ERÖFFNUNGSKONZERT FESTIVAL MPHIL 360° SCHÖNBERG »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« SKRJABIN »Prométhée. Le Poème du Feu« WAGNER »Die Walküre« I. Aufzug GERGIEV, Dirigent MATSUEV, Klavier KAMPE, Sopran BOTHA, Tenor PAPE, Bass PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN Freitag 13_11_2015 20 Uhr FÜR IHREN GANZ PERSÖNLICHEN BRILLANTEN AUFTRITT: DER FRIDRICH SOLITÄR In unserem großen Angebot an Brillanten in vielen Größen ist sicher auch Ihr WunschSolitär dabei - fragen Sie uns! z.B. Solitärring in 585/– Weißgold mit 1 Brillant 0,15 ct G si für € 595,– TRAURINGHAUS · SCHMUCK · JUWELEN · UHREN · MEISTERWERKSTÄTTEN J. B. FRIDRICH GMBH & CO.KG · SENDLINGER STRASSE 15 · 80331 MÜNCHEN TELEFON: 089 260 80 38 · WWW.FRIDRICH.DE ARNOLD SCHÖNBERG »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« op. 34 Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe (in einem Satz) ALEKSANDR SKRJABIN »Prométhée. Le Poème du Feu« (Prometheus. Dichtung vom Feuer) für Klavier, Chor und großes Orchester op. 60 RICHARD WAGNER »Die Walküre« Erster Tag des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen« Konzertante Aufführung des ersten Aufzugs VALERY GERGIEV, Dirigent DENIS MATSUEV, Klavier ANJA KAMPE, Sopran JOHAN BOTHA, Tenor RENÉ PAPE, Bass PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN, Einstudierung: Andreas Herrmann 118. Spielzeit seit der Gründung 1893 VALERY GERGIEV, Chefdirigent PAUL MÜLLER, Intendant 2 Man Ray: Arnold Schönberg (1927) Arnold Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« 3 (K)eine Begleit­musik zu (k)einer Lichtspielszene MARCUS IMBSWEILER ARNOLD SCHÖNBERG (1874–1951) »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« op. 34 Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe (in einem Satz) LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 13. September 1874 in Wien; gestorben am 13. Juli 1951 in Los Angeles. ENTSTEHUNG 1929 erhielt Schönberg vom Magdeburger Musikverlag Heinrichshofen’s, der bereits mehrere Stimmungs- und Begleitmusiken für Stummfilme verlegt hatte, den Auftrag zur Komposition einer Filmmusik. Schönbergs Werk, dem der Komponist den etwas umständlichen Titel »Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene« gab, entstand zwischen 15. Oktober 1929 und 14. Februar 1930 und wurde noch im selben Jahr von Heinrichshofen’s gedruckt. URAUFFÜHRUNG Am 6. November 1930 in Berlin in der Kroll­ oper (Orchester der Krolloper Berlin unter Leitung von Otto Klemperer); eine (bisher ungesicherte) Aufführung soll allerdings Arnold Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« 4 bereits am 28. April 1930 in Frankfurt / Main stattgefunden haben (Frankfurter Rundfunkorchester unter Leitung von Hans Rosbaud). Schönberg selbst war bei der Berliner (Ur-)Aufführung krankheitshalber nicht anwesend und hat das Werk möglicherweise nie gehört. Eine filmische Umsetzung seiner Komposition fand erst in den 70er Jahren statt. Arnold Schönberg war kein Kinoverächter. Er schätzte die Filme Charlie Chaplins (nicht dessen Musik !), auch Harold Lloyd und die Marx Brothers; doch an die Ton­ filme der 20er Jahre stellte er höhere Ansprüche. Von ihnen erhoffte er sich nichts Geringeres als »die Wiedergeburt der Künste« und vor allem Adaptionen der Weltliteratur, etwa von Werken Balzacs, Strindbergs, Goethes – oder gar Wagners »Parsifal« ! Dieses Eintreten für ein Kino unter Führung des Worts, ein wuchtiger Gegenentwurf zur »niedrigsten Art von Unterhaltung« in zeitgenössischen Film­ palästen, verrät, wie stark – und einseitig – Schönberg auf die literarische Seite eines Mediums setzte, das doch aus dem Zusammenwirken von optischen, musikalischen und sprachlichen Eindrücken besteht. Offenbar bereitete ihm das Aufgehen der etablierten Einzelkünste in der Melange des Tonfilms Unbehagen. FILMMUSIK OHNE FILM Seine hoch fliegenden Erwartungen wurden denn auch enttäuscht: »Wie hatte ich mich geirrt !«, schrieb er rückblickend 1940. »Die Filmproduktion blieb eine Industrie, die erbarmungslos jeden künstlerischen Zug als gefährlich unterdrückte.« Und so wurde Schönberg, im Gegensatz zu vielen Kollegen, kein Filmkomponist – auch wenn es zweimal fast geklappt hätte. 1935 ließ er den Vertrag über die Musik zu »The Good Earth« nach Pearl S. Buck platzen; lediglich einige Themenskizzen fanden sich im Nachlass. Fünf Jahre zuvor war er mit der »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« einer Bitte des Musikverlags Heinrichshofen’s um die Komposition einer Stummfilm-Partitur nachgekommen. Bloß Arnold Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« 5 illustrative Musik jedoch wollte der Komponist nicht liefern. Und so schrieb er ein dreiteiliges Werk, das sich auf keine konkrete Filmszene bezieht und ihrer nicht mal bedarf; die Teilüberschriften »Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe« sind Wegweiser genug. Es handelt sich bei der »Begleitmusik«, die keine ist, um einen Durchlauf durch drei Stadien einer imaginären Filmhandlung. Als tönendes Pendant zu einer »Lichtspielszene« ergänzt sie diese nicht, sondern vermag sie zu ersetzen. SCHAUSEITE UND BINNENSTRUKTUR Dass Schönberg derart auf die Verlags­ anfrage reagierte, ist typisch; typisch auch, wie er seinen eigenen Anspruch einlöste, ein emotional aufgeladenes, quasi »szenisches« Psychogramm zu entwerfen. Denn das Effektvolle dieser Musik, ihre »Schau­ seite« – nervöses Schlagwerk, Streichertremoli, dumpfe Gongs, grelle Klangflecken – wird durch eine kühl konstruierte Binnenstruktur aufgefangen. Opus 34 ist, wie die meisten Werke der Berliner Zeit, zwölftönig angelegt, ohne dass diese Ordnung das Ziel abgibt: Sie bleibt stets Mittel. Das zeigen beispielhaft die beiden ersten Takte. Schönberg bedient sich dort aller zwölf Töne der chromatischen Leiter, gruppiert sie aber so, dass sie zu Vorboten der »Drohenden Gefahr« werden: anschwellendes Celli-Bratschen-Tremolo, angstvolle Fagott­seufzer, Unheil verkündendes Bass-­ Pizzicato, dazu nackte Tontupfer in Klavier, Horn und Posaune. Die zwölftönige Bindung wirkt strukturgebend nach innen; alle Paradigma wie Instrumentalfarbe, Artikulation, Tonlänge und Register stehen im Dienst von Stimmung und Atmosphäre. INNERE, NICHT ÄUSSERE KATASTROPHEN Nach der anfänglichen Heteronomie der musikalischen Gedanken, die in ihrer Ziellosigkeit auf eine herandämmernde, noch nicht akute Gefahr verweisen, vereinheitlicht sich im zweiten Abschnitt die Faktur. Motivwiederholungen sind hier bestimmend; mithilfe jagender Triolenfiguren hätte wohl auch die Mehrzahl »echter« Filmkomponisten »Angst« dargestellt. Eine letzte Beschleunigung – und die »Kata­ strophe« tritt vergleichsweise konventionell ein, nämlich im Zuge eines gewaltigen, durch Flatterzunge aufgerauten Crescendo in den Blechbläsern. Nach einer Paraphrase des »Schicksalsmotivs« aus Beet­ hovens 5. Symphonie und einem »fal­schen« B-A-C-H-Zitat gelingt jedoch Schönberg ein verblüffender Effekt, indem er einer ruhig sich entfaltenden Melodie in den tiefen Streichern und Fagotten Raum gibt. Im Nachhall des Lautstärke-Maximums, umgeben von gepressten Bläserakkorden und dumpfen Tamtam-Schlägen, wirkt dieser Ge­ s ang alles andere als befreit, eher