Editorial Wofür wird im Case Management gesorgt? Geschicklichkeit im Handeln, in der Organisation und in der Systematik des Vorgehens werden wir dem Case Management zurechnen können, aber damit ist seine ethische Qualität noch nicht ausgewiesen. Wenn es sie gibt, worin kann sie bestehen? Gefragt sind damit Einstellungen der Handelnden im Verfahren und die mit deren Grundhaltungen zu treffenden Dispositionen. Die Moral der Personen ist das Eine, die ethische Güte in der Art und Weise des Vorgehens im Case Management ein AnGHUHV 0DQ GHQNW LP KXPDQEHUXÀLFKHQ +DQGOXQJVIHOG gewöhnlich an die professionelle Moral der Fachkräfte, und ihre Haltungen sind zweifellos gewichtig, auch in den Anwendungsbereichen des Case Managements. Was indes ist dem Handlungsprogramm selber – dem Managen, fallbezogen und als Prozess – an ethischer Dignität zuzutrauen und zuzumuten? Auf einzelne Aspekte der Bewertung unseres Verfahrens im Für und Wider und der Handlungsorientierung von Case Manager/innen wird in den Beiträgen dieses Heftes eingegangen. Sich kümmern im Management des Falles Unsere Fachgesellschaft hat „Care“ im Namen und damit den doppelten Bezug auf Sorgen als Handeln von und für Menschen und auf die Sorge als Haltung derjenigen, die das tun. Care steht zwar auch für das Leistungssystem der Versorgung, das in organisierter Form gegeben ist. Das Versorgungssystem ist aber unpersönlich eingerichtet, und man muss sich personenbezogen darum kümmern, dass in ihm fallweise das Nötige in die Wege geleitet und ausgeführt wird. Mit der Sorge und dem Sorgen ist für die Personen, die damit befasst sind, immer auch (und nicht zuletzt) die ethische Dimension angesprochen, in welcher ein „Dienst am Menschen“ erfolgt. Man muss klären, was für jemanden „gut“ ist. Statt dieses Gute per Expertise einfach zu verordnen, kommt es im Case Management darauf, es mit Menschen in schwieriger Lage in einem offenen Horizont von Präferenzen und Bewertungen konkret auszuhandeln. Dies ist ein ethischer Gesichtskreis. Ein Ethos gibt an, wie und worauf wir im Leben ausgerichtet sind. Darauf bezogen lässt sich erörtern, um was sich im individuellen Fall die Betroffenen zusammen mit Helfern und Unterstützern kümmern und wohin sie streben wollen. Bei dieser Orientierung bleiben die Handelnden moralisch nicht indifferent. Sie entscheiden fortlaufend über ihren Einsatz in den schwierigen und komplexen Situationen, in denen ein Case Management angebracht ist. Dabei gerät der Professionelle nicht selten in Dilemmata, wenn er betriebliche und leistungsrechtliche Vorgaben zu beachten hat und gleichzeitig anwaltschaftlich für Klienten eintreten will. In dieser Lage können die Rahmenempfehlungen der DGCC zum Handlungskonzept dienlich sein. Darüber hinaus diskutiert die Fachgruppe Essentials der DGCC seit längerem Ethische Standards. Sie sollen zu den Rahmenempfehlungen hinzukommen. An der Erarbeitung der Standards war und ist Michael Monzer beteiligt. Er diskutiert in seinem Beitrag, ob diese Standards überhaupt gebraucht werden – und wenn ja, warum. Er geht dialektisch vor und bezieht zunächst die negative Position: Wird korrekt verfahren, ist das der Ethik schon genug; im Übrigen lässt sich auf die humanEHUXÀLFKH 0RUDO E]Z %HUXIVHWKLN VHW]HQ $EHU 0RQ]HU ¿QGHWGDQQGRFKGDVVHWKLVFKH%HVRQGHUKHLWHQLP&DUH und Case Management zu einem anderen Schluss führen: Die Besonderheiten beginnen bei der Verantwortung für die Fallauswahl und setzen sich im Assessment und in der Hilfeplanung u. a. mit Berücksichtigung von Wunsch und Willen von Klienten fort. Die Steuerungsaufgabe erscheint im Ganzen verantwortungsvoll und rechenVFKDIWVSÀLFKWLJ Gut handeln und ethische Güte Prof. Dr. Wolf Rainer Wendt In einer systematischen Betrachtung ethischer Positionen im Case Management müssen wir differenzieren. Ethik kann als Wissenschaft verstanden werden, die Ethos und 0RUDOUHÀHNWLHUW0RUDOLVFKJXWKDQGHOQXQGVLFKGDEHLDQ Sollensvorschriften orientieren ist das Eine, das handOXQJVOHLWHQGH (WKRV HLQ $QGHUHV %HUXÀLFKH 0RUDO LVW Case Management 2013|1 1 Editorial nicht gleich einem Ethos, in dem man sich auf das humane Wohl versteht und es zu erreichen strebt. Von diesen Unterscheidungen her widme ich mich