Mittelstand international: Grenzüberschreitende Subsidiary

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BEITRÄGE CORPORATE COMPLIANCE
Scharrer, Mittelstand international: Grenzüberschreitende Subsidiary
Governance und Compliance am Beispiel China – Fokus Business Ethics
CB-BEITRAG
Barbara Scharrer, RAin
Mittelstand international:
Grenzüberschreitende Subsidiary
Governance und Compliance am Beispiel
China – Fokus Business Ethics
Für den in China tätigen deutschen Mittelstand werden seit Jahren Themen wie Corporate Compliance und
Risikomanagement als wichtige Bestandteile der Subsidiary Governance – der Führung und Steuerung von
Tochtergesellschaften oder Joint Ventures – immer wichtiger. Liegt es an der Sondersituation in China, dass
bei einem Engagement vor Ort wirklich kein mittelständisches Unternehmen am Thema Corporate Compliance vorbei kommt, oder gilt dies generell für alle Auslandstätigkeiten des deutschen Mittelstandes?
I. Einleitung
Die Verschärfung und Anpassung einschlägiger lokaler Gesetze in
China sowie die teils massive Durchsetzung vor dem Hintergrund der
nun schon seit über vier Jahren andauernden Anti-Korruptionskampagne des chinesischen Präsidenten Xi Jinpings hat seit einiger Zeit
auch den deutschen, in China tätigen Mittelstand aufhorchen lassen.
Dabei verfolgen die chinesischen Anti-Corruption-Investigations nicht
nur chinesische Staatsbetriebe, sondern auch ausländisch investierte Unternehmen. Zeitenwenden waren in diesem Zusammenhang
sowohl der Siemens Fall 2008 sowie die Verfolgung von GlaxoSmithKline 2014. Die „rote-Teppich-Politik“ der Vorzugsbehandlung ausländisch investierter Unternehmen – auch in Bereichen wie Steuerrecht,
Genehmigungen und ähnl. – ist lange vorbei. Es drohen Geldstrafen,
Entzug der Geschäftslizenz und – wie der Fall GlaxoSmithKline zeigt –
mittlerweile auch Haftstrafen für ausländische Manager in China.
Neben dem Wandel der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in China in den vergangenen Jahren sieht sich der deutsche Mittelstand in
China verschärften Compliance-Anforderungen gegenüber – gefordert von diversen Stakeholdern: von Behörden aufgrund der neuen
Gesetzeslage, von Kunden sowie Lieferanten aufgrund gestiegener
Anforderungen im lokalen und internationalen Business, aber und
v. a. auch von den eigenen Mitarbeitern vor Ort, die mit Blick auf
die Präzedenzfälle der Verfolgung und Verhaftung von Managern in
China persönliche Konsequenzen fürchten.
II. Corporate Compliance – ein Thema für den international tätigen deutschen Mittelstand
THESE 1: Corporate Compliance ist – richtig verstanden – unbedingt
und insbesondere ein Thema für den international tätigen deutschen
Compliance-Berater | 10/2016 | 4.10.2016
Mittelstand. Richtig verstanden bedeutet, es geht nicht um die Unternehmensgröße oder komplexe, theorielastige Katalogsysteme.
Koordinaten für ein effektives Corporate Compliance Management
im Mittelstand sind vielmehr die Art der Geschäftstätigkeit, insbesondere im Ausland und die damit zusammenhängenden spezifischen
Branchen- und Länderrisiken.
Nur dann kann Korruptionsprävention verlässlich gelingen.
1. Wissenschaftlicher Fokus:
Das Phänomen „Korruption“ ist so alt wie die Menschheit selbst, es
existieren Quellen, datiert auf das 4. Jahrhundert vor Chr., die bereits
das Phänomen „Korruption“ beschreiben bzw. beklagen.1 Die wissenschaftliche Forschung zu Korruption und Korruptionsprävention ist
komplex und wird aus Forschungsansätzen und empirischen Studien
unterschiedlichster Fachbereiche gespeist, z. B. Wirtschaftswissenschaften, International Management, Politikwissenschaften, Soziologie und Kriminologie, um nur einige Disziplinen zu nennen.2
Trevino et al. beschreiben, dass zu Beginn der 1980er Jahre die systematische Management-Forschung zu unethischem Verhalten in Organisationen begann und seitdem unzählige Studien und spezifische
Theoriemodelle allein im Bereich Management/Wirtschaftswissenschaften veröffentlicht wurden.3
Laue et al. betonen ebenfalls die immense Wichtigkeit von Compliance-Management-Systemen für den Mittelstand, propagieren aber die Verknüpfung von Compliance mit anderen Corporate
1
2
3
Aidt, 2003, Economic Journal, 113: 632–652; Bardhan, 1997, Journal of Economic Literature, 35: 1320–1346.
