Was ist und was soll Ethik heute? -

Werbung
1
Was ist und was soll Ethik heute? Ist "Ethik" wirklich Luxus ?
Rainer Born
0. Zeitdiagnosen, Motivationen, Fragen, Probleme
In einer Zeit der grellen "Sinnkrisen", auf die viele Menschen mit einer
Flucht in die
Esoterik reagieren (zumindest in ihrer Freizeit und zum Ausgleich und zur Beruhigung
ihres angeschlagenen Seelenfriedens1) , gleichzeitig nach radikaler Selbstverwirklichung
verlangen und einem übersteigerten Egozentrismus huldigen, einer Zeit der Skandale in
Wirtschaft und Politik -- taucht immer wieder der Ruf nach Ethik und Moral auf -- wobei
nie genau gesagt wird, was man darunter versteht, was man sich davon erwartet und wie
man das alles meint. Im allgemeinen ist es ein Ruf nach Regeln, an die sich 2 vorwiegend
die jeweils anderen halten sollen.
Man verlangt u. a. , dass Ethik verstärkt unterrichtet wird, man
spricht von
Ethikkommissionen in der Medizin und in der Biologie (Genethik), man bedauert, dass
DER "Markt" keine Ethik zuläßt [Ethik in der Wirtschaft ist Luxus !] und man ist zufrieden,
dass man nach einem Selbsterfahrungswochenende gestärkt am Montag so weitermachen
kann wie bisher -- solange man nicht selbst von irgendwelchen Maßnahmen im
öffentlichen Leben betroffen ist.
Zumindest beschreibt das die „Stimmung“ im statistischen Durchschnitt.
Ethik gilt in der Wirtschaft solange als unwichtig, als sie keinen Wettbewerbsvorteil am
Markt bringt3. Denn in Zeiten der Not (Zeiten die man als solche deklariert und dann auch
so empfindet) ist schließlich das Hemd näher als der Rock, ist man vor allem sich selbst
immer der Nächste.
Andererseits kann man aber auch beobachten, dass gerade in Zeiten echter Not,
(zumindestens tendenziell) wesentlich mehr Hilfsbereitschaft vorhanden ist als sonst. Man
braucht (im Kernbereich des vertrauten täglichen Lebens) Nachbarschafts-Hilfe i. a. nicht zu
begründen, man handelt gefühlsmäßig (und richtig)!
1
) Es geht mir hier nicht um zynische Formulierungen sondern um die Sorge und das
Bewußtmachen vorhandener Entwicklungen
2 ) Nach dem Floriani-Prinzip
2
Je weiter wir uns aber von einem solchen mittleren Alltags-Lebensbereich entfernt haben,
aus welchen Gründen auch immer, um so unsicherer werden wir, um so eher brauchen
wir Argumente/Gründe, um jemanden davon zu überzeugen (oder gar dazu zu
überreden), dass es "gut" sei, irgendeine bestimmte Aktion zu unterstützen -- und zwar
auch dann, wenn man nicht unmittelbar davon profitiert --, dass es "gut" und wichtig sei,
einem Verletzten erste Hilfe zu leisten und die Rettung zu verständigen (auch wenn man
wichtige Termine hat)4.
Natürlich können wir (nicht nur) in unserem eigenen Kulturkreis so etwas wie ein
unbewußtes
ethisches
Grundempfinden ,
gewisse
ethische
Grund-Intuitionen,
voraussetzen. Wenn wir uns aber auf diese Grund-Intuitionen berufen wollen, z.B. um
jemandem die Konsequenzen irgendeiner Handlung klar zu machen, dann erinnern wir
sie/ihn an die Verantwortung für diese Konsequenzen. Dabei entdeckt man leicht, dass es
gar nicht so einfach ist, dies durchzusetzen. Man kann allzu leicht Ausflüchte finden und
scheint gar nicht so ohne weiteres verpflichtet zu sein , genau das zu tun , von dem wir
selbst der Ansicht sind (oder zumindestens das Gefühl haben), dass es jeder mit einem
gesunden moralischen Verständnis5 als selbstverständlich empfindet und entsprechend
handelt.
(Wir empfinden einen gewissen Zustimmungszwang bei der Begründung
unserer Handlungen und glauben, dass das auch für andere gilt!)
Aber folgt daraus, dass es in der Ethik keinerlei Objektivität gibt?
Nein, keinesfalls ! Die Objektivität als solche liegt nicht unmittelbar auf der Hand.
Wir können ethische Behauptungen (z.B. Gebote, “Du sollst dies und jenes tun oder auch
nicht”) i. a. nicht (unmittelbar) experimentell überprüfen. Die Nach voll ziehbarkeit /
Nachhaltigkeit ethischer Einsichten/Begründungen/Rechtfertigungen entspricht in ihrem
Typus gelegentlich eher mathematischen Behauptungen 6, nur dass diese den Anspruch
auf “Allgemeingültigkeit” erheben, während man
3
in
der Ethik eher von
einer
) Im Umweltbereich ist das manchmal durchaus schon der Fall, auch wenn die Tendenz
rückläufig ist.
4 ) Wesentlich ist hier, daß Sanktionen oder Gesetze nicht ausreichen. Man muß auch vom
Sinn einer Sache überzeugt sein.
5 ) Man spricht gerne vom gesunden Volksempfinden, das dann politisch mißbraucht
werden kann, wie wir aus leidvoller jüngster Vergangenheit wissen. Das sollte uns also
vorsichtig machen !
