(14) Mobilität - Katholisch

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Vogt – Nachhaltigkeit [Zsfg. 10] 105
(14) Mobilität: unser Umgang mit Raum und Zeit
1. Analysen zur Mobilitätsentwicklung
Kulturkritik an der Beschleunigungsgesellschaft
Die Utopie einer zunehmenden Überwindung der Grenzen von Raum und Zeit
- um jederzeit alles überall verfügbar zu haben
- „schneller, weiter, mehr“ als Leitbild des neuzeitlichen Fortschritts.
- „Motoren“ und Symbole des Fortschritts: Lokomotive im 19. Jh., heute vor allem Auto und
Flugzeug
Gerade die Beschleunigung wird jedoch zunehmend als ambivalent erfahren:
- neue Zwänge, hohe Kosten 250 - 500 Euro monatlich für einen Pkw sowie steigende
Bezinkosten
- sobald es zur allgemeinen Erwartung gehört, dass jeder über hohe Mobilität/Geschwindigkeit verfügt, wird die Möglichkeit zur Verpflichtung
- Spirale der Beschleunigung mit immer höherem technischen Aufwand
- Beschleunigung wird in höhere Entfernungen umgesetzt, kein Zeitgewinn (Länge der Wege
hat in den letzten 40 Jahren in Deutschland von 2 km auf 12 km zugenommen)
- die Aufmerksamkeit für den Aufenthalt wird von der Aufmerksamkeit für die Fortbewegung verschlungen, der schnellen Ankunft folgt oft schnelle Abreise
- alle sind auf Achse, so wird die Synchronisation schwierig, der Zweck des Ganzen, nämlich
zusammenzukommen wird immer schwieriger zu erreichen
- die Beschleunigung der einen hat Einbußen an Beweglichkeit für andere zur Folge
- Die Verkehrsplanung wird hauptsächlich von Männern zwischen 30 und 60 gemacht,
Bedürfnisse von Frauen, Kindern, Alten werden nicht hinreichend beachtet
- weite Wege zum Einkauf, öffentliche Plätze haben nicht soziale Funktion, sondern dienen
als Verkehrsraum
- zugunsten des Fernbereichs bleibt der Nahbereich auf der Strecke, Lebensräume werden als
Verbindungsräume zubetoniert
Als Gegenreaktion entsteht das Verlangen nach Langsamkeit und Regionalisierung. Die
Paradoxie ist, dass die hohe Geschwindigkeit angestrebt wird, um Zeit zu sparen, dadurch aber
ein Gefühl der Gehetztheit entsteht.
Langsam ändert sich die Erwartung an Fortschritt: Nicht ein Immer-Mehr, -Schneller, -Weiter,
sondern angemessene Maße für Raum und Zeit werden angestrebt.
Ohne eine grundsätzliche Debatte über das rechte Maß wird die Wende zu einer nachhaltigen
Verkehrspolitik nicht gelingen
Begriffsklärung
Verkehr ist Ausdruck der Raumüberwindung von Personen, Gütern und Informationen. Der
Wunsch nach Verkehr kann eine abhängige Variable der wirtschaftlichen und räumlichen
Entwicklung sein (z.B. arbeitsteilige Produktion) oder ein Bedarf, der mit steigendem
Einkommen und wachsender Freizeit wächst. Im ersten Fall handelt es sich um
Zwangsmobilität, im zweiten um Wunschmobilität. Die Unterscheidung ist insofern von
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Bedeutung, als den beiden Mobilitätsformen völlig unterschiedliche Ursachen und
Einflussgrößen zugrunde liegen.
Mobilität wird umso größer, je mehr Ziele erreichbar sind. Dieses Potential hängt von zwei
Größen ab: Erstens von der räumlichen Dichte der Angebote und zweitens vom Aktionsradius.
Nur der Aktionsradius ist abhängig vom Verkehrsangebot. Mit derselben Mobilität kann viel
oder wenig Verkehr verbunden sein, je nach dem ob man primär auf eine schnellere Raumüberwindung oder auf eine Verdichtung des Angebots setzt.
Die sehr unterschiedlichen Bewertungen der Verkehrsgestaltung in der Öffentlichkeit und der
Literatur hängen mit den ethischen Konnotationen der begrifflichen Differenzierung zwischen
„Mobilität“ und „Verkehr“ zusammen und werden durch die schillernde Verwendung eines
analogen Begriffs von Mobilität („geistige Mobilität“, „soziale Mobilität“) verstärkt.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Verkehrs
Moderne Gesellschaften sind ohne ein funktionierendes Verkehrssystem nicht denkbar. Da die
Möglichkeit der Teilnahme an vielen gesellschaftlichen Prozessen in den großräumlichen
Strukturen der modernen Gesellschaft vom Zugang zur Mobilität abhängt, wir diese zu einer
wichtigen Realisierungsform der ethischen Werte Freiheit, Individualität und Lebensqualität.
Die im Grundgesetz verbürgten Rechte der freien Wohnort- und Arbeitsplatzwahl wären ohne
eine öffentliche Infrastruktur und Grundversorgung im Verkehrsbereich nicht gewährleistet.
