8 1 Zahlen und Vektoren Die Menge der reellen Zahlen ist nun aus den rationalen Zahlen so konstruiert worden (Dedekindsche3 Schnitte, Vervollständigung), dass folgendes gilt : Axiom V : Bemerkung∗ : Jede nach oben beschränkte, nichtleere Menge reeller Zahlen besitzt genau ein Supremum in den reellen Zahlen. • sup M = inf(−M ), −M = {−x ∈ R : x ∈ M } y Jede nach unten beschränkte, nichtleere Menge reeller Zahlen besitzt genau ein Infimum in den reellen Zahlen. • Besonderheit von R (∃ M ⊂ Q : sup M ∈ R \ Q, z.B. M = {x : x ∈ Q, x2 ≤ 2}) • Basis für Intervallschachtelung / Dezimalbruchdarstellung – Jede reelle Zahl x ∈ R kann durch einen unendlichen Dezimalbruch dargestellt werden. – Jeder endliche oder periodische Dezimalbruch definiert eine rationale Zahl. – In jedem nichtleeren offenen Intervall reeller Zahlen gibt es mindestens eine irrationale Zahl. 1.2 Der Vektorraum Rn , sein Skalarprodukt Vorstellung: R2 = {(x, y) : x ∈ R, y ∈ R} ←→ Ebene, R ←→ (Zahlen-)Gerade, R3 = {(x, y, z) : x ∈ R, y ∈ R, z ∈ R} ←→ Raum allgemein: Bemerkung∗ : Rn = {(x1 , . . . , xn ) : x1 , . . . , xn ∈ R}, n ∈ N • ~x := (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn Vektor, n-Tupel, xi . . . Komponenten von ~x • Rn . . . euklidischer Raum, (reeller) Standardvektorraum der Dimension n Rechenregeln im Rn : x2 +y2 • ~x = ~y ⇐⇒ x1 = y1 , . . . , xn = yn y2 • ~x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn , ~y = (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn : ~x + ~y ~y ~x+~y = (x1 , . . . , xn )+(y1 , . . . , yn ) := (x1 +y1 , . . . , xn +yn ) x2 n • ~x = (x1 , . . . , xn ) ∈ R , λ ∈ R: 0 λ~x = λ(x1 , . . . , xn ) := (λx1 , . . . , λxn ), 3 Richard x1 x1 +y1 x2 −y2 insbesondere ist ~0 := (0, . . . , 0), y1 ~x − ~y ~x x1 −y1 −~x := (−x1 , . . . , −xn ), Dedekind (∗ 6.10.1831 Braunschweig † ~x−~y := ~x+(−~y ) 12.2.1916 Braunschweig) geometrische Deutung (im R2 ) 1.2 Der Vektorraum Rn , sein Skalarprodukt 9 Satz 1.2.1 (Vektorraumaxiome) Seien ~x, ~y , ~z ∈ Rn , λ, µ, % ∈ R. Dann gilt: (V1) ~x + (~y + ~z) = (~x + ~y ) + ~z Assoziativität Addition (V2) ~x + ~0 = ~0 + ~x = ~x neutrales Element der Addition (V3) ~x + (−~x) = (−~x) + ~x = ~0 inverses Element der Addition (V4) ~x + ~y = ~y + ~x Kommutativität Addition (V5) (λ + µ)~x = λ~x + µ~x (V6) λ(~x + ~y ) = λ~x + λ~y Distributivgesetz (V7) (λµ)~x = λ(µ~x) (V8) 1~x = ~x Beweis : einsetzen & nachrechnen nächstes Ziel : präzise (abstrakte) Fassung von Längen & Winkeln Definition 1.2.2 Für Vektoren ~x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn und ~y = (y1 , . . . , yn ) ∈ Rn ist deren Skalarprodukt ~x · ~y definiert als n X ~x · ~y := x1 y1 + · · · + xn yn = xj yj . j=1 Bemerkung∗ : • ~x, ~y ∈ Rn y ~x · ~y ∈ R • gelegentlich: ~x · ~y = h~x, ~y i Satz 1.2.3 (Eigenschaften Skalarprodukt) (i) Das Skalarprodukt ist positiv-definit, d.h. für alle ~x ∈ Rn gilt ~x · ~x ≥ 0, und ~x · ~x = 0 ⇐⇒ ~x = ~0. (ii) Das Skalarprodukt ist symmetrisch, d.h. für alle ~x, ~y ∈ Rn gilt ~x · ~y = ~y · ~x. (iii) Das Skalarprodukt ist bilinear, d.h. für alle ~x, ~y , ~z ∈ Rn und λ ∈ R gilt (~x + ~z) · ~y = ~x · ~y + ~z · ~y , (λ~x) · ~y = λ(~x · ~y ), ~x · (~y + ~z) = ~x · ~y + ~x · ~z, ~x · (λ~y ) = λ(~x · ~y ). 