SI D Religion · Beitrag 15 Hinduismus 1 Hinduismus – tausend Götter und ein Himmel? Anne Müller, Rottenburg H C S R © Thinkstock/iStock. U A Ganesha ist eine der beliebtesten Formen des Göttlichen im Hinduismus. Er wird angerufen, um Glück, Erfolg oder gutes Gelingen für ein Vorhaben zu erbitten. O V Klasse: 9/10 Dauer: 9 Stunden + 1 Stunde Lernerfolgskontrolle Arbeitsbereich: Religion / Weltreligionen Was verbirgt sich hinter den Schlagworten Karma, Moksha und Samsara? Wie gelingt der Ausgang aus dem Kreislauf der Wiedergeburten? Und was meinen Hindus, wenn sie ihre Religion als sanathana dharma – als „ewiges Gesetz“ bezeichnen? Welche Rolle das Kastensystem in Indien spielt, warum Ehen nur selten aus Liebe geschlossen werden und welche Bedeutung Mahatma Gandhi bis heute zukommt, das erörtern die Lernenden in dieser Einheit. Ziel dieser Reihe ist es, die Jugendlichen für einen Dialog der Religionen zu sensibilisieren und ihnen zentrale Grundbegriffe hinduistischer Traditionen zu erschließen. Sie werfen einen Blick auf den Ablauf eines hinduistischen Hochzeitsfestes, erfahren, warum Hindus fleischlos leben, und machen sich vertraut mit ihrem Gottesbild. So fördert diese Reihe das, was unerlässlich erscheint: echte Dialogfähigkeit, die um das Eigene weiß, dem Andersartigen aber offen entgegentritt. zur Vollversion 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 2 Hinduismus D Religion · Beitrag 15 SI Fachwissenschaftliche Orientierung I Was ist Hinduismus? – Von der Schwierigkeit, einen Begriff zu fassen Laut dem Hindu Marriage Act aus dem Jahre 1955 ist ein Inder ein Hindu, wenn er keiner anderen Religion angehört. Diese geschickt ausweichende Definition formulierten nicht die Inder selbst. Sie stellt eine Fremdbezeichnung seitens der britischen Kolonialmacht dar, die bestrebt war, die unübersichtliche religiöse und kulturelle Vielfalt Indiens zumindest sprachlich zu bändigen. Dabei übersah sie, dass der Hinduismus keine einheitliche Religion ist, sondern eine Vielzahl komplexer religiöser Traditionen und gesellschaftlicher Phänomene umfasst. Es handelt sich, so Peter Kliemann, „um einen Kulturkreis, um eine Familie von Lebensformen, die man sich nicht vielfältig, bunt faszinierend und widersprüchlich genug vorstellen kann.“1 All diese religiösen Traditionen beeinflussen und überlagern sich zwar wechselseitig, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich Stiftern, heiligen Schriften, Glaubenslehren, Götterwelt, Ritualen und Sprachen grundlegend voneinander. U A „Die monotheistische Verehrung eines Gottes ist ebenso möglich wie die polytheistische oder -dämonistische Anbetung vieler Götter […]. Ein Gott ausklammernder Monismus existiert neben Dualismus, Materialismus und Agnostizismus. […] Es gibt ein Gebot zur Nichtverletzung von Lebewesen, die ahimsa, aber auch Tieropfer und Spuren von Menschenopfern. Nichts scheint allgemein akzeptiert zu sein, nicht einmal die Lehre vom Karma, der Tatvergeltung durch Wiedergeburt […].