Interview mit Alexander von Maravić, Geschäftsführender Direktor, Oper Leipzig Studium Rechts- und Theaterwissenschaften sowie Altisländisch in Berlin und in Kiel. 1979-85 Deutscher Bühnenverein (Rechtsanwalt und stellvertretender Geschäftsführender Direktor), 1985 bis 1990 Direktor des Schauspiel Kölns, 1990 bis 2000 Direktor des Schauspielhauses Bochum, 1999-2005 Direktor und Geschäftsführer der Berliner Ensemble GmbH. Seit 2005 Geschäftsführender Direktor der Oper Leipzig KMN: Herr von Maravić, wie häufig besuchen Sie selbst das Schauspiel? von Maravić: Ich besuche regelmäßig und mit großer Begeisterung die Aufführungen des Schauspiels Leipzig. Wolfgang Engel, mit dem ich befreundet bin, hat ein wundervolles Ensemble zusammen gestellt und ein ungemein gutes Händchen für Schauspieler bewiesen. Wenn es meine Zeit erlaubt, versuche ich aber auch so oft wie möglich, das Theatergeschehen in Berlin zu verfolgen. KMN: Wo steht die Oper Leipzig heute? Mit welchen Gegebenheiten wurden Sie hier konfrontiert? von Maravić: Die Oper Leipzig gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Opernhäusern. Geprägt wird sie seit dieser Spielzeit von Riccardo Chailly, insbesondere musikalisch. Unser Haus steht sehr für das klassische Repertoire, pflegen aber immer stärker auch die Moderne. Denken Sie beispielsweise an Jonathan Dove „Flight“ oder daran, dass wir im Mai 2006 mit "Der schwarze Mönch" von Philippe Hersant eine Uraufführung haben werden. KMN: Wie sieht es mit dem Ballett aus? von Maravić: Im Ballett hat es durch den Tod von Uwe Scholz einen Wechsel gegeben. Der neue Ballettdirektor Paul Chalmer wird dem Ballett eine andere, eigene Handschrift geben. Er will die Tradition von Uwe Scholz bewahren, muss aber auch neue Wege gehen. Wir dürfen nicht zum Museum werden. KMN: Das Gewandhaus in Ihrer Nachbarschaft vermietet sein Haus. Inwiefern wird die Oper auch von anderen genutzt? von Maravić: Nicht nur das Opernhaus, auch die Musikalische Komödie steht für ausgesuchte Gastspiele, wie z. B. den prominenten Jazztagen oder der internationalen Euroscene-Leipzig und Lachmesse zur Verfügung. KMN: Wie gut kennt die Oper Leipzig ihr Publikum? von Maravić: In der letzten Spielzeit gab es eine mit dem Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig durchgeführte Besucherbefragung, eine sehr detaillierte Untersuchung des Opernpublikums. Von besonderem Interesse ist dabei für mich die Altersstruktur und die soziale Schichtung unseres Publikums. Fehlen junge Menschen? Müssen wir da etwas tun? Gerade das junge Publikum müssen wir noch viel mehr ansprechen. Denn das Durchschnittsalter unserer Besucher ist relativ hoch. Die Jugend muss an die Oper herangeführt werden, damit uns das Publikum von morgen nicht verloren geht. KMN: Das Publikum wird auf der einen Seite immer älter. Aber wenn die Demographie verheißt, dass der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steigen wird, dann haben Sie ja genügend Publikum? Ist es dann reine Hypothese, auf Kinder und Jugendliche zu setzen? von Maravić: Die Oper ist ja nicht nur für ältere Menschen da. Eine unserer vornehmsten Aufgaben ist es, junge Menschen für diese Kunstgattung zu begeistern. Es gibt immer weniger Musikunterricht an den Schulen, so dass wir auch Bildungsfunktion zu übernehmen haben, die überwiegend von den Schulen geleistet werden müsste. KMN: Wie kann man Kinder und Jugendliche an die Oper heranführen? von Maravić: Wir haben zwei Theaterpädagogen, die sehr eng mit den Schulen zusammenarbeiten. Mein Traum wäre es, jedes Jahr eine Kinderoper herauszubringen, aber auch mit Kindern zusammen eine Oper zu erarbeiten. KMN: Also ein neues Stück erarbeiten oder ein vorhandenes Stück bearbeitet? von Maravić: Sie können auch mit Kindern eine Oper erarbeiten. Zum Beispiel können die Kinder, während ihre Eltern die