fatalistisch-ergeben, wie die Fügung in ein arges Schicksal. Einmal mehr wird deutlich, worin Schönberg die Stärke jeder Kunst sah, des Films wie der Musik: nicht in der Bebilderung von Katastrophen, sondern in der Darstellung dessen, was sie in uns auslösen. Arnold Schönberg: »Begleitmusik zu einer Lichtspielszene« 6 Aleksandr Skrjabin nach der Fertigstellung der Partitur zu »Prométhée« (1910) Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 7 Erlösung durch die Kunst IRINA PALADI ENTSTEHUNG ALEKSANDR SKRJABIN (1872–1915) »Prométhée. Le Poème du Feu« (Prometheus. Dichtung vom Feuer) für Klavier, Chor und großes Orchester op. 60 LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN Geboren am 6. Januar 1872 (25. Dezember 1871) in Moskau; gestorben am 27. April 1915 (14. April 1915) in Moskau. ORIGINALTITEL »Prométhée« – Le Poème du Feu – pour grand orchestre et piano avec orgue, choeurs et clavier à lumières op. 60 (»Prometheus« – Dichtung vom Feuer – für großes Orchester und Klavier mit Orgel, Chor und Farbenklavier op. 60). Das letzte (vollendete) symphonische Werk Skrjabins wurde im Herbst 1908 in Brüssel begonnen; Fertigstellung der Partiturreinschrift im Sommer 1910 in Moskau. URAUFFÜHRUNG Am 15. März 1911 (2. März 1911) in Moskau (1909 eigens für die Aufführung von Skrjabins Werken gegründetes Symphonieorchester unter Leitung seines Chefdirigenten Sergej Kussewitzkij). Da die Kon­ struktion des von Skrjabin geforderten Farbenklaviers (auch »Lichtklavier« genannt) erhebliche Schwierigkeiten bereitete und zum Zeitpunkt des Konzerts noch nicht abgeschlossen war, fand die Uraufführung ohne Farbenklavier statt; die erste Aufführung mit Farbenklavier wurde am 20. März 1915, wenige Wochen vor Skrjabins Tod, in der New Yorker Carnegie Hall rea­ lisiert (New Yorker »Russisches Symphonie-­ Orchester« unter Leitung von Skrjabins Moskauer Studienkollegen Modest Altschuler). Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 8 BEFREIUNG DES GEISTES Unter den Komponisten des Fin-de-Siècle ragt der Russe Aleksandr Skrjabin als einer der interessantesten und originellsten hervor. Bereits früh schirmte sich der Einzelgänger und höchst sensible Künstler vom realen Leben ab, mied bewusst jeden Kontakt mit der Außenwelt und der Musik anderer und zog sich in seine von Phantastik und Utopie bestimmte Welt, ja in seinen Elfenbeinturm zurück. Skrjabins Denkweise wurde hauptsächlich von zwei philosophisch-literarischen Richtungen geprägt, die im Russland der Jahrhundertwende eine überaus wichtige Rolle spielten: Mystik und Symbolismus. Entscheidende Impulse kamen auch seitens der von Auslandsrussen propagierten mystischen Theosophie, unter deren Einfluss Skrjabin seit etwa 1904 stand. Als individualistischer Künstler hatte Skrja­bin sein eigenes Credo, das seine Werkkonzeption bestimmte. Überzeugt vom mythischen Sendungsauftrag der Musik, der Kunst allgemein und letztendlich von seiner eigenen Berufung verfolgte Skrjabin nahezu fanatisch ein Leben lang sein höchstes Ziel: die geistige und sitt­ liche Erneuerung der Menschheit durch die magische Kraft der Kunst, wobei nach seiner Überzeugung die Befreiung des Geistes und implizit die endgültige Erlösung nur im Zustand des ekstatischen Erlebens zu erreichen seien. Als unmittelbare musikalische Umsetzung seiner philosophisch-theosophischen Überlegungen schwebte Skrjabin ein komplexes großes Werk vor, das sogenannte Mysterium, das alle Künste vereinen würde. Ort der Aufführung sollte Tibet sein, stellvertretend für die ganze durch die Kunst zu erlösende Welt. Alle ab etwa 1905 entstandenen Werke betrachtete der Komponist als Vorbereitungsphasen für das Mysterium, dessen Verwirklichung allerdings bis zum Tode Skrjabins permanente Utopie blieb. PROMETHEUS: SYMBOL DES EWIGEN ­ CHÖPFERISCHEN PRINZIPS S Diese »Entwürfe« kulminieren in der symphonischen Dichtung »Prométhée« (1910 in Moskau beendet), einem Werk, das dem Mysterium-Aspekt und seiner ausgeprägten Tendenz zur Vereinigung der Künste wohl am nächsten kommt. Ein Programm im eigentlichen Sinne hat Skrjabin dazu nie formuliert. Doch seine zahlreichen Kommentare und metaphorischen Beschreibungen einzelner Themen und Abschnitte verdeutlichen den Ideengehalt des Poems. Der Titan Prometheus wird als archetypischer Charakter, als Name und Symbol für die immer wiederkehrende Idee des universellen schöpferischen Prinzips aufgefasst. Die Tatsache, dass von allen kosmischen und Naturelementen das Feuer als höchste aktive Energie des Universums ausgewählt und herausgestellt wurde, hängt primär mit der theosophischen Lehre zusammen, die auf Skrjabin magischen Einfluss ausübte. Helena Blavatskys »Schlüssel zur Theosophie« – in dem zwischen Prome­ theus’ schöpferischer Tat und Christus’ Lehre eine Parallele gezogen wird – war für Skrjabin bereits 1904/05 der entscheidende Anstoß zu einer Komposition mit Feuersymbolik. Die einzige von Skrjabin autorisierte Werk­ einführung zu »Prométhée« (1913 anläss- Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 9 Bei der Londoner Erstaufführung 1912 wurde »Prométhée« gleich zweimal aufs Programm gesetzt Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 10 lich der Londoner Aufführung verfasst) stammt übrigens von der englischen Theosophin Rosa Newmarch. Eine Art Leitmotiv bildet hier die Idee von Kampf und Leiden, die im Triumph aufgehen. Doch Tenor des Ganzen ist der Schöpfungsprozess – er wird nach mystisch-theosophischer Welt­ anschauung gedeutet: »Die Menschenrassen waren zu Beginn noch nicht vom Feuer des Prometheus erleuchtet, waren physisch unvollendet, denn sie besaßen nur Schatten von Körpern: sie waren sündlos, weil ohne bewusste Persönlichkeit, in theosophischen Worten: ohne Karma. Die Gabe des Prometheus befreite sie aus diesen Umständen – das Feuer weckte die bewusste Schaffenskraft des Menschen auf.« SUCHE NACH NEUEN KLÄNGEN Dass für ein solch anspruchsvolles Kunstvorhaben gewöhnliche tonale Ausdrucksmittel nicht mehr genügten, ist wohl klar. Ein intensives geistiges Suchen nach einem neuen System der Klangorganisation begleitete all die Jahre Skrjabins philosophisch-­ mystische Beschäftigungen. In zahlreichen Klavierstücken hatte der Komponist seine neuen Klangvorstellungen vorsichtig erprobt, bevor er sie in »Prométhée« endgültig festlegte. Anstelle der funktional-tonalen Harmonik trat hier ein sogenanntes Klangzentrum, das mit den herkömmlichen Kompositionsregeln nichts mehr gemeinsam hat. Skrjabins Streben nach Befreiung des Geis­ tes und nach Loslösung von der Materie entspricht auf musikalischer Ebene eine Lösung von der traditionellen Tonordnung. Grundlage seiner neuen Harmonik-Konzeption, die man gewöhnlich als mystisch oder prometheisch bezeichnet, bildet der mystische Akkord, ein Auftürmen von Quart­ verbindungen. Der Akkord kann sowohl im Vertikalen als auch im Horizontalen und darüber hinaus in allen möglichen Umkehrungen, Lagen und Transpositionen vorkommen (eine Kompositionstechnik, die an Arnold Schönbergs »Zwölftonlehre« von 1921 erinnert). KLANGZENTRUM: EIN NEUES HÖRERLEBNIS Skrjabin erhebt das Klangzentrum zum formbildenden Prinzip, denn in »Prométhée« gibt es praktisch keine Stelle, die nicht daraus abzuleiten ist. Dem