Theatertreffen stückemarkt 2010 dokumentation Program m stückemarkt 2010 Der Stückemarkt ist Teil der Talenteplattform tt Talente des Theatertreffens und findet jährlich in Berlin statt. Seit über 30 Jahren ist er ein Karriere­sprungbrett für unentdeckte Dramatikerinnen und Dramatiker aus ganz Europa und fördert die Autoren nachhaltig. Mi 12. Mai Eröffnung des Stückemarkts Grußworte Joachim Sartorius und Isa Baumgarten IMPORT – EXPORT Impulsrede von Nino Haratischwili Im Anschluss Expertentisch über Grenzen, Zwischenräume und Chancen neuer Dramatik in Europa mit Yvonne Büdenhölzer, Nino Haratischwili und Roland Schimmelpfennig Moderation Marion Hirte Stückemarkt I Alles Ausschalten von Julian van Daal Szenische Einrichtung Tilmann Köhler Dramaturgie Andrea Koschwitz Ausstattung Kathrin Frosch Es lesen Julischka Eichel, Christoph Franken, Eva Meckbach, Tino Mewes und Matthias Reichwald Stückemarkt II Wire and Acrobats – Drahtseilakrobaten von Peca Ştefan Aus dem Englischen von Johannes Schrettle Szenische Einrichtung Felicitas Brucker Dramaturgie Judith Gerstenberg Ausstattung Kathrin Frosch Es lesen Jonas Hien, Charly Hübner, Julika Jenkins und Katharina Schmalenberg Do 13. Mai Stückemarkt-Autorentisch I Erfolgsgeschichten Iris Laufenberg im Gespräch mit den Autoren Oliver Kluck und Nis-Momme Stockmann Stückemarkt-Gastspiel Kein Schiff wird kommen von Nis-Momme Stockmann Werkauftrag des tt Stückemarkts 2009 Regie Annette Pullen Bühne und Kostüme Iris Kraft Dramaturgie Kekke Schmidt Mit Matthias Kelle, Lisa Wildmann und Jens Winterstein Mo 17. Mai Stückemarkt-Autorentisch II Grenzgänger Ekat Cordes, Claudia Grehn und Wolfram Lotz über zeitgenössisches Schreiben Moderation Marion Hirte Stückemarkt III Ewig gärt von Ekat Cordes Szenische Einrichtung Jan Philipp Gloger Dramaturgie Andrea Vilter Ausstattung Manuela Pirozzi Es lesen Manfred Böll, Gisa Flake, Olivia Gräser, Steffi Kühnert, Paul Schröder und Max Simonischek Stückemarkt IV Der groSSe Marsch von Wolfram Lotz Szenische Einrichtung Lars-Ole Walburg Dramaturgie Marion Hirte Ausstattung Manuela Pirozzi Es lesen Hermann Beyer, Jule Böwe, Dieter Montag, Michael Schweighöfer und Sebastian Weber Stückemarkt-Hörtheater Variationen über das Kraepelin-Modell oder Das semantische Feld des Kaninchenschmorbratens von Davide Carnevali Aus dem Italienischen von Sabine Heymann Hörspielproduktion Deutschlandradio Kultur und Saarländischer Rundfunk 2010 Fr 21. Mai Präsentation des Dramatikerworkshops Vorsicht zerbrechlich! Minidramen von Thomas Arzt, Hannes Becker und Sandra Kellein Leitung und Moderation John von Düffel Szenische Einrichtung Enrico Stolzenburg Es lesen Christoph Franken, Jörg Pose, Anne Ratte-Polle und Ursula Staack Stückemarkt V Ernte von Claudia Grehn Mit Texten von Lena Müller Szenische Einrichtung Lisa Nielebock Dramaturgie Anna Haas Ausstattung Manuela Pirozzi Es lesen Barbara Heynen, Ole Lagerpusch, Wolfgang Michael, Max Simonischek, Miriam Smejkal, Heiner Stadelmann und Almut Zilcher Preisverleihungen Förderpreis für neue Dramatik und Werkauftrag des tt Stückemarkts, beide gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung Theatertext als Hörspiel, in Kooperation mit Deutschlandradio Kultur Im Anschluss Stückemarkt-Party mit DJ Yoko Hamann Stückemarkt-Preisträger 2007 bis 2009 beim tt10 Maxim Gorki Theater Berlin 11., 19. und 20. Mai Das Prinzip Meese von Oliver Kluck Förderpreis für neue Dramatik des tt Stückemarkts 2009 Regie Antú Romero Nunes Ausstattung Julia Plickat Dramaturgie Carmen Wolfram Musik Johannes Hofmann Mit Annika Baumann und Michael Klammer Uraufführung 8. Februar 2010, Gorki Studio 13. und 22. Mai plus null komma fünf windstill von Maria Kilpi Förderpreis für neue Dramatik des tt Stückemarkts 2007 Aus dem Finnischen von Stefan Moster Regie Nora Schlocker Mit Julischka Eichel, Ruth Reinecke und Theo Solink Uraufführung 20. Dezember 2007, Gorki Studio 15. und 23. Mai Bulger – Eine unzulässige Geschichte von Klaas Tindemans Förderpreis für neue Dramatik des tt Stückemarkts 2008 Aus dem Flämischen von Uwe Dethier Regie Nora Schlocker Mit Julischka Eichel, Hanna Eichel und Johann Jürgens Deutsche Erstaufführung am 17. Dezember 2008, Gorki Studio Theatertreffen stückemarkt 2010 dokumentation 03 vorwort 05 Stückemarkt 2010 – Pressestimmen 06 eröffnung 08 die szenischen lesungen 12 hör­theater 14 dramatikerworkshop 16 autorenportraits 23 stückemarkt-preise 2010 24 stückemarkt-erfolge 31 Stückemarkt- preisträgerinnen und -Preisträger seit 2003 32 stimmen der stückemarkt-autoren 2010 34 uraufführungen seit 2003 02 vorwort Zwischen der aktuellen Krise und der neuen Zuwendung zur zeitgenössischen Dramatik scheint ein Zusammenhang zu bestehen. In Zeiten tiefgreifender Umbrüche und sozialer Erschütterungen, in denen der Mensch sich einer durch Globalisierung und ökonomische Deutungsmuster veränderten Lebenswelt gegenübersieht, wächst die Sehnsucht, die schwindende Wirklichkeitserfahrung durch zeitgenössische Geschichten in einer heutigen Sprache, mit heutigen Figuren für einen Augenblick wieder einzufangen. Er nehme derzeit ein „ausgesprochenes Interesse beim Publikum an neuen Texten wahr“, so äußerte sich vor kurzem der Dramatiker und Regisseur Roland Schimmelpfennig in einem Gespräch mit dem Focus-Magazin. Der Suche nach neuen Stücken, die unsere Wirklichkeit nach verborgenen Wahrheiten und Gesellschaftslügen befragen und ästhetisch eine eigene Form entwickeln, hatte sich auch der Aufruf des diesjährigen Stückemarkts verpflichtet. Es galt, aus insgesamt 297 eingesandten Texten aus ganz Europa acht begabte Autorinnen und Autoren für das Theater zu entdecken, um ihnen im Rahmen eines internationalen Netzwerks eine nachhaltige Autorenförderung zukommen zu lassen. Die fünfköpfige Expertenjury – bestehend aus der Autorin und Regisseurin Marlene Streeruwitz, der Leiterin des Theatertreffens Iris Laufenberg, dem Regisseur und Schauspieler Burghart Klaußner, dem Autor und Regisseur Falk Richter und dem Dramaturgen Malte Ubenauf – hat bei ihrer Auswahl unermüdlich um Qualität und gesellschaftliche Relevanz gerungen. Während man andernorts öffentlich über Qualität sowie Sinn und Unsinn von Autorenförderinitiativen stritt – was bei den Wiener Werkstatttagen zur Absage und beim Heidelberger Stückemarkt zum Verzicht auf die Preisvergabe führte –, konnten wir uns über acht starke Autorinnen und Autoren freuen. Auffällig ist, dass alle, mit einer Ausnahme, zwischen 25 und 28 Jahre alt sind. Doch von einer Generation, die sich durch einen übergeordneten Blick auf unsere Lebenswirklichkeit, durch eine gemeinsame Welthaltung oder verbindende Themen und Stoffe auszeichnet, kann nicht die Rede sein. Stattdessen gibt es eine lebendige Vielfalt an eigenwilligen Handschriften und subjektiven Blickwinkeln. Schöpfen die individuellen Geschichten aus einem Fundus konkreter Szenarien, so verlieren sie doch das Große und Ganze unserer gesellschaftlichen Verfasstheit nicht aus dem Auge. Die Stücke provozieren, über dringliche Fragen wie soziale Entwurzelung, Globalisierung, prekäre Arbeitswelten, kulturelle Identität, Vergänglichkeit oder politische Stereotypen nachzudenken. 03 Ekat Cordes, Claudia Grehn, Wolfram Lotz, Peca Stefan und Julian van Daal wurden ausgewählt, ihre Texte in einer szenischen Lesung im Rahmen des Theatertreffens vorzustellen. Zum Dramatikerworkshop mit John von Düffel waren Thomas Arzt, Hannes Becker und Sandra Kellein eingeladen. Auch ihre Texte wurden beim Stückemarkt erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Traditionell wurden zum Abschluss des Stückemarkts wieder die Preise verliehen. Der in diesem Jahr zum siebten Mal von der Bundeszentrale für politische Bildung gestiftete Förderpreis für neue Dramatik des tt Stückemarkts ging an Claudia Grehn für ihr Stück „Ernte“. Mit dem Preis verbunden ist die Uraufführung im Dezember 2010 am Maxim Gorki Theater Berlin. Wolfram Lotz wurde für sein Stück „Der große Marsch“ mit dem Werkauftrag des tt Stückemarkts, ebenfalls gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung, ausgezeichnet. Er wird ein neues Stück für das Deutsche Nationaltheater Weimar schreiben. Zum ersten Mal hatten die Zuschauer dieses Jahr die Möglichkeit, ihre Stimme für ihr Lieblingsstück abzugeben. Diese Auszeichnung ging ebenfalls an „Der große Marsch“ von Wolfram Lotz. Der „Theatertext als Hörspiel“ wurde an Julian van Daal für „Alles ausschalten“ verliehen. Van Daals Stück wird von Deutschlandradio Kultur als Hörspiel produziert und gesendet. Besonders freuen wir uns über den außerordentlichen Erfolg der beiden Stückemarkt-Preisträger des letzten Jahres, Oliver Kluck und Nis-Momme Stockmann. Die Uraufführungen ihrer Preisträger-Stücke waren beide im Rahmen des Theatertreffens 2010 zu sehen. Seit ihrer Entdeckung beim Stückemarkt 2009 werden Klucks und Stockmanns Texte an renommierten Theatern gespielt. Aber auch die anderen Teilnehmer der vergangenen Jahrgänge sind weiterhin auf Erfolgskurs, wie Sie im Anschluss an die Berichte und Rezensionen über den Stückemarkt 2010 unserer Uraufführungschronik am Ende dieser Dokumentation entnehmen können. Ausdrücklich gedankt sei an dieser Stelle noch einmal den Förderern und Partnern des Stückemarkts – der Heinz und Heide Dürr Stiftung, der Bundeszentrale für politische Bildung, Deutschlandradio Kultur, dem Goethe-Institut sowie dem Rumänischen Kulturinstitut. Friederike Jäcksch und Daniel Richter Leiter des Stückemarkts Juli 2010 04 stückemarkt 2010 – Pressestimmen Die Wiedergeburt des Absurden Ein guter Jahrgang: Der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens präsentiert fünf neue Autoren Das ist das Erstaunliche am 32. Stückemarkt des Berliner Theater­treffens, der am Mittwoch mit den szenischen Lesungen der fünf ausgewählten von 297 eingesandten Texten beginnt und nicht nur das älteste, sondern nach wie vor größte Ent­ deckerfestival für neue Dramatik aus ganz Europa ist: Bei drei von fünf Stücken nämlich darf man schlicht eine Wiedergeburt des absurden Theaters konstatieren […]. In den 1950ern galt das als unpolitisch, doch heute, wo sich die Wirklichkeit tatsächlich in virtuelle Geld- und Zahlenströme auflöst, bedeutet dieser Zerrspiegel keine Weltentfernung mehr, sondern Blickschärfung und umstandslose Fokussierung der aktuellsten Idiotien. Das ist die Dialektik, in die sich Jungdramatiker 2010 werfen: Sie umzingeln das Politische, indem sie schwarzhumorige Zirkus- und Kirmes­zaubernummern daraus machen: optische Täuschungen, in denen sich tiefe Erkenntnis- und Sprachskepsis spiegelt. Selten konnte man darin so viel formale Übereinstimmung feststellen, wie in diesem Jahr, was keineswegs als Kritik gemeint ist. Denn trotz der Gemeinsamkeit führen all diese Jahrmarktsdrehscheiben eine sehr eigene, durchkomponierte Sprache. Wie man überhaupt diesen Jahrgang erfreulich finden und den Texten in ihrer sprachlichen Ausarbeitung und inhaltlichen Vertiefung einen qualitativen Anstieg bescheinigen darf - auch im Vergleich zu den neuen Stücken, die vor einem Monat beim kleinen Nachbarn, den Autorentheatertagen des Deutschen Theaters aufgetaucht waren. […] Ganz im Gegenteil richtet sich alle selbstreflexive Anstrengung dieser Texte darauf zu zeigen, warum es ohne festen Boden unter den Füßen gerade mit den Haltungen so schwierig bleibt. Stattdessen führen die Autoren, die sich gern auch selbst mal als Figuren mit ins Spiel knüpfen, dramaturgische Häutungen und verschachtelte Spiele im Spiel vor. Sie zeigen, wie gerade die Suche nach festem Grund von einem erkenntniskritischen Drahtseilakt abgelöst wird, der zwischen sich widersprechenden Weltwahrnehmungen balanciert, zwischen Erinnerungen und Gegenwart. Doris Meierhenrich, Berliner Zeitung, 11. Mai 2010 05 Gut gebrüllt, Dichter: Gefühle einer neuen Generation Immerhin, dieses Autorenfest ist das älteste und größte »Entdeckerfestival« für neue Dramatik, für das eine extra bestallte Jury fünf Arbeiten kürte aus sage und schreibe 297 Einsendungen aus ganz Europa. Die Konsequenz: größtmöglicher Aufwand beim Sortieren sowie Orientierung auf Nachhaltigkeit. Der Theater­treffen-Workshop wurde zur Masterclass qualifiziert und ein Betreuungssystem durch Paten installiert, die ihre Schützlinge ein Jahr lang kritisch begleiten. Auch die beiden Stückemarkt-Preise zielen auf Langzeitwirkung: Ein paar Tausender gibt es für eine Theaterproduktion von einem der fünf Texte. Und nochmals ein paar Tausender für einen der fünf Autoren, quasi als Stipendium verbunden mit einem Schreibauftrag. […] Herumgefragt, in einem Satz den Impetus der Schreiberei auf den Punkt zu bringen, kam einhellig zur Antwort: dass man den hoffentlich nie auf einen Punkt bringen und gleich gar nicht in einem Satz benennen könne. Gut gebrüllt, Dichter: Man will cool sein. Was neuerdings meint: auf jeweils ureigene Art »kompliziert«. Dabei glimmt der Eindruck, das cool Komplizierte treibe es gern allzu weit mit den verrückten, farcehaften Spielereien im Surreal-Absurden. Also bloß kein Geradeaus-Realismus, sondern ironisch melancholische, meist grell groteske Überhöhungen tief ins Fantastische, Aberwitzige. Reinhard Wengierek, Berliner Morgenpost, 19. Mai 2010 Sprichwortakrobaten Totgesagte leben länger. Zum Beispiel der dramatische Text. Projektarbeit hin oder her, Dramatik bleibt offenbar ein zentraler Motor der zeitgenössischen Theaterästhetik. Das zeigt sich auch bei der Auswahl des Theatertreffens. Auffallend