Altes bewahren, Neues bauen

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Altes bewahren,
Neues bauen
25 Jahre Stadtentwicklung
Inhalt
3 //
8
Gesichter einer Stadt
Parchim zwischen
Vergangenheit und Zukunft
24
Ist Parchim noch zu retten?
Sanierung und Rahmenplanung
nach der Wende
18
Moderne Stadt
mit grünem Herz
Parchim heute
76
Neues bauen
Platz zum Lernen,
Spielen, Entspannen
90
Das historische Erbe bewahren
Baugeschichte und Denkmalschutz
98
Pläne, Projekte,
Potenziale
Was bleibt zu tun?
40
Parchimer Schmuckstücke
Die schönsten Sanierungsobjekte
auf einen Blick
VORWORT // Altes erhalten und Wichtiges erneuern // Zwischen Geschichte und Zeitgeist ........... 4
VORWORT // Ein enormer Erneuerungsprozess // Die Schönheiten von »Pütt« ............................... 6
Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft ......................................... 8
INTERVIEW // Wolfgang Westphal »Ein hartes Ringen« ................................................................. 16
Moderne Stadt mit grünem Herz // Parchim heute ...................................................................... 18
INTERVIEW // Bernd Rolly »Das war großartig« ............................................................................. 22
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende ......................... 24
INTERVIEW // Günther Wrede »Wir haben Glück gehabt« ............................................................. 34
INTERVIEW // Robert Erdmann »Die Städtebauförderung ist ein Glücksfall« ................................. 36
Parchimer Schmuckstücke // Die schönsten Sanierungsobjekte auf einen Blick ......................... 40
INTERVIEW // Gabriele und Hans-Dieter Mathews »Wir würden es wieder tun« .......................... 52
INTERVIEW // Ulf Harm »Wir alle haben gelernt« ........................................................................... 74
Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen ................................................................ 76
INTERVIEW // Norbert Kreft »Parchim darf kein Museum sein« .................................................... 82
Raum für Spiel und Abenteuer // Die Spielplätze ......................................................................... 84
Tiefgreifende Erneuerung // Die Sanierung der Infrastruktur ....................................................... 86
Das historische Erbe bewahren // Baugeschichte und Denkmalschutz ....................................... 90
Neue Rahmenplanung // Richtschnur für die Zukunft ................................................................... 94
Pläne, Projekte, Potenziale // Was bleibt zu tun? .......................................................................... 98
3 //
4
VORWORT
Altes erhalten und
Wichtiges erneuern
Zwischen Geschichte und Zeitgeist
Liebe Parchimerinnen und Parchimer,
werte Gäste,
unsere Stadt hat in den vergangenen
25 Jahren mithilfe der Städtebauförderung Vieles geleistet und kann mit Freude
auf die Ergebnisse verweisen. Gelungene
Beispiele in der Altstadt oder der Weststadt belegen die Vielfalt und Vitalität von
Parchim. Die ganze Palette an Ergebnissen einer konstruktiven Städtebauförderung zeigt, in welch großer Form dieses
Programm nachhaltig in den Kommunen
wirkt.
Gelungene Städtebauförderung ist Stadt­
entwicklung im höchsten Maße. Hier
werden Altes erhalten und für die Kommunen Wichtiges neu gestaltet. Damit
gelingt auch ein Stück Kulturwandel und
man ist in der Lage, Zentren zu stabilisieren. Parchim hat davon in den letzten
Jahren ungemein profitiert. Vielfältige
Projekte sind damit auf den Weg gebracht und umgesetzt worden.
Dirk Flörke // Bürgermeister
der Stadt Parchim
Gerade der historische Stadtkern hat hier
ungemein partizipiert und ist in den zurückliegenden Jahren zu einem wahren
Schmuckstück geworden. Ohne die Unterstützung von Bund und Land wären
zum Beispiel das »Zinnhaus« oder die
gelungene Symbiose von Alt und Neu
beim Stadthaus nicht mit diesem Erfolg
möglich gewesen.
Alle Bürger und Besucher Parchims
sehen an vielen Beispielen, wie eine fast
800 Jahre alte Stadt sich ihre Geschichte bewahrt und dabei den Zeitgeist von
heute trifft.
Ich finde, all das kann sich sehen lassen
und wir haben allen Grund, darauf stolz
zu sein. Wir werden diesen Weg weitergehen und unsere Stadt damit auch in
Zukunft lebenswerter und attraktiver gestalten.
Ihr Bürgermeister
Dirk Flörke
Altes erhalten und Wichtiges erneuern // Bürgermeister Dirk Flörke // 5
»Parchims Stadtkern ist
zum wahren Schmuckstück
geworden.«
Blick über den Wockersee // Wer
sich Parchim nähert, entdeckt hinter
dem Wockersee die beiden großen
Kirchtürme.
3 //
6
VORWORT
Ein enormer
Erneuerungsprozess
Die Schönheiten von »Pütt«
D
as Bild der historischen, denkmalgeschützten Altstadt von Parchim ist beeindruckend. Straßen
und Plätze wurden hochwertig gestaltet.
Liebevoll sanierte Gebäude zeugen vom
Engagement der Bewohnerinnen und Bewohner bei der Erneuerung ihrer Häuser.
Von 1991 an sind rund 160 private Gebäude, rund 30 Erschließungsmaßnahmen
und neun Gemeindebedarfseinrichtungen
saniert und modernisiert worden. Beispielsweise im Sanierungsgebiet »Östliche Altstadt« die Erweiterung des
Präsidentenhauses zum Stadthaus, die
Modernisierung des Rathauses und die
Umgestaltung des Schuhmarktes, ein
zentraler Platz für viele Veranstaltungen in
der Stadt Parchim.
Die Altstadtsanierung in Parchim ist vor
allem auch dank der Unterstützung des
Landes Mecklenburg-Vorpommern, des
Bundes und engagierter Bürgerinnen und
Bürger vor Ort eine Erfolgsgeschichte.
Knapp 28 Millionen Euro Finanzhilfen haben zur Revitalisierung des historischen
Stadtkerns beigetragen.
Doch Altstadt­sanierung ist ein fortwährender Prozess. Das Wirtschafts- und
Bauministerium wird die Stadt weiterhin
bei ihren Aufgaben unterstützen.
Die vorliegende Broschüre fasst den
enormen Erneuerungsprozess der Stadt
eindrucksvoll zusammen und zeigt die
Schönheiten von »Pütt«, wie die Parchimer ihre Stadt liebevoll nennen.
Harry Glawe
Minister für Wirtschaft, Bau und
Tourismus Mecklenburg-Vorpommern
Harry Glawe // Minister für
Wirtschaft, Bau und Tourismus
Mecklenburg-Vorpommern
Ein enormer Erneuerungsprozess // Minister Harry Glawe // 7
»Altstadt­sanierung
ist ein fortwährender
Prozess.«
Schuhmarkt // Dank Stadterneuerung
sprudelt hier nicht nur ein Brunnen,
sondern auch das Leben.
8 //
Gesichter
einer Stadt
Parchim zwischen
Vergangenheit
und Zukunft
»Das Vergangene ist nicht tot,
es ist nicht einmal vergangen«,
meinte der Schriftsteller William
Faulkner. Dass der Satz stimmt,
zeigt sich in Parchim auf Schritt
und Tritt. Die in den letzten
25 Jahren aufwändig und liebevoll
sanierte Stadt an der Elde
verbindet heute Vergangenheit
und Gegenwart.
Blick von der St. Georgenkirche //
Die Jahrhunderte währende Geschichte
der Stadt ist in Parchim an vielen Stellen
noch sicht- und erlebbar.
3 ////Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
10
St. Marienkirche // Die Hallenkirche
ist ein schönes Beispiel der norddeutschen Backsteingotik. Sie überragt mit
ihrem Turm die Altstadt.
Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft // 11
N
ein, das Vergangene ist nicht vergangen. Seine Spuren beleben
unsere Gegenwart. Nirgends wird
das so deutlich wie bei einem Bummel
durch die Parchimer Altstadt. Wer heute
durch die Blutstraße, über den Schuhmarkt, durch die Lindenstraße bis zu den
historischen Wallanlagen schlendert, der
fühlt sich ein wenig aus der Zeit gefallen.
Die imposanten Backsteinbauten mit ihren markanten Giebeln, die charmanten
Fachwerkhäuser mit ihren bunten Fenstern und Toren und die Reste der einst
so soliden Stadtmauer erzählen von einer
versunkenen Zeit. Einer Zeit, in der in Parchim, wie in vielen norddeutschen Kleinstädten, Glück und Unglück, Blüte und
Niedergang, Zerfall und Aufschwung nah
beieinander lagen.
Bewegte Vorzeit
Das Vergangene ist nicht vergangen. Wer
heute im Nordwesten Parchims den Burgwall am Bleicherberg besucht, kann direkt
in Parchims früheste Vergangenheit reisen. Hier lag der Zugang zur Burganlage,
die vermutlich schon seit der Besiedlung
des Landes durch slawische Stämme im
7. oder 8. Jahrhundert existierte. Damals
war die mächtige Burg rundum von Wasser
geschützt: Die Elde, der Burgteich (heute
Kleine Wiese) und der Burggraben (heute
Wocker- oder Papiermachergraben) sollten
schwer bewaffnete Feinde aufhalten.
nannten. Zentren dieser Siedlung waren
ein lebendiger Straßenmarkt und eine
romanische Basilika. Schon 1225/1226
erhielt die Siedlung das Stadtrecht. Ihre
Struktur ist noch heute in Teilen des
Schuhmarktes und rund um die St. Georgenkirche zu entdecken. Übrigens:
Von St. Georgen aus wurde Ende des
12. Jahrhunderts die Gegend missioniert.
1246 kamen Franziskaner-Brüder nach
Parchim und bauten ihren Konvent am
Rand der Neustadt.
Wie viele norddeutsche Burgen bestand
die imposante Anlage aus einem mit
Holzbalken verstärkten Erdwall mit einem
Wehrgang auf der Wallkrone. Im Inneren
standen die Wohn- und Wirtschaftsgebäude, die vermutlich schon aus Backsteinen gemauert waren. Die mittelalterliche Burg, die 1170 immerhin von Kaiser
Friedrich I. Barbarossa in einer Urkunde
erwähnt wurde, war die Keimzelle der
späteren Stadt Parchim. Schon zu Barbarossas Zeiten gab es östlich der Burg
eine ständig wachsende landwirtschaftliche Siedlung und Handelsniederlassung, die die Einheimischen »Vorburg«
Erste Blüte, früher Aufschwung
Der Aufschwung begann, als Parchim
1237 für knapp 80 Jahre Residenzstadt
wurde. Fürst Pribislaw von Parchim-Richtenberg residierte nicht nur auf der Burg.
Er gründete um 1240 am linken Eldeufer,
westlich des bisherigen Ortes, eine neue
Siedlung. Sie wurde planmäßig angelegt
und bekam nicht nur einen rechteckigen
Marktplatz, sondern auch eine Kirche,
die 1278 geweihte St. Marienkirche. Beide Siedlungen, Alt- und Neustadt, hatten
zunächst wenig miteinander zu tun. Die
Elde, die heute ganz Parchim verbindet,
war damals Stadtgrenze und trennte die
beiden Siedlungen.
St. Georgenkirche // Die gotische
Backsteinkirche entstand ab 1289. Der
ursprünglich höhere Turm wurde 1612
durch ein Feuer zerstört.
Wer heute
durch die
Altstadt
schlendert,
fühlt sich
ein wenig
aus der Zeit
gefallen.
12 //
Parchim
hatte beste
Voraussetzungen
für einen
lebhaften
Handel:
Das Wasser
der Elde und
die Ostsee.
Doch 1282 vereinigten sich beide Städte. Etwa zur selben Zeit, als die beschädigte St. Georgenkirche neu aufgebaut
und geweiht wurde (1307) errichteten die
Parchimer (zwischen 1289 und 1310) ihre
2,7 Kilo­meter lange, 90 Zentimer dicke und
5,5 Meter hohe Stadtmauer. Auch hier gilt:
Das Vergangene ist nicht vergangen, denn
noch heute sind Teile dieser Stadtmauer
zu besichtigen. Jahrhundertelang blieb die
Mauer Parchims Grenze, erst 1863 wurde
mit dem Wallhotel (heute Sparkasse am
Moltkeplatz) ein Gebäude außerhalb der
alten Stadtmauer gebaut.
Durch die drei Stadttore (Neues Tor,
Kreuztor, Wockertor), kamen nicht nur
die Parchimer in ihre Stadt, sondern auch
immer mehr Händler und Kaufleute – und
mit ihnen ein erster Aufschwung für die
Stadt. Schließlich hatte Parchim die besten Voraussetzungen für einen lebhaften
Handel: Das Wasser der Elde floss direkt
vor der Haustür, die Ostsee war nicht
weit, erste Straßen entstanden. Bis zum
16. Jahrhundert mauserte sich Parchim
zum wichtigen Binnenhandelsplatz. Rund
3000 Menschen lebten damals in der
Stadt, sie handelten mit Tuchen und landwirtschaftlichen Produkten oder arbeiteten
als Woll- und Leineweber, Schuhmacher,
// STADTWISSEN //
Sonnengott oder Pfütze – wie Parchim zu seinem Namen kam
Eines ist sicher: Das Wort Parchim stammt aus dem Slawischen. Über die Bedeutung des Begriffes sind Historiker uneins. Die nette Variante: »Parchim«
könnte vom Namen des Sonnengottes »Parchom« abgeleitet sein. Die weniger freundliche Version: Der ursprüngliche Name »Parchom« könnte vom
polnisch/niedersorbischen Wort »parch« abstammen, was übersetzt etwa
»Räude« bedeutet und einen räudig-wüsten Ort in der Feldmark bezeichnet.
Im 12. Jahrhundert wurden »Parchim« und »Parchem« noch gleichzeitig benutzt, bevor sich der heutige Ortsname endgültig durchsetzte.
Weniger umstritten ist der Spitzname Parchims, »Pütt«. Er kommt aus dem
Plattdeutschen und setzte sich – meist liebevoll gebraucht – in den 1920-er
Jahren unter den Parchimern durch. Das plattdeutsche »Pütt« (Pfütze) spielte
wahrscheinlich ursprünglich auf die Größe des Parchimer Wockersees an, wird
aber inzwischen für die gesamte Stadt gebraucht. Wasser gibt es schließlich
auch heute in und um Parchim reichlich.
Schmiede,
Knochenhauer,
Schneider
und Fischer. Auch sie haben in der Stadt
Spuren hinterlassen. Etliche der alten
Parchimer Fachwerkhäuser zeugen von
der Tüchtigkeit und dem Wohlstand der
heimischen Handwerker. Einfuhrsteuern,
die am Kreuztor, Wockerntor und Neuem
Tor entrichtet werden mussten, brachten
zusätzlich Geld in die Stadtkasse. Parchim
wurde zum Zentrum der Reformation im
Land und zum größten Landbesitzer Mecklenburgs nach Rostock. Es gab ein Schulzentrum, ein Gericht und reichlich Militär.
Rückschläge und neue Bauten
Die nächsten Jahrhunderte machten der
Blüte Parchims vorerst ein Ende. 1582 und
1612 wüteten Brände und verwüsteten
große Teile der Altstadt. Die gefürchtete
Pest (unter anderem 1583 und 1626) und
die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges
(1618-1648) zogen über das Land und ließen auch Parchim nicht verschont. Während 1620 noch rund 5000 Menschen in
der Stadt lebten, waren es knapp 30 Jahre
später lediglich 1300.
Doch die Stadt an der Elde rappelte sich
wieder auf. Parchim wurde Sitz des Hofund Landgerichtes (1667-1708), wenig
später (1733-1788) war Parchim unter
preußischer Pfandbesetzung. Die Einwohnerzahl stieg in dieser Zeit wieder
auf rund 4000. Auch Juden siedelten sich
damals im Ort an; am Voigtsdorfer Weg,
westlich des Wockersees, errichteten
sie ihren Jüdischen Friedhof. Dort fanden
noch bis 1938 Begräbnisse statt.
1813 kämpfte der Landsturm gegen
Napoleons Truppen, fünf Jahre später
wurde Parchim Sitz des Oberappellationsgerichtes. Um dem Gericht eine würdige
Bleibe zu bieten, bauten die Parchimer
ihr Rathausgebäude 1818 um. Auch in
den kommenden Jahrzehnten wurde viel
gebaut, etwa das Friedrich-Franz-Gymnasium (1827), die Gewerbeschule (1838),
Real- (1841) und Volksschule (1848), ein
größeres Gymnasialgebäude (die heutige
Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft // 13
Goethe-Schule, 1890) und ein Jahr später das neue Volksschulhaus (heute FritzReuter-Schule).
Schwung für Industrie und Verkehr
Im 19. Jahrhundert war es in Parchim wie
in vielen Städten mit der noch mittelalterlichen Beschaulichkeit im Handwerk vorbei. Erste Fabriken entstanden, so schon
1819 eine Tuchfabrik, in den nächsten
Jahrzehnten gaben unter anderem eine
Papiermühle, die Maschinenfabrik Bauer,
eine Back­ofenfabrik und die Victoriamühle
den Parchimern Arbeit. Kein Wunder, dass
die alten Stadtmauern dem aufstrebenden
Ort zu eng wurden. Ab 1863 wurde auch
außerhalb der Mauern gebaut.
Auch sonst wurde die Stadt moderner:
1820 montierten die Parchimer ihren
Galgen ab, 1832 wurde eine demokratischere Stadtverfassung eingeführt, sechs
Jahre später eine neue Gesindeordnung.
1841 kam mit dem Bau der Ludwigsluster
Chaussee Schwung in den Verkehr, 1862
bekam Parchim ein Telegrafenamt und
eine Gasanstalt und schließlich 1880 Bahnanschluss (Strecke Parchim-Ludwigslust).
1885 folgte der Anschluss an das Netz
der Mecklenburgischen Südbahn Parchim-Neubrandenburg. Schon seit 1845 gab
es eine »Kleinkinderbewahranstalt«, trotz
des abstoßend wirkenden Namens ein großer Fortschritt, und seit 1867 war Parchim
Standort des 2. Mecklenburgischen Dragonerregiments Nr. 18.
Licht und Schatten
Das Vergangene ist nicht vergangen. Noch
heute erinnert am Dammer Weg ein Denkmal, das seit 1922 von der Stadt gepflegt
wird, an eines der größten Kriegsgefangenenlager Deutschlands. Es wurde mit Beginn des 1. Weltkrieges auf dem ehemaligen Kavallerieexerzierplatz am Stadtrand
gebaut und konnte bis zu 25.000 Gefangene aufnehmen. Viele von ihnen starben hier.
Alter Markt // Der Platz findet schon
ab 1282 Erwähnung. Das Backstein­
giebelhaus entstand im 17. Jahrhundert
im Stil der flandrischen Renaissance.
Auch wenn Parchim 1921 elektrischen
Strom bekam, 1925 Amtssitz beziehungsweise Kreisstadt wurde und die Einwohnerzahlen weiter stiegen, bleiben die dunklen
Schuhmarkt // Der Platz im Zentrum
Parchims ist heute einer der lebendigsten Orte der Altstadt. Woher der
Name stammt, ist nicht geklärt.
14 //
// STADTWISSEN //
Klein aber fein –
Die Entwicklung der Einwohnerzahlen Parchims
1500 1620 1648 1789 1830 1850 1910 1939 1974 1990 2000 2005 =
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
=
3.000
5.000
1.300
4.000
5.800
6.270
12.804
16.000
23.000
23.800
20.048
19.348
Stadtdenkmal // Als Fachwerkstadt
wurde Parchim bereits 1970 in die
Liste der Stadtdenkmale aufgenommen. Viele historisch Häuser verfielen aber bis 1989 noch weiter.
Kapitel der Stadtgeschichte unvergessen.
Dazu gehört auch der nationalsozialistische
Terror. 1937 wurden 22 jüdische Familien
misshandelt, sie wanderten anschließend
aus oder wurden deportiert. Im November
1938 wurde der Parchimer Jüdische Friedhof geschändet und zerstört.
Neuanfang und Verfall
Auch nach Kriegsende blieben Licht und
Schatten. An die oft brutalen Verhöre der
sowjetischen Geheimpolizei NKWD in der
Schweriner Straße 3/4 erinnert seit 1993
eine Gedenktafel. Die Tuchfabrik wurde
enteignet und zu Volkseigentum.
Heute erinnern, auch auf Initiative des Parchimer Heimatbundes, zehn Stolpersteine
an die jüdischen Bürger der Stadt – unter
anderem vor der stilvoll restaurierten Villa in der Pulitzer Straße 43 in Erinnerung
an den Kaufmann Gustav Josephi. Gustav
Josephi, 1857 geboren, gehörte als Stadtverordneter und Vorsitzender des Handelsvereins zu den angesehensten Parchimer
Bürgern. 1935 musste er die Stadt verlassen. Er starb 1943 im KZ Theresienstadt.