Zauberflöte besuchen, parallel Szenen daraus erarbeiten. Auf dem Heimweg können sich dann alle gemeinsam über ihre Zauberflöten-Erfahrung unterhalten. KMN: Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem System der Abonnements? Wird es schwerer, die Leute festzulegen? Oder ist Ihr Publikum bereits flexibel? von Maravić: Die Oper Leipzig hat ja nur ein Wahlabonnement; vor Jahrzehnten ist das Festabonnement abgeschafft worden. Im Dezember haben wir bereits die Zahl der Vorjahres-Abonnenten weit überschritten und sind schon bei 9.000 Abonnenten. Zum Ende der Spielzeit werden es hoffentlich 10.000 sein. Intendant Henri Maier hat es also seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren geschafft, die Abozahlen zu verdoppeln. Wenn die Eintrittspreise immer teurer werden, liegt die Flucht ins Abonnement auf der Hand. Beim Wahlabonnement hat das Publikum die Möglichkeit der individuellen Spielplangestaltung und kann entweder mit zehn Freunden einmal ins Theater kommen oder zehnmal allein. Ich würde gerne parallel ein festes Abonnement aufbauen. Der Begriff des verordneten Besuches ist ja manchmal ganz hilfreich. Insbesondere wenn wir ein weniger bekanntes Werk aufführen, könnten wir mit Hilfe eines festen Abonnements das Publikum ganz gezielt auch in ein solches Werk führen. Beim Wahlabonnement können sie nicht steuern, da macht jeder seinen eigenen Spielplan. In Leipzig sind es gewachsene Strukturen, die zu ändern schwer werden wird. KMN: Sie wollen also den Besucher mehr beeinflussen können. Besonders bei Stücken aus dem neueren Bereich? von Maravić: Nicht nur bei modernen oder neuen Opern. Wir müssen das Publikum aber auch mit Preisermäßigungen locken, dass es auch an Tagen die Oper besucht, die wie Montag oder Dienstag nicht so attraktiv sind. KMN: Aber es gibt ja einen Tag im Monat, der außer der Reihe bespielt wird. von Maravić: Das ist der so genannte Theater- oder Familientag zu vergünstigten Eintrittspreisen. KMN: Gefährdet diese Maßnahme nicht die Entwicklungen, die Sie sich vorstellen? von Maravić: Nein, denn jede nicht verkaufte Karte ist ein Verlust. Der Beweis muss aber auch erst erbracht werden, dass das Publikum statt den Theatertag zu nutzen tatsächlich an einem anderen Tag ins Theater gegangen wäre. Und selbst wenn: Mundpropaganda ist die beste Werbung. KMN: Inwieweit ist die Oper Leipzig abhängig von der Stadt Leipzig? Nicht nur finanziell, sondern auch von der Handlungsfähigkeit? von Maravić: Die Oper Leipzig ist ein Eigenbetrieb der Stadt, rechtlich abhängig und öffentlich finanziert von der Stadt Leipzig. Dadurch existiert sicherlich eine enorme Abhängigkeit, was das Finanzielle angeht. In die Gestaltung unseres Spielplans und die Spielplanpolitik redet uns aber kein Politiker rein, da handeln wir völlig autonom im Rahmen unserer finanziellen Gegebenheiten, die künstlerische Entscheidungen einerseits ermöglichen andererseits aber auch erschweren, wenn nicht gar verhindern können. KMN: Im Gewandhaus wird über eine Änderung der Rechtsform diskutiert, möglicherweise eine Stiftung oder eine GmbH zu gründen. Nun gibt es sehr enge Verbindungen von Oper und Gewandhaus. Sind Sie auch mit dieser Frage konfrontiert? von Maravić: Ich habe im Laufe meiner Arbeit alle Theaterbetriebsformen erlebt, vom Regiebetrieb über den optimierten Regiebetrieb bis hin zur GmbH. Für mich ist, obwohl ich sehr gute Erfahrung mit der GmbH beim Berliner Ensemble gemacht habe, mittlerweile die Frage nach der Betriebsform sekundär; denn bei jeder Betriebsform können sie die Theaterleitung gängeln oder nicht gängeln. Entscheidend ist doch, welche Rechte der Rechtsträger seiner Theaterleitung einräumen will. Gerade bei einer GmbH können sie durch den Gesellschaftervertrag die Theaterleitung derart in ihren Kompetenzen einschränken, dass sie weniger Rechte hat als in einem