Pinto/Leana/Pil (2008) Academy of Management Review, 33 (3), 685, 686.
Trevino/den Nieuwenboer/Kish-Gephart (2014) Annual Review of Psychology
65, 635, 636.
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Governance und Compliance am Beispiel China – Fokus Business Ethics
Governance-Prozessen. Grund sei die positive Schonung von Ressourcen, oftmals ein wichtiges Thema im Mittelstand, aber auch die
generelle Akzeptanz des Themas im Unternehmen sowie die meist
mangelnde Erfahrung des Managements mit Compliance-Systemen,
insbesondere im internationalen Kontext.4
Sicherlich ist in vielerlei Beziehung wichtig und richtig, was schon
1981 von Welsh und White angemerkt wurde: „A small business is not
a little big business“.5 Daher ist es für den Mittelstand wichtig, Compliance-Strukturen nicht parallel zu den vorhandenen Strukturen und
Prozessen aufzubauen, wie es oft in Großkonzernen der Fall ist, sondern integrativ vorzugehen. Kreipl beschreibt die Ausgangssituation
in kleinen und mittelständischen Unternehmen – vor einem Schritt
Richtung Internationalisierung –wie folgt sehr treffend: „Durch die
persönliche Nähe des Unternehmensleiters zu seinen Mitarbeitern
erwächst einerseits Vertrauen, andererseits auch eine starke Identifikation und Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen. Dies steht
einem Fehlverhalten entgegen, was den Einsatz entsprechender
Vermeidungs-Instrumente (Compliance Kodex) zunächst obsolet erscheinen lässt. Entscheidungen zur Allokation der begrenzten finanziellen und personellen Ressourcen werden im Hinblick auf das Kerngeschäft getroffen. Da es nur wenige Mitarbeiter gibt, fokussieren
diese sich auf das Kerngeschäft und üben möglicherweise mehrere
Funktionen in Personalunion aus. Eine Verantwortlichkeit für Compliance-Instrumente zur Steuerung rechtlichen und ökonomischen Fehlverhaltens im Unternehmen müsste dann ein Mitarbeiter oder der
Unternehmensleiter noch zusätzlich übernehmen. Dies kann ein Zeitproblem mit sich bringen und zu Kompetenzproblemen führen.“6
Sobald jedoch ein solches mittelständisches Unternehmen durch
Gründung einer Tochtergesellschaft oder eines Joint Ventures im
Ausland aktiv wird, ist aufgrund von Entfernung, Kultur, Sprache etc.
der oben von Kreipl genannte Managementansatz nicht mehr ohne
massive Risiken darstellbar. Der Nutzen eines integrierten Compliance-Systems überwiegt dann bei weitem den Einsatz zusätzlicher
Ressourcen und den damit verbundenen Aufwand. Denn mit einem
Engagement im Ausland ergeben sich immer auch gesteigerte, aber
oft intransparente Risiken der Wirtschaftskriminalität, insbesondere
in Asien. Diese reichen über rechtliche Risiken wie Diebstahl/Betrug/Bestechung, Korruption, Verletzung von Gewerblichen Schutzrechten etc. über die Nichtwahrung von Geschäftsgeheimnissen bis
hin zu steuerlichen Themen, Manipulation von jahresabschlussrelevanten Informationen sowie Datendiebstahl und Datenmissbrauch –
um nur einige klassische Risiken zu nennen.7
Die genannten (neuen) rechtlichen und finanziellen Risiken sind aber
nicht alleinig die Themen, die ein mittelständisches Unternehmen
beim Gang ins Ausland im Auge behalten sollte. Hinzu kommen insbesondere Risiken der Imageschädigung und daraus folgende weitere Probleme, die dann auch Auswirkungen auf Deutschland und den
Heimatmarkt haben.
Kreipl nennt in diesem Zusammenhang vorrangig die Beeinträchtigung von Geschäfts- und Behördenbeziehungen im In- und Ausland,
Reputationsverlust, aber auch Rückgang der Arbeitsmoral.8
Schwierigkeiten beim lokalen Personalmanagement folgen meist auf
dem Fuß – sei es bzgl. Fluktuation, aber auch Schwierigkeiten beim
Recruitment.
der Pflicht, einen Compliance-Katalog vorlegen zu können, entsprechende Formulare der Kunden zu bestätigen und diverse, regeltreue
Verhaltensweisen und Prozesse auch bei ihren eigenen Lieferanten
durchzusetzen. Dies ist – um beim Fokus Asien zu bleiben – weder
in China, noch in Indien, Bangladesh, Vietnam oder Malaysia einfach.
