Nochmals wich die Nacht dem Licht

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Montag, 19. September 2011 / Nr. 216
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Kultur
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Nochmals wich die Nacht dem Licht
SCHLUSSKONZERTE Es war
ein in jeder Hinsicht universaler Festivalabschluss: Daniel
Barenboim wurde als Solist,
Dirigent und mit Moderne zum
grossen Magier der Nacht.
Auch bei den Klavierkonzerten cMoll KV491 und Es-Dur KV 482 von
Mozart bestachen die Holzbläser
durch Flexibilität und klare Konturen.
Der Solist Barenboim pflegte mehr die
kammermusikalische Seite als der Dirigent Barenboim, der die für Mozart
ungewöhnlich dramatischen Orchestertutti im Kopfsatz vom Flügel aus
nicht geschärft, sondern mit massigem Klang einfahren liess. Völlig frei
spielte sich der Pianist im Finale des
Es-Dur-Konzert, wo er eine Kadenz
seines Vorbilds Edwin Fischer unnachahmlich feinfühlig vortrug, und
auch sonst Feinheiten zuhauf einbrachte und so das schwere Klangbild
allmählich vergessen liess. Das mangels Dirigent nicht risikofreie Zusammenspiel war beim tiefgründig-ernsten c-Moll-Konzert eher gewährleistet
als beim virtuoseren Es-Dur-Konzert.
FRITZ SCHAUB
[email protected]
Universaler
gehts nicht: Zuerst erlebte man
Daniel
Barenboim mit dem «Divan»-Orchester» als
politisch engagierten Jugendorchester-Gründer. In den drei letzten Sinfoniekonzerten des Lucerne Festivals
kam er als Solist, Konzertdirigent und
auch noch als Operndirigent zum
Einsatz.
Alles auf einen Nenner zu bringen,
gelingt auch einem so unermüdlichen
Maestro wie Barenboim nicht. Beim
Gastspiel des West-Eastern Divan Orchestras rühmte man das begeisternde Spiel seiner Schützlinge und kritisierte die altmodische Beethoven-Auffassung.
Traditioneller Bruckner
Wie nun war es bei der siebten Sinfonie Anton Bruckners? Dass sie eher
traditionell war, legte schon die gleiche Orchesteraufstellung wie bei der
im Klang ähnlichen Sächsischen
Staatskapelle nahe. Deutlich kamen
die an die Orgel erinnernden brüsken
Der beste Barenboim
Daniel Barenboim dirigiert die
Staatskapelle Berlin mit den Sängern
Kwangchul Youn, Nina Stemme und Peter
Seiffert (im Hintergrund von links).
LF/Priska Ketterer
Registerwechsel zum Ausdruck, wuchtig die Steigerungen, aber jene dynamische Verfeinerung, die Barenboim
zu Beginn beim Urnebel der GeigenTremoli schuf, wurde nicht mehr in
letzter Konsequenz durchgeführt. Das
galt vor allem für das Adagio, dessen
C-Dur-Durchbruch in der Reprise mit
ungeheurer Macht in den Saal drang.
So fehlten die Innenspannung und
die zwingende Phrasierung des Melodischen. Allerdings gelang das Scherzo
mit dem Signalmotiv der Trompete
aufmunternd-musikantisch, und immer wenn die Holzbläser mit den
Streichern unter sich waren, gab es
kammermusikalische Wirkungen vom
Feinsten.
Mit einer Aufführung von Boulez' oft
gespielten «Notations» gelang zwar
Barenboim gestern im Schlusskonzert auch im Bereich der Moderne
ein Meisterstreich, indem er die einander abwechselnde Klavier- und Orchesterversion (einmal am Flügel,
einmal am Pult) einander gegenüberstellte. Interpretatorisch den besten
Barenboim erlebte man allerdings
nicht überraschend bei Liszt und bei
Wagner.
In Franz Liszts Dante-Sinfonie entfesselte eine bis zum hintersten Pult
hoch motivierte Musikerschar mit einer Energie ohnegleichen die von
Dante inspirierte Höllenvision, wobei
der dunkle, warme Klang der Streicher
und die mächtig dröhnenden Posaunen (inkl. Basstuba) dazu beitrugen,
dass virtuose Brillanz nicht über den
Ausdruck triumphierte. Wie dem die
idyllische Ruhe des Purgatorios mit
sehnsüchtigen Weisen des Horns, der
Oboe und des Englischhorns entgegengesetzt wurde, war dann wieder
ganz Marke Staatskapelle. Während
das Magnificat mit dem unsichtbar in
den Echokammern singenden Damenchor der Zürcher Sing-Akademie
ätherisch in die Höhe schwebte.