“2 Auch deshalb lässt sich der Hinduismus kaum unter unseren westlichen Begriff von „Religion“ subsumieren. H C II Die Grundzüge des Hinduismus in seiner historischen Entwicklung S R Der Hinduismus wurzelt in den in der altindischen Sprache Sanskrit verfassten heiligen Schriften, den Veden (ca. 1500–1200 v. Chr.: Rigveda: Lobeshymnen; Samaveda: Gesänge; Yajurveda: Opferformeln; Atharveda: Zauberformeln). Schon dort ist der Samsara-Gedanke vom ewigen Kreislauf der Wiedergeburten und von der Vergeltung der Taten eines Lebewesens durch die Gestalt, in der es wiedergeboren wird, grundgelegt. Die Veden spiegeln jedoch den Entwicklungsstand des Hinduismus als einer opferritualistischen Religion wider. O V Der Samsara-Gedanke wird im Laufe der internen Religionsgeschichte problematisiert. In den Upanishaden, den philosophischen Schriften, die in der Zeit zwischen 800 und 500 v. Chr. entstanden, wird der Reinkarnationsgedanke pessimistisch umgedeutet. Das Dasein gilt als leidvoll, die äußeren Güter als vergänglich. Ziel ist es, dem Kreislauf der Seelenwanderung zu entkommen. Als Wege gelten Askese und Meditation, die sich in den sechs klassischen philosophischen Systemen konkretisieren. Der bis heute bekannteste Weg ist der Yoga, wenn auch in Europa nur in einer eher körperbetonten Variante (Hatha Yoga). In den Upanishaden bildet sich auch das idealistische Weltbild des Hinduismus heraus. Demnach gibt es nur eine Wirklichkeit. Diese ist immateriell und wird als Brahman bezeichnet. Brahman ist der „Urgrund“ der Welt (die „Weltseele“). Die materielle Welt hingegen ist nur eine Illusion. Sie existiert nicht wirklich. Auch die Einzelseele eines Lebewesens (Atman) hat kein eigenes Dasein. Sie ist Teil von Brahman. Solange der Mensch jedoch dem „Schleier der Maya“, der Verblendung, unterliegt, wird er immer wiedergeboren. Das Heilsziel, die Erlösung von der Seelenwanderung (Moksha), ist nur über die Einsicht in die Identität von Atman und Brahman zu erlangen. Diese Erkenntnis wird jedoch nicht durch das Studium von Büchern-, sondern nur durch Erfahrungswissen und intensive Meditationspraxis erreicht. Erlösung erlangt derjenige, der das Wesen der Welt erkannt hat. Seine Einzelseele geht in der Weltseele auf „wie ein Fluss im Meer“, so der indische Philosoph Shankara (788–820 n. Chr.). Der so beschriebene Wandel von der opferritualistischen zur spiritualistischen Religion stellt indes nur einen, den intellektuellen und letztlich einer Elite vorbehaltenen Entwicklungsstrang 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion SI D Religion · Beitrag 15 Hinduismus 3 dar. Die hinduistische Volksreligion in all ihren Facetten bildet demgegenüber bis heute „unter den fünf großen Religionen der Menschheit die vielgestaltigste“, weil sie „fast alle Ausdrucksformen des religiösen Lebens enthält, die auf Erden entstanden sind“3. Dennoch wird das Erscheinungsbild des Hinduismus nicht nur von exotischen Götterbildern, farbenfrohen Prozessionen und Tempeln geprägt, sondern weitaus stärker von der großen Anzahl indischer Sadhus, „frommer Männer“, die sich ganz dem Asketendasein hingeben. III Welcher Zusammenhang besteht zwischen Religion, Gesellschaftsordnung und Politik? In Indien sind Hinduismus und Kastenwesen, Religion und Gesellschaftsordnung noch immer untrennbar miteinander verbunden. Wer als Hindu auf die Welt kommt, wird zugleich in eine der vier Hauptkasten (Varnas) oder in die Klasse der „Unberührbaren“ hineingeboren. Die Zugehörigkeit zu einer dieser Gesellschaftsgruppen bestimmt das Leben von Beginn an. Das Kastenwesen gilt nicht ohne Grund als undemokratisch, fortschrittsfeindlich und in seinen extremen Auswirkungen als rassistisch, gar menschenverachtend. Zwar