Schlussbild aus der Uraufführung der Oper „Babylon“ von Jörg Widmann im Oktober 2012 in der Bayerischen Staatsoper. Feuerspektakel unter Kontrolle Wie Spezialisten hinter der Kulisse der Bayerischen Staatsoper für die Sicherheit der Besucher und der Beschäftigten sorgen – Auch Flammen als künstlerisches Stilmittel werden mit Argusaugen bewacht – Absprachen zwischen Regisseur und Feuerwehr – Einmal im Jahr wird im ganzen Haus eine Woche lang der feuergefährliche Staub entfernt Von Rudolf Erhard* S * Der Autor ist BR-Reporter. Aufnahmen: Autor (1), Bayerische Staatsoper (3), Archiv brandwacht (1). 210 zene in der Inszenierung der Oper „Babylon“: Ende Oktober stand die Bühne der Bayerischen Staatsoper in Flammen. Ein riesiger Feuervorhang, sechs Meter hoch und vier Meter breit ließ Deutschlands größtes Theater im Feuerschein erglühen. Die fünf diensthabenden Berufsfeuerwehrmänner in den Kulissen hatten drei stressige Minuten. „Auf einer Theaterbühne ist eigentlich grundsätzlich kein Feuer erlaubt“, kommentiert der städtische Brandamtsrat Johannes Thomann von der Münchner Berufsfeuerwehr. „Aber die Freiheit der Kunst geht vor“, meldet sich da Karl-Heinz Krämer zu Wort, Technischer Direktor der Bayerischen Staatsoper in München. „Wenn wir von dem Feuerverbot abweichen, müssen wir das eben gut begründen, künstlerisch wie technisch“ und schon holt er einen dicken Aktenordner aus dem Regal eines Leitstandes auf der Hauptbühne. Auf vielen Seiten ist da genau geregelt und bis ins Detail beschrieben, wie der Feuervorhang in der Oper „Babylon“ konstruiert und brandschutztechnisch abgesichert ist. Das Parafinfeuer soll maximal drei Minuten lodern, zur Sicherheit reicht der Brennstoff nur für fünf Minuten. Solange das Feuerspektakel andauert, muss einer der beiden Feuerwehrmänner von der rechten Vorderbühne den auf der Hinterbühne stationierten Kollegen verstärken. Unsichtbar für die Zuschauer, aber in unmittelbarer Nähe des künstlerischen Brandherdes und mit der Hand am Wandhydranten. Doppelte Sicherheit, denn im künstlerisch gewollten Feuervorhang auf der Opernbühne ist auch eine Löschvorrichtung installiert, mit einem Wasser-Stickstoffgemisch. Trotzdem musste alles, aber auch alles bedacht werden. Wie hoch ist die Umgebungstemperatur rund um den Feuervorhang, wie groß der Abstand zu schwer entflammbaren Materialien, wie sicher sind die darüberliegenden eingefetteten Stahlseile der Obermaschinerie. Wir stehen auf der 900 Quadratmeter großen Hauptbühne. Um uns ein geordnetes Gewirr von Bühnenarbeitern, die mit präzisen Handgriffen die Kulissen der Oper „Lohengrin“ vom Vorabend demontieren. Immer wieder gibt es Warnrufe, wenn von oben Stangen und Seile herabschweben und mit Lasten behängt wieder in den Höhen entschwinden. Es surren Podien hin und her, der Bühnenboden hebt und senkt sich. Obermaschinerie und Untermaschinerie, Portalbrücke, Maschinen-Portal- und Punktzüge, Hubpodien, Bühnenwagen, Oberlichter, Beleuchtungszüge, Linsen- oder Parabolspiegelscheinwerfer. Das fünfzigseitige „Technische Handbuch“ gibt hier nur eine grobe Ordnung vor, beschreibt die Ausstattung und verweist auf eine Vielzahl von brandwacht 6/2012 Einzelregelungen, von der Arbeitsschutz- über die Arbeitsstättenverordnung bis hin zur Brandschutz- und Versammlungsstättenverordnung. Ein Gewirr von Menschen ist nötig, um auf, hinter und auch unter der Bühne große Oper zu inszenieren vom Startenor über die Geigerin, von den Chorsängern bis zu den Bühnenarbeitern, von den Beleuchtern bis zu den diensthabenden technischen Vorständen. Im Schnitt sind bei einer Vorstellung rund 500 Beschäftigte vor und hinter den Kulissen, aber ohne Sicherheit gibt es keine Kunst. 