Mobilität ist eine Basis für Wachstum und Beschäftigung: Verkehr und wirtschaftliche
Entwicklung stehen in einer engen wechselseitigen Beziehung. So induziert wirtschaftliches
Wachstum in der Regel Verkehr, umgekehrt zählen aber auch Ausbau und Unterhalt von
Verkehrswegen zu den wichtigsten Maßnahmen einer wachstumsorientierten Infrastrukturpolitik in den unterentwickelten Ländern. Verkehr gewährleistet eine interregionale und
internationale Arbeitsteilung, schafft Absatz- bzw. Beschaffungsspielräume und liefert damit
u.a. die Voraussetzungen für eine Kosten senkende großbetriebliche Produktion. Das globale
Zusammenwachsen der Märkte und Kulturen, das die gegenwärtige Entwicklung der
Weltgesellschaft mit all ihren Licht- und Schattenseiten wesentlich prägt, ist nicht zuletzt ein
Produkt der sehr leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur.
Ökologische und soziale Belastungen durch den Verkehr
In der Vergangenheit wurden hauptsächlich die positiven Effekte des Verkehrs hervorgehoben,
mittlerweile hat sich die Sichtweise aber gewandelt: „Der Verkehr zählt zu den
Hauptverursachern von Umweltbelastungen. Er ist eine wichtige Emissionsquelle für
Luftschadstoffe, er führt zu starkem Flächenverbrauch und zur Beeinträchtigung des
Landschaftsbildes. Darüber hinaus leiden viele Menschen unter dem Verkehrslärm, gefährden
Transportvorgänge Menschenleben und die Umwelt, und die Entsorgung nicht mehr benötigter
Verkehrsmittel schafft erhebliche Abfallprobleme“ (WBGU 1993, 164 und Kap. 2).
Da die Umwelt bereits erhebliche Schädigungen aufweist, bedeutet die Zunahme der
Verkehrsleistung eine Verschärfung der Klimaprobleme, der Bodendegradation, des
Waldsterbens und des Verlustes an biologischer Vielfalt. Darüber hinaus erhöhen sich durch
den internationalen Flugverkehr die Risiken der Seuchenausbreitung und der
Artenverschleppung. Eine unmittelbare Gefährdung der menschlichen Gesundheit stellen das
hohe Unfallrisiko, die Lärmbelästigung sowie die Belastung mit Luftschadstoffen dar. In vielen
Städten führt der zunehmende Verkehr zu einem erheblichen Verlust an Lebensqualität.
Zusammenfassung der Umweltbelastungen durch den Verkehr:
· Klima: der Verkehr trägt in Deutschland etwa 20% zu den C02-Emissionen bei
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·
·
·
·
Luft: Straßenverkehr ist Hauptverursacher von Waldschäden und Sommersmog (58% der
Stickoxidemissionen und 32% der Kohlenwasserstoffemissionen
Lärm: 17% der Wohnungen sind tagsüber Außengeräuschpegeln von über 65 Dezibel
ausgesetzt; 12 Millionen Bundesbürger sind einem Lärmpegel ausgesetzt, der als
krankmachend gilt
Flächeninanspruchnahme: Flächenzerschneidung durch Verkehrswege beeinträchtigt die
Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten
Abfall: jährlich werden in Deutschland ca. 2,7 Mio. Pkw ausrangiert.
2. Ethische Grundsätze einer nachhaltigen Verkehrspolitik
Gestaltungsaufgaben: Welche Relevanz kommt der Ethik zu?
Die Bewältigung des expandierenden Mobilitätsbedürfnisses ist ein Schlüsselfaktor für
wirtschaftliche Entwicklung, ökologische Tragfähigkeit und soziale Gerechtigkeit. Die hohen
Steigerungsraten der CO2-Emission im Verkehrsbereich sind eine der stärksten Hürden zur
Erfüllung des Kyotoprotokolls und damit der internationalen Klimaschutzziele. Die enormen
Steigerungsraten des Verkehrs erhöhen den Druck auf die Umwelt sowie auf die Gesundheit
und das Lebensumfeld des Menschen in einem Maß, das eine neue Abwägung zwischen Kosten
und Nutzen des Verkehrs nötig macht. Dabei ist zu beachten, dass der Verkehr zugleich
Voraussetzung und Folge von Wohlstand ist und deshalb nicht isoliert von der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung gesehen und gesteuert werden kann. Technische
Innovationen können Einzelbelastungen minimieren, nicht aber die problematische Gesamtentwicklung ändern. Es bedarf deshalb einer grundsätzlichen gesellschaftlichen Reflexion und
Willensbildung über die Ziele sowie Mittel der Mobilitätsgestaltung.
Die Aufgabe der Ethik ist es, diesen Prozess kritisierend, motivierend und integrierend zu
begleiten, wobei diese drei Grundfunktionen der Ethik durch die theologische Dimension des
christlichen Glaubens vertieft und radikalisiert werden können. Die ethische Kritik setzt dort an,
wo einzelne Deutungs- und Handlungsmodelle verabsolutiert und damit ideologisiert werden,
die ethische Motivation basiert auf Leitbildern des gelungenen Lebens und zeigt Chancen einer
besseren Lebensqualität durch eine klare Hierarchie der Werte und kooperatives Handel auf; die
ethische Integration wurde im Rahmen des Leitbilds der Nachhaltigkeit zu einem Schwerpunkt
ethischer Argumentation in umwelt- und entwicklungspolitischen Zusammenhängen.