viele Inszenierungen aktueller Dramatik sind mit von der Partie: Stücke von Elfriede Jelinek, Roland Schimmelpfennig, Dea Loher und dem Briten Dennis Kelly. Und das Theatertreffen kümmert sich um den Nachwuchs. Der Stückemarkt ist eine etablierte Plattform für neue europäische Dramatik und Jagdgrund der Verleger. Hier lauert man den noch unvermarkteten Talenten auf. Dass die aus einem Berg von Texten ausgewählten Stücke dem Fachpublikum in szenischen Lesungen präsentiert werden, hilft in der Regel, zu beurteilen, wie und dass die Texte in einer Inszenierung funktionieren können. Während die eingeladenen Inszenierungen meist von etablierten Künstlern stammen, werden beim Stückemarkt Karrieren begonnen. Nis-Momme Stockmann, Preisträger des Jahrgangs 2009 hat es innerhalb eines Jahres nicht nur zum vielgespielten Dramatiker, sondern mit seinem Text »Kein Schiff wird kommen« bis zu den Mülheimer Theatertagen, also in den deutschsprachigen Dramatiker-Olymp geschafft. Solche Blitzstarts sind nicht die Regel, aber man darf gespannt sein, was von den Akteuren des Jahrgangs 2010 noch kommt. Denn die Ausbeute ist gut und dabei erfreulich heterogen. Es handelt sich durchweg um kraftvolle Ansätze junger Autoren. Anna Opel, freitag.de, 21. Mai 2010 ERÖFFNUNG Expertentisch Nino Haratischwili Isa Baumgarten Joachim Sartorius Roland Schimmelpfennig Daniel Richter, Friederike Jäcksch Debatte über europäische Dramatik Unter dem Titel »Import – Export. Über Grenzen, Zwischenräume und Chancen neuer Dramatik in Europa« wurde am Mittwoch der Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 2010 mit einer Expertendiskussion eröffnet Ja, es mutet etwas seltsam an. Beim Heidelberger Stückemarkt wurden vor ein paar Tagen gleich alle Nominierten ausgezeichnet, da keiner eindeutig als Sieger hervorzuragen vermochte. In Wien sagte man den Wettbewerb letztes Jahr aufgrund mangelnder Qualität der Einsendungen ganz ab. Die Nachwuchsförderung in der Krise? In Berlin hat die Jury entschieden. Zu den diesjährigen Auser wählten zählt der rumänische Autor Peca Ştefan, was dazu inspirierte, den Stückemarkt mit einer Debatte über europäische Dramatik zu eröffnen. Deutlich wurde in der Diskussion mit Roland Schimmelpfennig, der georgischen Dramatikerin und Regisseurin Nino Haratischwili und Yvonne Büdenhölzer vor allem eines: Der »Schleudergang Dramatik« ist noch lange nicht beendet. Erst letztes Jahr richteten die Berliner Festspiele ein Symposium aus, das in Diskussionen und Workshops Modelle gegen den Uraufführungshype und die schnelle Vermarktung junger Dramatiker entwickeln sollte. Doch es scheint auch der Druck der zahlreichen Förderungsmöglichkeiten zu sein, dem sich das erfolgsorientierte dramatische Schaffen beugen muss. In seiner Eröffnungsrede betonte Intendant Joachim Sartorius den herausragenden Erfolg der in den Vorjahren gekürten Preisträger Nis-Momme Stockmann und Oliver Kluck. Der eine ist seit diesem Jahr Hausautor am Schauspiel Frankfurt, der andere Träger des Kleistförderpreises. Auch in den diesjährigen Autoren wird viel Potential gesehen: »Sie rütteln an unseren gesellschaftlichen Bildern«, so Daniel Richter, Leiter des Stückemarkts 2010. www.litaffin.de, 14. Mai 2010 Keine Angst vor großen Türen Ganz frische Kopfgeburten der noch Ungespielten Unter dem Motto »Wer die Wahrheit liebt, lügt« trafen in diesem Jahr 297 neue Stücke aus Europa ein, fünf von ihnen wurden auf dem Stückemarkt in szenischen Einrichtungen von Regisseuren wie Lars-Ole Walburg oder Tilmann Köhler und Darstellern wie Jule Böwe, Steffi Kühnert, Charly Hübner oder Dieter Montag präsentiert. […] Insgesamt kein unerfreulicher Jahrgang von der Substanz her, vielleicht wird ein guter Bühnenwein daraus, wenn er unter - bitte liebevollen - Regiehänden reifen darf. Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Mai 2010 Wer mit den Autoren redet, begegnet wachen, erfreulich uneitlen Künstlern, die es mit dem Theater ernst meinen, die Positionen und Schreibhaltungen ausprobieren und das schreiben mit einer Entschiedenheit, die etwas Beeindruckendes hat, zu ihrem Lebensinhalt machen. Peter Laudenbach, Süddeutsche Zeitung, 21. Mai 2010 Yvonne Büdenhölzer Marion Hirte 06 Die Ambivalenz des Brückenbauens Impulsrede von Nino Haratischwili Der Westen erkennt im Osten das Potenzial, die Wut und das Exotische, spricht ihm jedoch gleichzeitig das Recht der künstlerischen Freiheit ab. Ich berichte aus meiner persönlichen Erfahrung, dass man Stücke und Autoren aus Osteuropa nur dann interessant und förderungswürdig findet, wenn sie sich mit ihrer angeblich »krassen, gewaltvollen, kummervollen« Geschichte auseinandersetzen, die im Osten nun mal gegenwärtiger ist als im Westen. Diese Geschichte handelt natürlich von Kriegen, von Vergewaltigungen, von tragischen Familiengeschichten, die geprägt sind von politischen Entwicklungen – kurz gesagt: Sie ist »welthaltig«. Aber der Osten ist eben nur dann interessant, wenn man zwar all diese Themen – auf »östliche« Art und Weise – verhandelt, sich in der Form jedoch an den »Westen« anpasst. Dies ist fatal, denn im Theater sollte es stets um die eigene, individuelle Sicht gehen – egal mit welchem Hintergrund. […] Als Mensch wie als Autorin beschäftige ich mich natürlich, wie jeder andere auch, mit meiner Vergangenheit, aber ich muss mich genauso viel mit meiner Gegenwart beschäftigen. In der reagiere ich auf die Welt, in der wir nun mal leben, aus meiner Sicht und mit meinen Mitteln. Manchmal interessiert mich jemand, der in WG- und Campus-Geschichten steckt, und manchmal interessiert mich der Krieg. Ich finde es schade, dass der Osten die eigenen Künstler erst wertschätzt, wenn der Westen sie für gut heißt. Genauso schade finde ich es aber auch, dass der Westen die Künstler aus dem Osten für die eigenen Defizite bis hin zu den eigenen Projektionen einsetzt. Das ist eine grobe und pauschale Feststellung und doch ist sie oft sehr real. Die Globalisierung und das Zusammenwachsen der Kulturen heißt nicht, das Eigene vergessen – und in der Kunst wiederum sollte das Eigene DAS Welthaltige, Authentische und Berechtigte sein. Man sollte sich und sein Schaffen durchaus der Kritik unterziehen, aber man sollte sich nicht dem Markt anpassen, der einen auffrisst, wenn man sich verheizen lässt, und der einen fallen lässt, wenn man z.B. nach vier guten Aufführungen einmal eine misslungene hat. 07 Die Ambivalenz ist das große Problem unserer Gegenwart, aber auch eine Bereicherung. Die Welt, in der wir leben, ist sehr zersplittert und wird immer komplexer und undurchschaubarer. Es wird immer schwieriger, eine klare, eigene Position zu finden und sie vor allem auch vertreten zu können, denn man lebt in einem ständigen Wandel. Aber das ist es genau, was Theater – zumindest für mich – ausmacht. Die Bühne ist der Ort, wo wir uns kurz Zeit nehmen können um zu reflektieren. Der Ort, wo wir das Eigene vertreten können, wo wir gedanklich die Konsequenzen durchgehen können, wo wir denken und fühlen können, ohne das alles gelebt zu haben und leben zu müssen, was wir empfinden und sehen. Im Theater müssen alle Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden, Platz haben, jenseits von Ost und West oder irgendwelchen anderen gerade modischen Kriterien. Das Theater ist einer der letzten Orte, wo wir »verschwenderisch« sein können, wo wir Leistung nicht sofort mit Gewinn gleichsetzen müssen. Dieses Gut gilt es für mich – gerade heute – extrem zu verteidigen. Es lohnt sich, meiner Meinung nach, dafür zu kämpfen, dass man Qualität erhält und nicht Quantität. Eine Geschichte kann auf verschiedene Weisen erzählt werden – und das sollte das Theater anbieten. Man sollte als Autor – egal woher man kommt – nicht gezwungen werden, sich mit Themen zu befassen, die mit einem nichts zu tun haben, nur weil man so wahrscheinlicher gefördert wird: Man sollte nicht gezwungen werden, drei Mal mehr zu arbeiten und dadurch das eigene Schaffen respektlos zu behandeln, weil man so bessere Chancen hat zu überleben. Denn aus langer Sicht kann man sich als Künstler und vor allem als Autor nur dann etablieren, wenn man das Eigene vertritt und wahrt. […] die Szenischen Lesungen Alles Ausschalten von Julian van Daal Der 25-jährige Julian van Daal aus Hannover stellt hier sein allererstes Stück vor. Mit »Alles ausschalten« wurde der Stückemarkt am Mittwoch eröffnet. Drei Jungen und zwei Mädchen, alle so um die 20, suchen das Glück und finden es nicht. Vielleicht, weil sie sich kolossal langweilen, vielleicht weil sie keine Ahnung haben, wozu es sich zu leben lohnt, weil sie niemanden haben, gegen den sie kämpfen könnten – schon gar nicht gegen die Eltern, die ihnen alles immer allzu leicht gemacht haben. Und jetzt also: Krise. Dynamische Dialoge, Aggression und Ratlosigkeit, ein starker Auftakt. Deutschlandradio Kultur, Anke Schäfer, 17. Mai 2010 »Alles ausschalten« heißt das erste Stück des fünfundzwanzigjährigen Hannoveraners Julian van Daal, der inzwischen am Wiener Max Reinhardt-Seminar Regie studiert, und das gestern den Stückemarkt des Berliner Theatertreffens eröffnet hat. Eine zunächst durchaus gekonnte Folge expressiver kurzer Szenen, in denen fünf Twentysomethings ihre Lebensleere zu artikulieren versuchen, ihre Sehnsucht nach Sinn und selbst gefühlten Emotionen. Van Daal malt hier ambitioniert an einem Porträt seiner Generation, der er den fernsehmagazinhaften Begriff »Generation Krise« anklebt […]. Tilmann Köhler, der das Stück (mit durchaus intensiven Momenten) szenisch eingerichtet hat, lässt die Schauspieler Tino Mewes, Matthias Reichwald, Eva Meckbach, Julischka Eichel und Chistoph Franken den Plastikballen erklimmen und ihre Anklage chorisch vortragen. Die Lösung? Alles abschalten eben, wie der Titel schon sagt. Handys, Computer, Fernsehen, Eltern und was sonst noch so stört. Alles abschalten und selber leben. Wie ein Deus ex Machina steht dann aber der gelähmte Vater aus dem Rollstuhl auf, knallt die jungen Leute ab. Schaltet das Fernsehen wieder an. Das Happy End fällt aus. Esther Slevogt, nachtkritik.de, 12. Mai 2010 Mit sensiblem Ohr für aktuelle Konversationsmoden lässt Julian van Daal (Jahrgang 1985) in »Alles ausschalten« fünf Jugendliche beredt zum Schweigen kommen. Die Gesellschaft ist ihnen zu lasch, die Eltern sind ihnen zu wohlwollend, was bleibt den »Krisenkindern« übrig, als regelmäßig »Keine Ahnung« zu blöken? Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Mai 2010 Drahtseilakrobaten von Peca Ştefan Surrealistisch glühender Bilderbogen Wie [der] Produktionsalltag aussieht, führte dann der achtundzwanzigjährige rumänische Dramatiker Peca Ştefan (der in New York studiert hat) satirisch in seinem Stück »Drahtseilakrobaten« vor, in dem man zunächst einem rumänischen Jungdramatiker begegnet, der mit einer New Yorker Theateragentin um seine Mitwirkung an einem Osteuropa-Projekt ringt. An der osteuropäischen Realität, die da den saturierten Amerikanern zwecks Förderung ihrer Spendierfreudigkeit serviert werden soll, ist die Agentin sichtlich nicht interessiert. Sie will krachende Klischees von postsozialistischem Elend, Prostitution, Gewalt und Bürgerkrieg. (Und ist dabei natürlich selber eins.) Der Dramatiker will aber eine universell gültige Liebesgeschichte erzählen, was ihm fast den Rausschmiss einbringt. Er wird erst engagiert, als er sich den Klischees willig fügt. Was natürlich auch ein Klischee ist: der Dichter als Vertreter des Wahren und Hehren, der sich den platten Marktanforderungen fügen muss. Im vorliegenden Fall aber ein sehr selbstironisch präsentiertes. Diese mit »Rumänien zu verkaufen« überschriebene Satire ist jedoch nur das Vorspiel zu einem surrealististisch glühenden Bilderbogen aus einem (deutlich entzauberten) rumänischen Jetzt, das von einer nie näher definierten Vergangenheit immer wieder verdunkelt wird […]. Da kommt ein ehemaliger Clown des rumänischen Staatszirkus plötzlich in der Wohnung eines zerrütteten Paares vorbei, zaubert ihnen verunglückt etwas vor (in deutlicher Bettelabsicht), spricht von Zeiten, als Menschen noch in seinen Zirkus kamen, rührt schließlich die Dame des Hauses so sehr, dass die ihm ihre Ersparnisse schenkt, worauf der Clown zum Dank ihren Macho-Geliebten erschießt, der sie gerade vergewaltigt hat. Zwei Schwestern, die in der neuen Zeit leidlich Fuß fassen konnten, versenken die Asche ihrer Eltern in der Donau, die offensichtlich auf der Flucht vor dieser neuen Zeit freiwillig aus dem Leben gegangen sind. Ein alter Mann sucht das Gespräch mit der Mumie seines Vaters. Eine Frau pflegt einen, nach einem Unfall beinamputierten Mann, der auch das Leben ihres Kindes kostete. Und zwar so lange, bis der Mann dies begreift und dann von der Frau ermordet wird. Krude kleine Szenen […], die finster funkeln und deren Unglückmenschen unterwegs in ein besseres Leben sind, das sie nirgends finden werden. Esther Slevogt, nachtkritik.de, 12. Mai 2010 Solide surreal Der Rumäne Peca Ştefan schreibt auf Englisch. In seinem Stück »Wire and Acrobats« (Drahtseilakrobaten) strampelt eine Gruppe von Figuren in ihren scheinbar ausweglosen Situationen vor sich hin, bis plötzlich alles anders kommt. Ein Künstler versucht, durch Androhung von Selbstmord ein Gespräch mit dem Kulturminister zu erzwingen und prallt an der unfassbar bürokratischen Grundhaltung seiner Mitmenschen ab. Eine junge Frau will aus ihrem privaten Wartesaal nach Island entkommen, verschenkt das Reisegeld aber an einen Zauberer, der ihren lieblosen Ehemann von der Bildfläche verschwinden lässt. Ein Reigen an Verwandlungen, an Geschichten, die sich ineinanderschieben, immer wahnwitziger und anrührender. Anna Opel, Der Freitag, 21. Mai 2010 Und wenn wir schon über Rumänien sprechen: im Rahmen des »Stückemarkts«, […] dem bedeutenden Entdecker- und Förderfestival im deutschsprachigen Raum für neue Autoren aus Europa, hat zum ersten Mal auch ein Rumäne teilgenommen. Peca Ştefan (geboren 1982) mit einem Stück, […] das sich in deutscher Übersetzung »Drahtseilakrobaten« nennt. Von den ca. 300 08 Alles ausschalten von Julian van Daal Julischka Eichel, Matthias Reichwald, Eva Meckbach, Tino Mewes und Christoph Franken (v. l.) Drahtseilakrobaten von Peca Ştefan Katharina Schmalenberg, Julika Jenkins, Charly Hübner und Jonas Hien (v. l.) 09 Ewig Gärt von Ekat Cordes Max Simonischek und Manfred Böll (v. l.) Der groSSe Marsch von Wolfram Lotz Dieter Montag, Michael Schweighöfer, Sebastian Weber, Hermann Beyer und Jule Böwe (v. l.) 10 Texten, die die Jury dieses Jahr erhalten hat, wurden acht ausgewählt (darunter auch Pecas) und als szenische Lesungen – eigentlich nicht weit entfernt von abgeschlossenen Produk­tionen – inszeniert. Pecas Stück: ein exzellenter Ablauf von Situationen aus dem rumänischen Leben, in denen sich das Komische und das Makabre, die Logik und das Absurde untrennbar ver­ mischen. Das Stück konnte sich einer sehr guten Regie und junger begabter Schauspieler erfreuen, die den Text zur Geltung gebracht haben. Der Applaus war entsprechend herzlich. Observator cultural (Rumänien), 3.