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04.03.2004
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Beruf aktuell
Die gesundheitsökonomische Bedeutung bipolarer Störungen
© Archiv
Konsequente Behandlung könnte
Kosten senken
Langsam wird die Bedeutung bipolarer Störungen von
Wissenschaftlern und Gesundheitsökonomen besser
wahrgenommen. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor nur ein Bruchteil der Betroffenen
eine adäquate Behandlung erhält – mit fatalen Folgen für die
Patienten und die ohnehin danieder liegende Volkswirtschaft
wie Anne Berghöfer und Stefan N. Willich vorrechnen.
I
n den westlichen Industrienationen
stehen psychische Störungen inzwischen an vorderster Stelle als Ursache
für Lebensjahre, die mit Behinderung
gelebt werden (disability adjusted life
years – DALYs). In der Studie der Weltgesundheitsorganisation „Global Burden
of Disease“ werden bipolare Störungen
an sechster Stelle genannt (Murray, Lopez, 1996). Nicht nur im Hinblick auf
die Einschränkung der Lebensqualität,
auch im Hinblick auf die Kosten, die
durch eine Erkrankung entstehen, liegen
bipolare Störungen weit vorne. In einer
aktuellen Übersicht aus den USA über
die teuersten psychiatrischen Störungen
befindet sich die chronische bipolare
Störung mit 30 US Dollar pro versichertem Mitglied auf Platz 1. Hinzu
kommen weitere 25 US Dollar für Kosten durch Arbeitsausfall sowie für eine
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Wiedereingliederung ins Berufsleben.
Erst weit dahinter kommen die Depressionen mit Gesamtkosten von 22 US
Dollar, gefolgt von Alkoholismus und
Angsterkrankungen. Zum Vergleich seien die Zahlen für den Diabetes mellitus
als eine der teuersten chronischen körperlichen Erkrankungen genannt. Hier
entstehen Kosten von 75 US Dollar pro
Versicherten, weitere 30 US Dollar für
Arbeitsausfall und berufliche Wiedereingliederung (Goetzel et al., 2003).
Welche Kostenarten sind
für Kostenstudien relevant?
Unter die direkten Kosten (Verbrauch von
Ressourcen) fallen medizinische Kosten
(Arztkosten, stationäre Kosten, Rehabilitation, Medikamente, Heil- und Hilfsmittel, Selbstbeteilung des Patienten sowie Krankengeld) und nicht-medizini-
sche Kosten (Sozialarbeiter, Rechtsanwaltskosten, Betreuungskosten), die je
nach Organisationsstruktur des Gesundheitssystems unterschiedlich gewichtet sein können.
Zu den indirekten Kosten (Verlust
von Ressourcen) zählen Produktivitätsausfall durch Arbeitsunfähigkeit, krankheitsbedingte Arbeitslosigkeit, frühe
Sterblichkeit infolge der Erkrankung sowie Rentenzahlungen bei Frühberentung. Für ihren Anteil an den Gesamtkosten ist vor allem relevant, ob die Kosten in einem Niedrig- oder Hochlohnland berechnet werden.
Die intangiblen Kosten beschreiben
den Verlust an Lebensqualität für den
Patienten.
Kosten in europäischen Gesundheitssystemen sind nur bedingt mit amerikanischen Zahlen zu vergleichen, da
die Gesundheitssysteme von Land zu
Land verschieden organisiert sind.
Die Berechnung der indirekten Kosten erfolgt nach dem „Humankapitalansatz“. Hierzu wird das durchschnittliche
Bruttoeinkommen aus täglicher unselbstständiger Arbeit als Kosten über die Zeit
der Arbeitsunfähigkeit, Berentung oder
krankheitsbedingter Arbeitslosigkeit veranschlagt. Dieser Ansatz ist durchaus umstritten. Denkbar wäre alternativ, dass jeder Arbeitsplatz nach Ausfall des Erkrankten sofort anderweitig ersetzt wird
(so genannter Friktionsansatz) und tatsächlich nur ein geringer Schaden für die
Volkswirtschaft entsteht. Hiervon muss
insbesondere in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ausgegangen werden.
