marken 4 Zeitschrift für Marketing 01 G 1021 EUR 11,50 1 99041 21 1 5 09 AW_KEIN_DENGLISCH_2011_GRIFFECKE_bearb. marken absatzwirtschaft Sonderausgabe zum Marken-Award 2011 www.marken-award.de Digitale Markenführung Wie Sie User zu Fans machen C M Y CM MY CY CMY arken-Award: True Fruits, Telekom M und Air-Berlin sind die Gewinner K Interview: Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt über Kooperationen www.absatzwirtschaft.de ebranding: Wie überdehnte Marken R zu neuem Glanz gelangen e ig ze An KEIN DENGLISCH für KAUF RELEVANTE mehr bei MDR1: S.21 Titelstory Digitale Markenführung Wer führt Autorin: Vera Hermes Die Digitalisierung macht dem Sender-Empfänger-Modell den Garaus. Jeder Internetnutzer ist ein potenzielles Massenmedium. Markenführung nach Old-School-Manier – einer spricht die Botschaft, viele folgen – funktioniert nicht mehr. Stattdessen wird Zuhören zur wichtigsten Aufgabe des Markenmanagers. 34 absatzwirtschaft – Marken 2011 © gettyimages die Marke? absatzwirtschaft – Marken 2011 35 Titelstory Digitale Markenführung Riesenerfolg mit dem Spot „The Force“: Mit einem Mix aus TV und Youtube erreicht VW ein Millionenpublikum. Männer wie Bill Costello sind ein Glücksfall für Marken. Bill Costello hat den Film „a BMW motorcycle story“ auf Youtube gestellt, eine 3,41 Minuten lange Hommage an seinen Vater und dessen 58er BMW R50. Der hinreißende Film zeigt, wie Costello und seine Freunde das alte Motorrad restaurieren. brandchannel.com kommentierte: „It is the greatest brand-building commercial of all time and BMW should buy rights to it immediately and show it all over the world forever.“ In Bill Costello haben die Markenstrategen von BMW einen Verbündeten. Er hat, wenn man so will, mit seinem Film ihren Job gemacht. Nur besser. Denn nichts und niemand ist glaubwürdiger als ein Kunde, der sich freiwillig zum Markenbotschafter macht. Das Ende der traditionellen Markenführung ist besiegelt, glaubt Dr. Klemens Skibicki, Professor für Marketing und Marktforschung an der Cologne Business School: „Marketer müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass sie eine Marke steuern oder führen oder inszenieren können.“ In einer Kommunikationswelt, in der dank Youtube und Twitter, Blogs und Facebook jeder Internetnutzer ein Massenmedium ist, könnten Marketer die Marke nicht mehr kontrollieren. „Marke ist, was die Kunden über die Marke sagen, und nicht das, was Marketer beschließen, dass die Marke ist“, konstatiert Skibicki. Höchste Produktqualität ist dabei kein Differenzierungsmerkmal mehr, sondern Grundvoraussetzung. Wer Mittelmäßiges bietet, besteht Hommage für ein Motorrad: Bill Costellos emotionaler Youtube-Spot trifft ins Herz der BMW-Fans. in der vernetzen Konsumentenwelt nicht lange. Auch wer in der Markenkommunikation lügt, übertreibt oder beschönigt, wird fix entlarvt. „Internet-User haben immer und überall Zugriff auf die Meinung von Menschen, denen sie mehr vertrauen als der Werbung und klassischen Kommunikationskanälen“, sagt Skibicki. „Die wichtigste Frage lautet deshalb: Was dringt zum User durch? Wenn Marken relevant sind, werden sie zum User finden, denn seine Freunde werden ihm von der Marke erzählen.“ Auf dieses Prinzip setzt künftig das Unternehmen Otto: Es will in diesem Jahr den Facebook-Button „Gefällt mir“ in seine Website integrieren. Die Hamburger tun gut daran, denn nichts wird den Erfolg einer Marke künftig so stark beeinf lussen wie der sogenannte Open Graph von Facebook, sagen Web-Marketer. Das „offene Protokoll“ des größten sozialen Networks eröffnet Marketern zwei Chancen. Erstens: Es ermöglicht Empfehlungsmarketing in höchster Geschwindigkeit und innerhalb höchst relevanter Zielgruppen. Zweitens: Es bietet eine immense Fülle an Customer-Insights, weil es Zugriff auf eine nie gekannte Masse vernetzter privater Daten erlaubt – was, nebenbei bemerkt, die Datenschützer um den Schlaf bringt. Markiert ein Facebook-Mitglied – das im Durchschnitt 130 Freunde zählt – ein Produkt, einen Service oder einen Inhalt mit einem Klick auf den Gefällt-mir-Button, erscheint diese Empfehlung sofort auf seinem Facebook-Profil und geht an alle, die den dazugehörigen News-Feed empfangen. »Marketer müssen sich von dem Gedanken verabschieden, dass sie eine Marke steuern oder führen oder inszenieren können.