TECHNISCHE UNIVERSITÄT MÜNCHEN Zentrum Mathematik P ROF. D R .D R . J ÜRGEN R ICHTER -G EBERT, VANESSA K RUMMECK , M ICHAEL P R ÄHOFER Höhere Mathematik für Informatiker I (Wintersemester 2003/2004) — Aufgabenblatt 1 (24. Oktober 2003) — — Präsenzaufgaben — Aufgabe 1. Ein voller Schaltkreis. N N D N N D A B N N D N N D D N N D N N D N N D N O T N O T N N D F O R G C E Die obige Zeichnung stellt einen Schaltkreis dar. Schaltkreise haben Eingabedrähte (A,B,C) und Ausgabedrähte (F,G), an denen jeweils Spannung (1) oder keine Spannung (0) anliegen kann. Dazwischen gibt es elementare Bausteine (NND, OR, NOT), die mit Spannungen “rechnen”: X 0 0 1 1 Y 0 1 0 1 NOT(X) 1 1 0 0 NND(X, Y ) 1 1 1 0 OR(X, Y ) 0 1 1 1 Versuchen Sie, die Funktionsweise des Schaltkreises anhand einer Tabelle zu verstehen. A 0 0 0 0 1 1 1 1 B 0 0 1 1 0 0 1 1 C 0 1 0 1 0 1 0 1 D E F G L ÖSUNG : Der Schaltkreis dieser Aufgabe ist ein Volladdierer. Die Teilschaltkreise in den gestrichelten Kästen sind Halbaddierer. Der Volladdierer addiert die Bits A, B, C. Das Ergebnis ist die Binärzahl A + B + C = (G F)2 . A 0 0 0 0 1 1 1 1 B 0 0 1 1 0 0 1 1 C 0 1 0 1 0 1 0 1 D 0 0 1 1 1 1 0 0 E 0 0 0 0 0 0 1 1 F 0 1 1 0 1 0 0 1 G 0 0 0 1 0 1 1 1 Aufgabe 2. Der optimale Bauer. Ein Agrarökonom besitzt 20 Hektar Land und einen Stall für 10 Kühe. Er kann im Jahr 2400 Arbeitsstunden aufwenden. Für eine Kuh benötigt er pro Jahr 0,5 Hektar Land und 200 Arbeitsstunden. Der Anbau von 1 Hektar Weizen erfordert pro Jahr 100 Arbeitsstunden. Im Jahr erzielt er einen Gewinn von 350 Euro pro Kuh und von 260 Euro pro Hektar Weizen. Mit wie vielen Kühen und mit wieviel Hektar Weizen läßt sich der höchste Gewinn erzielen? L ÖSUNG : Wir bezeichnen mit x1 die Anzahl der Kühe und mit x2 die angebauten Hektar Weizen. Wir wollen zunächst x1 und x2 als reelle Zahlen ansehen, was nicht unrealistisch ist, da man die Kühe schließlich auch wiegen kann.a Für die möglichen Paare (x1 , x2 ) gibt es die folgenden Restriktionen: x1 x2 x1 0, 5x1 + x2 200x1 + 100x2 ≥ ≥ ≤ ≤ ≤ 0 0 10 20 2400. (1) (2) (3) (4) (5) In der rechtsstehenden Zeichnung ist die Menge der gültigen Paare dargestellt. Der erzielbare Gewinn ist bestimmt durch den Wert der Funktion f (x1 , x2 ) := 350x1 + 260x2 . Zu jeder Zahl α ∈ R betrachten wir die Menge Xα := {(x, y) : f (x1 , x2 ) = α}, die eine Gerade ist. Läßt man α von 0 aus ansteigen, so ist der Punkt p der letzte gültige Punkt. Dort erzielt der Agrarökonom den maximalen Gewinn. Der Punkt p ist die Lösung des linearen Gleichungssystems 0, 5x1 + x2 200x1 + 100x2 = = 20 2400, 17360 das ist p = ( 83 , 56 = 5786, 666 . . . Nun 3 ) und somit f (p) = 3 stellt sich natürlich die Frage, was einem diese Lösung sagt: Z.B. könnte man sie als zwei ausgewachsene Kühe und ein Kalb auffassen. Andererseits könnte man diese Lösung auch als Startpunkt nehmen, um eine exakte ganzzahlige Lösung zu finden, indem man die hier vorgestellte Methodik variiert. a Wenn Mathematik bzw. Informatik in anderen Gebieten angewendet werden soll, hat