Besonders seit den 1960-er Jahren wurde
in der Stadt kräftig gebaut. Ein Gasbetonwerk (1961), ein Hydraulikwerk (1968) und
eine Poliklinik (1973) entstanden. Ab 1963
wurde aus der Weststadt eine modern angelegte Großwohnsiedlung, größtenteils
in Plattenbauweise.
Kein Zeichen des Gedenkens gibt es bislang für die Zwangsarbeiter, die zwischen
1939 und 1945 in einem Parchimer Lager
schuften mussten. Den Krieg selbst überlebte Parchim ohne größere Zerstörungen.
Am 3. Mai 1945 zog die Rote Armee in die
Stadt ein.
1970 wurde Parchim in die Liste der regionalen Stadtdenkmale der DDR aufgenommen – ein eher symbolischer Akt,
denn saniert wurde die Altstadt nicht. Im
Gegenteil: Bis 1989 verfielen viele der
historischen Gebäude immer mehr, Putze
bröckelten, Dächer waren undicht, Mauern feucht. Die Vergangenheit schien über
die Gegenwart zu siegen. Würde die Parchimer Altstadt überhaupt eine Zukunft
haben?
Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft // 15
Putze bröckelten,
Dächer waren undicht,
Mauern feucht.
// STADTWISSEN //
Spur der Erbsen – wie dem Räuber
Vieting das Handwerk gelegt wurde
Das Vergangene ist nicht vergangen.
Das beweist auch die Sage vom Räuber
Vieting (oder Viting), der angeblich in
grauer Vorzeit rund um den Sonnenberg
bei Parchim sein Unwesen trieb. Dort
gibt es eine Höhle, in der sich der Räuber
einst versteckt haben soll. Noch heute
heißt diese Höhle Vietingskeller.
Die nicht ganz jugendfreie Sage – die
erste schriftliche Fassung stammt aus
dem Jahr 1670 – ist schnell erzählt: Räuber Vieting – offenbar ein norddeutscher
Rübezahl mit rotem Bart und bösen Augen – machte jahrelang die Wälder um
Parchim unsicher. Von regulärer Arbeit
hielt der Räuber wenig. Lukrativer war
es, allein oder mit seiner Bande, reichen
Kaufleuten aufzulauern, ihnen ihr Hab und
Gut abzuknöpfen und sie anschließend zu
ermorden. Weil ein solcher Schurke nicht
nur ein Sicherheitsrisiko, sondern auch
ein Imageschaden für Parchim war, versuchten die Stadtväter mit allen Mitteln,
Vieting festzusetzen. Doch sie scheiterten an der Klugheit des Räubers.
Hier tritt das Mädchen Isalbe auf, das
sich von ihrem Dorf Slate aus zum Einkauf nach Stolpe auf den Weg machte.
Ahnungslos marschierte es am Parchimer Sonnenberg vorbei und wurde
prompt von Räuber Vieting gekidnappt.
In einigen Versionen der Sage musste
Isalbe seine Haushälterin, in anderen Versionen seine Frau werden – man kann
sich ja denken, dass der räuberische
Junggeselle sie nicht nur zum Sockenstopfen brauchte. Isalbe musste schwören, dass sie Vieting nie verraten würde
– und stürzte in einen heftigen Gewissenskonflikt: Einerseits wollte sie potentielle Opfer warnen, andererseits ihren
Mann nicht verraten.
Als Isalbe von den Räubern zum Einkauf
nach Parchim geschickt wurde, streute
sie auf dem Hinweg Erbsen aus und klagte auf dem Rückweg dem Schlagbaum
am Parchimer Stadttor ihr Leid: »Wo ich
die Erbsen hinstreue, da folgt mir. Wo die
letzten Erbsen sind, da ist Vieting gewiss.
Ich will meinen Mann nicht verraten, aber
die Erbsen können ihn verraten.«
Wie es der Zufall wollte, hörte ein
Stadtsoldat Isalbes Klage und alarmierte
seine Kollegen. Dank der Erbsen konnten
sie Vieting finden und fangen – und Isalbe
hatte ein reines Gewissen. Freilich hatten
nicht alle Versionen der Sage dies Happy­
end. In manchen Überlieferungen hieß
es, Vieting habe vor der Hinrichtung seine Frau noch einmal sehen wollen. Beim
letzten Kuss biss er ihr – zur Strafe für
ihren Verrat – die Zunge ab.
16 //
INTERVIEW
»Kaum mehr als zehn Häuser wurden
abgerissen. Um jedes ist es schade.«
»Ein hartes Ringen«
Der Pädagoge Wolfgang Westphal kümmerte sich in den 1970-er
und 80-er Jahren ehrenamtlich um Parchims historisches Erbe.
Das war, trotz mancher Erfolge, keine leichte Aufgabe.
Herr Westphal, als Stadtführer bringen
Sie Besuchern heute die schönsten Seiten Parchims nahe. Warum ist Parchim
so schön?
Parchim ist eine historisch gewachsene
Stadt. Bis etwa 1863 durfte nur innerhalb
der Stadtmauern gebaut werden. Wir
haben zwei großartige mittelalterliche
Hallenkirchen und eine Altstadt, deren
Struktur vor Jahrhunderten von Kaufleuten und kleinen Handwerkern geprägt
wurde. Der niederdeutsche Schriftsteller
Rudolf Tarnow, 1867 in unserer Stadt geboren, schrieb, in Parchim sei „wie in der
Spielzeugschachtel“ gebaut worden. Das
stimmt.
Wie kommt es, dass die Altstadtstrukturen so intakt sind?
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Parchim
im Zweiten Weltkrieg kaum beschädigt
und am 3. Mai 1945 kampflos an die Rote
Armee übergeben wurde. Nur vier Häuser waren zerstört.
Wolfgang Westphal // Bereits seit
den 1970-er Jahren bemüht sich der
ehrenamtliche Stadtführer um das
historische Erbe der Eldestadt.
Schaut man auf alte Fotos aus den
1980-er Jahren, scheint es, als sei der
Zeit gelungen, was der Krieg nicht
schaffte: Die Altstadt wirkte verfallen.
In den 1950-er und 60-er Jahren hatte
man sich im Wesentlichen darauf beschränkt, bei einzelnen Gebäuden die
Fassaden zu malern. Ab 1968 lag der
Schwerpunkt auf den Neubauten in der
Weststadt. Man brauchte Platz für die
Arbeiter der Hydraulikwerke. Die Schattenseite: In der Altstadt wurde lange
Zeit wenig saniert. Trotzdem wurden zu
DDR-Zeiten kaum mehr als zehn Häuser
abgerissen. Um jedes ist es schade. Aber
immerhin wurden nicht wie in anderen
Städten – denken Sie an Greifswald –
ganze Altstadt-Viertel platt gemacht.
Woher kommt aber der Eindruck grauer Tristesse auf den alten Fotos?
Eigentlich sollte sich die Abteilung Kultur
beim Rat des Kreises um die Denkmalpflege – und damit um die historische
Bausubstanz – kümmern. Aber das waren kleine Schritte, in der Altstadt blieb
vieles ungelöst. Als Denkmalpfleger im
Kulturbund haben wir auf Missstände
aufmerksam gemacht und Initiativen gestartet, um Baudenkmäler zu erhalten.
Das war ein hartes Ringen.
Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft // 17
// ZUR PERSON // WOLFGANG WESTPHAL
Ein Ringen, das die Denkmalpfleger
verloren?
Es ist auch manches gelungen: Anfang
der 80-er Jahre wurden auf behutsame
Weise in Gebäuden am Alten Markt und
in der Langen Straße sogenannte Fließstrecken, also Bad und WC, eingebaut.
In der Langen Straße 26 wurden Aus­
fachungen und Windbretter neu gesetzt,
in der Mühlenstraße 38 Balken ersetzt,
Jugendliche kümmerten sich um die historischen Wallanlagen und den Gefangenenfriedhof am Dammer Weg. Es gab
die Denkmalliste, das Denkmalschutzgesetz und, seit 1983, den Tag des Denkmals. Aber zugegeben: Den Eindruck von
Verfall an vielen Stellen konnte das nicht
verhindern.
Wolfgang Westphal, 74, ist Ur-Parchimer. Er lernte zunächst Tischler, studierte dann Kunst und Deutsch am Pädagogischen Institut in Erfurt und
schrieb seine Abschlussarbeit in der Kunstgeschichte über die Parchimer
Georgenkirche. Viele Jahre arbeitete er als Lehrer und Direktor in Lancken
(zwischen Parchim und Lübz), seit 1972 war er Leiter der Interessengemeinschaft Denkmalpflege im Kulturbund und kümmerte sich dort auch
um den Erhalt der historischen Parchimer Bausubstanz. Heute ist er Leiter
der Interes­sengemeinschaft der Stadtführer im Parchimer Heimatbund und
führt Besucher zu den schönsten und interessantesten Plätzen Parchims.
Denkmalpflege // Seit den 1980-er Jahren gab es Bemühungen, das bau­
historische Erbe der Stadt Parchim behutsam zu erhalten. Mit bescheidenen
Mitteln und Einzelmaßnahmen ließ sich der weitere Verfall aber nicht stoppen.
18 //
Moderne Stadt
mit grünem Herz
Parchim heute
Parchim hat nicht nur interessante historische Spuren zu bieten.
25 Jahre nach Beginn der Stadterneuerung ist Parchim eine moderne, offene
und liebenswerte Stadt. Ihr besonderes Flair begeistert nicht nur die Parchimer,
sondern zieht auch viele Besucher an.
Stadthaus // Ein gelungenes
Beispiel, wie sich in Innenstädten
historisches Erbe mit moderner
Architektur vereinen lässt.
20 //
Eldestadt // Wasser prägt das
Stadtbild Parchims. Wie ein blaues
Band fließt die Elde, Mecklenburgs
längster Fluss, durch die Altstadt. Ihre
vielen Arme, die Stadtgräben und die
reizvollen Brücken sorgen für eine
besondere Atmosphäre.
Moderne Stadt mit grünem Herz // Parchim heute // 21
D
ie Vergangenheit ist nicht zu übersehen. Besucher, die sich Parchim nähern, entdecken schon von
weitem die altehrwürdigen Kirchtürme
von St. Marien und St. Georgen. Wer
durch das historische Zentrum bummelt,
durch die Blutstraße, über den Schuhmarkt oder durch die Lindenstraße flaniert, stößt auf Schritt und Tritt auf Historie. Doch Parchim ist auch eine moderne
Stadt mit grünem Herz. »Parchim – die
grüne Stadt an See und Fluss« ist kein leeres Versprechen.
Wie in kaum einem anderen norddeutschen Ort prägt Wasser das Stadtbild.
Wie ein blaues Band fließt die Elde, Mecklenburgs längster Fluss, durch die Altstadt. Ihre vielen Arme, die Stadtgräben
und die reizvollen Brücken sorgen für
eine besondere Atmosphäre. Kein Wunder, dass die Müritz-Elde-Wasserstraße,
der Bootshafen und die Schleusenanlage sowie die Wasserwander-Rastplätze
»Hohe Brücke«, »Zentrum und Fischerdamm« und »Fährhaus Slate« viele Besucher anlocken.
Wer Parchims grünes Herz finden will,
muss nicht lange suchen: Am südlichen
Stadtrand locken die Waldgebiete Sonnenberg und Buchholz mit dem Slater Moor,
einem geschützten Feuchtgebiet. Hier
stehen die schönsten Douglasien Mitteleuropas, vor über einem Jahrhundert gepflanzt. Der rund 62 Hektar große Wockersee grenzt im Norden an die Altstadt. Wer
will, kann hier in idyllischer Umgebung
segeln, paddeln oder Hechte, Schleie und
Barsche an den Haken holen – dies alles
mit traumhaftem Blick auf die Altstadt.
Im Westen Parchims laden üppige Mischund Buchenwälder zu langen Spaziergängen ein. Etwas weiter entfernt, ca. acht
Kilometer westlich der Stadt, lockt die
Lewitz: Dieses einmalige, von Kanälen
durchzogene Wald-Wiesen-Gebiet ist
Brutrevier für viele seltene Vogelarten. Im
Landschaftsschutzgebiet Ruhner Berge,
etwa 15 Kilometer südlich der Stadt,
gibt es einen spannenden Naturlehrpfad.
Der Ruhner Berg ist zwar mit 176 Metern Höhe kein gewaltiger Gipfel, aber
immerhin der zweithöchste Berg Mecklenburgs. Etwas weiter südlich liegt die
Mooster, ein scheinbar verwunschenes
Gebiet mit kleinen, idyllischen Seen.
Bei aller Idylle ist Parchim auch ein modernes Mittelzentrum und seit der Kreisgebietsreform 2011 Sitz des neuen Landkreises Ludwigslust-Parchim. Moderne
Infrastruktur sorgt für eine optimale Anbindung an Region und weite Welt: Der
Flughafen Schwerin-Parchim liegt in unmittelbarer Stadtnähe. Über die Bundesstraßen 191 und 321 ist Parchim mit den
Städten Lübz, Sternberg, Plau am See,
Crivitz und Schwerin verbunden, außerdem gibt es eine Direktanbindung zur
A 24. Richtung Ludwigslust, Hagenow,
Schwerin und Rehna verkehren Züge der
Ostdeutschen Eisenbahn GmbH (ODEG).
Mit dem Rathaus am Alten Markt, dem
Zinnhaus in der Langen Straße 24 (1612
gebaut), dem ehemaligen Kaiserlichen
Postamt am Schuhmarkt, dem Moltkehaus und den beiden Kirchen hat Parchim
imposante Gebäude, die sich harmonisch
in das von Fachwerkhäusern geprägte
Stadtbild einfügen. Ebenso beeindruckend ist das kulturelle Leben der Stadt:
Parchim ist Sitz des Mecklenburgischen
Landestheaters Parchim, hat eine Stadthalle, ein Museum, ein Multiplex-Kino
und eine Stadtbibliothek. Traditionelle
Veranstaltungen wie das Stadtfest im
Mai, der Martinimarkt am ersten November-Wochenende oder auch Konzerte im
Rahmen der Musikfestspiele Mecklenburg-Vorpommern locken nicht nur die
Parchimer, sondern auch Gäste aus aller
Welt in die Stadt an der Elde.
Mit einem Wort: Trotz seiner beeindruckenden Historie, den vielen Baudenkmälern und einer liebevoll sanierten Altstadt
ist Parchim nicht von Gestern.
Wer Parchims
grünes Herz
finden will,
muss nicht
lange suchen.
// STADTWISSEN //
Die Stadtinformation Parchim
organisiert spannende Stadtführungen, vermittelt Zimmer und
bietet alle Informationen für Gäste
und Touristen.
Blutstraße 5
19370 Parchim
Telefon (03871) 71-550
Fax (03871) 71-555
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Öffnungszeiten
(Oktober - April)
Montag - Freitag
9.00 - 12.00 Uhr und
13.00 - 17.00 Uhr
Öffnungszeiten
(Mai - September)
Montag, Dienstag
9.00 - 12.00 Uhr und
13.00 - 17.00 Uhr
Mittwoch - Freitag
9.00 - 17.00 Uhr
Samstag
9.00 - 11.30 Uhr
22 //
INTERVIEW
»Eine kluge Stadtentwicklung hat
immer die gesamte Stadt im Blick.«
»Das war großartig«
Bernd Rolly, langjähriger Parchimer Bürgermeister, über den
Zauber der Stadt, das Engagement der Bürger, das Ringen um
Kompromisse und den Parchimer Straßenstrich – der nicht
das ist, wonach er klingt.
Lassen Sie uns zunächst über den Parchimer Straßenstrich sprechen.
Meinetwegen. Er ist aber nicht das, was
Sie vermuten.
Sondern?
Es geht buchstäblich um Striche auf der
Straße, sogenannte Kaltplastik-Schmalstriche. Sie sind zwölf Zentimeter breit,
trennen Fahrbahn und Bürgersteig und
schaffen so einen 1,60 Meter breiten Angebotsstreifen für Fahrradfahrer. Wir haben die Markierungen vom Moltkeplatz
bis zum Fischerdamm vor der Diesterweg-Schule anbringen lassen und Parchim
damit fahrradfreundlicher gemacht. Der
Streifen könnte auch weitergeführt oder in
anderen Straßen umgesetzt werden. Ein
Passant nannte die neue Markierung spontan den Parchimer Straßenstrich.
Regimentsvorstadt // Im Rahmen
der Stadtentwicklung wurde aus der
Regimentsvorstadt ein modernes
Wohnviertel.
Leicht haben es Rad-, aber auch Rollstuhlfahrer in Parchim nicht gerade: Es
gibt viel historisches Pflaster.
Bei jeder Stadtsanierung muss ja zwischen dem Erhalt des historischen Originals und den Ansprüchen des modernen
Lebens abgewogen werden. Das gilt natürlich auch für die Infrastruktur wie Straßen und Wege. Dem einen ist es zu viel
moderner Asphalt, dem anderen zu viel
nostalgisches Pflaster. Man muss da stets
Kompromisse finden. Mir liegt eine sinnvolle Kombination am Herzen. Aber Parchim sollte kein Museum sein, sondern eine
historisch geprägte Stadt, in der es sich
gut leben lässt.
Wie lebte es sich in Parchim, als Sie
1979 in die Stadt zogen?
Parchim war eine klassische norddeutsche
Kleinstadt, weder Dorf noch Industriestadt. Es gab viel alte Bausubstanz und
auch Bemühungen, diese zu erhalten. Die
Altstadt war lebendig, es gab Bäcker, Frisöre, Fleischer, ein Textilkaufhaus. Die medizinische Betreuung war dank Poliklinik
und Krankenhaus vorbildlich. Aber es gab
auch viel Verfall, das Leben im Altbau war
wenig komfortabel. Unsere erste Wohnung lag in der Bleicherstraße, sie hatte
immerhin ein Innen-WC auf halber Treppe.
Wir haben die Wohnung selbst instandgesetzt, der VEB Gebäudewirtschaft gab das
Material. 1981 zogen wir dann in eine Neubauwohnung in der Weststadt.
1994 wurden Sie Bürgermeister. Vor welchen Problemen stand Parchim damals?
Das Hauptproblem war, dass wir mit der
Erneuerung einer schrumpfenden Stadt
beginnen mussten. Die Geburtenzahlen
Moderne Stadt mit grünem Herz // Parchim heute // 23
// ZUR PERSON // BERND ROLLY
knickten ein, viele Parchimer wurden arbeitslos. Hinzu kam der große Sanierungsstau. Da war es ein Glück, dass uns unsere
Partnerstadt Neumünster auf die Städtebauförderung aufmerksam machte. Überhaupt hatten wir viel Glück: Mit der damaligen WOBAU-Schleswig-Holstein, der
heutigen LGE, fanden wir einen erfahrenen
und anerkannten Sanierungsträger. Mit Roland Kutzki, langjähriger Bereichsleiter für
Städtebauförderung, Stadtentwicklung und
Stadterneuerung im Innen- beziehungsweise Bauministerium, hatten wir einen
uns unterstützenden Partner. Unsere Mitarbeiter in der Verwaltung, im Bauamt, in
der Stadtplanung waren hochmotiviert. Die
Zusammenarbeit zwischen Ministerien,
Verwaltung und Bürgern funktionierte. Das
alles war großartig.
Was lag Ihnen besonders am Herzen?
Eine kluge Stadtentwicklung hat immer
die gesamte Stadt im Blick. Wir entschieden uns deshalb gegen punktuelle und für
großflächige Sanierungen im kommunalen
und privaten Bereich. Schwerpunkte im
kommunalen Bereich waren die Kindergärten und Schulen, das Museum, Infrastruktur wie Straßen, Wasser, Abwässer, aber
auch der Umbau der Regimentsvorstadt
zum modernen Wohnviertel.
Bernd Rolly, 66, war von 1994 bis 2015 Bürgermeister von Parchim. Als Sohn
eines Franzosen und einer Deutschen im früheren Schlesien geboren, studierte er nach dem Abitur von 1968 bis 1972 angewandte Mechanik an der
technischen Fakultät der Uni Rostock. Als Spezialist für Entstaubungstechnik
arbeitete er in verschiedenen Betrieben und Kombinaten. Nach Parchim kam
Bernd Rolly 1979 gemeinsam mit seiner Frau, einer Medizinerin. Bis zur Wende war er Hauptenergetiker im VEB Kombinat Nordfrucht Elde. Im Herbst
1989 war Bernd Rolly – damals laut Pass noch französischer Staatsbürger –
Mitbegründer der Parchimer SDP (ab 1990 SPD), nach den Kommunalwahlen
1990 wurde er stellvertretender Bürgermeister, 1994 dann Bürgermeister. Als
Kommunalpolitiker hat er Parchims Stadtentwicklung seit 25 Jahren mit geprägt. »Manche Projekte, etwa die Sanierung des Gebäudes Schuhmarkt 6,
haben mich die ganze Amtszeit begleitet. Vieles ist auf den Weg gebracht«,
so Bernd Rolly.
Sie hatten also nicht nur das Altstadt-Sanierungsgebiet im Blick. Aber
dort waren sicher die schwierigsten
Entscheidungen zu treffen?