in meinem Beitrag dem ethischen Gesichtskreis menschlichen Wohlergehens. Dessen Güte kann im allgemeinen Diskurs zum humanen Leben – von Kindern und Jugendlichen, in familiärer Gemeinschaft, bei Behinderung, im $OWHUXQGEHL3ÀHJHGUIWLJNHLW±XQG]XGHPHU|UWHUWZHUden, was wir in diesem Situiertsein zu besorgen haben. Das Ziel des ethischen Strebens ist in der Fallführung nach der Veranlagung und dem Lebensentwurf des einzelnen Menschen zu bestimmen. Wofür gesorgt werden soll, ergibt sich im Einzelfall für und mit den Adressaten im Case Management. (LQHHWKLVFKH5HÀH[LRQLP7HDPHPS¿HKOW&KULVWRSK$UQ in seinem praxisbezogenen Beitrag. Er nimmt ein Fallbeispiel – ein doppeltes Schleudertrauma liegt vor – zum Anlass, eine gegebene Faktenlage mit einer Wertorientierung zu konfrontieren: Was ist für das nötige Handeln an Fakten zu berücksichtigen, und welche Werte sind in Hinblick auf sie relevant? So komplex die Situation häu¿JLVWVROHLFKWJHUlWGHURGHUGLH+DQGHOQGHLQHLQ:HUtedilemma. Die Abwägung, wie richtig vorzugehen ist, kann für Muster- oder ausgewählte Fälle in einer EthikKommission oder einem entsprechenden Gremium für ein Fachgebiet erfolgen. Ethische Fallbesprechungen zu Dilemmasituationen stellen auch eine Weise der SuperYLVLRQE]Z7HDPLQWHUYLVLRQGDU(LQHNRQNUHWH(QWVFKHLdungssituation, welche die Fallführung im Zuge von Assessment, Zielstellung und Hilfeplanung mit sich bringt, ELHWHWIUHLQHVROFKH5HÀH[LRQQLFKWJHQJHQG5DXPXQG Zeit. So kommt es wieder auf den ethischen Habitus von Case Manager/innen an, die das individuelle Wohl des Einzelnen mit ihm auszulegen verstehen. Die Kontinuität des Sorgens als ethische Erstreckung Ein Case Management erfolgt in einem andauernden Bemühen um die Bewältigung und Lösung komplexer Probleme im Leben von Menschen. Continuum of care als Grundsatz bedeutet, dass im Verfahren nicht die eine oder andere geboten wird, sondern in zusammenhängendem Handeln auf eine Lösung oder Bewältigung von Problemen hingewirkt wird. Zwar kann moralisch jede einzelne Handlung beurteilt werden, ethisch gewichtiger ist aber der auf ein Gelingen gerichtete Prozess als ganzer. Michael Wissert, der sich nun schon lange Jahre besonders des Handlungsfelds der ambulanten palliativen Ver- 2 Case Management 2013|1 sorgung angenommen hat, beschreibt (zusammen mit Bettina Roccor) in seinem Beitrag den ganzen Prozess der helfenden Begleitung von Sterbenden unter dem Gesichtspunkt des koordinierten Vorgehens. Der Wert des Case Managements erweist sich im palliativ-hospizlichen Handlungsfeld in der Angemessenheit, in der das Versorgungssetting organisiert und dazu das Labyrinth der Hilfen und Zuständigkeiten für den Bedarf des Sterbenden und seiner Angehörigen erschlossen wird. Die Praxis ist variabel $QGLH%HLWUlJH]XU(WKLNVFKOLHHQ]ZHL7H[WHDQGLHVLFK 9HUIDKUHQVDVSHNWHQ ZLGPHQ 7KRUVWHQ 0OOHU EHKDQGHOW das Disease Management Programm bei koronarer Herzkrankheit und gibt einen Einblick in die Praxis mit diesem Programm in Rheinland-Pfalz. Martin Walcher berichtet über die Implementierung von Case Management seit EHL3UR,Q¿UPLVLQGHU6FKZHL]'HUÀlFKHQGHFNHQde Aufbau von Kompetenz im Case Management hat sich unter der Devise „alle machen CM“ als Projekt der Organisationsentwicklung erwiesen. =XUFN ]XU (WKLN $QGUHDV +HOOHU XQG 7KRPDV .UREDWK schreiben über ethische Organisation, was in unserem Kontext heißt, in Diensten und Einrichtungen eine werteorientierte Organisationsentwicklung zu betreiben: Räume, Prozesse und Strukturen können für Kommunikation, Entscheidungen, Zusammenarbeit und Partizipation in ihnen hinderlich oder hilfreich sein. Das betrifft auch die Organisation von Care und Case Management. Abschließend betont Andreas Lob-Hüdepohl in dem Interview, das Bettina Roccor mit ihm geführt hat, die HWKLVFKH 5HÀH[LRQVNRPSHWHQ] GLH GHQ &DVH 0DQDJHU innen abverlangt werden kann. Sie reicht einerseits in die Fähigkeit, Entscheidungen begründet zu treffen, und andererseits bis in weltanschauliche und religiöse Rückbindungen. Ist das Case Management grundsätzlich dem :RKOHUJHKHQ YRQ 0HQVFKHQ YHUSÀLFKWHW NDQQ YRQ GHQ professionell Handelnden und ihren Adressaten nicht unbedacht bleiben, was hier Wohl heißt und worin es sich erfüllt. Wolf Rainer Wendt