Wodurch entstehen die
hohen Kosten bei der
bipolaren Störung?
Die bipolare Störung hat eine hohe Rezidivneigung und führt häufig zu Krankenhausaufenthalten. In der Folge
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NeuroTransmitter
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kommt es zu Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Berentung, wenn eine adäquate
Stabilisierung des Verlaufs nicht zu erzielen ist. Darüber hinaus haben bipolare
Patienten ein hohes Suizidrisiko; etwa jeder fünfte Patient nimmt sich im Laufe
der Erkrankung das Leben. Die Exzessmortalität (Übersterblichkeit) gegenüber
der Normalbevölkerung infolge Suizid
beträgt das 50- bis 100fache, die allgemeine Übersterblichkeit das zwei- bis
dreifache (Goodwin, Jamison, 1990). Darüber hinaus haben Patienten mit bipolaren Störungen ein erhöhtes Risiko, eine
psychische Begleiterkrankung zu entwickeln; meist sind es Sucht- und Angsterkrankungen (Freeman, 2002). Auch die
Gefahr körperlich zu erkranken ist höher;
insbesondere Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen seien hier genannt (Kubzansky, Kawachi, 2000).
Kostenberechnungen
aus den USA
Daten über Kosten der bipolaren Störungen kommen vorrangig aus den USA.
Abhängig davon, welche Parameter in die
Kostenberechnung einfließen, können
die Ergebnisse ganz erheblich schwanken.
In einer Erhebung von Begley et al.
(2001) werden für den chronischen bipolaren Verlauf 625.000 US Dollar pro
Patient über die Lebenszeit beziffert. In
einer weiteren Arbeit von Simon und
Unützer (1999) werden für Störungen
aus dem bipolaren Spektrum 3.400 US
Dollar pro Patient in sechs Monaten veranschlagt. Die Kosten liegen in dieser Berechnung über denen für Depressionen
(2.570 US Dollar) und somatische Erkrankungen (1.500 US Dollar). Eine
weitere Arbeit aus der amerikanischen
Versorgungsforschung vergleicht die direkten medizinischen Kosten bipolarer
Patienten mit denen nicht-bipolar erkrankter Vergleichspatienten (alle psychischen und somatischen Diagnosen –
Stender et al., 2002). Die jährlichen Medikamentenkosten liegen mit 2,8 Mio.
US Dollar mehr als fünfmal höher als bei
den Vergleichspatienten (0,5 Mio. US
Dollar), die Kosten für Arzt-, Ambulanzund Psychotherapie betragen das Vierfache (16,2 versus 4,1 Mio. US Dollar).
Die stationären Kosten liegen mit 4,8
Mio. US Dollar fast 50-mal so hoch wie
bei den Vergleichspatienten.
NeuroTransmitter
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Bipolare Störungen
Auch die Selbstbeteiligung, das
heißt die von den Patienten privat aufzubringenden nicht erstatteten Kosten,
liegen pro Jahr pro Patient mit 568 US
Dollar bei bipolaren Störungen höher als
bei anderen psychiatrischen Erkrankungen mit einem Durchschnitt von 232 US
Dollar (Peele et al., 2003).
Zahlen aus Großbritannien
Ausgehend von einer Prävalenz von zirka 300.000 bipolar Erkrankten in Großbritannien werden direkte medizinische
Kosten von 293 Mio. EUR, direkte
nicht-medizinische Kosten von 126 Mio.
EUR sowie indirekte Kosten von 2,6
Mrd. EUR errechnet (Das Gupta, Guest,
2002). Bemerkenswert an diesen Daten
ist, dass die direkten Kosten nur 14 %,
die indirekten Kosten 86% der Gesamtkosten ausmachen. Die direkten medizinischen Kosten entfallen wiederum zu
einem großen Teil auf die stationären
Aufenthalte und die gemeindenahe Versorgung (Das Gupta et al., 2001).