Klangzentrum A-Dis-G-Cis-Fis-H (in Umkehrung auf G beginnend) begegnet man bereits in den geheimnisvollen Anfangstakten. Vertikales und horizontales Denken und Hören – für Skrjabin ohnehin zwei Seiten eines Prinzips – fließen dabei ineinander über: Die Hörner übernehmen die sechs Töne dieses »mystischen Akkords« und legen sie zur melodischen Linie auseinander. Aber nicht nur in harmonischer, sondern auch in formaler Hinsicht tendiert Skrjabin nach Loslösung von traditionellen Schemata. Er entwirft ein frei gestaltetes Sonaten-Modell und versieht dessen 17 verschiedene Abschnitte mit außermusikalisch-bildhaften Überschriften in französischer Sprache, wie z. B. »contemplatif«, »très animé«, »avec émotion et ravissement«. Zahlreiche kontrastierende Themen wechseln fortwährend miteinander ab, so dass ihre genaue Abgrenzung nicht möglich ist. Auf das Thema des Prometheus in den Hörnern (»calme«), folgen das Thema des Willens in der Trompete (»impérieux«, gebieterisch) und das Thema der Vernunft (»contemplatif«). Die immer wechselnden Konstellationen der Motive werden in kleinste Fragmente zersplittert, neu zusammengefügt und dabei Veränderungen unterzo- Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 11 Skrjabin am Klavier, Skizze von Leonid Pasternak (1909) gen. Das Ergebnis dieser einzigen Metamorphose des thematisch-rhythmischen Materials ist ein Hörerlebnis ganz besonderer Art. Ein eklatantes Beispiel dafür ist das Thema des Prometheus bzw. des schöpferischen Prinzips: Das zunächst von den Streichern im Pianissimo gedämpft gespielte Motiv legt einen weiten Weg zurück, bevor es sich am Schluss in einer triumphalen Apotheose entlädt. Skrjabin verzichtet hier ganz bewusst auf die dissonant-­ schmerzhafte Prometheus-Harmonik und fasst das Finale als mächtigen konsonanten Klang auf. Die Stimmungsumschwünge, denen die mythologische Figur unterworfen war, das Undeutliche, der leidenschaftliche Kampf, erfahren am Ende in dem strahlenden Fis-Dur-Klang eine Verwandlung. Das phantastische Spiel des Geistes hat endlich die höchste Stufe – die Befrei- ung – erreicht. Unmittelbar davor leuchtet das prometheische Thema, das rettende Feuer, getaucht in eine Vielfalt orchestraler Farben kurz in der Trompete auf. Der gigantische Klangapparat wird im Finale durch den Einsatz des vierstimmigen Chors abermals verstärkt. In Anlehnung an die symbolistische Idee vom Verzicht auf die Mitteilungsfunktion der Sprache lässt Skrjabin den Chor ausschließlich auf Vokalisen singen. MUSIK, BEWEGUNG, FARBE Skrjabins Erneuerungen beschränkten sich nicht nur auf musikalische Parameter. Da das höchste Ziel – Befreiung des Geistes in Ekstase – die Wiedervereinigung der zerstreuten Künste voraussetzt, brach der Komponist aus dem rein Musikalischen aus. Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 12 In »Prométhée«, der allerdings nur eine Stufe auf dem Weg zum endgültigen Mysterium darstellt, findet nur eine teilweise Vereinigung der Künste statt: Zu der Musik gesellen sich tänzerische Bewegungen (von Skrjabin nur vage entworfen) und ein magisches mysteriöses Spiel der Farben. Eine öffentliche Vorführung des dreidimensionalen Werks fand jedoch nie statt. In der Kombination Klang-Farbe wurde das Werk gelegentlich aufgeführt. Ausgangspunkt für die Korrespondenz von Farben und Tönen waren einerseits die alte Lehre der universellen Farbenharmonie und andererseits die verschiedenen musikalisch-­ kosmologischen Spekulationen, die Musiktheoretiker und Mathematiker bis spät ins 19. Jahrhundert gleichermaßen begeisterten. Die Idee des Farbenhörens bzw. der Synästhesie – im weitesten Sinne versteht man darunter die Verbindung aller Sinnesempfindungen – war damals sehr verbreitet. Man entwarf zahlreiche Farb-Ton-­ Tabellen, in denen Tonarten, aber auch einzelnen Tönen bestimmte Farben zugeordnet wurden. Die 1895 gebaute und 1905 verbesserte Colour-Organ (ein Farbenklavier) des Engländers Alexander Wallace Rimington (1854–1914) gab Skrjabin womöglich den entscheidenden Anstoß zur Einbeziehung des merkwürdigen Instruments in die »Prométhée«-Partitur. Skrjabins synästhetisches System in »Prométhée« beruht auf dem natürlichen Farbspektrum in Verbindung mit dem Quintenzirkel (C = rot, G = orange-rosa, D = gelb, A = grün usw.). Das Spiel der Farben und Töne legt der Komponist zweistimmig in traditioneller Notation fest und bezeichnet es als »Luce-Partie«. Während die Oberstimme (rechte Hand des Farbenklaviers) in direkter Korrespondenz mit dem mysti- schen Akkord steht (die Farbe wechselt simultan mit jedem Wechsel des Klangzentrums, d. h. etwa alle zehn bis zwölf Takte), bewegt sich die untere Stimme (linke Hand) unabhängig davon in langen Orgelpunkten und liefert einen Farbhintergrund, der das gesamte Farbspektrum durchläuft. Gleichzeitig mit dem Spielen der Töne werden die Farben auf eine Leinwand projiziert. »PROMÉTHÉE«: EIN AUSSER­ ORDENTLICHES EREIGNIS Die Uraufführung des »Prométhée« am 15. März 1911 in Moskau fand wegen technischer Probleme ohne das vorgeschriebene Farbenklavier statt. Erst bei der New Yorker Aufführung vier Jahre später konnte ein von Rimington gebautes Instrument herangezogen werden. Das Klavier und die Leinwand, die mit Farbprojektionen angestrahlt wurde, gaben jedoch nur einen Abglanz von Skrjabins künstlerischen Intentionen wieder. Beide Aufführungen riefen übrigens Befremden hervor – gewiss nicht allein wegen der unvollständigen technischen Realisation. Skrjabins Bruch mit dem bewährten Dur-Moll-System, der Neuheit seiner Klangsprache konnten die Zuhörer damals zumeist nicht folgen. Und dass während der Moskauer Uraufführung eine Hörerin eine Herzattacke erlitt, bestätigte darüber hinaus das Publikum in seinem Glauben, Skrjabins Musik sei krankhaft. Dennoch sorgten die wenigen positiven Reaktionen für einige begeisterte Rezensionen: Die Moskauer Uraufführung von »Prométhée« wurde als außerordentliches Ereignis hervorgehoben, das Werk selbst als absolutes Novum auf dem Gebiet der Tonkunst gedeutet. Aleksandr Skrjabin: »Prométhée« 13 »Braut und Schwester bist du dem Bruder« PETER JOST LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN RICHARD WAGNER (1813–1883) »Die Walküre« Erster Tag des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen« konzertante Aufführung des ersten Aufzugs Geboren am 22. Mai 1813 in Leipzig; gestorben am 13. Februar 1883 in Venedig. ENTSTEHUNG Dichtung und Komposition der Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« beschäftigten Wagner vom ersten Handlungsentwurf bis zur letzten Partiturseite über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten. Im November 1851 teilte er Franz Liszt erstmals den Plan eines auf vier Tage konzipierten Bühnenfestspiels mit und entwarf noch im selben Monat Prosaskizzen zu »Das Rheingold« und »Die Walküre«; 1852 wurden beide Dichtungen in Wagners Zürcher Exil abgeschlossen, und bereits am 15. Dezember 1852 lag die vollständige »Ring«-Dichtung vor. Bis Mai 1854 arbeitete Wagner noch an der Orchesterskizze des »Rheingold«, um dann auf die Komposition der »Walküre« vorzugreifen, deren Orchesterskizze er am 27. Dezember 1854 abschloss. Unterbrochen von Konzertreisen konnte Wagner die vollständige Parti- Richard