10 1 Zahlen und Vektoren Beweis : ~x · ~x = (ii) und (iii) einsetzen und nachrechnen, zu (i): n X x2j ≥ 0, |{z} j=1 und ~x · ~x = 0 ⇐⇒ ≥0 n X x2j = 0 ⇐⇒ xj = 0, j = 1, . . . , n ⇐⇒ ~x = ~0 |{z} j=1 ≥0 Definition 1.2.4 Die Länge (bzw. die Norm oder der Betrag) eines Vektors ~x = (x1 , . . . , xn ) ∈ Rn ist definiert durch q √ |~x| := ~x · ~x = x21 + · · · + x2n . Ein Vektor ~x mit |~x| = 1 heißt Einheitsvektor. Bemerkung∗ : • Satz 1.2.3(i) y ~x · ~x ≥ 0 y Definition sinnvoll • Satz 1.2.3(i) y |~x| = 0 ⇐⇒ ~x = ~0 • ~x ∈ Rn , ~x 6= ~0 y ~y := ~x Einheitsvektor |~x| Satz 1.2.5 (Cauchy4 -Schwarz5 -Ungleichung) Für ~x, ~y ∈ Rn gilt |~x · ~y | ≤ |~x| |~y |. Für ~y 6= ~0 gilt |~x · ~y | = |~x||~y | genau dann, wenn es ein µ ∈ R gibt mit ~x = µ~y . Bemerkung∗ : Beweisidee: klar für ~y = ~0, also ~y 6= ~0, sei µ ∈ R beliebig y 0 ≤ |~x − µ~y |2 = |~x|2 − 2µ(~x · ~y ) + µ2 |~y |2 ⇐⇒ 0 ≤ |~x|2 |~y |2 − |~x · ~y |2 ⇐⇒ |~x · ~y | ≤ |~x| |~y | ~ x·~ y µ= |·|≥0 |~ y |2 Satz 1.2.6 (Norm-Eigenschaften) (i) Für ~x ∈ Rn gilt |~x| ≥ 0 und |~x| = 0 ⇐⇒ ~x = ~0. (ii) Für ~x ∈ Rn , λ ∈ R gilt |λ~x| = |λ| |~x|. (iii) Für ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn gilt die Dreiecksungleichung |~x + ~y | ≤ |~x| + |~y |. Beweis : (i), (ii) folgen aus Satz 1.2.3, (iii) aus Satz 1.2.5: |~x + ~y |2 = (~x + ~y ) · (~x + ~y ) = |~x|2 + 2 (~x · ~y ) +|~y |2 | {z } ≤|~ x·~ y| 4 Augustin 5 Hermann Louis Cauchy (∗ 21.8.1789 Paris † 23.5.1857 Paris) Amandus Schwarz (∗ 25.1.1843 Hermsdorf (Schlesien) ≤ Satz 1.2.5 † 2 |~x|2 + 2|~x||~y | + |~y |2 = (|~x| + |~y |) 30.11.1921 Berlin) 1.2 Der Vektorraum Rn , sein Skalarprodukt 11 Definition 1.2.7 Der Abstand zweier Vektoren ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn ist definiert durch p d(~x, ~y ) := |~x − ~y | = (x1 − y1 )2 + · · · + (xn − yn )2 unmittelbar aus Satz 1.2.6 folgt damit Satz 1.2.8 (Eigenschaften des Abstands) (i) Für ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn gilt d(~x, ~y ) ≥ 0 und d(~x, ~y ) = 0 ⇐⇒ ~x = ~y . (ii) Für ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn gilt d(~x, ~y ) = d(~y , ~x). (iii) Für ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn , ~z ∈ Rn gilt die Dreiecksungleichung d(~x, ~z) ≤ d(~x, ~y ) + d(~y , ~z). Definition 1.2.9 Zwei Vektoren ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn heißen orthogonal, ~x⊥~y , falls ~x · ~y = 0 gilt. Bemerkung∗ : Es gilt ~0 ⊥ ~x für alle ~x ∈ Rn . Ziel : Winkel zwischen Vektoren erklären bekannt: sin ϕ, cos ϕ für Winkel ϕ, wobei für das Bogenmaß a von ϕ gilt a ϕ = , 2π 360◦ Gradmaß z.B. 30 π Bogenmaß 6 ◦ 45 π 4 ◦ 60 π 3 ◦ ◦ 90 π 2 ◦ 1 ◦ 180 360 π 2π sin ϕ −1 ab jetzt nur noch Bogenmaß! a ϕ 0 cos ϕ 1 • −1 ≤ sin ϕ ≤ 1, −1 ≤ cos ϕ ≤ 1, sin2 ϕ + cos2 ϕ = 1 • Für alle u ∈ [−1, 1] existiert genau ein ϕ ∈ [0, π] mit cos ϕ = u. −1 Anwendung auf Vektoren: seien ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn mit ~x 6= ~0, ~y 6= ~0 =⇒ Satz 1.2.5 |~x · ~y | ≤1 |~x||~y | ⇐⇒ −1 ≤ ~x · ~y ≤1 |~x||~y | y ∃ ! ϕ ∈ [0, π] : cos ϕ = ~x · ~y |~x||~y | Definition 1.2.10 Für ~x ∈ Rn , ~y ∈ Rn mit ~x 6= ~0, ~y 6= ~0, ist der Winkel zwischen ~x und ~y , ∠(~x, ~y ), definiert als die eindeutig bestimmte Zahl ϕ ∈ [0, π], für die gilt cos ϕ = ~x · ~y . |~x||~y |