Ja. Wichtig war mir das Bekenntnis zum
Erhalt der Altstadtschulen ebenso wie ein
schlüssiges Einzelhandelskonzept und die
Beteiligung unserer Bürger. Eine Stadterneuerung ohne Unterstützung der Bürger
funktioniert ja nicht. Ohne das Engagement der Parchimer, auch ohne den Mut
der Parchimer Bauherren, wäre die Stadt
heute nicht das, was sie ist. Ihnen allen
möchte ich Dankeschön sagen.
Ist Parchim
noch zu retten?
Sanierung und
Rahmenplanung
nach der Wende
1990: Wie in vielen Orten Ostdeutschlands gibt es in
Parchim einen großen Sanierungsstau. Um das ein­
malige Gesicht der Altstadt erhalten zu können, müssen die Planer nicht nur Neuland betreten, sondern
auch unter enormem Zeitdruck arbeiten. Die ersten
Rahmenpläne weisen den Weg zu künftigen Aufgaben.
Rückblick // Wie in ganz Ostdeutschland gab es auch in Parchim vor 1989 an vielen Häusern
erheblichen Sanierungsstau.
3 ////Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
26
Schlechte Aussichten? // Putz und Farbe
blätterten überall. Für die Stadtplaner war
der Umgang mit dem Verfall der Altstadt
eine große Herausforderung.
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 27
A
ls Rahmenplanerin für die Altstadt
Parchims hatte ich das Glück,
25 Jahre Stadtsanierung als eine
von vielen Akteuren zu begleiten. Mir
scheint, dass keine Phase der Stadtentwicklung der vergangenen 100 Jahre die
Altstadt so sichtbar geprägt hat wie die
letzten 25 Jahre.
1990, beim Gang durch Parchims Altstadt,
deren mittelalterliche Struktur bis heute
erhalten geblieben ist, stellten sich nicht
nur Stadtplaner die besorgte Frage: Sind
Teile der Altstadt wie die Alte Mauerstraße, Heidestraße und Wockerstraße oder
Auf dem Brook überhaupt noch zu retten?
Heute, 25 Jahre später, können wir diese
Frage bejahen, auch wenn nicht alles gerettet werden konnte.
Von Anfang an war es Ziel der Städtebauförderung, die historische Altstadt mit
ihrem unverwechselbaren Gesicht, ihren
historischen Gebäuden und Straßenzügen
sowie den typischen klein- und mittelständigen Einzelhandels- und Gewerbestrukturen zu erhalten und wiederzubeleben.
Das Baugesetzbuch und die Förderrichtlinien des Landes waren die Grundlagen für
das Sanierungsverfahren und den Einsatz
von Fördermitteln. In den alten Bundesländern stellen Bund und Länder schon seit
1971 in den Programmen der Städtebauförderung Finanzhilfen für Investitionen in
die Erneuerung und Entwicklung der Städte und Gemeinden bereit. Nach der Wiedervereinigung, im Juni 1991, wurde mit
der Verkündung des ersten Programmes
zur Städtebauförderung durch das Land
Mecklenburg-Vorpommern auch in Parchim der Startschuss für die Altstadtsanierung gegeben.
Lernen durch Handeln
Ziel der Sanierung war und ist die Behebung städtebaulicher Missstände in
festgelegten Sanierungsgebieten. Vor
25 Jahren waren solche städtebaulichen
Missstände in der Parchimer Altstadt nicht
zu übersehen: immense Schäden an den
historischen Gebäuden, sanierungsbedürftige Straßen und Freiräume, fehlende
Parkplätze für den ruhenden Verkehr,
funktionelle Mängel und ein hoher Überbauungsgrad der Quartier-Innenräume.
Weil die Vorbereitung der Sanierung Aufgabe der Stadt war (und ist), ging es 1990
heiß her: Kurzfristig mussten vorbereitende Untersuchungen begonnen und die Sanierungsgebiete förmlich festgelegt werden. Zudem mussten Ziel und Zweck der
Sanierung bestimmt, ein externer Rahmenplaner vertraglich gebunden und Satzungen beschlossen werden. Die damit
im Zusammenhang stehenden Aufgaben,
besonders aber die Verfahrensabläufe
waren für die Stadtverwaltung völliges
Neuland. Vor dem Hintergrund des Neuaufbaus der städtischen Verwaltung und
der rasanten Entwicklung am Stadtrand
(sie hatte bereits Auswirkungen auf den
Einzelhandel in der Altstadt) musste zügig
gehandelt werden. Alle Beteiligten standen vor riesigen Herausforderungen. Einarbeitungsphasen gab es für niemanden,
nur das Motto: Lernen durch Handeln. Die
städtischen Gremien suchten sich externe Berater aus den alten Bundesländern,
Partner für Mecklenburg-Vorpommern
war das Bundesland Schleswig Holstein.
Neuland für die Planer
Wie für alle Bürger der neuen Bundesländer war 1989/1990 die Entwicklung
auch für Stadtplaner, Architekten und
Landschaftsarchitekten, die vorwiegend
in Stadtplanungsbüros der Bezirksstädte
oder in Büros für Städtebau (Aufgaben
außerhalb der Bezirksstädte) gearbeitet
hatten, prinzipiell Neuland. Die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit hatten sich
grundlegend geändert.
Während die Mitarbeiter der Stadtplanungsbüros weitgehend in die städtische
Verwaltung integriert wurden, versuchten
die Mitarbeiter aus dem ehemaligen Büro
für Städtebau Schwerin sich in der Marktwirtschaft zu etablieren. Das Büro für
Nicht nur
Stadtplaner
fragten sich
besorgt:
Sind Teile der
Altstadt überhaupt noch zu
retten?
28 //
Der Rahmenplan ist ein
gutes Mittel,
die städtebaulichen Ziele
darzustellen
und öffentlich
bekannt zu
machen.
Fotodokumentationen // Parchimer
Architekten begannen 1992 mit der
Erstellung einer Grundstücksdatei
mit Fotodokumentationen.
Städtebau Schwerin hatte bis 1990 fast
die gesamte städtebauliche Planungsarbeit für die Dörfer, Klein- und Mittelstädte des damaligen Bezirkes Schwerin
übernommen. Dazu gehörten Stadt-, Bebauungs- und Flächennutzungspläne, Verund Entsorgungspläne, aber auch Untersuchungen zur Rekonstruktion, Sanierung
und Werterhaltung sowie die Teilnahme
an städtebaulichen Wettbewerben.
Im Ergebnis der Neuorientierung gründete sich 1990 die S&D STADT & DORF
Planungs-Gesellschaft mbH mit Sitz in
Schwerin. Auch sie suchte einen externen Berater. Einem glücklichen Zufall war
damals die Begegnung mit Julius Ehlers
aus dem Architekten Contor AC in Itzehoe
zu verdanken. Das AC hatte sich 1974 als
Zusammenschluss freischaffender Architekten und Stadtplaner gegründet und
verfügte unter anderem über lang­jährige
Erfahrungen in der Stadtsanierung in
Schleswig-Holstein.
An die Begeisterung, an der Neugestaltung in den neuen Bundesländern mit-
wirken zu dürfen, erinnere ich mich heute
noch sehr gern. Auch an die vielen gemeinsamen Diskussionen in den Sanierungsberatungen, an das Ringen um Lösungen,
die nach Möglichkeit die Fehler in der Altstadtsanierung der alten Bundesländer in
Parchim nicht wiederholen sollten.
Mit Julius Ehlers war besonders in der
Phase des Rahmenplanes »Altstadt« das
engagierte Auftreten für die städtebauliche Zielstellung der Altstadt-Sanierung
verbunden. Den ersten Rahmenplan »Altstadt Parchim« haben die beiden Büros
S&D STADT & DORF Planungs-Gesellschaft mbH und das Architekten Contor
AC gemeinsam erarbeitet.
Die weiteren Fortschreibungen und Präzisierungen des Rahmenplanes übernahm dann unser Büro S&D in Schwerin. Als Hilfestellung hatte das Land
Mecklenburg-Vorpommern 1991 einen
Rahmenplan­erlass herausgegeben, der die
inhaltlichen Schwerpunkte eines städte­
baulichen Rahmenplanes vorgab.
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 29
Der »Rahmenplan Altstadt«
Der Rahmenplan ist ein gutes Mittel, um
ohne aufwändiges Verfahren die städtebaulichen Ziele darzustellen und öffentlich
bekannt zu machen. Er ist in seinen Aussagen flexibel und bildet dadurch einen Rahmen, in dem auf Änderungen und Wünsche der Bürger und Investoren reagiert
werden kann. Danach war ein Rahmenplaner zu beauftragen, der sich der komplexen Aufgabenstellung gemeinsam mit
den städtischen Gremien zu stellen hatte.
Das Rahmenplangebiet »Altstadt Parchim« ist etwa 61 Hektar groß und umfasst
die historische Altstadt Parchims. Angrenzende Randbereiche, die strukturell mit
der Altstadt verknüpft sind, wurden in die
Untersuchungen mit einbezogen. In den
Analysekarten wurden u.a. die Konflikte
in den Bereichen Städtebau, Nutzung,
Baugestaltung, Verkehr, Grünordnung,
Denkmalschutz, Altlasten und Freiräume
beschrieben. Der Maßnahmenplan zeigte
Maßnahmen zur Lösung dieser Konflikte.
Parallel zur Bearbeitung des Rahmenplanes beauftragte die Stadt Parchim
1992 ortsansässige Architekten mit der
Erstellung einer Grundstücksdatei. Sie
erfasste jedes Gebäude im festgesetzten Sanierungsgebiet »Östliche Altstadt«
mit Haus- und Flurstücksnummern sowie
Fotodokumentationen – ein einmaliges
Dokument.
Die Weichen werden gestellt
In die Zeit des Rahmenplanes fiel auch
die Schnellinventarisierung von Gebäuden
für die Denkmalliste der Kreise im Auftrag
der Landesbehörden. Das Ergebnis: In der
Parchimer Altstadt (Rahmenplangebiet)
standen mehr als 250 Einzeldenkmale
unter Denkmalschutz. Das war ein knappes Drittel aller Gebäude. Auch wenn die
schnelle Inventarisierung zu einigen wenigen fragwürdigen Entscheidungen führte,
belegt die große Zahl der Einzeldenkmale
die Bedeutung der historischen Altstadt.
Gleichzeitig wurden die großen An- und
Herausforderungen für die Sanierung deutlich. Der Fördermittelgeber trug dem mit
der Einstufung der Altstadt in das zusätzliche Bund-Länder-Programm »Städtebaulicher Denkmalschutz« Rechnung.
// RAHMENPLAN ALTSTADT //
Der städtebauliche »Rahmenplan
Altstadt« wurde im Juni 1993 von
den Stadtvertretern mit folgenden
strategischen Zielen beschlossen:
ie Bausubstanz ist entspreD
chend ihrem historischen Wert
in quali­täts­voller Weise zu erhalten; gleichzeitig ist der Wohnungsstandard zu erhöhen.
er Objektsanierung ist der
D
Vorzug vor dem Abriss und dem
anschließenden Neubau von
Gebäuden zu geben.
ie Raumkanten des Stadtbildes
D
sind zu erhalten und ggf. wieder
herzustellen.
er Wohnanteil in der Altstadt
D
insgesamt und in den Obergeschossen des Geschäftsbereiches ist zu sichern.
ie Baulücken sind zu schließen
D
(in größerem Umfang im Bereich nördlich der Lindenstraße
und Auf dem Brook).
30 //
In den letzten
25 Jahren
gelang es,
die Altstadt
als Wohnstandort
attraktiv zu
gestalten.
Denkmalkarte // Im Rahmenplangebiet gibt es mehr als 250
Einzeldenkmale. Diese sind in der
Denkmalkarte farbig ausgwiesen.
1993 wurden weitere Beschlüsse zu Satzungen gefasst. Auch sie stellten die Weichen für Parchims Zukunft:
 Satzung über die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart der Parchimer Innenstadt vom 03.02.1993.
Wichtigstes Ziel: die Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des historischen
Stadtkerns. Abbruch, Änderung oder Nutzungsänderung sowie die Errichtung baulicher Anlagen müssen durch die Stadtverwaltung genehmigt werden.
 Gestaltungssatzung (einschl. der Werbesatzung) der Stadt Parchim für den
historischen Stadtkern vom 30.04.1993.
Wichtigstes Ziel: die Sicherung und Förderung der geschichtlichen, architektonischen und städtebaulichen Eigenart und
Schönheit des Stadtbildes durch Gestaltungsvorschriften für das äußere Erscheinungsbild von baulichen Anlagen oder
Bauteilen bei Um-, Erweiterungs- oder
Neubauten.
Ein harter Brocken
Der erste harte Brocken des Maßnahmenplanes von 1993 war die Sanierung
des östlichen Bereiches der Alten Mauerstraße. Der damals prekäre Zustand der
meisten Wohngebäude, viele von ihnen
zwischen 1870 und 1900 errichtet, war
dramatisch. Der östliche Randbereich an
der ehemaligen Stadtmauer drohte, gänzlich seine Stabilität zu verlieren. Teilweise
bildeten sogar alte Reste der Stadtmauer
die Rückwand der Gebäude. Die hier typische Mischung von Wohn- und Hofgebäuden war im Altstadtbereich einzigartig.
Leider waren die Nebengebäude generell
in einem noch schlechteren Zustand als
die Hauptgebäude. Die wenigen Freiflächen waren stark überbaut, Straßen,
Fußwege und technische Infrastruktur
in katastrophalem Zustand. In der Alten
Mauerstraße drohten großflächige Abrisse und große soziale Probleme.
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 31
Hier sind – als Beispiel für unser damaliges
Herangehen – die rahmenplanerischen
Ziele für das Teilgebiet östlicher Bereich
der Alten Mauerstraße im Zug der Sanierungsmaßnahmen:
 Sanierung der vorhandenen Bausubstanz, damit einhergehende Stabilisierung der Wohnfunktion, auch in den
Obergeschossen der Gebäude.
 Objektsanierung hat Vorzug vor Abriss.
 Erhaltung der besonderen Gebäudeabfolge von Wohnen und Hofraum.
 Erhaltung und Sanierung der Reste der
Stadtmauer.
 Aufwertung der wenigen Freiflächen
und kleinen Hofräume.
 dringende Erneuerungsbedürftigkeit
des Straßenbelages mit historischen
Materialien.
 dringende Erneuerungsbedürftigkeit
der Ver- und Entsorgungsleitungen.
Die Sanierungsziele wurden mittlerweile
umgesetzt. Die Gebäude sind heute in
einem guten baulichen Zustand. Ihr langfristiger Erhalt ist sichergestellt. Die Bausubstanz entspricht den Anforderungen
an gesunde Wohnbedingungen. Das Teilgebiet wurde zusammen mit dem zentralen Bereich des Sanierungsgebietes, dem
Schuhmarkt/Alter Markt und dem nördlichen Randbereich der Neuen Mauerstraße mit Stiftstraße, aus der Sanierung
entlassen.
Fortschreibung des Rahmenplanes
An der Fortschreibung des Rahmenplanes
wurde im Lauf der Jahre immer wieder
gearbeitet (siehe Kasten rechts).
Der Bebauungsplan Nr. 20 »Altstadt I«
ist bisher der einzige rechtsverbindliche
Bebauungsplan im Rahmenplangebiet.
Er berücksichtigt ausgewählte Bauvorhaben wie die Regelungen zum Bau einer
rückwärtigen Andienstraße, der öffentlichen Verwaltung (das heutige Stadthaus),
eines Kaufhauses, eines Parkhauses, zur
Öffnung des Färbergrabens (mittlerer Abschnitt) und der Entwicklung eines öffentlichen Grünbereiches.
Impulse für den Sanierungsprozess
Die Rahmenplanung gab wichtige Impulse
für den Sanierungsprozess. Das Rahmenplangebiet wurde in seiner Komplexität
und in seinen Verflechtungsbereichen
dargestellt. Bis 2005 lag der Schwerpunkt
der öffentlichen Maßnahmen in der Altstadt zwangsläufig im Sanierungsgebiet
»Östliche Altstadt«. Auf Grundlage des
in der Planung formulierten Willens, die
historische Altstadt als Herzstück der
Stadt Parchim zusammenhängend zu
entwickeln, konnten anhand der Rahmenplandokumentation Strategien für eine
koordinierte Arbeit zwischen Fachämtern,
Eigentümern und betroffenen Bürgern
entwickelt werden. Die Dokumentation
hat sich als Rahmen für die weiterführende Planung und Realisierung bewährt.
Aufbauend auf den Rahmenplan wurden
vertiefende Quartier- und Straßengestaltungsplanungen erarbeitet und mit den
betroffenen Bürgern abgestimmt.
Wichtig für die Vertiefung des Rahmenplanes waren auch Wettbewerbe. Über
Wettbewerbe bekamen zum Beispiel der
Brunnen auf dem Schuhmarkt und das
Quartier am Wasserberg Süd mit dem
jetzigen Stadthaus ihr Gesicht. Mit der Sanierung des Rathauses setzten die Parchimer zudem ein Signal, dem historischen
Zentrum seine Schönheit und Bedeutung
zurückzugeben. Die Sanierung und Nutzung des Rathauses als Verwaltungssitz
und die Umgestaltung der Straßen und
Plätze gaben Entwicklungsimpulse für die
gesamte östliche Altstadt.
Die Altstadt – der jüngste Stadtteil
In den vergangenen 25 Jahren gelang es,
die Altstadt als Wohnstandort attraktiv zu
gestalten und gleichzeitig das historische
Orts- und Straßenbild zu erhalten. Die
Chance, mit Fördermitteln zu sanieren,
wurde genutzt. Städtebaulich wertvolle
Bausubstanz und Wohnraum konnten somit erhalten werden. Die Förderung führte
nicht zur Verdrängung von Wohnraum.
Angebot und Nachfrage des Marktes
waren und sind die einzigen Regularien.
// FORTSCHREIBUNGEN //
Grundlagen für die Rahmenplanfortschreibungen waren u. a.:
er städtebauliche Rahmenplan,
d
Stand 1993
ie Aufnahme der westlichen
d
Altstadt in das Sanierungsgebiet
er Bebauungsplan Nr. 20 »Altd
stadt I«
das Einzelhandelskonzept 9/2010
ie Blockkonzepte »Heidestrad
ße« und »Auf dem Brook«
ie Verkehrsentwicklungspläne
d
der Stadt Parchim
ie demographischen Veränded
rungen in der Stadt
as Integrierte Stadtentwickd
lungskonzept (ISEK) 2002
as Monitoring Stadtentwicklung
d
und dessen jährliche Fortschreibung
ie Kosten- und Finanzierungsd
übersicht aller realisierten
Maßnahmen und der noch zu
realisierenden Maßnahmen
32 //
Die Altstadt
ist heute im
Vergleich der
»jüngste«
Stadtteil
Parchims.
Restaurierte Altstadt // Wer heute
einen Blick auf die restaurierten
Gebäude rund um das Rathaus wirft,
ahnt allenfalls, dass diese Silhouette
das Ergebnis einer 25 Jahre dauernden Anstrengung ist.
Sie ließen auch die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt in der Altstadt nicht
unproportional steigen. Die Altstadt ist
heute im Vergleich der »jüngste« Stadtteil
Parchims.
tung und Warenpräsentation zu erreichen.
Möglichkeiten zur Erhöhung der funktionalen Dichte gibt es durchaus (Leerstände, Baulücken, Nach- und Umnutzung von
Flächen).
Zur Verjüngung trug auch die Beseitigung
der schlechten Verkehrsverhältnisse in
der Altstadt bei. Die Mehrzahl der Straßen wurde saniert, hochwertige Parkplätze entstanden am Rand der Altstadt. Die
strukturellen Probleme des Einzelhandels
in der Innenstadt, die bereits 1998 festgestellt wurden, konnten leider bislang nicht
behoben werden. Noch immer ist der zentrale Versorgungsbereich in der Langen
Straße überdehnt, nur in einigen Abschnitten gibt es einen höheren Einzelhandelsbesatz.
Unter dem Motto »Altstadt von Wasser
und Grün umgeben« liegt ein Schwerpunkt auf dem Erhalt und der Aufwertung
des Wasser- und Grüngürtels. Dieser
ganzheitliche Ansatz wurde im Interesse
der Klimaverbesserung aufgegriffen und
weiterverfolgt. Sichtbare Ergebnisse sind
die Verknüpfung der Altstadt mit umgebenden Grün- und Freiräumen wie den
Bürgermeisterwiesen, den Eldearmen und
dem Wockersee.