Oft ist hier das lokale Management, oder der eigentlich aufgrund z. B.
seiner Engineeringkenntnisse entsandte Expatriate aus dem deutschen Stammhaus ganz schnell am Ende seines Lateins. „Augen zu
und durch“ ist jedoch keine Alternative mehr, denn – wie eingangs
kurz zu China beschrieben, die lokalen Gesetze und behördlichen
Durchsetzungsmöglichkeiten werden schon seit einiger Zeit – dem
internationalen Trend folgend – in sehr vielen asiatischen Ländern
verschärft. Die – sei es gefühlte oder wirkliche – Intransparenz vor
Ort nimmt, auch aufgrund der anderen Sprache und Kultur, trotzdem
nicht ab, sondern eher zu.
Was kann u. a. helfen?
– Zunächst gilt auch hier: Tone from the Top – das deutsche Management muss das Thema intensiv verfolgen und einfordern.
– Compliance-Themen, wie z. B. auch die stetige Aktualisierung der
bestehenden Regelungen gehören regelmäßig auf die Tagesordnung der Vorstandssitzungen der Landesgesellschaften.
– Verknüpfung der Compliance-Themen mit Themen des Risikound Personalmanagements, aber auch – insbesondere in Asien –
mit effektiven Checks der Geschäftspartner.
– Corporate Compliance für den internationalen Mittelstand sollte
ganz klar individuell an den länder- und branchenspezifischen Geschäftsrisiken ausgerichtet werden.
– Exzellenz im Bereich Compliance beginnt ganz wesentlich beim
HR-Auswahlprozess für die gesamte lokale Belegschaft – nicht
nur beim Auswahlprozess für die erste oder zweite Führungsebene.
– Exzellenz beginnt ebenso ganz wesentlich bei der Besetzung der
lokalen Vorstandspositionen (Board of Directors) in den Landesgesellschaften sowie bei der Besetzung der Position des/der
Aufsichtsrats/Aufsichtsräte. Die Autorin hat seit vielen Jahren
immer wieder Aufsichtsratspositionen in Asien inne. Die professionelle Sparringspartner-Funktion für lokales Management und
Geschäftsführung in Deutschland, der Blick über den Tellerrand
bzgl. Best Practices in Branche & Markt und v. a. auch die in asiatischen Ländern durch den Aufsichtsrat oft sehr erfolgreich wahrgenommene Funktion einer Vertrauensperson für die Belegschaft
spielen eine herausragende Rolle.
– Stetige Verfolgung der aktuellen Gesetzeslage, der lokalen Ausführungsbestimmungen und des Behördenhandelns. Dabei ist in
Ländern wie China oder auch Indien zu beachten, dass lokale
Ausführungsbestimmungen und Behördenhandeln je nach Region des Landes unterschiedlich ausfallen können.
4
5
6
7
2. Praxis-Fokus:
Viele mittelständische Unternehmen, nicht nur in der Automobilzulieferer-Industrie, sind mittlerweile auch für ihre ausländischen
Tochtergesellschaften, Joint Venture oder Kooperationspartner in
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8
Laue/Hartke/Wedemeier (2014) Controlling & Management Review 58 (5),
44.
Welsh/White (1981) Harvard Business Review 59 (4), 18.
Kreipl, Compliance Management: Ein Konzept (auch) für kleine und mittelständische Unternehmen, Hochschule Fulda, Discussion Paper Nr. 16, 2015,
S. 1.
Kreipl, Compliance Management: Ein Konzept (auch) für kleine und mittelständische Unternehmen, Hochschule Fulda, Discussion Paper Nr. 16, 2015,
S. 4.
Kreipl, Compliance Management: Ein Konzept (auch) für kleine und mittelständische Unternehmen, Hochschule Fulda, Discussion Paper Nr. 16, 2015,
S. 5.
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– Und – ganz wichtig – one size does NOT fits it all! Natürlich können und sollen Unternehmen ihr Grundgerüst ihres Compliance
Kodex quasi als Skelett unverändert lassen, da es ja bestenfalls
auch Ausdruck ihrer Unternehmens- und Wertekultur ist. Allerdings ist Copy & Paste von Land zu Land, Branche zu Branche,
Geschäftszweck der einen Landesgesellschaft zur nächsten etc.
keinesfalls sinnvoll, ganz im Gegenteil, oft sogar sehr schädlich.
