Simulation von Enzymzuständen am Computer – ein Weg zum Verständnis molekularer Details gen unterschiedliche Enzymzustände eines ionentransportierenden Membranproteins simuliert, infrarotspektroskopische Daten dadurch genauer interpretierbar und neue Erkenntnisse zur Aufklärung des Ionentransportmechanismus erhalten werden. Die Ca2+-ATPase – das Enzym zum „Relaxen“ Karin Hauser Die Ca2+-ATPase ist das Enzym, welches für die Entspannung von Muskeln verantwortlich ist. Dafür pumpt es Ionen über die Membran. Mit Hilfe von Elektrostatik-Rechnungen konnte die Beteiligung der Aminosäure Asp 800 an diesem komplexen Transportmechanismus gefolgert werden. Mehrere Entwicklungen der letzten Jahre haben den Einsatz von Computern zur Untersuchung von Enzymreaktionen extrem vorangebracht: zum einen ist es die Verfügbarkeit von immer mehr Strukturdaten, die auf frei zugänglichen Datenbanken bereitgestellt werden. Zur Zeit sind es mehr als 30.000 Molekülstrukturen, deren Atomkoordinaten hauptsächlich über die die NMR-Spektroskopie und die Röntgenstrukturanalyse bestimmt wurden. Diese Strukturdaten werden als Ausgangsbasis für Rechnungen benötigt. Zum anderen hat die rapide Entwicklung von Rechnerleistung und PC-Clustern die Möglichkeit eröffnet, auch komplexe biologische Makromoleküle am Rechner zu simulieren. Simulationen am Computer können dafür eingesetzt werden, experimentelle Daten zu interpretieren oder Vorhersagen zu treffen, wenn (noch) keine experimentellen Daten vorhanden sind. In diesem Beitrag soll demonstriert werden, wie mit Hilfe von Elektrostatik-Rechnun- Keywords Ca2+-ATPase, Ionentransport, Elektrostatik-Rechnungen Die Kontraktion und Relaxation von Muskeln wird über Calcium gesteuert. Über Calciumkanäle strömt Calcium ins Cytoplasma der Muskelzelle, was zur Muskelkontraktion führt. Die Ca2+-ATPase ist das Membranprotein, das Calcium wieder aus der Zelle herauspumpt, wenn der Muskel entspannt werden soll. Dabei wird Calcium aus dem Cytoplasma ins Innere der Ca2+-ATPase gebunden und auf der lumenalen Membranseite ins Sarkoplasmatische Retikulum abgegeben. Dieser komplexe Transportmechanismus wird derzeit mit verschiedenen Methoden untersucht, die molekularen Details sind jedoch noch nicht vollständig verstanden, insbesondere die genauen Transportwege innerhalb der Ca2+-ATPase und die daran beteiligten Aminosäuren sind nach wie vor unklar [1,2]. Abb. 1: Die Ca2+-ATPase pumpt 2 Calciumionen über die Membran vom Cytoplasma in das Lumen des Sarkoplasmatischen Retikulums. 2–3 Protonen werden dabei in entgegengesetzter Richtung transportiert. Die Zahlen bezeichnen die zeitliche Abfolge der einzelnen Schritte. In Abbildung 1 sind die wesentlichen Schritte des Transportmechanismus zusammengefasst: nur wenn die Calciumbindestelle, die sich im Transmembranbereich des Enzyms befindet, mit 2 Calciumionen gesättigt ist, kann ATP an die Nukleotidbindestelle im cytplasmatischen Teil der Ca2+-ATPase binden. Die Hydrolyse des ATP stellt letztlich die Abb. 2: Während des Reaktionszyklus nimmt die Ca2+-ATPase mehrere Enzymzustände an, die hier in einem vereinfachten Schema dargestellt sind. Bindung und Transport von Calcium wechseln sich ab mit Phosphorylierung und Dephosphorylierung des Enzyms. Über Elektrostatik-Rechnungen werden die Ionisationszustände jeder einzelnen Aminosäure im Protein in Abhängigkeit des äußeren pH-Wertes berechnet. Diese hängen von den Wechselwirkungen mit anderen Aminosäuren, vorhandenen Ionen oder Wassermolekülen in der Umgebung ab. Die Enzymzustände, die in den Rechungen behandelt wurden, sind rot hervorgehoben. GIT Labor-Fachzeitschrift 10/2005, S. 836–838, GIT VERLAG GmbH & Co. KG, Darmstadt, www.gitverlag.com, www.pro-4-pro.com Abb. 3: Die