Aber: Der Kernbereich ist rund um die
St. Georgenkirche, den Alten Markt und
den Schuhmarkt bereits vernetzt. Hier finden sich wichtige Magnetbetriebe der Innenstadt. Ziel muss es sein, neben einem
quantitativen Ausbau auch eine qualitative
Verbesserung im öffentlichen Raum wie
auch bei Fassaden, Schaufenstergestal-
Das öffentliche Echo
Natürlich war der Sanierungsprozess in
Parchim in aller Munde, die Beteiligung
der Öffentlichkeit groß. Dazu gehörten unzählige Gespräche mit engagierten Grundstückseigentümern, mit der Stadtverwaltung, dem Sanierungsträger EGS/LGE,
dem Rahmenplaner und mit den Vertretern der Denkmalschutzbehörde. Immer
ging es dabei um gemeinsam vertretbare
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 33
Lösungen und das Ziel, das historische
Stadtbild zu erhalten und jede Einzelmaßnahme im Kontext zur Entwicklung der gesamten Altstadt zu sehen.
Letzteres war über die gesamte Sanierungszeit eines meiner vorrangigen Ziele
als Rahmenplaner. Die Meinungen darüber, was erhaltenswert sei und wie
sich Neubauten in den Bestand einfügen
sollten, gingen manchmal trotz Gestaltungssatzung auseinander.
Natürlich spielten da auch die materiellen
Möglichkeiten einzelner Bauherren eine
Rolle. Fast immer aber endeten diese Gespräche im gegenseitigen Einvernehmen.
Die Erkenntnis setzte sich durch, dass der
Abriss eines alten Gebäudes nur die letzte
Option nach Prüfung aller anderen Möglichkeiten sein darf.
So war auch die Auslobung des Bauherrnpreises im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiges Signal an die Bauherrn,
dass ihr Bemühen für die Bewahrung
historisch bedeutender Gebäude wertgeschätzt wurde.
Obwohl es Eingriffe in die Altstadtstruktur
nicht nur in der frühen Sanierungsphase
gab, haben sich Stadtbild und Image der
Altstadt enorm verbessert. Wer heute
bewundernd vor den restaurierten Gebäuden um das Rathaus, in der Alten Mauerstraße, auf den Parkplätzen am Fischerdamm oder am Burgdamm steht oder sich
auf den Weg entlang des Färbergrabens
und durch die vielen sanierten Straßenräume macht, wird allenfalls ahnen, dass diese Pracht das Ergebnis eines nur 25 Jahre
dauernden Sanierungsverfahrens ist.
// ZUR PERSON // HELGA ROTHER
Helga Rother (66) war von 1993 bis Ende 2014 als Rahmenplanerin für die
Altstadt Parchim tätig. Sie studierte an der 1969 neu gegründeten Sektion
Gebietsplanung und Städtebau der damaligen Hochschule für Architektur und
Bauwesen Weimar unter Prof. Dr.-Ing. Joachim Bach. Im Oktober 1972 begann sie als Diplomingenieur für Gebiets- und Stadtplanung im Büro für Städtebau des Rates des Bezirkes Schwerin ihre berufliche Tätigkeit. Von 1990
bis 2008 war sie unter anderem Mitarbeiterin, Prokuristin und Mitglied der
Geschäftsleitung im Büro S&D Stadt- und Dorf Planungsgesellschaft mbH.
Die letzten sechs Jahre ihrer beruflichen Tätigkeit von 2008 bis 2014 arbeitete
sie als selbstständige Stadtplanerin in der Bürogemeinschaft S&L Stadt- und
Landschaftsplanung Schwerin. Seit Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit war diese immer auch mit stadtplanerischen Aufgaben in Parchim verbunden, so an
der Mitarbeit an Bebauungsplänen (unter anderem Am Rabensoll, Ludwigsluster Straße/Baumarkt, 3. BA Weststadt), an Gestaltungsvorschlägen (Bahnhofsvorplatz, Moltkeplatz) und Ende der 1970-er Jahre an Untersuchungen zu
Rekonstruktion, Modernisierung und Werterhaltung in der Altstadt. Helga Rother war verantwortlich für die Erstellung des Flächennutzungsplanes für das
Stadtgebiet Parchims von 1990 und 2006. Ab 1992 bestimmten neben dem
Flächennutzungsplan mehr und mehr die vielfältigen Aufgaben des Rahmenplaners für die Altstadt ihr Tätigkeitsfeld. »Neben anderem bleibt die Arbeit
am Rahmenplan der Altstadt Parchims die intensivste und prägendste Phase für mich. Nicht nur, weil sie mich mein halbes Berufsleben begleitet hat,
sondern auch wegen der Vielfalt der Aufgaben und der vielen persönlichen
Gespräche, insbesondere mit den Bauherren«, sagt Helga Rother.
34 //
INTERVIEW
»Einer der wichtigsten Impulse
war die Aufnahme in das
Städtebauförderprogramm 1991.«
»Wir haben Glück gehabt«
Günther Wrede, langjähriger Parchimer Bauamtsleiter, erinnert
sich an die turbulenten Anfänge der Stadtsanierung nach 1990,
an viel Engagement bei Verwaltung und Bürgern und an eine
Portion Glück.
Herr Wrede, alle beklagen, dass Parchim wie viele ostdeutsche Städte vor
der Wende grau und verfallen gewirkt
habe. Lässt sich denn nichts Gutes
über diese Zeit sagen?
Aus heutiger Sicht könnte man sagen: Es
war ein Glück, dass es in der DDR – vor
allem für private Bauherren – so wenig
Material gab. So hielten sich Bausünden
in Grenzen und die Grundstruktur der Altstadt blieb weitestgehend erhalten. Die
Materialknappheit hatte manchmal auch
kuriose Züge. Ich war knapp 20 Jahre bei
der Zwischengenossenschaftlichen Bauorganisation, ZBO, heute Universal-Bau,
habe unter anderem für Lagerhallen,
Milchviehanlagen und Kindergärten Preise
veranschlagt, diese projektiert und Standortgenehmigungen bearbeitet. Manchmal
musste man Spargel, der auf einem betriebseigenen Grundstück angebaut wurde, einsetzen, um Zement zu bekommen.
Lindenstraße // Für viele Häuser
war die Aufnahme in das Städte-­
bauförderprogramm lebensrettend.
Als Sie im August 1990 Leiter des Bauamts wurden, hatten Sie sicher ganz
andere Probleme?
Ja, alles war neu, Gesetzgebung, Stadtplanung und vieles mehr. Ein großes
Problem war, die Strukturen in der Stadtverwaltung neu aufzubauen. 1990 hatte
die Stadtbauabteilung, wenn ich mich
recht erinnere, 3,5 Stellen. 1994 waren
wir über 20 Mitarbeiter. Allein an diesen
Zahlen sehen Sie, welche Aufgabenverlagerungen zwischen Kreis, HAG (Hauptauftraggeber Wohnungsbau) und Stadtverwaltung stattfanden.
Der Aufschwung kam sofort nach 1990?
Einer der wichtigsten Impulse war sicher
die Aufnahme in das Städtebauförderprogramm 1991. Roland Kutzki, damals
Referatsleiter für Städtebauförderung
im Bauministerium, und der Parchimer
Stadtplaner Norbert Kreft hatten großen
Anteil daran. Die damalige WOBAU
Schleswig-Holstein, heutige LGE Mecklenburg-Vorpommern GmbH, hatte als
Sanierungsträger große Erfahrungen.
Das Engagement der Parchimer Bauherren kam Mitte der 1990-er Jahre richtig in Schwung, was maßgeblich an den
Förderprogrammen, aber auch an dem
Parchimer Architekten und Bauherren
Ulf Harm lag. Wir hatten Glück, dass all
diese Dinge zusammen kamen.
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 35
// ZUR PERSON // GÜNTHER WREDE
Gab es damals eine Art Goldgräberstimmung?
Das wäre das falsche Wort. Aber vieles
war im Aufbruch. Ein Rahmenplan musste geschaffen werden, über eine Gestaltungssatzung musste nachgedacht
werden. Gleichzeitig gab es auch eine
Unsicherheit, weil viele Alteigentümer ihr
Eigentum zurück wollten. Viele hatten ja
zu DDR-Zeiten ihre Häuser an die Kommunale Wohnungsverwaltung abgegeben,
nicht zuletzt, weil Material und Handwerker rar waren oder von den niedrigen
Mieten die Instandhaltung nicht finanziert
werden konnte.
Günther Wrede, 67, lernte Maurer mit Abitur und studierte von 1967 bis
1970 an der FH Wismar Bauingenieurwesen. Knapp 20 Jahre arbeitete er
bei der ZBO (Zwischengenossenschaftliche Bauorganisation) in verschiedenen Funktionen. Von 1990 bis zu seiner Pensionierung 2009 war er Leiter
des Bauamtes der Stadt Parchim.
Kam man denn unbürokratisch an die
neuen Fördermittel?
Ja. Anträge und Förderbescheide wurden zügig bearbeitet. Allerdings war dies
für uns alle natürlich auch neues Terrain.
Wir hatten deshalb wöchentliche Sprechzeiten im Bauamt eingerichtet und zu allen Themen rund um die Sanierungen und
Fördermöglichkeiten beraten. Die Nachfrage war groß.
Alt und neu // Weil es in der DDR wenig Material gab, blieb viel historische Bausubstanz
erhalten. Darauf konnte nach der Wende aufgebaut werden.
36 //
INTERVIEW
»Würde es die Städtebau­förderung
nicht geben, müsste man sie erfinden«
»Die Städtebauförderung
ist ein Glücksfall«
Robert Erdmann, Geschäftsführer der LGE MecklenburgVorpommern GmbH, erklärt, wie Städtebauförderung
funktioniert, welche Rolle die LGE dabei spielt und
warum jede Sanierung eine Herausforderung ist.
Herr Erdmann, Sie kamen 1991 als frisch
gebackener Architekt nach Mecklenburg-Vorpommern. Ihr erster Eindruck?
Ich lernte ein wunderschönes Land mit
einer desolaten Bausubstanz kennen.
Das betraf die Städte wie die ländlichen
Regionen. Gleichzeitig konnte man bei
vielen Gebäuden historische Details wie
barocke Türbeschläge oder originale
Fenster entdecken, die mich zum Staunen brachten. Mir war klar: Der Reiz der
Häuser, Orte und Regionen würde wiederentdeckt werden – vorausgesetzt,
Stadtentwickler, Bauherren und Architekten würden die dafür notwendige
Sensibilität an den Tag legen.
Totalsanierungen oder Abbrüche, wie
sie noch in den 1960-er und 1970-er
Jahren in Westdeutschland üblich waren, kamen nicht infrage?
Nein, bereits in den 1980-er Jahren
setzte die Stadterneuerung längst auf andere Werte.
Rathaus // Dank der Städtebauförderung erstrahlt heute auch das Parchimer Rathaus im neuen Glanz.
Welche?
Wer zum Beispiel ein Haus sinnvoll sanieren will, muss zunächst den Wert eines
Gebäudes erkennen, seine Bauhistorie
bewerten sowie die Einbindung in die
Nachbarschaft und die Region beurteilen.
Letztlich geht es bei jeder Sanierung um
zwei Dinge: den langfristigen Erhalt und
die kluge Weiterentwicklung des baukulturellen Erbes. Wer saniert, braucht ein
Auge dafür, wie die historische Substanz
bewahrt und gleichzeitig sensibel an die
Anforderungen des modernen Lebens
angepasst werden kann.
Wer saniert, braucht aber auch Geld.
Richtig. Gerade darum ist die Städtebauförderung ein Glücksfall. Würde es sie
nicht geben, müsste man sie erfinden.
Die Städtebauförderung ist ein flexibles
Instrument, mit dem Kommunen etwa
bei der Sanierung von Schulen, Bibliotheken, Sporthallen und anderen öffentlichen Gebäuden, bei der Gestaltung von
Straßen und Plätzen oder dem Stadtumbau der Plattenquartiere unterstützt werden können. Gleichzeitig erlaubt sie die
Förderung privater Sanierungsvorhaben.
Sie unterstützt also auch private Bauherren bei der Umsetzung ihrer Vorhaben und macht Mut zum qualitätsvollen
Sanieren. Man braucht tatsächlich Mut,
denn jede Sanierung ist ein kleines Abenteuer: Sie wissen nie, was hinter der
nächsten Wand, dem nächsten Stein auf
Sie wartet.
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 37
// ZUR PERSON // ROBERT ERDMANN
Wie funktioniert die Förderung?
Ziel ist die Beseitigung städtebaulicher
Missstände, Grundlage das besondere
Städtebaurecht im Baugesetzbuch. Es
erlaubt den Kommunen in Abstimmung
mit dem zuständigen Ministerium des
Bundeslandes, Sanierungsgebiete zu definieren. Die Kommune muss Sanierungsziele aufstellen und erklären, wie man die
Beseitigung der baulichen Missstände
im Sanierungsgebiet erreichen will und
welche Kosten das verursacht. Bund,
Land und Kommune teilen sich dann die
Grundfinanzierung zu je einem Drittel.
Das klingt simpel.
In der Praxis ist es dann doch etwas aufwändiger. Allein in den Rahmenplänen
der Kommunen, die quasi Fahrpläne für
die künftigen Sanierungen sind, steckt
ungeheuer viel Arbeit. Das muss wiederum verknüpft werden mit der Investitionsplanung. Die Kommunen müssen ihre
Mittel jährlich beantragen. Die für das
Jahr bewilligte Summe wird dann, über
fünf Jahre verteilt, ausgezahlt.
Robert Erdmann, 48, absolvierte vor seinem Architekturstudium eine Ausbildung zum Bauzeichner. Schon während seines Studiums legte er Schwerpunkte beim »Bauen im Bestand« sowie in der Denkmalpflege. 1991 heuerte
er als Projektleiter bei der WOBAU Schleswig-Holstein an, die damals Mitarbeiter für Mecklenburg-Vorpommern suchte. Robert Erdmann betreute unter
anderem Projekte in der Schweriner Alt- und Schelfstadt. Nach einem kurzen
Abstecher als Architekt in Schwerin kehrte er zur WOBAU zurück. Er war 2003
Gründungsgeschäftsführer der EGS. Heute ist er gemeinsam mit Volker Bruns
Geschäftsführer der LGE, mit der die EGS 2015 fusionierte. Er ist Mitglied im
Präsidium der Bundesvereinigung der Landes- und Stadtentwicklungsgesellschaften, Vorstand der Architektenkammer Mecklenburg-Vorpommern und
Mitglied vieler anderer Vereine und Institutionen, die sich mit Architektur und
Städtebau beschäftigen. Die Entwicklung der Städtebauförderung in Mecklenburg-Vorpommern hat er seit 25 Jahren hautnah erlebt und mitgestaltet.
Welche Rolle spielt die LGE dabei?
Als Dienstleiter kümmern wir uns um
die Projektsteuerung und das gesamte
Finanzmanagement. Für die von uns betreuten Städte haben wir seit 1991 ein
Treuhandvolumen von mehr als 660 Millionen Euro umgesetzt. Wir beraten unsere
Partner, wie sie die Fördermittel effizient
und sicher einsetzen können, so dass optimale wirtschaftliche Impulse für die Kommunen entstehen. Wir begleiten auch Einzelmaßnahmen, erstellen Konzepte für die
nachhaltige Entwicklung in Städten oder
Stadtteilen sowie Dokumentationen und
notwendige Verwendungsnachweise. Mit
einem Wort: Wir bringen unser vielfältiges
Fachwissen in die Kommunen.
38 //
Wer gehört zu Ihrem Team?
Wir haben 31 Mitarbeiter an den Stand­
orten Schwerin und Rostock: Stadtplaner,
Bauingenieure, Juristen, Geographen und
Finanzsachbearbeiter – ein interdisziplinäres Team, das in ganz Mecklenburg-Vorpommern tätig ist. Die LGE betreut unter
anderem Waren, Hagenow, Heringsdorf,
Sternberg, Barth, Schwerin und Parchim.
Mönchhof 4 und 5 // Wer durch
Parchim bummelt, entdeckt an jeder
Ecke liebevoll sanierte Häuser.
Wie würde Parchim heute ohne Städtebauförderung aussehen?
Das möchte ich mir lieber nicht vorstellen.
Parchim hat Anfang der 1990-er Jahre
beschlossen: Wir fangen gleichzeitig mit
der Sanierung kommunaler und privater
Gebäude sowie der Infrastruktur an.
Das war klug, da so vielfältige Impulse
gleichzeitig gesetzt werden konnten.
Seither wurden rund 150 Gebäude kompetent und liebevoll saniert. Rund 35 Millionen Euro aus der Städtebauförderung
flossen bisher nach Parchim. Dadurch
konnte eine deutlich höhere Investitionssumme mobilisiert werden. Die Zusammenarbeit aller Beteiligten – Kommunalpolitik, Verwaltung, Planer, Bauherren und
Investoren – war und ist hervorragend.
Auch wenn noch manches zu tun bleibt,
heute strahlt Parchim wieder in altem,
neuem Glanz.
Ist Parchim noch zu retten? // Sanierung und Rahmenplanung nach der Wende // 39
Gesamtmaßnahme Parchim – Altstadt
Umsatzübersicht nach Kostengruppen bis Dezember 2015
Gesamtumsatz: 41,6 Mio. Euro
22 %
private Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen
9.221.590,94 Euro
3%
privat nutzbare Anlagen der Gemeinde
1.259.936,94 Euro
0%
sonstige Maßnahmen (Kreditzinsen, Abwicklung der Sanierung)
81.545,16 Euro
12 %
Maßnahmen der Vorbereitung
4.951.765,24 Euro
2%
Freilegen von Grundstücken
952.088,82 Euro
37 %
18 %
6%
Erschließungsmaßnahmen
15.217.311,57 Euro
Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtung
7.558.098,00 Euro
Ordnungsmaßnahmen
2.357.196,04 Euro
Erschließungsmaßnahmen
(beispielweise Straßen, Wege, Plätze, Parkplätze)
Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ....................... 34
Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 4
Maßnahmen in Vorbereitung ............................................................................. 8
Ordnungsmaßnahmen
(beispielweise Grunderwerb, Freilegung von Grundstücken, Grenzregelungen)
Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ......................... 9
Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 1
Maßnahmen in Vorbereitung ............................................................................. 2
Baumaßnahmen
(private Gebäudemodernisierungen)
Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ..................... 165
Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 6
Maßnahmen in Vorbereitung ........................................................................... 15
Gemeinbedarfs- und Folgeeinrichtungen
(beispielsweise Rathaus, Stadthaus, Museum, Kita)
Fertiggestellte Maßnahmen und Darstellung der Finanzierung ......................... 8
Maßnahmen in Durchführung ............................................................................ 0
Maßnahmen in Vorbereitung ............................................................................. 2
// Städtebaufördermittel //
Städtebaufördermittel setzen sich
aus Bundesmitteln, Landesmitteln,
Eigenmitteln der Kommune sowie
aus Einnahmen aus Grundstückserlösen, Ausgleichsbeträgen, Stellplatzablösegebühren, Mitteln Dritter
für Einzelmaßnahmen zusammen.
40 //
Parchimer
Schmuckstücke
Die schönsten
Sanierungsobjekte
auf einen Blick
Dank der Städtebauförderung strahlen heute viele
der privaten Gebäude Parchims in neuem Glanz.
Hier sind einige der schönsten:
Alter Markt 3 // Sogar nüchtern
betrachtet ist diese schmucke
Fassade ein wahrer Hingucker.
