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WIENER STAATSOPER
Der Erbe einer großen Tradition
Z
ufall oder vielleicht doch eine Art höherer Fügung? Als
1987 Antonín Dvořáks Rusalka an der Wiener Staatsoper Premiere hatte, trat an diesem Abend Václav Neumann erstmals im Haus am Ring ans Dirigentenpult, damals 67 Jahre alt und als Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie eine Ikone des Musiklebens unserer Nachbarn.
Auch Jiří Bělohlávek ist 67, auch er ist Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie, und auch er debütiert in einer Neuproduktion von Rusalka an der Wiener Staatsoper. „Ich betrachte diesen Fakt als gutes Zeichen. Václav Neumann
musste bis zu seinem 67. Lebensjahr warten, um an der Wiener Staatsoper zu gastieren. Ich habe jetzt, im gleichen Alter
die gleiche Ehre ... ich fühle mich in guter Gesellschaft.“
Aus Böhmens Hainen und Fluren gingen immer schon exzellente Musiker hervor, ob Komponisten, Instrumentalisten,
Sänger oder Dirigenten. Václav Talich war es, der die große
Tradition der Tschechischen Philharmonie begründete, seine
Nachfolger Rafael Kubelík, Karel Ančerl und Václav Neumann
haben diese dann weiter gefestigt. Diese Tradition zeichnet
sich durch einen weichen Klang, durch größte rhythmische
Vitalität und eine melodisch blühende Phrasierung aus, wie
sie speziell der Musik von Smetana, Dvořák, Suk oder Martinů
zugute kommt. Auch Jiří Bělohlávek, der in Prag und Brünn
studiert hatte, entscheidende Impulse darüber hinaus Sergiu
Celibidache verdankt – „er hat mir, manchmal mit drastischen Mitteln, gezeigt, wie wenig ich bis dahin wirklich studiert hatte und wie komplex das Fach des Dirigierens eigentlich ist“ –, war schon einmal kurz Chefdirigent dieses Orchesters. 1992 meinte man offenbar aber, mit ausländischen
Pultstars leichter an finanziell lukrative Plattenverträge und
einträgliche Engagements für Gastspielreisen heranzukommen. Das Gegenteil war der Fall: Die Tradition des Orchesters
begann zu verfallen, ohne dass es sich zu einem modernen
Klangkörper gewandelt hätte. Als Folge davon sank die Reputation, während Jiří Bělohlávek vorwiegend im Ausland
Karriere machte – als gefragter Operndirigent sowie als Chef
des BBC Symphony Orchestra. Schließlich hat man sich seiner
doch wieder als legitimen Erben der großen tschechischen
Dirigententradition erinnert. 2012 wurde er ein zweites Mal
an die Spitze der Tschechischen Philharmonie berufen, für
2015 ist bereits eine Orchester-Residenz in Wien geplant –
deutliches Indiz dafür, dass es unter ihm wieder steil nach
oben geht. „Ich empfinde es als eine Pflicht, die großartige
Tradition der Tschechischen Philharmonie zu bewahren und
fortzusetzen“, sagt er. „Den Gründer des internationalen Rufs
dieses Ensembles – Václav Talich – habe ich leider nur aus
den historischen Aufnahmen kennengelernt, aber alle weiteren Meister – Kubelík, Ančerl und Neumann – konnte ich per-
sönlich und teilweise auch sehr nahe erleben. Die goldene
Zeit, der ich als Zeuge und Mitarbeiter beiwohnen durfte,
waren jene Jahre, in denen Václav Neumann das hochtrainierte Orchester von Karel Ančerl übernommen hatte und
diese Qualität durch seine überschäumende Musikalität und
seinen Charme bereicherte.“
Dvořáks Rusalka hat Jiří Bělohlávek nicht nur in Prag dirigiert, wo dieses Stück quasi „Muttersprache“ für die Musiker
ist, sondern auch in Glyndebourne sowie an der Met. Außerhalb Tschechiens sei es mittlerweile gar nicht so schwer, dem
böhmischen Idiom nahezukommen. „Mit Freude konnte ich
feststellen, dass das generelle Niveau der Klangkörper so gestiegen ist, dass man überall gute Ergebnisse erzielen kann.