Wagner: »Die Walküre« 14 Clementine Stockar-Escher: Portrait Richard Wagners im Züricher Exil (um 1853) Richard Wagner: »Die Walküre« 15 turreinschrift der »Walküre« erst am 23. März 1856 in Zürich beenden. WIDMUNG Wagner widmete die »Die Walküre« seinem Freund und Förderer König Ludwig II. von Bayern (1845–1886). Er fasste die Widmung in ein langes, aus sieben Strophen bestehendes Gedicht mit dem Titel »Dem Königlichen Freunde«, datiert: »Starnberg, im Sommer 1864«. Innerhalb des kompletten »Ring«-Zyklus hat die Widmung den verkürzten Wortlaut: »Im Vertrauen auf den deutschen Geist entworfen und zum Ruhme seines erhabenen Wohlthäters, des Königs Ludwig II. von Bayern, vollendet von Richard Wagner« (im Erstdruck der Partiturausgabe des 4-teiligen Gesamtwerks). URAUFFÜHRUNGEN Konzertante Ausschnitte (darunter »Winterstürme wichen dem Wonnemond« aus dem ersten Aufzug): Am 26. Dezember 1862 in Wien (Dirigent: Richard Wagner). Erste szenische Aufführung: Am 26. Juni 1870 in München (Dirigent: Franz Wüllner; Inszenierung: Reinhard Hallwachs; Bühnenbilder: Heinrich Döll, Christian Jank und Angelo Quaglio; Kostüme: Franz Seitz); Wagner war der von ihm unerwünschten Aufführung bewusst ferngeblieben, weil er einer Uraufführung der »Walküre« im Rahmen der ersten Gesamtaufführung des »Ring des Nibelungen« den Vorzug gegeben hätte. Erste Aufführung innerhalb des kompletten »Ring«-Zyklus: Am 14. August 1876 in Bayreuth (Dirigent: Hans Richter). INHALT DES ERSTEN AUFZUGS Vorspiel und erste Szene: Das Orchester setzt mit einem heftigen Sturmmotiv ein. Als der Sturm sich allmählich legt, tritt Siegmund auf. Von seinen Feinden verfolgt, sucht er waffenlos und verletzt in einer Hütte Zuflucht, die um eine große Esche herum gebaut ist. Die Hausherrin, Sieglinde, bemerkt ihn und bietet ihm einen Trank zur Erfrischung. Sie gibt ihm kund, dass er sich im Hause Hundings befinde. Siegmund berichtet, dass er vor seinen Feinden geflohen sei, nachdem ihm Speer und Schild zertrümmert waren. Beide fühlen sich nach dem ersten Blickkontakt zueinander hingezogen. Zweite Szene: Sieglindes Mann Hunding kehrt heim und erkundigt sich nach dem Fremden. Er gewährt ihm Gastrecht, misstraut ihm aber, zumal er eine Ähnlichkeit zu seiner Frau zu erkennen glaubt. Aufgefordert, seine Herkunft preiszugeben, nennt sich der Gast Wehwalt, Sohn Wolfes, und erzählt, wie er mit seinen Eltern und seiner Zwillingsschwester im Wald lebte, bis eines Tages Feinde die Mutter töteten und die Schwester entführten. Im Kampf von seinem Vater getrennt, irrt er seither als Unheil bringender Außenseiter durch die Welt. Jetzt ist er auf der Flucht vor einer Sippe, die ein Mädchen gegen ihren Willen mit einem ungeliebten Mann verheiraten wollte; Siegmund erschlug die Brüder des Mädchens und verlor auf der Flucht vor ihren Verwandten seine Waffe. Hunding stellt sich als Verbündeter dieser Sippe vor und muss erkennen, dass er den Verfolgten in seinem eigenen Haus vorfindet. Die kommende Nacht steht Siegmund unter dem Schutz des Gastrechts, aber am folgenden Tag will Hunding seinen ungebetenen Gast zum Zweikampf fordern. Mit Richard Wagner: »Die Walküre« 16 dieser Ankündigung ziehen sich Hunding und Sieglinde ins Schlafgemach zurück. Dritte Szene: Siegmund bleibt allein und ruft seinen Vater um Hilfe an, der ihm einst ein Schwert versprochen hatte, das er in der größten Not finden würde. Im Schein des aufflackernden Feuers gewahrt er eine glänzende Stelle im Stamm der Esche, auf die Sieglinde zuvor mit ihrem Blick hingewiesen hatte. Wenig später kehrt Sieglinde zurück; sie hat Hunding mit einem Schlaftrunk betäubt und erzählt Siegmund, wie bei ihrer Hochzeit mit Hunding, an den sie von ihren Entführern verschachert wurde, ein geheimnisvoller Greis ein Schwert in den Stamm der großen Esche stieß, das bislang niemand herauszuziehen vermochte. Siegmund, in dem sie ihren Retter zu erkennen glaubt, soll sich diese Waffe gewinnen. Als die große Tür der Hütte aufspringt und den Blick auf den vom Frühling verwandelten Wald freigibt, kommt die zwischen Siegmund und Sieglinde keimende Liebe elementar zum Ausbruch: »Winterstürme wichen dem Wonnemond«. Siegmund gibt sich als Sohn Wälses zu erkennen, und nachdem er das Schwert, das er Nothung nennt, aus der Esche gezogen hat, enthüllt Sieglinde, dass sie seine lang vermisste Zwillingsschwester ist. Von Leidenschaft überwältigt, sinken sich die Geschwister in die Arme: »So blühe denn Wälsungen-Blut !« Mit einem kurzen Nachspiel des Orchesters endet der Aufzug. VON DER EINZELNEN »HELDENOPER« ZUR TETRALOGIE Die Texte der vier Einzelteile des »Rings der Nibelungen« entstanden in umgekehrter Reihenfolge ihrer Vertonung. 1848 entwarf Wagner den Plan zu einer »Heldenoper« in drei Akten über »Siegfrieds Tod« (die spätere »Götterdämmerung«), kam aber nach der Niederschrift des Textbuchs zunächst nicht über Einzelskizzen zur Komposition hinaus. Im Mai 1851 entschied er sich, dem Bühnenwerk mit »Der junge Siegfried« (dem späteren »Siegfried«) ein weiteres Stück voranzustellen. Auch hier notierte er lediglich einige wenige musikalische Skizzen, denn nur wenige Monate später entschloss er sich, den beiden Werken zwei weitere vorangehen zu lassen: »Die Walküre« sowie »Das Rheingold«, das teilweise auch mit »Der Raub des Rheingoldes« betitelt wurde. Auch für »Die Walküre« hatte Wagner zeitweise Alternativtitel erwogen: »Geschichte der Wälsungen« sowie »Siegmund und Sieglinde: der Walküre Bestrafung«, was zwar weniger griffig erscheint, aber den Inhalt des Dramas wesentlich genauer erfasst. Komponiert wurden die Textbücher dann in der Reihenfolge, in der sie chronologisch aufeinander folgen, »Das Rheingold« (1853–54) als Vorabend, »Die Walküre« (1854–56) als Erster Tag, »Siegfried« (1856–57, 1864–65, 1869–71) als Zweiter Tag und »Götterdämmerung« (1869–74) als Dritter Tag des Bühnenfestspiels. DIE POSITION DER »WALKÜRE« IM »RING« Mit dem Entschluss, die Vorgeschichte zu Siegfrieds Tod und zum Untergang des Göttergeschlechts am Ende des »Rings« in eigenen Musikdramen darzustellen, erhielt »Die Walküre« eine Schlüsselposition. Hier werden zwei getrennte Handlungsstränge zusammengeführt, nämlich die Wälsungen-­ Tragödie und der Wotan-Mythos. Hatte Wagner zunächst sogar einen Auftritt Wotans in Hundings Hütte und damit eine unmittelbare Verbindung der Handlungsstränge vorgesehen, entschloss er sich Richard Wagner: »Die Walküre« 17 Arthur Rackham: Sieglinde bewirtet Siegmund (Illustration von 1910) Richard Wagner: »Die Walküre« 18 später für einen anderen Weg. Der erste Aufzug bleibt allein den Menschen vorbehalten, von Wotan ist, ohne dass dessen Name genannt wird, nur indirekt als »Wolf« oder »Wälse« die Rede. Besucher des »Rings«, die zunächst »Das Rheingold« erlebt haben, werden nun Zeugen einer gänzlich neuen Eröffnung. Die im ersten Aufzug der »Walküre« auftretenden Figuren Siegmund, Sieglinde und Hunding sind sämtlich unbekannt. Und die Handlung scheint ohne Zusammenhang mit dem Raub des Rheingolds vom Vorabend – erst im zweiten Aufzug enthüllen sich Zug um Zug die Zusammenhänge: Siegmund ist Wotans Sohn, gezeugt, um mit seiner Hilfe als angeblich freier Held den Göttervater aus einer prekären Situation