Ein schlechter, unpassender Kodex schadet oft mehr als gar keiner, insbesondere was das Commitment der Mitarbeiter betrifft
und die Glaubwürdigkeit als Management.
III. Compliance Kodex als Stand-alone-Tool?
THESE 2: Ein Compliance Kodex als Stand-alone-Tool ist aber viel zu
wenig: Nur wenn Unternehmensethik ein Kernelement der Unternehmensführung und der Unternehmenskultur ist, lassen sich internationale Herausforderungen für mittelständische Unternehmen sicher
und erfolgreich meistern.
1. Wissenschaftlicher Fokus:
Albach beschreibt den modernen wissenschaftlichen Forschungsansatz in drei Worten: „Betriebswirtschaftslehre ist Unternehmensethik“.9 Neben vielen weiteren Wissenschaftlern betont auch
Buchholz, dass Management und Ethik nicht trennbar seien „… the
fundamental business of business is ethical, the creation of values
that enhance the welfare of communities, societies, and the world.
Thus, ethics is central to the managerial task; in fact it is the task of
management.“10
Insgesamt hat die kontinuierliche und wissenschaftlich vielfältige Forschung zu Business Ethics in den vergangenen Jahren dazu geführt,
dass langjährig gültige wissenschaftliche Forschungsansätze zu Managementthemen abgelöst, erneuert bzw. um Themen der Business
Ethics ergänzt wurden; dies gilt u. a. auch für den Ansatz von Drucker,
der Management schlicht als funktional und vorrangig der Gewinnorientierung verpflichtet definierte.11 Unter Unternehmenskultur soll
„…die Summe der kollektiv geteilten und praktisch gelebten Selbstverständlichkeiten des Wahrnehmens, Denkens und Handelns aller
(der meisten) Unternehmensmitglieder…“ verstanden werden.12 Mit
dem in ihr verankerten Werte- und Normensystem entsteht die Basis
einer gelebten Unternehmensethik. Für die Entwicklung eines unternehmensethischen Konzeptes hat das zur Folge, dass die „in einer
Unternehmenskultur zum Ausdruck kommenden unternehmensspezifischen Normen, Orientierungsmuster und Verhaltensstandards als
moralisch oder unmoralisch einzustufen sind“.13
Sinnvolle und wirksame Compliance-Systeme sind also nicht nur ein
Regelwerk zum gesetzestreuen Verhalten, sondern weit mehr – ein
ganzheitlicher und proaktiver Ansatz einer integritäts- und werteorientierten Unternehmensführung.14
2. Praxis-Fokus:
Kleinere mittelständische Unternehmen mit bisher nur einem oder
zwei Standorten in Deutschland, bei denen die Werte des Familienunternehmers oder des Geschäftsführers für die Mitarbeiter und
Kunden noch direkt erfahrbar sind, stehen stets vor der großen Herausforderung, wie diese, bisher ganz auf die werteorientierte Persönlichkeit des Chefs ausgerichtete Unternehmenssteuerung auch
nach einer Unternehmensgründung z. B. in China vor Ort funktionieren soll. Die Geschäftsführerpersönlichkeit in Deutschland kann
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Scharrer, Mittelstand international: Grenzüberschreitende Subsidiary
Governance und Compliance am Beispiel China – Fokus Business Ethics
mangels Anwesenheit, Sprache, Entfernung, Kulturunterschieden
etc. nicht mehr direkt Einfluss nehmen auf die neuen Mitarbeiter in
China, auf deren ethischen Haltungen, Arbeitsweisen und Geschäftsentscheidungen. Schritt 1 ist hier, sich dessen erst einmal in voller
Konsequenz bewusst zu werden.
Schritt 2 ist, sich ebenfalls in voller Konsequenz bewusst zu werden,
dass die bloße Entsendung eines einzelnen, langjährig verdienten
deutschen Mitarbeiters aus dem Stammhaus als Expatriate nach
China, um Aufbauarbeit in der neuen Gesellschaft vor Ort zu leisten,
nicht ausreichend ist. Es bedarf eines auf das mittelständische Unternehmen individuell abgestimmten konzertierten Vorgehens. Dies
bedeutet zum einen, die richtigen Werkzeuge zu schaffen, d. h. integritätsorientierte Compliance-Management-Systeme, aber auch unbedingt die richtige Besetzung der lokalen Board of Direktors sowie
Aufsichtsratspositionen mit Experten, die den Dreiklang Chinawissen, Compliancewissen und Managementwissen vereinen.