42 //
Parchimer Schmuckstücke
// Alte Mauerstraße 1 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten:
Das Haus steht unter Denkmalschutz,
Teile des Gebäudes sind in die Stadtmauer eingebaut. Bauherr: Anne-Kathrin
Zaske Architekt: Dirk Zaske, Architektenbüro Kröpelin & Spegel, Parchim
Baujahr: nach 1829, vor 1870 Sanierung: Bestandssicherung 1993, 1. Teilsanierung 1997/1998, 2. Teilsanierung
2003/2004 Sanierungsziele: Beseitigung des Leerstandes durch Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung
des Stadtbildes durch Fassadensanierung und -umbau, Verbesserung der
Wärmedämmung Erstnutzung: Wohngebäude, Werkstatt Umbauten: Umbau des Werkstatt-Anbaus zum Wohnen
Letzte Nutzung: Leerstand
44 //
Parchimer Schmuckstücke
// Lindenstraße 13 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das
Haus steht unter Denkmalschutz. Bauherr: Eckhard Josl, Spornitz Architekt: Architektenbüro
Kröpelin & Spegel, Parchim Baujahr: 1696/1697
Sanierung: 2009 bis 2015 Sanierungsziele:
Beseitigung des Leerstandes durch Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung und -umbau,
Verbesserung der Wärmedämmung (Innendämmung), Verringerung der starken Überbauung
des Grundstückes mit Nebengebäuden, Umnutzung des Ladens im Erdgeschoss zum Wohnen,
Rückbau der Schaufenster im Erdgeschoss Bauhistorie: Slater Fährmann als erster Eigentümer,
ab 1917 Tischlermeister Drenkhahn; davor Hofmalermeister Drefahl Umbauten: Ladeneinbau
EG 20. Jahrhundert (Fa. Drenkhahn) Letzte Nutzung: Leerstand von Wohnungen und Laden
46 //
Parchimer Schmuckstücke
// Lindenstraße 42 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das
Haus steht unter Denkmalschutz und besitzt
ein Speicherdach mit Aufzugsrad sowie einen
Gewölbekeller. Bauherr: Peter und Ingrid Huth
Architekt: R. de Veer/E. Huth/Büro Glänzer
Baujahr: 1802 Sanierung: 2006 bis 2007 Sanierungsziele: Verbesserung der Wohnqualität,
Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung und -umbau, denkmalgerechte Wiederherstellung des Zustandes vor 1920, Rekonstruktion der ursprünglichen Fachwerkfassade,
Verbesserung der Wärmedämmung, Umnutzung
des Gewerbes im Erdgeschoss zum Wohnen
Bauhistorie: Wohnhaus, ab 1878 Wohn- und
Geschäftshaus Umbauten: 1920 Einbau von
Schaufenstern durch Kaufmann Gumpert; 1927
Umbau für Kaufmann Hugo Jacobs (Putzanbau)
Letzte Nutzung: Leerstand (EG: Laden)
48 //
Parchimer Schmuckstücke
// Mönchhof 4/5 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Haus steht
unter Denkmalschutz. Wichtige städtische Raumkante zum
Mönchhof mit Ansicht zum Färbergraben; Werkstatt­anbau
19./20. Jahrhundert, zum Teil auf städtischem Grund im
Färbergraben errichtet, dadurch statische, rechtliche und
gestalterische Probleme mit den Anbauten. Bauherr:
Petra Krüger, Espelkamp Architekt: Dipl.-Ing. Rick de
Veer, Architekturbüro R + R De Veer, Schwerin Baujahr:
Anfang/Mitte des 18. Jahrhunderts, Stall 1876 Sanierung: 2011 bis 2012 Sanierungsziele: Verbesserung
der Wohnqualität, Verbesserung der Wärmedämmung,
Verringerung der hohen Überbauung, Öffnung des Hofes
zum Färbergraben, Abbruch des Werkstattgebäudes und
Auslagerung der Tischlerei Umbauten: großer Werkstatt­
anbau 1912 durch Tischler Adolf Krüger, Aufstockung und
Erweiterung 1926, 19. Jahrhundert: vorgemauerte Fassaden, 1920-1930 dreigeschossiger Ziegelanbau Letzte
Nutzung: Tischlerei
3 ////Gesichter
50
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Auf dem Sassenhagen 92 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das
Haus steht unter Denkmalschutz und war bis
zur Sanierung in fast unverändertem Originalzustand erhalten. Historische Küchenausstattung, Speicherdach mit Aufzugsrad, Gewölbekeller. Bauherr: Hans-Dieter und Gabriele
Mathews, Auf dem Sassenhagen 92, Parchim
Architekt: Architekturbüro Ulf Harm, Parchim
Baujahr: nach 1829, 1. Hälfte 19. Jahrhundert
Sanierung: 2010 bis 2011 Sanierungsziele:
denkmalgerechte Sanierung mit Balkonanbau,
Schaffung einer modernen Wohnung, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassaden­
sanierung und -umbau, Verbesserung der
Wärmedämmung, Gestaltung des Innenhofes
und Einfriedung Bauhistorie: Wohngebäude,
Dachboden als Speicher Umbauten: keine
Letzte Nutzung: Leerstand
52 //
INTERVIEW
»Wenn man mit den Denkmalschützern
redet, findet man gute Kompromisse.«
»Wir würden es wieder tun«
Die Familie Mathews blättern in einem dicken Fotoalbum, das die
Geschichte einer ungewöhnlichen Sanierung erzählt. Die ersten Bilder
zeigen ein halb verfallenes Gebäude und harte Arbeit. Schließlich ist
das Baudenkmal Auf dem Sassenhagen 92 in neuem Glanz zu sehen.
Beim Blättern im Album erinnern sie sich an zwei Jahre Schufterei.
Sie hatten eine schöne Doppelhaushälfte im Parchimer Pestalozziweg.
Warum wollten Sie unbedingt ein halb
verfallenes, unter Denkmalschutz stehendes Haus kaufen und sanieren?
Hans-Dieter Mathews: Man kann einem
Mann keine Frau einreden. Mit einem
Haus ist es ebenso: Man verliebt sich.
Gabriele Mathews: Eigentlich ist unsere
Tochter schuld. Sie war jung verheiratet
und wohnte in einer engen Zwei-Zimmer-Wohnung. Gemeinsam suchten wir
also eine Wohnung für sie – und fanden
ein Haus: Auf dem Sassenhagen 2. Ein
Schild im Fenster verkündete, dass das
Haus zu verkaufen sei. Damit fing alles an.
Hans-Dieter Mathews: Das Gebäude Auf
dem Sassenhagen 2 steht auf Resten der
alten Stadtmauer und hat einen einmaligen
äußeren Laubengang. Das gefiel uns auf
Anhieb. Wir kauften das Haus 2002. 2005
waren wir mit der Sanierung fertig…
Auf dem Sassenhagen 92 // Bei jeder
Sanierung steckt der Teufel im Detail.
Dieser kleine Kerl hat es sich im Flur von
Familie Mathews gemütlich gemacht.
…für die Sie den Bauherrenpreis bekamen.
Hans-Dieter Mathews: Erstmal kam die
Arbeit. Das Haus im Pestalozziweg hatten
wir in den 1970-er Jahren selbst gebaut.
Damals war vorgegeben, wie die Häuser
aussehen mussten und das Material war
knapp, dafür war die Finanzierung einfach.
Jetzt war es umgekehrt: Wir konnten unsere Ideen umsetzen, mussten aber aufs
Geld achten.
Gabriele Mathews: Ohne die Mittel aus
der Städtebauförderung hätten wir das
nicht geschafft. Antrag und Bewilligung
waren völlig unkompliziert, die Zusammenarbeit mit Bauamt, Denkmalschutz und
unserem Architekten, Herrn Harm, hervorragend. Aber natürlich mussten wir aufs
Geld achten, haben vieles selbst gemacht.
Hans-Dieter Mathews: Wir haben in In­
ternet-Annoncen nach Restposten gesucht, mein Schwiegersohn und ich haben
Steine geputzt, jeden Tag nach Feierabend
bis in die Nacht geschuftet. Trotzdem geht
es natürlich nicht ohne Fachleute. Mit dem
Bauunternehmer Horst Dummert hatten
wir einen großartigen Partner…
…und nach der Schufterei Auf dem
Sassenhagen 2 noch nicht die Nase
voll?
Hans-Dieter Mathews: Nein, das Gebäude Auf dem Sassenhagen 92 reizte uns.
Nicht nur, weil das Haus unserer Tochter
quasi gegenüberliegt. Dieses alte Haus
mit dem Dachboden als Speicher gefiehl
uns. Wir kauften es 2009.
Gabriele Matthews: Aber uns war klar,
wieviel Arbeit darin steckt…
Die schönsten
Altes bewahren,
HäuserNeues
// Die Bauen
schönsten
// 25
Sanierungsobjekte
Jahre Stadterneurung
auf einen
in Parchim
Blick ////53
4
// ZUR PERSON // GABRIELE UND HANS-DIETER MATHEWS
…zumal das Haus – wie auch Sassenhagen 2 – unter Denkmalschutz steht.
Gabriele Mathews: Das hat uns nicht
geschreckt. Wenn man mit den Denkmalschützern redet, findet man gute Kompromisse.
Einen großen Teil der Sanierungsarbeiten haben Sie selbst gemacht. Wie
haben Sie das neben Ihrem Beruf geschafft?
Gabriele Mathews: Wir waren jeden Tag
nach 16 Uhr auf der Baustelle und haben
bis 20 oder 21 Uhr gearbeitet. An den Wochenenden natürlich den ganzen Tag.
Hans-Dieter Mathews: Wir haben erstmal entrümpelt. Das Haus stand rund
20 Jahre leer. Sie glauben nicht, wieviel
Müll sich da angesammelt hatte. Wir haben die alten Dachsteine entfernt, den
Schornstein abgebrochen, Schuppen
abgerissen, das Haus entkernt, zum Teil
die alten, morschen Balken ersetzt. Zum
Glück hatten wir mit Herrn Harm und
Herrn Dummert wieder verlässliche Partner an Bord.
Gabriele und Hans-Dieter Mathews (beide 64, beide echte Parchimer) schätzen an Parchim die kleinstädtische Atmosphäre, das viele Grün, das ländliche
Umfeld und die Nähe zur Lewitz. Weg aus der Stadt wollten sie nie. Gabriele Mathews ist gelernte Erzieherin, arbeitete viele Jahre in verschiedenen
Parchimer Kindereinrichtungen und später in der Kultur- und Jugendarbeit
im »Haus der Jugend«. Hans-Dieter Mathews ist Meister für Abwasserentsorgung und arbeitete 47 Jahre bei den Parchimer Wasserwerken (früher
VEB Wasser und Abwasser). Das Haus Auf dem Sassenhagen 92 kauften
die Eheleute 2009. Schon zwei Jahre später waren sie mit den Sanierungs­
arbeiten fertig, im Oktober 2011 zogen sie ein.
Die Sanierung eines solchen Gebäudes hat ja auch Risiken, weil nicht alles
vorhersehbar ist. Gab es Momente der
Verzweiflung?
Gabriele Mathews: Manchmal habe ich
nachts wach gelegen, denn das meiste
haben wir alleine geplant. Da fragte ich
mich dann: Wie müssen eigentlich die
Leitungen liegen, damit die Lampe genau
über dem Tisch hängt? Dann bin ich aufgestanden, habe Steckdosen vermessen
und Schablonen gezeichnet. Schlimm war,
wenn wir ganz schnell Entscheidungen
treffen mussten: Wo soll eigentlich der
Herd stehen?
Hans-Dieter Mathews: Die körperliche
Arbeit hat uns nie gestört, nur bei der Planung haben wir uns manchmal den Kopf
zerbrochen. Aber Verzweiflung? Nein, wir
würden es immer wieder tun.
Gabriele Mathews // Wie viel
Arbeit in der Sanierung steckt, ahnt
man beim Blick auf alte Fotos.
54 //
Parchimer Schmuckstücke
// Lange Straße 24 //
Nutzung: Restaurant und Vereine Besonderheiten: Als
Baudenkmal weitgehend gut erhaltenes 400 Jahre altes
Fachwerkhaus mit vier Etagen und Gewölbekeller, Brunnen im Haus, Speicherböden und gut erhaltenes Seilrad für
Lastentransporte, repräsentative Schaufassade zur Straße mit Ziegelmustern Bauherr: WOBAU GmbH Parchim,
Parchim Architekt: Mikolajczyk – Keßler – Kirsten, Arbeitsgemeinschaft freier Architekten, Schwerin Baujahr: 1612
Sanierung: 1999-2001 Sanierungsziele: denkmalgerechte Sanierung, Beseitigung des Leerstandes durch Umbau und Umnutzung für kulturelle Zwecke, Verbesserung
der Wärmedämmung Bauhistorie: 1654-1747 Gewürzhändlerhaus, 1750-1914 Zinngießerhaus Zinngießerhaus
(1804 gründete der Hausbesitzer und Zinngießermeister
die Parchimer Zichorienfabrik auf dem Brook), 19141991 Mietshaus, Maschinenhandel und KFZ-Werkstatt
Umbau: Verzierungen im Zopfstil an der Fassade (um
1800) Letzte Nutzung: Leerstand seit 1991
3 ////Gesichter
56
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Alte Mauerstraße 36 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten:
Das Haus steht unter Denkmalschutz
und war 1855 eines der ersten Krankenhäuser Parchims mit sieben Krankenzimmern und einer Badestube Bauherr: Dörte und Martin Ecks, Parchim
Architekt: Bauplanung Albrecht, Architekt Hans-Dieter Albrecht, Reuterstadt
Stavenhagen Baujahr: ca. 1855 Sanierung: 2006/2007 Sanierungsziele:
Beseitigung des Leerstandes durch
Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch Fassadensanierung, Sanierung des Fach- und
Mauerwerkes, Dach, Fenster, Haustüren Bauhistorie: ca. 160 Jahre alt,
Krankenhaus, später Mietwohnungen
Letzte Nutzung: Leerstand 2004
3 ////Gesichter
58
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Auf dem Sassenhagen 2 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Denkmalschutz; Wohnhaus, das sich seit seiner Erbauung baulich nicht verändert hat. Es besteht aus
zwei Gebäudeteilen, rechts Wohn-, links Wirtschaftsteil. Typisches Wirtschaftsgebäude in Parchim. Besonders sind der Laubengang im Obergeschoss und der mit einer Mauer eingefasste
Innenhof zur Straßenseite. Träger des Bauherrenpreises 2005 der Stadt Parchim. Zur Sanierung
wurden ausschließlich alte Mauersteine genutzt.
Bauherr: Hans-Dieter und Gabriele Mathews,
Parchim Architekt: Architekturbüro Ulf Harm,
Parchim Baujahr: vor 1870 Sanierung: 2004 bis
2006 Sanierungsziele: Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes durch eine
umfassende Sanierung des vorhandenen Gebäudes unter Einhaltung denkmalrechtlicher Auflagen
und Anforderungen Letzte Nutzung: Leerstand
3 ////Gesichter
60
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Auf dem Sassenhagen 67 //
Nutzung:
Wohnhaus
Besonderheiten: Denkmal, Wohnhaus und Nebengebäude mit Laubengang – historisches Ensemble, starke Belastung des
Gebäudes durch Holzschutzmittel aus
DDR-Zeiten Bauherr: Familie Dietrich
Faust, Ellerau Architekt: Bauplanungsbüro Lemke GmbH, Parchim Baujahr:
Haupthaus 1796, rückwärtige Hofbebauung 1894/1895 Sanierung: 20072012 Sanierungsziele: umfassende
Sanierung des Gebäudekomplexes unter denkmalrechtlichen Anforderungen,
Verbesserung der Wohnqualität, Verbesserung des Stadtbildes und der
Wärmedämmung (innen) Letzte Nutzung: Leerstand
3 ////Gesichter
62
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Auf dem Sassenhagen 88/89 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Der Neubau erstreckt sich über
zwei Parzellen. Das Gebäude auf dem ehemaligen Grundstück Auf dem
Sassenhagen 88 stellt sich als Neubau dar. Er orientiert sich an der Kubatur, der Firsthöhe, der Höhe und Gestaltung des Sockelbereiches sowie
in der Aufnahme der unteren Fensterflucht im Erdgeschoss am Nachbargebäude Auf dem Sassenhagen 87. Das Dach wurde mit roten Tonziegeln
eingedeckt. Der Neubau auf dem Grundstück Nr. 89 wurde zweigeschossig ausgeführt. Die Fassade dieses Gebäudeteiles wurde umlaufend mit
Gesimsbändern gegliedert und die Attika farblich abgesetzt. Öffnungen in
der Fassade wurden auf vertikalen Achsen übereinander angeordnet oder
auf Achsen bezogen. Die Fenster im Obergeschoss sind nicht höher als im
Erdgeschoss. Alle Fenster und die Haustür wurden in Holz ausgebildet. Im
Gebäudeteil Nr. 88 sind die Fenster zweiflüglig mit Stulp gefertigt. Das Garagentor entspricht in seiner Formensprache dem eines Neubaus. Rankgerüste und Blumenkästen an der Fassade zum Sassenhagen sind wichtige
Gliederungselemente. Der Balkon im Hofbereich wertet die Wohnqualität
weiter auf. Bauherr: Thomas Wien, Parchim Architekt: Dipl.-Ing Rick de
Veer, Architekturbüro R+R de Veer, Schwerin Baujahr: 2008 bis 2009
3 ////Gesichter
64
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Heidestraße 26 //
Nutzung: Wohnhaus Besonderheiten: Das Gebäude, ein freistehender,
zweigeschossiger ehemaliger Speicher ist eines der letzten Zeugnisse
einer früheren Speicherstadt und steht unter Denkmalschutz. Bauherr:
Dr. Heiko Riekehr, Parchim Architekt: Architekturbüro Ulf Harm, Parchim
Baujahr: 1789 Sanierung: 2001/2002 Sicherungsmaßnahmen am Speichergebäude, 2003 Bestandssanierung, 2012/2013 Sanierung des Speichers
und Einbau einer Wohnung Sanierungsziele: Beseitigung des Leerstandes
des Speichergebäudes, Umnutzung als Wohngebäude, Fertigstellung der
Außenfassade, Einfriedung des Grundstückes mit einer Mauer aus Backsteinen. Bauhistorie: Der Speicher wurde in Fachwerkbauweise errichtet.
Er besteht aus Erd-, Ober- und Dachgeschoss. Alle drei Geschosse wurden
als Lagerflächen genutzt. Speicherluken und Tore sind auf beiden Giebelseiten vorhanden. Im Giebel zur Heidestraße befinden sich im Ober- und
Dachgeschoss Ladeluken mit einem Galgenaufzug. Das Gebäude befand
sich noch im unmittelbaren Erbauungszustand. Über dem Einfahrtstor an
der Heidestraße findet sich im Torsturzbalken eine Inschrift. Der Inhalt lässt
auf das Erbauungsjahr 1789 schließen. Damit gehört der Speicher zu den
ältesten erhaltenen Gebäuden Parchims Letzte Nutzung: Leerstand
3 ////Gesichter
66
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Lindenstraße 3 //
Nutzung: Wohn- und Geschäftshaus (Wohnen/Restaurant) Besonderheiten: Das Gebäude
steht unter Denkmalschutz; zweistöckiges Fachwerktraufenhaus mit einem zweistöckigen,
hofseitigen Flügelbau. Das Haus besitzt eine Tordurchfahrt auf den Hof. Bauherr: Swarn Jit
Singh, Parchim Architekt: Dipl.-Ing Rick de Veer, Architekturbüro R+R de Veer, Schwerin
Baujahr: nach 1795 Sanierung: 2008 Sanierungsziele: denkmalgerechte Sanierung des
Gebäudes. Wiederherstellung des ehemaligen mittigen Hauseinganges zur Lindenstraße,
Erhalt der Tordurchfahrt, Wiederherstellung der Biberschwanzeindeckung des Daches. Bauhistorie: um 1795 Brauerei, im Jahr 1866 wird erstmals J. Hoffmann als Bierbrauereibesitzer
erwähnt. Nach 1920 wurde die bis dahin eigenständige Brauerei aufgegeben und als Verlagsbrauerei der Lübzer Brauerei weitergeführt. Nach 1945 Enteignung der Familie Hoffmann,
die Nutzung der Gebäude blieb bestehen. Das Erdgeschoss wurde gewerblich genutzt (Büro
und Wirtschaftsräume), im Obergeschoss entstanden Wohnungen. 1903 wurde der mittlere
Hauseingang zur Lindenstraße geschlossen und durch zwei Fenster ersetzt. Innerhalb der
Tordurchfahrt wurde ein neuer Eingang geschaffen. In den 1970-er/1980-er Jahren gab es
weitere Veränderungen. Das Biberschwanzdach (Einfachdeckung mit Spließen) wurde abgenommen und durch eine Dachdeckung aus Betondachsteinen ersetzt. Der Hauseingang in
der Tordurchfahrt wurde wieder geschlossen und in den Hof verlegt. Das Tor an der Straße
wurde durch ein einfaches Brettertor ersetzt. Letzte Nutzung: 15 Jahre Leerstand
3 ////Gesichter
68
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Mittelstraße 12 //
Nutzung: Wohnen oder Gewerbe, voraussichtlich mit Ausnahmegenehmigungen Besonderheiten: Denkmalschutz; historisches Fachwerkhaus in Ständerbauweise, zweitältestes, noch existierendes Gebäude der Stadt,
die Holzverbindung ist mit einem sogenannten Zapfenschloss verankert. Lediglich drei Häuser in Norddeutschland weisen heute noch dieses Zapfenschloss auf, das am Fachwerk erkennbar ist. Bauherr: Stadt Parchim
Architekt: Dipl.-Ing. Günter Ehrhardt, Neu Lübstorf Bauzeit: nach 1588/1. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Dendrologische Untersuchungen ergaben, dass das Bauholz erst 1588 gefällt wurde. Sanierung: Bestandssicherung
der Außenhülle und des Hausbaumes 1998 Sanierungsziele: Sicherung und Erhalt des hochkarätigen Denkmalgebäudes für die Stadt Parchim, freie Entscheidungsmöglichkeit zur zukünftigen Nutzung für den zukünftigen
Eigentümer (nur Außenhülle vorhanden mit dem Hausbaum), Verbesserung des Stadtbildes Bauhistorie: Das
Gebäude wurde als Speicher gebaut. Der Umbau zum Wohnhaus könnte im 17./18. Jahrhundert, vielleicht im
Zusammenhang mit der Aufteilung des Hauses, erfolgt sein. Dabei sind neue Decken eingezogen worden, die
das Innere stark veränderten. Über der Tür im Giebel stand die Jahreszahl 1667. In einer Höhe von 4,50 m über
dem Dielenfußboden sind die Deckenbalken als Ankerbalken eingezapft. Die »Ohren« dieser Balken, die verlängerten Zapfen, schauen vor die Ständer und sind dort mit Holznägeln gegen ein Verrutschen gesichert. Das über
der ursprünglich hohen Diele befindliche Speicherstockwerk war zwei Meter hoch. Wagen konnten durch die in
der Giebelwand erkenntliche Einfahrt ins Innere gebracht werden. Die Waren wurden mit Hilfe einer Winde in die
Speicheretage gehievt. Verschiedene Merkmale (Lattung des Daches und »Wendenknüppel« im Giebel) weisen
darauf hin, dass der Bau einst eine Stroheindeckung besaß. Letzte Nutzung: Leerstand
3 ////Gesichter
70
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Schuhmarkt 7 //
Nutzung: Wohn- und Geschäftshaus Besonderheit: Das Haus
steht unter Denkmalschutz. Bauherr: Ulf Harm, Parchim Architekt: Ulf Harm, Parchim Sanierung: Modernisierung und Instandsetzung des Gebäudes 1999/2000 Sanierungsziele: Bestandssicherung des Gebäudes, Modernisierung und Instandsetzung
unter Einhaltung der denkmalrechtlichen Anforderungen an das
Fachwerkhaus Bauhistorie: Das flachgeneigte Tonnengewölbe
des Kellers dürfte aus der Frühgotik stammen. Die Steinformate
stammen aus dem 14. oder frühen 15. Jahrhundert. Auch die Kapitelausbildung der Mauerwerkssäule im Keller lässt auf eine Errichtung im 14. Jahrhundert schließen.Nach dem Brand von 1612 wurde das Gebäude um 1620 neu aufgebaut (dendrochronologische
Untersuchungen unterstützen das). Nutzung als Ackerbürgerhaus.
