Die ärztliche Dokumentation

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Fachbeiträge – Thema
Die ärztliche Dokumentation
Rechtsgrundlagen
Berufsrecht
„Der Arzt hat über die in Ausübung seines
Berufes gemachten Feststellungen und getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Diese sind nicht
nur Gedächtnisstützen für den Arzt, sie dienen auch dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation.“ So
heißt es in § 10 Abs.1 der (Muster-)Berufsordnung für deutsche Ärztinnen und Ärzte (MBO), was in den Berufsordnungen
der einzelnen Landesärztekammern entsprechenden Niederschlag findet.
Zivilrecht
Seit Ende der siebziger Jahre ist die ärztliche Dokumentation durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eindeutig als vertraglich wie deliktisch begründete Pflicht des Arztes definiert,
gegründet auf eine selbstverständliche
therapeutische Pflicht gegenüber dem
Patienten. Denn die weitere Behandlung
des Patienten sowohl durch denselben
Arzt als auch durch dessen zwangsläufigen oder frei gewählten Nachfolger
kann durch unzulängliche Dokumentation entscheidend erschwert werden.
Vertragsarztrecht
Der Vertragsarzt hat gemäß § 57 Bundesmantelvertrag Ärzte die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlaßten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung in geeigneter Weise
zu dokumentieren. Dies führt dazu, daß
zum Beispiel bei arthroskopischen Operationen die Videodokumentation des
präoperativen Befundes und des postoperativen Ergebnisses obligater Bestandteil
der vertragsärztlichen Leistung ist.
genverordnung, §§ 42, 85 der Strahlenschutzverordnung, § 14 des Transfusionsgesetzes oder §§ 13 bis15 des Transplantationsgesetzes.
Patientenrechtegesetz (in Planung)
In dem geplanten Patientenrechtegesetz
soll die ärztliche Dokumentationspflicht
gesetzlich konkretisiert werden: Krankenakten sind vollständig und sorgfältig
zu führen. Dies kann – unter Beachtung
des Datenschutzes und der Datensicherheit – auch elektronisch erfolgen. Dokumentiert der Behandelnde nicht wie im
Gesetz vorgesehen, etwa weil Befunde
pflichtwidrig nicht gesichert werden, so
wird zu seinen Lasten vermutet, daß es
die nicht dokumentierte Maßnahme
auch nicht gegeben hat. Schließlich soll
eine gesetzliche Regelung auch das Recht
auf Akteneinsicht vorsehen und den Patienten besonders schützen, wenn die Akte
nicht herausgegeben wird.
Zeitpunkt der Dokumentation
Aus dem Zweck der Dokumentation
folgt der Zeitrahmen für die Erstellung:
Spätestens zum Zeitpunkt der Weiterbehandlung muß die Dokumentation auf
dem neuesten Stand sein. Um bei einer
Vielzahl von behandelten Patienten der
Dokumentationsverpflichtung genügen
zu können, sollte die Dokumentation
während der Behandlung oder unmittelbar danach erfolgen, um der Begrenztheit des Gedächtnisses Rechnung zu
tragen und einem möglichen Informationsverlust vorzubeugen.
Der Beweiswert einer zeitnah erstellten
Dokumentation ist hoch, er sinkt drastisch mit zunehmender Verzögerung
der Erstellung.
Spezialgesetze
Aufbewahrungsfristen
Gesonderte Dokumentationspflichten
können in Spezialvorschriften enthalten
sein, wie zum Beispiel in § 28 der Rönt-
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Ärztliche Aufzeichnungen sind grundsätzlich für die Dauer von zehn Jahren
nach Abschluß der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften eine längere Auf bewahrungspflicht besteht (entsprechend
§10 Abs. 3 MBO in den einzelnen Landesärztekammern geregelt).
Zweck, Umfang und Inhalt der
Dokumentation
Die Dokumentation dient in erster Linie
der Patientensicherheit im Sinne einer
Behandlungsunterstützung. Daneben
obliegt sie dem Arzt auch als eine Art
Rechenschaftspflicht, ähnlich der, die
bei der Verwaltung fremden Vermögens
seit langem selbstverständlich ist, wenigstens in dem Umfang, in dem sie
sich auch schon aus allgemeinen therapeutischen Erwägungen anbietet.
Umstritten ist, ob als dritter Dokumentationszweck auch die Beweissicherung
anzusehen ist.
Was muß dokumentiert werden?
Zu dokumentieren sind die durchgeführten ärztlichen Maßnahmen, die erhaltenen Informationen oder sonstigen
Tatbestände, die für den dokumentierenden Arzt selbst oder im Falle einer
Weiterbehandlung anderenorts relevant
für die künftigen diagnostischen und/
oder therapeutischen Dispositionen sein
könnten.
Die – stets zukunftsorientierte – Dokumentation enthält die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen
(Diagnoseuntersuchungen,
Funktionsbefunde, Medikation, ärztliche Hinweise für und Anweisungen an
die Funktions- und Behandlungspflege,
Abweichung von Standardbehandlungen) und Verlaufsdaten (Operationsbericht, Narkoseprotokoll, Zwischenfälle,
Wechsel des Operateurs in der Operation, Anfängerkontrolle, Intensivpflege).