3. Wo stehen wir gerade bzgl. Compliance & Unternehmensethik im Mittelstand?
Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Mittelstand waren im Jahr
2015 im deutschen Mittelstand rund 38 Mio. Menschen beschäftigt.15
Nach einer aktuellen Studie der TNS Emnid nennen 59 % der befragten 1 000 Geschäftsführer ethische Standards als Wert.
In einer aktuellen, ebenfalls von TNS Emnid durchgeführten Mittelstands-Studie wird deutlich, dass fast die Hälfte der befragten Geschäftsführer befürchten, dass aufgrund von Internationalisierung
und grenzüberschreitenden Geschäftsaktivitäten ethische Standards
nicht mehr eingehalten werden können.
Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse einer Umfrage von Juve aus 2015,
dass das Themenfeld Compliance/Risikomanagement als Bereich
mit dem höchsten Beratungsbedarf angesehen wird – noch dazu
verzeichnet mit einem starken Anstieg bzgl. der Intensität des Beratungsbedarfs.16
IV. Integritätsorientierter Compliance-Ansatz
THESE 3: Für die wirksame Steuerung von Auslandsbeteiligungen
und ein effektives Risikomanagement in Asien eignet sich für mittelständische Unternehmen nur ein integritätsorientierter ComplianceAnsatz und kein – wie oft in Deutschland üblicher – bloßer regelorientierter Compliance-Ansatz.
9 Albach, ZfB 75 (2005), 809.
10 Buchholz (1989) Fundamental Concepts and Problems in Business Ethics.
Englewood Clifts, NJ: Prentice-Hall, Inc., S. 28.
11 Drucker (1977) Management. Harper’s College Press, N.Y., 62.
12 Weßling, Unternehmensethik und Unternehmenskultur, 1992, S. 25.
13 Grabner-Kräuter, Die Ethisierung des Unternehmens – ein Beitrag zum wirtschaftsethischen Diskurs, 1998, S. 198.
14 Kreipl, Compliance Management: Ein Konzept (auch) für kleine und mittelständische Unternehmen, Hochschule Fulda, Discussion Paper Nr. 16, 2015,
8.
15 Abrufbar unter http://de.statista.com/statistik/daten/studie/5953/umfrage/beschaeftigte-im-deutschen-mittelstand, last access (Abruf: 3.9.2016).
16 Abrufbar unter http://de.statista.com/statistik/daten/studie/519314/
umfrage/entwicklung-des-beratungsbedarfs-nach-bereichen-in-rechtsabteilungen (Abruf: 3.9.2016).
Scharrer, Mittelstand international: Grenzüberschreitende Subsidiary
Governance und Compliance am Beispiel China – Fokus Business Ethics
1. Wissenschaftlicher Fokus:
Ein regel-orientierter Kodex fokussiert auf die Einhaltung von Gesetzen und Regularien. Mitarbeiter und ggf. andere Stakeholder sollen
angeleitet werden, Regeln einzuhalten und sich nur innerhalb dieser
Regeln zu bewegen. Der Hauptfokus liegt dabei auf Prävention, Entdecken und v. a. Bestrafen von nicht konformen Fehlverhalten. Damit
bekommt ein nach Regeln und der Einhaltung derselben ausgerichteter Kodex einen stark reaktiven Charakter – die eigene Entscheidungsfähigkeit des Mitarbeiters wird nicht gefördert oder geschult,
im Gegenteil. Durch Formulierungen als Appell oder Negation (Tue
nicht dies und das nicht …) wird dem Mitarbeiter die Verantwortung
bzgl. eigenem Denken und Tun entzogen, so dass ein Mitarbeiter gerade nicht proaktiv zu moralischem Handeln angehalten und ermutigt
wird. Der Mitarbeiter soll ja möglichst nicht selbst reflektieren, sondern nur gemäß Regeln reagieren.
Wie in zahllosen wissenschaftlichen Studien belegt, ist aber legales
Handeln nicht dasselbe wie ethisches Handeln. Gesetz und Ethik
sind unterschiedliche Themen. Ein Fokus auf Gesetze und Regeln
möchte gesetzestreues Handeln fördern. Ein Fokus auf Ethik bzw.
integritätsorientiertes Compliance Management zielt auf den individuellen Handlungsrahmen der Mitarbeiter innerhalb des gesetzlichen
Grundgerüsts.