Erhebungen in Deutschland
bisher Fehlanzeige
Vergleichbare Erhebungen für Deutschland liegen bislang nicht vor, daher kann
nur auf Umwegen eine einigermaßen
präzise Schätzung der gesundheitsökonomischen Belastung durch bipolare
Störungen vorgenommen werden. Dies
wird unter anderem durch die bis 1999
verwendete dreistellige ICD-9-Kodierung, in der bipolare Störungen und unipolare Depressionen nicht unterschieden
wurden, erschwert. Ausgehend von der
sehr konservativen Schätzung einer
Querschnittsprävalenz von 1 % in
Deutschland, das heißt zirka 820.000
Betroffenen, können die englischen Daten hochgerechnet werden. Dabei entstehen für das deutsche Gesundheitssystem direkte Kosten von insgesamt
1,2 Mrd. EUR pro Jahr und indirekte
Kosten für die Volkswirtschaft in Höhe
von 7,7 Mrd. EUR.
Die Annahme einer Prävalenz von
1% schließt nur die klassischen stationär
behandlungspflichtigen Verläufe ein. Im
Bundesgesundheitssurvey, Zusatzsurvey
„Psychische Störungen“ (Wittchen et al.,
2000) wurde eine Zwölf-Monats-Querschnittsprävalenz allein an bipolaren Depressionen von 0,8% gefunden. Auf eine
ähnliche Prävalenz weisen die Daten des
ADT-Panels (Stichprobe aus den mittels
Abrechnungsdatenträger abrechnenden
Praxen einer Region) der KVen hin: Bei
nur 0,9% der Patienten wurde die Diagnose einer bipolaren Störung nach ICD10 gestellt (Pfäfflin, May, 2003).
Würden die Diagnosen aus dem gesamten bipolaren Spektrum einbezogen,
so dürfte von einer weit höheren Prävalenz von 5–8% auszugehen sein (Arolt,
Behnken, 2003) und damit tatsächlich
auch weit höhere Kosten entstehen.
Löwenanteil der direkten
Kosten entsteht stationär
Stationäre Kosten machen den wesentlichen Anteil der direkten medizinischen
Kosten aus. Bipolare Patienten werden
mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 41 Tagen weitaus länger stationär behandelt als psychiatrische Patienten im Durchschnitt (27 Tage). Die
durchschnittliche Verweildauer für alle
Erkrankungen (psychiatrische und somatische Diagnosen) liegt inzwischen
bei zehn Tagen (Statistisches Bundesamt,
2003). Da in Deutschland die Ausgaben
für stationäre Behandlungen zirka ein
Heraus aus dem Schattendasein
Die Deutsche Gesellschaft für
bipolare Störungen (DGBS
e.V.) hat es sich mit ihrem gesundheitspolitischen Engagement und ihrer weitreichenden
Öffentlichkeitsarbeit zur vorrangigen
Aufgabe gemacht, die Versorgung
bipolar Erkrankter zu verbessern.
Dazu fördert die DGBS Forschung und
Lehre über die Ursachen, Diagnose
und Therapie der bipolaren Störung,
unterstützt Selbsthilfeinitiativen
bipolarer Patienten und arbeitet
eng mit anderen psychiatrischen
Fachgesellschaften zusammen.
Wenn Sie Fragen haben oder mithelfen wollen, bipolare Erkrankungen
aus ihrem „Schattendasein“ herauszuführen, können Sie die DGBS unter
folgender Adresse erreichen:
Deutsche Gesellschaft für Bipolare
Störungen e.V. (DGBS),
Postfach 92 02 49, 21132 Hamburg,
Tel. (0 40) 85 40 88 83,
E-Mail: [email protected]
www.dgbs.de
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Drittel der Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen betragen,
ist insbesondere in diesem Sektor eine
Kostensenkung wünschenswert.
Die Last der indirekten Kosten
Indirekte Kosten entstehen vornehmlich
durch Arbeitsunfähigkeit, frühe Berentung und krankheitsbedingte Arbeitslosigkeit. Die Analyse von Krankenkassendaten ergab eine wesentlich höhere mittlere Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen
pro Jahr bei bipolaren Patienten gegenüber dem Durchschnitt aller Versicherten (62,5 versus 12,8 Tage) (Pfäfflin,
2003). Der Anteil vorzeitiger Rentenzugänge infolge bipolarer Störungen ist mit
0,33 % vergleichsweise gering, jedoch
ist das Renteneintrittsalter mit zirka 46
Jahren deutlich niedriger als bei anderen
Erkrankungen (Pfäfflin, May, 2003).