man immer das Problem der Modellbildung. Ob dieses Modell wirklich angemessen ist, hängt stark vom Bauer ab. Ein Bauer, der Kühe für einen Schlachthof produziert, ist sicher mit unserer Modellwahl einverstanden. Ein Bauer, der Milchkühe hält sicher nicht, aber vielleicht hilft dennoch der vorgestelle Lösungsweg. Aufgabe 3. Der Stammbaum einer Drone. Jede männliche Biene (Drone) wird asexuell von einer weiblichen Biene (Königin) produziert. Die Eltern einer Königin bestehen dagegen aus einer Drone und einer Königin. Wie viele Groß-eltern, Groß-Groß-eltern, Groß-Groß-Großeltern, . . . , besitzt eine Drone? Wie viele davon sind Königinnen, wie viele davon Dronen? L ÖSUNG : Natürlich gibt es kein erstes Aufgabenblatt ohne F IBONACCI-Zahlen! Die 0-te F IBONACCI-Zahl ist definiert als F0 := 0, die erste als F1 := 1, und alle folgenden rekursiv durch Fn := Fn−1 + Fn−2 . n Fn 0 0 1 1 2 1 3 2 4 3 5 5 6 8 7 13 Es ist günstig, sich den Stammbaum einer Drone aufzumalen: 8 21 9 34 10 55 11 89 12 144 ... ... Da sieht man, daß es eine Großmutter und einen Großvater, sowie zwei Groß-Großmütter und einen Groß-Großvater gibt. Mit Mn sei die Anzahl der n-ten Großmütter bezeichnet, mit Vn die Anzahl der n-ten Großväter und mit En die Anzahl der n-ten Großeltern. Es ist M1 = V1 = 1, M2 = 2, V2 = 1 und En = Mn + Vn . Desweiteren gilt nach Voraussetzung Mn = Mn−1 + Vn−1 und Vn = Mn−1 . Also Mn Vn En = Mn−1 + Vn−1 = Mn−1 + Mn−2 , = Mn−1 = Mn−2 + Mn−3 = Vn−1 + Vn−2 , = Mn + Vn = Mn−1 + Mn−2 + Vn−1 + Vn−2 = En−1 + En−2 , d.h. die F IBONACCI-Zahlen kommen hier gleich dreimal vor. Es ist nämlich Mn = Fn+1 , Vn = Fn und En = Fn+2 . Aufgabe 4. Das Binär-, Dezimal-, und Hexadezimalsystem. 1. Wandeln Sie die folgenden Dualzahlen in Dezimalzahlen um: a.) 10010011 b.) 10101101 2. Addieren Sie im Dualsystem: a.) 123 + 17 b.) 19 + 45 3. Wandeln Sie die folgenden Hexadezimalzahlen in Binärzahlen um: a.) 23F b.) 1A2 L ÖSUNG : 1. Es ist a.) (10010011)2 = 1 · 27 + 0 · 26 + 0 · 25 + 1 · 24 + 0 · 23 + 0 · 22 + 1 · 21 + 1 · 20 = 128 + 16 + 2 + 1 = 147, b.) (10101101)2 = 1 · 27 + 0 · 26 + 1 · 25 + 0 · 24 + 1 · 23 + 1 · 22 + 0 · 21 + 1 · 20 = 128 + 32 + 8 + 4 + 1 = 173. 2. Es gilt 123 = (1111011)2 , 17 = (0010001)2 , 19 = (010011)2 und 45 = (101101)2 . Addition ergibt a.) + 1111011 0010001 10001100 b.) + 010011 101101 1000000 3. Hier ist zu beachten, daß im Hexadezimalsystem die Buchstaben A–F für die Zahlen 10–15 stehen. a.) Wir haben (23F)16 = (0010 0011 1111)2 , b.) und (1A2)16 = (0001 1010 0010)2 . — Hausaufgaben — Aufgabe 5. Zu spät. Zwei Personen verabreden sich lose zwischen 14 und 15 Uhr am Eingang des Olympiastadions. Jede wartet maximal 20 Minuten auf die andere. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß sich die beiden tatsächlich treffen, wenn sie völlig zufällig und unabhängig voneinander zwischen 14 und 15 Uhr dort eintreffen? L ÖSUNG : y Die zufälligen Ankunftszeiten werden mit x und y bezeichnet. Sie nehmen Werte im Intervall [0, 60] an. Die Personen treffen sich genau dann, wenn die Ungleichung |x − y| ≤ 20 gilt. Die Situation läßt sich graphisch darstellen: Die Personen treffen sich, wenn der Punkt (x, y) im grauen Streifen des Quadrates liegt. Die Wahrscheinlichkeit eines Treffens ist somit der Flächeninhalt des grauen Streifens 2 −402 = 59 . dividiert durch den Flächeninhalt des Quadrats, also 60 60 2 x 0 20 40 60 Aufgabe 6. Lösungsmengen von linearen Gleichungssystemen. Das folgende lineare Gleichungssystem hängt von den Parametern α ∈ R und β ∈ R ab. Für welche α, β ist das Gleichungssystem lösbar? Welche interessanten Effekte treten dabei auf? 3x −y −x +3y −x −y +(−1 − α)z +(−1 − α)z +(3 + 3α)z = −2 −β = 2 −β = 6 +3β L ÖSUNG : Gegeben ist das lineare Gleichungssystem: 3x − y + (−1 − α)z −x + 3y + (−1 − α)z −x − y + (3 + 3α)z = −2 − β = 2−β = 6 + 3β Zyklische Vertauschung: 1 7→ 2, 2 7→ 3, 3 7→ 1 −x − y + (3 + 3α)z 3x − y + (−1 − α)z −x + 3y + (−1 − α)z = 6 + 3β = −2 − β = 2−β Addition der 3-fachen 1. Zeile zur 2. Zeile, Addition der (−1)-fachen 1. Zeile zur 3. Zeile −x − y + (3 + 3α)z −4y + (8 + 8α)z 4y + (−4 − 4α)z = 6 + 3β = 16 + 8β = −4 − 4β Addition der 1-fachen 2. Zeile zur 3. Zeile −x − y + (3 + 3α)z −4y + (8 + 8α)z (4 + 4α)z = = = 6 + 3β 16 + 8β 12 + 4β Nun ergibt sich eine Fallunterscheidung: α 6= −1 : Das Gleichungssystem ist eindeutig lösbar (sogar unabhängig von der Wahl von β). Die Lösung ist 3+β 12 + 4β = 4 + 4α 1+α y = (2 + 2α)z − (4 + 2β) = (6 + 2β) − (4 + 2β) = 2 x = −y + (3 + 3α)z − (6 + 3β) = −2 + (9 + 3β) − (6 + 3β) = 1 z = α = −1 : Wenn β 6= −3 ist, bedeutet die 3. Zeile nichts anderes als 0 · z 6= 0, was nicht sein kein und das Gleichungssystem ist dann nicht lösbar. Wenn hingegen β = −3 ist, bedeutet die 3. Zeile 0 · z = 0, d.h. z kann beliebig gewählt werden. Dann ist −y = 4 + 2β = −2 und −x − y = 6 + 3β = −3. Die Lösungsmenge ist {(x, y, z) ∈ R3 : z ∈ R, x = 1, y = 2}. Aufgabe 7. Das Dreieck der Legionäre. Beantworten Sie Asterix Frage. Oder gehen Sie gleich einen Schritt weiter: Wie viele Römer sind es, wenn Asterix n von ihnen in der Dreiecksformation sieht? L ÖSUNG : Wenn Asterix 12 Römer von der Seite sieht, dann sind in der Dreiecksformation 1 + 2 + 3 + · · · + 12 = 78 Römer. Allgemein gilt die Gleichung 1+2+3+· · ·+(n−1)+n = n(n+1) . Diese Gleichung leiten wir auf zwei verschiedene 2 Weisen her: mit dem Trick des Schülers G AUSS: Man faßt jeweils die i-te Zahl und die (n − i + 1)-te Zahl zusammen, was i + n − i + 1 = n + 1 ergibt, z.B. 1 + 12 = 13, 2 + 11 = 13, . . . , 10 + 3 = 13, 11 + 2 = 13, 12 + 1 = 13. Dies aufaddiert ergibt n(n + 1). Nun haben wir aber jede Zahl genau zweimal addiert, so daß anschließend noch mit 2 dividiert werden muß. mit vollständiger Induktion: Die Gleichung ist für n = 1 offensichtlich korrekt. Angenommen die Gleichung ist . Wenn für die Zahlen 1, 2, 3, . . . , n − 1 korrekt, dann gilt unter anderem 1 + 2 + 3 + · · · + (n − 1) = (n−1)n 2 man bei nun auf beiden Seiten die Zahl n addiert, erhählt man das Gewünschte: 1 + 2 + · · · + (n − 1) + n = (n−1)n + n = n(n+1) . 2 2