zu retten: Das geraubte Gold, das Wotan zur Bezahlung seiner Götterburg seinerseits geraubt hatte, soll Siegmund zurückerlangen, um es den Rheintöchtern zurückzugeben, ein Plan, der, wie der weitere Verlauf der »Walküre« demonstriert, gründlich misslingt. OPERNHAFTE KANTABILITÄT DER SINGSTIMMEN So sehr das Thema Macht den »Ring« dominiert, spielt doch die Liebe als Gegenpart dazu eine große Rolle. Letztlich bildet ja die brüske Zurückweisung von Alberichs Liebeswerben durch die Rheintöchter sogar den Ausgangspunkt für die Handlung des »Rings«: Machtgier als Ersatz für vergebliche Liebesmühen. Zwar enthalten auch die Schlüsse von »Siegfried« und »Götterdämmerung« große Liebesszenen, jedoch wird deren Intensität durch den ersten Aufzug der »Walküre« merklich übertroffen. Hier ist die ganze Atmosphäre durch die aufkeimende Zuneigung zwischen Siegmund und Sieglinde einerseits und die zunächst verborgene, dann immer offener zu Tage tretende Abneigung zwischen Siegmund und Hunding beziehungsweise zwischen Sieglinde und Hunding andererseits geprägt. Emotionen, oder dramentheoretisch ausgedrückt: Affekte bestimmen die Handlung, und entsprechend breiten Raum nimmt die Kantabilität der Singstimmen ein, beides Elemente, die stark an die traditionelle Oper erinnern, von der sich Wagner im »Ring« abgrenzen wollte, der er aber hier gleichsam eine Insel des Gesanglichen reservierte. Wobei Handlung gleichsam in Anführungszeichen zu setzen ist, denn die Szene wird weniger von sichtbaren als von erzählten Aktionen bestimmt. Siegmund wie Sieglinde, in abgeschwächter Form auch Hunding, berichten jeweils, was sie erlebt haben, wodurch sich ihr Verhältnis zueinander erschließt. GESCHLOSSENHEIT DER PERSONENKONSTELLATION Der erste Aufzug der »Walküre« weist eine im gesamten »Ring« einzigartige Geschlossenheit auf: Geradezu lehrbuchmäßig realisiert Wagner die auf Aristoteles zurückgehenden Einheiten des klassischen Dramas: Einheit des Raums (Hundings Hütte), der Zeit (Abend und Nacht desselben Tages) und der Handlung (Konzentration auf das Verhältnis der drei Personen zueinander). Auch die Personenzusammenstellung ist schlicht und folgt dem gängigen Muster der Dreieckskonstellation: zwei Männer um eine Frau. Allerdings geht es nicht um das Liebeswerben zweier Rivalen, denn Hunding wurde Sieglinde gegen deren Willen angetraut; entsprechend versteht er seine Frau als Besitz, nicht als liebende und geliebte Partnerin. Ungewöhnlich ist ebenso das zunächst nur geahnte, dann als Gewissheit offenbarte Verwandtschaftsverhältnis der Liebenden. Angesichts dessen, Richard Wagner: »Die Walküre« 19 »Winterstürme wichen dem Wonnemond« als Postkartenmotiv was Siegmund und Sieglinde an Leid erfahren mussten, ist ihnen die Sympathie des Publikums sicher – trotz des Widerspruchs der Handlung zur bürgerlichen Moral, die eheliche Untreue und Inzest streng sanktioniert. Siegmunds Bekenntnis am Ende: »Braut und Schwester bist du dem Bruder« speist sich nicht zuletzt vom Gefühl der wütenden Rache an all denen, die es übel mit den Geschwistern meinten. Nicht von ungefähr heißt es in der begleitenden Regie­ anweisung: »Er zieht sie mit wütender Glut an sich«. CHARAKTERISTIK DER PERSONEN UND SITUATIONEN Zwar stammt der Ausdruck »Leitmotive« nicht von Wagner, jedoch tolerierte er diesen Begriff für die – so die eigene Bezeich- nung – »melodischen Momente«, die die Grundstruktur seiner Musikdramen bilden. Die Namen dieser Leitmotive verdanken sich der szenischen und ausdrucksmäßigen Situation, in der sie erstmals zu Gehör kommen. Nichts könnte charakteristischer sein als die Motive für die drei Personen des ersten Aufzugs der »Walküre«. Das »Siegmund-Motiv« erklingt zu Beginn der ersten Szene, wenn laut Regieanweisung der Held die Eingangstür öffnet und in Hundings Hütte eintritt. Im Piano vorgetragen, prägen schmerzliche Halbtonschritte das Motiv, wobei die kurzen Tonwiederholungen in Horn und Trompete auf einen Helden hindeuten; einen Helden freilich, der gebrochen scheint und maßloses Leid erfahren hat. Auch die zweite Siegmund zugeordnete Tonfolge, das sogenannte »Wehwalt«-Motiv, ertönt leise und Richard Wagner: »Die Walküre« 20 in Moll, die schmerzlichen Erfahrungen des Wälsungen-Geschlechts widerspiegelnd. Das »Sieglinde-­M otiv« erklingt, sobald Hundings Frau die Situation des Fremden erkennt. Bezeichnenderweise wird es auch »Sieglindes Mitleidsmotiv« genannt, denn die ausdrucksvolle, in den Streichern erklingende Gestalt drückt das Mitgefühl mit dem fremden Gast unmittelbar aus. Ganz anders dagegen das »Hunding-Motiv«, das bereits im Orchester ertönt, bevor die Person selbst auftritt: eine kurze, signalartige Tonfolge in den Blechbläsern, wilde Entschlossenheit symbolisierend und damit im größten Gegensatz zu den verhaltenden Strukturen des Zwillingspaares stehend. IM ZENITH DER PUBLIKUMSGUNST Unter den vier Musikdramen des »Rings« ist »Die Walküre« mit Abstand das beliebteste. Diese Favoritenrolle bahnte sich bereits zu Wagners Lebzeiten an, als der Komponist aus Geldnot Darbietungen außerhalb Bayreuths freigeben musste und dabei Einzel-Aufführungen nicht verhindern konnte. Diese Vorliebe lässt sich auf die zen­ trale Rolle der Liebe in ihren unterschied­ lichen Ausprägungen zurückführen – im ersten Aufzug die der Geschwister Siegmund und Sieglinde, im dritten diejenige zwischen Wotan und seiner Tochter Brünnhilde, seiner Lieblingswalküre. Bei konzertanten Aufführungen steht wiederum der erste Aufzug der »Walküre« an der Spitze der Beliebtheit. Dies hängt zum einen mit der erwähnten Geschlossenheit dieses Teils zusammen, denn Musik und Handlung sprechen für sich. Zwar tauchen einige der Motive aus dem »Rheingold« auf, jedoch nur punktuell – so das »Walhall-­M otiv«, wenn Siegmund von seinem Vater Wälse erzählt, der ja in Wahrheit niemand anderes als der Göttervater ist –, und keines- wegs wesentlich für den Mitvollzug der Handlung. Zum anderen hängt die Beliebtheit mit der opernnahen Musik zusammen, denn fraglos erklingt im ersten Aufzug ein Großteil der schönsten Melodien des gesamten »Rings«. Das Motiv der »Liebe« (auch als »Wälsungenliebesmotiv« bezeichnet) erklingt nach seinem ersten Auftritt im Solo-Cello, als sich Siegmund und Sieglinde erstmals tief in die Augen schauen, in zahlreichen Varianten und durchzieht den ganzen Aufzug wie ein roter Faden. Die sehnsuchtsvollen Halbtonschritte scheinen dabei bereits wie Vorwegnahmen des späteren »Tristan«-Stils. Und in der dritten Szene folgen die kantablen Passagen dicht aufeinander, mal siegesgewiss auftrumpfend wie zu »Dich selige Frau hält nun der Freund«, mal liedhaft schmeichelnd wie zu »Winterstürme wichen dem Wonnemond«, bis hin zum Belcanto-Aufschwung der Schluss­­zeilen. Richard Wagner: »Die Walküre« 21 Valery Gergiev DIRIGENT In Moskau geboren, studierte Valery Gergiev zunächst Dirigieren bei Ilya Musin am Leningrader Konservatorium. Bereits als Student war er Preisträger des Herbert-­ von-Karajan-Dirigierwettbewerbs in Berlin. 1978 wurde Valery Gergiev 24-jährig Assistent von Yuri Temirkanov am MariinskijOpernhaus, wo er mit Prokofjews Tolstoi-­ Vertonung »Krieg und Frieden« debütierte. 