6 ) Schon Platon war der Meinung, dass es so ähnlich wie zu den geometrischen Figuren im
heute so genannten "platonischen" Himmel auch die ethischen "Ideen" in diesem Himmel
geben müsse.
3
“Allgemeinverbindlichkeit” sprechen sollte. Diese kann dadurch eingelöst werden, dass
man davon ausgeht, dass jeder Mensch aufgrund seiner Erkenntnisfähigkeit zu denselben
ethischen Einsichten gelangen können muss (woraus aber eben leider doch nicht folgt, dass
sie dann tatsächlich entsprechend handeln oder handeln müssen). Aber ein Mensch gilt
zumindest als für seine Handlungen verantwortlich (!) -- was immer das im Einzelfall auch
an Komplikationen bedeuten mag.
Ethik/moralisches Handeln betrifft vor allem Einzelfälle! Dennoch ist “die” Ethik kein
Nachschlagewerk
mit
Problemlösungen
für
Einzelfälle.
Die
damit
verbundene
Erwartungshaltung ist ein generelles Mißverständnis vom Funktionieren und der Rolle
von Wissenschaft überhaupt.
Aber das ist das Thema der nachfolgenden Überlegungen. Zunächst möchte ich nur auf ein
paar Probleme aufmerksam machen und aufzeigen, welches Vorverständnis von Ethik
eine Rolle spielt, welche falschen Erwartungen man hat und welche Probleme man
genaugenommen mit Hilfe von Ethik lösen möchte.
Dies kommt auch darin zum Ausdruck, dass man gelegentlich versucht, Ethik zur
Gewissensberuhigung einzusetzen! Gemeint ist, dass man ethisch gefällige Handlungen
setzt, um sich von anderen Sünden „freizukaufen“. Man kauft Ethikpunkte, so wie früher
beim Ablasshandel oder heute versuchsweise bei den Ökopunkten, weil ja alles nur über
ökonomische Anreize gesteuert werden kann und muss, weil man -- wie oben angedeutet,
die Funktionsweise wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnisse in bezug auf deren
Umsetzung grundlegend mißverstanden hat.
Ethik betrifft sicherlich auch unseren Umgang mit Wissen. Letzteres setzt voraus, dass man
den Prozess versteht, durch den Wissen "zustandegekommen" ist. Dazu gehört ferner, dass
wir wissen, wie Wissen auf die Welt passt , und wie es "verantwortlich" eingesetzt werden
kann. Wir müssen lernen, unser Wissen mit "Augenmaß" einzusetzen.
Das Problem, das man in sogenannten ethischen Diskussionen allenthalben hat ist, wie
man eine Person dazu bringen kann, ein ethisches Argument einzusehen und sich zu
einer Handlung verpflichtet zu fühlen (nämlich weil man etwas tun soll aufgrund einer
akzeptierten ethischen Voraussetzung und bereit ist danach zu handeln), dass z.B. er/sie
nicht von vornherein sagt, Geld ist wichtiger als die Risiken von Genmanipulationen -- der
Markt für genmanipulierte Produkte darf nicht verloren gehen [- :) J ]
.
4
Eine weitere, nicht unwichtige Frage in diesem Kontext ist, ob es tatsächlich etwas nütze,
wenn wir mehr Ethik lernen würden, wenn wir -- absolut gesprochen -- zumindest
wüßten, was "GUT" IST?
Könnte man jemanden durch derartige Einsichten dazu bringen, ein Opfer auf sich zu
nehmen (und sei es auch nur ein kleines, aber immerhin eines das tatsächliche
Einschränkungen erfordert)? Warum sollte sie/er mir helfen, wenn keine unmittelbare
Belohnung dafür winkt?
Gibt es (gute) Gründe, auch ohne Belohnung "ethisch" zu handeln?
Erhofft man sich insgeheim Langzeit-Vorteile7?
Aber selbst dann, wenn wir rational argumentieren und einen Grund angeben könnten,
z.B., dass das Überleben der Menschheit auf dem Spiel steht oder die Zukunft unserer
eigenen Kinder, selbst dann brauchen wir vorher einen akzeptierten Wert, dass etwa die
Zukunft von Kindern wichtig ist und daher Handlungen, die diesem Ziel dienen, sinnvoll
sind. Dabei ist natürlich die Frage zu stellen, ob ein Zweck alle Mittel zur Erreichung eines
Zieles heiligt -- eine weitere Meta-Regel.
Werte (die sich in moralischen Normen niederschlagen können) dienen sicherlich zur
Abschätzung und Einordnung von Handlungen, nämlich hinsichtlich der Konsequenzen
für alle Betroffenen und vor allem für uns persönlich. "Werte" könnten aber auch als eine
gefühlsmäßige Klassifikation aufgefaßt werden (s.u. Emotivismus). Werte 8 sind also (so
gesehen) Orientierungshilfen in unserem Alltag, für unsere Lebenswelt. -- Auch wenn wir
gelegentlich trotz "Wegweiser" in die falsche Richtung gehen können9.
Kennzeichnend ist aber sicherlich die persönliche Erfahrung, die hoffentlich schon jeder
von uns gemacht hat, dass wir das Verhalten einer bestimmten Person ablehnen, zunächst
einmal gefühlsmäßig, weil wir selbst in derselben Situation (nehmen wir einmal an wir
hätten
tatsächlich
dieselben
Informationen)
Nachdenken darüber, warum wir
7
die
anders
Handlung
gehandelt
der
anderen
hätten
Person
und
beim
ablehnen
) Vielleicht im Jenseits, denn man kann ja nie wissen? Man will sich schließlich
absichern!