-9. Juni 2010 Ewig Gärt von Ekat Cordes In »Ewig gärt« von Ekat Cordes (Jahrgang 1982) ist ebenfalls die kaputte Familie die Wurzel allen Übels. Zu Sprachspielen à la Jelinek – »Ehe, wem Ehe gebührt« – spritzen in einem bizarren Kettensägenmassaker Ketchup, Bier und Körperflüssigkeiten. Ob auf der Kirmes, vor dem Fernseher oder beim Grillen, niemand ist vor den bösen Umtrieben der anderen sicher. Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Mai 2010 Ebenfalls mit einem Hang ins Surreale überzeugte das Stück »Ewig gärt« des Regisseurs Ekat Cordes. Er nimmt die Kleinfamilie unter die Lupe, wie sie an den Zentrifugalkräften eines wüsten Jahrmarkttreibens zerschellt. Gewalt, Perversion und Missbrauch kommen ans Licht. Das Ganze mit einem Hang zum sich endlos weiterschraubenden Sprichwort, der an Werner Schwab erinnert. […] Trotzdem drang eine eigene Sprache durch, ein Wuchern ins Surreale, das aufhorchen ließ. Anna Opel, Der Freitag, 21. Mai 2010 Der groSSe Marsch von Wolfram Lotz Was der Theatermarkt vom Autor verlangt, hat sich auch Wolfram Lotz gefragt, der […] am Leipziger Literaturinstitut studiert. Sein Stück »Der große Marsch« hebt mit der schwer zu widerlegenden Feststellung an: »Die meisten Theaterleute sind (natürlich gibt es Ausnahmen) Arschgesichter«, um hernach die kapitalismuskritische Mode eines selbstgefälligen Apparats zu verspotten. Es treten Regisseure auf, die echte Sozialhilfeempfänger ans üppig mit Nudelsalat gefüllte Subventions-Buffet scheuchen, außerdem der Autor selbst und seine Mutter, Josef Ackermann und Hamlet, und viele dieses Kalibers mehr. Eine smart geschriebene Parodie, auch wirklich komisch, vor allem die Schauspielerin Jule Böwe musste sich während der Szenischen Lesung, die LarsOle Walburg eingerichtet hatte, immer wieder kichernd das Textbuch vors Gesicht halten. Patrick Wildermann, Der Tagesspiegel, 23. Mai 2010 11 Wolfram Lotz in seiner irrwitzigen, mit Figuren aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Weltdramatik fantastisch besetzten Revue »Der große Marsch« sagt es so: »Das Theater hat ja Vorgaben gemacht. Es sollte was Politisches sein und um Wider- stand gehen und einen aktuellen Bezug haben.« Hatte es alles; auf originelle, subtil verquere und doch ordentlich krachende Art. Reinhard Wengierek, Berliner Morgenpost, 19. Mai 2010 Mit Wolfram Lotz entdeckt das Berliner Theater­ treffen einen Star Der Berliner Mann der Stunde […] ist Wolfram Lotz: Mit seinem vor Witz und hintergründiger Ironie sprühenden Stück »Der große Marsch« dekonstruiert der 1981 geborene Leipziger die Verlogenheit des pseudoliberalen Entertainments. »Meine Mutter sagt: Das Theater ist ein Punkt oder ein Ort oder sonst was«, heißt es dort, »aber es ist wie die Welt, und die Welt ist so, wie sie ist, und das nennt man Wirklichkeit.« Lotz’ meisterlich gebaute und brillant geschriebene Satire bildet eine faszinierend lebendige Reflexion über die scheinhafte Welt des Theaters. Hans-Joachim Neubauer, Rheinischer Merkur, 27. Mai 2010 Eine intellektuell-emotionale Tabula rasa hat Wolfram Lotz […] mit dem »Großen Marsch« probiert. Sie wurde in einer szenischen Lesung nun beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens erstmals öffentlich vorgestellt. Ausgewählt hat das Stück ausgerechnet Falk Richter, neben Burghart Klaußner, Iris Laufenberg, Marlene Streeruwitz und Malte Ubenauf Mitglied der Jury und auch einer der vielschreibenden, vielinszenierenden Platzhirsche. Das verrät einige Selbstironie, denn über derlei übliche Theaterbetriebsnudeln amüsiert sich Lotz aufs schönste und gekonnt gemein. In einem Narrenspiegel des Gegenwartstheaters treten auf: Josef Ackermann, Dieter Hundt, Bakunin, Hamlet, Prometheus, echte Sozialhilfeempfänger, ein ausgestorbener Vogel, Kinder mit dem Down-Syndrom, fünfzig Nereiden und, und, und … Alle betreiben radikalverbalen Unfug zwischen Nudelsalaten, Umzugskartons, RAF-Zitaten, Kapitalismus- und Kunstkritik. Da wird nicht gekleckert, sondern schamlos absurd auf den Tisch gehauen. Egal, ob und wie dies jemals auf eine Bühne gelangen wird, als quietschvergnügt-anarchische Kopfgeburt ohne Scheu vor Namen, Usancen und Fördergremien macht »Der große Marsch« jedenfalls wirklich Laune. Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Mai 2010 »Der große Marsch von Wolfram Lotz eroberte bei der Lesung das Publikum im Sturm. Mit Schwung wirft der Autor sich in die sachkundige Verhohnepipelung des Theaters als Institution. Respektlos übt er Kritik am selbstreferentiellen Blabla einer Szene, die sich in der Rolle der letzten kritischen Bastion gefällt und nicht merkt, wie sie einerseits an den wahren Schmerzpunkten vorbeiredet und andererseits ästhetisch auf der Stelle tritt: Eine Moderatorin zitiert Figuren auf die Bühne, die nur sagen dürfen, was ins Konzept passt. Die Mutter des Autors tritt als Figur auf, sie bringt einen unleserlichen Zettel mit der Grußbotschaft des Urhebers Lotz: »Alle sind Brei« wird am Ende entziffert. Oder frei? Was für ein schöner Gedanke, was für eine kluge und lustvolle Kritik!« Anna Opel, Der Freitag, 21. Mai 2010 hörtheater Ernte von Claudia Grehn Politisch, widerständig, aktuell, aber jenseits von jedweder Absurdität ist Claudia Grehns vielschichtig reflexive Verzweiflungsgeschichte über polnische Arbeitsmigranten unter uns. Eine packende »Geradeaus«-Tragödie von Beladenen und Mühseligen. Ein bitteres Schmerzens-, ein dunkles Sehnsuchtsstück einer Autorin, die wahrscheinlich, wie Peymann sich ausdrücken würde, »wirklich wichtig« wird. Enorm preiswürdig. Reinhard Wengierek, Berliner Morgenpost, 19. Mai 2010 In »Ernte« geht es, formal anspruchsvoll, um die Verschränkungen von Arbeits- und Privatleben einer polnischen Familie, die sich in Deutschland durchschlägt. Die Autorin hat sich viel an Schicksal und Weltschmerz auf die jungen Schultern geladen und dabei mitunter ein wenig das Theater vergessen, aber beachtlich ist ihr Versuch, Ökonomie und Liebe, Mitgefühl und Verzweiflung zu verbinden. Irene Bazinger, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Mai 2010 Für Freitagabend steht vor der Preisverleihung des Stückemarktes mit Claudia Grehns Ernte noch ein Highlight auf dem Programm. Die junge Autorin verbindet in ihrem Stück literarische Ambition mit Systemkritik. Und das mit einer Ernsthaftigkeit, die sich von den männlichen Kollegen abhebt, sich vielleicht auch dem Vorwurf der Naivität aussetzt. […] Doch das Stück begnügt sich nicht mit der Beschreibung des tristen Status Quo, es zeigt seine Figuren als denkende, fühlende Menschen, schafft gedanklichen Raum für Alternativen und fordert zudem das Theater als Raum der Literatur heraus. Eine reiche Ernte. Anna Opel, Der Freitag, 21. Mai 2010 Die Welt ist Dreck Alle Figuren wollen etwas anderes als das, was sie haben: Einen anderen Job, eine andere Frau, ein anderes Leben. Aber eine genaue Vorstellung, wie dieses Leben aussehen oder sich anfühlen soll, haben sie nicht. […] Es sind Sinnsucher, Umbruchsmenschen, mit denen eine neue Zeit experimentiert. Sie wissen, dass sie nicht mit den nötigen Fähigkeiten ausgestattet sind, die diffusen Herausforderungen zu bewältigen. »wir werden vollgepumpt mit altmodischen werten die man so nicht mehr leben kann … überreste aus einer weltvorstellung aus dem letzten jahrhundert«, bilanziert Lena ihre Schulausbildung. Nicht alle Figuren Grehns sind so radikal wie Lydia, die über die Abschaffung des Menschen nachdenkt: Ob Krebs vielleicht der nächste Schritt der Evolution ist? »his dark and secret love / does thy life destroy«, hat Grehn ihrem Stück ein Zitat von William Blake vorangestellt. Sehnsucht geht einher mit Zerstörung, und die Welt ist Dreck: »der schmutz nistet sich in den augäpfeln ein wo man ihn nicht mehr abwischen kann«. […] Auch wenn Claudia Grehn ihre Figuren recht realistisch anlegt, sperren sie sich gegen eine psychologische Lesart. Sie sind Begehrensmaschinen, angetrieben von Grehns Sprache. Elena Philipp, nachtkritik.de, 21. Mai 2010 Variationen über das Kraepelin-Modell von Davide Carnevali Emotional bewegendes Kammerspiel […] Einen interessanten Diskussionsbeitrag zur Ätiologie der Alzheimer-Krankheit bietet der 1981 in Mailand geborene Theaterautor, Übersetzer und Kritiker Davide Carnevali mit seinem Theaterstück »Variationen über das Kraepelin-Modell oder Das semantische Feld des Kaninchenschmorbratens« an. Es wurde zum Wettbewerb »Stückemarkt« des Berliner Theatertreffens 2009 zum besten »Theatertrext als Hörspiel« gewählt. Deutschlandradio Kultur und SR 2 Kulturradio haben nun gemeinsam unter der Bearbeitung und Regie von Ulrike Brinkmann das Hörspiel produziert. Der Autor stellt die Demenz eines alten Mannes dar (mit großer Ausdrucksintensität und Einfühlungskraft von Jürgen Holtz gesprochen), deren Krankheitssymptome sich zum Teil mit Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises überschneiden, und er führt die Ätiologie der Krankheit auf eine multiple Traumatisierung zurück. Der Demenzkranke, der einen fast ähnlichen Namen wie Emil Kraepelin trägt […], lebt mit der Wahnvorstellung, der letzte Krieg sei seit 80 Jahren noch nicht beendet, die Feinde hätten nur den Namen geändert – im Gegensatz zu Gott, dessen Name außerhalb des »semantischen Feldes« stehe, also bedeutungslos sei. Einmal sagt der Mann: »Ich brauche Gott, dass ich vergesse, dass Krieg ist, ich will nichts mehr wissen, ich will vergessen.« Im Widerspruch dazu sagt er seinem Sohn, den er nicht erkennt und einmal für seinen früheren Feldwebel, ein anderes Mal für seinen Vater hält: »Eine Welt ohne Erinnerung ist wie die Wand in diesem Zimmer: kahl…« Dem Gedächtnisverlust stehen Augenblicksmomente klaren Bewusstseins gegenüber, das die Erfahrung einer verstörenden Realität markiert, die »nie im Vergessen verschwindet«, aller Verdrängung traumatischer Erfahrung zum Trotz. Der Sohn des Alten berichtet dem behandelnden Arzt (Matthias Brenner und Heikko Deutschmann in den kleineren Rollen), seine Mutter sei gegen Kriegsende mit einem amerikanischen Soldaten »abgehauen«, und es ist berührend, der amalgamierten Verdrängung und Verklärung dieses traumatischen Erlebnisses zuzuhören. Er weiß nicht mehr den Namen seiner Frau, spricht aber von seinen unzerstörbaren zärtlichen Gefühlen für sie. Paradoxien zwischen traumatischen Erlebnissen, Erinnerungen und Verdrängungen bringt der Kranke selber auf den Punkt: »Ich erinnere mich an nichts, ich kann dir aber erzählen, was ich vergessen habe.« Zum Beispiel das Rezept seines im Untertitel genannten geliebten Kaninchenschmorbratens. Regisseurin Ulrike Brinkmann hat, unterstützt von zeitbloms dezenter Musikkomposition, das Theaterstück in ein gedanklich anspruchsvolles, emotional bewegendes akustisches Kammerspiel mit Repertoire-Qualitäten transformiert. Norbert Schachtsiek-Freitag, Funk-Korrespondenz, 04. Juni 2010 12 Ernte von Claudia Grehn Almut Zilcher und Barbara Heynen (v. l.) Hörtheater: Variationen über das Kraepelin-Modell von Davide Carnevali 13 dramatikerworkshop In Hannes Beckers »Befreundete Menschen« treffen Bartolomé de las Casas und Hernán Cortés zu einem real-irrealen Gespräch aufeinander. Die sorgfältig austarierte Sprache des 28-jährigen Becker beschwört die Unterwerfung Lateinamerikas im Licht von heute. Die harschen Zeitbrüche dieses experimentell angelegten Dramas überführen den Schrecken aus der historischen Ferne ins Nahe. Nicht alles, was geschah, ist vorbei. Und nicht alles, was vorüber ist, ist passiert. Sandra Kellein (geb. 1958) entwirft mit ihrer von Jean Genet in­spi-­ rierten irrlichternden Groteske »Wohlfühlen für Fortgeschrittene« einen fulminanten Ritt durch die Wellness-Gesellschaft: »Ich möchte doch nur ein bisschen Permanent-Make-up«, sagt ein alter Punk. »Man verliert im Arbeits- und Alterungsprozess so leicht die Kontur.