44 45 Diät Diät Popularität Alles schon dagewesen Low-Carb-Diäten gab es schon im 19. Jahrhundert, ­K alorien zählt man seit den 1920er Jahren. Die Geschichte der Schlankheitskur ist die Geschichte von Wiederholungen. Die Geschichte der Diäten beginnt schon bei den alten Griechen, wahrscheinlich noch früher. Unter einer Diät verstand man lange Zeit eine Ernährungsregel, die einem gesunden Leben förderlich ist. Erst seit dem 19. Jahrhundert wird das Wort auch als Synonym für eine Schlankheitskur verwendet. In dieser Zeitleiste finden sich sowohl Diäten, die ausschliesslich der Gewichtsreduktion dienen, als auch solche, bei denen die Gesundheit oder die Weltanschauung im Zentrum stehen. Viele Diäten versprechen Gesundheit und weniger Gewicht. Unsere Nahrung besteht zu einem grossen Teil aus drei Komponenten: Eiweiss, Fett und Kohlenhydrate. Eiweiss wird in erster Linie als Baustoff verwendet, Fett liefert Energie und Verbindungen, die der Körper selber nicht herstellen kann, Kohlenhydrate (Stärke, Zucker) sind der Brennstoff für den Betrieb von Muskeln und Organen. Der Energieinhalt der Nahrung wird in Kalorien gemessen. Der beste Energiespeicher ist Fett mit 9 Kilokalorien (umgangssprachlich auch einfach Kalorien) pro Gramm; Eiweiss und Kohlenhydrate enthalten 4 Kilokalorien pro Gramm. Eine ausgewogene Ernährung besteht laut offiziellen Empfehlungen aus etwa 50 Prozent Kohlenhydraten, 30 Prozent Fett und 20 Prozent Eiweiss. Diese Aufteilung wurde immer wieder angezweifelt. In den letzten Jahren vor allem wegen ihres hohen Anteils an Kohlenhydraten. 1860 1910 1960 1897 MAKROBIOTIK Schule der ­g esunden ­L ebensführung aus Japan mit ­individuellen ­E rnährungsregeln: Vollkorn, Hülsen­ früchte, Obst, wenig ­t ierische ­P rodukte und kein Zucker. Kam später unter ­s innsuchenden ­P rominenten von John Lennon bis Madonna in Mode. K ALORIENREDUZIERTE DIÄT Weniger Essen, als der Körper braucht. Ausgewogene Anteile von Protein, Fett und Kohlenhydraten. LOW-CARB-DIÄT Kohlenhydratanteil tief halten. Führt von selbst dazu, dass man weniger Kalorien zu sich nimmt. ANDERES PRINZIP Weltanschaulich geprägte Regeln, wissenschaftlich fragwürdige Diäten oder Kuriosa. Popularitätskurven gemäss Worthäufigkeit in Google Ngram (englische Begriffe in englischem Korpus). 2010 1912 F.-X.-MAYR-KUR Der österreichische Kurarzt Franz Xaver Mayr veröffentlicht seine «Studien über Darmträgheit». Seine eintönige Kur aus Tee-Wasser-Fasten und Milch mit Brötchen hat Bundeskanzler Helmut Kohl jeweils vor Ostern gemacht. 1864 BANTING-DIÄT Der übergewichtige ­e nglische ­B estatter William Banting v­ eröffentlicht den «Letter on ­C orpulence». Darin beschreibt er die von seinem Arzt empfohlene ­k ohlenhydratarme Diät gegen Diabetes und wurde damit zum Vater aller Low-Carb-Diäten. 1860 1870 1880 Ein Mensch nimmt zu oder ab, wenn er durch seine Nahrung mehr oder weniger Energie aufnimmt, als er verbraucht. Dann wandelt er den Überschuss an Eiweiss, Fett oder Kohlenhydraten in Fett um, oder er baut Körperfett und Muskelmasse ab, um an Brennstoff für den Betrieb des Körpers zu kommen. Es gibt zwei Formen gängiger Diäten. Bei der sogenannten kalorienreduzierten Diät nimmt man übliche Mengen an Eiweiss, Fett und Kohlenhydraten zu sich, reduziert aber die Zahl der Gesamtkalorien unter den Verbrauch. Oft wird bei solchen Diäten auch Diäten, die auf vermeintlich anderen, wissenschaftlich oft unhaltbaren Prinzipien beruhen, lassen sich immer darauf zurückführen, dass weniger Energie zugeführt als benötigt wird. Reto U. Schneider FOLIO 4 / 2014 1928 SCHLANK DURCH RAUCHEN Lucky Strike lanciert den Slogan «Reach for a Lucky instead of a Sweet». 1967 LUTZ-DIÄT Fettreiche und ­k ohlenhydratreduzierte Diät des österreichischen Arztes Wolfgang Lutz. Kohlenhydrate seien schädlich, weil der Mensch als Jäger und Sammler überwiegend Fleisch verzehrt habe. Vorläufer der Steinzeitdiät (1975). 