Calciumbindestelle, die sich im Transmembranteil der Ca2+ATPase befindet. Benannt sind die Aminosäuren, die die beiden Calciumionen binden. Energie für den Calciumtransport zur Verfügung, der aktiv gegen einen Konzentrationsgradienten getrieben werden muss. Dabei wird die Ca2+-ATPase phosphoryliert, was die Voraussetzung für die Abgabe von Calcium in das Lumen ist. Die Enzymkonformation ändert sich während des Pumpprozesses erheblich und geht mit einer Affinitätsund Zugänglichkeitsänderung der Calciumbindestelle einher. Der Membrankanal öffnet sich in Richtung Lumen, Wasser kann eintreten. Nach Dephosphorylierung des Enzyms geht die Konformation wieder in ihren Ausgangszustand zurück, wobei die Calciumbindestelle wieder dem Cytoplasma zugänglich wird und von dort neue Calciumionen binden kann. Dem Calciumtransport entgegengesetzt gerichtet werden Protonen transportiert. Über diesen Protonengegentransport ist noch sehr wenig bekannt. Man nimmt an, dass die Protonen zur Stabilisierung der negativ geladenen Aminosäuren der Calciumbindestelle benötigt werden, wenn das Enzym im calciumfreien Zustand vorliegt. Im Reaktionszyklus der Ca2+-ATPase alternieren somit Bindung und Transport von Calcium mit Phosphorylierung und Dephosphorylierung des Enzyms. Ein vereinfachtes Reaktionsschema ist in Abbildung 2 dargestellt. Netto werden pro hydrolysiertem ATP 2 Calciumionen vom Cytoplasma in das Lumen ge- pumpt und 2–3 Protonen in Gegenrichtung transportiert. Vor kurzem wurden hochaufgelöste Röntgenstrukturdaten der Ca2+-ATPase in unterschiedlichen Enzymzuständen des Reaktionszyklus aufgeklärt. Dies ermöglicht nicht nur eine Visualisierung und bessere Vorstellung der einzelnen Enzymzustände und der Aminosäuren, die an der Calciumbindung beteiligt sind (Abb. 3), sondern macht die Untersuchung des Ionentransportmechanismus für Rechnungen zugänglich. Rechnungen zur Elektrostatik Elektrostatische Wechselwirkungen von Dipolen und Ladungen, die durch die komplexe Struktur aus ionisierbaren und polarisierbaren Gruppen im Protein zustande kommen, spielen bei Ladungstransfermechanismen von Proteinen eine bedeutende Rolle [3]. Verglichen mit dem pK-Wert in wässriger Lösung können die pK-Werte von Aminosäuren innerhalb des Proteins um mehrere Einheiten abweichen. Die überwiegend hydrophobe Proteinumgebung ist weniger stark polarisierbar als zum Beispiel Wasser, was sich auf den pK-Wert und damit die Ionisierbarkeit einzelner Aminosäuren auswirkt. Werden Ladungen durch ein Protein geschleust, ändern sich die elektrostatischen Wechselwirkungen und auch oft die Konformation im Protein. Über die Rechnungen versucht man, die wirkenden Kräfte im Protein zu beschreiben und ihre Auswirkungen auf die Ladungszustände und Konformation der einzelnen Aminosäuren zu bestimmen. Dabei müssen auch Wassermoleküle berücksichtigt werden, die sich in Proteinhohlräumen befinden können und möglicherweise am Ladungstransfermechanismus beteiligt sind. Startpunkt der Rechnungen sind die Atomkoordina- Abb. 4: Berechnete Titrationskurven des Calciumliganden Asp 800 in verschiedenen Enzymzuständen. Im Ca2+-gebundenen Enzymzustand E1·2Ca2+ (blau) liegt Asp 800 ionisiert vor, im Ca2+-freien Zustand E2 (rot) protoniert bei pH7 und titriert mit einem pK-Wert 5 7.9. In Kombination mit infrarotspektroskopischen Daten konnte diese Aminosäure identifiziert werden, sowohl am Calciumtransport als auch am Protonengegentransport beteiligt zu sein. schaften treffen für die Asparaginsäure 800 zu, einem der Calciumliganden, dessen berechneten Titrationskurven in Abbildung 4 dargestellt sind. Mit Hilfe der Rechnungen konnten somit die experimentellen Infrarotdaten nicht nur genauer interpretiert werden, sondern sie ermöglichten auch die