räumt die demokratische Verfassung Indiens allen Menschen die gleichen Rechte und Pflichten ein. Alle Versuche der indischen Regierungen aber, die Diskriminierung indischer Bürger aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit zu verringern, vermochten die faktische Bedeutung des Kastenwesens jedoch nicht zu minimieren. Allenfalls in den urbanen Zentren wurde die überkommene Gesellschaftsordnung in den Hintergrund gedrängt. U A H C IV Gesellschaftliche Wirklichkeiten im Spiegel der Hochzeit Deshalb ist Liebe in Indien bis heute nicht das vorherrschende Motiv für die Ehe. In der Regel sind Ehen arrangiert. Braut und Bräutigam werden von den Vätern ausgesucht. Unter Aufsicht der Verwandten lernen sie einander kennen. Dabei gelten nicht nur verwandtschaftliche und kastenspezifische Kriterien für die Wahl des Partners. Berücksichtigt werden auch Alter, Bildung und Charakter, Gesundheit, Schönheit und Hautfarbe. Nach der Hochzeit zieht die Frau in das Haus ihres Mannes. Sie erhält dessen Familien- und Subkastennamen. Die Mitgift wird zuvor ausgehandelt, wobei die Brautpartei den ungleich höheren Anteil trägt. S R Bis heute ist das Thema „Hochzeit“ aufgrund seiner Verbindung mit der anhaltenden Bedeutung der Kasten und Schichtungen der indischen Gesellschaft oft Zielscheibe westlich mahnender Zeigefinger (Kinderehe, Witwen-Problematik, Gender-Diskriminierung). Doch bei aller berechtigten Kritik über die herrschenden Missstände hinsichtlich bestehender gesellschaftlicher Ungleichheiten und der Benachteiligung von Frauen ist es wichtig im Blick zu behalten, dass der westliche Außenblick oft Gefahr läuft, positive wie negative Gegebenheiten zur Projektionsfläche eigener Wirklichkeiten zu machen. O V V Welche Rolle spielte Mohandas Karamchand Gandhi in Indien? Bereits gegen Ende der 1910er Jahre entwickelte sich Gandhi zum politischen und geistigen Anführer der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Er verurteilte Menschenrechtsverletzungen gegenüber Unberührbaren und Frauen. Er trat ein für die Versöhnung zwischen Hindus und Muslimen, engagierte sich im Kampf gegen die koloniale Ausbeutung und für ein neues, autarkes, von der bäuerlichen Lebensweise geprägtes Wirtschaftssystem. Er forderte gewaltfreien Widerstand, zivilen Ungehorsam und Hungerstreiks im Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft, die 1947 endete. Ein halbes Jahr später fiel er einem Attentat zum Opfer. VI Wie reden Hindus von Gott? Im Hinduismus stehen Traditionen, die einen personalen Gott verehren, neben polytheistischen Strömungen. Es existiert eine unüberschaubare Götterwelt und das allumfassende abstrakte Prinzip, die „Weltseele“ Brahman. Der Lauf der Welten wird als unendlicher gedacht (Samsara), das Ziel des Eingehens in Brahman ist nur individuell erreichbar. zur Vollversion 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 6 Hinduismus D Religion · Beitrag 15 SI M 10 Bereiten Sie ein durchsichtiges Gefäß mit heißem Wasser vor. Nehmen Sie etwas Salz und einen Löffel mit. Halten Sie die Hinweise zu M 10 bereit, um die Antwort von Svetaketus Vater begleitend zum Experiment vortragen zu können. M 11 Zerschneiden Sie die Vorlage entlang der gestrichelten Linie. Kopieren Sie dann beide Hälften doppelseitig auf ein Blatt. Zerschneiden Sie anschließend die Kästchen mit den Schlagworten