1918 K ALORIEN ZÄHLEN Die amerikanische Ärztin Lulu Hunt Peters macht das Kalorienzählen populär. Das Konzept ist so neu, dass sie in ihrem Buch «Diet and Health» erklärt, wie man das Wort «Kalorie» ausspricht. 1890 1900 1910 1920 der Anteil des Fetts hinuntergeschraubt, weil es als energiedichter Stoff viele Kalorien beisteuert und negative Folgen für Herz und Kreislauf haben soll, was aber heute umstritten ist. Bei der zweiten Form muss man nicht Kalorien zählen, sondern möglichst wenig Kohlenhydrate zu sich nehmen. Diese sogenannten Low-Carb-Diäten waren wegen ihres hohen Fett- und Eiweissanteils lange Zeit verpönt, erleben aber seit Mitte der 1990er Jahren eine Renaissance. Durch die stark eingeschränkte Nahrungsauswahl und die bessere Sättigungseigenschaft von Eiweiss kommt es bei einer Low-CarbDiät ganz von selbst zu einer Reduktion der Kalorien. Studien zeigen, dass LowCarb-Diäten für die meisten Menschen gesundheitlich nicht bedenklicher sind als andere. 1969 BRIGITTE-DIÄT Die deutsche ­F rauenzeitschrift ­v eröffentlicht einen ­E rnährungsplan mit limitierter Fett- und ­Z uckeraufnahme. Entspricht ­o ffiziellen Empfehlungen. 19301940195019601970 1937 DIÄT-BONBON «AYDS» 3 Ein Appetitzügler als B ­ onbon. Verkaufte sich gut, bis in den 1980er Jahren die ­Immunschwächekrankheit Aids auftauchte. Die p ­ honetische Verwandtschaft liess Ayds vom Markt verschwinden. 1911 1874 VEGETARISCHE KOST Das erste vegetarische Kochbuch «The Hygeian Home Cookbook» von Russell Thacher Trall erscheint. Popularität 1860 1910 1960 2010 TRENNKOST Der amerikanische Arzt William Howard Hay verbot nicht bestimmte Speisen, sondern gewisse Kombinationen. Obwohl wissenschaftlich unbewiesen, lebte die Trennkost unter neuen Namen immer wieder auf. 1963 Popularität Popularität 1860 1910 1960 1927 1860 1910 1960 2010 2010 HOLLY WOOD-DIÄT Auch als 18-Tage-Diät bekannt. Schauspielerinnen sollen diese Hungerdiät gemacht haben. Kleine Portionen, wenig Kohlenhydrate. So verbreitet, dass Lebensmittelläden über Absatzprobleme bei den Grundnahrungsmitteln klagten. Erlebte in den 1960er Jahren als Grapefruitdiät eine Renaissance. FOLIO 4 / 2014 WEIGHT WATCHERS Die 40jährige übergewichtige ­H ausfrau Jean Nidetch macht Diät und gründet eine Selbsthilfegruppe und später «Weight Watchers». Die Gruppentreffen, bei denen früher jeder Teilnehmer öffentlich gewogen wurde, sind das Markenzeichen des von Experten positiv beurteilten Programms. Popularität 1860 1910 1960 2010 46 47 Diät Diät Popularität 2010 1860 1977 1975 MITTELMEERDIÄT Die amerikanischen Forscher Ancel und Margaret Keys publizieren «How to eat well and stay well the Mediterranean way». Ihr Ländervergleich zeigte, dass Menschen in Italien und auf griechischen Inseln kaum an Herzkrankheiten litten. Wurde in den 1990er Jahren auch unter Kreta-Diät bekannt. 1860 1910 1960 2010 1987 Popularität SLIM FAST Mit Slim Fast kamen Diätshakes in Mode: Pulver, die man mit Milch anrührt, ersetzen eine Mahlzeit. Das Konzept ist so erfolgreich, dass Unilever im Jahr 2000 2,3 Milliarden Dollar für Slim Fast bezahlte. 1910 BABY-FOOD-DIÄT Die Prominentenfitnesstrainerin Tracy Anderson hatte die bizarre Idee für diese Diät: 14 Portionen Babynahrung und ein normales Abendessen. Jennifer Aniston soll es versucht haben. 1960 VEGAN Das Buch «Diet for a New America» von John Robins steht am Anfang einer neuen Veganerbewegung in den USA. Nicht nur Fleisch, sondern auch alle anderen tierischen Produkte sind verboten. Grosse Resonanz bei Prominenten wie Bill Clinton, der sich allerdings mittlerweile nur noch als «Teilzeitveganer» bezeichnet. 2010 1978 SCARSDALE-DIÄT Nach der US-Stadt Scarsdale benannte Low-Carb-Hungerdiät mit weniger als 1000 Kalorien pro Tag. Die Verkäufe von «The Complete Scarsdale Medical Diet» stiegen sprunghaft an, als der Autor Hermann Tarnower 1980 von seiner Geliebten erschossen wurde. 