Nachhaltige Mobilität
Von nachhaltiger Mobilität kann man nur dann sprechen, wenn es sich um ein Modell handelt,
das global nachahmungsfähig und langfristig ökologisch tragfähig ist. Würde sich etwa die
Volksrepublik China, in der auf ca. 500 Einwohner ein Pkw kommt, am deutschen Standard
orientieren (ca. 1 Pkw auf 2 Einwohner), würde der Bedarf gigantisch steigen (allein für China
600 Millionen Fahrzeuge). Dies wäre auf der Basis der gegenwärtigen Technik ökologisch nicht
tragfähig. Da sich die Ansprüche nachholender Entwicklung in den Entwicklungs- und
Schwellenländern jedoch nicht politisch verbieten lassen und ihnen auch ethisch eine gewisse
Berechtigung zukommt, haben die Industrienationen eine besondere Verantwortung, rechtzeitig
Alternativen zu entwickeln. „Wir fordern Geburtenkontrolle für Autos im Norden und nicht nur
für Familien im Süden“ (Farida Akhtar, Bangladesch / Brot für die Welt).
Da die seit einem halben Jahrhundert vorherrschenden Verkehrskonzepte ein wesentlicher
Motor der Globalisierung und der Beschleunigung sind, trägt die Verkehrspolitik nach dem
Verursacherprinzip in besonderer Weise Verantwortung für diesen Prozess.
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Nachhaltige Verkehrsgestaltung bedarf einer neuen Wertschätzung regionaler Konzepte. Aus
ethischer Sicht ist Regionalisierung nach dem Maßstab der Subsidiarität auszugestalten: Dieses
Grundprinzip der katholischen Sozialethik fordert, dass Entscheidungsbefugnisse nur dann auf
übergeordnete Ebenen verlagert werden, wenn die untergeordneten nicht die nötigen sachlichen
Kompetenzen und organisatorischen Möglichkeiten besitzen. Regionalisierung nach der
Maßgabe der Subsidiarität meint also nicht Rückzug in Provinzialität, sondern Einheit in
Vielheit durch den Vorrang untergeordneter Organisationseinheiten unter Einbindung in
übergeordnete Zusammenhänge. Man kann dies mit dem bekannten Slogan der Agenda 21 "lokal handeln, global denken" übersetzen.
Die verschiedenen Konzepte der Regionalisierung - Bioregionalismus, Dezentralisierung,
Netzwerkbildung, living in place etc. - bedürfen kritischer Differenzierung. Sie brauchen jedoch
auch aktive Unterstützung durch die Verkehrspolitik und die Gestaltung der Transportpreise,
von denen sie jahrzehntelang konterkariert wurden. Eine Unterstützung der Regionalisierung
wäre ein grundlegender Paradigmenwechsel der Verkehrspolitik.
Aus christlicher Perspektive kann man an die Tradition der stabilitas loci anknüpfen, die
Benedikt den Mönchen in der Zeit der Völkerwanderungen am Ende der Antike als Lebensregel
mitgegeben hat und sie im Verlauf der Geschichte kulturell und ökologisch zu
Kristallisationszentren nachhaltiger Lebensstile werden ließ.1 Angesichts der Rastlosigkeit
heutiger Mobilität ist dies durchaus wieder attraktiv und aktuell.
Ethische Entscheidungskriterien für die Gestaltung nachhaltiger Mobilität
Die grundlegenden Kriterien zur ethischen Bewertung der Verkehrsgestaltung, die sich aus dem
Leitbild der Nachhaltigkeit ergeben bzw. dieses begründen, kann man in drei Bereiche einteilen:
- Individualverträglichkeit (z.B. Ermöglichung von Bewegungsfreiheit und einer den
subjektiven Bedürfnissen entsprechenden Mobilitätsgestaltung)
- Sozialverträglichkeit (z.B. Beteiligungsgerechtigkeit für alle am Verkehr, Vermeidung der
Gefährdung des Lebens und der Gesundheit anderer Menschen)
- Umweltverträglichkeit (z.B. Verringerung des CO2-Ausstoßes
Klimaschutzziele, maßvolle Versiegelung von Flächen).
entsprechend
der
Die Abwägung anhand der drei ethischen Grundkriterien kann zunächst statisch im Rahmen der
gegebenen Systemstrukturen durchgeführt werden. Diese lassen jedoch häufig aufgrund der
hohen Dringlichkeit aktueller Probleme sowie aufgrund ungünstiger Rahmenbedingungen nur
kompensatorische Lösungen zu. Staatliches, individuelles und kirchliches Handeln erfordert
deshalb darüber hinaus auch eine dynamische Veränderung der ökonomischen
Rahmenbedingungen, der individuellen und gesellschaftlichen Präferenzen im Verständnis von
Lebensqualität sowie der Raumordnungsstrukturen.
Individualverträglichkeit: Politische Einschränkungen der individuellen Mobilitätsbedürfnisse
sind in einem freiheitlichen Staat ethisch nur dann rechtfertigungsfähig, wenn sie nach dem
Prinzip der Erforderlichkeit unvermeidbar sind. Deshalb müssen zunächst die Möglichkeiten
technischer und organisatorischer Optimierungen für eine möglichst umwelt- und
sozialverträgliche Befriedigung des expandierenden Mobilitätsbedarfs ausgeschöpft werden.