und Definitionen zum Hinduismus. Richtig zusammengelegt ergibt sich auf der Rückseite das Rezept für Laddus. Wollen Sie Laddus zubereiten, bringen Sie die notwendigen Zutaten mit. M 13 Verteilen Sie das Impulsreferat zu M 13 (Yoga) rechtzeitig. Bereiten Sie DIN-A3-Plakate mit den Reflexionsfragen vor und halten sie Magnete bereit. Materialübersicht Stunde 1 und 2 Karma, Dharma und Co. – Einführung in den Hinduismus M 1 (Bd/Tx) M 2 (Tx) M 3 (Gd) U A Karma, Dharma und Co. – Was ist Hinduismus? Im Kreislauf des Lebens – Grundbegriffe des Hinduismus Die Karma-Lehre im Überblick Stunde 3 und 4 Heilige Kuh versus Milchmaschine – vom rechten Umgang mit Tieren H C M 4 (Bd) M 5 (Tx) M 6 (Tx) Kühe – Milchmaschinen oder heilige Tiere? Wie sollen wir leben? Was dürfen wir tun? – Gandhi als Vorbild Du sollst nicht töten – Gandhis Konzept von Ahimsa Stunde 5 Fleisch oder fleischlos? – Ein Wortgefecht M 7 (Ab) „Gemüse ist mein Fleisch!“ – Eine Pro- und Kontra-Debatte Stunde 6 Schneeweißchen und Rosenrot – wie Hindus Hochzeit feiern M 8 (Bd) M 9 (Tx) Schneeweißchen und Rosenrot – wie Hindus heiraten Andere Länder, andere Sitten – ein Telefonat Stunde 7 Das Göttliche der Upanishaden – unermesslich, unergründlich, unfassbar M 10 (Ab) Stunde 8 M 11 (Ab) Stunde 9 M 12 (Tx) Stunde 10 M 13 (Ab) S R O V Brahman – unermesslich, unergründlich, unfassbar Teste dein Wissen – oder: Was ist Ganeshas Leibspeise? Kennst du dich aus? Oder: Wonach greift Ganesha? Lernerfolgskontrolle Vorschlag für eine Lernerfolgskontrolle Yoga – ein Weg zur Erkenntnis? Yoga – ein Weg zur Erkenntnis? Abkürzungen Ab = Arbeitsblatt, Bd = Bild, Fo = Folie, Gd = Grafische Darstellung, Tx = Text 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion 10 M3 Hinduismus D Religion · Beitrag 15 SI Die Karma-Lehre im Überblick Du hast dich mit der hinduistischen Vorstellung vom Kreislauf des Lebens auseinandergesetzt. Betrachte die nachfolgende Skizze und beschrifte sie. U A H C S R O V Grafik: Doris Köhl. Aufgabe (M 3) Beschrifte die Skizze mit geeigneten Begriffen sowie kurzen Erläuterungen. 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion 14 M4 Hinduismus D Religion · Beitrag 15 SI Kühe – Milchmaschinen oder heilige Tiere? U A H C S R © Thinkstock/iStock. Welche Rolle spielen Kühe in unserer Lebenswelt und Kultur? Welche Bedeutung haben sie in Indien? Betrachte die beiden Bilder. © Thinkstock/iStock. O V Aufgaben (M 4) 1. Beschreibe die Bilder. 2. Welche Assoziationen verbindest du mit den dargestellten Tieren? 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion SI M5 D Religion · Beitrag 15 Hinduismus 15 Wie sollen wir leben? Was dürfen wir tun? – Gandhi als Vorbild 5 10 15 20 25 30 35 Mahatma Gandhi wird am 2. Oktober 1869 in Westindien, im indischen Bundesstaat Gujarat, geboren. Die Familie gehört der Bania-Kaste an. Sie gehört zum Stand der Vaishya, der Kaufleute. Lange lebt Gandhi in London, um Jura zu studieren. Von Südafrika aus kämpft er gegen die Unterdrückung seines Volkes. 