Regiebetrieb. Die GmbH ist nicht das Allheilmittel, im Gegenteil, wie das Bremer Beispiel beweist, kann eine Theater GmbH sehr schnell ins Schlittern geraten und Gefahr laufen, Insolvenz anmelden zu müssen. Sollte es Überlegungen geben, die Betriebsform des Theaters zu ändern, werde ich mit Sicherheit meine Erfahrungen zu diesem Thema einbringen. KMN: Sie würden das selbst nicht forcieren? von Maravić: Nein warum, es gibt keine Not. KMN: Sie haben in Ihrem Haus drei Ensembles: die Oper, das Ballett und die Musikalische Komödie. Ist diese Aufteilung richtig? von Maravić: Es gibt ein Ensemble der Oper Leipzig, das besteht aus Sängern und den Tänzern. Wir differenzieren nicht zwischen einem Sänger-Ensemble der Oper oder der Musikalischen Komödie, die Künstler sind für beide Spielstätten engagiert. Es gibt Sänger, die an der Oper und an der Musikalischen Komödie singen und umgekehrt gibt es Sänger, die nur in der Musikalischen Komödie eingesetzt werden können. KMN: Unter der Bevölkerung entstand in letzter Zeit der Eindruck, dass die Musikalische Komödie zur Disposition steht. Ist das eine Entwicklung, die rein von den Kosten her diskutiert wird? Dass man auf Grund von Kürzungen der städtischen Zuwendung über die Loslösung eines Teils nachdenken muss? von Maravić: Die Diskussionen um die Schließung der Musikalische Komödie ist uralt und wird zur Zeit wieder geführt. Ich halte die Schließungsdebatte für völlig überflüssig. Die Musikalische Komödie mit ihrem Genre ist fester Bestandteil der Oper. Die Hälfte unserer Vorstellungen spielen wir in der Musikalischen Komödie und ein Drittel unserer Besucher geht dort hin. Wir pflegen kontinuierlich das Genre der Operette und des Musicals. In der Bundesrepublik ist es einmalig, dass eine Oper hierfür eine eigene Spielstätte hat. In der Öffentlichkeit scheint der Eindruck vermittelt worden zu sein, dass die "MuKo" ein selbstständiges Theater ist und deswegen ohne weiteres geschlossen werden kann. Das ist ja aber nicht der Fall, weil die "MuKo" die zweite Spielstätte des Opernhauses ist und deren Mitstreiter bei der Oper Leipzig engagiert sind für alle Spielstätten. Also wie beim Schauspiel, das auch mehrere Spielstätten hat. Und da können Sie nicht ohne weiteres eine Spielstätte schließen, ohne dass sie enorme arbeitsrechtliche Probleme bekommen. KMN: Aus welcher Richtung vermuten Sie die Versuche, die musikalische Komödie abzukoppeln? von Maravić: Zunächst: Es ist sehr positiv, dass die Stadt Leipzig 10% Ihres Etats für Kultur ausgibt. Uns ist allen bewusst, dass Leipzig große finanzielle Probleme hat und sich deswegen die Frage stellt, wie viel Kultur können wir uns noch leisten. Wir dürfen aber meines Erachtens auf nichts verzichten, sondern müssen mit unseren Politikern und dem Kulturdezernenten überlegen, wie wir die kulturelle Vielfalt der Stadt Leipzig unter möglichst sparsamer Verwendung der Mittel aufrecht erhalten können. KMN: Gibt es Überlegungen, Synergien zwischen Schauspiel und Oper herzustellen? von Maravić: Auf der Verwaltungsebene können sie bestimmte Aufgaben zusammenlegen, z. B. den Kartenverkauf, vielleicht auch die Personalabteilungen und die Finanzbuchhaltung. Millionen werden damit aber nicht eingespart, wie es sich die Stadt wünscht. KMN: In Hinsicht auf die veränderte finanzielle Situation der Kultureinrichtungen, versucht man sich da zusammen zuschließen? Gibt es Allianzen – trifft man sich regelmäßig? Oder gibt es Tendenzen, dass man in Grabenkämpfe verfällt, man versucht, sich gegenseitig auszuspielen, um sich am Leben zu erhalten? von Maravić: Wir Leipziger Theater- und Orchesterleiter kennen, schätzen und mögen uns, arbeiten nicht gegeneinander, sondern ziehen alle an einem Strang. Denn nur gemeinsam sind wir stark und können für den Erhalt der kulturellen Vielfalt kämpfen. KMN: Das funktioniert