In Deutschland ist jedoch ebenso wie in vielen anderen Ländern eine Schwelle erreicht, jenseits
derer eine weitere Beschleunigung und Fernverflechtung oft mehr Kosten als Gewinne für die
1
Sie ermöglichte ihnen eine über Jahrhunderte kontinuierliche Pflege von Lebensräumen (bes. Wald-, Land- und
Wasserwirtschaft) und damit eine weit gehende Autarkie.
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Lebensqualität erbrächte. So wird die zunehmende Beschleunigung des Verkehrs meist mit dem
Argument der Zeitersparnis begründet und individuell als attraktiv erlebt, jedoch faktisch
hauptsächlich in höhere Entfernungen und nicht in Zeitgewinn umgesetzt. Maßstab für die
Bewertung der Verkehrsentwicklung kann deshalb nicht der Zeitfaktor sein, sondern primär der
Vergleich von Kosten und Nutzen der fernräumlichen Vernetzung hinsichtlich ihrer
Auswirkungen auf die Lebensqualität.
Politik hat nicht nur die Aufgabe, auf individuelle Präferenzen zu reagieren, sondern ebenso –
wenn grundlegende Entwicklungsprobleme auftauchen, wie das bei der Mobilität der Fall ist –
nach deren Ursachen und Beeinflussungsmöglichkeiten zu fragen. Vielfach sind individuelle
Mobilitätsbedürfnisse Ausdruck von Mobilitätszwängen. Diese müssen aufgedeckt und
vermindert werden, was zum Teil jedoch nur langfristig möglich ist (z.B. Gestaltung der
Siedlungsstrukturen).
Zum Kriterium der Individualverträglichkeit gehört auch die Beachtung psychologischer
Aspekte bei der Mobilitätsgestaltung: Das Verkehrsverhalten folgt keineswegs nur rationaler
Optimierung der Raumüberwindung. Motorisierter Individualverkehr genießt als bevorzugte
Ausdrucksform individueller Mobilität und Freiheit eine hohe gesellschaftliche Attraktivität die
nur bedingt von der Rationalität der Transportleistung und Raumüberwindung her zu verstehen
ist. Für die Akzeptanz spielen die mit dem Mobilitätsbedürfnis verbundenen
Sekundärbedürfnisse eine große Rolle (Auto als Statussymbol, als jederzeit verfügbare
Möglichkeit von Freiheit, Freude an der Technik etc.). Einer Politik, die dies nicht beachtet,
sind
deshalb
aufgrund
mangelnder
individualethischer
Akzeptanz
enge
Durchsetzbarkeitsgrenzen gesetzt. Deshalb müssen ordnungspolitische Maßnahmen mit
Initiativen der Bewusstseinsbildung und der Verkehrserziehung verbunden werden. Wichtig ist
dabei, die Sekundärbedürfnisse als wichtige Determinanten zu akzeptieren, aber in ihre
Ausdrucksformen stärker auch ökologische und soziale Aspekte zu integrieren.
Sozialverträglichkeit: Das Kriterium der Sozialverträglichkeit setzt der Anwendbarkeit
preispolitischer Instrumente in der Verkehrspolitik Grenzen, denn ihre verstärkte Anwendung
bringt das Problem der Ungleichbehandlung zahlungsschwächerer Bevölkerungsgruppen mit
sich. Mobilität gehört zu den existentiellen Grundbedürfnissen, von deren Befriedigung
zahlungsschwächere Bürgerinnen und Bürger nicht ausgeschlossen werden dürfen. Deshalb ist
eine Internalisierung der externen Effekte des Verkehrs (Pigou-Steuer) nicht vollständig
anwendbar.
Dabei sollten die Möglichkeiten der finanziellen Steuerung im Rahmen des Sozialverträglichen
ausgeschöpft werden. Denn die fehlende Kostenwahrheit des Verkehrs ist ein gravierender
Mangel im System, der letztlich nur über finanzielle Anreize hinreichend flexibel und
dynamisch behoben werden kann. Die sozialen Belastungen durch die ökologische Steuerreform
halten sich auch für Familien in einem ethisch zumutbaren Rahmen. In Abwägung mit den
sozialen Belastungen von Menschen in anderen Kontinenten und künftigen Generationen durch
Klimawandel sind sie nach den verantwortungsethischen Regeln der Güterabwägung als ein in
Kauf zu nehmendes geringeres Übel einzustufen. Zugleich ist aber zu beachten, dass die
gegenwärtigen Formen der Mobilitätsbefriedigung in hohem Maß sozial ungerecht sind, da
Frauen, Kinder und Alte in ungleich höherem Maß den Belastungen ausgesetzt sind, während
die Mobilitätsgestaltung primär auf die Bedürfnisse der berufstätigen Männer zwischen 30 und
60 hin optimiert ist.
Die hohen Belastungen durch Verkehrslärm, durch die negativen sozialräumlichen Effekte in
den Städten, die zunehmenden Atemwegserkrankungen besonders bei Kindern und vor allem
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die hohen Risiken durch den Straßenverkehr ergeben in der Summe eine negative Bilanz für die
Sozialverträglichkeit der gegenwärtigen Verkehrsgestaltung in Deutschland. Insbesondere die
Inkaufnahme von über 7.700 Toten und 500.000 Verletzten im Jahr durch den Verkehr eine
Haltung, das mit keinem anderen Lebensbereich vergleichbar ist und als höchst irrational
bezeichnet werden muss.