Wichtig ist für mich, das Orchester zu gesanglicher Weichheit
des Klangs, gleichzeitig aber auch zu Flexibilität und zur Bereitschaft zu dramatischen Impulsen zu animieren. Diese beiden kontrastierenden Qualitäten sind äußerst nötig.“
Dvořáks Oper liegt ein Libretto von Jaroslav Kvapil zugrunde, das Motive aus Andersens Kleiner Seejungfrau, de la
Motte Fouqués Undine und Hauptmanns Die versunkene Glocke verarbeitete, in seinem speziellen Ton aber auch durch
die Balladen von Jaromír Erben inspiriert ist. Sein ohne Auftrag geschriebenes Libretto Dvořák vorzulegen wagte der
junge Dichter allerdings nicht, denn dieser pflegte vorstellig
werdende Autoren sofort davonzujagen. Andere Komponisten wie Suk, Foerster und Kovařovic wiederum konnten sich
für den Stoff nicht erwärmen. Über den Direktor des Prager
Nationaltheaters gelangte Kvapils Libretto schließlich doch
in Dvořáks Hände, der prompt Feuer fing. Denn ihm fiel sofort die Nähe zu Erbens Balladen auf, die er so sehr liebte und
von denen ihn vier zu genialen symphonischen Dichtungen
inspiriert hatten. Auch Jiří Bělohlávek sieht zwischen der
Oper Rusalka und den Tondichtungen Der Wassermann, Die
Waldtaube, Die Mittagshexe und Das goldene Spinnrad eine
direkte Verbindung: „Man könnte Rusalka als Krönung dieser
schöpferischen Quelle verstehen.“
Erzählt wird die Geschichte von der Wassernymphe Rusalka, die sich in einen Prinzen verliebt, mit Hilfe der Hexe
Menschengestalt annimmt, um sich ihm nähern zu können,
als Preis für ihre menschliche Seele aber stumm bleiben muss
– was ihr der Prinz nach dem Rausch der ersten Liebe als Gefühlskälte auslegt, wodurch eine fremde Fürstin leichtes Spiel
hat, ihn zu verführen. Rusalkas Schicksal ist besiegelt, als Irrlicht muss sie künftig getrennt vom Wassermann und ihren
Schwestern leben, es sei denn, dass sie den Prinzen tötet,
was sie jedoch empört zurückweist. Dieser selbst sucht sie
schließlich voller Reue auf und findet in ihrem Todeskuss Erlösung.
FOTO: EAMONN MCCABE/REDFERNS
JIŘÍ BĚLOHLÁVEK debütiert in der Premiere von Dvořáks
„Rusalka“ am Pult der Wiener Staatsoper.
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Dvořák stürzte sich mit Feuereifer auf die Arbeit. Auf so
ein Buch hatte er schon längst gewartet, denn der Oper
galt in jenen Jahren sein allergrößtes Interesse, „nicht etwa
aus einer Sehnsucht nach Bühnenruhm“, wie er in einem Interview im März 1904 erklärte, „sondern aus dem Grunde,
weil ich die Oper auch für die geeignetste Schöpfung für
das Volk halte. Dieser Musik lauschen die breiten Massen
und zwar sehr oft; wenn ich aber eine Symphonie komponiere, könnte ich vielleicht jahrelang warten, bis sie bei uns
aufgeführt würde.“ Nur sieben Monate benötigte Dvořák,
bis er die Partitur im November 1900 vollenden konnte.
Den größten Teil davon hat er auf seinem Sommersitz in
Vysoká komponiert, wo er eine Villa bewohnt, die heute als
„Villa Rusalka“ ein Museum beherbergt. Nicht weit davon
befindet sich ein kleiner, sumpfiger Weiher, den er „Rusalka-See“ nannte und an den er sich zum Komponieren
des Öfteren zurückzog.
Rusalka ist Dvořáks neunte und vorletzte Oper. Und sie
ist, auf diesem Gebiet, sein bedeutendstes Meisterwerk.
Dvořáks Begabung lag nicht zuletzt im lyrischen Bereich,
die sich hier voll entfalten konnte. Für die Waldszenen etwa
erfand er Klänge, die in ihrer Poesie und ihren Farben fast
schon an den französischen Impressionismus gemahnen –
etwa zur gleichen Zeit komponierte Debussy seine Oper
Pelléas et Mélisande. Auch wenn solche Einflüsse spürbar
sind, sieht Jiří Bělohlávek in Rusalka ein typisches Werk der
Spätromantik. „Ich betrachte Dvořáks Oper Rusalka als eine
der schönsten Schöpfungen des Meisters, in der sich alle
Elemente wie Liebe, Leidenschaft, Gerechtigkeit, die Bereitschaft, sich zu opfern, Weisheit, aber auch die Unerbittlichkeit des Schicksals und der Gesetze der Natur, in einer
unwahrscheinlich vollkommenen Form zusammenfinden.
Für mich ist es eine der schönsten Opern überhaupt.“ B
PETER BLAHA
WIENER STA ATSOPER
Antonín Dvořák
Rusalka
So., 26. Jänner, 19.00 Uhr
Dirigent: Jiří Bělohlávek
Regie: Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild: Rolf Glittenberg
Besetzung: Michael Schade (Der
Prinz), Krassimira Stoyanova (Rusalka),
Günther Groissböck (Der Wassermann),
Monika Bohinec (Die fremde Fürstin),
Janina Baechle (Jezibaba)
Do., 30. Jänner,
Do., 6. Februar, 19.00 Uhr,
Mo., 3., So., 9. Februar, 18.30 Uhr
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