1995 SEARS- ODER ZONE-DIÄT Laut dem Biochemiker Barry Sears soll ein Nahrungsanteil von 30 Prozent Fett und je 40 Prozent Kohlenhydraten und Eiweiss zu einem Hormongleichgewicht («the zone») führen, was eine Gewichtsreduktion und grössere Leistungsfähigkeit bewirkt. 2003 1981 Popularität BEVERLY-HILLS-DIÄT Trennkost (1911) in neuem Gewand. Mit vielen tropischen Früchten, deren Enzyme angeblich die Fettverbrennung fördern. 1860 1970 1910 1960 2010 SOUTH-BEACH-DIÄT Mit über 20 Millionen verkauften Büchern eine der kommerziell erfolgreichsten Diäten jüngerer Zeit. Die modifizierte Atkins-Diät (1972) hat der amerikanische Kardiologe Arthur Agatston ursprünglich für seine Patienten entwickelt. 1980199020002010 1996 1985 FIT-FOR-LIFE-DIÄT Noch eine Trennkostvariante (1911). Jetzt soll der Mensch ein «Früchtefresser» sein. Hauptsächlich Rohkost, dazu etwas Getreide und Fleisch. Wirres Gedankengebäude. Popularität 1860 1910 1960 2010 1991 1972 ATKINS-DIÄT «Dr. Atkins’ Diet Revolution» erscheint und wird mit über 15 Millionen verkauften Exemplaren zu einem der erfolgreichsten Diätbücher aller Zeiten. Die Regeln sind einfach: Keine Kohlenhydrate (Zucker, Brot, Teigwaren, Reis usw.), von allem anderen so viel, wie man mag. Die bekannteste aller Low-Carb-Diäten kommt Ende der 1990er Jahre richtig in Schwung. 1978 DUK AN-DIÄT Der französische Arzt Pierre Dukan publiziert «Maigrir: L’arme absolue». Ihren Siegeszug tritt die Diät dreissig Jahre später an. Die komplizierte Low-Carb-Diät gehört laut der Britischen Gesellschaft für Ernährung zu den schlimmsten Diäten. Pierre Dukan hat 2014 seine Zulassung als Arzt verloren. DIET-TO-GO Der amerikanische Diätkurier bringt die ausgewählten Menus direkt nach Hause, oder man holt sie im Fitnessclub ab. Zur Auswahl stehen Low-Fat, Low-Carb und vegetarisch. 1987 1975 STEINZEIT- ODER PALEO-DIÄT In «Die Steinzeitdiät» schreibt der Arzt Walter L. Voegtlin, der menschliche Körper sei nicht für die Produkte der Landwirtschaft geschaffen. Eine Low-Carb-Diät mit viel Fleisch ohne Milchprodukte. Typische Männerdiät, die 30 Jahre später in Mode kommt. FOLIO 4 / 2014 MONTIGNAC-METHODE Der Franzose Michel Montignac publiziert «Je mange donc je maigris». Er teilt Kohlenhydrate nach dem sogenannten glykämischen Index in «gute» und «schlechte» ein. Schlechte wie Zucker und Weissbrot treiben den Insulinspiegel hoch, bei guten wie Hülsenfrüchten bleibt er niedrig. BLUTGRUPPENDIÄT Erfindung des amerikanischen Naturheilpraktikers Peter J. D’Adamo. Empfehlungen abhängig von der Blutgruppe. Wissenschaftlich unhaltbar. Zählt im Expertenurteil zu den unvernünftigsten Diäten. 2006 SCHLANK IM SCHLAF Beim Diätplan des deutschen Arztes Detlef Pape wird versucht, den Insulinspiegel, der die Einlagerung von Fett erlaubt, niedrig zu halten. Am Morgen Kohlenhydrate, mittags Mischkost, am Abend eiweissreich. 1997 EDIETS.COM Eine der ersten OnlineDiät-Sites. Gegen eine Abonnementsgebühr erhält man persönliche Menuund Fitnesspläne und kann sich mit Gleichgesinnten ­u nterhalten. Einer der Chatrooms ist für Männer reserviert. 2012 5:2-DIÄT Die 5:2-Diät entstand aus einem BBC-Dokumentarfilm des Arztes und Fernsehmoderators Michael Mosley. Mosley kam durch periodisches Fasten zum Schluss, dass 5 Tage normal essen und 2 Tage fasten zu ­R eduktion des Gewichts und besserer ­G esundheit führten. 2002 METABOLIC-BALANCE Auf Low-Carb basierendes «Stoffwechselprogramm» des deutschen Arztes Wolf Funfack. Undurchsichtige Empfehlungen aufgrund eines Bluttests. Wird im Franchising-System von Beratern (oft ohne medizinische Vorkenntnisse) vertrieben. Quellen: «Diets and Dieting: A Cultural Encyclopedia», Sander L. Gilman, 2008; «Calories & Corsets: A histor y of dieting over 2000 years», Louise Foxcroft, 2011; «Die verrückte Geschichte der Diät. Schlankheitswahn und Schönheitskult», Anja Doster t, 2013; Wikipedia. FOLIO 4 / 2014