Wagner zum Schluss
Diese Sinfonie passte mit ihrem
Durchbruch von der Nacht der Hölle
ins erlösende Licht ebenso haargenau
ins diesjährige Thema wie im Schlusskonzert der erste Akt aus Wagners
«Walküre», der sich im Mondlicht zur
Liebes-Ekstase steigert. Wie nahe sich
Liszt und sein Schwiegersohn Wagner
auch kompositorisch gekommen sind,
machten Barenboim und sein Orchester mit einer Wiedergabe deutlich, die
beim stürmischen Tremolo-Auftakt
der Kontrabässe nahtlos an Liszts
Höllen-Vision anknüpfte. Der WagnerDirigent war nun vollends in seinem
Element, und die drei hinter dem
Orchester postierten Sänger, beflügelt
und getragen durch Barenboims Enthusiasmus, setzten noch einen drauf:
Nina Stemme als steigerungsmächtige
Sieglinde, Peter Seiffert als heldischer
Siegmund und – die wohl grösste
Überraschung – der Südkoreaner
Kwangchul Youn, ein Hunding mit
düsterer Bassgewalt.
Krönende Musik für das gemeine Volk
ZUG Mit königlicher Musik
begeisterte der Kammerchor
Cantori Contenti zusammen
mit dem Luzerner Corund
Barockorchester.
Auch wenn der Anspruch, qualitativ
hochstehende Konzertprogramme zu
erarbeiten und aufzuführen, keine
leichte Verpflichtung sich selbst und
dem Publikum gegenüber ist, so haben die Cantori Contenti jedes Mal
aufs Neue Wort gehalten. So auch mit
ihrem jüngsten Streich «Musik für
Könige», in welchem neben reiner
Unterhaltung für britische Könige speziell Krönungshymnen erklangen.
Und heute sind besonders die «Coronation Anthems» von Georg Friedrich
Händel bekannt. Um das Programm
stimmig zu machen, kamen noch
einige weitere Krönungsgesänge von
weniger bekannten Komponisten dazu. Alle haben sie gemeinsam, dass sie
ehrenwerte Mitglieder der königlichen
Musikfabrik Chapel Royal waren.
Kaum tanzbar
Am Anfang der beiden Konzertblöcke
standen je eine Suite aus der wahrscheinlich beliebtesten Orchestermusik von Händel, der «Wassermusik».
Sie unterstreicht den erhabenen Rahmen und versetzt die Zuhörenden
augenblicklich in die Stimmung der
höfischen Festlichkeit. Das Corund
Barockorchester meisterte diese Aufgabe mit Überzeugung und Musizierfreude. Allerdings sucht es im ersten
Satz noch etwas das gemeinsame
Tempo, welches in den weiteren Sätzen zwar sehr gut harmonierte. Müsste man aber einer Suite entsprechend
dazu tanzen, hätte auch der geübte
Tänzer seine liebe Mühe mit den von
Corund-Chef Stephen Smith angesetzten Tempi. Halb so schlimm, meinte
Smith, «die haben ja dazu sowieso
bloss gegessen».
Wie alle Instrumente waren auch die
Hörner, denen eine wichtige Rolle in
der Wassermusik zukommt, historische Nachbauten, was zum Spielen
technisch einiges anspruchsvoller ist
als bei modernen Instrumenten.
Die beiden Hornierenden, die Isländerin Ella Vala Armannsdottir und
Roland Callmar, meisterten diese Aufgabe mit der nötigen Sensibilität.
Fruchtbares Zusammenspiel: der Zuger Kammerchor Cantori Contenti
zusammen mit dem Luzerner Corund Barockorchester.
Bild Werner Schelbert
Ebenfalls hervorragend überzeugten
die beiden Oboistinnen Andrea Bischoff und Anja Balmer.
Ausgeglichene Passagen
Der Chor startete mit Händels Anthem
«My Heart Is Inditing». Im Zusammenspiel mit dem Orchester gingen die
Sänger in den Piani-Stellen eher unter.
Speziell der Alt, der beim Einsatz mit
«My Heart ...» das Heart ganz verlor.
Die Ursache ist nicht beim Chor,
sondern an der Akustik in der Kirche
St. Oswald zu suchen. Die fortereichen
Tutti-Passagen hingegen klangen sehr
ausgeglichen und gaben dem Publikum das vom Komponisten beabsichtigte erhabene Gefühl.
Jetzt folgten Krönungshymnen von
Child, Purcell, Blow und Gibbons,
welche ausschliesslich vom Orgelpositiv begleitet wurden. So war der schö-
ne runde Chorklang, wie man ihn von
den froh gestimmten Cantori Contenti
gewohnt ist, gut zu hören. Nur schade,
hörten die Singenden die Orgel nicht,
denn so trübte sich die Intonation
etwas, was die versierte Tastenkünstlerin Eva Hagberg subtil zu begrenzen
wusste.
Warmer Applaus
Danach folgte das wohl bekannteste
Händel-Anthem «Zadok The Priest».
Diese und die beiden am Schluss des
Konzertes programmierten Coronation Anthems «Let Thy Hand» und
«The King Shall Rejoice» versetzten
das zahlreich erschienene Publikum
jedes Mal in königliches Wohlgefühl,
welches sich ausgiebig mit warmem
Applaus bedankte.
ROGER D. TANNER
[email protected]
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