1915 kehrt er nach Indien zurück. Seine Anhänger verehren Gandhi schon damals wie einen Heiligen. Sie nennen ihn Mahatma – die „große Seele“. Denn zeitlebens kämpft Gandhi für die Integration der „Unberührbaren“ in die indische Gesellschaft. Er wird zum charismatischen Führer der Unabhängigkeitsbewegung. Am 23. Dezember 1919 ruft Gandhi seine Landsleute zum Widerstand gegen die englische Krone auf, und das auf ganz ungewöhnliche Weise: Alle Kinder werden von der Schule genommen, Staatsdiener legen ihre Arbeit nieder, in allen Städten finden Sitzstreiks statt. Gandhi kämpft für die Unabhängigkeit Indiens – vollkommen ohne Gewalt. Zum Symbol des Widerstands gegen die englische Kolonialmacht wird das Spinnrad. Es fordert die Inder auf, sich ihre Kleider selbst zu weben und keine englischen Hosen und Hemden mehr zu tragen. U A H C S R © Thinkstock/iStock. Es gibt viele herausragende Denker, die hinduistische Ideale für ihre Zeit auslegten und interpretierten. Einer davon ist Mahatma Gandhi. Was bewegte ihn? Worin liegt der Kern seines Denkens? Wie bedeutsam ist er für uns heute? Den Höhepunkt des zivilen Ungehorsams bildet der sogenannte „Salzmarsch“ am 12. März 1930. Tausende folgen Gandhi. Sie laufen fast 400 Kilometer weit bis zum Meer. Dort lassen sie in ihren Händen Wasser verdunsten, bis nur das Salz zurückbleibt. So protestieren sie gegen die Salzsteuer der Briten. Viele werden von britischen Soldaten verhaftet und niedergeschlagen – aber niemand schlägt zurück. O V Gandhi handelt stets aus dem Ideal der Satyagraha heraus. Er hält an der Wahrheit fest. Das impliziert eigene Festigkeit, aber auch Verständnis für den Gegner. Eng verwandt mit diesem Ideal ist die Idee der Ahimsa, der Gewaltlosigkeit. Eine innere Stärke, die zum Widerstand gegen Unrecht motiviert. Für Gandhi waren seine Ideale nicht nur Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele, sie galten ihm ebenso als ein Weg zur persönlichen Erlösung. Gandhi kommt mehrfach ins Gefängnis. Wieder auf freiem Fuß, kämpft er für Frieden und Unabhängigkeit. Bisweilen tritt er in den Hungerstreik, um seine Ziele zu erreichen. 1947 wird Gandhis größter Wunsch Wirklichkeit: Großbritannien entlässt Indien in die Unabhängigkeit. Nur ein Jahr später, 1948, wird Gandhi in seinem Garten in Neu Delhi von einem seiner Gegner ermordet. Autorentext. Aufgabe (M 5) Lies den Informationstext. Stelle davon ausgehend folgende Informationen zusammen: ü Liste alle wichtigen biografischen Rahmendaten zu Gandhis Leben auf. ü Erläutere seine Lebensweise und deren Grundprinzipien. ü Erläutere die besondere Bedeutung des Spinnrads. zur Vollversion 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 SI M7 D Religion · Beitrag 15 Hinduismus 19 „Gemüse ist mein Fleisch!“ – Eine Pro- und Kontra-Debatte In vielen Religionen gelten Speisevorschriften. Juden und Muslimen ist es verboten, Schweinefleisch zu essen. Vielen Hindus gelten Fleisch, Fisch und Eier als unrein. Religionsübergreifend fordern immer mehr Menschen eine rein pflanzliche Ernährung. These: Die einzige zukunftsweisende Ernährungsweise für den Menschen ist die fleischlose. In der nun folgenden „Wortschlacht“ diskutiert ihr nach festgelegten Regeln. Ziel ist es, eure Argumente möglichst wirkungsvoll zu vertreten. Methodenkarte: Wortschlacht – so geht‘s U A Erster Schritt: „Nachdenken“ Denke über die oben formulierte These nach. Formuliere für dich deine eigene Position. Zweiter Schritt: „Sich positionieren“ Fleisch essen? – Ja oder nein!? Legt im Klassenzimmer an entgegengesetzten Stellen zwei Zettel aus auf denen „Ja“ oder „Nein“ steht. Stellt euch vor die beiden Pole oder positioniert euch auf der Linie dazwischen, wenn ihr unentschieden