Einsparungen durch
Phasenprophylaxe
Bereits in den 80er Jahren wurden Überlegungen angestellt, wie bei bipolaren
Störungen durch eine adäquate Phasenprophylaxe Krankheitskosten reduziert
werden und volkswirtschaftlicher Schaden abgewendet werden könnte. Frühe
Berechnungen von Felber (1981, 1993)
beziehen sich zunächst auf den Effekt einer Langzeittherapie mit Lithium. Felber konnte anhand einer umfangreichen
Kohorte von Langzeitpatienten zeigen,
dass eine konsequente Prophylaxe mit
Lithium direkte und indirekte Kosten
um 60 % senkt. Lehmann et al. (1997)
errechneten einen Nettogewinn von 220
Mio. DM im Jahr in der BRD (alte Bundesländer) durch eine konsequente Lithiumprophylaxe. Derartige Berechnungen haben in heutigen Zeiten knapper
Kassen ganz andere Bedeutung erlangt.
Li et al. (2002) zeigten für die USA eine
Reduktion der direkten Kosten von zirka 10.000 auf unter 6.000 US Dollar
pro Patient und Jahr durch eine konsequente Phasenprophylaxe. Welches Medikament hierfür verwendet wird, ist zunächst nicht von Bedeutung. Entscheidend ist, dass überhaupt eine Phasenprophylaxe durchgeführt wird. Davon
sind deutsche Therapiestandards noch
weit entfernt. Daten des Arzneiverordnungsreports (Schwabe, Paffrath, 2003)
sowie von IMS Health (Pfäfflin, May,
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Bipolare Störungen
2003) zeigen, dass in Deutschland nur
zirka 200.000 Patienten korrekt als bipolar diagnostiziert werden. Von diesen
erhalten zirka 25 % eine Lithium-Prophylaxe, weniger als 10 % eine Prophylaxe mit Antikonvulsiva. Ausgehend von
einer Zahl von zirka 4 Millionen Patienten, die an einer Erkrankung des bipolaren Spektrums leiden, darunter zirka
820.000 mit einer stationär behandlungsbedürftigen klassischen bipolaren
Störung, ist von einer massiven Unterversorgung auszugehen.
Durch die Trennung des ambulanten und stationären Versorgungssektors
in Deutschland gibt es allerdings für die
ambulanten Versorgungsstrukturen wenig Anreiz zur Optimierung der Therapie, solange die zu erwartenden Einsparungen aus dem stationären Sektor
nicht angerechnet werden, sondern im
Gegenzug niedergelassene Ärzte durch
Budgetierung ihrer Arzneimittelausgaben zu Sparsamkeit gezwungen werden.
Fazit
Neben dem enormen persönlichen
Leid verursachen bipolare Störungen
hohe direkte und indirekte Kosten.
Diese Situation ist nur durch eine erheblich frühere Diagnose und einen
früheren Beginn der prophylaktischen
Therapie zu verbessern. Hierzu bedarf
es umfangreicher und konsequenter
Aufklärung und Fortbildung von Ärzten, Betroffenen und Angehörigen.
Darüber hinaus ist es erforderlich,
dass gesundheitsökonomische
Fragestellungen einen höheren
Stellenwert erlangen.
Die Sektorisierung der Patientenversorgung in strikt abgetrennte ambulante und stationäre Bereiche ist der
optimalen Versorgung bipolarer Patienten letztlich nicht zuträglich. Es
bedarf dringend der Entwicklung
integrierter Versorgungsmodelle nicht
nur für bipolare sondern auch für
andere psychiatrische und chronisch
körperlich Kranke.
Literatur bei der Verfasserin
Dr. med. Anne Berghöfer
Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie
und Gesundheitsökonomie,
Charité Campus Mitte, 10098 Berlin
E-Mail: [email protected]
NeuroTransmitter
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