Die Entwicklung von Moral und Regelverständnis

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„Die Entwicklung von Moral und Regelverständnis“
Prof. Dr. Malte Mienert, European New University Kerkrade, [email protected], www.mamie.de
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Arbeitsliste
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Welche Normen, Regeln und Werte gelten für mich absolut?
• Was sind Normen? Welche gelten für mich?
• Was sind Regeln? Welche gelten für mich?
• Was sind Werte? Welche gelten für mich?
• Bitte kurz mit Nachbarin/Nachbarn diskutieren und Notizen machen!
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„Die Entwicklung von Moral und Regelverständnis“
• Welche Beitrag leisten Philosophie und Psychologie zur Beschreibung
moralischer Entwicklung?
• Welche Normen und Regeln werden in der moralischen Entwicklung
unterschieden?
• Wie werden Normen und Regeln vermittelt?
• Wie entwickelt sich das Regelverständnis des Kindes aus der Sicht Jean
Piagets?
• Welche Stufenkonzeption moralischen Urteils hat Lawrence Kohlberg
vorgeschlagen? Wie hat er die Stufen beschrieben?
• Welche Erweiterungen hat die Theorie Kohlbergs erfahren?
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Verschiedene Arten von Normen
und Regeln
• Soziale Normen: für bzw. in einer Gruppe
bzw. Gesellschaft verbindliche
Verhaltensstandards und Erwartungen
• Konventionen: soziale Verhaltensregeln
oder Gewohnheiten, die sich im Laufe der
Zeit für eine bestimme Gruppe gebildet
haben
– allen Gruppenmitgliedern bekannt
– nicht zwingend explizit formuliert
– weniger verbindliche
„Selbstverständlichkeiten“
• Moralische Regeln: grundlegende
Prinzipien von Gerechtigkeit und Fairness
• Persönliche Regeln: selbstgesetzte
Verhaltensstandards, individuelle
Vereinbarungen geringerer
Generalisierbarkeit
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Indikatoren von Moral
moralisches
Wissen
moralisches
Urteilen
moralisches
Verhalten
moralische
Gefühle
persönliche Moral
beachte:
• Wissen über geltende Normen garantiert nicht deren Anerkennung
• Urteile über das, was moralisch geboten ist, bedeuten keine persönliche
Handlungsanweisungen
• normentsprechendes bzw. normabweichendes Verhalten kann auch auf
davon abweichenden moralischen Vorstellungen basieren
• moralische Gefühle müssen nicht „echt“ sein
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Die Internalisierung moralischer Normen
„Mit Internalisierung ist gemeint, dass eine Person vorgegebene Normen
als ihre eigenen verpflichtenden Normen akzeptiert“ (Montada, 2002, S. 623)
• Klassisches Konditionieren
– positive Gefühle mit intrinsisch motivierendem
Charakter als konditionierte Reaktion auf
normentsprechendes Verhalten
• Operante Konditionierung
– Mechanismen positiver und negativer Verstärkung
nach normgerechtem Verhalten
– Bestrafung normabweichenden Verhaltens
• Normvermittlung durch Identifikation und Beobachtung
• Wirkung von Modellen
• Normvermittlung durch familiäre Sozialisation
• Normvermittlung durch Peergroups
• angeborene Regeln (Inzesttabu, Tötungshemmung)
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Heteronomie und Autonomie: Regelverständnis nach Piaget (1932) I
Heteronome („externe“) Moral (ca. 5. bis 10. Lebensjahr):
• Regeln werden als fremdbestimmt erlebt
• Regeln wurden von höheren Autoritäten (zumeist Erwachsenen)
erlassen
• sie dürfen nicht angezweifelt werden
• Regeln sind exakt einzuhalten
• regelkonformes Verhalten ist „gutes“ Verhalten
• Erwachsene dürfen auf widerspruchslose Einhaltung von Regeln
bestehen
• Regeln sind für alle gleich verbindlich
• Regeln werden von allen Menschen gleich interpretiert
• Lügen haben den Charakter von Wünschen
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Heteronomie und Autonomie: Regelverständnis nach Piaget (1932) II
Autonome Moral („moral. Reziprozität“) (ab dem 10. Lebensjahr):
• einhergehend mit dem Ende konkreter Operationen
• Regeln sind wechselseitige Übereinkünfte
• Regeln können durch Absprachen geändert werden
• Regelverletzungen sind je nach Konvention unterschiedlich zu
bewerten
• Absicht ist bedeutungsvoller als angerichteter Schaden
• Chance zur Wiedergutmachung bei Regelverletzungen sollte gegeben
werden
• Erwachsene sind kritisierbar
• Lügen sind wissentliche Täuschungen
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Die Entwicklung des Regelverständnisses
Ein kleiner Junge namens Hans war in
seinem Zimmer. Man rief ihn zum Essen.
Er ging ins Speisezimmer. Aber hinter der
Tür stand ein Stuhl. Auf dem Stuhl stand
ein Tablett mit fünfzehn Tassen. Hans
konnte nicht wissen, dass all dies hinter
der Tür war. Er trat ein - bumms - die
fünfzehn Tassen waren zerbrochen.
Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß
Heinz. Eines Tages war seine Mama nicht
da, und er wollte Marmelade aus dem
Schrank nehmen. Er stieg auf einen Stuhl
und streckte den Arm aus. Aber er konnte
nicht drankommen. Als er es doch
versuchte, stieß er an eine Tasse. Die
Tasse ist heruntergefallen und zerbrach.
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Kritische Würdigung Piagets Vorstellungen vom Regelverständnis
Regelverständnis und -beurteilung schon
Untersuchung Adelson et al. (1969)
bei Kindern situationsabhängig
• Heranwachsende von 11 bis 18
• „1000 Menschen auf einer
Autorität von Erwachsenen wird von
unbewohnten Insel“
Kindern früher angezweifelt
– Gründung einer neuen
Moralisches Urteil ↔ moralisches Handeln
Gesellschaft,
Regelverletzungen werden nicht
– neue Gesetze,
ausschließlich nach den Konsequenzen der
– Bildung einer Regierung
Handlung beurteilt, Absichten werden von • 11- bis 13-Jährige: Gesetze mit
Kindern z.T. erkannt
konkreten Beispielen, Ziel war die
Verurteilung und Verhinderung
Altersangaben bei Piaget nur Richtlinien
antisozialen Verhaltens Einzelner
– Spielregeln werden schon von 8• 15- bis 18-Jährige: Gesetze mit
Jährigen als veränderbar angesehen
abstrakten Funktionen (Schutz
von Sicherheit und Freiheit), aber
– Strafgesetzreformen erscheinen selbst
nur 1/3 sah Gesetze bei
15- bis 18-Jährigen eher undenkbar
Schwächen als modifizierbar an
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„Das Heinz-Dilemma“ (nach Kohlberg & Elfenbein, 1975, S. 621)
• In einem europäischen Staat stand eine Frau kurz
vor ihrem Tod durch eine seltene Krebsart. Es
gab ein Medikament, das ein Chemiker vor
kurzem erfunden hatte und das sie heilen könnte.
• Der Chemiker verkaufte das Medikament für 100
000 DM; das entsprach dem 10fachen
Herstellungspreis. Heinz, der Ehemann der
krebskranken Frau, konnte trotz aller
Bemühungen nur 50 000 DM zusammenbringen.
Er erzählte dem Chemiker vom bevorstehenden
Tod seiner Frau und bat ihn, im das Medikament
billiger zu verkaufen oder ihn den Rest später
bezahlen zu lassen. Der Chemiker lehnte das ab.
• Heinz brach daraufhin bei dem Chemiker ein und
stahl das Medikament, um seine Frau zu retten.
• Hätte Heinz das
Medikament stehlen
sollen?
• Warum hätte er es stehlen
sollen?
• Warum nicht?
• Hätte er es stehlen sollen,
auch wenn er seine Frau
nicht liebt?
• Wäre es genauso
gerechtfertigt, das
Medikament für einen
Fremden zu stehlen?
• Für ein geliebtes Haustier?
• Soll ein Richter ihn nach
einer Festnahme
verurteilen?
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Die Entwicklung des moralischen Urteils nach L. Kohlberg (1927-1987)
• Niveau I: Präkonventionelle Moral
– Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam
– Stufe 2: Naiver instrumenteller Hedonismus
• Niveau II: Konventionelle Moral
– Stufe 3: Orientierung am „guten Jungen“ bzw. „guten
Mädchen“
– Stufe 4: Orientierung an der Aufrechterhaltung der
sozialen Ordnung
• Niveau III: Postkonventionelle Moral
– Stufe 5: Orientierung am sozialen Vertrag
– Stufe 6: Orientierung an den Grundsätzen des eigenen
Gewissens und universellen ethischen Grundsätzen
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Das Heinz-Dilemma in präkonventioneller Beurteilung
Stufe 1: Orientierung an Strafe und Gehorsam
• Absichten werden nicht berücksichtigt
• Entscheidungsalternativen werden kaum
erkannt
• im Urteil wird an Autoritäten orientiert
• Ziel des Handelns ist die Vermeidung von
Bestrafung
Stufe 2: Naiver instrumenteller Hedonismus
• gut ist, was den eigenen Bedürfnissen
entgegenkommt, schlecht ist, was den eigenen
Bedürfnissen widerspricht
• Ausgleich kann durch Tauschhandel
hergestellt werden
• Reziprozität besteht aus Vergeltung
• „Heinz sollte das Medikament nicht
stehlen, er sollte es kaufen. Wenn er
stiehlt, dann kommt er ins Gefängnis
und müsste das Medikament doch
zurückgeben.“
• „Wenn man seine Frau sterben lässt,
ist das schlimm und wird bestraft.“
• „Heinz kann tun, was er will, und der
Chemiker kann tun, was er will.“
• „Dass Heinz sein Leben riskiert, ist
seine Frau nicht wert.“
• „Heinz soll das Medikament stehlen,
sich aber nicht erwischen lassen.“
• „Wenn seine Frau stirbt, muss er für
die Beerdigung zahlen, das ist auch
teuer.“
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Das Heinz-Dilemma in konventioneller Beurteilung
