifft sich zu Workshops, Lectures und Seminaren. Parallel sorgt der seit 1978 existierende „Stückemarkt“ unter der Leitung von Yvonne Büdenhölzer für konkrete und nachhaltige Förderung. Hier präsentieren sich junge Dramatiker aus Europa mit ihren zu diesem Anlass szenisch eingerichteten Texten. Der Stückemarkt: prämiert Die Liste aus drei Jahrzehnten enthält klingende Namen von Herbert Achternbusch, Thomas Brasch, Ernst Jandl und Elfriede Jelinek über Moritz Rinke, Michael Roes, Roland Schimmelpfennig und Einar Schleef bis zu Werner Schwab. Nuran David Calis und Anja Hilling waren zuletzt die bekanntesten Absolventen der Karriere-Plattform. Seit Hilling 2003 beim „Stückemarkt“ mit dem Förderpreis ausgezeichnet wurde, sind ihre Arbeiten auf den Spielplänen renommierter Bühnen zu finden, und das Fachmagazin „theater heute“ kürte Hilling zwei Jahre später zur besten „Nachwuchsautorin“. Calis ist mit seinen sozial-theatralen Projekten u.a. fester Autor und Regisseur am Grillo Theater Essen. Eine Neuerung sieht vor, dass das jeweilige Preisträgerstück (dotiert mit 5000 Euro) später am Maxim-Gorki-Theater Berlin zur Uraufführung kommt und dass an einen der Teilnehmer von „Stückemarkt“ oder Dramatikerworkshop ein Werkauftrag (prämiert mit 7000 Euro) geht, dessen Resultat an wechselnden Bühnen inszeniert wird. Diesjähriger Partner ist das Bayerische Staatsschauspiel München. Beide Initiativen ermöglicht die Bundeszentrale für politische Bildung. Außerdem adaptiert das Deutschlandradio Kultur eines der zehn Stücke als Hörspiel. Für diese Saison konnten sich zehn Autoren für den „Stückemarkt“ qualifiziert. Die Auswahl musste aus mehr als 600 Einsendungen aus 33 Ländern getroffen werden, wobei die Hälfte auf deutschsprachige, etwa ein Viertel auf englischsprachige Texte entfiel. Die Festivalzeitung: Sprungbrett für die journalistische Karriere Drittes Standbein ist die nunmehr im vierten Jahr produzierte Festivalzeitung. Die unabhängige Redaktion von Nachwuchsjournalisten gestaltet unter dem Patronat erfahrener Mentoren während drei Wochen als Blattmacher die einzelnen Ausgaben (in Kooperation mit der „Berliner Zeitung“). Nicht selten gelingt nach diesem Probelauf in den Disziplinen klassische Kritik, Kommentar, Essay, Interview sowie Reportage der Sprung in den Beruf. Für 2008 haben Silvia Schober und ihr Team beschlossen, das Profil dieser Schreibschule international auszurichten. Aus mehr als 70 Bewerbungen wurden sechs Teilnehmer ausgewählt: aus Chile, Russland, Ungarn und Deutschland. Geboten werden in allen drei Talente-Sparten und ihren „Masterclasses“ Austausch, Reibung und Vernetzung. Das Theatertreffen mit seinem Veranstaltungszentrum, dem Haus der Festspiele, bietet auch einen kompakten „Talentetag“, der wie eine Messe funktioniert und als Impulsgeber für Theorie und Praxis und Ort kulturpolitischer Debatten wirkt. Von "Resignation" ist da nichts zu spüren. Andreas Wilink ist Chefredakteur der Kulturzeitschrift „K.West“ und war bis 2007 Jurymitglied des Berliner Theatertreffens Copyright: Goethe-Institut e.V., April 2008