8 ) Diese Werte können sich aber ändern, so daß wir immer wieder neu argumentieren
müssen.
5
draufkommen, dass Werte unserer Meinung nach verletzt sind, z.B. wenn jemand seiner
Pflicht zur ersten Hilfe nicht nachgekommen ist. D. h. es entsteht ein Widerspruch zu
unseren eigenen Erwartungen und Einstellungen, ein Widerspruch zu unseren Normen.
Die Abschätzungen (von Konsequenzen) oder auch die Abstimmung/Verträglichkeit von
Handlungen mit vorhandenen Normen (behinderte Kinder werden in manchen Ländern
vorzugsweise in Normalklassen integriert: welche Einstellung ist damit verträglich?) haben
sehr oft mit Langzeiteffekten (und deren Bewertung) zu tun. Und das führt zu einem
weiteren ethischen Problem im Alltag: zur Wechselwirkung von Wissenschaft und Alltag.
Wir verlassen uns auf die Autorität von Wissenschaft und auf sogenannte Experten. Aber
ist es wirklich sinnvoll, die Beurteilung von Medikamenten nur der Kontrolle der
Pharmaindustrie zu überlassen 10? Welche Rolle spielen Interessen und in welcher Weise
können diese unsere Sichtweisen beeinflussen, bzw. uns zu einer "Aspektblindheit"
verleiten ?
Die physikalische Wahrscheinlichkeit eines Unfalles in einem Atomreaktor ist sehr gering.
Praktisch gesehen und im "sozialen" Umgang mit Wissen kann ein Unfall schon morgen
eintreten (wie wir alle wissen). -- Auch faktische Konsequenzen müssen argumentierbar
sein, allerdings nicht ethisch, sondern rational, und sie müssen nachvollziehbar sein und [
sofern es sich um
durchführbare Simulations- Experimente handelt] kontrolliert
reproduzierbar sein. Das bedeutet eine Art Reduzierbarkeit auf den Alltagsverstand,
zumindest an der Oberfläche. Und das ist eines der heikelsten Probleme, denn man braucht
sehr viel Toleranz um dem jeweils anderen zuhören zu können.
Diese Toleranz ist auf beiden Seiten, in der Wissenschaft und bei den betroffenen Laien
erforderlich! -- Sie darf weder dahingehend ausarten, dass nur die Experten sagen wo es
lang geht, noch dass man sich in einer gewissen Alltagsarroganz darauf zurückzieht zu
verlangen, dass die Erfahrungen der Wissenschaftler auf das argumentative Niveau der
Boulevardpresse eines beliebigen Landes (ich denke an Tarock[-anien]) reduziert werden.
Aus der Tatsache, dass etwas leicht verständlich ist folgt nicht, dass es deshalb richtig ist,
noch umgekehrt, dass etwas Kompliziertes wahr ist.
Ethik erfordert hier eine Einstellung auch im Umgang miteinander und im Bemühen um
ein lebenslanges Lernen, die man banal damit umschreiben könnte, dass man verpflichtet
ist, sich sachkundig zu machen. Aber auch darüber unten mehr.
9
) Und gelegentlich auch mit Wegweiser in die Irre.
) Verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen ist schwieriger als vorhandenes Vertrauen zu
erhalten !!
10
6
Ich hoffe diese Einführung in die Problematik hat so viele Probleme aufgeworfen, dass wir
nun hinreichend motiviert (oder desorientiert) sind, um uns versuchsweise auf eine
Klärung der Grundpositionen in der Ethik einlassen zu können.
Grundlegende ethische Position
1) Lehrbuchethik (Das Gute ist das wonach alles strebt / Aristoteles)
Nach G. E. Moore (Principia Ethica: 1903) ist Ethik "die allgemeine (theoretische, m.E.)
Untersuchung dessen, was gut ist" (Kap 1, §2,2). Die praktische Seite der Theorie aber ist die
Moral, die das der Theorie entsprechende konkrete Verhalten von Menschen im Rahmen
einer Gesellschaft auf (mehr oder minder) bewußte Normen zurückführt und dadurch
erklärt (und gelegentlich auch vorhersagen kann).
Was moralisch gut ist kann man spüren und je nach Begabung auch artikulieren, z.B.
indem man Menschen als gut oder schlecht und deren Handlungen als richtig oder falsch
beurteilt.
Wesentlich ist, daß die "Sprache der Moral" nicht nur wertende Ausdrücke enthält ,
sondern auch das Wörtchen "sollen", also Gebote formulieren und Tugenden benennen
kann.
Da es aber darum geht, Argumente zur Begründung (als Ersatz für unsere gefühlsmäßigen
Bewertungen) ethisch akzeptabler Handlungen zu finden, und Argumente im allgemeinen
sprachlicher Natur sind, geht es zunächst darum, die Sprache der Ethik (in der sich ja unser
ethisches Denken widerspiegelt) zu untersuchen, und zwar als Beziehungsgefüge von
wertenden und normativen Aussagen.
Diese Untersuchung(en) nennt man Meta-Ethik, da es sich um Theorien über den Status
der wertenden oder normativen Aussagen unserer Sprachen handelt. Zwei dieser Theorien
sollen besprochen werden (s.h. auch Tabelle unten), der Kognitivismus und der
Emotivismus.