Was muß nicht – sollte aber –
dokumentiert werden?
Eine Dokumentationspflicht besteht
nicht, soweit Routineuntersuchungen
oder Routinehandlungen sich von selbst
verstehen. So kann es bei einem wirklichen Routineeingriff für den erfahre-
Ärzteblatt Thüringen
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nen Chirurgen genügen, daß er nur die
Art, die Tatsache der Durchführung
und die Namen der Beteiligten an der
Operation vermerkt, sofern keine Besonderheiten, Änderungen, Abweichungen
oder Unregelmäßigkeiten (die freilich
stets zu dokumentieren wären) eingetreten sind. Bei Anfängeroperationen gilt
dies jedoch nicht. Ein Berufsanfänger
hat den Gang der von ihm selbständig
durchgeführten Operation auch bei sogenannten Routineeingriffen in den wesentlichen Punkten genau zu dokumentieren.
Oftmals werden Kontrolluntersuchungen in den Krankenaufzeichnungen
nicht dokumentiert, wenn sie ohne positiven Befund geblieben sind. Der BGH
hat entschieden, daß Routinekontrollen
ohne Befund nicht gesondert dokumentiert werden müßten. Ob eine bestimmte Maßnahme aus medizinischer Sicht
zu dokumentieren ist, muß im Streitfall
von einem medizinischen Sachverständigen beurteilt werden.
Die Grenze zwischen Kontrolluntersuchung und Routinekontrolle ist nicht
scharf zu ziehen. Deshalb kann die
Empfehlung nur lauten, auch die ohne
positiven Befund endende Untersuchung zu dokumentieren.
Nach der Rechtsprechung erstreckt sich
die Dokumentationspflicht nicht auf
Umstände, die ausschließlich der Beweissicherung für den Haftungsprozeß
des Patienten dienen. Wenn nicht
gleichzeitig die Dokumentation aus medizinischen Gründen erforderlich ist,
sei sie es allein aus Rechtsgründen
schon gar nicht.
Die Quintessenz aus zahlreichen Urteilen, in denen Dokumentationslücken
die Beweislastverteilung zu ungunsten
der Arztseite verschoben haben, führt
zu der Empfehlung, auch die Beweissicherung bei der Dokumentation durchaus im Auge zu behalten.
Dies soll am Beispiel der Patientenaufklärung durch den Arzt verdeutlicht
werden:
Unter medizinischen Gesichtspunkten
ist die Dokumentation der Aufklärung
nicht erforderlich. Abweichend von der
grundsätzlichen Beweissituation im Be-
Ausgabe 12 / 2011 22. Jahrgang
handlungsfehlerprozeß, ist beim Vorwurf unzureichender Selbstbestimmungsaufklärung der Arzt für die wirksame Einwilligung des Patienten darlegungs- und beweisbelastet. Der Nachweis ordnungsgemäßer Aufklärung läßt
sich zwar mit einem entsprechenden
Eintrag in der Patientenkartei für den
behandelnden Arzt leichter führen. Eine
Dokumentationspflicht resultiert hieraus jedoch nicht: Ob und in welcher
Weise der Arzt insoweit seiner Beweislast nachkommt, bleibt allein ihm überlassen.
Weniger ist manchmal mehr.
Ganz sicher aber nicht bei der Dokumentation!
Schon gar nicht bei der Dokumentation
der Aufklärung!
Das gleiche gilt im übrigen auch für
� weitere Aufklärungsarten (Sicherungsaufklärung, therapeutische
Aufklärung, wirtschaftliche Aufklärung),
� die Ablehnung des Patienten, sich
einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme zu unterziehen,
� das Verlassen des Krankenhauses
auf eigenen Wunsch gegen ärztlichen Rat
und schließlich
� für die Dokumentation einer Anfängeroperation.
Wie ist zu dokumentieren?
Dem Arzt bleibt es überlassen, ob die
Dokumentation in wortreichen Ausführungen vorgenommen wird oder überwiegend aus Kürzeln, Symbolen oder
Schlagworten besteht, letztere müssen
jedoch allgemein gebräuchlich und für
einen anderen Arzt aussagekräftig und
nachvollziehbar sein. Eine Aufzeichnung in Stichworten muß so abgefaßt
sein, daß Irrtümer beim nachbehandelnden Arzt vermieden werden.
Auch eine ärztliche EDV-Dokumentation ist hinsichtlich ihrer äußerlichen wie
inhaltlichen Ausgestaltung allein an
dem Dokumentationszweck zu messen.
Der Umstand, daß nachträgliche Veränderungen bei Verwendung nicht überschreibgeschützter EDV leichter mög-
lich sind als beim Einsatz herkömmlicher Patienten-Karteikarten, kann dem
Arzt prozessual nicht zum Nachteil gereichen. Der Beweiswert von EDV-Dokumentationen steht dem handschriftlicher Aufzeichnungen nicht nach.