Mit der Zunahme der Verstädterung und unter Einwirkung der Pest
und des 30-jährigen Krieges gab es häufig Besitzerwechsel. Das
Haus wurde in den Obergeschossen überwiegend zu Wohnzwecken, auch mit Mietern, genutzt; das Erdgeschoss bis zum Juni
1994 gewerblich. Letzte Nutzung: Leerstand
3 ////Gesichter
72
einer Stadt
// Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Parchimer
Schmuckstücke
// Wockerstraße 5 //
Nutzung: Wohn- und Geschäftshaus, Erdgeschoss: Gaststätte, Obergeschoss: Wohnen Besonderheiten: Das Haus steht unter Denkmalschutz, der Gewölbekeller wurde als Bierkeller und Lager genutzt.
Rad zum Heraufziehen von Lasten giebelseitig im Dachbodenbereich. Bauherr: Familie Reinhard Dahlke,
Parchim Architekt: Ulf Harm, Parchim Baujahr: etwa 1700-1750 Sanierungsziele: Fassadensanierung
1994/1995, Verbesserung des Orts- und Straßenbildes und Verbesserungen der Nutzungsqualitäten,
Erneuerung und Wiederherstellung des Fachwerkgebäudes sowie einheitliche Farbgebung des Hauses,
Gestaltung der einsehbaren Hofansicht, Anpassung an das Haupthaus, Erneuerung bzw. Aufarbeitung
der Fenster und Türen, Erneuerung des Daches, Wärmedämmung, Instandsetzung Dachstuhl. Alle Ziele
sind unter Einhaltung der denkmalrechtlichen Anforderungen umzusetzen. Bauhistorie: Im 18. Jahrhundert befand sich im rechten Teil des Gebäudes ein Kolonialwarenhändler. Links war die Schankstube,
im Obergeschoß wurde gewohnt. Das Haus war zur damaligen Zeit ein Halt im Postkutschenverkehr,
bedingt durch seine günstige Lage zum Wockertor als Stadttor. (Die letzte Postkutsche nach Crivitz fuhr
im Juli 1893.) Hofseitig befanden sich die Pferderemisen, das Fachwerkhaus auf der Seite zum Heiligen
Geisthof. Das hofseitige Gebäude gibt es noch heute. Geht man weiter in der Geschichte Parchims zurück, findet man heraus, dass auf dem jetzigen Standort des Hauses Wockerstraße 5 im 17. Jahrhundert
die Heiligegeisthof-Kapelle stand. Daher auch der Name der Nebenstraße: Heiligergeisthof. Zwei alte
Stadtpläne von 1696 und 1828 zeigen die Heiligegeistkapelle und das jetzige Gebäude mit der hofseitigen Ausspannung. Letzte Nutzung: Wohnen: Leerstand, Gaststätte: bewirtschaftet
74 //
INTERVIEW
»Mir war die Chance klar, an diesem
Stadtbild etwas zu ändern.«
»Wir alle haben gelernt«
Der Parchimer Architekt Ulf Harm gehört zu den Pionieren des
Altstadtumbaus. Seit 25 Jahren prägt er mit Entwürfen, Impulsen
und Engagement das Gesicht der Stadt. Eines seiner vielen Projekte:
Auf dem Sassenhagen 92. Für die Zukunft fordert er Mut zur Lücke
und mehr Grün in der Innenstadt.
Herr Harm, was macht einen guten
Architekten aus?
Kreativität und fachliches Können sind
selbstverständlich. Einfühlungsvermögen,
Begeisterung, Überzeugungskraft und die
Fähigkeit, zwischen Menschen zu vermitteln, unterscheiden einen guten von einem
mittelmäßigen Architekten.
Woher kommt Ihre Begeisterung für
Parchim?
Ich bin hier geboren und zur Schule gegangen, ich lebe hier. Für mich ist die
Stadt mit ihrer Nähe zum Wasser und
dem mecklenburgischen Charme, der nie
durch Reichtum oder Protz geprägt war,
Heimat.
Heidestraße 26 // Aus dem herunter­
gekommenen Speicher machte der
Architekt Ulf Harm ein charmantes
Wohnhaus mit historischem Flair.
Sie machten sich 1990 als Architekt
selbstständig. Wie sah Ihre Heimatstadt damals aus?
Verfallen wie die meisten Städte Ostdeutschlands, es bröckelte überall. Mir
war damals die Chance klar, an diesem
Stadtbild etwas zu ändern. Der geschlossene Stadtkern mit den wunderschönen
alten Häusern war und ist ein großes Potential.
Die Möglichkeiten zur Veränderung
lagen quasi auf der Straße?
Ja, Anfang der 1990-er Jahre herrschte
eine ungeheure Aufbruchsstimmung. Zu
Beginn der Städtebauförderung gab es
Förderquoten von bis zu 80 Prozent. Ohne
diese Fördermittel wäre das Bauen nicht
möglich gewesen. Mit der heutigen LGE,
der Stadt Parchim mit dem Bauamt, dem
Landesamt für Denkmalschutz und vielen
Geschäftsleuten mit Visionen waren von
Anfang an die richtigen Partner im Boot.
Natürlich war damals für uns vieles neu.
Aber wir haben schnell gelernt und die
Chance für Parchim beim Schopf gepackt.
Der Speicher in der Heidestraße, das
alte Postgebäude, Schuhmarkt 7, Sassenhagen 92, die Lindenstraße – viele
Ihrer Projekte haben das Gesicht der
Stadt geprägt. Wie hat die Arbeit Sie
verändert?
Ich habe unendlich viele Erfahrungen gesammelt. Erfahrungen macht man nicht
in der Schule oder während der Ausbildung, sondern im Umgang mit Menschen und Projekten. Dabei habe ich meinen Blick für das Wesentliche geschärft
und Gespür für Details bekommen. Alte
Häuser zu neuem Leben zu erwecken,
ist das eine. Etwas anderes ist es, dabei
Die schönsten Häuser // Die schönsten Sanierungsobjekte auf einen Blick // 75
// ZUR PERSON // ULF HARM
mit allen Beteiligten – vom Bauherren bis
zum Denkmalpfleger – um die besten Lösungen zu ringen. Da braucht man Überzeugungsraft und Spontanität. Routine
hilft selten weiter.
Ulf Harm (60) ist Architekt und waschechter Parchimer. Nach der Schule
machte er eine Ausbildung zum Maurer mit Abitur, studierte Hochbau und
arbeitete bis 1990 als Bauleiter und Planer in der Parchimer ZBO (Zwischen­
genossenschaftliche Bauorganisation). Seit 1990 ist er freier Architekt. Etliche
Häuser in der Parchimer Altstadt, wie das Haus Schuhmarkt 7, hat er selbst
gekauft und teils in historischer Lehmbauweise liebevoll restauriert.
25 Jahre nach Beginn der Altstadtsanierung – was bleibt zu tun?
Vieles haben wir erreicht, Parchim kann
sich heute sehen lassen. Die meisten
der sanierungsfähigen Gebäude sind umfassend saniert. Häuser, die heute noch
unsaniert sind, werden wohl größtenteils
abgerissen. Daraus ergibt sich das Problem der Zukunft: Wie gehen wir mit den
Baulücken um? Wir brauchen nicht nur
Pläne für jede Baulücke, sondern müssen
auch für das Bauen und Wohnen in der
Altstadt werben. Man muss sein Eigenheim nicht auf die grüne Wiese bauen.
Auch für Eigenheimbauer hat die Altstadt
einen besonderen Charme: kurze Wege,
eine geschlossene Bebauung mit gestalteter Architektur, Hofbereiche, die als
grüne Oasen mit besonderem Flair punkten. Wir brauchen also Mut zur Lücke.
Schuhmarkt 7 // Das ehemalige Ackerbürgerhaus stand jahrelang leer. Dann rettete es
Ulf Harm. Heute blüht es in altem, neuem Glanz.
76 //
Fritz-Reuter-Regionalschule //
Durch den Neubau sollte der Charme
des denkmalgeschützten Altbaus
nicht zerstört werden.
Neues bauen
Platz zum Lernen,
Spielen, Entspannen
Im Rahmen der Städtebauförderung wurde nicht nur
Altes saniert, sondern auch Neues gebaut. Sabine
Braun, Sachgebietsleiterin Hochbau, erklärt an zwei
Beispielen, worauf die Stadt dabei Wert legte.
78 //
Der Erweiterungsbau
der Fritz-Reuter-Regionalschule
D
er Schulkomplex Mönchhof ist
einer der ältesten Schulstandorte
Parchims. Die Backstein-Fassaden der Regionalschule Fritz Reuter, der
Grundschule Adolf Diesterweg und der
Städtischen Turnhalle geben dem Komplex sein Gesicht. Die Schulgebäude
wurden Ende des 19. Jahrhunderts, die
Sporthalle im Jahr 1930 errichtet. Seither
gab es mehrere Teilsanierungen, Um- und
Anbauten, um den ständig wachsenden
Ansprüchen an den Schulbetrieb gerecht
zu werden.
Erweiterungsbau // Transparenz,
Licht und Farbe sorgen für eine
lebendige Atmosphäre. Hier lernt
man gerne.
Bevor es mit dem Neubau losging, befand
sich in Hoflage, angrenzend an das Schulgelände, ein zweigeschossiger Bau. In ihm
waren die Werkräume für die Fritz-Reuter-Schule untergebracht. Ebenso verband
ein aus den 1960-er Jahren stammendes
eingeschossiges Gebäude die Grund- und
Regionalschule. Dort befanden sich die
Sanitäranlagen für beide Schulen. Diese
waren durch relativ breite Flure erschlos-
sen, die gleichzeitig zu den beiden Schulhöfen führten.
Komfort und Platz für 300 Kinder
Anfang 2010 wurden die Forderungen
nach Modernisierung und vor allem Erweiterung der Regionalschulkapazität um
einen Ganztagsbereich immer lauter und
entsprechende Pläne gemacht. Der langfristige Bestand dieses Schulstandortes
war und ist durch die Schulentwicklungsplanung gegeben. So galt es, neben der
Schaffung von Räumlichkeiten für den
Ganztagsunterricht für mehr als 300 Kinder auch die schulischen Bedingungen
insgesamt zu verbessern. Außerdem war
eine behindertengerechte Erschließung
für beide Schulgebäude wichtig, so dass
auch Kinder mit körperlichem Handicap
hier zur Schule gehen können.
Schnell wurde klar, dass der vorhandene
eingeschossige Verbindungsbau durch
einen zweigeschossigen Bau ersetzt wer-
Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen // 79
den musste. Die besondere Herausforderung für den Architekten bestand darin,
mit dem neuen Gebäudeteil die Architektur der denkmalgeschützen Altgebäude
nicht zu beeinträchtigen, aber dennoch
eine funktionale Verbindung zu schaffen.
Ergebnis war der Entwurf eines modernen Baukörpers, der mit architektonischen
Gestaltungselementen wie Transparenz,
Offenheit, Licht und Farbe nicht nur für
die heutige Bauepoche steht, sondern
auch den Charakter des modernen Schulbetriebes widerspiegelt. Eine detaillierte
Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde war in allen Planungsphasen selbstverständlich.
Bauen bei laufendem Betrieb
Knifflig war, dass alle Baumaßnahmen bei
laufendem Schulbetrieb realisiert werden
mussten. Dies war besonders schwierig,
da die haustechnischen Versorgungen
von Schulgebäude und Verbinder jeweils
eine Einheit bilden und in der Regionalschule auch überwiegend saniert wurden. Zudem wurden gleichzeitig in der
Fritz-Reuter-Schule ein zusätzlicher behindertengerechter Aufzug eingebaut und
umfangreiche nutzungsoptimierende Um-
bauten vorgenommen. Eine giebelseitige
Anbindung erfolgte bei beiden Schulen
im Erdgeschoss und in der Realschule zusätzlich im 1. Obergeschoss.
Die lichte, farbige Fassadengestaltung des
Neubaus setzt sich im Innern des Gebäudes fort. Die Räume mit unterschiedlicher
Größe und Funktion spiegeln sowohl Lebendigkeit als auch die zum Lernen erforderliche Ruhe wider. Im Erdgeschoss
befinden sich moderne WC-Anlagen, separat für jede Schule.
Der Neubau
durfte das
denkmalgeschützte
Gebäude nicht
beeinträchtigen.
In der Regionalschule ermöglichen
zwei modern ausgestattete Werkräume
anspruchs­
vollen Unterricht. Im Obergeschoss befindet sich ein großer Multifunktionsraum, der als Bibliothek, Veran­
staltungsraum und Schülercafé genutzt
wird. An ihn grenzt eine Lehrküche. Außerdem findet man in dieser Ebene den
neuen Musikraum, Kreativ-, Gruppenunterrichtsräume und das Büro des Schulsozialarbeiters.
Mit einem Wort: Durch den Erweiterungsbau ist das Lernen moderner, der Unterricht facettenreicher geworden.
Moderne Gestaltung // Die Symbiose aus Alt und Neu ist auch im
inneren des Verbindungsbaus nicht
zu übersehen.
80 //
Der Neubau des Horts
an der Adolf-Diesterweg-Schule
Das Grundstück Fischerdamm 6 grenzt
unmittelbar an den Schulkomplex Mönchhof, im Westen an den Giebel der Grundschule Adolf Diesterweg, im Norden an
den Schulhof der Regionalschule Fritz
Reuter. Die Räume im Dachgeschoss der
Adolf-Diesterweg-Schule wurden Anfang
der 1990-er Jahre für den Hort hergerichtet. Jetzt entsprachen sie nicht mehr den
Ansprüchen an eine zeitgemäße außerschulische Betreuung.
Moderner Hort // Der Hort passt
sich an die benachbarten denkmalgeschützten Gebäude an. Vor
Baubeginn stand hier ein altes
Wohnhaus.
Nachdem 2013 der neue Verbindungsbau zwischen der Fritz-Reuter- und der
Adolf-Diesterweg-Schule in Betrieb genommen wurde, sollten jetzt moderne
Räume für den Hort geschaffen werden.
Da die vorhandenen Schulgebäude dies
nicht ermöglichten, erwarb die Stadt das
leerstehende Wohnhaus Fischerdamm
6. Schnell war klar, dass Umnutzung und
Sanierung einem modernen Hort nicht gerecht würden. Deshalb wurden Abbruch
und Neubau geplant.
»Offenes Arbeiten«
Ziel der Planung war die Errichtung eines
separaten Hortgebäudes für ca. 130 Kinder mit barrierefreier Erschließung von
der Straße Am Fischerdamm sowie einer direkten Verbindung zwischen Hortund bestehendem Grundschulgebäude in
zwei Ebenen.
Das neue Gebäude sollte eine »offene Arbeitsweise« ermöglichen. Ferner sollten
Räumlichkeiten der Schule gegebenenfalls
auch vom Hort genutzt werden können.
Gleiches galt für den Schulhof und Spielplatz, zu dem die Hortkinder Zugang durch
die Räumlichkeiten der Schule haben.
Die nach dem Abbruch des Wohnhauses
entstandene schmale, tiefe Baulücke in
einer geschlossenen Straßenfront – gelegen zwischen zwei denkmalgeschützten Gebäuden, gegenüber dem ebenfalls
unter Denkmalschutz stehenden imposanten Mühlengebäude – war für die
Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen // 81
Architektin eine besondere Herausforderung. Es galt, einen Baukörper zu entwerfen, der sich architektonisch-stadtplanerisch in das Gesamtbild der Straße
einfügt, sich dem in östlicher Richtung
angrenzenden gewaltigen Giebel des
Wohnhauses des ehemaligen Mühlenbesitzers nicht beugt und zudem modernes
Bauen für Kinder auch in seiner Fassade
spiegelt.
Modern und harmonisch
Entstanden ist ein dreigeschossiges,
eben­erdig zugängiges Gebäude mit Flachdach, das sich in der Fassadengestaltung
an dem neuen Verbindungsbau zwischen
der Fritz-Reuter- und der Adolf-Diesterweg-Schule orientiert. Es greift in der
Gebäudetiefe das Wohngebäude des ehemaligen Mühlenbesitzers auf. Der Schulhof der Fritz-Reuter-Schule wird auf diese
Weise in südlicher Richtung harmonisch
geschlossen.
Auf der Straßenseite ist der Baukörper
stark gegliedert. Dadurch passt er sich
harmonisch in die Nachbarbebauung ein
und setzt sich zugleich als modernes
Element ab. Um die Innenräume ausrei-
chend zu belichten, gibt es viele Fenster.
Oberlichter im zweiten Geschoss und ein
Lichtschacht im zentralen Bereich sorgen
zusätzlich für Helligkeit.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet
sich der Empfangsbereich mit angrenzender Garderobe. Im hinteren Gebäudeteil gibt es Räume zur Erledigung der
Hausaufgaben, einen Informatikbereich
und einen Entspannungsraum. Auch wird
der administrative Bereich, für den ein
angrenzender Raum der Schule umgebaut wurde, von hier aus erschlossen. Im
zentralen Bereich liegen in allen Ebenen
die Sanitäranlagen, das Treppenhaus und
der Aufzug, der sowohl den Hort als auch
die Schule erschließt.
Fenster,
Oberlichter und
ein Lichtschacht
sorgen für viel
Helligkeit.
Im ersten Obergeschoss gibt es eine Kinderküche mit Café sowie zwei Kreativ­
räume mit Abstellbereichen. Das zweite
Obergeschoss ist mit mehreren Spiel-,
Bau- und Bewegungsräumen der spannenden, individuellen Freizeitbeschäftigung vorbehalten. Somit bietet der neu
gebaute Hort optimale Bedingungen für
die Kinder und passt sich gleichzeitig hervorragend in seine Umgebung ein.
// ZUR PERSON // SABINE BRAUN
Sabine Braun (58) ist Leiterin des Sachgebietes Hochbau bei der Stadt Parchim. Von 1975 bis 1979 studierte sie an der damaligen Hochschule für Architektur und Bauwesen, der heutigen Bauhaus-Universität in Weimar. Als frisch
gebackene Diplomingenieurin der Fachrichtung Ingenieurbau arbeitete sie zunächst im Bereich Statik in einem Berliner Bau- und Projektierungsbüro. Von
1981 bis 1982 war sie in der Projektierungsabteilung des Schweriner Stadtbetriebes tätig. Nach einem Abstecher in die technische Abteilung der damaligen Dresdner Hutfabrik kam sie 1985 nach Parchim. Ihr erster Eindruck von
der Stadt: »Eine vielseitig geprägte Kleinstadt mit erheblichem Sanierungsstau in der Altstadt, aber umgeben von wunderbarer Natur.« Sabine Braun
arbeitete zunächst in der Investitionsabteilung des VEB Nordfrucht »Elde«
(hier wurden Obst- und Gemüsekonserven hergestellt), bevor sie 1991 Sachgebietsleiterin Hochbau bei der Stadt Parchim wurde. Auch nach 25 Jahren
findet sie ihren Job spannend und meint, frei nach Rudolf Steingen: »Jedes
Bauvorhaben gleicht einer Uraufführung ohne Generalprobe, bei dem das Orchester immer wieder neu zusammengestellt und das Publikum zunehmend
sensibler wird.«
82 //
INTERVIEW
»Wer in der Altstadt baut, muss
sich auf die Altstadt einlassen.«
»Parchim darf kein
Museum sein«
Als Norbert Kreft 1991 aus Schleswig-Holstein nach Parchim kam,
entdeckte er eine intakte, aber sanierungsbedürftige Stadt. Seither
kümmert sich der Stadtplaner nicht nur um Sanierungen, sondern
auch um Neubauten in der Altstadt. Diese sind naturgemäß heikel.