Umweltverträglichkeit: Das Kriterium der Umweltverträglichkeit betrifft insbesondere die
Schadstoffemissionen, die Flächenversiegelung und den Abfall. Mit einem Anteil von 20% an
der CO2-Emission und hohen Wachstumsraten gehört der Verkehrsbereich zu den kritischen
Handlungsfeldern, an denen sich entscheidet, ob Deutschland die im Kyoto-Protokoll
zugesagten internationalen Verpflichtungen zum Klimaschutz einhalten kann. Auch wenn der
mögliche Beitrag global gesehen unter quantitativen Gesichtspunkten gering ist, kommt ihm
insofern ein hohes ethisches Gewicht zu, als er eine wichtige symbolische Bedeutung für die
internationalen Verhandlungen hat.
Der hohe Flächenverbrauch durch den Verkehr wird in der Raumordnung und in der
Umweltethik als ein Problem eingestuft. Deshalb sind die Spielräume für einen Ausbau der
Verkehrswege begrenzt. Für die ethische Argumentation hat das zur Konsequenz, dass ein
technischer und organisatorischer Innovationsschub im Transportwesen Dringlichkeit hat, um
Engpässe ohne weiteren Ausbau der Infrastruktur zu beseitigen, z.B. durch eine Arbeitsteilung
zwischen den Verkehrsträgern und eine bessere Ausschöpfung der Kapazitätsreserven der
Verkehrsinfrastruktur. Technische Lösungen genügen jedoch nicht, um die enormen
Zuwachsraten der Mobilitätsbedürfnisse, insbesondere in globalen Zusammenhängen,
verantwortlich zu bewältigen. Die Diskrepanz zwischen der Mobilitätsgestaltung in den
Industrieländern und den Maßstäben globaler Nachhaltigkeit ist so gravierend, dass sie nur dann
überwunden werden kann, wenn grundlegende Innovationen auf der Ebene der Effizienz
(technisch und organisatorisch), der Substitution (nicht fossile Antriebe) und der Suffizienz
(weniger Mobilitätsintensive Arbeits- und Wirtschaftsstile) zugleich stattfinden.
Eine strukturelle Ursache für den sorglosen Umgang mit natürlichen Ressourcen liegt darin,
dass Gebrauch und Verbrauch der natürlichen Umwelt kostenlos oder zu geringeren als den
tatsächlichen Kosten möglich ist. Deshalb muss das Prinzip der Internalisierung der
verursachten Umweltkosten, also ihre Anrechnung beim Verursacher, stärker beachtet werden.
Denn wenn die Verursacher selbst nicht nur für die ökonomischen, sondern auch für die
sozialen und ökologischen Kosten des Verkehrs aufkommen müssen, werden sie ihr
Mobilitätsbedürfnis so befriedigen, dass die negativen Auswirkungen möglichst gering bleiben.
Durch Internalisierung der ökologischen Kosten kann man dem Kriterium der
Umweltverträglichkeit unter Wahrung maximaler individueller Entscheidungsspielräume
gerecht werden. Die Grenze des Prinzips der Internalisierung ergibt sich im Verkehrsbereich aus
den methodischen Schwierigkeiten, die ökologischen und sozialen Kosten zu berechnen, sowie
vor allem aus dem Kriterium der Sozialverträglichkeit, das auch den zahlungsschwächeren
Bürgern eine angemessene Beteiligung am Verkehr zur Befriedigung des Grundbedürfnisses
Mobilität zuerkennt.
Um Mobilität nachhaltiger gestalten zu können, sind Veränderungen der persönlichen
Verhaltensweisen genauso erforderlich wie Veränderungen der Infrastruktur. Isolierte
moralische Appelle an den Einzelnen bleiben unzureichend. Denn die individuellen
Handlungsmöglichkeiten zur Realisierung von Mobilität sind weitgehend gesellschaftlich
vorstrukturiert bzw. vorinterpretiert: Durch Siedlungs- und Infrastruktur, durch
Arbeitsorganisation, durch Konsummuster und durch Freizeitgewohnheiten. Von tugendethisch
motivierten Korrekturen an den individuellen Verkehrsteilnahme ist nur ein geringer Entlas-
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tungseffekt zu erwarten. Deshalb müssen sich bewusstseinsbildende und erzieherische
Handlungsansätze, die auf eine Veränderung der individuellen Mobilitätsstile zielen, im Sinne
einer Doppelstrategie mit gesellschaftlichen und politischen Initiativen zur Veränderung der
Anreizstrukturen verbinden.
Durch exemplarisches Handeln kann die Kirche Zeichen setzen für eine Kultur verantworteter
Mobilität und so auch ihren prophetisch-kritischen Auftrag wahrnehmen. „Aufgabe der Kirche,
ist es, die Voraussetzungen der gegenwärtigen (Mobilitäts-) Entwicklung konsequent zu
hinterfragen.“ „Die Symbole, die den Traum der Mobilität nähren, haben beträchtlich Macht.
