Johannes Kreidler über den Arbeitsmarktplatz

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Esslingen 2. Oktober
ßerhalb der Innenstadt. Daher gehen wir mit meinem Stück
nun doch, ganz im Marx’schen Sinne, direkt zum Marktplatz.
// Wie wirst Du in Deiner Performance auf die Arbeitsmarktsituation eingehen? // Ich möchte verschiedene Aspekte von
ökonomischer Arbeit musikalisch performativ darstellen, dabei
geht es mir um unlösbare Probleme. Um das Paradox, dass
es einerseits Arbeitslosigkeit gibt, andererseits Arbeitsstellen
nicht besetzt werden können. Auf die eine Arbeitsstelle gibt es
gar nicht genug Bewerber, für eine andere Arbeitsstelle gibt es
zu viele. Solche Widersprüche möchte ich szenisch-musikalisch
darstellen. // Wie macht man das? // Mit einer Symbolisierung.
Bei dem genannten Beispiel haben wir auf der einen Seite viele
Schlaginstrumente und nur zwei Schlagzeuger, die nach bestimmten kompositorischen Anweisungen von mir agieren. Sie
sollen eigentlich, was unmöglich ist, das gesamte Instrumentarium bespielen – und entsprechend überfordert sind diese
beiden Performer. Auf der anderen Seite ist zum Beispiel ein
sen amerikanischer Unternehmen basiert, komponierte er mithilfe der Windows-Musiksoftware Songsmith einen subversiven Kommentar über die Zusammenhänge zwischen Krise und
Krieg. Der Clip wurde ein Hit bei youtube und junge Menschen
antworten auf die Frage, welche zeitgenössischen Komponisten sie kennen, erstmals: Karlheinz Stockhausen und Johannes
Kreidler.
// Vor welche Herausforderung stellt Dich denn diese Arbeit
mit Laien? Im zeitgenössischen Theater ist es ja durchaus gang
und gäbe, dass Menschen in ihrer „natürlichen Tätigkeit“, also
nicht als hoch spezialisierte Musiker, sondern als hoch spezialisierte Krankenschwestern, Bahnschrankenwärter oder
dergleichen auftreten. Was beziehst Du aus der Wirklichkeit
dieser Menschen mit ein und vor welche Schwierigkeiten stellt
Dich die Konfrontation mit ihnen? // Eine Schwierigkeit bei
der Arbeit mit Laien ist, dass es „den Laien“ nicht gibt. Beim
Experten ist klar, dass er eine Spezialisierung hat, während
Zukunftsmusik / Das Festival
In der Musikwelt genügt hin und wieder ein einziges Konzert,
um einen Komponisten oder Interpreten schlagartig weithin
bekannt zu machen. Auch im Leben von Johannes Kreidler gab
es ein solches „Konzert“. Es fand mithilfe eines Kleinlasters in
München vor der Geschäftsstelle der GEMA statt und bestand
darin, dass er – gemeinsam mit prominenten Kistenschleppern
– die umfassendste GEMA-Meldung aller Zeiten einreichte: Für
ein Musikstück, in dem er innerhalb von 33 Sekunden 70.200
Fremdzitate verwendete. Mit dieser spektakulären Aktion
hievte er die Urheberrechtsproblematik und das Kopieren als
avancierte Kulturtechnik in den Fokus der ästhetischen Diskussion. Lange vor Helene Hegemann.
Johannes, wo sind wir hier? // Am Arbeitsmarktplatz Esslingen.
Wie Marx schon sagte, ist natürlich alles eine Marktsituation.
Auch die Arbeitswelt ist eigentlich ein Marktplatz. // Und wie
unterscheidet sich der Wochenmarktplatz vom Arbeitsmarktplatz? // Der Arbeitsmarktplatz ist abstrakter strukturiert. //
Aber diese Abstraktheit wird in Deiner Komposition für Esslingen in eine Konkretheit überführt – und nimmt noch dazu
auf eine tatsächliche stadthistorische Begebenheit Bezug. // Ja,
der Umstand, dass in Esslingen das erste Arbeitsamt – heute sagt man Job-Center – in Deutschland gegründet worden
ist, war der Ausgangspunkt. Allerdings besteht das historische
Arbeitsamt nicht mehr und das jetzige Job-Center ist leider au-
Klavier, auf dem zugleich zehn Pianisten spielen sollen. Das
symbolisiert, dass es auf eine Arbeitsstelle 100 Bewerber gibt,
und dass das viel zu viel ist. // Konzeptuell lässt sich die genannte Symbolisierung ja schnell erfassen. Welche Rolle spielt
denn dann das ästhetische Ereignis selbst? // Ich glaube daran,
dass Kunst die Aufgabe hat zu ästhetisieren, also im ursprünglichen Sinn des Wortes wahrnehmbar zu machen. Gewisse
Aspekte werden in unserer Welt viel zu wenig benannt. Zum
Beispiel versprechen Politiker immer noch Vollbeschäftigung,
obwohl das – nicht nur meines Erachtens – illusionär ist. Das
wird nicht mehr erreicht werden, dass wirklich alle in Lohn und
Brot stehen, auch weil Maschinen dem Menschen immer mehr
Arbeit abnehmen werden. Vielleicht hat es etwas Pädagogisches, doch ist es grundsätzlich wichtig, dass man so etwas
darstellt. Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um ein
Vermittlungsprojekt handelt, mit Laienspielern und auch mit
Laienhörern. Deshalb scheue ich eine gewisse Einfachheit
und Deutlichkeit nicht. Man muss als Komponist das richtige
Timing finden, und mein Ansatz ist, dass ich eben viele verschiedene solcher kleinen Konzepte habe, die dann auch in der
Menge ästhetisch interessant sind. Es gibt auch noch ein Vokalstück, das dann auch von professionellen Sängern gesungen
wird – als gewisse Kompensation zu den davor sehr konzeptuellen Stücken gibt es auch noch etwas Durchkomponiertes. //
Auch das zweite „Konzert“, bei dem der Komponist Kreidler
nachhaltig auf sich aufmerksam machte, ließ nicht lang auf
sich warten. Mit seiner Charts Music, die auf den Börsenkur-
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Johannes Kreidler 1980
geboren in Esslingen.