Die Meta-Ethik sagt uns also noch nicht, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist, oder
was wir tun und lassen soll(t)en. Sie spricht nur über die entsprechenden Aussagen, und
das kann sehr nützlich sein, wenn es darum geht uns auf Argumente einzulassen, die uns
etwa davon überzeugen sollen etwas zu tun, das wir intuitiv ablehnen.
7
A) Zusammenfassung der Meta-Ethischen Positionen
Zunächst eine sehr nützliche (leicht ergänzte und z.T. verkürzte) Tabelle aus Hügli
(Lexikon) etc.
Epistemologische Aspekte
Kognitivismus:
Ontologische Aspekte
Begründung
moralischer
Urteile
Moralische Urteile können
wahr oder falsch sein .
Moralische Urteile können
Erkenntnisse ausdrücken.
Non-Kognitivismus:
Moralische Urteile können
weder wahr noch falsch
sein.
Moralische Urteile drücken
nie Erkenntnis aus. .
Naturalismus:
Einige moralische Urteile
können abgeleitet werden
aus (oder eine
hinreichende logische
Begündung finden
mitHilfe von) Aussagen,
die keine moralischen
Urteilke enthalten.
Searle,
Foot,
Toulmin,
Warnok
NonNaturalismus:
Moralische Urteile
können nie abgeleitet
werden aus (oder eine
hinreichende logische
Begründung finden mit
Hilfe von)‚ Aussagen, die
keine moralischen
Urteile enthalten
Moore,
Ross
Ayer,
Stevenson,
Hare
Übersicht über die wichtigsten Positionen in der sogenannten Meta-Ethik
A.1) Kognitivismus:
8
Nach dem Kognitivismus können ethische/moralische Behauptungen wahr oder falsch
sein, sie können mit einer “erfassbaren moralischen Realität/moralischen Tatsache”
übereinstimmen oder auch nicht. Die absolute Gültigkeit gewisser moralischer Werte kann
durch Berufung auf deren Realität und Objektivität erklärt werden.
Als Grundeinstellung entspricht der Realismus in der Moralphilosophie dem gesunden
Menschenverstand. Es gibt unbestreitbare Freveltaten, die als solche bestehen bleiben,
solange der Mensch Mensch bleibt. Es gibt so etwas wie das „Sehen moralischer Tatsachen“
ähnlich dem der mathematisch-geometrischen Axiome.
Der Kognitivismus führt so zu einem Intuitionismus.
Nun haben aber moralische Tatsachen auch den Charakter von Normen.
Wenn Töten moralisch falsch ist, so folgt daraus (im Rahmen dieser Position), dass man
nicht töten soll. Wenn also moralische Urteile Tatsachen zum Inhalt haben, so könnte
daraus eine Norm abgeleitet werden. Dies führt aber zu logischen Problemen11. Man nennt
es das Humesche Gesetz von der “Unableitbarkeit eines SOLLENS aus einem SEIN”, der
Wahrheitsgehalt der Konklusion eines Schlusses darf nicht über den Gehalt der Prämissen
hinausgehen.
Das Ergebnis der Kritik am moralischen Realismus, Objektivismus und Kognitivismus ist:
Wo es keine moralische Tatsachen in der Realität gibt, da gibt es auch keine objektiven
moralischen Tatsachen usw.
A.2) Emotivismus:
Nach Hume dienen daher moralische Behauptungen letztlich nur dazu, unsere Gefühle zu
beschreiben. -- Wir können aber widersprüchliche moralische Urteile fällen und uns sogar
darüber streiten. Andererseits aber können sich Gefühle nicht im logischen Sinne
widersprechen. Damit wird aber der Anspruch
auf Verallgemeinerbarkeit
ethischer/moralischer Behauptungen schwierig.
Dennoch muss man dem Emotivismus zugute halten, dass er vor allem die
handlungsanleitende Funktion moralischer Behauptungen hervorhebt, was moralische
Argumentationen gegenüber rein beschreibenden auszeichnet.
A.3) Institutionalismus:
In seinen “Philosophischen Grundbegriffen”12 betont Ferber als dritte Möglichkeit den
“Institutionalismus”.
11
) Erstmals ausgearbeitet von David Hume in seinem “Traktat über die menschliche
Natur”.
12 )Rafael Ferber: Philosophische Grundbegriffe (Eine Einführung), München 1994, pp. 135.
Ferber geht von zwei Forderungen aus, die an eine meta-ethische Theorie gestellt werden
müssen/können:
9
Nach Ferber (p 135) lassen sich moralische Behauptungen, wie z.B. “Es ist richtig , einen
Verblutenden zu verbinden, dagegen falsch, ihn verbluten zu lassen”, als die Beschreibung
von INSTITUTIONELLEN Tatsachen auffassen.
Danach ist dann “Moral weder etwas nur Objektives noch etwas nur Subjektives, sondern
wesentlich etwas Soziales, nämlich eine vom Menschen gemachte Institution” (p 136). Es
gibt so etwas wie institutionelle Tatsachen, auf die Ronald Searle in seiner Theorie der
Sprechakte/speachacts hingewiesen hat.
Wenn moralische Tatsachen institutioneller Natur sind, so kann man von der “Existenz
moralischer Tatsachen” sprechen, “ohne gegen Humes Gesetz von der Unableitbarkeit des
Sollens aus dem Sein zu verstoßen” (p 139). Dadurch kann erklärt werden, dass
1) moralische Tatsachen objektiv und zugleich verallgemeinerungsfähig sind und
2) dass sie ein subjektives Element enthalten und aus ihnen Normen ableitbar sind.