Sie zu durchbrechen ist letztlich eine geistliche Herausforderung. Intellektuelle Betrachtungen
reichen nicht aus.“ (ÖRK 1998, 21f). Kirche kann Anwalt sein für eine Horizonterweiterung in
der nüchternen Abwägung von Nutzen und Kosten unterschiedlicher Mobilitätsformen für das
Gemeinwohl. Folgende Wegmarkierungen und Handlungsimpulse können dabei Orientierung
geben: Der Sonntag als Ruhetag, Exerzitien und Autofasten, Gesellschaftspolitischer Auftrag
der Verbände, Mobilität mit Zeit für menschliche Begegnungen, Spiritualität des rechten
Maßes. Die Autobahnkirchen sind Zeichen der kirchlichen Aufmerksamkeit für den
Verkehrsbereich. Diese spirituellen und praktischen Impulse sind nur kleine Beiträge im Ringen
um eine ökologisch tragfähige, global gerechte und wirtschaftlich effiziente
Mobilitätsgestaltung. Als sichtbares Zeugnis der Verantwortung für die Schöpfung können sie
jedoch eine tiefere Dimension der Verkehrsproblematik beleuchten, die für die gesellschaftliche
Reformfähigkeit nicht ohne Bedeutung ist.
3. Handeln: Handlungsansätze für eine umweltschonende Mobilität
Ziele und Strategien der Verkehrspolitik
Aus den ethischen Kriterien ergeben sich vor allem folgende vorrangigen Ziele einer
nachhaltigen Mobilitätsgestaltung: 1. Verringerung der verkehrsbedingten Emission von
Schadstoffen, insbesondere von CO2. 2. Technische und organisatorische Innovationen zur
Befriedigung der steigenden Mobilitätsnachfrage ohne Ausweitung der verkehrsbedingten
Versiegelung von Flächen. 3. Verringerung der verkehrsbedingten Gefährdung von menschlichem Leben und menschlicher Gesundheit. 4. Gesellschaftliche Initiative zur Umkehr des
Trends steigender individueller Mobilitätsbedürfnisse, 5. Ausgleich zwischen Begünstigten und
Benachteiligten im Blick auf technische Mobilität.
Zur Erreichung dieser Ziel gibt es drei grundlegende Strategien einer nachhaltigen
Mobilitätsgestaltung: Erstens Verkehr vermeiden, zweitens Verkehr verlagern, drittens
technische Verbesserung der Verkehrsmittel und Kraftstoffe zur Verringerung der ökologischen
und sozialen Belastungen. Dabei ist die Reihenfolge der Maßnahmen wichtig. Die drei Wege
stehen in einem systematischen Zusammenhang zu den drei grundlegenden Strategien der
Nachhaltigkeit, Suffizienz, Effizienz, Substitution.
Verkehrsvermeidung: Ziel ist die Vermeidung nicht notwendigen Verkehrs, verbunden mit der
Entkoppelung des Verkehrswachstums vom Wirtschaftswachstum durch Schaffung weniger
transport- und beförderungsintensiver Strukturen in Wirtschaft und Städtebau. Konkrete
Strategien hierfür sind z.B. das städtebauliches Leitbilds "Stadt der kurzen Wege" (also Abkehr
von dem Modell der Funktionstrennung), Ausbau der autofreien Bereiche in den Innenstädten
mit gleichzeitigem Angebot attraktiver Beförderungsmöglichkeiten, Substitution von Verkehr
durch elektronische Medien (physischen Verkehr durch virtuellen Verkehr, also
Informationsvernetzung ersetzen), Bewusstseinswandel und Verhaltensänderung. Grundlegend
für die Verkehrsvermeidung sind Dezentralisierung und Regionalisierung in manchen Bereichen
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der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur, wie sie mit unterschiedlichem Erfolg vor allem
im Rahmen kommunaler Agenda-21-Prozesse angestrebt werden. Dies sind zum Teil Fragen
der Raumordnungspolitik, die nur langfristig angegangen werden können.
Verlagerung des Verkehrs auf umweltschonendere Verkehrsträger: Angestrebt wird hier vor
allem eine Verlagerung des LKW-Güterverkehrs auf Schiene und Wasserstraße und des
Personenverkehrs mit Pkw und Flugzeug auf Bahn und Bus. Der Ausbau der Schienenwege
sollte sich auf die Bereiche konzentrieren, in dem die Stärken ihrer Systemlogik liegen (100 –
600 km). Er muss verbunden werden mit einer Verbesserung der Schnittstellen zu Bussen, SBahnen und Straßenbahnen, um die Fläche zu erschließen. Für den Güterverkehr ist dabei die
Verbesserung der Schnittstellen zwischen Bahn und Lkw entscheidend. Eine intensivere
Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs ist vor allem eine Frage neuer Finanzierungsmodelle für die stark belasteten kommunalen Kassen. Sie muss ergänzt werden durch preisliche
Anreize zum Umstieg vom Pkw auf andere Verkehrsmittel (z. B. Mineralölsteuer). Straßennutzungsgebühren für schwere Lkw (Schwerverkehrsabgabe) sind aufgrund der starken Zuwachsraten insbesondere des Transitverkehrs eine vorrangige Maßnahme. Die Aufhebung der
Steuerbefreiung für Flugbenzin wäre auf internationaler Ebene einer der wichtigsten Schritte zur
Verkehrsverlagerung im Sinne einer nachhaltigen Mobilitätsgestaltung. Aber auch bescheidene
Maßnahmen wie der Ausbau von Fahrradwegen können nicht unwesentlich zur Verlagerung des
Verkehrs auf umweltschonendere Verkehrsträger beitragen.
Kein Verkehrsträger kann allein die Verkehrs- und Umweltprobleme der Zukunft lösen.