« Marketingprofessor Dr. Klemens Skibicki diagnostiziert das Ende der Markenführung, wie wir sie kennen. 36 absatzwirtschaft – Marken 2011 Titelstory Digitale Markenführung »Für diejenigen, die geglaubt hatten, Marke ist gleich Werbung, bricht mit den neuen digitalen Kommunikationskanälen eine Welt zusammen.« Grundsätzlich ändert sich Markenführung durch Digitalisierung nicht, sagt Alexander Rauch, Strategy Director von Interbrand. Damit machen die Mitglieder ihre Vorlieben öffentlich: Ob Filme, Musik oder Bücher, Fotos oder Freunde, Gruppenzugehörigkeiten, Pinnwandeinträge oder Videos: „Der Open Graph verfügt über Daten von rund 600 Millionen Nutzern. Die Datenqualität ist sehr hoch, weil die Nutzer in der Regel korrekte Angaben machen“, sagt Dr. Andreas Bersch, Geschäftsführer der Social-Media-Agentur Berliner Brandung, die als einzige deutsche Agentur als „Facebook Preferred Developer Consultants“ zertifiziert ist. Wer nach digitaler Markenführung fragt, bekommt derzeit sämtlich Antworten, die von Social Networks, Fans und Followern handeln. „Kommunikation ist die Killer-Applikation des Internets – und die findet jetzt in Social Networks statt“, sagt Holger Maaß, Chef der Internetmarktforschung Fittkau & Maaß Consulting in Hamburg. Diverse Erhebungen belegen, dass sich die Internetnutzung in soziale Netzwerke verschiebt. Und dass die Internetnutzung mobil wird. 2015, prognostizieren Anbieter, wird jedes Handy ein Smartphone sein. Damit tragen die User ihr Netzwerk immer am Körper. Die E-Mail indes bezeichnen wohlwollende Nachwuchsmarketer als Old-School- oder Ozzy-Osbourne-Medium, die radikaleren erklären den elektronischen Brief gleich für tot. Suchmaschinenmarketing? Wird sich stark wandeln, weil Facebook Google als Suchmaschine ablösen wird, sagen Digital Natives. Banner? Werden immer penetranter, deshalb aber nicht effektiver, so die Antwort. Unternehmenseigene Websites? Gut und schön, aber nur dann relevant, wenn sie hochgradig interaktiv sind, heißt es. Die Ingredienzien der Markenführung im Web heißen Interaktivität, Authentizität, Transparenz, Glaubwürdigkeit, Beziehungsauf bau. Digitale Markenführung, so die herrschende Meinung, muss sich darauf fokussieren, die User zu Fans, Empfehlern und Markenbotschaftern zu machen. „Die Grundlagen der Markenführung ändern sich durch die Digitalisierung nicht: Für Marken geht es weiterhin darum, relevante Angebote zu machen und glaubwürdig und differenzierend zu sein. Für diejenigen, die geglaubt 38 absatzwirtschaft – Marken 2011 Die 25 beliebtesten deutschen Marken bei Facebook Platz Marke / Unternehmen Fans per 25. 02. 2011 1 Kinder Riegel 259 010 2 Starbucks Deutschland 253 871 3 Nike Football deutsch 237 927 4 Vapiano 185 144 5 OTTO 169 502 6 McDonald’s Deutschland 160 049 7 Nutella Deutschland 139 510 8 EA SPORTS FIFA Offizielle deutsche Seite 119 899 9 Subway Deutschland 111 067 10 Audi Deutschland 105 098 11 Esprit DE 102 292 12 Capri-Sonne 92 717 13 dm-drogerie markt Deutschland 88 389 14 Therme Erding 83 509 15 Ferrero Küsschen 70 316 16 Labello Deutschland 66 634 17 Assassin’s Creed Offizielle deutsche Seite 66 633 18 Vodafone Deutschland 65 260 19 Xbox DE 61 222 20 5 Gum Germany 55 660 21 AXE Effekt 52 237 22 Yves Rocher Deutschland 51 390 23 Parfümerie Douglas 49 124 24 Erleben, was verbindet (Telekom) 46 971 25 BlackBerry Deutschland and Österreich 46 741 Erläuterung: Unter „deutschen“ Seiten sind Fanpages in deutscher Sprache erfasst. Eine deutsche Marke (Nutella) mit einer internationalen Seite ist darum nicht erfasst. hatten, Marke ist gleich Werbung, bricht mit den neuen digitalen Kommunikationskanälen eine Welt zusammen. Für alle anderen ergeben sich weitere Kontaktpunkte zur Zielgruppe“, relativiert Alexander Rauch, Strategy Director bei der Markenberatung Interbrand in Köln. Es