Wichtig ist noch, dass nicht alle institutionellen Tatsachen, die moralischer Natur sind,
auch rechtlich sanktioniert sind und umgekehrt, wie die Problematik der Euthanasie im
Dritten Reich zeigen kann13.
Im Rahmen von Institutionen ist es besser zu verstehen, dass Moral die ausschließliche
Verfolgung der eigenen Interessen einschränkt, indem sie nämlich auch die Interessen
anderer zu berücksichtigen gebietet. Moral kann dann sogar Forderungen an mich stellen,
die über die Verfolgung der eigenen Interessen hinausgeht. (p 141)
B) Positionen in der Normativen Ethik:
In der normativen Ethik geht es darum, das jeweils unbewußte ethische Wissen bewußt zu
machen. Das Kernproblem aber ist, Gründe anzugeben, warum man auch ohne Lohn (oder
soziale Sanktionen in Institutionen) moralisch sein bzw. handeln soll.
a)Sie muss einmal dem kognitiven und objektiven Moment
moralischer
Basispropositionen und der realistischen Sprache der Moral Rechnung tragen.
b)Sie muss gleichzeitig auch dem emotiven und subjektiven Moment moralischer
Basispropositionen gerecht werden, das im Empfehlen oder Verurteilen besteht, so dass aus
moralischen Basispropositionen Normen abgeleitet werden können.
Das führt zu folgenden Problemen:
i) Wenn moralische Behauptungen kognitiv sind, also eine objektive Komponente
enthalten, dann sind sie zwar verallgemeinerungsfähig , man kann aber keine Normen
aus ihnen ableiten.
ij) Wenn moralische Behauptungen emotiv sind, also eine subjektive Komponente
enthalten, dann kann man zwar Normen aus ihnen ableiten, aber diese sind nicht
notwendig verallgemeinerungsfähig.
13 )Ferber, loc. cit. p 140: “So war z.B. das durch ein geheimes Ermächtigungsschreiben von
Hitler in Kraft gesetzte Recht, gewisse geistig behinderte und kranke Menschen zu
euthanasieren, sicher nicht moralischer Natur. Wer so etwas getan hat geriet zwar zur Zeit
des Nationalsozialismus nicht mir dem Gesetz in Konflikt. Er wurde aber wohl von den
meisten seiner Mitmenschen missachtet, und nach dem Ende des Nationalsozialismus auch
mit dem Arm des Gesetzes zu erfassen versucht.”
10
Analyse von
Einzelfällen
Handlungs-Ethik:
Diskussion der
richtigen
MORAL
Teleologische Ethik
(Verantwortungs-Ethik):
Handlungen müssen
ausschließlich danach beurteilt
werden, wie gut oder
empfehlenswert ihre Folgen
sind.
Die einzelne Handlung ist
immer die Grundlage des
Urteilens.
Positionen / Vertreter:
HANDLUNGSUtilitarismus:
Analyse von
allgemeinen Situationen
Regel-Ethik:
Einige (oder alle)
Handlungen müssen in
bezug auf den Wert der
REGEL beurteit werden, die
sie ausdrücken.
Positionen / Vertreter:
REGELUtilitarismus:
Jeremy
Bentham
John St. Mill /
George E. Moore
Adam
Smith
Immanuel
Kant
Deontologische Ethik
(Gesinnungs-Ethik):
Handlungen dürfen NICHT
ausschließlich nach ihren
Folgen beurteilt werden.
Entscheidend ist die
Handlungsbestimmung, d. h.
der gute oder schlechte Wille.
Übersicht über die wichtigsten Positionen in der sogenannten normativen Ethik
B.1) Teleologische Ethik/Utilitarismus -- Das Gute als Nutzen
Eine der einflußreichsten Positionen in der neueren Ethik ist der auf John Stuart Mill
zurückgehende Utilitarismus. Bekannt ist die Formel “Gut ist das, was der größtmöglichen
Zahl von Menschen nützt bzw. ihnen das größtmögliche Glück bringt”. - “Das Gute ist das,
wonach jeder Mensch strebt.”
11
Etwas banaler kann man sagen: Jederman wünscht sich etwas Wünschenswertes. Damit ist
klar, das die Grundlage des Utilitarismus keine empirische Hypothese ist, die durch
Erfahrung falsifiziert werden könnte.
Was “moralisch gut” ist, ist somit kein reales Prädikat
und hat keine reale Existenz,
sondern wird durch “semantische Regeln” festgelegt. Erst durch solche Regeln wird
festgelegt, “inwiefern eine reale Tatsache, die das Glück, die Lust oder den Nutzen befördert,
auch moralisch gut ist”. (Ferber: p 153) Dadurch wird der unbedingte Charakter des
moralischen Sollens relativiert.
Das “größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl” ist in Anlehnung an Kant ein “Ideal
der Einbildungskraft”.
B.2) Deontologische Ethik/Kant -- Das Gute als Regel
Nach Kant wird das, was moralisch gut ist erst durch Regeln gesagt. Die Hauptregel ist die
Verallgemeinerung, die Kant als “kategorischen Imperativ” formuliert hat:
“HANDLE NUR NACH DERJENIGEN MAXIME, DURCH DIE
DU
ZUGLEICH WOLLEN KANNST, DASS SIE EIN ALLGEMEINES GESETZ
WERDE”14
Der kategorische Imperativ gebietet, nur nach solchen subjektiven Grundsätzen zu
handeln, die verallgemeinerungsfähig sind, d. h. dass jeder andere ihn sich auch zu eigen
machen kann. D. h. Ziel ist die Intersubjektivität.