130 Sprinklerkreise sind im riesigen Areal der Bayerischen Staatsoper verlegt, sie stehen ständig unter Wasser und erzeugen im Brandfall den ersten Sprühregen. Doch viel wichtiger sind die 400 Brandmeldekreise, ob auf der Bühne, im Zuschauerraum, in den Gängen, Foyers und Sanitäranlagen. Das trockene Leitungssystem der Löschwasseranlage ist mit automatischen Rauchmeldern verbunden. Wenn die auslösen, kann die Bayerische Staatsoper im wahrsten Sinn des Wortes unter Wasser gesetzt werden. 4.500 Liter pro Minute, als Ersteinsatz bis zum Eintreffen der Münchner Berufsfeuerwehr, die nach Alarmauslösung mit den ersten Löschzügen in zwei Minuten vor Ort sein kann. „Wir müssen für alles Vorsorge treffen, für genügend Wasserdruck in den Leitungen, für einen möglichen Stromausfall und für das Funktionieren der Brandschutzvorrichtun- brandwacht 6/2012 gen vom Eisernen Vorhang bis zur Brandschutzhaube“, erklärt Adalbert Schmid, Leiter des Maschinenwesens in der Bayerischen Staatsoper. Täglich wird jede wichtige technische Einrichtung durchgegangen, und in der Bayerischen Staatsoper sind jede Menge Kontrollgeräte, Druckstationen oder Flüssigkeitsmelder installiert. Ein besonderes Augenmerk gilt natürlich dem in langen Leitungen zirkulierenden Hydrauliköl für die vielen Hubeinrichtungen. Zwei bühnentechnische Vorstände, einer für die Bühneneinrichtung und einer für die Beleuch- bare Materialien verbaut, doch viele Requisiten, Kulissen oder Kostüme dennoch normal entflammbar. Im Brandfall trennt der Eiserne Vorhang in Sekundenschnelle den Bühnenraum hermetisch vom Zuschauerraum und umgekehrt. Auf der Bühne herrscht theoretisch die größte Brandgefahr und unter dem Dach können dann große Luken zum Rauchabzug geöffnet werden. All die technischen Brandschutzeinrichtungen sind an vielen Stellen im riesigen Opernhaus auch manuell auslösbar. Alle halbe Jahre kommt der VdS, der Verband der Brandschutzeinrichtungen in der Staatsoper. tung, organisieren die Kontrolle all der Einzelteile, ob Schalter, Leitungen oder Verbindungsstücke. In so einem riesigen Theaterbetrieb sind zwar überwiegend schwer entflamm- Schadensversicherer, in die Bayerische Staatsoper und überprüft, ob alle Schutzvorschriften der Brandund Versammlungsstättenverordnungeingehalten sind. Alle 25 Jahre werden alle Funktionsteile der technischen Einrichtungen nach einem strengen Auswahlverfahren einer Laborprüfung unterzogen, um alle Eventualitäten, von der Leckage bis zur Materialermüdung, auszuschliessen. Auch das Staatliche Bauamt München ist vor Ort und bei allen Überprüfungen mit eingebunden. Brandschutz steht in der Sicherheitsphilosophie eines so großen Theaters an oberster Stelle. Jeder Mitarbeiter, ob künstlerisch, technisch oder verwaltend beschäftigt, durchläuft mindestens einmal im Jahr eine Sicherheitsunterweisung. Überall gibt es dafür Beauftragte, Chor und Orchester mit eingeschlossen. „Das Rauchen ist im Abbau der Kulissen zur Oper „Jenufa“ nach Ende der Vorstellung. 211 Blick von der Hinterbühne in Richtung Zuschauerraum mit Brücke oben. Zeitgenössische Darstellung des Wiener Ringtheaterbrandes 1881: Nach diesem Brand wurden strenge Brandschutzvorschriften erlassen, die u. a. den sog. Eisernen Vorhang in Theatern zwingend vorschreiben. 