Identifikation einer Aminosäure, die sowohl an der Calciumbindung als auch am Protonengegentransport beteiligt ist. In Zukunft sollen die Elektrostatik-Rechnungen auch dafür eingesetzt werden, den Energietransduktionsmechanismus zu untersuchen, um zu verstehen, wie die Energie vom cytoplasmatischen Bereich (wo das energieliefernde ATP bindet) in den Transmembranbereich (in welchem die Ionentranslokation stattfindet) übertragen wird. Literatur [1] Stokes, D.L.; Green, Ann.Rev.Biophys.Biom.Struct. ten des Enzyms. Dies ist im Grunde eine starre Struktur, die keine Informationen über Protonen enthält und somit auch nicht über Ionisationszustände einzelner Aminosäuren. In den hier angewandten Rechnungen werden zunächst die Protonen den Strukturdaten hinzugefügt, wobei nur energetisch günstige Positionen erlaubt werden. Alle Aminosäuren werden über Punktladungen parametrisiert. Sogenannte Konformere werden für die Aminosäuren definiert, die sich durch die Orientierung der Aminosäureseitenkette, den Ionisationszustand und unterschiedlicher Protonenpositionen unterscheiden. Proteinzustände werden „künstlich“ erzeugt, indem jeweils ein Konformer pro Aminosäure gewählt wird. Über die Berechnung der paarweisen Wechselwirkungen wird dann der wahrscheinlichste Proteinzustand in Abhängigkeit des pHWertes bestimmt. Dabei können pH-abhängig Ionisations- und Konformationsänderungen einzelner Aminosäuren auftreten und identifiziert werden, die funktionell für das Protein von Bedeutung sein können. Energieterme können zudem analysiert werden. Bisherige Arbeiten konnten z.B. zeigen, wie die Proteinstruktur von Cytochromen das Redoxpotential moduliert [4,5]. Die hier beschriebenen Rechnungen wurden mit der calciumfreien und der calciumgebundenen Struktur der Ca2+ATPase durchgeführt, um den Protonengentransport zu untersuchen. Man nimmt an, dass die Calciumliganden um die Calciumionen und die Protonen konkurrieren. Von infrarotspektroskopischen Daten weiß man, dass beim Übergang vom calciumgebundenen in den calciumfreien Enzymzustand Carboxylgruppen protoniert werden [6]. Bei stark alkalischem pH-Wert wird kein Protonengegentransport mehr beobachtet. Dies bekräftigt die Hypothese, dass die Calciumliganden, die Carboxylgruppen enthalten, auch potentielle Kandidaten für den Protonengegentransport sind. Eine Zuordnung zu spezifischen Aminosäuren ist jedoch über die Infrarotdaten ohne weitere Informationen nicht möglich. Die Berechnung der Ionisationsund Konformationszustände jeder der 994 Aminosäuren der Ca2+-ATPase im jeweiligen Enzymzustand und in Abhängigkeit des pH-Wertes ermöglicht eine solche Zuordnung. Aminosäuren, die zu den IR-Banden beitragen, müssen im calciumgebundenen Zustand ionisiert vorliegen, nach Calciumfreisetzung bei pH 7 protoniert und bei höherem pHWert deprotoniert sein. Diese Eigen- N.M.; 32 2003, 446–468 [2] Toyoshima, C.; Inesi, G.: Ann. Rev. Biochem. 73 2004, 69–72 [3] Gunner, M.R.; Alexov, E.G.: Biochim.Biophys.Acta 1458 2000, 63–87 [4] Mao, J.; Hauser, K.; Gunner, M.: Biochemistry, 42 2003, 9829-9840 [5] Hauser, K.; Mao, J.; Gunner, M.: Biopolymers, 74 2004, 51–54 [6] Barth, A.; Kreutz, W.; Mäntele, W.: J.Biol.Chem. 272 1997, 25507–25510 Juniorprof. Dr. Karin Hauser 1989–1995 Physikstudium in Freiburg; Promotionsstipendium des Graduiertenkollegs „Strukturbildung in Makromolekularen Systemen“ der Universität Freiburg und 2000 Promotion in Biophysik; 2001–2002 Humboldtstipendiatin und Postdoktorandin am City College of New York, New York, USA. Seit 2002 Juniorprofessorin für Biophysik im Fachbereich Physik der Uni Frankfurt. Institut für Biophysik Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Max-von-Laue-Str. 1 60438 Frankfurt am Main [email protected]