Beispielsweise ist die Nichtdiskriminierung von Menschen aufgrund von Rasse oder
Geschlecht deshalb richtig, weil sie als institutionelle Tatsache verallgemeinerungsfähig ist,
was für das Gegenteil nicht gilt.
Man
nennt
die
Kantische
Position
deontologisch,
weil
uns
die
aufgrund
der
Verallgemeinerungsregel erkannten Gebote zu etwas verpflichten, und zwar unabhängig
von etwaigen nützlichen Folgen, welche diese Gebote haben können.
Dies gilt auch für das Hauptgebot, der Verpflichtung zur Verallgemeinerung selbst.
John Stuart Mill reagiert auf Kant folgendermaßen:
12
“Um Kants Prinzip eine Bedeutung zu geben, muss der ihm gegebene Sinn der sein, dass
wir unser Verhalten durch eine Regel gestalten sollen, die alle vernünftigen Wesen zum
Nutzen ihres allgemeinen Interesses annehmen können”. 15
Für beide Positionen, die utilitaristische und die deontologische gilt, dass sie sich von
einem Vorverständnis “des Guten” leiten lassen, das auch die Folgen in Erwägung zieht.
Beide bezwecken nützliche Folgen nicht nur für den jeweils einzelnen , sondern auch für
alle anderen Menschen.
Aus der Verallgemeinerungsregel kann man folgende Faustregel gewinnen (Ferber p 161),
die auch für unsere Zwecke geeignet erscheint:
Diejenigen institutionellen Tatsachen sind moralisch richtig bzw. gut, welche
die Lebensinteressen anderer Menschen betreffen, und die sich grundsätzlich
jedermann zu eigen machen kann, ohne damit etwas zu wollen, das er bzw.
sie nicht wollen können.
Diejenigen institutionellen Tatsachen aber sind moralisch falsch bzw. schlecht,
welche die Lebensinteressen anderer Menschen betreffen und die sich nicht
jedermann zu eigen machen kann, da er dadurch etwas wollen müßte, was er
nicht wollen kann.
2. Nach uns die Zukunft - Gedanken zum Ausklang
Hilary Putnam hat in seinem Buch “Renewing Philosophy16” eine sehr schöne Bemerkung
gemacht:
14
) Immanuel Kant: Grundlegung der Metaphysik der Sitten. Riga 1785 (2. Abschnitt, p 421)
) John Stuart Mill: Utilitarianism. London 1861/63 (Kap. 5, pp. 78 -79)
16 ) Cf. Hilary Putnam: Renewing Philosophy, Cambridge 1992. pp. 194
[Sehr freie Übersetzung:]
Jemand, der nur dann handelt, wenn die geschätzten Nützlichkeitswerte günstig sind, lebt
kein sinnvolles MENSCHLICHES Leben (m H). Selbst wenn ich mich für etwas entscheide,
dessen ethischer und sozialer Wert völlig außer Zweifel steht, etwa mein Leben dem
Wohlbefinden der Sterbenden zu widmen, den geistig Behinderten zu helfen, die Kranken
zu heilen, oder die Armut zu lindern, selbst dann habe ich nicht zu entscheiden, ob es gut
ist, dass irgend jemand das tun sollte, sondern ob es gut ist, dass ich, Hilary Putnam, das tue.
Die Antwort auf diese Frage kann keine Angelegenheit wohletablierter wissenschaftlicher
Fakten sein, auch wenn man den Begriff “wissenschaftlich” noch so weit fasst..
15
13
“Someone who acts only when the ‘estimated utilities‘ are favourable does not live a
meaningful HUMAN life (m. H.) Even if I choose to do something of whose ethical and
social value there is absolutely no doubt, say to devote my life to comforting the dying, or
helping the mentally ill, or curing the sick, or relieving poverty, I still have to decide not
whether it is good that someone should do that thing, but whether it is good that I Hilary
Putnam, do that thing. The answer to that question cannot be a matter of well-established
scientific fact, in however generous a sense of “scientific”. [Übersetzung in der Fußnote;
Zitat p194]
3. Umgang mit ethischen Argumentationen- noch ein paar allgemeine Schlußgedanken zu
einem konkreten Beispiel (angewandte Wissenschaftsethik oder Ethik heute)
Könnte man argumentieren, dass man behinderten Kindern und deren Familien helfen
"muss" ? Dass man dazu verpflichtet ist (im Sinne der Erkenntnis/Anerkennung dieser
Pflicht als einer moralischen Tatsache!)?
Welche argumentativen Dimensionen sollte/könnte man beachten ?
Im folgenden diskutiere ich aber nur die “Struktur” von Argumenten, da die eigentlichen
konkreten Fakten jeweils situationsbezogen eingesetzt werden müssen, was einerseits
historische Änderungen zulässt, andererseits aber -- positiv gewendet -- Offenheit und
Flexibilität hinsichtlich möglicher Lösungen garantiert, sofern man ein solches Ziel vor
Augen hat.
Es geht somit immer um das Verhältnis von verallgemeinerungsfähigen Behauptungen
und
individueller
Betroffenheit,
und
zwar
durch
Aufdeckung
von
Handlungskonsequenzen.