Verkehrsträger müssen daher sinnvoll unter Nutzung der arteigenen Vorteile eingesetzt und
verknüpft werden. Der Verkehrsbereich muss in einem kooperativen Gesamt-Verkehrs-Management organisiert werden. Besonders wichtig ist der Abbau der Kapazitätsengpässe bei der
Bahn sowie die Verbesserung der intermedialen Vernetzung z.B. durch den Ausbau der GüterVerkehrs-Zentren. Weltweit gibt es einen neuen Trend zur Straßenbahn2 in Großstädten (z.B.
Paris, London, Los Angeles, Straßburg, Mannheim, Saarbrücken, München, West-Berlin,)
aufgrund ihrer ökonomischen und ökologischen Vorteile.
Technische Verbesserung der Verkehrsmittel und Kraftstoffe: Wirksame Maßnahmen, um
Kraftstoff sparende Fahrzeuge und eine umweltfreundlichere Zusammensetzung der Kraftstoffe
zu fördern sind die Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte und Einführung
emissionsabhängiger Kraftfahrzeugsteuern. Die Förderung von flüssigem Erdgas im
Straßenverkehr könnte vor allem als Brücke zum Wasserstoffauto Bedeutung gewinnen. PkwRecycling sollte auf europäischer Ebene durch Rücknahmepflichten eingeführt werden. Die
technischen Verbesserungen können in ihrer Wirksamkeit gesteigert werden, wenn man sie mit
Information der Bürger über umweltschonendes Verkehrsverhalten verbindet. Im Flugzeugbereich könnten emissionsabhängige Start- und Landegebühren einen technischen
Innovationsschub auslösen. Eine Technik zur besseren Ausnutzung vorhandener Ressourcen
durch den Abbau der Engpässe auf den Straßen könnte die Unterstützung der
Verkehrsorganisation durch Telematik-Systeme werden, insbesondere dort, wo der Ausbau der
Verkehrsinfrastruktur an Grenzen stößt.
2
Verkehrsmittel mit dem geringsten Energieverbrauch pro Personenkilometer, mit guter Lebensdauer (30 Jahre), mit
Streckeninvestitionskosten von 5-10 Mio. Euro/km statt ca. 50 Mio. Euro/km bei U-Bahnen). Straßenbahnen
können Busse und in Großstädten U- und S-Bahnsysteme nicht ersetzen, sondern nur ergänzen (z.B. in München
als Tangentialverbindungen). Dabei ist die Verbesserung der Schnittstellen zu anderen Verkehrsmitteln wichtig
(z.B. in Karlsruhe gut mit der Bundesbahn vernetzt; dort hat der Ausbau in kurzer Zeit zu einem 400 % Anstieg der
ÖPNV-Beförderungszahlen geführt.
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Veränderung der Rahmenbedingungen
Die Verteuerung des Benzinpreises, die ein wesentlicher Bestandteil der ökologischen
Steuerreform ist, kann ein praktikabler Weg sein zur Internalisierung der externen Kosten des
Straßenverkehrs, die sich nach einer Berechnung des Umwelt- und Prognose-Instituts
Heidelberg auf ca. 100 Milliarden Euro pro Jahr belaufen und, auf den verbrauchten Treibstoff
umgelegt, einen Wert von Euro 2,25 pro Liter ausmachen.
Flugbenzin ist bisher noch steuerfrei und kann aus rechtlichen Gründen nicht im nationalen
Alleingang besteuert werden. Dies wäre nur EU-weit möglich, allerdings besteht hier momentan
noch keine Aussicht auf Einigung. Die Besteuerung von Flugbenzin würde zu einer
Verringerung des Flugverkehrs führen. Insbesondere Inlandsflüge würden zurückgehen und
Verkehrsströme auf die Bahn verlegt werden.
Da Deutschland zunehmend zu einem Transitland wird und die Zuwachsraten beim
Güterverkehr auf den Strassen am höchsten sind, bedarf es hier besonderer Maßnahmen. Die
Einführung der Schwerverkehrsabgabe für LKWs ist zu begrüßen. Eine an Gesamtgewicht und
Umweltbelastung orientierte Gebührenstaffelung kann Anreize zur ökologischen Entlastung
schaffen. Gleichzeitig sind Investitionen in eine Verbesserung der Gütertransporte mit der Bahn
nötig (Logistik und Infrastruktur,), damit realistische Alternativen zum Gütertransport auf der
Strasse angeboten werden können.
Einzelmaßnahmen: Förderung hoher Sicherheitsstandards durch Absenken der Promillegrenzen
und
ein
sinnvolles
Netz
von
flexiblen
und
konsequent
überprüften
Geschwindigkeitsbegrenzungen, gleiche Bezuschussung aller Mobilitätsmittel bei
Dienstfahrten, Ersatz der hubraumorientierten Kraftfahrzeugsteuer durch eine Verbrauchssteuer,
Ausgleich für sozial Schwache und für ländliche Räume, EU-Förderung für umweltfreundliche
Technologien bei Pkws und Lkws, Ausschreibung von hoch dotierten Ökopreisen für die
innovativsten Modelle, Umstrukturierung der öffentlichen Verkehrsmittel, Förderung
intelligenter Verkehrsleitsysteme, Abschaffung der Subventionen für unnötige Transporte, vor
allem auf EU-Ebene, verstärkter Einsatz für ökologische Standards im Verkehrsbereich auf
europäischer und globaler Ebene.