Stufe 3: Orientierung am „guten Jungen“
bzw. am „guten Mädchen“
• der Blickwinkeln anderer Personen wird
berücksichtigt
• Ziel des Urteils ist die Aufrechterhaltung der
unmittelbaren sozialen Normen (der Familie
und Freunde)
Stufe 4: Orientierung an der
Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung
• der Blickwinkel wird auf die gesamte
Gesellschaft erweitert
• Ziel des Urteils ist die Aufrechterhaltung der
mittelbaren sozialen Normen und staatlichen
Ordnung
• Verstöße Einzelner gegen die soziale
Ordnung dürfen nicht geduldet werden
• „Niemand hält es für schlecht, wenn
man das Medikament stiehlt, aber man
bekommt Ärger mit den Freunden und
der Familie, wenn man seine Frau
sterben lässt.“
• „Liebe hat keinen Preis. Auch das
Leben hat keinen Preis.“
• „Man wird als Dieb angesehen und
kann niemandem mehr in die Augen
sehen.“
• „Heinz hat die Pflicht, das Leben seiner
Frau zu schützen.“
• „Stehlen ist verboten, und es liegt nicht
in den Händen von Heinz, die Gesetze
zu ändern.“
• „Wenn das jeder machen würde...“
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Das Heinz-Dilemma in postkonventioneller Beurteilung
Stufe 5: Orientierung am sozialen Vertrag
• „Gesetze gegen das Stehlen wurden
nicht erlassen, Menschenleben zu
• Normen, Regeln und Gesetze werden als
gefährden.“
soziale Übereinkünfte erkannt, die
Kompromisse darstellen und nicht unfehlbar • „Stehlen ist zwar gesetzeswidrig, aber
sind und geändert werden können
ein solches Gesetz müsste geändert
werden, wenn durch seine Vorschriften
• Grundlegende Menschenrechte und Menschenleben bedroht werden.“
bedürfnisse sind unveränderbar und stehen
über dem Gesetz
Stufe 6: Orientierung an
Gewissensgrundsätzen und universellen
ethischen Grundsätzen
• Steuerungsinstanz ist das eigene Gewissen,
das ethischen Prinzipien folgt, die für alle
Menschen verbindlich sind
• „Respekt vor Eigentum kann man nicht
höher bewerten als Respekt vor dem
Leben. Respekt vor dem Leben ist ein
absoluter Wert.“
• „Der Wert des menschlichen Lebens
steht höher als der Wert des Eigentums,
d.h. Eigentum kann ja gar keinen Wert
bekommen, bevor das menschliche
Leben berücksichtigt ist.“
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Die längsschnittliche Entwicklung des moralischen Urteils
(Colby, Kohlberg, Gibbs & Liebermann, 1983)
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Das Bildungs- und Erziehungsziel "Kindeswohl"
• „Kindeswohl ist in dem Maß gegeben, in dem das Kind
einen Lebensraum zur Verfügung gestellt bekommt, in
dem es die körperlichen, gefühlsmäßigen, geistigen,
personalen, sozialen, praktischen und sonstigen
Eigenschaften, Fähigkeiten und Beziehungen entwickeln
kann, die es zunehmend stärker befähigen, für das eigene
Wohlergehen im Einklang mit den Rechtsnormen und
der Realität sorgen zu können.“
• (Rathsmann-Spansel & Spansel)
• Kindeswohl = Lebenswohl
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Education October 20, 2012
Prof.
Dr. Malte Mienert, European New University Kerkrade, [email protected], www.mamie.de
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Zum Weiterlesen:
Mienert, M. & Vorholz, H. (2007). Gespräche mit Eltern –
Entwicklungs-, Konflikt- und Informationsgespräche.
Troisdorf: Bildungsverlag eins.
ISBN-13: 978-3427500865
Mienert, M. & Pitcher, S. (2011). Pädagogische Psychologie.
Theorie und Praxis des Lebenslangen Lernens. Wiesbaden:
VS Verlag.
ISBN-13: 978-3531169453
Mienert, M. & Vorholz, H. (2009). Kleine Kinder – große Schritte.
Grundlagen der pädagogischen Arbeit mit Krippenkindern.
Troisdorf: Bildungsverlag eins.
ISBN-13: 978-3427503927
Mienert, M. & Vorholz, H. (2011). Den Alltag öffnen –
Perspektiven erweitern. Offene Arbeit in den Kitas nach den
Bildungsplänen gestalten. Troisdorf: Bildungsverlag eins.
ISBN-13: 978-3-427-50481-8
Mienert, M. (2008). Total diffus – Erwachsenwerden in der
jugendlichen Gesellschaft. Wiesbaden: VS-Verlag für
Sozialwissenschaften
ISBN-13: 978-3531160931
Mienert, M. & Vorholz, H. (2011). Schüler und Lehrer im Konflikt.
Neue Strategien für ein respektvolles Miteinander. Paderborn:
Schöningh.
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Prof. Dr. Malte Mienert, European New University Kerkrade, [email protected], www.mamie.de
ISBN-13: 978-3506771810
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