Daraus ergeben sich zwei Fehlermöglichkeiten, nämlich unerwünschte Ereignisse, für
deren Eintreten wir eine Person als verantwortlich erachten:
1. empirisch/logische Problematik:
Ein Verursacher kann den Zusammenhang
zwischen einer Handlung und einem Ereignis als Konsequenz dieser Handlung
weder empirisch noch logisch erkennen.
2. ethische Problematik: Ein Verursacher erkennt zwar kausale und
logische
Zusammenhänge für das Eintreten eines Ereignisses, hat aber kein ethisches
Empfinden für die Beurteilung dieses Ereignisses, solange es ihm selbst nicht schadet.
14
Friedrich Nietzsche hat dies einmal sehr gut auf den Punkt gebracht: "Das habe ich getan
sagt mein Gedächtnis - das kann ich nicht getan haben sagt mein Stolz...und bleibt
unerbittlich!"
(Graphik)
Es gibt also zwei " Knöpfe" an denen wir drehen können, um negative Konsequenzen von
Handlungen zu vermeiden: Einsicht in Kausalität und Logik, Einsicht in ethische und
moralische Grundsätze.
Die beiden genannten Komponenten können zwar isoliert analysiert werden, müssen
jedoch in der Handlungspraxis beide berücksichtigt werden. Nur eine ausgewogene
"Bildung" in beiden Bereichen kann das Überleben der Menschheit (sofern das, ethisch
gesehen, erwünscht ist) garantieren!
3.1 Kontrafaktische Argumentationen: Was wäre wenn ?
Dies kann zu einem “reductio ad absurdum”-Argument benutzt werden, indem man
aufzeigt, was daraus folgt, wenn man Leben nicht schützt und Familien mit behinderten
Kindern auch noch sozial und ökonomisch bestraft.
Das Problem ist, dass man persönliche negative Konsequenzen aufzeigen muss, was dann
empirisch gesehen nicht einfach ist, wenn jemand sich z.B. nicht vorstellen kann, dass er
direkt in eine ähnliche Lage kommt, oder -- was noch schwieriger ist -- auch nicht die
Analogien sehen kann, dass er/sie selbst in eine Notsituation geraten kann und Hilfe
benötigt.17
Entscheidend ist, dass man aufdeckt, dass bestimmte Konsequenzen 18 in Widerspruch
stehen zu persönlichen Erwartungen und unter Umständen auch zu Werten (seien sie
bewußt zugrundeliegend oder auch explanantorisch von uns zugrundegelegt).
17
) Hier spielt die Notwendigkeit herein, sich den evolutionären Erfolg der Menschheit klar
zu machen, der sicherlich davon abhängt, dass wir als soziale Wesen mehr
Überlebenschancen haben als andere Gruppen. Sichtbar wird dies heute theoretisch, indem
man die logische Situation von “Kooperations-Spielen” (cf. Gefangenen Dilemma)
analysiert und daran denkt, dass unsere Lebenssituation ein “Nicht-Nullsummenspiel” ist,
was bedeutet, dass wir nicht nur auf Kosten der anderen leben können. Aber auch ein
derartiges Argument muss unser Adressat einsehen können (wollen).
18 ) Voraussetzung ist, dass man diese Konsequenzen als Konsequenzen einsieht /
akzeptiert, auch wenn sie einem noch so sehr gegen den Strich gehen, und man eine
Aversion gegen DIE Wissenschaft hat oder gegen die Personen, die eine Begründung
vorbringen. Letztlich folgt noch gar nicht, dass man auch entsprechend der aufgedeckten
Konsequenz handeln muss -- es sei denn, man akzeptiert es als (wissenschafts-) ethischen
Wert dies zu tun. Mißtrauen und schlechte Erfahrungen (aber auch eine Gauner-Mentalität)
15
II) Realistische Argumentationen:
Hier kann man Konsequenzen direkt argumentieren und dann zeigen, dass etliche u. U.
nicht akzeptabel sind, bzw. in Widerspruch zu akzeptierten Werten stehen19.
III) Evolutionistische Argumentationen:
Hier geht es darum, dass man den Genpool der Menschheit nicht beliebig manipulieren
soll, vor allem wenn man die Konsequenzen gar nicht kennen, überschauen und
beurteilen kann.
IV) Wissenschaftstheoretische Argumentationen:
Wir können nicht sicher sein, daß unsere Theorien 100%-ig wahr sind und sollten daher
zumindestens vorsichtig sein bei der sozialen/praktischen Umsetzung wissenschaftlicher
Erkenntnisse20.
V) Problem der Sachzwänge:
In der Wirtschaft hört man sehr oft das Argument, dass man ja gerne ethisch handeln
möchte aber nicht kann, der Markt sei einfach zu brutal, die ökonomischen Sachzwänge
würden nicht gestatten, anders zu handeln. Hier sollte man vielleicht explizit auf John
Maynard Keynes verweisen, der sich den Sachzwängen der theoretischen Ökonomie nicht
unterworfen hat, sondern aus ethischen Motiven heraus neue Sachlösungen gefunden hat.
können dazu führen, dass man entgegen der Rationalität handelt. Gelegentlich hat man
damit auch recht (und man sollte sich auf alle Fälle die Option dafür offen halten, aber dann
die Verantwortung dafür übernehmen). Man muss auch berücksichtigen, dass
wissenschaftliche Ergebnisse zu interpretieren sind, und nicht notwendig unmittelbare
Handlungsanweisungen für den Umgang mit Realität darstellen. Man sollte (aber das ist ein
Thema der Wissenschafts-Ethik) immer auch versuchen zu verstehen, wie
wissenschaftliche Ergebnisse zustande kommen, bzw. auf welche Weise wissenschaftliche
Ergebnisse bestimmte Ausschnitte unserer Realität zu erfassen trachten.