« Hans-Joachim Neubauer, Rheinischer Merkur, 27. Mai 2010 Als Autor ist man ja gerne mal verletzlich Thomas Arzt, Hannes Becker und Sandra Kellein sind die diesjährigen Teilnehmer(innen) des Stückemarkt-Workshops. Unter dem Motto »Vorsicht zerbrechlich« arbeiten die drei zusammen mit Autor und Dramaturg John von Düffel an kleinen Textausschnitten […]. Ein Werkstattbesuch. […] Wie geht es Ihnen dreien hier? Thomas Arzt: Ich bin ganz froh, dass ich im Workshop bin. Hier kann ich auch einen Text reinnehmen, der noch Baustelle ist. Das ist ein geschützter Rahmen, wo man gemeinsam darüber reden und arbeiten kann. Allerdings geht das langsam schon an die Energie … am Montag haben wir besprochen, über Nacht dann geschrieben, haben heute wieder besprochen, schreiben dann wieder über Nacht. Da entwickelt sich in der Woche was. Ich bin auch froh, dass unsere Präsentation nicht so ausgestellt ist wie die der anderen. Das macht weniger Druck. Sandra Kellein: Gleichzeitig ist es die Sache von jedem Autor, ob er von den Dingen, die wir hier erarbeiten, was mitnimmt, ob er damit was machen kann. Wir haben alle extra einen Text dafür geschrieben. An meinem doktere ich noch herum. Gerade habe ich hier ein paar wiedersprüchliche Botschaften bekommen. Aber das finde ich gut: Dass ich, als emanzipierte Autorin, entscheiden muss: Was möchte ich jetzt, was nehme ich davon an? Und das finde ich sehr wichtig, dass jeder von uns diese Frage im Workshop auch mitkriegt: Was nimmt man von der Kritik oder den Anmerkungen mit? Jeder Dramaturg erzählt einem was anderes, und jeder Regisseur macht was anderes draus, und jeder Leser, Hörer oder Zuschauer sieht nochmal was anderes. Ich muss schon bei mir bleiben. Das ist meine persönliche Kunst, die ich hier praktiziere. Bis morgen um zehn mache ich noch ein paar marginale Änderungen, die aber für die anderen einen unheimlichen Dreh bedeuten können. Das bleibt hier immer ein bisschen work in progress. Hannes Becker: Ich erlebe hier etwas von dem Schrecken, mit dem mein Text arbeitet. Also, ich habe einen Text geschrieben, der bewusst eine Überforderung herstellt, für jede Inszenierung. Ich behaupte trotzdem, dass das aufführbar ist. Dafür muss ich jetzt selbst erkunden, was man nun tun muss bzw. welche Denkschritte man gehen muss, um den Text für eine konkrete Aufführungssituation vorzubereiten. Das ist schon gut, dass ich das mal selbst erlebe, was der Regisseur und die Schauspieler und alle, die daran arbeiten, um aus dem Text eine Aufführung zu machen, überlegen müssen. […] Sie sind ja alle doch aus unterschiedliche Generationen … hat das was augemacht? Thomas Arzt: Ich finde das sehr bereichernd, dass verschiedene Zugänge da sind. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass meinem Text was aufgezwungen worden ist, nur weil ich »jung« bin und damit vielleicht unerfahrener. Die Sandra kann gut mit ihrer Erfahrung kommen, der John mit seinem dramaturgischen Handwerk. Der Hannes hat mit seinem Leipzig-Studium einen sehr literarisch-philosophischen Zugang. Und das meiste wird so ausgedrückt, dass ich persönlich was damit anfangen kann. Mir gefällt das gut, dass wir nur zu viert hier sind und Zeit haben. […] Wie war die Arbeitsweise im Workshop? Es gibt ja sehr unterschiedliche Ansätze in der Textarbeit. Hannes Becker: Das war recht verschieden. Ich kann das kurz für meinen Text sagen. Da ging es vor allem um Fragen der Dramaturgie: Was ist dramatisch los in dem Text? Ein Text kann auch als Text funktionieren, poetisch oder sprachlich, aber »dramatisch«, das ist noch was anderes, oder etwas … etwas Zusätzliches, finde ich. Da wurde bei mir sehr genau geguckt: Da kommt jetzt dieses und dann das und das bedeutet das. Wie kommen wir jetzt von dem einen zum anderen? Oder soll man nicht schon früher zum anderen kommen? Und wie geht das dann? Wie war die Atmosphäre bis jetzt? Sandra Kellein: Mir persönlich macht es großen Spaß, John von Düffel bei der Arbeit zuzugucken. Der ist nun mal wirklich ein superprofessioneller Dramaturg. Als Autor oder Autorin ist man ja auch gerne mal verletzlich, aber John hat diese prima Art, einem was zu sagen. Da muss man nicht in Ohnmacht fallen. Thomas Arzt: Bei mir war das, ähnlich wie beim Hannes, so, dass ich ein langes Stück habe, aus dem ich für die Präsentation Ausschnitte zusammengestellt habe. Durch das Zusammenstellen, durch den ersten Versuch, ist mir gleich etwas über die Figuren klar geworden. Da ist nämlich der Eindruck entstanden, dass das Rundherum der Figuren zu groß war und das hat das, 14 was eigentlich in dem Text drinliegt, platt erscheinen lassen. Wir haben dann gemeinsam nach Sätzen gesucht, die die Figuren komplexer machen. Das hat mir etwas über die Figuren erzählt, und dadurch habe ich sie wieder anders schreiben können. Ich weiß jetzt viel mehr über meine Figuren als vor dem Workshop. Sandra Kellein: Ich habe hier die Anregung bekommen, aus meinem kurzen Ding, was ich für den Workshop gemacht habe, vielleicht ein großes Stück zu bauen. Insofern ist das hier eine ganz gute Inspiration und Anregung, weil man sich schon mal eine Woche damit befasst hat. Ich hab da jetzt mehr Fundament, als wenn ich das allein zu Hause gestrickt hätte. Anne Ratte-Polle Christoph Franken Hannes Becker Thomas Arzt John von Düffel Jörg Pose Sandra Kellein Ursula Staack Wie geht es Ihnen, wenn Sie an die Präsentation denken? Hannes Becker: Ich hätte schon gerne einen kleinen Abstand, mal sehen, ob das klappt. Gerade sieht es so aus, als würden wir viel proben. Dabei sein ist super, klar, aber irgendwie würde ich mich doch gerne ab einem bestimmten Punkt ausklinken aus den Proben und die machen lassen. Damit das nicht zu einer Einheit verschwimmt. Das wäre mir schon sehr wichtig, dass ich mich da wirklich hinsetzen und sagen kann: Ich schaue mir das jetzt einfach an. Das haben die gemacht. Ich hab auch was gemacht, aber das, was hier auf der Bühne ist, haben die gemacht. Thomas Arzt: Ich freue mich sehr auf den Probenprozess und die Schauspielerarbeit. Eigentlich hab ich keine Bedenken, dass der Abend irgendwie blöd werden könnte. Und eigentlich habe ich auch nicht das Gefühl, dass ich jetzt da bin, um einen Preis zu gewinnen. Das ist mir eigentlich Wurst. Sandra Kellein: Ich freue mich immer, wenn ich sehe, was ein Schauspieler mit meinem Text macht. Oft ist das ja nochmal etwas, das ich von meiner Figur gar nicht kenne. Fast wie ein neues Leben, das dazukommt, eigentlich schön. So bin ich gerade ziemlich heiter. Es kann natürlich alles schief gehen. Man kann immer auf die Schnauze fallen, genauso wie im richtigen Leben. Alexandra Müller, Theatertreffen-Blog, 21. Mai 2010 15 Vorsicht zerbrechlich! Präsentation des Dramatikerworkshops autorenportraits Claudia Grehn Claudia Grehn möchte ihre Texte mit dem Team fortschreiben Claudia Grehn setzt sich auf einen der beiden antiquarischen Küchenstühle mit den roten Polstern, nimmt ihre braunen Locken mit beiden Händen kurz im Nacken zusammen, – und lässt sie dann wieder auf die Schultern fallen. Sie überlegt, wie sie auf ihre Themen kommt: auslösen. Um an das »Wesentliche« heranzukommen, das die junge Autorin so sehr interessiert, muss man eben eigentlich – dichten. »Man kann ja durch Gedichte viel näher an die Menschen herankommen. […] Es müsste Orte geben, wo Leute sich gegenseitig ihre Gedichte vortragen. Das fänd ich schön, das würde ich gerne mal anfangen!« Anke Schaefer, Deutschlandradio Kultur, 12. Mai 2010 »Ich glaube nicht, dass ich auf die Themen komme, sie sind ja einfach da. Es ist ja eben so, […] erst mal wie in einem Dschungel von Problemen und Schmerzen – damit wird man konfrontiert und man muss sich da durchkämpfen und man muss versuchen, nicht aufzugeben und nicht unterzugehen. Oder?« Jenseits üblicher Automatismen Die Autorin Claudia Grehn im Gespräch mit Anna Opel Es gibt aber auch Momente im Leben der jungen Autorin, in denen alles stimmt. Und das sind Momente, in denen sie mit anderen zusammenarbeitet. Von so einer Situation ist das Stück inspiriert, das jetzt auf dem Stückemarkt des Theatertreffens gezeigt wird. »Ernte« heißt es – und sie weiß, was ernten heißt, denn jedes Jahr im Herbst pflückt sie Äpfel oder Weintrauben, meist in Frankreich. […] Das Stück »Ernte« allerdings handelt nicht so sehr vom Ernte-Glück – vielmehr von Zwängen und Unsicherheit, von Lohnarbeit und Sozialversicherung. […] Sie möchte in Zukunft als Autorin auf der Bühne, mit der Regie und den Schauspielern das Stück gemeinsam weiterdichten. […] Der Austausch, die Teamarbeit, ist wichtig geworden, für diese junge Frau mit den klaren Augen, mit dem klaren Blick. In Trier ist sie aufgewachsen und lebt jetzt gerne hier im multikulturellen Berlin, in dieser Wohnung, die sie mit einer Künstlerin aus China teilt. Sie studiert an der Universität der Künste »Szenisches Schreiben«. Hat sich an der Streikbewegung im vergangenen Sommer beteiligt, das Audimax mitbesetzt, und es genossen, so ganz direkt – mit den anderen – aktiv zu sein. All das gehört für sie zur Ausbildung. »Man kann nicht einfach an eine Uni gehen und sagen – hier bin ich, mach was aus mir.« Claudia Grehn: Na ja. Das Problem der Lohnarbeit, die damit verbundene Ausbeutung der Menschen im Kapitalismus, das hatte sich in den Vordergrund gedrängt. Es macht mich wütend, zu sehen, wie Menschen sinnlos daran kaputtgehen, ohne sich zu wehren. Wütend macht mich auch das Verzweifeln an der angeblichen Überforderung, über die so viel geredet wird. Natürlich bin ich überfordert, wenn ich mich dem widersprüchlichen Konsummarkt hingebe und daraus ein Weltbild abzuleiten versuche. Wenn ein Text nicht auf einem manipulierten Weltbild basieren soll, muss man sich die eigene Bildung und Informationsbeschaffung selbst organisieren, aktiv werden. Das war vielleicht so etwas wie ein Grundgefühl für das Entstehen des Textes. An der Uni gilt also wie am Theater: Zusammen kommt man weiter. Und schon ist sie wieder beim Thema Zusammenarbeit. Und denkt an die Zeit, als sie mit Maxim-Gorki-Theater Intendant Armin Petras gemeinsam Stücke aus dem Russischen übersetzt hat. »Das bildet eben weiter. Weil man was erfährt über eine Arbeitsweise, oder darüber wie Texte geschrieben werden. Das gehört alles zur Ausbildung!« Claudia Grehn schöpft Atem und nippt noch mal am grünen Tee. Es geht jetzt ein bisschen besser, mit dem Interview. Einmal hat sie sogar schon laut gelacht. Es ist aber einfach ihre Art, sehr, sehr vorsichtig mit den Worten umzugehen. Jedes Wort, das man ausspricht, könnte ja beim Gegenüber ein Konzept im Kopf […] Und wie ist das neue, zum Stückemarkt des Berliner Theater­treffens eingeladene Stück »Ernte« entstanden? Bemerkenswert erscheint mir, dass die Figuren ihr kleines Leben leben, ihr Bewusstsein aber darüber hinausweist, und das schafft Offenheit. Was beschränkt die Figuren? Ist es ökonomische Notwendigkeit? Claudia Grehn: Ich würde sagen, dass sie kein politisches Bewusstsein haben und sich nicht richtig austauschen können. Aber ich glaube nicht, dass es die »ökonomische Notwendigkeit« ist, die sie daran hindert. Das »Experiment« im Stück hinterfragt genau das. Da nehmen vier Leute ihr Leben in die Hand, und auch wenn das nicht sofort funktioniert, hat sich die Suche nach einem Ort gegen die Selbstverständlichkeit damit nicht erledigt. Ein Problem ist die Unsicherheit, die aufkommt, wenn man etwas beginnt, was jenseits der üblichen Automatismen liegt. Die Frage »Wie kann man sich durch Schreiben oder auch durch ein gemeinsames Projekt von dieser Unsicherheit befreien?« stand am Anfang der Zusammenarbeit mit Lena Müller. In ihren Texten, den Teilen des Stückes, die mit »Experiment« überschrieben sind, wird das auf einer Ebene reflektiert, zu der die Figuren keinen Zugang finden. 