Wie schon Seneca wusste: „Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand“. Ein Geschäftsabschluss kann – egal in welchem
Land der Welt – gemäß den einschlägigen rechtlichen Normen legal
sein, aber aus ethischer Perspektive fragwürdig sein. Smith et al. führen aus, dass „illegale Handlungen in den allermeisten Fällen auch
unethische Handlungen sind, aber nicht jedes unethische Verhalten
ist illegal“.17 Auch Jones beschreibt ethisches Verhalten als gesetzestreu und moralisch akzeptabel, während unethisches Verhalten, – sei
es legal oder illegal – stets moralisch verwerflich ist.18 Sehr oft jedoch – gerade im internationalen und interkulturellen Kontext – ist
es für Mitarbeiter schwierig zu erkennen, welches Verhalten wirklich
richtig bzw. falsch ist. Wissenschaftliche Studien beschreiben diesen
Zustand als ethisches Dilemma, die Situation, dass sich ein Mitarbeiter quasi zerrissen fühlt zwischen seinen eigenen moralischen
Werten und der Loyalität zum Unternehmen.19 Die Forschung zu
„individual ethical decision making processes in business“ ist vielschichtig und komplex; Wissenschaftler verschiedenster Fachrichtungen versuchen seit mehr als zwanzig Jahren mit unterschiedlichen
Forschungsansätzen, den ethischen Entscheidungsfindungsprozess
von Mitarbeitern in beruflichen Dilemma-Situationen in Konstrukten,
Theorien und diversen Variablen und Indizes abzubilden und daraus
Schlussfolgerungen für die Praxis zu entwickeln.20
Ein integritätsorientierter Kodex enthält zum einen auch Regeln zu
nicht legalem Verhalten, fokussiert aber – positiv ausgerichtet – auf
das ethisch wünschenswerte Verhalten des Mitarbeiters. Es stehen
somit keine Verbote und Strafen im Vordergrund, der Charakter eines
integritätsorientierten Kodex ist vielmehr unterstützend, inspirierend,
die Verantwortung des einzelnen Mitarbeiters betonend. Im Zentrum
der Regeln stehen hier ethische Werte und die Sensibilisierung der
Verantwortung der einzelnen Mitarbeiter. Viele wissenschaftliche
Studien in unterschiedlichen Ländern und Kulturen haben diesen Ansatz bestätigt.
Darüber hinaus beschreiben eine Vielzahl internationaler Studien
zum Thema Personalmanagement, insbesondere mit Blick auf die junge Generation Y/Z – länder- und kulturübergreifend – die immense
Wichtigkeit für den einzelnen Mitarbeiter, am Arbeitsplatz ein angemessenes Maß an persönlicher (Entscheidungs-)freiheit zu erleben.
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Weitere wichtige Werte sind in diesem Zusammenhang das Bedürfnis
nach echter Wertschätzung, eigener Verantwortung, echter Partizipation bei Unternehmensbelangen und respektvollem Umgang. Diese
Werte – wie oftmals wissenschaftlich bestätigt – prägen und binden
einen Mitarbeiter weitaus mehr als jede Vorschrift, Regel, abstrakte
Handlungsanweisung, Drohung und Strafe – in allen Kulturen. Mitarbeiter, die spüren, dass das Management ihnen vertraut, die Dinge
richtig zu machen, handeln weitaus verantwortungsbewusster und
haben das Unternehmenswohl viel stärker im Fokus.
Gerade diese Haltung ist oftmals Kern der Werte und Unternehmensführung im Mittelstand – und damit ein großer Wettbewerbsvorteil.
Genau diese Haltung gilt es für mittelständische Unternehmen zu bewahren, wenn die Gründung und Steuerung von Auslandsaktivitäten
ansteht.
Wie schon Weiss anmerkte: „Unternehmensethik ist Management“.
2. Praxis-Fokus:
Ein regelorientierter Kodex, z. B implementiert im Stammhaus des
Mittelständlers nach Vorlage aus einem Branchenverband oder ähnl.,
verfolgt die meist gut gemeinte Absicht: ein Mitarbeiter soll stets gemäß und im Rahmen der vorgegeben Regeln handeln und somit kein
Risikopotenzial erzeugen.
Wie soll dies in komplexen, kulturell unterschiedlichen Geschäftssituationen z. B. in China gelingen?