seid. H C Dritter Schritt: „Gleichgesinnte suchen“ Tauscht euch zunächst mit euren unmittelbaren Nachbarn aus. Bringt in Erfahrung, welche Argumente sie bewogen haben, sich an dieser Stelle zu positionieren. Bildet anschließend Kleingruppen Gleichgesinnter zu maximal drei bis fünf Personen. S R Vierter Schritt: „Strukturieren“ Bringt eure Argumente der Reihe nach vor und formuliert eine gemeinsame Position. Das kann eine befürwortende oder eine konträre Position sein. Denkbar ist ebenso, dass ihr Argumente für beide Seiten vorbringt, gerne auch in unterschiedlicher Gewichtung. Notiert eure Argumente übersichtlich und in prägnanter Form. Bestimmt abschließend einen Gruppensprecher, der eure Argumente vorträgt. O V Fünfter Schritt: „Debattieren“ Die Kontra-Gruppe (Pro-Fleisch) beginnt ihre Argumente vorzutragen. Die Pro-Gruppe (gegen Fleisch) entgegnet. Danach beginnt eine Diskussion, die von einem Diskussionsleiter moderiert wird und nach einer vorher verabredeten Zeit endet. Sechster Schritt: „Abstimmen“ Im Plenum wird erneut über die Ausgangsthese abgestimmt. Diesmal darf – im Unterschied zum Anfang – nur mit „Ja“ oder „Nein“ geantwortet werden. Danach könnt ihr ein „Blitzlicht“ durchführen. Darin äußern sich alle in der Klasse der Reihe nach in je einem Satz zu den beiden folgenden Fragen: ❖ Hast du im Verlauf der Debatte deine Position geändert? – Ich habe meine Position (nicht) geändert, weil … ❖ Welche Argumente werden dich vermutlich weiter beschäftigen? Variiert nach: Wolfgang Mattes: Methoden für den Unterricht. Kompakte Übersichten für Lehrende und Lernende. Bildungshaus Schulbuchverlage, Braunschweig u.a. 2011, S. 255. zur Vollversion 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 22 Hinduismus M8 D Religion · Beitrag 15 SI Schneeweißchen und Rosenrot – wie Hindus heiraten Der Hochzeit zweier Menschen kommt in allen hinduistischen Traditionen eine große Bedeutung zu. Wer sich mit den Riten einer hinduistischen Hochzeit beschäftigt, muss sich auch die Frage nach der Rolle der Frauen in der indischen Gesellschaft stellen. U A H C O V © Thinkstock/iStock. S R Aufgaben (M 8) 1. 2. 3. 4. Ratet, welche Situation hier dargestellt ist. Begründet eure Vermutung. Benennt Parallelen und Unterschiede zur dargestellten Situation in Indien und bei uns. Überlegt, was den beiden Personen durch den Kopf gehen mag? 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion 22 Hinduismus M8 D Religion · Beitrag 15 SI Schneeweißchen und Rosenrot – wie Hindus heiraten Der Hochzeit zweier Menschen kommt in allen hinduistischen Traditionen eine große Bedeutung zu. Wer sich mit den Riten einer hinduistischen Hochzeit beschäftigt, muss sich auch die Frage nach der Rolle der Frauen in der indischen Gesellschaft stellen. U A H C O V © Thinkstock/iStock. S R Aufgaben (M 8) 1. 2. 3. 4. Ratet, welche Situation hier dargestellt ist. Begründet eure Vermutung. Benennt Parallelen und Unterschiede zur dargestellten Situation in Indien und bei uns. Überlegt, was den beiden Personen durch den Kopf gehen mag? 