Herr Kreft, wie muss der optimale
Neubau für eine Altstadt aussehen?
Ein Neubau sollte sich als Neubau präsentieren. Historisierende Bauten, die ein
Alter vorspiegeln, das sie nicht haben, finde ich weniger schön. In einer lebendigen
Stadt wurde zu allen Zeiten gebaut. Deshalb sollte sich in gegenwärtigen Gebäuden die Gegenwart spiegeln. Das gilt auch
für Parchim, schließlich darf die Stadt kein
Museum sein. Trotzdem muss natürlich
sensibel gebaut werden.
Was bedeutet das?
Ein Neubau sollte sich in seine Umgebung
einfügen und nicht den Maßstab sprengen. Ein großer Klotz neben einem zierlichen Fachwerkhaus fällt aus dem Rahmen. Gestaltungselemente wie etwa die
Traufständigkeit können bei neuen Bauten
gut aufgenommen werden.
Moderne Verbindung // Ein Neubau
sollte sich als neu präsentieren. Die Stadt
Parchim ging bei der Erweiterung des
Stadthauses mit gutem Beispiel voran.
Nun gibt es in der Parchimer Altstadt
noch immer etliche Baulücken…
Sie zu schließen, ist mir ein Anliegen, denn
die geschlossene Bauweise ist typisch für
Parchim. Wer Lücken bebaut, muss aber
darauf achten, dass der Lückenschluss
gelingt. Dabei ist die Gestaltung von Giebel und Fassade wichtig. Tote Fassaden
strahlen nicht auf die Straße aus.
Woran muss man sich halten, wenn
man in der Altstadt bauen will?
Die Grundsätze stehen in unserer Gestaltungssatzung. Sie gibt Grundlagen und
Orientierung, garantiert aber kein schönes
Bauen. Wir bieten deshalb umfassende
Beratungen an, versuchen, künftige Bauherren, Architekten, Denkmalpfleger, Rahmenplaner und Bauamt im Vorfeld eines
Bauvorhabens an einen Tisch zu bringen.
Uns liegt diese Abstimmung sehr am Herzen. Aber natürlich kann jeder auch ohne
Abstimmung einen Bauantrag einreichen.
Welche Vorzüge bietet das Bauen in
der Altstadt gegenüber der sprichwörtlichen »grünen Wiese«?
In der Altstadt ist alles gut zu Fuß zu erreichen, die Infrastruktur ist intakt. Inzwischen gibt es aus Mitteln der Städtebauförderung auch Geld für das Auffüllen von
Baulücken – momentan sind das 225 Euro
pro Quadratmeter. Das ist anders als in
den frühen Jahren. Damals wurden Neubauten nicht gefördert, die Sanierung des
Bestandes hatte Vorrang. Trotz dieser Vorzüge: Wer in der Altstadt baut, muss sich
auf die Altstadt einlassen. Das Grundstück
ist in der Regel nicht riesig, die Nachbarn sind nicht fern und Raum für einen
PKW-Stellplatz ist oft nicht vorhanden.
Altes bewahren,
Neues
Neues
bauen
Bauen
// Platz
// 25
zum
Jahre
Lernen,
Stadterneurung
Spielen, Entspannen
in Parchim////83
4
// ZUR PERSON // NORBERT KREFT
Und ein Bungalow passt vermutlich
schlecht in die Altstadt?
Zweigeschossig sollte der Bau schon sein.
Es gibt viele gelungene Beispiele für neues
Bauen in der Altstadt, etwa Auf dem Brook
21, Apothekenstraße 2/3 oder die Blutstraße. Dort gibt es etliche Neubauten. Alle fügen sich harmonisch in das Ensemble der
alten Blutstraße ein. Trotzdem kann man
erkennen, dass es Neubauten sind – zum
Glück.
Norbert Kreft, 60, wuchs in Schleswig-Holstein auf und studierte nach dem
Abitur an der TU Dortmund Raumplanung. Er arbeitete unter anderem in
einem Dortmunder Planungsbüro, wo er alte Häfen und Kanäle zu neuem
Leben erweckte. In Parchim machte er 1990 zunächst als Tourist Halt. Ihn
faszinierte der ursprünglich erhaltene Stadtgrundriss, gleichzeitig fiel ihm
der enorme Sanierungsbedarf ins Auge. »Ich dachte damals: Sanierungen
von diesem Ausmaß dauern üblicherweise mehr als eine Generation«,
sagt Kreft. Als Neumünster für die Partnerstadt Parchim einen Stadtplaner
suchte, packte er seine Koffer und zog nach Parchim. Als langjähriger Leiter
des Sachgebietes Stadtplanung hat Norbert Kreft großen Anteil daran, dass
wesentliche Ziele der Parchimer Stadterneuerung schon nach 25 Jahren erreicht wurden – und nicht erst nach einer Generation.
Bauen in der Altstadt // Wer in der Altstadt baut, muss sich auf die Altstadt einlassen. Das hat manche Nach-, aber auch viele Vorteile.
Um noch vorhandene Lücken zu schließen, bekommen Bauherren Geld aus der Städtebauförderung.
3 ////
84
Spielplätze
Raum für Spiel
Die Spielplätze
// Spielplatz Bleicherberg //
Nutzung: öffentlicher Spielplatz Besonderheiten: Bodendenkmal Burgwall Bauherr: Stadt Parchim Architekt:
Landschaftsarchitektin Ellen Hausmann, Schwerin Fördermaßnahme: KIP-Mittel Bauzeit: August/September
2003, Pflanzung November, Übergabe am 8. September 2003 Sanierungsziele: Neugestaltung in Anlehnung
an die Stadtgeschichte durch entsprechende Spielgeräte (Burg als Hinweis auf die slawische Burganlage, Fischerhütte als Anspielung auf die erste nachgewiesene Fischerzunft in Deutschland), Herstellung der Verkehrssicherheit Geschichte: Reste des slawischen Burgwalls, Ersterwähnung 1170. Der Burgwall wurde später auch
zum Wäschebleichen durch Parchimer Bürger genutzt, daher auch der Name »Bleicherberg«. Seit ca. 1970
standen erste Spielgeräte auf dem heutigen Spielplatzstandort. Baujahr: genaues Baujahr nicht bekannt Besonderheit: An der Planung beteiligte sich eine Schulklasse der Goethe-Regionalschule.
Neues bauen // Platz zum Lernen, Spielen, Entspannen // 85
und Abenteuer
Wer gut lernt, hat auch Zeit zum Spielen. Im Rahmen der
Stadterneuerung bekamen deshalb auch altgediente Spielplätze
neue Gesichter. Hier zwei Beispiele:
// Spielplatz Wallanlagen //
Nutzung: öffentlicher Spielplatz Besonderheiten: Denkmalschutz
seit 1930 Bauherr: Stadt Parchim Architekt: OLP Klisch & Schmidt,
Schwerin Fördermaßnahme: Städtebauförderung Bauzeit: 20042005 Planung, 2005-2006 Bauausführung, Übergabe im April 2006
Sanierungsziele: denkmalgerechte Neugestaltung, Herstellung der
Verkehrssicherheit Geschichte: An dieser Stelle gibt es seit 1933/1934
einen Spielplatz, davor befand sich unterhalb dieser Fläche seit den
1920-er Jahren zumindest ein Sandkasten. Baujahr: genaues Baujahr
des ersten Spielplatzes ist nicht bekannt
86 //
Tiefgreifende
Erneuerung
Die Sanierung der
Infrastruktur
Städtebauliche Sanierungen sind immer
Gesamtmaßnahmen. Auch Ausbau und
Neuordnung der Infrastruktur von Straßen
und Plätzen gehören dazu – und sind für alle
Beteiligten eine Nagelprobe.
D
ie Straßen einer Stadt prägen das
Stadtbild. Im Sanierungsgebiet
Parchim, einschließlich der Erweiterung südliche Altstadt, befinden sich
etwas mehr als neun Kilometer Straßen.
In den zurückliegenden Jahren waren die
Sanierungsbemühungen innerhalb der Altstadt durch die vielen Baustellen, auch in
den Straßen und auf den Plätzen der Stadt,
unübersehbar. Sie waren Ausdruck für den
großen Bedarf an Erhaltung, Erneuerung
und Verbesserung der Oberflächen wie
auch der darunterliegenden unterirdischen
Anlagen. Innerstädtische Straßenflächen
sind ja längst nicht nur Verkehrs- und Aufenthaltsflächen, sondern auch Bau- und
Verfügungsraum für die unterirdisch verlegten Ver- und Entsorgungsleitungen.
Unser Ziel war also nicht nur, die alten Straßenbeläge zu erneuern, für die Benutzer
attraktiver zu machen und Trag- und Standfestigkeit des Straßenschichtenaufbaus
den gestiegenen Verkehrsbelastungen anzupassen. Gleichermaßen galt es, die Neuordnung und Verlegung der technischen Infrastruktur zu berücksichtigen. Bevor also
die eigentlichen Straßenbauarbeiten in Angriff genommen werden konnten, wurden
sämtliche vorhandenen alten Leitungsbestände der verschiedenen Leitungsträger
wie Telefon- und Elektrokabel, Gas- und
Trinkwasserleitungen ausgebaut und neu
verlegt.
Unterirdische Technik
Breitbandkabelanlagen wurden erstmals
im unterirdischen Straßenraum eingeordnet. Auch die stark überalterten Abwasserrohrleitungen wurden im Zug der
Straßensanierungsvorhaben durch Neuanlagen ersetzt. Bedingt durch die umwelttechnisch erforderliche Umstellung
von Mischkanalisation auf Trennkanalisation bedeutete dies, dass eine zusätzliche
Rohrleitung unter der Straßendecke Platz
finden musste. Aber die Zusammenarbeit
mit den zuständigen Leitungsträgern und
Institutionen klappte meist problemlos.
Dabei half die extra für entsprechende
Bauabstimmungen ins Leben gerufene
Koordinierungskommission. Auf ihren regelmäßig stattfindenden Treffen konnten
vorbereitende Absprachen getroffen werden, die eine reibungslose Abstimmung
der Leitungsverlegearbeiten garantierte.
Rücksicht und effektives Bauen
Bei jedem Bauvorhaben sind Behinderungen und Beeinträchtigungen für
Anwohner, Gewerbetreibende und Geschäftsinhaber unvermeidlich. Umso
größer waren die Bemühungen aller Beteiligten, die oft als zu lang empfundene
Bauzeit zu verkürzen. Das begann mit
der sorgfältigen Auswahl eines leistungsstarken, zuverlässig erscheinenden Fachbauunternehmens für die Ausführung.
Anfangs agierten für solche Gewerke
wie das Pflastern mit Natursteinen noch
ausländische Pflasterkolonnen als Subunternehmer. Mittlerweile ist die teilweise
verloren geglaubte Handwerkskunst des
Steinsetzers sogar in der Region wieder
anzutreffen.
In den engen, schmalen Straßen der Altstadt musste während des Bauens auf
den Zustand der Häuser mit teils noch alter Feldsteingründung Rücksicht genommen werden, um Schäden an den Häusern zu vermeiden. Dicht an den Fassaden
mussten in größerem Umfang Handschachtungen vorgenommen werden. Oft
konnte nur leichtes Verdichtergerät eingesetzt werden, das aber mehr Übergänge
Behinderungen sind
unvermeidlich.
Umso größer
waren die
Bemühungen,
die Bauzeit zu
verkürzen.
88 //
Stadtentwicklung
setzt auf das
Engagement, die
Kreativität und
die Kooperationsgemeinschaft der
Menschen.
Rosenstraße // Die Kombination
aus Asphaltbelag und Granitsteingroßpflaster ist ein kluger Kompromiss für alle Benutzer.
und damit mehr Zeitaufwand benötigte.
Überhaupt bestimmte erschütterungsarmes Bauen den Ablauf. Hinzu kam das
zeitaufwändige Setzen und Ziehen von sogenannten Verbaukästen zur Absteifung
von tieferen Rohrleitungsgräben.
Öffentliches Echo und Kritik
Die Erleichterung aller Beteiligten, insbesondere aber bei den betroffenen Anliegern, zeigte sich nach Fertigstellung größerer Baumaßnahmen vereinzelt durch
spontane Straßenfeste.
Neue Erkenntnisse durch alte Funde
Bei Aufgrabungen in größeren Tiefen war
noch ein weiterer Aspekt zu beachten:
Wegen zu erwartender archäologischer
Funde aus dem Mittelalter und der Gründungsperiode der Stadt war stets ein Archäologe des Landesamtes für Kultur und
Denkmalpflege zugegen. Er sicherte die archäologische Baubegleitung ab. Durch die
gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Landesamtes, den Stadtwerken
und den bauausführenden Tiefbaufirmen
ist es aber gelungen, die dadurch anfallenden Behinderungen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Es wurden tatsächlich viele bedeutsame, wenn auch nicht
immer spektakuläre Funde freigelegt, geborgen, dokumentiert und kartographiert.
Die Befunde brachten teilweise neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte mit Blick
auf Siedlungsalter, Siedlungsstruktur und
Begrenzung – ein kleiner, nicht unbedeutender Nebeneffekt der umfangreichen
Straßensanierungsmaßnahmen im Altstadtbereich.
Allerdings gab es im öffentlichen Diskurs über die Benutzerfreundlichkeit des
sanierten Straßenraumes auch kritische
Stimmen. Aber eine Separierung der teilweise noch spätmittelalterlich geprägten
schmalen Straßenräume zwischen Autound Fahrradverkehr (wie oft gewünscht)
ist nicht machbar. Dass städtebauliche
Sanierung auch Schutz und Erhalt von
historischer Bausubstanz – im konkreten
Fall auch die Widerverwendung des stadttypischen Natursteinpflasters – bedeutet,
mag für Radfahrer und Fußgänger nicht
immer komfortabel sein. Aus stadtplanerischem und stadtstrukturellem wie auch
gestalterischem Ansatz wie aus den förderrechtlichen Vorgaben erschien die Herstellung der Fahrbahnoberflächen aus Natursteinpflaster aber geboten.
In den vergangenen Jahren sind Kompromisse gemacht worden, um den heutigen
Anforderungen an eine innerstädtische
Straßenbenutzung gerechter zu werden.
Das Beispiel der Gestaltung der Rosen-
Tiefgreifende Erneuerung // Die Sanierung der Infrastruktur // 89
straße, eine Mischbauweise aus Asphaltbelag und Granitsteingroßpflaster bietet
mehreren Benutzergruppen Annehmlichkeiten: weniger Rollgeräusche, weniger
Verkehrslärm für die Anwohner durch
den KFZ-Verkehr, gute und komfortable
Voraussetzungen für den Fahrradverkehr
auf dem Asphaltfahrbahnstreifen und somit auch eine höhere Aufenthaltsqualität
für die Fußgänger im Straßenraum. Daher
wird diese Art der Straßenoberflächengestaltung nunmehr auch bei künftigen Straßensanierungsvorhaben, wie beispielsweise in der Wockerstraße, favorisiert.
// ZUR PERSON // HARTMUT GÖLLNITZ
Hartmut Göllnitz, 67, wurde in Parchim geboren und studierte an der Uni Rostock Meliorationswesen. Von 1972 bis 1990 arbeitete der Diplom-Ingenieur
in einem staatlichen Ingenieurbüro in Parchim, in dem er sich als Investitionsbauleiter um Meliorationsvorhaben (etwa den Bau von Be- und Entwässerungsanlagen, Wirtschaftswegebau und Flurmeliorationen) kümmerte. Von
1991 bis 2011 war er Sachgebietsleiter Tiefbau der Stadt Parchim. Die Sanierung der Straßen und Plätze im Rahmen der Stadterneuerung, aber auch der
Bau von Brücken (etwa der Schwarzen Brücke oder der Brunnenbrücke) war
für Hartmut Göllnitz nicht nur Beruf, sondern auch Berufung. »Ich bin in Parchim aufgewachsen und wollte hier, in meiner Heimatstadt, etwas zum Besseren verändern. Jede Straßenbaustelle war wie meine eigene Baustelle.«
Ein Fazit
Mehr als zwei Drittel der Straßenräume im
Sanierungsgebiet konnten in den zurückliegenden Jahren im Rahmen der Städtebauförderprogramme umfassend saniert
werden. Damit war die Erhaltung der baulichen Struktur bei gleichzeitiger Verbesserung der Funktion und der generellen Nutzung des Erneuerungsgebietes garantiert.
Neben dem, was in den nächsten Jahren
zu tun bleibt, gilt es, das Geschaffene zu
unterhalten und zu erhalten, damit diese
enormen Vermögenswerte unserer Stadt,
den Einwohnern und Besuchern lange für
eine sichere Benutzung zur Verfügung
stehen.
// ZUR PERSON // FRANK SCHMIDT
Frank Schmidt, 50, ist Bauingenieur und Fachbereichsleiter Bau und Stadtentwicklung. Der geborene Parchimer lernte nach der Schule Maurer in der
damaligen PGH Aufbau und qualifizierte sich von 1986 bis 1991 an der FH
Neustrelitz zum Diplom-Ingenieur Hochbau. Von 1992 bis 2008 kümmerte
er sich im Sachgebiet Tiefbau, dessen Leiter damals Hartmut Göllnitz war,
um die Erneuerung der Parchimer Infrastruktur. Seit 2008 ist Frank Schmidt
Fachbereichsleiter Bau und Stadtentwicklung. Bei der Gestaltung von Straßen, Wegen und Plätzen liegt ihm besonders die Verbindung von Ästhetik
und Benutzerfreundlichkeit am Herzen. Spannend ist für ihn, wie auch für
Hartmut Göllnitz, die archäologische Begleitung bei Tiefbauarbeiten: »Wir
sind dabei auf manche Spuren gestoßen, die Parchimer Handwerker hinterlassen haben.«
90 //
Das historische
Erbe bewahren
Baugeschichte und Denkmalschutz
In der Parchimer Innenstadt ist nicht nur der vollständige mittelalterliche
Stadtgrundriss, sondern auch ein großer Teil des frühneuzeitlichen Gebäude­
bestandes erhalten. Das ist auch eine Herausforderung für den Denkmalschutz.
Mittelstraße 12 // Diese Balken sind
über 400 Jahre alt. Sie gehören zum
zweitältesten erhaltenen Gebäude
Parchims und erzählen nicht nur Fachleuten viel über die Vergangenheit.
92 //
K
eine Frage: In den zurückliegenden
25 Jahren konnte in Parchim in Sachen Stadtsanierung und Denkmal­
erhalt vieles bewirkt werden. Trotzdem
wird das baukulturelle Erbe Parchims nicht
nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in
der Fachwelt weitgehend unterschätzt.
Neben den bekannten großen Backsteinbauten wie den beiden Kirchen oder dem
Rathaus führen die vielen ebenso interessanten Fachwerk- und Bürgerhäuser ein
kulturhistorisches Schattendasein. Auch
wenn üppiger, geschnitzter Zierrat hier
eher die Ausnahme ist, lässt sich Parchim
angesichts seines umfangreichen Holzbaubestandes des 17. und 18. Jahrhunderts sowie einzelner vor 1600 datierter
Gebäude mit Recht als Fachwerkstadt
bezeichnen.
Lindenstraße 6 // Bau­historische
Untersuchung sollen exakte Erkentnisse zur Baugeschichte liefern.
Baudetail // Was veraten solche
kunstvollen Schnitzereien (hier am
»Giebelhaus«, Lindenstraße 6) über
die einstigen Bewohner.
Spezialität: die Ständerbauten
Besonders die erhaltenen Ständerbauten
verdienen eine besondere Erwähnung.
Diese oft als »mittelalterlich« charakterisierte, ältere Fachwerkbauweise, bei
der die Wände aus hohen, über mehrere
Geschosse reichenden Ständern gebildet
werden, war in Norddeutschland noch in
der frühen Neuzeit verbreitet. Der Grund
dafür ist weniger in einer Innovationsfeindlichkeit der Handwerker, als in der
funktionellen Gliederung des Hauses mit
einer hohen Diele als zentralem Raum zu
suchen.
In Parchim sind mindestens 13 Häuser
erhalten, die ganz oder teilweise als Ständerbauten errichtet wurden (Alter Markt 2,
Hakenstraße 13, Lange Straße 24, Lindenstraße 3, Lindenstraße 6, Lindenstraße 13, Mittelstraße 12, Mühlenstraße 38,
Rosenstraße 52, Rosenstraße 55, Schuhmarkt 7, Wockerstraße 1, Ziegenmarkt 13,
ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Bei einigen dieser Bauten ist die ursprüngliche
Ständerkonstruktion nur in Resten erhalten. Eine genauere Untersuchung und
Datierung dieser Bauten würde wichtige
Erkenntnisse zur regionalen und überregionalen Baugeschichte liefern.
Auch die älteren Dachkonstruktionen
verdienen eine größere Aufmerksamkeit
durch die Bauforschung sowie eine Einordnung in die Baugeschichte der Region.
Die in mehreren Dächern erhaltenen Aufzugsräder sind eine weitere Besonderheit
des Parchimer Bauerbes.