Handlungsmöglichkeiten für die Industrie
Nachhaltigkeit erfordert Innovationen, die nur kreativ gefunden, aber nicht bürokratisch von der
Politik verordnet werden können. Deshalb ist nachhaltige Mobilitätsgestaltung nur möglich,
wenn die Industrie ein großes Maß an Eigenverantwortung wahrnimmt und sich die Ziele der
Nachhaltigkeit in allen Bereichen der Unternehmenspolitik zueigen macht. Die
Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Hersteller von technisierten Mitteln der Mobilität sind
vielfältig. Sie sind jedoch weitgehend in die ökonomische Rationalität eingebunden und können
nur im Zusammenhang mit geänderten politischen Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen
Präferenzen ausgeschöpft werden.
Forschung und Entwicklung: Ökologisch orientierte Forschung und Entwicklung,
Diversifikation und Konversion ihrer Produktpalette, Herstellung möglichst sicherer und in
Produktion und Verbrauch ressourcenschonender Verkehrsmittel, Beteiligung an der Erstellung
intelligenter, verbrauchssparender Verkehrsleitsysteme, Investitionen in innovative, ressourcenund umweltfreundliche Motoren und Karosserien, Forschungsverbundsysteme, um Wasserstoffantriebe für Autos rasch marktfähig zu entwickeln, Realisierung von Schubladenentwürfen
von Pkws mit guter Ökobilanz.
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Verkehrserziehung und Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen
Wichtig ist die Stärkung des Umweltbewusstseins in Verbindung mit praktischen Angeboten für
individuelles Handeln: Es wird z.T. vermutet, dass selbst eine massive Verteuerung des
Benzinpreises nicht zu einer Einschränkung des Fahrzeugverkehrs führen würde, solange eine
Verteuerung gegen den Willen der Menschen geschehe, d.h. deren Umweltbewusstsein noch
nicht ausgeprägt ist. In einem solchen Fall würden die meisten Menschen eher auf andere Dinge
verzichten, als in ihrer Mobilität eingeschränkt zu sein. Hier ist Verkehrserziehung nicht nur wie
bisher im Sinne von regelgerechtem Verhalten zum Sicherheitsschutz, sondern auch im Sinne
einer Bewusstseinsbildung für verantwortliche Mobilität nötig. Um Breitenwirksamkeit zu
erreichen, sollten dabei die Bereiche formaler Bildung (z.B. Schulen) mit Initiativen im Bereich
der informellen Bildung (z.B. Medien) verknüpft werden.
Gerade weil unser Verkehrsverhalten in vielen Bereichen irrational und unökonomisch ist,
ergeben sich hierfür auf der individuellen Ebene Handlungschancen für eine weniger
verkehrsintensive und umwelt- und sozialbelastende Mobilität ohne Verlust an Lebensqualität,
z.B.:
- Erhöhung der Auslastung der vorhandenen Autos, die die meiste Zeit in der Garage oder auf
der Strasse stehen und durchschnittlich nur 1,3 Personen transportieren;
- Nutzung von Fahrrad und Fußwegen im Nahbereich unter 5 km, in dem rund 50% der
Autofahrten stattfinden; Ausleihen von Fahrrädern;
- Neuorientierung im Bereich der Freizeitmobilität, die von einer maßlosen Rastlosigkeit
geprägt wird, die Probleme kompensiert, statt sie zu lösen (Reduzierung der Fernreisen mit
dem Flugzeug, Bevorzugung von nahe gelegenen Zielen bei Wochenendausflügen und Ferienreisen etc.).;
- Umweltschonende Fahrweise, die bis zu 40% Benzin eingespart (Trainings für sparsame,
vorausschauende und rücksichtsvolle Fahrweise; freiwilliges Einhalten eines Tempolimits;
Optimierung des Reifendrucks etc.;
- Eine ökologisch verantwortliche Kaufentscheidung bei der Wahl des Verkehrsmittels
ermöglicht der Industrie ein Umsteuern.
- Nutzung der Beratungsangebote zur Optimierung der individuellen Mobilitätsgestaltung. Da
ein Pkw in Deutschland durchschnittlich ca. 225 - 500 Euro monatlich kostet, sind die Handlungsspielräume für kostengünstige Alternativen gut.
- Die Nutzung von Car-Sharing-Angeboten, insbesondere für den Zweitwagen, ist in der Regel
bei einer Fahrleistung unter 15 000 km kostengünstiger (viele Initiativen zum Car-Sharing
gingen aus kirchlichen Gruppen hervor und nutzen z.B. in München zu einem nicht geringen
Teil kirchlichen Grund als Parkplätze).
Letztlich ist die Gestaltung der Mobilität Ausdruck unseres Verhältnisses zu Zeit und Raum.
Wer in den Wertmustern der Erlebnisgesellschaft gefangen ist, ist von dem Streben nach einer
maximalen Ausnutzung der Angebote hierfür getrieben. Rastlose Mobilität ist Ausdruck des
Verlustes von Lebensrhythmen. Nur wenn eine Pflege der sozialen Beziehungen vor Ort und
eine Kultur der Lebensqualität durch Nähe gelebt wird, kann es gelingen, das wachsende
Bedürfnis nach Mobilität auf ein ökologisch und human angemessenes Maß zu begrenzen.
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