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion SI M9 D Religion · Beitrag 15 Hinduismus 23 Andere Länder, andere Sitten – ein Telefonat Gobika lebt in der Nähe von Köln. Sie ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern aber stammen ursprünglich aus Sri Lanka. Manchmal findet sie es anstrengend, all die Traditionen, die ihrer Familie noch immer sehr wichtig sind, mit ihrem Alltag hier in Einklang zu bringen. Im folgenden Telefongespräch unterhält sie sich mit einer Freundin, die sich mit ihr verabreden möchte. Achtung: Abgedruckt sind nur Gobikas Antworten! © Thinkstock/iStock. Frage: Gobika: Nein, in den nächsten Wochen habe ich leider nur wenig Zeit, mich mit dir zu treffen. Bei uns laufen gerade die Vorbereitungen für die Hochzeit meiner Schwester auf Hochtouren. Sie heiratet bald. Schon seit Jahren wird bei uns darüber geredet, was das für unsere Familie bedeutet. U A Frage: Gobika: Hm! Dass zwei Menschen aus Liebe heiraten, ist bei uns eigentlich eher die Ausnahme. Die Hochzeit ist das wichtigste Fest im Leben eines Menschen. Aber sie hat nicht nur Konsequenzen für die beiden, die heiraten. Sie ist auch bedeutsam für den Fortbestand beider Familien. Wichtig ist zum Beispiel, dass die Eltern später einmal finanziell abgesichert sind, welche Stellung unsere Familie bedingt durch die Hochzeit innerhalb der Gesellschaft hat und wer im Todesfall die vorgeschriebenen Riten durchführt. Dass meine Schwester jemanden aus einer anderen Kaste heiratet, könnten sich meine Eltern nicht vorstellen. Deshalb haben sie ihr den Ehemann ausgesucht. H C S R Frage: Gobica: Vor der Hochzeit finden Verhandlungen zwischen den beiden Familien statt. Nachdem die Familie der Braut zunächst selbst Erkundigungen eingezogen hat, sucht man die Familie des Bräutigams auf und führt erste Gespräche. Da geht es zunächst um die sogenannte Mitgift. Wichtig ist aber auch der Hochzeitstermin. Er wird von einem Astrologen minutiös berechnet. Er kann erst dann festgelegt werden, wenn geprüft wurde, ob die Horoskope der beiden Brautleute auch zueinander passen. Frage: O V Gobica: Ja, so etwas gibt es auch bei uns. Hindus tauschen sogar Ringe aus. Diese trägt man dann allerdings nur bis zum Hochzeitstermin. Hat man sich verbindlich auf die Heirat festgelegt, bekommt der Bräutigam vom Vater der Braut ein Zeichen auf die Stirn. Für die beiden Familien gibt es viele Geschenke, auch ziemlich kalorienreiche. Frage: Gobica: Das ist unterschiedlich. Meist ziehen der Bräutigam und seine Familie mit lauter Musik zur Familie der Braut. Dort gibt es dann einen großen Empfang. Manchmal findet die Zeremonie aber auch im Tempel statt, wenn dort ein ausgewiesener Raum vorhanden ist. Frage: Gobica: Die bereits geschlossenen Verträge müssen jetzt noch öffentlich besiegelt werden. Symbolisch wird die Frau ihrem Ehemann übergeben. Dazu gießt man oft Wasser über die Hände der Eltern und Brautleute. Rechtmäßig verheiratet sind die beiden aber erst, wenn sie zur Vollversion 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 SI D Religion · Beitrag 15 Hinduismus 29 Vertiefungsphase Die Hausaufgabe auswertend werden nun die Begriffe Monotheismus, Polytheismus und Henotheismus gemeinsam geklärt. Henotheismus: Als Henotheismus bezeichnet man den Glauben an einen höchsten Gott, welcher die Verehrung anderer Götter jedoch nicht ausschließt. Dies trifft auf den Hinduismus insofern zu, als sich innerhalb des Hinduismus verschiedene Richtungen ausgebildet haben: Shivaismus, Vishnuismus, Shaktismus u. a., die alle eine andere Gottheit als die jeweils höchste verehren, neben anderen. Darüber hinaus stellen alle Gottheiten in hinduistischen