16 Autorentisch mit Marion Hirte, Wolfram Lotz, Claudia Grehn und Ekat Cordes (v. l.) Peca Ştefan (mit Mikro) 17 18 19 Es gibt noch einen anderen Schauplatz, der über die Szenerie hinausweist. Die Figur der Lydia und ihre Lektüre in der Bibliothek. Claudia Grehn: Ja. Das sind Texte des Physikers und Systemtheoretikers Fritjof Capra. Von seinem wissenschaftlich-ganzheitlichen Denken habe ich während meiner gesamten Schulzeit nie etwas gehört. Wenn man etwas anderes erfahren will, muss man gleich die Institution wechseln. Ich finde es aber wichtig, Alternativen zu haben, Perspektiven zu wechseln, zu wissen: Es ist nicht zwingend, dass die Menschen so leben, wie sie leben. Hannes Becker Peca Ştefan Und das gilt auch in Bezug auf das Schreiben? Claudia Grehn: Ja. Wenn ich dem näher kommen will, was in der Gesellschaft vor sich geht, dann kann ich nicht in einer Form schreiben, die sich auf eine Gesellschaft bezieht, die es so nicht mehr gibt. Aber wie das geht, das weiß ich am Schreibtisch nicht, ich kann nur Vorschläge machen. Deshalb möchte ich am liebsten Teil des Problemprozesses sein, und zwar von Anfang an. Eine Hierarchie finde ich in einer solchen Arbeit problematisch. Wenn es um Formen und Inhalte geht, die sich erst eine Bühne erkämpfen müssen, dann braucht man ein Team. Anna Opel, Theater der Zeit, Juni 2010 Julian van Daal Ekat Cordes Ekat Cordes Stets auf der Suche nach neuen Formen und Aus­ drucksweisen In Ihrem Stück kommen sowohl in Bezug auf stilistische Mittel als auch auf Aspekte der Erzählweise Elemente vor, die man sonst eher aus dem Genrekino, vor allem dem Horrorfilm kennt. Wie kommt es dazu? Sandra Kellein Thomas Arzt Wolfram Lotz Claudia Grehn Ekat Cordes: […] Ich denke, dass kaum ein Genre so starke Möglichkeiten bietet, auf kreative Weise sehr reale, grausame und auf dem Theater im Grunde kaum darstellbare Probleme auf kritische Weise in künstlerisch überhöhte und gleichzeitig beunruhigende Bilder zu übersetzen. In meinem Stück nutze ich solche Elemente – vom splatterartig spritzenden Blut über den unheimlichen Keller hin zur Geisterbahn oder einem dem Tod ähnelnden Moderator: Dabei ging es mir aber immer darum, zu einer Sprache und Erzählweise zu finden, die dem Betrachter die Ahnung von etwas eigentlich gar nicht Darstellbarem, viel Schrecklicherem gibt – und durch die Verbindung von Grauen und einer häufig sehr spielerischen Sprache, die dieses Grauen in Worte fasst, entsteht dann etwas Unvereinbares, eine Reibung zwischen Form und Inhalt, die ich spannend finde. Christoph Marthalers »Riesenbutzbach« spielt in einem umfunktionierten Institut für Gärungsgewerbe, in Ihrem Stück 20 stinkt und brodelt es an allen Ecken und Enden unter einer verborgenen Oberfläche: Ist da was Größeres am Gären? Ekat Cordes: Da gärt ’ne ganze Menge! »Ewig gärt«, das hat für mich die verschiedensten Bedeutungen. Zum einen die zentrale Thematik des Stücks: So lange es Menschen gibt, werden Themen wie Missbrauch, Gewalt und Verdrängung aktuell sein und bleiben. Gären bedeutet dann ja auch, dass etwas noch nicht fertig, in diesem Falle noch nicht aufgeklärt ist, dass da etwas im Verborgenen entsteht, ohne dass man es sehen oder greifen kann. Das ist ja auch im Stück so: Jeder ahnt etwas oder glaubt, irgendwas zu wissen, jeder merkt, dass da was gärt, aber weil das alles nur hinter der Fassade, hinter Gartenzäunen oder verschlossenen Türen stattfindet, weiß niemand wirklich, was er tun soll, ob und wie er sich einschalten soll. Was mir beim Lesen besonders auffiel, war die sehr eigene Sprache, in der die Figuren in Ihrem Stück untereinander kommunizieren. Viele der wiederholt auftretenden Sprachspiele waren für mich immer auch ein Spiel mit dem Schrecken, ein Herumreden um das Grauen. Ekat Cordes: Ich fand es einfach unglaublich spannend, zu versuchen, die Sprache immer und immer mehr zu verknappen und zu verdichten, bis an manchen Stellen fast nur noch eben dieses Spiel mit Sprache herrscht und der eigentlich entsetzliche Inhalt beinahe untergeht in diesem ständigen Herumreden um den heißen Brei. Die Figuren sind sprachlos, sie suchen nach einem Ausdruck für das, was sie sehen und hören, finden ihn aber nicht und verlieren sich eben in dieser stilisierten, ablenkenden Sprache. […] Kann Theater etwas bewegen? Ekat Cordes: Es wäre in jedem Fall schön, wenn es so wäre. […] Das ist natürlich nicht mit herkömmlichen »well-made plays« machbar, da müssen Stücke und Inszenierungen her, die wichtige Themen ohne eine gefällige Verharmlosung angehen. […] Dabei geht es doch genau darum, die Leute, die ins Theater gehen, zu fordern, in diesem geschützten Raum des Theaters mit etwas Unbekanntem zu konfrontieren und die Zuschauer, vor allem die jungen, nicht zu unterschätzen. Kai Krösche, Theatertreffen-Blog, 18. Mai 2010 Peca Ştefan 21 »Ich bin ein Künstler…« Ich verlange den Kulturminister zu sprechen!« – schreit das Alter Ego des Autors Peca Stefan im Stück mit dem Titel »Drahtseilakrobaten« – und versucht seine Rechte als Künstler einzufordern. Er will ein Stück schreiben über das, was ihm am Herzen liegt, über die Liebe und Träume zum Beispiel –und nicht über das, was der Theaterbetrieb in Amerika oder Europa einfordert. Weil er aus Rumänien kommt, sind das nämlich ausschließlich Szenen über Unterdrückung, über Emigration und die Frage, wie mit rassistischen Klischees umzugehen sei. Hat Peca Ştefan das schon oft erlebt, dass seine Stücke bestimmten Erwartungen entsprechen sollen? »Ja, in verschiedenen Situationen! Mit diesem Problem bin ich dauernd konfrontiert – wenn ich meine Stücke im Ausland zeigen will. Und auch zu Hause in Rumänien, denn da wiederum werfen mir die Leute vor, ich würde meine Stücke so schreiben, dass sie für den Export geeignet sind. Dabei ist das doch völlig unmöglich – denn man kann nur Geschichten schreiben, die man schreiben möchte und die einem wirklich wichtig sind.« Anke Schaefer, Deutschlandradio Kultur, 17. Mai 2010 Wolfram Lotz Wolfram Lotz nimmt in »Der große Marsch« gleich den gesamten Theaterbetrieb samt seinen Sozialkitsch-Moden und kapitalismuskritischen Posen rasant und komisch auseinander. Diesen Text würde man gerne mal auf der großen Bühne sehen. Auch auf die Frage nach Einflüssen hat Lotz eine schlagfertige Antwort: »Grabbe, Kleist, die Augsburger Puppenkiste und Didi Hallervorden«. Alles klar. Lotz ist der einzige, der sich erkennbar Gedanken über die szenische Form gemacht hat und Funken daraus schlägt, fröhlich mit den Spielregeln des Theaters zu spielen. Peter Laudenbach, Süddeutsche Zeitung, 21. Mai 2010 Lotz hat eine komödiantische Ader, arbeitet sich mit Witz ab – an der Frage, was denn wohl politisches Theater sei. Trotzdem war es ihm wichtig, auf dem heutigen »Autorentisch« auch das wiederum infrage zu stellen: »Man muss aber auch mal sagen, manchmal hab ich das Gefühl, das ist auch so eine Art Neurose, immer politisches Theater zu wollen. Das ist wie Händewaschen, das ist eigentlich was Gutes, aber wenn man es 100 Mal machen muss, und ständig darüber spricht, dann wird es zur Neurose. Vielleicht kann es ja mal auch um was anderes gehen!« Anke Schaefer, Deutschlandradio Kultur, 17. Mai 2010 Daniel Richter, Stefanie Hoster, Julian van Daal, Thomas Krüger, Milena Mushak, Wolfram Lotz, Claudia Grehn, Stephan Märki, Andrea Koschwitz und Friederike Jäcksch (v. l.) 22 stückemarkt-preise 2010 LAUDATIO stückemarkt-preise 2010 Der Förderpreis des tt Stückemarkts 2010, gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung, geht an Claudia Grehn und ihr Stück »Ernte«. Förderpreis für neue Dramatik gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung Die Berliner Autorin hat ein sprödes, ernsthaftes Theaterstück geschrieben, das mit Konsequenz die Folgen unserer modernen Arbeitswelt beschreibt. Die Geschichte um die polnische Erntehelferin Anna, die mit ihren Söhnen seit einem Jahrzehnt in Deutschland ihren Lebensunterhalt verdient, erzählt in genauen Dialogen und intensiven poetischen Momenten über den harten Überlebenskampf in unserer unmittelbaren Nähe. Dabei verliert sich Claudia Grehn nicht im Milieu, sondern sehnt sich gemeinsam mit ihren Figuren nach Auswegen aus der gegenwärtigen Situation und nach Emanzipation. In den verzweifelten »Experimenten« des Widerstand von Annas deutschem Freund Peter, der Abiturientin Lena und des ortlosen Mädchens Lydia trifft Claudia Grehn unsere eigenen Schwächen und unser alltägliches Versagen. So fordert sie uns heraus. Das Stück wird im Dezember 2010 im Maxim Gorki Theater uraufgeführt. Andrea Koschwitz, Chefdramaturgin Maxim Gorki Theater Berlin Der Werkauftrag des tt Stückemarkts 2010, gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung, geht an Wolfram Lotz für sein Stück »Der große Marsch«. 23 Wie die Wirklichkeit auf die Bühne kommt, wie sich Wirklichkeit zu Fiktion verhält, ist das große Thema von Wolfram Lotz’ weltökonomischer und gesellschaftspolitischer Groteske. In einer doppelbödigen Politrevue erforscht er durch einen theatralen Selbstversuch, was politisches Theater sein kann. Dazu bemüht er berühmte Persönlichkeiten wie den echten Josef Ackermann, Michail Bakunin oder Hamlet als Zeugen einer Krise des Authentizitätsbegriffs auf die Bühne. Wie bei Lotz’ turbulentem Bühnengeschehen alles in der Schwebe zwischen Sein und Nicht-Sein bleibt, so lassen sich politische Positionen heutzutage kaum noch verorten. In einem hintergründig-ironischen Spiel unterwandert er mit intellektuellem Witz gängige Denkmuster der Kapitalismuskritik und politische Diskurse wie sie auf dem Theater in den letzten Jahren geführt werden. Er entwickelt eine originäre Theaterform, die lustvoll – gespickt mit selbstreferentiellen Bezügen – vertraute Theaterkonventionen sprengt und das Thea­ter an den Rand seiner medialen Möglichkeiten treibt. Erst im Widerstreit von Text und Aufführung, die in einem unauflösbaren Machtverhältnis stehen, existiert Lotz’ Theater. Die Jury schätzt Wolfram Lotz’ scharfsichtigen Blick auf den Theaterbetrieb, die Komplexität mit der er das Thema des Politischen reflektiert und sich szenisch sogar für die große Bühne empfiehlt. Der Werkauftrag wird am 24. Februar 2011 am Deutschen Nationaltheater Weimar in der Regie von Annette Pullen uraufgeführt. Stephan Märki, Intendant Deutsches Nationaltheater Weimar 2010 Claudia Grehn für Ernte UA im Dezember 2010, Maxim Gorki Theater Berlin Werkauftrag gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung 2010 Wolfram Lotz Einige Nachrichten an das All UA am 24.02.2011, Deutsches Nationaltheater Weimar theatertext als hörspiel ausgewählt und produziert von Deutschlandradio Kultur 2010 Julian van Daal für Alles ausschalten Woanders murren die Juroren, in Berlin jubeln sie. Mit Aplomb weigerte sich kürzlich die Jury des Heidelberger Stückemarkts, eines der eingereichten Dramen auszuzeichnen. Grund: Die Texte waren zu schlecht. Solche Probleme kennt Berlins wichtigstes Nachwuchsdramatiker-Festival, der Stückemarkt des Theatertreffens, nicht. Zumindest wurden die Preise vergeben. Mehr als 400 Stücke nahmen an der Auswahl teil, fünf wurden in inszenierten Lesungen aufgeführt, drei Autoren nahmen zudem an einer Schreibwerkstatt um den Dramaturgen John von Düffel teil. Dass der Berliner Stückemarkt ein Karrieresprungbrett ist, beweist der rasante Aufstieg der Gewinner des Vorjahrs: Auf den deutschsprachigen Bühnen sind Nis-Momme Stockmann und Oliver Kluck inzwischen bekannte Namen. Hans-Joachim Neubauer, Rheinischer Merkur, 27. Mai 2010 stückemarkt-erfolge Viele Stückemarkt-Autoren der vergangenen Jahre haben den Sprung auf die Bühne geschafft. Besonders freuen wir uns über die Erfolgsbilanz von Oliver Kluck und Nis-Momme Stockmann. Im Februar 2010 erlebten die Stücke der beiden Preisträger des Vorjahres erfolgreich ihre Uraufführung. Oliver Kluck mit »Das Prinzip Meese« (Förderpreis für neue Dramatik des tt Stückemarkts 2009) in der Regie von Antú Romero Nunes am Maxim Gorki Theater Berlin, Nis-Momme Stockmann mit dem Werkauftrag des tt Stückemarkts 2009 »Kein Schiff wird kommen« in der Regie von Annette Pullen am Schauspiel Stuttgart. Oliver Kluck darf sich darüber hinaus über die Auszeichnung mit dem Kleist-Förderpreis 2010 für junge Dramatiker für sein Stück »Warteraum Zukunft« freuen, die Uraufführung war bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen im Mai. In der kommenden Spielzeit wird er sein eigenes Kluck-Labor am Deutschen Nationaltheater Weimar realisieren. Auch Nis-Momme Stockmanns Arbeit wurde seit seiner Entdeckung beim Stückemarkt des Theatertreffens 2009 innerhalb eines Jahres mit Uraufführungen und Preisen gewürdigt. Seine Stücke wurden in Heidelberg, Magdeburg und Frankfurt am Main uraufgeführt. Am Schauspiel Frankfurt ist er zudem Hausautor und entwickelt eigene Projekte. Zuletzt erhielt er den Schiller-Gedächtnis-Förderpreis. Die Stuttgarter Uraufführungs-Inszenierung von »Kein Schiff wird kommen« wurde nach Mülheim eingeladen. Und Stockmann war Stipendiat des Autorenlabors in Düsseldorf in der Spielzeit 2009/2010. Auch Charlotte Roos war Teilnehmerin des Stückemarktes 2009. Sie gewann die St. Galler Autorentage 2009, »Hühner.Habichte« wurde im Januar 2010 dort uraufgeführt. »Zwei kleine nette Damen auf dem Weg nach Norden« des Franzosen Pierre Notte, ebenfalls beim Stückemarkt 2009 präsentiert, wurde inzwischen in Karlsruhe erstaufgeführt. Auch die Stücke der Stückemarkt-Autorinnen und -Autoren aus den Jahren zuvor sind weiterhin auf den Spielplänen der Theater zu finden. Anne Habermehl, Gewinnerin des Werkauftrages 2008, durfte sich im Juni des letzten Jahres über die erfolgreiche Uraufführung ihres Werkauftrag-Stücks »Daddy« am Bayerischen Staatsschauspiel freuen. Der Spanier José Manuel Mora, dessen Stück beim Stückemarkt 2008 gelesen wurde, war mit »Meine Seele anderswo« beim Spieltriebe Festival 3 im Herbst 2009 in Osnabrück vertreten. »Gegen den Fortschritt« von Esteve Soler, der Katalane war im selben Jahr zum Stückemarkt eingeladen, erlebte im Mai 2010 in Solothurn seine Schweizer Erstaufführung. Dirk Laucke, Teilnehmer des Dramatikerworkshops 2006, erhielt kürzlich den Drama­ tikerpreis des Kulturkreises der Deutschen Wirtschaft im BDI. Laura Naumann, Workshop-Teilnehmerin 2008, gewann im vergangenen Jahr den ersten Münchner Förderpreis für neue Dramatik und wurde im April 2010 zu den Autorentheater­tagen des Deutschen Theaters Berlin eingeladen. Die Finnin Sofi Oksanen, deren Stück »Fegefeuer« 2009 beim Stückemarkt zu sehen war, erhält in diesem Jahr für ihren gleichnamigen Roman den wichtigsten Nordischen Literaturpreis. Das prinzip Meese von Oliver Kluck Gewinner des Förderpreises für neue Dramatik des tt Stückemarkts 2009 Der Hass blüht prächtig Ein Autor zu entdecken: Oliver Kluck hat mit 30 schon eine Menge erlebt und weiß, wogegen er schreibt. Das ist nicht wenig. […] Damit gar nicht erst irgendwelche Missverständnisse entstehen: Oliver Kluck ist ein sehr freundlicher, umgänglicher Mensch, der bestechend formuliert, aber einen gewissen inneren Druck nicht verhehlen kann. In der Nacht vor unserem Gespräch hat er wieder mal nicht geschlafen, was nicht an unserem Termin liegt, sondern öfter vorkommt, ihn aber nicht daran hindert, am späten Nachmittag fast vier Stunden hochkonzentriert, dabei beeindruckend schnell und präzise durchzutexten. Es gibt für gerade mal 30 Jahre Lebenszeit schon erstaunlich viel zu erzählen. Geboren 1980 in Bergen auf Rügen, ist er in einem Umfeld aufgewachsen, wo zu viel Intelligenz eher stört. Seine Mutter, ausgebildete Friseuse, hat zu DDR-Zeiten in einer Leiterplattenfabrik die Grundbestandteile von Radios zusammengelötet, die schon damals eher fürs Technikmuseum taugten, und nach der Wende erst einen Job an einer Tankstelle gefunden, heute selbständige Kosmetikerin. Seinem Vater hat die DDR-Armee, aus der er unehrenhaft entlassen wurde, Zukunft und Studium verbaut, zwischendurch Hilfsarbeiter, heute als Altenpfleger tätig. Für seinen Bildungsweg bekam Oliver Kluck eine Hauptschulempfehlung, kam aber doch auf die Realschule, was nicht viel besser war: »Da gabs nur Krieg, da musste man nur aufpassen, dass man keine auf die Schnauze kriegt. Heile nach Hause kommen, das war das Ziel. Wurde bis zur Neunten immer verprügelt, danach bin ich etwas gewachsen, dann wurde es besser. In der Klasse waren 24 Sitzenbleiber von 26, alles verhaltensauffällige Leute.