gilt, den Kunden zuzuhören, aus dem Gehörten zu lernen und dann die Ressourcen zu schaffen, sich aktiv am Dialog zu beteiligen. „Denn sonst werden andere Marken die Chance nutzen, in den tieferen Dialog einzusteigen, und sich Wettbewerbsvorteile verschaffen“, so Rauch. Für ihn besteht kein Zweifel daran, dass das digitale Markenleben Werte schafft, wenn die Themen und Botschaften markenkonsistent und die Maßnahmen aus der ganzheitlichen Markenstrategie abgeleitet sind. Beispiele wie Old Spice oder die schon zu Kultstatus gelangten „Will it blend“-MixerSpots von Blendtec auf Youtube zeigen, dass ein dauerhaftes Social-Media-Engagement umsatzsteigernd wirken kann. Wobei, das sei hinzugefügt, Old Spice parallel zu seiner Web-Kampagne mit einer aggressiven Promotion warb, was den Verkaufserfolg enorm bef lügelte. Markenexperten halten genau solch eine fruchtbare Mischung aus Web und Point of Sale für zukunftsweisend. Verlieren die traditionellen Medien künftig an Bedeutung – und davon kann man ausgehen –, wird es für Marken schwieriger, Botschaften im Mass-Marketing-Stil abzusetzen. „Deshalb das Internet zum neuen Star zu erklären, ist zu kurz gesprungen“, warnt Christoph Prox, CEO von Icon Added Value in Nürnberg. Insbesondere Low-Involvement- Marken stehen vor dem Dilemma, dass sie über die alten Medien ihre Zielgruppen nicht mehr erreichen und in den neuen Medien von ihren Zielgruppen nicht aufgesucht werden, und da kommt laut Prox das PoS-Marketing ins Spiel: „Off line bleibt wichtig, der Point of Sale wird zum zentralen Touchpoint, im Servicebereich genauso wie bei Konsumgütern.“ Er prognostiziert, dass das markenbildungs- und abverkaufsfördernde Shopper-Marketing in der Markenführung deutlich an Stellenwert gewinnt. Wie sich ein „altes“ Massenmedium und das Social Web hervorragend ergänzen, stellte unlängst der Autobauer VW unter Beweis: Monate vor dessen Markteinführung in den USA präsentierte VW den schönen Spot „The Force“ für den neuen Passat. Zuerst stellte VW den Spot ins Web. Drei Tage später lief er in der Werbepause des Super Bowl, des Fernsehereignisses mit den höchsten Einschaltquoten (und den teuersten Werbezeiten) in den USA. 110 Millionen Zuschauer sahen, wie der kleine Junge im Darth-VaderKostüm den neuen Passat zum Leben erwecken will. Einen Tag nach dem Spiel belegte VW den Haupt-Werbebanner auf Youtube. Dort wurde der Film allein bis Mitte Februar 30,23 Millionen Mal aufgerufen und ist damit laut VW der am meisten „geteilte“ Spot in der Kategorie Cars & Vehicles aller Zeiten. Das Ziel, den Passat einem sehr breiten USPublikum bekannt zu machen und die Marke Volkswagen emotional aufzuladen, ist dank einem exzellenten Spot und dem Mix aus TV und Social Web geglückt. Titelstory Markenführung Noch irren viele Marken durch die sozialen Netzwerke, in vielen Marketingabteilungen ist Aktionismus ausgebrochen. Laut Facebook-Profi Bersch agieren viele Marketer in Web-1.0-Manier: Sie präsentieren Produkt- statt Themenwelten. Das funktioniert nicht, denn die sozialen Netzwerke sind so etwas wie das Wohnzimmer der User, sie loggen sich dort ein, um sich privat auszutauschen – und nicht, um Zahnbürsten oder Brühwürfel oder Lebensversicherungen zu kaufen. „Viele nutzen das neue Medium mit alten Inhalten, was im schlimmsten Fall bedeutet, dass das Geld verbrannt ist“, warnt Bersch. Benedikt Jahn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marketing an der LMU München, promoviert zur „Markenkommunikation in sozialen Netzwerken“ und analysiert dafür das Geschehen auf deutschen Fanpages. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich Interaktion mit Kunden auszahlt. „Über Fanpages kann es gelingen, neue Fans zu gewinnen und bestehende Fans zu aktivieren und zu aktiven Markenbotschaftern auch über die Fanpage hinaus zu machen“, so der Doktorand. Wer User zu Fans machen will, muss sie entweder unterhalten oder mit nützlichen Informationen versorgen. Und er muss den Dialog eröffnen und Beziehungen auf bauen, die Marke lebendig halten und authentisch sein. Markenführung ist mit der Digitalisierung schneller und anspruchsvoller geworden. Die Markenstrategen müssen ihre Marke teilen und aufmerksam aufpassen, was mit ihr im Web passiert. Das ist anstrengend, bereichert aber auch. Siehe Bill Costello. Einen Weg zurück in eine alte Markenwelt mit Sender-Empfänger-Modell, da sind sich alle einig, wird es nicht geben. Die vernetzte Kommunikation ist kein Hype à la Second Life, sondern die Killer-Applikation des Web. ← »Das Ende des Monologs« Die Fragen stellte Vera Hermes Der Soziologe und Markenforscher Professor Dr. Kai-Uwe Hellmann von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg über Trägheitseffekte, Agentur-Murks und intelligente Etatverteilung. Welche Rolle spielen digitale Touchpoints in der Markenführung? Kai-Uwe Hellmann: Das kommt auf die Generation an: Wer schon als Kind mit dem Internet aufgewachsen ist, kennt es nicht anders. Die ältere Generation nimmt das digitale Zeitalter zwar wahr und lebt damit, aber ihre Gewohnheiten sind noch von anderen Medien geprägt. Für Jüngere hat Markenführung in erster Linie mit dem Internet zu tun. Sie gucken kaum noch Fernsehen und vergleichen andere Medien primär mit dem Internet. Das Internet ist ihr Leitmedium, ist der Pacemaker und setzt die Standards. Hält die Markenkommunikation mit dieser Entwicklung Schritt? Hellmann: Wir beobachten seit mehr als zehn Jahren einen heißen Kampf um die Etats und mussten in dieser Zeit enorm viel Unfug lesen. Es ist viel Murks gemacht worden, weil Agenturen wie Unternehmen nicht wussten, wie sie mit dem Internet umgehen sollten. Jetzt tritt eine Konsolidierung ein: Weg von Printund TV-Agenturen hin zu Digital-Agenturen. Die Jüngeren bringen die Agenturen auf Vordermann, denn sie wissen, was geht und was nicht. Dieser Agenturumbau ist ein wichtiges Indiz dafür, dass digitale Markenführung jetzt umgesetzt und von immer mehr Unternehmen gewollt wird. Ist es heute einfacher, reine Online-Marken zu führen? Hellmann: Mit Google oder iTunes gibt es Unternehmens­ marken, die allein im Internet existieren. Solche Marken haben 40 absatzwirtschaft – Marken 2011 im Vergleich zu Offline-Marken hohe Freiheitsgrade, sind aber auch einem hohen Druck ausgesetzt. Entweder sie bestehen oder sie gehen unter. Es gab unter den rein Web-basierten Marken einige Erfolge, aber viel mehr Misserfolge. Misserfolge fürchten auch die offline aufgebauten Marken bei ihren neuen digitalen Aktivitäten, warum? Hellmann: Bei Marken greifen – wie bei Menschen – Trägheitseffekte: Alter beschwert, macht langsam, die Lernfähigkeit nimmt ab. Weil viele Unternehmen sich der Offline-Welt verhaftet fühlen, hat es so lange gedauert, bis sie im Internet aktiv wurden. Offline-Marken wissen nicht mit der Unkontrollierbarkeit im Internet umzugehen, denn sie haben jahrzehntelang das Monologische gepflegt. In der Offline-Welt können sie sich das Dialogisch-Interaktive vom Hals halten. Das geht im Web nicht. Viele Marketer orientieren sich noch an ihren Offline-Erfolgen und legen aufgrund dieser Erfolge eine gewisse Arroganz an den Tag. Das wird sich ändern, auch weil sich die Führungsmannschaften ändern. Gerade im Marketing rücken Jüngere nach. Was hat denn in der Offline-Markenführung noch Geltung? Hellmann: TV und Zeitschriften werden nicht verschwinden, aber das Internet gewinnt gesellschaftsweit an Bedeutung. Es gibt Marken, die auf das direkte Kundengespräch angewiesen sind, zum Beispiel teure Produkte mit starker sinnlicher Qualität. Die brauchen die Offline-Welt. Die Frage ist auch: Wie viel kann das Internet simulieren? Sie werden zum Beispiel Reisen nach wie vor offline antreten müssen, also braucht der Reiseanbieter eine starke Offline-Präsenz. Alle Marken müssen im Internet präsent sein, aber erschöpft sich für alle Marken die Präsenz im Internet? Das halte ich für ausgeschlossen. Unternehmen müssen darauf achten, beim Kauf den Kundenerwartungen zu entsprechen. Das ist die Offline-Welt. Es wäre fatal, den Etat komplett in digitales Marketing umzuschichten. Es wird darum gehen, den Etat intelligent zu verteilen. ←