Das historische Erbe bewahren // Baugeschichte und Denkmalschutz // 93
Erzählte Geschichte
Denkmalschutz hat den Erhalt möglichst
vieler das Denkmal charakterisierenden
Werte und Eigenschaften zum Ziel. Er
erschöpft sich daher nicht in der Bewahrung einer äußeren Erscheinung. Ein Baudenkmal besitzt auch einen – nicht immer
von außen erkennbaren – historischen
Quellenwert, der nicht selten in kleinen
Detailbefunden verborgen ist. Häuser erzählen Geschichten über den Alltag ihrer
Benutzer, über ihre Gewohnheiten und
ihre soziale Stellung. Außerdem verraten
sie viel über handwerkliche Techniken
und Konventionen sowie den kulturellen
Austausch mit anderen Regionen oder
Städten. Sollen diese historischen Informationen bewahrt oder zumindest dokumentiert werden, ist es unverzichtbar, sie
zunächst zu erkennen.
Leider ist im Rahmen der Sanierungsmaßnahmen nur selten die Chance genutzt
worden, bauhistorische Untersuchungen
durchzuführen. Es ist zu befürchten, dass
dadurch wichtige Informationsträger unerkannt verloren gegangen oder – im günstigeren Fall – für die nächsten Jahrzehnte
wieder verborgen worden sind.
Licht in die Bauhistorie bringen
Bisher ist die Baugeschichte der Bürgerhäuser weitgehend unerforscht. Die wenigen Aufsätze zum Thema sind meist
älteren Datums und die dargestellten
Sachverhalte auf ältere Literatur gestützt.
Eine objektbezogene Bauforschung fand
bisher kaum statt. Ein großes identitätsstiftendes sowie touristisches Potenzial
blieb so ungenutzt.
Denkmalschutz
erschöpft sich
nicht im Bewahren einer äußeren Erscheinung.
Dies hat die Stadt Parchim erkannt und
für das sogenannte »Giebelhaus« in der
Lindenstraße 6 eine umfassende bau­
historische Untersuchung im Rahmen einer nutzungsunabhängigen denkmalpflegerischen Zielstellung in Auftrag gegeben.
Dabei konnten die Kenntnisse über das
Gebäude erweitert, bisherige Fehlinterpretationen korrigiert sowie eine Grundlage für die Überlegungen zu einer denkmalgerechten Sanierung und Nutzung
geschaffen werden. Ziel sollte es nun
sein, die Ergebnisse dieser Untersuchung
zu veröffentlichen und die Erforschung der
Bürgerhäuser künftig stärker in den Blick
zu nehmen.
// ZUR PERSON // JAKOB SCHARF
Jakob Scharf (29) ist freier Bau- und Kunsthistoriker und Chef des Büros für
Bauforschung und Kulturvermittlung »denkmalAnker« in Schwerin. Nach
einem freiwilligen Jahr in der Denkmalpflege bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten M-V studierte er in Bamberg und auf Martinique
(Frankreich) u.a. Kunstgeschichte, Bauforschung und Baugeschichte (M.A.).
Nach dem Studium arbeitete er als Bau- und Kunsthistoriker in Baden-Württem­
berg, bevor er 2015 wieder in seine Heimatstadt Schwerin zog. Besonders
am Herzen liegt Jakob Scharf die Vermittlung von Forschungsergebnissen,
»denn Denkmalschutz und Denkmalpflege sind ein öffentliches Interesse und
die Kenntnis von Werten ist die erste Voraussetzung für ihren Schutz«. Da
ist Parchim keine Ausnahme: »In der Stadt gibt es noch viel Historisches zu
entdecken, Manches muss aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden.«
94 //
Neue
Rahmenplanung
Richtschnur für die Zukunft
Die Wiederbelebung von Baulücken, mehr Grün
in der Stadt, mehr Platz für Dienstleistungen und
Kultur – der Rahmenplan 2015 nimmt künftige
Aufgaben ins Visier. Sicher ist: Auch die nächsten zehn Jahre werden spannend für Parchim.
Attraktives Stadtzentrum // In den
nächsten zehn Jahren soll Parchim noch
schöner werden. Dafür brauchen die
Planer Überblick und Augenmaß.
96 //
Altes und
Neues soll
weiterhin
harmonisch
miteinander
verflochten
werden.
Baulücken // Wer in der Altstadt
statt auf der »grünen Wiese« baut,
hat viele Vorteile. Der Lückenschluss
ist eines der wichtigsten Ziele des
nächsten Jahrzehnts.
A
lle Analysen und Diskussionen in
Verwaltung, Bürgerforen und Expertenrunden beweisen: In Parchim wurde in den letzten 25 Jahren enorm
viel geschafft. Trotzdem bleibt manches
zu tun. In den nächsten zehn Jahren soll
das Wohnen in der Altstadt noch attraktiver und die Versorgung weiter verbessert
werden. Zudem gibt es noch immer städtebauliche Probleme, Verkehrsprobleme
und ungenutzte Potentiale. So stören
seit Jahren brachliegende Baulücken und
leerstehende Gebäude das Altstadtbild.
Grund dafür ist einerseits ein Mangel an
Bauwilligen, andererseits ein Rückgang an
Dienstleistungen und Versorgungseinrichtungen. Beides ist schade. Zudem belastet
der Durchgangsverkehr in der Mühlenstraße/Fischerdamm und in der Langen Straße noch immer das Stadtzentrum.
Hauptziel: attraktives Stadtzentrum
Hauptziel in den nächsten zehn Jahren ist
es, die historisch gewachsene Altstadt
Parchims als Stadtzentrum für alle Parchimer, die Bewohner des Umlandes und
die Touristen noch attraktiver zu gestalten
und lebendig weiterzuentwickeln.
Wir wollen die Altstadt mit ihren Besonderheiten und Schönheiten lebenswert erhalten und neuen Ansprüchen anpassen.
Die Bemühungen der Kommune und aller
Akteure bei der Innenstadtentwicklung in
den kommenden zehn Jahren haben folgende wichtige Ziele:
d
ie Wiederbebauung von bestehenden Baulücken für Wohnzwecke und
Dienstleistungen mit modernen Wohnformen sowie Sonderwohnformen für
ältere und betreute Menschen
d
en Erhalt und die Stärkung der Dienstleistungen, Versorgungseinrichtungen
und der sozialen Einrichtungen
d
en weiteren Ausbau des Kultur- und
Freizeitangebotes und der Aufenthaltsqualität, insbesondere mit der Umnutzung der »Eldemühle«
m
ehr Komfort und Sicherheit für Radfahrer, Rollstuhlfahrer, Kinderwagen im
Straßenverkehr
E
rweiterung des Stellplatzangebotes
für Bewohner der Altstadt und großer
Bedarfsträger
K
omplettierung von gut befahrbaren
Wegeverbindungen und Fahrspuren für
Radfahrer
Neue Rahmenplanung // Richtschnur für die Zukunft // 97
Mehr Qualität für die Altstadt
Bei den Themen Baulücken/Leerstand,
Wohnen und Zentrumsfunktionen haben
wir folgende Schwerpunkte:
 Förderung von Wohnungsneubau und
Sanierung alter Bausubstanz zur Schaffung moderner Wohnformen sowie
Dienstleistungs- und Versorgungseinrichtungen
 verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und
Neustrukturierung bei der Vermarktung
von Baulücken für Bauinteressenten
und Investoren sowie ein zielgerichtetes Grundstücksmanagement
 Pilotprojekte, Musterlösungen und
Wettbewerbe für Lückenbebauungen
oder kultivierte Umnutzungen unbebauter Grundstücke für private Gärten
oder gemeinschaftlich genutzte Frei­
flächen und Stellplatzflächen
Außerdem wollen wir das Freizeitangebot
und die Aufenthaltsqualität in der Altstadt
erhöhen und die größten Verkehrsprobleme lösen.
Zu den geplanten Maßnahmen gehören:
 Sanierung der »Wallanlagen«
 neue Spiel- und Verweilplätze in
Baulücken sowie in den Umgestaltungsbereichen »Am Brook« und
»Eldemühle«/Schulen
 weitere grüne Uferbereiche sollen
öffentlich zugänglich gemacht werden
 Beruhigung des Durchfahrtverkehres in
der Langen Straße und Mühlenstraße/
Fischerdamm
 Schaffung zusätzlicher Besucherparkplätze vor allem im Zufahrtsbereich
Schweriner Straße
Mit einem Wort: Die nächsten zehn Jahre
werden für Parchim nicht langweilig, es
bleibt viel zu tun.
// ZUR PERSON // FRANK KIRSTEN
Der Architekt und Stadtplaner Frank Kirsten (54) wohnt und arbeitet in Schwerin. Er ist Partner in der Arbeitsgemeinschaft freier Architekten Mikolajczyk –
Kessler – Kirsten, die mit der Rahmenplanung 2015 für Parchim beauftragt
ist. In diesem Rahmenplan stehen die wichtigsten Ziele und Aufgaben der
Stadtentwicklung für die nächsten zehn Jahre. Frank Kirsten, der zunächst
Maurer lernte, dann von 1983 bis 1988 in Weimar Architektur studierte und
seit über 20 Jahren als freier Architekt arbeitet, hat ein Herz für Parchim. Er
war unter anderem Architekt der Sanierung des 400 Jahre alten Zinnhauses in
der Langen Straße 24. Für die Baulücken in der Stadt wünscht er sich »mehr
Baukultur statt Carports«.
98 //
Pläne,
Projekte, Potenziale
Was bleibt zu tun?
Heike Scharf, Leiterin des Sachgebietes
Stadtplanung, über Lichtblicke, Leuchtturm-Projekte, städtische Freiräume und
die wichtigsten Vorhaben der Zukunft.
Auf dem Brook // Solche hässlichen
Ruinen sollen aus Parchims Stadtbild
verschwinden.
3 // //
100
Gesichter einer Stadt // Parchim zwischen Vergangenheit und Zukunft
Mühlenquatier // Als Verbindung
zwischen Altstadt und Regimentsvorstadt hat das Mühlenquartier einen
besonderen Reiz. Ihn gilt es nutzen.
Pläne, Projekte, Potenziale // Was bleibt zu tun? // 101
»E
in Lichtblick für Deutschland«, so lautete das überraschende wie wohltuende
Fazit eines von Parchim begeisterten
Urlauberpaares. Es kam aus den alten
Bundesländern zum Tag der Städtebauförderung im Juni 2015 nach Parchim. Mit
dem Boot auf der Elde unterwegs, hatten
sie in unserer Stadt Halt gemacht. Durch
einen Stadtrundgang und den Besuch
der Ausstellung bekamen sie Einblicke in
Geschichte und Lebensart Parchims sowie das historische Stadtbild – und waren beeindruckt. Ja, es gibt Anlass, nach
25 Jahren Stadtentwicklung selbstbewusst und stolz auf das in der Altstadt
Geleistete zu schauen. Als Stadtplanerin
teile ich die Begeisterung vieler Parchimer
und ihrer Gäste. Im Prozess der Stadtentwicklung sehe ich eine Erfolgsgeschichte
für Parchim – die historische Altstadt ist
heute die Visitenkarte der Stadt.
Dennoch sind städtebauliche Missstände
nicht zu übersehen. Sowohl der in Überarbeitung befindliche städtebauliche Rahmenplan »Altstadt« als auch das »Integrierte Stadtentwicklungskonzept« (ISEK
2015) zeigen, dass Stadtentwicklung eine
Daueraufgabe für Stadtvertretung, Verwaltung und alle anderen Akteure ist – und
zwar über jegliche Förderzeiträume hinaus.
Die vielen für die Zukunft geplanten Maßnahmen lassen natürlich auch Fragen zu
Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit aufkommen, die wir beantworten müssen.
Wegen der exponierten Lage in landschaftlich reizvoller Umgebung ist »Auf
dem Brook« ein Schlüsselprojekt für attraktives, zeitgemäßes Wohnen in der
historischen Altstadt. Damit stellt das
Quartier die Stadt vor die Aufgabe, für die
nachhaltige Entwicklung des Standortes
und zur Deckung des Wohnbedarfs in der
Innenstadt zu planen und diese Pläne zeitnah umzusetzen.
In einer Informationsveranstaltung wurden
die Bewohner 2011 aufgerufen, gemeinsam die enormen, ständig steigenden
Herausforderungen an eine nachhaltige
Stadtentwicklung anzunehmen.
»LeuchtturmProjekte«
polieren das
Image der
Altstadt auf
und strahlen
auf andere
Vorhaben ab.
Die sich anschließende öffentliche Entwurfswerkstatt sollte Anregungen zur
Umgestaltung des Gebietes geben. Sie
hat sich als erfolgreiches Instrument einer
neuen Beteiligungs- und Planungskultur
mit vielfältigen Dialogen und Diskussionen erwiesen.
Alle waren sich einig: Die planerische
Leitidee »Neues Wohnen am Wasser« in
»grüner Umgebung« steht für Offenheit
und Lebensqualität, die geplante und im
Gebiet integrierte Bürgerbegegnungsstätte für einen Ort der Identifikation.
Trotzdem gibt es »Leuchtturm-Projekte«,
die nicht nur das Image der Altstadt aufpolieren, sondern auch auf andere Vorhaben abstrahlen können. Einige solcher
Projekte möchte ich Ihnen hier vorstellen.
In der Entwurfswerkstatt wurde überraschend der Vorschlag gemacht, die
Maschinenhalle der ehemaligen Hoffmann‘schen Zichorienfabrik als Ort der Begegnung zu nutzen. Die Maschinenhalle
steht für den Beginn der Industrialisierung
in Parchim und ist – trotz erfolgter Eingriffe – in ihrer Grundsubstanz von 1922
erhalten. Sie bietet sich für die vorgesehene quartierverträgliche Umnutzung an.
Quartierentwicklung »Auf dem Brook«
Das an der Elde gelegene Quartier »Auf
dem Brook« gehört bis heute zu den
städtebaulich ungeordneten Bereichen
im Sanierungsgebiet »Altstadt«. Hier gibt
es große städtebauliche und funktionale
Missstände sowie gestalterische Defizite.
Die Ideen müssen nun, baulich und gestalterisch anspruchsvoll und der günstigen
Lage entsprechend, umgesetzt werden.
Im Maßnahmenprogramm des ISEK 2015
steht das Projekt Begegnungsstätte »Auf
dem Brook« auf der Prioritätenliste für eine
EU-Förderung in den nächsten Jahren.
Auf dem Brook // Auch wenn
manches zu tun bleibt, punktet das
Quartier an der Elde mit einmaliger
Lage und speziellem Flair.
102 //
Auch in den
kommenden
Jahren wird
die Sanierung
der Altstadt ein
Schwerpunkt der
Stadtentwicklungsplanung
bleiben.
Historische Wallanlage // Neue
Wege, Treppen und Bepflanzungen
sollen die Wallanlagen noch schöner
machen.
Ein weiterer Schwerpunkt war 2013 die
energetische Quartiersentwicklung »Auf
dem Brook« als Pilotprojekt und Impulsgeber für die Neuorientierung im Gebiet.
Die Stadt Parchim bediente sich hier des
KfW-Förderprogrammes 432, um Maßnahmen der energetischen Stadterneuerung mit Blick auf den Altbestand und
realistische wirtschaftliche Umsetzung zu
formulieren.
Das bereits eingeleitete Bauleitplanverfahren Nr. 40.1 »Auf dem Brook« wird für
alle genannten planerischen Prämissen
die planungsrechtlichen Voraussetzungen
schaffen und die eingeforderte städtebauliche Qualität der Bebauung umfassend
sichern – eine ebenso anspruchsvolle wie
verantwortungsvolle Aufgabe.
Umstrukturierung des Mühlenquartiers
Kornmühle, Wassermühle, Papierfabrik,
Tuchfabrik – all diese Gebäude zeugten
von der wirtschaftlichen Bedeutung der
Stadt Parchim am Wasser. Übrig geblieben ist neben dem Turbinenhaus der
inzwischen
abgerissenen
Tuchfabrik
die 1880 erbaute, noch bis 2008 als Getreide verarbeitender Betrieb genutzte
Wassermühle. Dieses zum Teil denkmalgeschützte, mehrgeschossige, städtebaulich markante Gebäudeensemble am
Fischerdamm steht seitdem leer. Einig ist
man sich über seine Bedeutung für das
unverwechselbare Gesicht der Stadt in direkter Nachbarschaft zur Altstadt. Anlass
genug, es als eine weitere Maßnahme in
das ambitionierte Maßnahmenprogramm
des ISEK 2015 für die nächsten Jahre aufzunehmen.
Neben einer erforderlichen Machbarkeitsstudie, die sich mit der Nutzung der baulichen Hülle beschäftigen soll, ist ein städtebauliches Konzept zur funktionellen und
gestalterischen Einbindung des Mühlenquartiers – aufgrund seiner bevorzugten
Lage zwischen der Altstadt und der Regimentsvorstadt – erforderlich. Im Fokus
der Überlegungen steht derzeit die Nachnutzung als Theaterstandort für das Mecklenburgische Landestheater Par­
chim.
Aus Sicht der Stadt ist darüber hinaus
eine Nutzung von weiteren Teilflächen der
geplanten »Kulturmühle« für das konzeptionell neu auszurichtende Stadtmuseum
vorgesehen.
Kirchenumfeld
Die Silhouette Parchims wird wesentlich
durch die gewaltigen roten Backsteintürme der beiden Stadtkirchen bestimmt.
St. Marien im westlichen und St. Georgen
im östlichen Teil der Altstadt prägen mit
dem historischen Rathaus das Gesicht der
Stadt an der Route der Backsteingotik.
Pläne, Projekte, Potenziale // Was bleibt zu tun? // 103
Sie bestimmen neben den zahlreichen,
historisch wertvollen Fachwerkhäusern
wesentlich die Atmosphäre der Parchimer
Innenstadt.
Die sie umgebenden städtischen Freiräume lassen bisher eine adäquate Gestaltung und die gewünschte Aufenthaltsqualität vermissen. Dies zu ändern, ist ein
wichtiges Anliegen des Rahmenplanes
und des ISEK 2015: Zwischen den Eldearmen vom Brook über die Innenstadtbereiche einschließlich des Kirchenumfeldes
bis zum Mühlenquartier am südlichen Altstadtrand soll ein zusammenhängendes
Freiraumsystem entstehen.
Historische Wallanlagen
In diesen Kontext reihen sich auch die
denkmalgeschützten Wallanlagen ein.
Sie nehmen eine Fläche von ca. fünf Hektar im östlichen Teil der Altstadt ein. Die
denkmalgerechte Sanierung der Wallanlagen bildet das Impulsprojekt aus dem
Maßnahmenpaket des ISEK 2015 für die
laufende Antragstellung im Rahmen der
EU-Förderung. Auf Basis der 2013 erarbeiteten denkmalpflegerischen Zielstellung
wurde ein Konzept erarbeitet, wie der his­
torisch nachweisbare Zustand annähernd
wiederhergestellt werden soll. Das betrifft
topografische und vegetative Strukturen
wie auch die Erschließung und Wegefüh-
rungen einschließlich der erforderlichen
Rampen- und Treppenanlagen.
Das Zentrum der Parchimer Wallanlagen
wird auch künftig durch ruhige, parkartig gestaltete Räume geprägt sein, die
durch funktionelle Ausstattungselemente
inklusive Beleuchtung und Orientierungs­
system ergänzt werden. Geschädigte
oder alte Bäumen werden gefällt und
durch Neupflanzungen ersetzt. Damit wird
auch der Überalterung und der einhergehenden Einschichtigkeit ganzer Areale
vorgebeugt. Die Aufgabe ist kompliziert,
da auch die historische Entwässerungsanlage auf den neuesten technischen Stand
gebracht werden muss.
Die Beispiele verdeutlichen, dass auch in
den kommenden Jahren die Sanierung der
Altstadt ein Schwerpunkt der Stadtentwicklungsplanung bleiben wird. Diese
setzt bewusst auf das Engagement, die
Kreativität und die Kooperationsgemeinschaft der in Parchim lebenden und arbeitenden Menschen.
// ZUR PERSON // HEIKE SCHARF
Heike Scharf (58) ist Leiterin des Sachgebietes Stadtplanung. Die studierte
Stadtplanerin kam 1982 als Absolventin der Hochschule für Architektur und
Bauwesen Weimar nach Schwerin. Als Mitarbeiterin im Büro für Städtebau
beim Rat des Bezirkes Schwerin und später für die Stadt & Dorf Planungsgesellschaft mbH erstellte sie viele Bauleitpläne und war am Rahmenplan
zur Umgestaltung des Weststadt in Parchim maßgeblich beteiligt. Auch die
Altstadt und die Regimentsvorstadt sind ihr aus dieser Zeit sehr vertraut. Seit
2008 arbeitet Heike Scharf in und für die Stadt Parchim, deren »Altstadtatmosphäre mit den gewachsenen Strukturen, den vielen Fachwerkgebäuden,
dem Grün und der Nähe zum Wasser« sie bis heute fasziniert.
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