19) Hier gilt noch in stärkerem Ausmaß die Problematik der obigen Fußnote. Ferner kann
man sich klar machen, dass es in totalitären Systemen ein guter Trick ist, das
Bildungssystem so anzulegen, dass man für bestimmte Konsequenzen blind ist. Bildung für
Frauen wird z.B. in manchen Ländern der Dritten Welt gar nicht gerne gesehen.
20 ) Man denke
nur an die katastrophalen Mißverständnisse im Bereich der
Atomkraftwerksdiskussionen. Der persönliche Vorteil einzelner Wissenschaftler darf nicht
zum Maßstab für Forschung und Umsetzung werden.
16
Keynes war als Mitglied der Bloomsbury Group (bekanntes Mitglied war Virginia Wolfe)
beeinflusst von der Ethik von George Edward Moore und hat zeitweise sehr intensiv mit
Ludwig Wittgenstein
zusammengearbeitet,
insbesondere
im
Zusammenhang
mit
Überlegungen zum Wahrscheinlichkeitsbegriff.
VI) Zeitabhängigkeit:
Auch in der
heutigen Zeit wissen wir nach wie vor viel zu wenig über die
Nebenwirkungen der Anwendung bestimmter wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Argumente können immer nur den gegenwärtigen Wissensstand der Menschheit
berücksichtigen und dann Handlungen sanktionieren, die früher undenkbar gewesen
wären, wie etwa Herztransplantationen, die gegenwärtig den Gehirntod zum Maßstab für
die Entnahme eines Herzens nehmen.
VII) Soziale/gesellschaftliche Argumente:
Was hat die oben angesprochene
Problematik für Konsequenzen für die Moral eines
Volkes, für Eltern (welche Form von Brutalität kann erzeugt werden), können wir sicher
sein, dass sich das ganze nicht gegen uns selbst wendet -- ?
Wie steht es um den Generationenvertrag ? -Wie muss man im Alltag argumentieren ? Darf man davon ausgehen, dass ein Argument
zur Durchsetzung einer Meinung denselben Status hat wie das Argument zur Begründung
? Darf man Sachprobleme nur mit Rhetorik lösen?
Lässt sich wirklich alles auf einen “universellen commonsense” reduzieren?
Ich habe schon betont, dass man im Bereich der Ethik keine endgültigen Lösungen geben
sollte,
sonst
kommt
es
zu
sogenannten
Endlösungen
!
Wir
würden
unsere
Korrekturspielräume zerstören (die Möglichkeit zu einem positiven menschlichen
Augenmaß)
und die Fähigkeit zur Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an neue
Situationen abschwächen -- auch hierin stecken versteckte Wertungen !
Ein Argument setzt sich immer nur in einer Zeit aufgrund konkret akzeptierter Normen
durch. Da wir aber prinzipiell nicht sicher sein können, dass sich die Welt (durch unser
eingreifen)
nicht
stark
ändert,
so
dass
neue
Erkenntnisse
für
unsere
17
Handlungsentscheidungen relevant werden -- brauchen wir auch im Rahmen ethischer
Entscheidungen so etwas wie einen Korrekturspielraum, mit dessen Hilfe wir uns auf
Veränderungen einstellen und vorbereiten können.
Im
Falle
einer
konkreten
Handlung
nimmt
mir
trotzdem
niemand
meine
Verantwortung 21 ab. -- Dazu brauchen wir Mut, viel Mut, um uns mit unseren Meinungen
(in einer tolerant geführten Diskussion) zu behaupten!
Ethik ist also gerade “in Zeiten wie diesen” keinesfalls Luxus, sondern eine notwendige
Voraussetzung für das Überleben der Menschheit (sofern man das will)
(und zwar das
Überleben ALS Menschheit). Ethik kann Menschen dazu anregen sich auf ihr Mensch-Sein
zu besinnen und dadurch ihrem Leben einen “menschlichen” Sinn zu geben22.
21
) >>Selbst wenn ich Scharfrichter bin und ein Gesetz realisiere und ein Todesurteil
vollstrecke, selbst dann bin ich zwar (von außen gesehen) außer Obligo, aber meine Tat
muss ich letztlich selbst verantworten und ich muss auch dafür geradestehen. Die
individuelle Einsicht ist hier entscheidend, und sie ist es, die mich zum Menschen
macht und mich persönlich verantwortlich macht, eine Verantwortlichkeit als
Individuum, aus der mich niemand wirklich entlassen kann. Das ändert praktisch nichts
daran, dass ich unter sozialen Druck geraten kann, und dass es die Nürnberger Prozesse
ohne den Sieg der Alliierten gar nicht gegeben hätte. Ethik muss hier als Korrektiv
fungieren, so wie die Logik im Bereich des Argumentierens. Ich erinnere nochmals an
das obige Zitat von Hilary Putnam.
Die Spannung zwischen individuellem, persönlichem Wissen und Allgemeinwissen bleibt
bestehen !!!
22 ) In diesem Fall ist es möglich “auch ohne Belohnung” ethisch und (wohl-) überlegt zu
handeln!
Herunterladen