Bei der „Übertragung“ eines regelorientierten Kodex nach China
scheitern die mittelständischen Unternehmen regelmäßig an mehreren Punkten – und hierbei gilt der berühmte Ausspruch von Gottfried Benn: „Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint“:
– kein regelorientierter Kodex kann wirklich sämtliche Geschäftssituationen antizipieren und dafür genaue Regelungen zum gewünschten/erlaubten Verhalten nennen. Chinesische Mitarbeiter wünschen sich aber, wenn schon Regeln, dann sehr genaue,
konkrete, greifbare und verständliche Regeln, die klar in Schwarz
und Weiß trennen.
– Wollte man diesen Ansatz wirklich im Detail verfolgen, entstünde
ein regelrechtes Kompendium in mehreren Bänden. Dies führt zu
Problem 2 – Welcher Mitarbeiter soll das wirklich lesen? Gerade
in China mit der vielgerühmten Flexibilität und Beziehungsorientierung laufen Verhandlungen, Behördengespräche und sonstige
Geschäftstermine meist weniger planbar ab als vergleichsweise
in Deutschland. Es muss oft ad hoc in der Situation entschieden
werden, weil Rahmenbedingungen, Angebote und Geschäftslagen sich schneller ändern und „Störfeuer“ aus den berühmten
Beziehungsnetzwerken (Guanxi) eine immens wichtige Rolle spielen. Kein chinesischer Mitarbeiter kann und wird faktisch in solchen Situationen ein Handlungskompendium zu Rate ziehen.
– Wie bereits oben erwähnt, prägt chinesische Mitarbeiter die
Orientierung zur Person, nicht zu Regeln per se. Das Umgehen
von Regeln wird grundsätzlich als clever betrachtet, die Haltung
17 Smith/Simpson/Huang (2007) Business Ethics Quarterly 17 (4), 634, referring to Braithwaite (1984). Corporate Crime in the Pharmaceutical Industry.
London: Routledge & Kegan Paul, S. 6.
18 Jones (1991) Academy of Management Review 16, 367.
19 Bazerman (2008) Gallup Management Journal Online, 2.
20 McDonald/Pak (1996) Journal of Business Ethics 15, 275, referring to Trevino
(1992) Journal of Business Ethics 11, 445.
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BEITRÄGE CORPORATE COMPLIANCE
gegenüber Regeln, deren Wichtigkeit und Verbindlichkeit – ist
wesentlich anders als in den westlichen geprägten Kulturen.
Insofern bewahrheitet sich hier auch der Ausspruch von Marcuse21.
V. Moralischer Maßstab
THESE 4: Wenn man den integritätsorientierten Compliance-Ansatz
für die Steuerung von Geschäftsaktivitäten im Ausland bejaht, stellt
sich die nächste Frage: Integrität bemessen nach welchem moralischem Maßstab? Alleinig nach westlichen Maßstäben der Stammhauskultur des mittelständischen Unternehmens in Deutschland?
Nein.
1. Wissenschaftlicher Fokus:
Eine Vielzahl empirischer Studien belegt, dass die inhaltliche Anpassung von Compliance-Vorschriften an den länderspezifischen kulturellen Kontext wichtig ist, wie es z. B. die wissenschaftlichen Ergebnisse von Kaptein zeigen.22
Ebenso betont Rivers die positiven Auswirkungen eines integritätsbasierten Kodex für den individuellen ethischen Entscheidungsfindungsprozess eines jeden Mitarbeiters in Geschäftssituationen,
schließt sich aber ausdrücklich den Empfehlungen der wissenschaftlichen Kollegen de Bettengies und von Weltzien-Hoivik an; alle drei
betonen, „that a Code – used in a cross-country setting – need to be
customized to the (local) market to be effective“.23
Barmeyer und Davoine untersuchten z. B. die Wirkungen von nicht auf
die Landeskultur angepassten US-Compliance Codes und kamen zu
dem Ergebnis, das diese US-Codes in den Ländern von den lokalen
Mitarbeitern als viel zu „amerikanisiert“ empfunden und abgelehnt
wurden.24
2. Praxis-Fokus:
Gerade in mittelständischen Unternehmen mit Tochtergesellschaften
oder Joint Ventures im Ausland sollte ein Compliance-System niemals – wie bereits erwähnt – neben den sonstigen Strukturen und
Prozessen stehen, aber auch nicht neben/parallel zur Unternehmenskultur. Ein integritätsorientiertes Compliance System ist immanenter Bestandteil der Unternehmenskultur.