2003 dirigierte Gergiev als erster russischer Dirigent seit Tschaikowskij das Saisoneröffnungskonzert der New Yorker Carnegie Hall. Valery Gergiev leitet seit mehr als zwei Jahr­ zehnten das legendäre Mariinskij-Theater in St. Petersburg, das in dieser Zeit zu einer der wichtigsten Pflegestätten der russischen Opernkultur aufgestiegen ist. Darüber hinaus ist er Leiter des 1995 von Sir Georg Solti ins Leben gerufenen »World Or­ chestra for Peace«, mit dem er ebenso wie mit dem Orchester des Mariinskij-Theaters regelmäßig Welttourneen unternimmt. Von 2007 an war Gergiev außerdem Chefdirigent des London Symphony Orchestra, mit dem er zahlreiche Aufnahmen für das hauseigene Label des Orchesters einspielte. Valery Gergiev präsentierte mit seinem Mariinskij-Ensemble weltweit Höhepunkte des russischen Ballett-und Opernrepertoires, Wagners »Ring« sowie sämtliche Symphonien von Schostakowitsch und Prokofjew. Mit dem London Symphony Orchestra trat er regelmäßig im Barbican Center London, bei den Londoner Proms und beim Edinburgh Festival auf. Zahlreiche Auszeichnun­ gen begleiteten seine Dirigenten­karriere, so z. B. der Polar Music Prize und der Preis der All-Union Conductor’s Competition in Moskau. Seit Beginn der Spielzeit 2015/16 ist Valery Gergiev Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Die Künstler 22 Denis Matsuev Anja Kampe KLAVIER SOPRAN Seit seinem Gewinn des 1. Preises beim Internationalen Tschaikowskij Wettbewerb in Moskau 1998 hat sich der russische Ausnahmepianist Denis Matsuev zu einem der angesehensten Interpreten unserer Zeit entwickelt. Er arbeitet mit renommierten Orchestern wie dem New York Philharmonic Orchestra, dem Chicago Symphony Orchestra, den Berliner Philharmonikern, dem London Symphony Orchestra, dem London Philharmonic Orchestra u. a. zusammen und unter der Stabführung von Dirigenten wie Lorin Maazel, Valery Gergiev, Zubin Mehta, Mariss Jansons, Kurt Masur, Paavo Järvi, Leonard Slatkin, Myung-Whun Chung, Antonio Pappano, Semyon Bychkov, Jukka-Pekka Saraste, James Conlon, Vladimir Spivakov, Mikhail Pletnev und Vladimir Fedoseyev. Seine Einspielungen von Konzerten und Solo-Werken von Liszt, Rachmaninow und Schostakowitsch stießen bei der internationalen Fachpresse auf begeisterte Resonanz, so auch seine aktuelle Aufnahme der beiden SchostakowitschKonzerte und dem fünften Klavierkonzert von Rodion Schtschedrin mit Valery Gergiev und dem Mariinskij Orchester. Seit ihrem internationalen Durchbruch als Sieglinde an der Seite von Plácido Domingo in Washington 2003 sang Anja Kampe diese Partie u. a. in Barcelona, Berlin, Bayreuth, Budapest, London, Los Angeles, München, Paris und St. Petersburg. Darüber hinaus ist sie weltweit u. a. mit Interpretationen der Senta, »Fidelio«-Leonore und Isolde zu erleben. In der Saison 2014/15 gab Anja Kampe ihr umjubeltes Debüt als Tosca an der Staatsoper Berlin und sang am selben Haus zum ersten Mal in Deutschland Kundry. Sie arbeitete u. a. mit den Dirigenten Altinoglu, Barenboim, Conlon, Sir Elder, Fischer, Gatti, Gergiev, Harding, Jurowski, Luisi, Luisotti, Mehta, Muti, Nagano, Nelsons, Ono, Petrenko, Pons, Runnicles, Soltesz, Tate und WelserMöst zusammen. In der Spielzeit 2015/16 gibt Anja Kampe ihr Debüt als Tove in den »Gurrelieder«, singt Tosca und Sieglinde in Berlin, Budapest und München, Kundry in Madrid sowie Leonore in »Fidelio« in München und Wien. Eine Aufnahme von »Die Walküre« mit dem Mariinskij Orchester unter der Leitung von Valery Gergiev ist beim Mariinskij Label erhältlich. Die Künstler 23 Johan Botha René Pape TENOR BASS Der in Südafrika geborene Tenor kam 1990 nach Europa, wo sich seine internationale Karriere nach ersten Engagements in Deutschland schnell entwickelte. So gastiert er u. a. an den Staatsopern in Berlin, Dresden, Hamburg und München, am Gran Teatro del Liceu, an der Lyric Opera Chicago, am Royal Opera House Covent Garden, an der Los Angeles und San Francisco Opera, der Mailänder Scala, der Opera Bastille und am Théâtre Châtelet in Paris sowie an der Sydney Opera und bei den Salzburger Festspielen. Er ist regelmäßig an der Metropolitan Opera New York und an der Staatsoper seiner Wahlheimatstadt Wien zu Gast, welcher er seit seinem Debüt 1996 eng verbunden ist. Im Sommer 2010 debütierte Johan Botha mit Siegmund bei den Bayreuther Festspielen. Neben Opernauftritten ist er auch regelmäßig auf den großen Konzertpodien der Welt zu erleben und arbeitet mit allen bedeutenden Dirigenten unserer Zeit. 2004 wurde Johan Botha zum Österreichischen Kammersänger ernannt und ist seit Juni 2012 Botschafter der Blue-Shield-Foundation. René Pape war Mitglied des legendären Kreuzchors seiner Heimatstadt Dresden. Noch als Student gab er 1988 sein Debüt an der Berliner Staatsoper Unter den Linden, wo er sofort ein Engagement erhielt. Seither verkörperte er an diesem Haus die großen Partien seines Fachs, oftmals unter Leitung des Musikdirektors Daniel Barenboim. Sir Georg Solti holte ihn für die Partie des Sarastro zu den Salzburger Festspielen, wo er seitdem in vielen Partien auftrat. Seit seinem Debüt an der New Yorker Metropolitan Opera 1995 ist er auch dort regelmäßig zu hören und wurde 2010 zum »MET Mastersinger« gekürt. Als Gastkünstler ist er auf den bedeutenden Bühnen, u. a. der Staatsopern in Dresden, München und Wien, des Teatro Real Madrid, des Royal Opera House Covent Garden, der Opéra national de Paris und des Teatro alla Scala zu hören. Neben seinen Aufgaben im Bühnenbereich widmet sich René Pape einer sehr intensiven Konzerttätigkeit als Liedinterpret und Solist der internationalen Spitzenorchester. Seine Aufnahmen wurden bereits mit zwei Grammys und einem ECHOKlassik ausgezeichnet. Die Künstler 24 Philharmonischer Chor München Der Philharmonische Chor München ist einer der führenden Konzertchöre Deutschlands und Partnerchor der Münchner Philharmoniker. Er wurde 1895 von Franz Kaim, dem Gründer der Münchner Philharmoniker, ins Leben gerufen und feiert somit in diesem Jahr seinen 120. Geburtstag. Seit 1996 wird er von Chordirektor Andreas Herrmann geleitet. Das Repertoire erstreckt sich von barocken Oratorien über a-cappella- und chorsymphonische Literatur bis zu konzertanten Opern und den großen Chorwerken der Gegenwart. Das musikalische Spektrum umfasst zahlreiche bekannte und weniger bekannte Werke von Mozart über Verdi, Puccini, Wagner und Strauss bis hin zu Schönbergs „Moses und Aron“ und Henzes „Bassariden“. Der Chor pflegt diese Literatur ebenso wie die Chorwerke der Komponisten Bach, Händel, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Bruckner, Reger, Strawinsky, Orff oder Penderecki. Er musizierte u. a. unter der Leitung von Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Krzysztof Penderecki, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Sergiu Celibidache, Zubin Mehta, Mariss Jansons, James Levine, Christian Thielemann und Lorin Maazel. In den vergangenen Jahren hatten Alte und Neue Musik an Bedeutung gewonnen: Nach umjubelten Aufführungen Bach’scher Passionen unter Frans Brüggen folgte die Einladung zu den Dresdner Musikfestspielen. Äußerst erfolgreich wurde auch in kleineren Kammerchor-Besetzungen unter Dirigenten wie Christopher Hogwood und Thomas Hengelbrock gesungen. Mit Ton Koopman entwickelte sich eine