« Darauf folgte die Lehre zum Wasserbauer, »die begradigen im Binnenbereich die Flüsse, an der Küste bauen sie Dämme oder Spülfelder oder legen Bojen mit einem Tonnenleger«. Sein Gesellenstück war ein Stück Ufermauer: »Da bekommt man so einen Klumpen Sedimentgestein, und wenn man da richtig draufhaut, werden diese Brocken irgendwann viereckig. Damit kann man dann mauern. Spaß hat’s mir nicht gemacht.« Oliver Kluck hat auch das Geländer vom Hiddensee-Leuchtturm gestrichen, das ist noch keine zehn Jahre her. […] Nach einem abgebrochenen Nautik-Studium in Warnemünde, mit Bafög und Jobs mühsam selbstfinanziert, sowie einer angeblich ungenügenden Prüfung, um die noch heute heftig prozessiert wird, hat sich Oliver Kluck in einer schlaflosen Nacht 2006 dem Schreiben zugewandt und seither nicht wieder aufgehört. Das Leipziger Literaturinstitut, von dem er zufällig durch einen Freund erfährt, nimmt ihn sofort auf, was dessen Leiter Hans-Ulrich Treichel allerdings bald bereut. […] Inzwischen hat er das Studium abgeschlossen – »Note 1,4, fast peinlich« –, sein erstes veröffentlichtes Stück, »Das Prinzip Meese«, wurde beim Stückemarkt des Theatertreffens 2009 uraufgelesen und im Februar 2010 im 24 Michael Klammer und Anika Baumann (v. l.) Fotos Thomas Aurin Das Prinzip Meese von Oliver Kluck Michael Klammer und Anika Baumann (v. l.) 25 Maxim Gorki Theater inszeniert, ein weiteres ist fertig, und ein Roman wartet auch in der Schublade. […] Wie sich der Autor seine Stücke auf der Bühne vorstellt? Oliver Kluck findet Theater immer dann sehr faszinierend, »wenn man nicht mehr weiß, ist das jetzt Wirklichkeit oder Bühne«? Aber wer soll das besorgen? […] Dabei trägt seit dem frühen Thomas Bernhard oder den Anfängen von Werner Schwab niemand mehr so lohnend kompromisslose Welt- und Schreibwut in sich. Darüber hinaus hat Oliver Kluck ein gutes Gespür für menschliche Zeitbomben. Demnächst schreibt er ein Stück über Amokläufer in der Schule. Sein Mitgefühl gilt natürlich dem Täter, nicht den Opfern. Franz Wille, Theater heute, Januar 2010 Du, ich mag dich Vom Stückemarkt des Theater­treffens auf die Bühne: »Das Prinzip Meese« im Maxim-Gorki-Theater So vielversprechend klang lange kein Karrierestart mehr: Der 30-jährige Dramatiker Oliver Kluck hat, wie er der Fachzeitschrift »Theater heute« erzählte, über das Verfassen von Beschwerdebriefen zum Schreiben gefunden. Und zwar während des Grundwehrdienstes, als er strafversetzt in der bundeswehreigenen Bib­ liothek saß. »Das Theater braucht dieses Stück nicht«, nimmt Kluck in seinem Vorwort denn auch eine lässig-pragmatische Pose gegenüber dem Kulturbusiness ein. »Man kann es nicht abonnieren, es gewinnt keine Nachwuchstheaterpreise, es trägt nicht dazu bei, den Lebensunterhalt des Autors zu sichern.« Das Kulturbusiness bedankte sich natürlich postwendend mit – einem Nachwuchstheaterpreis. Kluck gewann beim jüngsten Stückemarkt des Berliner Theatertreffens 5000 Euro sowie die Uraufführung seines preisgekrönten Textes »Das Prinzip Meese«, das eine Generation porträtiert, an der »alles erbärmlich« ist. Es handelt sich um Klucks eigene. […] In zehn lose aneinandergereihten Szenen ohne Figurenzuordnung bespiegelt Kluck aus verschiedenen Blickwinkeln Dauerpraktika, das Fernsehen als bildungstechnische »Vollbetreuung« und die Unverbindlichkeit, die allerdings auch die Generation 30 plus längst erreicht hat (»Ich mag dich ja auch total gerne, möchte aber trotzdem nicht mit dir zusammen sein, vielleicht können wir ab und zu mal ficken«). Kluck schreibt pointierte Sätze und verknüpft den Alltagsjargon mit Ambition: »Diese Veranstaltung hat kein Konzept«, klingt da etwa Peter Handke als literarisches Vorbild durch. »Das Konzept beinhaltet nicht die Provokation des Publikums in der Hoffnung auf die Eskalation des Publikums«. Antú Romero Nunes […] hat die Ambition bewusst heruntergekocht, sich für die Ironie-Lesart entschieden, Passagen weggelassen und dafür seine beiden Schauspieler als Vertreter der »erbärmlichen Generation« ausgedehnte Szenenübergänge improvisieren lassen. Kurzum: Er ist dem Text auf eine performative Art gerecht geworden, ohne sklavisch texttreu zu sein, und findet damit einen eigenen Zugang zum Stoff. Davon abgesehen, improvisieren die beiden Gorki-Schauspieler derart leidenschaftlich, dass Nunes auch in puncto Schauspielerführung über Potenzial verfügen muss. Daran haben übrigens nicht nur die Zuschauer Spaß. Sondern auch der Autor strahlt beim Verbeugen eine Zufriedenheit mit Regie und Schauspiel aus, die in der Branche nicht zwangsläufig ist. Kein schlechter Anblick der Thirtysomething-Generation! Christine Wahl, Tagesspiegel, 10. Februar 2010 »Dieses Stück muss gar nichts« Meese Generation Privatfernsehen denkt nach […] Stellen Sie sich vor, einer dieser jungen Leute würde in Ihre sinfonischen Konzerte kommen, um in das Pianissimo zu niesen. Oder würde die Malerin auf der Vernissage nach dem Sinn Ihres Gekrakels fragen. Oder würde Ihre Tochter des Nachts rhythmisch mit dem Kopf gegen den Bettpfosten stoßen und Ihnen am nächsten Morgen mit offenem Hemd am Frühstückstisch gegenübersitzen. Na, Schreck gekriegt? […] Es ist eine wenig bedrohliche Horrorvision für bildungsbürgerliche Elterneliten, die der junge Dramatiker Oliver Kluck, Jahrgang 1980, in seinem Theatertext »Das Prinzip Meese« entwirft. Wenig bedrohlich ist sie schon deshalb, weil sie sich ohnehin nie realisieren wird. Die jungen Leute kriegen ihren Hintern in Klucks Stück sowieso nicht hoch. Zu einem derartigen Szenario des Schocks könnten sie sich erst recht nicht aufraffen. Zwei dieser gut ausgebildeten, aber bloß rumhängenden, Privatfernsehen-glotzenden, sich mit temporären Jobs oder Papas Dauerauftrag und vor allem ohne Träume und Visionen über Wasser haltenden Exemplare kann man nun im Studio des Maxim Gorki Theaters bestaunen. Dort hat der ebenfalls junge Regisseur Antú Romero Nunes, Jahrgang 1983, Klucks Stück nun uraufgeführt. Und bestaunen kann man auch, wie charmant beiläufig und spielfreudig Anika Baumann und Michael Klammer den nicht eben formüblichen Kluck-Text, der beim Stückemarkt des Theatertreffens 2009 mit dem Förderpreis für neue Dramatik ausgezeichnet wurde, unter die sich bestens unterhaltenden Zuschauer bringen. In schlunzigen Sportklamotten lümmeln die beiden auf einem Matratzenlager, bauen sich daraus Höhlen, türmen Kissen oder knautschen sich hinein. Klammer schiebt gern die Hände unter die Achseln, Baumann ist ein umwerfend rotziger Ausbund an Schlagfertigkeit. Wenn er die Glotze einschaltet, singt sie irgendwo im Dunkeln sehr schön Mads Langers »Beauty of the Dark«. Locker spielen sie diverse Popkultur-Posen und Fernsehbilder an. Klammer hüllt kulturbeflissene Sätze in heftige ReichRanicki-Parodien. Baumann klemmt sich das T-Shirt als Badeanzug zwischen die Beine, und fertig ist die Baywatch-Bombe. Immer sind die beiden dabei umgangssprachlich flachsend unterwegs und changieren unangestrengt zwischen den Ebenen, ohne dass dem Zuschauer davon der Kopf schwirren müsste: »Sie wissen gar nicht, ob ich das hier spiele oder ganz privat rumfläze«, adressiert Baumann die Zuschauer. […] »Das Theater braucht dieses Stück nicht, man kann es nicht abonnieren, es gewinnt keine Nachwuchstheaterpreise, es trägt nicht dazu bei, den Lebensunterhalt des Autors zu sichern. Dieses Stück muss kein Erfolg werden, es muss gar nichts müs- 26 sen«, heißt es in dem Vorwort, das Kluck seinem Text vorangestellt hat. Dieser kokett-unverschämten Tiefstapelei läuft das Darauffolgende natürlich zuwider. Denn Kluck will nicht weniger als das Grundgefühl einer Generation einfangen. Und weil er genau das auf bestechende Weise schafft, braucht das Theater dieses Stück eben doch. Anne Peter, taz, 10. Februar 2010 Bitte kräftig rauchen! […] »Das Prinzip Meese« heißt das Stück, das hier mal wirklich Stückwerk ist: ein lose gekoppelter Mix aus Prosabrocken und Dialogfetzen, ohne klar gekennzeichnete Sprecher und ohne Plot, ein wild assoziierender Wortschwall voller Welt- und Kunst- und Medienhass, manchmal vielleicht etwas aufgesetzt und klischeehaft, aber immer knurrend aggressiv. »Ein Text, beim besten Willen nicht zusammenfassbar, schnell, wütend, witzig, verzweifelt«, schrieb Roland Schimmelpfennig, einer der zurzeit erfolgreichsten deutschen Gegenwartsdramatiker, in der Begründung der Jury für den Theatertreffen-Stückemarkt. […] Der Auszeichnung für den Text ist inzwischen eine zweite, noch renommiertere Auszeichnung gefolgt: Für sein neuestes Stück »Warteraum Zukunft« hat Kluck den Kleist-Förderpreis bekommen, ausgewählt aus 48 Bewerbern. Dotiert ist der Preis mit 7500 Euro, verbunden ist er mit einer Uraufführung bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen am 18. Mai. Mag sein, dass das Theater seine Stücke nicht braucht. Aber ganz offenbar kann es sie gut gebrauchen. Tobias Becker, Spiegel online, 06. Februar 2010 Kein Schiff wird kommen von Nis-Momme Stockmann Gewinner des Werkauftrags des tt Stückemarkts 2009 27 Mein Erfolg ist Teil des Problems Noch vor knapp einem Jahr studierte Nis-Momme Stockmann »Szenisches Schreiben« an der Berliner UdK, seinen Namen kannte fast niemand in der Theaterszene, doch dann begann er einen Erfolgslauf, der ihm selbst nicht ganz geheuer ist: Beim Heidelberger Stückemarkt räumte Stockmann den Haupt- und den Publikumspreis ab und beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens den Werkauftrag, er bekam ein Stipendium des Düsseldorfer Autorenlabors und wurde Hausautor des Schauspiel Frankfurt, er verabredete mit drei Theatern Uraufführungen und darüber hinaus Zweit- und Drittinszenierungen mit weiteren Häusern. Und all das, ohne dass auch nur einer seiner Texte jemals auf seine Bühnentauglichkeit geprüft worden wäre: Es gab sie bis dahin nur auf dem Papier. »Das war eine totale absurde Situation«, sagt Stockmann, 28, »ich hatte vorher nie wirklich Berührung mit dem Theaterbetrieb, ich hatte de facto keine Ahnung.« Während andere junge und vor allem mittelalte Dramatiker darüber klagten, an den deutschsprachigen Bühnen kaum einen Fuß auf den Boden zu bekom- Erfolgsgeschichten: Oliver Kluck und Nis-Momme Stockmann im Gespräch mit Iris Laufenberg Matthias Kelle und Jens Winterstein (v. l.) Fotos Cecilla Glaesker Kein Schiff wird kommen von Nis-Momme Stockmann Matthias Kelle, Lisa Wildmann und Jens Winterstein (v. l.) 28 men, riss man ihm seine Stücke aus der Hand - und das nicht nur für Uraufführungen. »Natürlich freue ich mich darüber«, sagt Stockmann, »aber mein Erfolg ist auch Teil des Problems: Ich bin zu einer Marke geworden, beflügelt durch eine Art kapitalistischen Spirit, durch die Preise und einen medialen Hype.« Stockmann ist zu klug, um diese Mechanismen zu ignorieren. Er wittert den Jugendwahn und den Frischheitsfetisch, die Ex-und-Hopp-Mentalität und mit ihr die Gefahr: »Der Preis verfällt auch rasch.