Studierte 2000–06 an
der Musikhochschule Freiburg u.a. bei
Mathias Spahlinger,
Mesias Maiguashca, Orm
Finnendahl. Gaststudent
am Institut für Sonologie
in Den Haag und am
IRCAM Paris. 2006–08
Graduiertenstipendium
des Landes BadenWürttemberg. Seit 2006
Dozent an der Hochschule für Musik und Theater
Rostock und der Musikhochschule Detmold, seit
2009 an der Hochschule
für Musik und Theater
Hannover. Ausgezeichnet
u.a. mit dem Stipendium
der Europäischen Union
und dem Nachwuchsförderpreis des Deutschen
Musikautorenpreises
2010.
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Ich kriege Geld und dann zeige ich auch, dass ich daran arbeite.
Sonst ist der Komponist immer im Hintergrund und niemand
erfährt, was da noch passiert. Deshalb stehe ich da mit Haut
und Haar, und auch hierin liegt etwas Authentisches. Ich identifiziere mich mit meiner Arbeit und bringe diese Energie mit
ein, das ist wiederum gerade bei der Arbeit mit den Kindern
und Jugendlichen wichtig. Man muss sie auch motivieren – ein
Aspekt, der bei diesem Festival im Hintergrund wirksam ist,
und so soll er auch bei mir im Vordergrund stehen. Ich bin
ausgebildeter Komponist, habe mein Werk fabriziert und damit soll ein Kontakt hergestellt werden. Genau diesen Kontakt
führen wir auf. Als Vermittler stehe ich in der Mitte und gebe
die Einsätze, dann schauen wir mal, ob Ihr mitmacht. So wollen
wir es versuchen und vielleicht hat es noch immer einen experimentellen Charakter, wenn wir das Stück aufführen. //
Am 18. September hatte im Gelsenkirchener Theater im Revier das Musiktheaterstück FEEDS. Hören TV Premiere. Einem
Patienten wird der Gehörgang observiert, die musikpsychologische Beraterin von Angela Merkel packt aus. Und was entlarvt der Chor der Lügendetektoren? Liebe und Technik, Twitter
und Isolde, eine Arie vor dem Nacktscanner. Durch den Abend
führte der Komponist selbst. //
Du bist ja auch Esslinger. Hat dieses Stück eine autobiografische Komponente? // Ich habe mich mit diesem Projekt speziell bei der Stadt Esslingen beworben, weil ich in Esslingen geboren bin. Ich bin zwar nicht direkt in Esslingen aufgewachsen,
aber ich kenne zumindest die Innenstadt einigermaßen und die
Mentalität gewiss. Das war für mich eine gute Arbeitsgrundlage. // Kann man Dich auch irgendwann durch einen Roboter
ersetzen? // Hoffentlich. Ich möchte spätestens mit 60 in den
Ruhestand gehen. Es gibt Komponisten, die gar nicht mehr
aufhören können, deshalb wäre mein größter Wunsch, dass
ich mit 60 guten Gewissens einmal eine Weltreise durchführen
und ohne peinliches Alterswerk einen schönen Lebensabend
verbringen kann. // Ja, das ist die Zukunft.