wahrscheinlich leichter auf einer Ebene, bei der die Größe der Häuser vergleichbar ist. Aber ich denke auch an Häuser, die kleiner sind, die weniger finanzielle Möglichkeiten haben, die kleiner besetzt sind, eine andere künstlerische Ausrichtung haben. Trifft die Solidarität auch hier zu? Oder gibt es Missgunst? von Maravić: Henri Maier und ich haben, nachdem wir in der Zeitung gelesen haben, dass der freien Szene 100.000 Euro weggenommen werden sollen, sofort Kontakt zu freien Szene aufgenommen und uns mit deren Repräsentanten getroffen. Wir brauchen in Leipzig beides, die freie Szene und die etablierten Häuser. KMN: Eine Frage noch zu den Finanzen. Wenn gespart wurde, war das eher in der Anzahl der künstlerischen Aufführungen? Waren es technische, administrative oder personelle Kosten? Wie ging man vor? von Maravić: Die Oper Leipzig hat in den letzten drei Jahren 40 Stellen abgebaut, die künstlerischen Produktionsetats sind abgesenkt worden, die Etats für die Gastsänger reduziert worden, der Etat für den Werbeaufwand ebenfalls. Es ist absurd: Den Theatern wird immer vorgeworfen, sie würden zuviel Geld für Ausstattung ausgeben. Das Operhaus gibt nicht mal 0,8% seines Etats für Ausstattung aus. Aber Fernwärme und Energie schlucken 1,5% unseres Etats, als fast das Doppelte des Ausstattungsetats. KMN: Stichwort Sponsoring. Sind die Entwicklungen da positiver? Haben sie mehr Sponsoren als in der Vergangenheit? Wie lernen Sie neue Sponsoren kennen, wie betreuen sie diese? von Maravić: Mir fehlen bisher die Erfahrungen. Ich bin nur erstaunt, wie viele Sponsoren die Oper Leipzig hat. Und das ist für mich natürlich auch Ausdruck der Wertschätzung der Sponsoren der Oper gegenüber. Vom Schauspiel her bin ich dies nicht gewohnt. KMN: Inwiefern nutzen Sie Netzwerke und Verbände? von Maravić: Der Deutsche Bühnenverein als Arbeitgeber- und kulturpolitischer Interessenverband ist natürlich für alle Theater sehr wichtig. Er ist der Tarifpartner, und es wäre wünschenswert, wenn der Bühnenverein nicht nur die Tarifkompetenz im künstlerischen Bereich, sondern auch im nichtkünstlerischen Bereich hätte. Es ist doch absurd, dass die Theater keinen „Konzern“-Tarifvertrag haben, sondern für die Tarifverträge des künstlerischen und nicht künstlerischen Personals verschiedene Tarifpartner zuständig sind und z. B. bei der Regelung der Arbeitszeit nicht das Primat der Kunst gilt. KMN: Gibt es andere Organisationen, die für Ihre Arbeit wichtig sind? von Maravić: Wir sind Mitglied der Opernkonferenz, in der 11 große Opernhäuser vertreten sind. Die Opernleitung stimmt z. B. die Gagen der Sänger und Dirigenten ab. KMN: Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten der Eintrittskartenstreuung. Immer mehr läuft über Reiseveranstalter, über Ticketingsysteme und auch online. Welche Entwicklungen sind für die Oper wichtig? von Maravić: Wir müssen überall präsent sein und jede Möglichkeit nutzen, Karten zu verkaufen. Die Zusammenarbeit mit großen Reiseveranstaltern muss noch mehr verstärkt werden, gerade auch im Hinblick auf die Musikalische Komödie, wo wir Operette spielen, die gerade von einem älteren Publikum aus dem ganzen deutschsprachigen Raum gerne besucht wird. KMN: Wo sehen Sie die Oper in fünf Jahren? Wie lange planen Sie für sich, dass Sie hier gestaltend tätig sind. Was würden Sie als wichtigste Aufgabe sehen? von Maravić: Ich habe einen Vertrag für zwei Jahre. Vorrangig wird es sein dieses Opernhaus bei allen finanziellen Zwängen künstlerisch so anspruchsvoll wie möglich über die nächsten vier, fünf Jahre zu bringen. Wir müssen mehr spielen, mehr Premieren anbieten, um für das Publikum noch attraktiver zu werden und mehr Besucher an unser Haus zu binden. Das Interview führte Dirk Heinze am 9. Januar 2006 in der Oper Leipzig. Die Oper im Internet: http://www.oper-leipzig.de