enge musikalische Freundschaft, die den Chor auch zu den „Europäischen Wochen“ in Passau führte. Im Bereich der Neuen Musik war der Philharmonische Chor München mit seinen Ensembles bei Ur- und Erstaufführungen zu hören. So erklang in der Allerheiligen-Hofkirche die Münchner Erstaufführung der „Sieben Zaubersprüche“ von Wolfram Buchenberg unter der Leitung von Andreas Herrmann. Ende 2014 gestaltete der Chor die Uraufführung von „Egmonts Freiheit – oder Böhmen liegt am Meer“ unter der Leitung des Komponisten Jan Müller-Wieland. Der Philharmonische Chor ist auch ein gefragter Interpret von Opernchören und setzt nachdrücklich die unter James Levine begonnene Tradition konzertanter Opern­ aufführungen fort, die auch unter Christian Thielemann mit großem Erfolg gepflegt wurde. Zu den CD-Einspielungen der jüngeren Zeit zählen Karl Goldmarks romantische Oper „Merlin“, die 2010 den ECHO-Klassik in der Kategorie „Operneinspielung des Jahres – 19. Jahrhundert“ gewann, und eine Aufnahme von Franz von Suppés „Requiem“, die für den International Classical Music Award (ICMA) 2014 nominiert wurde. www.philchor.net Die Künstler 25 Andreas Herrmann CHORDIREKTOR chor, daneben zeitweise auch den Madrigalchor der Hochschule, und betreute in dieser Zeit Oratorienkonzerte, Opernaufführungen und a-cappella-Programme aller musikalischen Stilrichtungen. Pädagogische Erfolge erzielt Herrmann weiterhin mit der Ausbildung professioneller junger Chordirigenten aus ganz Europa, wie etwa in einem Spezialworkshop über neue a-cappella-­ Musik. Der 1963 in München geborene Dirigent und Chorleiter schloss sein Studium an der Münchner Musikhochschule mit dem Meisterklassen-Diplom ab. Seine Ausbildung ergänzte er durch zahlreiche internationale Chorleitungsseminare und Meisterkurse bei renommierten Chordirigenten wie Eric Ericson und Fritz Schieri. Als Professor an der Hochschule für Musik und Theater in München unterrichtet An­ dreas Herrmann seit 1996 vorwiegend im Hauptfach Chordirigieren. Zehn Jahre, von 1996 bis 2006, leitete er den Hochschul- 1996 übernahm Andreas Herrmann als Chordirektor die künstlerische Leitung des Philharmonischen Chores München. Mit ihm realisierte er zahlreiche Einstudierungen für Dirigenten wie Lorin Maazel, Zubin Mehta, Christian Thielemann, James Levine, Mariss Jansons, Krzysztof Penderecki, Manfred Honeck, Andrew Manze, Ton Koopman und viele andere. Mit dem Philharmonischen Chor und anderen professionellen Chören, Orchestern und Ensembles entfaltet Herrmann auch über sein Engagement bei den Münchner Philharmonikern hinaus eine rege Konzerttätigkeit, die auch CD-Produktionen einschließt. Konzertreisen als Chor- und Oratoriendirigent führten ihn durch Europa, nach Ägypten und in die Volksrepublik China. Die Künstler 26 Die Philharmoniker als frühe Botschafter russischer Musik GABRIELE E. MEYER Russische Musik in München ? Ein Streifzug durch die Programme der Münchner Philharmoniker von 1893 (dem Gründungsjahr des Orchesters) bis in die frühen 30er Jahre zeigt, dass neben den wiederkehrenden Beethoven-, Brahms- und Bruckner-­ Zyklen, die zahlreichen Richard Wagner-­ Abende nicht zu vergessen, auch nicht-­ deutsche Musik, vor allem aber russische Musik aufgeführt wurde. Mit diesem Beitrag soll an einen Dirigenten und Komponisten erinnert werden, dem die Münchner Musikfreunde Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen äußerst spannenden Einblick in die damalige Musikentwicklung seines Landes verdankten, kannte man doch außerhalb Russlands bislang kaum mehr als die Musik des eher westeuropäisch orientierten Pjotr Iljitsch Tschaikowskij. Gefördert von Milij Balakirew studierte der am 5. Dezember 1869 in Tiraspol geborene Nikolaj Iwanowitsch von Kasanli (auch: Kazanli) neben seiner Offizierslaufbahn u. a. Komposition bei Nikolaj Rimskij-Korsakow, bevor er ins Ausland ging. Wie schon vor ihm Jurij Nikolajewitsch Gallitzin sah es auch Kasanli als seine vornehmste Aufgabe an, einen Überblick über die verschiedenen musikalischen Stilrichtungen seiner Heimat zu geben. In seinem Münchner Debüt als Dirigent am 17. März 1897 – der ursprünglich angesetzte Termin wurde »wegen eingetretener Hindernisse« um zwei Tage verschoben – , stellte sich Kasanli sogleich mit eigenen Kompositionen vor. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« würdigten seine eingangs gespielte Symphonie in f-Moll als durchaus ernstzunehmende Talentprobe. »Sie zeigt nicht nur, daß der junge Mann vortreffliche Studien gemacht hat, sondern sowohl im Aufbau wie in der Ausgestaltung der fast durchweg edel empfundenen Themen und Melodien ein Beweis wahrer Begabung ist. […] Der seine Werke selbst dirigierende Komponist wurde nach jedem Satze der vom Kaim-Orchester vortrefflich gespielten Symphonie durch verdienten starken Beifall geehrt.« Die Vokalbeispiele hingegen fanden deutlich weniger Anklang. Daran konnten auch die »Hervor- Russische Musik in München 27 Programm des letzten »Russischen Symphonie-Concerts« unter Leitung von Nikolaj von Kasanli Russische Musik in München 28 rufungen« am Ende des Abends nichts ändern. Zehn Monate später übernahm Kasanli die zweite Hälfte eines Konzerts mit der »Königlichen Hofopernsängerin Emilie Herzog aus Berlin«. Zunächst spielte das Orchester nochmals die f-Moll-Symphonie, danach Borodins »Steppenskizze aus Mittelasien« und Balakirews »Ouvertüre über ein spanisches Marschthema«. In dem am 30. Dezember 1898 geleiteten »Russischen Symphonie-Concert« machte Kasanli noch auf weitere Komponisten aus dem Umkreis des sogenannten »Mächtigen Häufleins« wie Sergej Ljapunow und Aleksandr Tanejew aufmerksam. Balakirew war diesmal mit der symphonischen Dichtung »Russia« vertreten, der Dirigent mit In­strumentationen von zwei Klavierstücken von Franz Liszt (»Sposalizio« und »Il Penseroso«) sowie von Schuberts »Erlkönig«. Das Echo war diesmal recht zwiespältig. »Es ist überhaupt mit der ganzen jung-russischen Schule eine eigene Sache. Ihre Vertreter bringen oft recht Interessantes, bei dem aber vielfach mehr Absonderlichkeit, als echte Originalität sich äußert.« Dank Kasanlis Engagement kam es ein gutes Jahr später gar zu einem »Concert Michael Glinka gewidmet«. Zum ersten Mal erklangen große Teile – »Fragmente« wie es damals hieß – aus der Oper »Ruslan und Ljudmila«, die trotz des Fehlens von Handlungsübersicht und der jeweiligen Szenentexte in der Konzerteinführung äußerst positiv aufgenommen wurden. So meinten die »Münchner Neuesten Nachrichten«, dass die Bruchstücke durchweg interessant und reich an charakteristischen Stellen seien, »deren Wirkung durch eine sehr farbenreiche Instrumentation gehoben wird«. Die sehr detaillierte Besprechung würdigte zudem die Leistung aller Mitwirkenden. »Das Kaim-Orchester hielt sich sehr wacker, und Herr v. Kasanli, der mit viel Schwung und Lebendigkeit dirigierte, wußte das oft sehr komplizierte Ensemble gut zusammenzuhalten, wenn auch viele Momente […] zu stärkerer Wirkung hätten gelangen können.