212 gesamten Opernhaus verboten, wer erwischt wird fliegt raus“, wird der technische Direktor Karl-Heinz Krämer energisch. „Bei uns hat sogar jeder Bühnenarbeiter immer einen Staublumpen einstecken, damit sich auf Lampen und Stangen, auf Simsen und Kanten nie zu viel Staub ansammelt und damit eine große Brandgefahr vermindert wird. Zusätzlich ist einmal pro Jahr das große Entstauben angesagt, da sind dann zehn Leute eine ganze Woche lang beschäftigt“. Wenn in den Theaterferien Handwerker ins Haus kommen, unterstehen sie besonders scharfen Kontrollen. Schweißarbeiten werden nur erlaubt, wenn es keine Alternative gibt und dürfen nur unter höchstem Sicherheitsaufwand durchgeführt werden, einschließlich einer Brandwache nach Abschluss der Arbeiten. Die Münchner Berufsfeuerwehr ist als Brandschutzdienststelle offiziell zuständig für die Bayerische Staatsoper. Doch im Normalfall sind die obligatorischen fünf Feuerwehrmänner nur bei den Vorstellungen im Haus. Bei durchschnittlich 350 jährlichen Aufführungsterminen trifft das jeden der 1.700 Münchner Berufsfeuerleute zweimal im Jahr. „Das ist sehr wichtig, damit jeder das riesige Gebäude kennt, das Labyrinth an Gängen im Bühnen- und Verwaltungsbereich, die Gefahrenstellen, die Fluchtwege für die 2.100 Menschen im Zuschau- erraum und die vielen hundert Beschäftigten drumherum“, erzählt Brandamtsrat Johannes Thomann. Er ist in ständiger Verbindung mit der technischen Direktion der Staatsoper. Auf alles muss bei der Brandvorsorge geachtet werden von morgens bis abends, nicht nur im Bühnenbereich, sondern auch in den elf Stockwerken und zwei Kellergeschossen, mit Werkstätten, Magazinen, Aufenthaltsräumen und Büros, vom Bügeleisen bis zum Mülleimer. Eine halbe Stunde vor dem Zuschauereinlass sind die diensthabenden Feuerwehrleute vor Ort, kontrollieren noch einmal die wichtigsten Brandschutzeinrichtungen und beziehen bei Vorstellungsbeginn ihre Kontrollplätze links und rechts der Vorderbühne, im Bühnenhintergrund und auf der Galerie. Nach Vorstellungsende achten sie darauf, dass die Requisiten von der Bühne in abgeschlossene Räume transportiert werden und Kulissenteile nach Möglichkeit senkrecht gestellt werden. Bleiben Kulissenteile über Nacht auf der Bühne, kann sogar das Anbringen eines zusätzlichen Funkbrandmelders angeordnet werden. Nach dem Schlussapplaus und der Räumung der Bühne erstellen die Feuerwehrleute noch ein Brandschutzprotokoll und senden es spätestens am nächsten Morgen ins Büro des diensthabenden Brandamtsrats in der Hauptfeuerwehrwache. „Wenn etwas nicht stimmt, bekomme ich sofort einen Anruf aus der Hauptfeuerwehrwache“ berichtet der technische Direktor KarlHeinz Krämer. Er ärgert sich besonders über die Fehlalarme, im Schnitt einmal pro Monat. Da stellt die Münchner Berufsfeuerwehr jedes Mal 2.200 Euro in Rechnung. „Bei festgestellten Versäumnissen im Alltagsbetrieb habe ich ein abgestuftes System der Rüge“, schmunzelt Brandamtsrat Johannes Thomann. „Ich schimpfe einmal, dann noch ein zweites Mal und wenn dann der Brandschutzmangel nicht abgestellt ist, gibt es einen Brief mit der Bitte um Stellungnahme und der Androhung eines Bußgeldes“. Soweit ist es aber bisher nicht gekommen. Ernste Zwischenfälle waren bisher in der Staatsoper auch selten, zuletzt im Jahr 1997. Da rückte ein Beleuchter seinen Scheinwerfer zu nahe an den Hauptvorhang und setzte ihn in Brand. Der konnte allerdings in o Sekunden gelöscht werden. brandwacht 6/2012