Die MBO besagt, daß Aufzeichnungen
auf elektronischen Datenträgern oder
anderen Speichermedien besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen bedürfen, um deren Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung zu verhindern. Hierbei sind die
Empfehlungen der Ärztekammer zu
beachten.
Im Falle eines Falles:
Die „veränderungsresistente“ EDV-Dokumentation hat den höheren Beweiswert.
Einsichtsrecht in Krankenunterlagen
Gleichermaßen berufsrechtlich (entsprechend § 10 Abs. 2 MBO in den einzelnen Landesärztekammern geregelt)
wie zivilrechtlich aufgrund vertraglicher
Nebenpflicht oder gesetzlicher Verpflichtung (§ 810 BGB) ist der Arzt verpflichtet, dem Patienten auf dessen Verlangen grundsätzlich in die ihn betreffenden Krankenunterlagen Einsicht zu
gewähren. Dies gilt auch außerhalb eines Rechtsstreits und bezieht sich
grundsätzlich auf naturwissenschaftlich
konkretisierbare Befunde und die Aufzeichnungen über Behandlungsmaßnahmen. Ausgenommen sind diejenigen Teile, welche subjektive Eindrücke
oder Wahrnehmungen des Arztes enthalten, wie zum Beispiel eine Notiz über
querulatorisches Verhalten des Patienten. Auf Verlangen sind dem Patienten
Kopien der Unterlagen gegen Erstattung
der Kosten herauszugeben. Das Einsichtsrecht beruht letztlich auf dem in
Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz garantierten
Selbstbestimmungsrecht des Patienten.
Das Einsichtsrecht steht auch Erben zu,
soweit vermögensrechtliche Interessen
nachgewiesen werden und soweit die
Einsichtnahme nicht dem Willen des
Verstorbenen widerspricht, was vom
Arzt in Grundzügen darzulegen wäre.
Die Tendenz der Rechtsprechung geht
dahin, nächsten Angehörigen eines Ver-
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storbenen, auch wenn sie nicht Erben
sind, ein Einsichtsrecht in die Krankenunterlagen zu gewähren. Dies sei aus
„nachwirkenden Persönlichkeitsbelangen“ des Verstorbenen herzuleiten. Aber
auch hier hat die Orientierung an dem
mutmaßlichen Willen des Verstorbenen
zu erfolgen. Wie im Falle der Erben hat
der Arzt bei Verwehrung der Einsichtnahme einen entgegenstehenden Willen
des Verstorbenen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen.
Bei psychiatrischen Krankenunterlagen
ist das Einsichtsrecht eingeschränkt,
selbst dann, wenn der Patient inzwischen
beschwerdefrei ist. Entscheidend ist in
erster Linie die therapeutische Vertretbarkeit. Daneben sind außerdem persönliche Belange der in das psychiatrische
Behandlungsgeschehen einbezogenen
Personen (befragte Angehörige und beteiligte Ärzte) zu berücksichtigen. In ei-
nem solchen Fall hat der Arzt die dem
uneingeschränkten Einsichtsbegehren
des Patienten entgegenstehenden therapeutischen Gründe darzulegen.
Rechtsfolgen bei Dokumentationsmängeln
Ein Dokumentationsmangel allein stellt
für den Patienten keine eigenständige
Anspruchsgrundlage dar, wie zum Beispiel der Behandlungsfehler. Ausnahmsweise liegt dann ein Behandlungsfehler vor, wenn der Mangel der
Dokumentation ursächlich für eine dadurch bedingte falsche Diagnostik/Therapie beziehungsweise Über-Diagnostik/Übertherapie geworden ist. Ansonsten gewährt der Dokumentationsmangel im Arzthaftpflichtprozeß dem Patienten Beweiserleichterungen bis hin zur
Beweislastumkehr. Die unterlassene
Dokumentation einer aus medizinischer
Sicht zu dokumentierenden Maßnahme
führt zu der Vermutung, daß die Maßnahme unterblieben ist.
Eine Beweislastumkehr hinsichtlich des
Ursachenzusammenhangs für den
Schaden wird durch den Dokumentationsmangel allein grundsätzlich nicht
begründet. Dazu kann es nur kommen,
wenn eine gänzlich unterlassene oder
unvollständige Dokumentation den groben Behandlungsfehler oder das Unterlassen einer Diagnostik mit behandlungspflichtigem Ergebnis indiziert, die
als solche die Grundlage für eine Beweislastumkehr bilden.
Fazit:
Der Arzt sollte in seinem eigenen Interesse ausgiebiger dokumentieren, als es
die – sich stetig wandelnde – Rechtsprechung vorschreibt.
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Ort: Landesärztekammer Thüringen, Im Semmicht 33, 07751 Jena
Leitung: Prof. Dr. med. Dagmar Barz, Jena
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Anmeldung/Auskunft:
Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Thüringen
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07740 Jena
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