Traditionen Ausprägungen des Urprinzips Brahman dar, welches als die letztgültige Wahrheit begriffen wird. Monotheismus: Der Begriff Monotheismus leitet sich ab von den beiden altgriechischen Wörtern „mónos“ und „theós“. Er bezeichnet den Glauben an einen einzigen Gott. Als monotheistische Religionen werden das Judentum, das Christentum und der Islam bezeichnet. Polytheismus: U A Dieser Begriff bezeichnet den Glauben an mehrere gleichgestellte Gottheiten. Oft wird der Hinduismus als Polytheismus bezeichnet, weil eine große Anzahl an Göttinnen und Göttern verehrt wird. Viele Hindus aber sehen in der Vielzahl der Göttinnen und Götter das Gesicht des einen höchsten, welterhaltenden Prinzips, das unpersönlich bleibt – Brahman. H C Deutlich werden sollte im gemeinsamen Gespräch, dass sich der Hinduismus am treffendsten als Henotheismus bezeichnen lässt. Es gibt eine übergeordnete Gottheit, ein höchstes Prinzip, dem andere Götter untergeordnet sind. S R Erläuterungen (M 10) Zu 1: Herausgearbeitet werden sollte die auffällige Häufung von Verneinungen, die in Gegensatzpaaren angeordnet sind: Brahman ist nicht grob, nicht fein; nicht kurz, nicht lang; blutlos, fettlos; schattenlos, finsternislos; windlos, raumlos; ohne Haftung an irgendetwas. O V Zu 2: Brahman bezeichnet in der hinduistischen Philosophie die unveränderliche, unendliche, immanente und transzendente Realität, welche den ewigen Urgrund all dessen darstellt, was ist. Es steht für das Absolute, das, was unwandelbar bleibt. Deshalb kann es nicht anders als in sich selbst aufhebenden Gegensätzen dargestellt werden. Es ist alles und nichts, das eine wie das andere und dennoch beides nicht. zur Vollversion 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 34 Hinduismus D Religion · Beitrag 15 SI – andere Höflichkeitsregeln: Pünktlichkeit (Frag nicht, warum Pünktlichkeit der Gäste anscheinend keine Rolle spielt!), Kleiderordnung (Frag nicht, ob die Braut „Rot“ trägt, weil sie ihre Unschuld bereits verloren hat!), geschlechtsspezifisches Verhalten (Frag nicht, warum manche Frauen ihre Haare hochgesteckt und manche sie offen tragen!). (5 Punkte) Lösung zu Aufgabe 5: In beiden Dialogen steht die Frage nach dem Wesen Gottes/des Göttlichen im Zentrum. Wie lässt es sich beschreiben oder sprachlich angemessen fassen? Deutlich wird, dass der Mensch die göttliche Wirklichkeit sprachlich nicht angemessen zu vermitteln mag. Entweder reiht er Negationen aneinander, die jeweils Gegensatzpaare bilden und sich so wechselseitig wieder aufheben, oder er schweigt. Deutlich werden aber auch Unterschiede zwischen Judentum und Hinduismus. Das Judentum ist eine monotheistische Religion, in deren Zentrum der Glaube an einen personalen Gott steht, der – gemäß der Überlieferung der Tora den Menschen rettend zur Seite steht. Im Hinduismus hingegen spielen in verschiedenen Traditionen diverse Götter eine Rolle, in Kombination mit dem einen göttlichen Urprinzip, an dem letztendlich alles Dasein Anteil hat. (5 Punkte) U A Punkte für die Darstellungsleistung zu bewerten nach: innerer Kohärenz, Ausdruck und Beachtung der Formalitäten. (4 Punkte) Vorschlag für eine Bewertung der Schülerleistung 1 1– 2+ 2 2– 34 33/32 31/30 29/28 27–25 3+ 3 3– 4+ 4 24–22 21–19 18/17 16–14 13–11 S R H C 4– 5+ 5 5– 6 10–8 7–5 4/3 2/1 0 O V 46 RAAbits Ethik/Philosophie März 2016 zur Vollversion