« […] Tobias Becker, Spiegel online, 16. Januar 2010 Große Stücke halten? Innerhalb weniger Wochen kam der Dramatiker-Neuling Nis-Momme Stockmann von null auf drei Uraufführungen Seit Dezember vergangenen Jahres gibt’s Stockmann-Uraufführungen Schlag auf Schlag: erst in Heidelberg, wo der harte Realismus des dreifach prämierten Außenseiter- und AlzheimerStücks »Der Mann der die Welt aß« sehr gut ankam; dann in Frankfurt, wo »Das blaue blaue Meer« die Tristesse zweier Jugendlicher im Trabantenstadt-Milieu mit den Mitteln einer poetischen neuen Innerlichkeit vor Augen führt; und schließlich im Depot des Staatstheaters Stuttgart, wo Stockmann in »Kein Schiff wird kommen« mit seinem frühen Autorenruhm kokettiert: in einer Textfläche, die zwischen Künstler-Farce und FamilienTragödie oszilliert […]. Annette Pullen hat den Text für ihre Stuttgarter Uraufführungsinszenierung wie eine Partitur gelesen und dessen […] unterschiedliche Musikalität zusammen mit drei Akteuren zum Klingen gebracht, immer schön zwischen Dur und Moll wechselnd. […] Ein großer kleiner Abend. […] Volker Oesterreich, Die Deutsche Bühne, 30. März 2010 […] In »Kein Schiff wird kommen« beschreibt er die Leiden eines begehrten Jungautors. Die Stuttgarter Uraufführung von Stockmanns Stück wurde vor kurzem zum wichtigsten Stelldichein der aktuellen deutschsprachigen Dramatik nach Mülheim eingeladen. Jürgen Berger, Süddeutsche Zeitung, 19. März 2010 29 Freier Fall […] Stockmanns […] Reflexionen über die Mechanismen des Kunstmarkts entwirrt [Annette Pullen]. Denn der junge Autor, der 2009 mit dem Gewinn der wichtigsten Autorenwettbewerbe für Aufsehen erregte, besticht gerade durch seine erdige Seite. Mit feinem Gespür für die Kämpfe, die Menschen in ihrem Innersten ausfechten, bringt sie Stockmanns bodenständige Theater-Bilder auf den Punkt. […] So vermittelt sie mit dem grandiosen Stuttgarter Ensemble die eigentliche Faszination, die von Stockmanns Stück ausgeht. Denn der gelernte Koch, der später Szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin studierte, zeichnet Menschen, die tief im Leben verwurzelt sind. Nach und nach fallen alle Masken ab. […] Stockmanns anregendes Spiel mit seiner eigenen Biografie fordert Matthias Kelle zu bemerkenswerter Tiefe heraus. […] Jens Winterstein bewegt sich virtuos auf dem schmalen Grat zwischen Lüge und Wahrheit. […] Brillant zeigt Lisa Wildmann die Mutter. […] Diese Momente machen Pullens schlüssige Regiearbeit zu einem faszinierenden Spiel der Erinnerung, dessen Protagonisten realer nicht gezeichnet sein können. Elisabeth Maier, Esslinger Zeitung, 23. Februar 2010 Welt aus Blei […] »Kein Schiff wird kommen« ist weniger ein Theaterstück als vielmehr ein Bericht über die Entstehung und finale Verwerfung eines solchen. Natürlich auch die Geschichte einer Vergangenheitsbewältigung, an deren Ende die Selbstbefreiung steht. Es ist kein Zufall, dass »Kein Schiff wird kommen« auch als Hörspiel produziert wird. Es verarbeitet viel Text. Es ist ein pointenreiches, klug aufgebautes Stück, das Sprache phasenweise appetitlich zubereitet auf einem goldenen Tablett serviert und die Sinne erfreut. Dialogszenen werden geschickt implantiert in den übergeordneten Erzählbericht des Protagonisten, der jede Impression, jeden Gedankenfetzen, jedes Gespräch wie ein Journalist auf einem Diktiergerät aufzeichnet und auch das Abhören desselben virtuos in den Plot einarbeitet: Ein gekonntes Vexierspiel mit der Fiktion des Geschriebenen und der Realität des darin Erzählten. […] Verena Großkreutz, nachtkritik.de, 19.2010 Ankertätowierungen […] Stockmann schreibt mit erfrischender Direktheit und emotionaler Wucht. Er ist dicht an der Alltagssprache dran, aber das, was der Junge seinem Diktiergerät anvertraut, ist von poetischer Schönheit und verrät den Stilisten. […] Adrienne Braun, Stuttgarter Zeitung, 22. Februar 2010 Wenn der Vater mit dem Sohne Von diesem Autor wird in den nächsten Jahren auf deutschen Bühnen noch viel zu sehen und zu hören sein. Auch das neue Stück von Nis-Momme Stockmann besticht mit der Kraft und Genauigkeit einer unverwechselbar poetisch-nüchternen Sprache. »Kein Schiff wird kommen« heißt das Auftragswerk, das der 29-Jährige für das Schauspiel Stuttgart geschrieben hat. Die Uraufführung am Freitag im mit 200 Besuchern voll besetzten Theater im Depot erhielt zu Recht viel Beifall. Gleichermaßen feinfühlig und genau beschreibt Stockmann die Innenschau eines jungen namenlosen Autors. […] Entsprechend feinfühlig beobachtet sie die zarte, in beidseitigen Ritualen hilfloser Zuneigung festgefahrene Beziehung zwischen Vater und Sohn. […] Intensives Theater […]. Horst Lohr, Stuttgarter Nachrichten, 22. Februar 2010 Der Mann, der die Welt beschreibt Starke Charaktere in großer Verzweiflung zeichnen die Stücke von Nis-Momme Stockmann aus. Er wurde dafür mit Preisen bedacht. Drei Uraufführungen in Heidelberg, Frankfurt und Stuttgart Im Gegensatz zum Protagonisten seines Stücks hat der Autor Nis-Momme Stockmann - trotz offensichtlicher biografischer Parallelen zur Bühnenfigur - alles richtig gemacht. Seine Stücke sind gefragt. Das liegt außer an der sprachlichen Qualität seiner Texte wesentlich an Stockmanns Fähigkeit, nahegehende Charaktere zu schaffen. Bei ihm verstellt nicht die im zeitgenössischen Theater leider zu oft gesehene Künstlichkeit und zugespitzte Übertreibung den Zugang zu den Figuren, obwohl er sie durchaus mit einer kritisch-ironischer Distanz betrachtet. […] Claudia Gass, taz, 22. Februar 2010 Was alles nervt Nis-Momme Stockmanns tolles Stück »Kein Schiff wird kommen« in Stuttgart uraufgeführt Man kann Nis-Momme Stockmann dabei zuhören, in seinem dritten Stück »Kein Schiff wird kommen«, wie ihm die Worte im Mund faulig werden, so wie sie schon vielen jungen Autoren (wie etwa Hofmannsthal) faulig wurden, weil sie falsch klingen, die vorgekauten Worte. Aber Stockmann ist einer, der sich auf die Hinterbeine stellt, der nicht mitmacht und trotzdem weitermacht. Daraus entsteht »Kein Schiff wird kommen« und so entsteht ein Schriftsteller. Dieses Stück nervt nicht, weil bei diesem VaterSohn-Kampf auf der Insel trotz viel Bier etwas geschieht: Erst kapiert der Vater nichts, denkt man mit dem Sohn, dann kapiert der Sohn nichts, denkt der Zuschauer, und dann kapiert der Vater was, und der Sohn kapiert was und der Zuschauer auch. Dieses Stück nervt nicht, weil es nicht bei Wende- und Medienkritik stehenbleibt, sondern eine Geschichte entdeckt, um die es geht, die Geschichte der Krankheit der Mutter, die zufällig 1989 war und mehr über Mauer und Fall sagt, als manchem lieb ist. Dieses Stück nervt nicht, weil es aus der Verweigerung ein Stückchen Wahrheit entsteht. Und es nervt nicht, weil es die Auseinandersetzung des Autors mit sich selbst aufsplittert in die Stimmen der Familie und das einer Art innerer Notwendigkeit folgt. Genau die inszeniert Annette Pullen in der Stuttgarter Uraufführung sehr klug. […] Mit seinem dritten Stück innerhalb kürzester Zeit hat Nis-Momme Stockmann, nur scheinbar der Verweigerer unter Deutschlands Jungdramatikern, so endlich eine Aufführung gefunden, die den Text entfaltet und die seine Dynamik sichtbar macht. In Stuttgart sieht man deutlich, was im Inneren dieses in sich verschränkten Stückes alles los ist. Intelligentes Erzählen ist eine Tugend, die am Theater oft zu kurz kommt. Hier nicht. Am Ende hat man nachgedacht, ist berührt worden und man hat sich vielleicht sogar selbst etwas in Frage gestellt (egal ob als Vater oder Sohn). […] Peter Michalzik, Frankfurter Rundschau, 23. Februar 2010 Sehet den Elefanten in der Mücke Die äußerst komischen Leiden eines jungen Theaterautors: Annette Pullen nimmt in Stuttgart Nis-Momme Stockmanns neues Stück »Kein Schiff wird kommen« so leicht, dass es schwebt Der Knaller sind in »Kein Schiff wird kommen« nicht die Wirkungen der Wende damals auf Föhr (Papa, habt ihr dem Ossi in der Wyker Kneipe nicht eins aufs Maul gehauen? – Wieso, der war ganz höflich, hat nur seine weiße Hosen vollgekackt, weil er besoffen war.) – der Knaller ist der Tod der Mutter damals, 1989, als sie Anfing, »Gespenster zu sehen«, sich vor dem Lindenbaum im Hof vor dem Haus zu fürchten, sich den Körper an den Riemen, mit denen sie ans Bett gefesselt wurde, wundzuscheuern, alles unter sich zu lassen. Und schließlich an einem Medikament starb, das ihr der Vater verabreichte, um sie ruhigzustellen. […] Drei einsame Menschen, gespielt von entspannten, gelösten und von der Regie offenbar zu einer nüchtern empathischen Menschlichkeit und Freundlichkeit hin befreiten Schauspielern. Es sind ja die einfachsten Mittel, zu denen Stockmanns Stücke die Thea­ ter verführen können: Menschen darzustellen und menschlich zu sprechen. Das ist so unendlich schwer. Und kommt so selten vor. In Stuttgart ist es jetzt auf einmal wieder ganz leicht gefallen. Gerhard Stadelmaier, FAZ, 22. Februar 2010 Macht des Gewöhnlichen […] Nis-Momme Stockmann […] ist der neueste Stern am Dramatikerhimmel. Bis vor einem Jahr war der junge Mann von der Insel Föhr noch ein Unbekannter, »ein Theaterautor … im freien Fall«, wie es in seinem neuen Stück »Kein Schiff wird kommen« heißt. Es ist sein drittes, entstanden als Werkauftrag des Berliner Stückemarktes, wo Stockmann letztes Jahr mit seinem Erstling »Der Mann der die Welt aß« reüssierte. Aufgeführt zu werden, ist für einen Dramatiker immer noch der beste Preis. […] Stockmann hat einen so feinsinnigen, klugen Humor, er blickt mit so viel Ironie und Ehrlichkeit auf sich selbst und mit einem so (ver) zweifelnden, aber auch liebevollen Verständnis auf eine Welt, die er kennt, dass dieses Stück eine helle Freude ist – nicht nur als künstlerische Innenschau, sondern auch als das Familiendrama, zu dem es sich entwickelt. […] Annette Pullen hat das dialogarme, an Prosapassagen reiche Stück, das der Autor »eine Fläche« nennt, so abstrakt wie möglich und so konkret wie nötig zur Uraufführung gebracht und ihm bei aller ironischen Zuspitzung nichts von seiner Warmherzigkeit ausgetrieben. Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung, 23. Februar 2010 30 Stückemarkt-Preisträgerinnen und -Preisträger seit 2003 Förderpreis für neue Dramatik gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung Werkauftrag gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung 2010 Claudia Grehn für Ernte UA im Dezember 2010, Maxim Gorki Theater Berlin 2010 Wolfram Lotz Einige Nachrichten an das All UA am 24.02.2011, Deutsches Nationaltheater Weimar 2009 Oliver Kluck für Das Prinzip Meese UA am 06.02.2010, Maxim Gorki Theater Berlin 2009 Nis-Momme Stockmann Kein Schiff wird kommen UA am 19.02.2010, Schauspiel Stuttgart 2008 Klaas Tindemans für Bulger UA am 17.12.2008, Maxim Gorki Theater Berlin 2008 Anne Habermehl Daddy UA am 20.06.2009, Bayerisches Staatsschauspiel München 2007 Maria Kilpi für Harmin Paikka – plus null komma fünf windstill UA am 20.12.2007, Maxim Gorki Theater Berlin 2007 Philipp Löhle Die Kaperer oder Reiß nieder das Haus und erbaue ein Schiff UA am 20.03.2008, Schauspielhaus Wien DE am 18.09.2008, Staatstheater Mainz 2006 Thomas Freyer für Amoklauf mein Kinderspiel 2005 Oliver Schmaering für Seefahrerstück theatertext als hörspiel ausgewählt von Deutschlandradio Kultur 2004 Laura Sintija Cerniauskaite für Lucy auf Eis 2010 Julian van Daal für Alles ausschalten 2003 Anja Hilling für Sterne und David Lindemann für Koala Lumpur (gestiftet von der Dresdner Bank) 2009 Davide Carnevali für Variazioni sul modello di Kraepelin – Variationen über das Kraepelin-Modell 2008 Sergej Medwedew für Parikmacherscha – Die Friseuse 2007 Maria Kilpi für Harmin Paikka – plus null komma fünf windstill 31 STIMMEN DER STÜCKEMARKT-AUTOREN 2010 Claudia Grehn Wirklich gut war, dass ich immer wusste, an wen ich mich wenden muss und mir nicht verloren vorkam in dem FestivalDschungel. Die gemeinsamen Workshops und überhaupt der Kontakt zum Internationalen Forum, dadurch, dass sie auch bei unseren Lesungen waren, war vielleicht das spannendste für mich. Ekat Cordes Der Stückemarkt war eine sehr schöne Zeit in diesem Jahr. Alles war sehr neu, sehr aufregend, sehr stressig, sehr spaßig, interessant und inspirierend. Anfangs war ich sehr nervös. Ich rauchte ungefähr dreimal so viele Zigaretten wie üblich. Gleiches galt für den Kaffeekonsum. Ich wurde sehr freundlich empfangen und alles war dann gut. Auch (fast) alle anderen Autoren hab ich schnell ins Herz geschlossen, so dass ich mir nicht allein vorkam. […] Großartig war und ist, dass ich viele interessante Menschen im Garten kennen gelernt habe, die meine Texte konstruktiv auseinander nehmen, damit ich sie hinterher gestärkt und gepuffert wieder zusammen flicken kann. Allen voran natürlich mein Patenonkel Malte Ubenauf. Einmal sahen wir uns persönlich. Das war wirklich wirklich großartig. Wir sind auch weiterhin im Austausch. Auch mit Frau Streeruwitz tausche ich Mails. Das macht auch Spaß. Außerdem interessiert sich jetzt ein Verlag für mich. Das ist alles ganz viel in ganz kurzer Zeit und das ist schon was. Auch das Reinschnuppern in Interviewsituationen (Süddeutsche und Autorentisch, Theatertreffen-Blog …) hat mir, glaube ich, sehr viel gebracht. Für demnächst und so weiter. […] Um es kurz zu machen. Der Stückemarkt ist großartig mit allem Pipapo und drumherum. Hannes Becker Meine Erfahrung mit dem Stückemarkt war eine sehr gute. Die Betreuung durch euch, die angenehme Zeit mit den anderen AutorInnen und überhaupt die Bestätigung, die es bedeutete, eingeladen zu sein, hat es mir auch ermöglicht, über die eher unsympathischeren Aspekte einer Wettbewerbssituation, die Reaktionen und den Stil der Theaterkritik, die (Selbst-)Wahrnehmung als »Jungdramatiker« nachzudenken. Ich finde diese Dinge nicht gut, aber ich halte es für notwendig, sich ihnen immer auszusetzen, etwas darüber verstehen, wie man als Autor in einer Kunstöffentlichkeit agieren kann oder nicht, um dann wieder zum Schreiben zurückzukehren, dass immer noch etwas anderes bedeutet. Verglichen mit ähnlichen Wettbewerben, bei denen ich mit anderen literarischen Texten teilgenommen habe, war die Erfahrung, die ich beim Stückemarkt machen durfte, wesentlich intensiver und auch gründlicher vorbereitet, auch durch das Rahmenprogramm. […] Sehr dankbar war ich über die Arbeit im Dramatikerworkshop, […] weil es John von Düffel, wie ich finde, als Leiter des Workshops gelungen ist, einen sehr angenehmen und gründlichen Umgang mit unseren sehr verschiedenen Texten und uns als – ebenfalls sehr sehr verschiedenen – Persönlichkeiten zu finden, so dass die gemeinsame Arbeit mir sowohl Aufschluss über die Texte, als auch die damit verbundenen Anliegen gegeben hat, also über das Schreiben zukünftiger Texte. […] Für mich persönlich war es sehr hilfreich, dass ein Großteil des Workshops der Vorbereitung der