« Weitere Konzerte mit wiederum zum Teil noch nicht gehörten Werken von Aleksandr Dargomyschskij, César Cui und Nikolaj Rimskij-Korsakow sowie von Balakirew, Borodin und Tanejew folgten, dann verließ Kasanli die Residenzstadt München. Bis auf Modest Mussorgskij hatte er alle wichtigen Komponisten vorgestellt, einen Bogen gespannt von Glinka und Dargomyschskij als den Vätern der russischen Tradition bis zu den Protagonisten und Sympathisanten des »Mächtigen Häufleins«, denen ja auch Kasanli angehörte. Doch riss die Vorliebe für das Russische nach seinem Weggang nicht ab. Nun gab es Komponisten zu entdecken wie beispielsweise die (bis heute) völlig unbekannten Sergej Bortkjewitsch, Wasilij Kalinnikow, Nikolaj Lopatnikow und Modest Mussinghoff, aber auch selten gespielte Werke von Anton Rubinstein, Anatol Ljadow, Aleksandr Skrjabin, Aleksandr Glasunow, Sergej Prokofjew, Igor Strawinskij, Aleksandr Tscherepnin und Wladimir Vogel. Noch bis zum Beginn der 30er Jahre wurden »Russische Abende« angesetzt, aber keiner hatte sich so engagiert für die Musik seines Landes eingesetzt wie jener heute zu Unrecht vergessene Dirigent, Komponist und unermüdliche Organisator Nikolaj von Kasanli. Am 23. Juli 1916 ist er in St. Petersburg gestorben. Russische Musik in München 29 Donnerstag 10_12_2015 13_30 Uhr ÖGP Freitag 11_12_2015 20 Uhr c Sonntag 13_12_2015 11 Uhr m RICHARD WAGNER »Siegfried-Idyll« RICHARD STRAUSS »Metamorphosen« DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCH Symphonie Nr. 15 A-Dur op. 141 VALERY GERGIEV Dirigent Dienstag 15_12_2015 20 Uhr k4 RICHARD WAGNER Vorspiel zum I. Aufzug von »Lohengrin« RICHARD STRAUSS Symphonische Fantasie aus »Die Frau ohne Schatten« op. 65 SERGEJ RACHMANINOW Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30 ALEKSANDR SKRJABIN »Le Poème de l’Extase« op. 54 VALERY GERGIEV Dirigent DANIIL TRIFONOV Klavier Montag 14_12_2015 19 Uhr 1. Jugendkonzert RICHARD WAGNER Vorspiel zum I. Aufzug von »Lohengrin« SERGEJ RACHMANINOW Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30 ALEKSANDR SKRJABIN »Le Poème de l’Extase« op. 54 VALERY GERGIEV Dirigent DANIIL TRIFONOV Klavier Vorschau 30 Die Münchner Philharmoniker 1. VIOLINEN Sreten Krstič, Konzertmeister Lorenz Nasturica-Herschcowici, Konzertmeister Julian Shevlin, Konzertmeister Odette Couch, stv. Konzertmeisterin Lucja Madziar, stv. Konzertmeisterin Claudia Sutil Philip Middleman Nenad Daleore Peter Becher Regina Matthes Wolfram Lohschütz Martin Manz Céline Vaudé Yusi Chen Helena Madoka Berg Iason Keramidis Florentine Lenz 2. VIOLINEN Simon Fordham, Stimmführer Alexander Möck, Stimmführer IIona Cudek, stv. Stimmführerin Matthias Löhlein, Vorspieler Katharina Reichstaller Nils Schad Clara Bergius-Bühl Esther Merz Katharina Triendl Ana Vladanovic-Lebedinski Bernhard Metz Namiko Fuse Qi Zhou Clément Courtin Traudel Reich BRATSCHEN Jano Lisboa, Solo Burkhard Sigl, stv. Solo Julia Rebekka Adler, stv. Solo Max Spenger Herbert Stoiber Wolfgang Stingl Gunter Pretzel Wolfgang Berg Beate Springorum Konstantin Sellheim Julio López Valentin Eichler Yushan Li VIOLONCELLI Michael Hell, Konzertmeister Floris Mijnders, Solo Stephan Haack, stv. Solo Thomas Ruge, stv. Solo Herbert Heim Veit Wenk-Wolff Sissy Schmidhuber Elke Funk-Hoever Manuel von der Nahmer Isolde Hayer Sven Faulian David Hausdorf Joachim Wohlgemuth Das Orchester 31 KONTRABÄSSE Sławomir Grenda, Solo Fora Baltacigil, Solo Alexander Preuß, stv. Solo Holger Herrmann Stepan Kratochvil Shengni Guo Emilio Yepes Martinez Ulrich Zeller Thomas Hille Alois Schlemer Hubert Pilstl Mia Aselmeyer TROMPETEN Guido Segers, Solo Bernhard Peschl, stv. Solo Franz Unterrainer Markus Rainer Florian Klingler FLÖTEN POSAUNEN Michael Martin Kofler, Solo Herman van Kogelenberg, Solo Burkhard Jäckle, stv. Solo Martin Belič Gabriele Krötz, Piccoloflöte Dany Bonvin, Solo David Rejano Cantero, Solo Matthias Fischer, stv. Solo Quirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune OBOEN PAUKEN Ulrich Becker, Solo Marie-Luise Modersohn, Solo Lisa Outred Bernhard Berwanger Kai Rapsch, Englischhorn Stefan Gagelmann, Solo Guido Rückel, Solo Walter Schwarz, stv. Solo KLARINETTEN Alexandra Gruber, Solo László Kuti, Solo Annette Maucher, stv. Solo Matthias Ambrosius Albert Osterhammer, Bassklarinette FAGOTTE Lyndon Watts, Solo Sebastian Stevensson, Solo Jürgen Popp Jörg Urbach, Kontrafagott HÖRNER Jörg Brückner, Solo ~eira, Solo Matias Pin Ulrich Haider, stv. Solo Maria Teiwes, stv. Solo Robert Ross SCHLAGZEUG Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger Jörg Hannabach HARFE Teresa Zimmermann CHEFDIRIGENT Valery Gergiev EHRENDIRIGENT Zubin Mehta INTENDANT Paul Müller ORCHESTERVORSTAND Stephan Haack Matthias Ambrosius Konstantin Sellheim Das Orchester 32 IMPRESSUM BILDNACHWEISE Herausgeber: Direktion der Münchner Philharmoniker Paul Müller, Intendant Kellerstraße 4 81667 München Lektorat: Christine Möller Corporate Design: HEYE GmbH, München Graphik: dm druckmedien gmbh München Druck: Color Offset GmbH Geretsrieder Str. 10 81379 München Abbildung zu Arnold Schönberg: wikimedia commons. Abbildungen zu Aleksandr Skrjabin: Igor Fjodorowitsch Belsa, Ale­ xander Nikolajewitsch Skrjabin, Berlin 1986. Abbildungen zu Richard Wagner: Herbert Barth, Dietrich Mack und Egon Voss (Hrsg.), Wagner – Sein Leben, sein Werk und seine Welt in zeitgenössischen Bildern und Texten, Wien 1975; wikimedia commons; Jordi Mota, María Infiesta, Das Werk Richard Wagners im Spiegel der Kunst, Tübingen 1995. Privatbesitz Gabriele E. Meyer. Künstlerphotographien: Marco Borggreve (Gergiev), Pavel Antonov (Matsuev), Sasha Vasiljev (Kampe), Lewin Management (Botha), Mathias Bothor (Pape), privat (Herrmann). TEXTNACHWEISE Marcus Imbsweiler, Irina Paladi, Peter Jost und Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeträge für die Programmhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler verfasste die lexikalischen Werkangaben und Kurzkommentare zu den aufgeführten Werken. Künstlerbiographien: nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Autorinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig. TITELGESTALTUNG »Im ersten Aufzug der »Walküre« sucht Siegmund ausgerechnet im Hause seines Verfolgers Schutz. Völlig erschöpft und rastlos findet er keine Ruhe, um sich zu erholen, als Hunding seine Herkunft erkennt. Diese Hektik und das ständige Vo­ rantreiben spiegelt sich Impressum auch in einer permanent hell erleuchteten Wolkenkratzer-Stadt der heutigen Zeit wieder. Ein Ort, welcher dem Einzelnen keinen Schutz bieten kann. Voller Unruhe und Rastlosigkeit – genau wie in Wagners Vorspiel.« (Falko Herold, 2015) DER KÜNSTLER Falko Herold wuchs in München auf und studierte später Bühnenbild an der Wiener Akademie der Bildenden Künste. Die Zusammenarbeit mit Johannes Schaaf und Hermann Schneider führte Ihn dann an renommierte Häuser weltweit. Für David Bösch gestaltete er die Ausstattung für verschiedene Inszenierungen am Theater in Basel, an der Opéra de Lyon und am Bayerischen Staatsschauspiel. Außerdem entwarf er Kostüme für die Bayerische Staats­ oper. In freundschaftlicher Zusammenarbeit mit VALERY GERGIEVS DAS FESTIVAL DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER — GASTEIG Freitag 13_11_2015 ERÖFFNUNGSKONZERT VALERY GERGIEV Samstag 14_11_2015 12 STUNDEN MUSIK EINTRITT FREI Sonntag 15_11_2015 PROKOFJEW–MARATHON VALERY GERGIEV MPHIL.DE 3 M FÜ U TA R SI GE AL K LE ’15 ’16 DAS ORCHESTER DER STADT