Samstag, 2. Oktober, 12 Uhr, Esslingen, Schwörhof
Arbeitsmarktplatz Esslingen (2010)
Musik für alle, Vermittlung vermittelt. Tragödie des Hörens,
erste Roboterdemonstration
Ein musikalisches Happening für fünf Gesangssolisten, zwei
Schlagzeuger, Geigen-, Klarinetten-, Akkordeon- und Klavierspieler, 100 Roboter und Demonstranten
Komposition und Konzept: Johannes Kreidler
Regie: Solvejg Bauer
Projektleitung: Sabine Brandes, Kulturreferat Esslingen
Technik: events creative gmbh
Mitwirkende: Johannes Kreidler / Mitglieder des SWR Vokalensembles (Angelika Lenter / Alexandra Lustig / Frank Bossert / Wilfried Rombach) / Rüdiger Knöß / Matteo Capreoli
und Matteo Scrimali, Schlagzeug / Musiker der Städtischen
Musikschule Esslingen / Stage Divers(e) – Forum für JugendTheater-Kultur
Zukunftsmusik / Das Festival
Laien ganz verschiedene Dinge können – zum Beispiel auch
Musizieren. Die Niveaus sind allerdings ganz verschieden. Das
ist eine kompositorische Schwierigkeit. Einerseits komponiert
man, sozusagen entgegenkommend, ganz leichte Sachen, dann
können es viele aufführen, andere sind allerdings so weit fortgeschritten, dass sie sich dabei schon wieder langweilen. Es ist
sehr schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Grundsätzlich ist die Arbeit mit den so genannten Laien in diesem
Projekt insofern relevant, als sie an den Themen, die in Arbeitsmarktplatz Esslingen verhandelt werden, natürlich nahe dran
sind. Auch die Jugendlichen, mit denen ich arbeite, werden
schon mit diesen Realitäten konfrontiert: Was willst Du später
mal arbeiten? Gerade weil sie nicht alle professionelle Musiker
werden, wo die Situation nochmals anders aussieht. Das war
in den Proben sehr spannend zu sehen, als wir beispielsweise
ein Stück gemacht haben, in dem es um Arbeitszeiten ging. Sie
wussten gleich, worum es geht, denn zumindest der Vater, der
hat diesen Rhythmus und sie selber haben bereits ihren Schulrhythmus. Obwohl es konzeptuell sehr einfach war, dockt man
an komplexe Vorgänge an, die sofort verstanden werden. Ich
möchte an Erfahrungen anknüpfen und ich glaube, dass hier
tatsächlich, um ein Wort zu verwenden, das etwas verpönt ist,
etwas Authentisches entsteht. Mit professionellen Musikern
hätte das Ergebnis einen ganz anderen Charakter. //
Konzert Nr. 3: Johannes Kreidler beauftragt einen Komponisten aus China und einen Audioprogrammierer aus Indien, um
„typische Exemplare seiner eigenen Musik billig produzieren
zu lassen.“ Ausgangspunkt war ein Kompositionsauftrag, bei
dem ein neues Musikwerk des Künstlers gespielt werden soll.
Im Internet hat Kreidler Komponisten aus „Billiglohnländern“
ausfindig gemacht, von denen er sich nach den Vorgaben des
Festivals mehrere Musikstücke hat schreiben lassen, die seinen
eigenen Musikstil plagiieren. Die Produktionskosten für das
Auftragswerk liegen wesentlich unter dem Honorarbetrag, den
er selbst einstreicht. Eine bissige Aktion, in der Outsourcing
und die weltweit unterschiedlichen Löhne provokant zum Klingen kommen. Die fertigen Stücke hat Kreidler seinen „Fremdarbeitern“ abgekauft, so dass das gesamte Werk rechtlich allein ihm gehört und durch die GEMA weiterverwertet wird. //
Nicht nur authentische Menschen wirken am Ereignis mit, auch
Roboter demonstrieren. Was kann ich mir darunter vorstellen?
// Die Roboter übernehmen die menschliche Arbeit – mit der
Ironie, dass sie nicht nur die Arbeit übernehmen, sondern auch
den Arbeitskampf. Die Roboter demonstrieren – wie Menschen – für bessere Löhne, für mehr Freizeit und Rentengarantien. Durch diese Zuspitzung wird die Maschine wiederum
ganz menschlich. Die Frage, wohin es führt, wenn Maschinen,
woran ich fest glaube, in Zukunft immer mehr Arbeit übernehmen, steht dahinter. Eine echte Zukunftsfrage – gerade wenn
es um Zukunftsmusik geht. // Zu einer Demonstration gehört
natürlich auch ein Polizeichor... // ... der einerseits die Roboter
beschützt und andererseits in den Konflikt gerät, einer „arbeitsplatzfeindlichen“ Gruppe gegenüberzustehen. Ich möchte da
versuchen, einen Widerspruch darzustellen, auf den es gegenwärtig überhaupt keine Antwort gibt – ich kann nur versuchen,
ihn möglichst stark zuzuspitzen. // Bei solchen Performances
stehst Du gern in vorderster Reihe und überlässt es nicht nur
Interpreten, den Zeremonienmeister zu spielen. Welche Rolle
spielt es für Dich, dass Du selbst Teil der Aufführung bist? Eine
Form von Arbeitsplatzsicherung? // Meinetwegen auch das,
tatsächlich. Der ökonomische Aspekt wird auch mit dargestellt:
Mit freundlicher Unterstützung von rent-a-suit Esslingen
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