Präsentation unserer Texte gewidmet war – d.h. dass ich gesehen habe, was es bedeutet, wenn mein Text, der keine direkte Umsetzung auf der Bühne erlaubt, sie aber zugleich einfordert, tatsächlich auf eine Bühne gebracht werden soll; was ein Dramaturg, ein Regisseur, was unterschiedliche Schauspieler dazu sagen, was sie auch einfordern und was ihre Bedürfnisse sind; und was ich selbst an den jeweiligen Punkten der Vorbereitung als Autor sagen und tun kann, um eine Aufführung mit zu ermöglichen. Die Präsentation selbst fand ich dann sehr gelungen, weil ich das Gefühl hatte, dass sie einen Teil dieser Diskussion mitabgebildet hat: Der Text wurde nicht weginszeniert, aber es wurde auch das sichtbar, was die Schauspieler von dem Text halten, wo sie sie sich mit ihm identifizieren konnten oder wo sie Widerstände hatten. Julian van Daal Der Stückemarkt war eine sehr intensive Erfahrung. Es fühlt sich ein bisschen so an, als ob einen jemand fragt, ob man sich in ein Schwimmbecken werfen lassen würde. Und man kann noch gar nicht schwimmen. Und in dem Becken sind Piranhas. Und man sagt Ja. Man fühlt sich umsorgt, das ist schön. Man hat die Möglichkeit, einiges vom Theatertreffen zu sehen, was natürlich auch super ist. […] Toll war das Treffen mit Dennis Kelly, das Gespräch mit ihm war sehr aufschlussreich. […] der Stückemarkt hat mir sehr geholfen, zu lernen, sich in diesem Berufsfeld zu bewegen. Ich habe zu spüren bekommen, was negative Kritik mit einem macht, und gelernt, damit umzugehen. Und dafür hat es sich eigentlich schon gelohnt. Peca Ştefan For me, this year’s Stückemarkt was a very interesting experience. I was really glad to be part of this play market and to get to meet professionals from the German speaking world and internationally, in Berlin. It was an honor to have a text selected out of almost 300 from the entire Europe. Also, my play Wire and Acrobats, was presented, as a public reading, for the first time in Europe (it had only had one public reading in New York earlier this year) and for such a recent play that’s very important. So, first of all, being in the Stuckemarkt meant creating links, contacts and opening perspectives in the German speaking world theatre. As the only international author I was really happy to meet the German and Austrian writers in the Stuckemarkt. It was a very good group, that I liked very much – and it was very interesting to hear out their challenges as writers and exchange ideas. Also, I think the writers were very open and generous, a thing that I very much appreciated. It’s a shame I don’t speak German (because it’s very hard to read their plays 32 in the original language), but it was a pleasure to hang out with these guys and discuss about theatre with them. Being involved in workshops and public debates it was also very useful to learn about the differences when looking at a theatre text in Germany. Which is quite different from Romania. Also, seeing very good shows in the Theatertreffen was an exciting experience in getting up to date with the kind of theatre that’s made in the German speaking world. I also think the idea of having a mentor for a year is very good – I had a very good talk with my mentor, Iris Laufenberg. I’m very happy she’s my mentor and very excited on how this mentorship will work in this following year. Overall, I think the organization of the festival is very good. I think all the efforts were made by the excellent Friederike Jäcksch and Daniel Richter so that the authors in the Stückemarkt made the best out of this experience. It seemed these guys were everywhere – and I think they put so much hard work into this, that’s worth not only mentioning but a hats down. Sandra Kellein Als gestandene Autorin in Prosa, Hörspiel und früheren Theaterverlagserfahrungen u.a. war dies mein erster Workshop – und es ist sicher nie zu spät … Ein Großteil meiner Bedenken wurde durch die Sympathie zwischen uns Autoren und die hohe Professionalität und Sensibilität von John von Düffel ausgeglichen. Auch war es interessant mit jüngeren Autoren von »Schreibschulen« zusammenzukommen. […] Was die Präsentation betrifft, ist es immer wunderbar mit herausragenden Schauspielern und einem guten Regisseur arbeiten zu können. [… ] Und nun haben wir alle die Edition, auch ein Segen, nicht nur für das Archiv. Übrigens ist es normal, dass Arbeit manchmal weh tut. Unterm Strich bin ich also nur froh und dankbar, dabei gewesen zu sein. Also herzlichen Dank noch mal und immer wieder, natürlich besonders auch an Euch beide. Thomas Arzt Berliner Stückemarkt – das ist für mich eine äußerst intensive Erfahrung gewesen. Mit Theatermenschen. Mit Theatertexten. Mit Theaterbuffets. Ich hab mich sehr wohl gefühlt dabei. Wegen der sehr persönlichen Betreuung durch euch, Friederike und Daniel. Ich hab mich auch sehr gefordert gefühlt. Wegen des ständigen Trubels, den langen Nächten. Und wegen der Zeit im Workshop. Der Workshop war für mich sehr produktiv, weil ich hier konkret an meinen Texten arbeiten konnte. John von Düffel hat ein feines Gespür dafür, wo Texte ihre Stärken und Schwächen haben. Und wie er dir das auch vermitteln kann. Das können nicht viele. 33 Wolfram Lotz Zur Vorjury: Es mag in der Natur der Sache liegen, dass ich eine Vorjury gut finde, die mein Stück ja ausgewählt hat. Dennoch: Mein Eindruck der ausgewählten Texte war, dass sie – im Gegensatz zu vergleichbaren Förderpreisen, -wettbewerben, -werkstätten – tatsächlich danach ausgesucht wurden, ob sie einen eigenständigen Zugang zur Dramatik bieten, ob eine Herangehensweise aus ihnen lesbar wird, die sich nicht damit zufriedengibt, am Ende für die Theater »brauchbar« zu sein. Zum Aufenthalt: Es war für mich eine große Bereicherung, andere Autoren zu treffen, und auch, an den Transit-Workshops teilzunehmen. Die Möglichkeit zum Gespräch über Dramatik und Theater erscheint mir unerlässlich und der Stückemarkt als Teil des Theatertreffens dazu gut geeignet. Zur Betreuung: Ich kann über die Betreuung der Autoren nur Gutes sagen, durchweg. Besonders auffallend waren aber zwei Dinge: Die Freundlichkeit und Geduld des Teams. [… ] Man musste nichts machen, was man nicht wollte, und konnte dabei auf die unbedingte Unterstützung des Teams zählen. Das erscheint mir wesentlich, denn wenn man einen Schriftsteller zwingt oder durch die bloßen Umstände zwingen lässt (was ja öfters der Fall ist), wird der Schriftsteller nach und nach zu einer zuckrigen Pflaume. Das ist aber nicht gut, wenn der Schriftsteller eine zuckrige Pflaume ist. Das mag klar sein, muss aber, glaube ich, öfters mal gesagt werden. Zur Förderung: Entgegen mancher Vorurteile ist nichts Böses passiert. Es wird ein Spalt geöffnet (dieser Spalt ist nicht riesig, man füllt ihn noch problemlos aus, denke ich), durch den man seine Dramatik reichen kann in den Betrieb (Hat man dann schon den Betrieb betreten? Ich glaube: Noch nicht. Oder doch?). Die Uraufführungen der StückemarktAutorinnen und -Autoren seit 2003 Arna Aley 4½ Männer und ich (tt07) UA am 15.12.2007, Berliner Ensemble Carles Batlle Versuchung (tt04) Österreichische EA am 12.12.2004, Burgtheater Wien DE am 03.12.2005, Landestheater Tübingen Stückabdruck in Theater der Zeit 06/2004 Kai-Ivo Baulitz Transporter (tt07) UA am 15.02.2008, schauspielfrankfurt Almut Baumgarten Tank (tt07) UA am 12.12.2008, Pfalztheater Kaiserslautern John Birke Pas de deux (tt04) UA am 07.12.2004, Burgtheater Wien weitere Inszenierungen: Werkstattinszenierung Münchner Kammerspiele, Premiere am 14.01.2005 Schauspiel Köln, Premiere am 19.06.2005, Theater Konstanz, Premiere am 16.12.2005 Anne Habermehl DADDY (tt08) (Werkauftrag des tt Stückemarkts 2008) UA am 20.6.2009, Bayerisches Staatsschauspiel München Anja Hilling Sterne (tt03) UA am 28.01.2006, Bühnen der Stadt Bielefeld weitere Inszenierung Theater Osnabrück im Rahmen des Festivals Spieltriebe 2, Premiere am 14.09.2007 March Höld Träumt (tt07) Ursendung der Hörspielfassung am 24.02.2010, Deutschlandradio Kultur Paul Jenkins Natural Selection (tt06) UA am 09.12.2006, Bayerisches Staatsschauspiel München Juliane Kann Blutiges Heimat (tt05) UA am 06.04.2006, Maxim Gorki Theater Berlin Nuran David Calis Café Europa (tt05) UA am 16.09.2006, Schauspiel Essen Maria Kilpi Harmin Paikka – plus null komma fünf windstill (tt07) UA am 20.12.2007, Maxim Gorki Theater Berlin Österreichische EA am 10.02.2008, Burgtheater Wien Ursendung der Hörspielfassung am 14.05.2008, Deutschlandradio Kultur weitere Sendung am 24.12.2008, Schweizer Radio DRS 2 Bettina Erasmy Mein Bruder Tom (tt07) UA am 05.12.2008, Landestheater Tübingen Oliver Kluck Das Prinzip Meese (tt09) UA am 06.02.2010, Maxim Gorki Theater Berlin Maja Das Gupta Zappen (tt03) UA 2008, Zimmertheater Tübingen Dirk Laucke alter ford escort dunkelblau (tt06) UA am 27.01.2007, Theater Osnabrück weitere Inszenierung Thalia Theater Hamburg, Premiere am 13.01.2008 Stückabdruck in Theater heute 05/2007 Dorothee Brix Zuhause (tt04) UA am 25.03.2007, Burgtheater Wien Thomas Freyer Amoklauf mein Kinderspiel (tt05) UA am 28.05.2006, Deutsches Nationaltheater Weimar in Koproduktion mit dem Theater an der Parkaue Berlin, Berlin-Premiere am 20.09.2006 weitere Inszenierungen: Theater Augsburg, Premiere am 27.09.2007 Theaterhaus Jena, Premiere am 28.02.2008 Thalia Theater Hamburg, Premiere am 07.04.2008 Theater Vorpommern, Premiere am 20.09.2008 SE am 12.02.2009, Theater St. Gallen Stückabdruck in Theater der Zeit 12/2006 Claudia Grehn Ernte (tt10) UA Dezember 2010, Maxim Gorki Theater Berlin Stückabdruck in Theater der Zeit 06/2010 Anne Habermehl Letztes Territorium (tt08) UA am 18.11.2008, Thalia Theater Hamburg weitere Inszenierung Stadttheater Konstanz, Premiere am 13.03.2010 Andreas Liebmann Explodiert (tt08) UA am 25.01.2009, Burgtheater Wien David Lindemann Koala Lumpur (tt03) UA am 19.12.2003, Schauspielhaus Bochum Stückabdruck in Theater heute 07/2003 Philipp Löhle Genannt Gospodin (tt07) UA am 21.10.2007, Schauspielhaus Bochum weitere Inszenierungen: Bayerisches Staatsschauspiel München, Premiere am 06.11.2007 theater fact, Leipzig, Premiere am 28.03.2008 Staatstheater Braunschweig, Premiere am 28.11.2008 Ulmer Theater, Premiere am 06.02.2009 Staatstheater Darmstadt, Premiere am 10.01.2009 Theater Magdeburg, Premiere am 12.12.2009 34 Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 10.01.2010 SE am 22.01.2009, Theater Biel Solothurn Stückabdruck in Theater heute 01/2008 Philipp Löhle Die Kaperer (tt07) (Werkauftrag des tt Stückemarkts 2007) UA am 20.03.2008, Schauspielhaus Wien DE am 18.09.2008, Staatstheater Mainz weitere Inszenierung Theater Augsburg, Premiere am 27.01.2009 Thomas Melle Licht frei Haus (tt06) UA am 24.06.2007, Badisches Staatstheater Karlsruhe Nina Mitrovic Das Bett ist zu kurz oder nur Fragmente (tt05) Werkstattinszenierung am 18.03.2006, Burgtheater Wien José Manuel Mora Mi alma en otra parte – Meine Seele anderswo (tt08) UA am 04.09.2009, Theater Osnabrück im Rahmen des Festivals Spieltriebe 3 Stückabdruck in Theater der Zeit 10/2009 Pierre Notte Zwei kleine nette Damen auf dem Weg nach Norden (tt09) DE am 23.12.2009, Badisches Staatstheater Karlsruhe Jean-Marie Piemme Um die Wurst (tt03) DE am 28.11.2004, Badisches Staatstheater Karlsruhe weitere Inszenierung TheaterHalle 7/Inkunst e.V. München, Premiere am 01.07.2006 Tomo Mirko Pavlovic Der alte Tänzer und ich haben Liebe gemacht (tt06) UA am 28.11.2007, Staatstheater Darmstadt weitere Inszenierung Stadttheater Gießen, Premiere am 19.04.2008 Charlotte Roos Hühner.Habichte (tt09) UA 13.01.2010, Theater St. Gallen Stückinsert in Theater der Zeit 06/2009 Oliver Schmaering Seefahrerstück (tt05) UA am 17.09.2005, Neues Theater Halle Volker Schmidt Die Mountainbiker (tt07) UA am 24.11.2007, Theater Heidelberg 35 Esteve Soler Contra el progrés – Gegen den Fortschritt (tt08) UA am 05.02.2009, Sala Beckett i Obrador Barcelona DE am 20.05.2009, Bayerisches Staatsschauspiel München SE am 07.05.2010 Theater Biel Solothurn Johannes Schrettle Dein Projekt liebt dich (tt05) UA am 24.09.2006, Schauspiel Graz Nis-Momme Stockmann Der Mann der die Welt aß (tt09) UA am 17.12.2009, Theater Heidelberg weitere Inszenierungen: Theater Magdeburg, Premiere am 13.02.2010 Theater Basel, Premiere am 03.05.2010 Nis-Momme Stockmann Kein Schiff wird kommen (tt09) (Werkauftrag des tt Stückemarkts 2009) UA am 19.02.2010, Schauspiel Stuttgart Ali Taylor Cotton Wool – Watte (tt06) UA am 18.01.2008, Staatsschauspiel Dresden Klaas Tindemans Bulger (tt08) UA am 17.12.2008, Maxim Gorki Theater Berlin Theatertreffen 07. bis 24 . Mai 2010 Stückemarkt-Dokumentation Veranstalter Berliner Festspiele Ein Geschäftsbereich der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH Herausgeber Berliner Festspiele Redaktion Friederike Jäcksch, Daniel Richter und Giselind Rinn Gestaltung Kordula Rüter Fotos Piero Chiussi [soweit nichts anderes angegeben] Visuelles Konzept Theatertreffen Gute Gestaltung Intendant Prof. Dr. Joachim Sartorius Leiterin Theatertreffen Iris Laufenberg Leitung Stückemarkt Daniel Richter und Friederike Jäcksch [email protected] Ausstattung Kathrin Frosch, Manuela Pirozzi Praktikanten Larissa Bischoff, Demian Sant’Unione Das Theatertreffen wird gefördert durch die Der Stückemarkt wird gefördert durch die Berliner Festspiele, Schaperstraße 24, 10719 Berlin Tel. +49 (0)30 254 89-0, [email protected] www.berlinerfestspiele.de In Kooperation mit www. stueckemarkt. de