Schein beschreibt, dass die Kultur einer Organisation, z. B. der Tochtergesellschaft im Ausland, stets ein individuelles Muster an grundlegenden Einstellungen, Normen und Werte umfasst; die lokale Organisationskultur dient der Tochtergesellschaft zur Anpassung an das
Umfeld, den lokalen Markt, sowie neuen Mitarbeitern zur Integration
ins Team vor Ort. Sie lernen also „how we do things here“.25 Irgendeine Form von Organisationskultur wird sich in jeder Unternehmung
herausbilden – daher ist es gerade für den Mittelstand wichtig, dies
im Blick zu haben und aktiv zu steuern – über andere Werkzeuge als
„zu Hause“ (s. o.).
Da die Unternehmung lokal im Markt agiert, z. B. die Tochtergesellschaft in China, und die Organisationskultur vor Ort ja gerade das Anpassen an die Bedingungen des lokalen Umfeldes ermöglichen bzw.
erleichtern soll, steht logisch außer Frage, dass diese lokale Organisationskultur, und das immanente integritätsorientierte ComplianceSystem somit auch dem lokalen sozio-kulturellen Rahmen angepasst
werden sollte. Hier bestätigen die Praxiserfahrungen vollumfänglich
die wissenschaftliche Forschung. Ohne ganz konkrete Berücksichtigung z. B. der chinesischen sozio-kulturellen Besonderheiten ist auch
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Scharrer, Mittelstand international: Grenzüberschreitende Subsidiary
Governance und Compliance am Beispiel China – Fokus Business Ethics
ein integritätsorientierter Compliance Kodex nach westlichem Standard in China (ziemlich) wirkungslos.
Gerade die chinesische Gesellschaft war historisch betrachtet niemals „rules-orientied“, da über Jahrhunderte kein dem in Europa
vergleichbarer Gesetzesrahmen existierte, wie bereits dargelegt. Der
Umgang mit geschriebenem Recht und die transparente, faire und
effektive Durchsetzung von Recht sind Phänomene, die in China über
Jahrhunderte nicht existierten und bis heute deutliche Schwächen
aufweisen. Daher wäre ein rein regelorientierter Compliance-Ansatz
für eine Tochtergesellschaft in China eher weniger zu empfehlen,
da es für lokal sozio-kulturell geprägte chinesische Mitarbeiter ein
selbstverständlicher Impuls ist, schriftliche Regeln zu umgehen. Deren Sinn und Kraft wurden historisch nicht gelernt. Ein diesbezüglicher Paradigmenwechsel setzt in China langsam ein, wird jedoch zur
Umsetzung eine Zeitdauer von mindestens zwei bis drei Generationen
in Anspruch nehmen. Insofern ist China geradezu ein Paradebeispiel
für ein Land, wo nur ein integritätsorientierter Compliance-Ansatz,
eng eingebettet in die lokale Organisationskultur der Gesellschaft vor
Ort, wirklich Sinn ergibt. Ein Compliance Kodex als Stand-alone-Tool,
selbst mit aufwendigen Schulungen flankiert, ist mangels Durchschlagskraft und Akzeptanz nicht empfehlenswert. Ein ganzheitlich
angelegter, den sozio-kulturellen Rahmenbedingungen angepasster
Kodex, der zur proaktiven ethischen Aus- und Fortbildung der Mitarbeiter anregt, indem er die individuellen Fähigkeiten der einzelnen
Mitarbeiter schult, ethische Dilemma-Situationen im Geschäftsleben
überhaupt wahrzunehmen und adäquat zu beurteilen, wäre vor Ort in
China die richtige, weil effektive Vorgehensweise.
Dies gilt nicht allein in China, sondern in vielen, eher „relationshiporiented“ als „rules-orientied cultures“.
Auch in westlichen Kulturen bedeutet die Einführung und Umsetzung
eines effektiven Compliance-Systems, gerade in mittelständischen
Unternehmen, oftmals, dass bei den einzelnen Mitarbeitern eine Verhaltensänderung erzielt werden muss. Menschliches Verhalten im
Unternehmen nachhaltig zu ändern, ist eine der anspruchsvollsten
Managementaufgaben.
AUTORIN
Barbara Scharrer, RAin, Universitätsdozentin, Aufsichtsrätin (China), verfügt über
20 Jahre Erfahrung in der strategischen und
rechtlichen Beratung deutscher Unternehmen zu Investitionen in Asien/Pazifik.
Sie ist Of Counsel von GSK Stockmann +
Kollegen.
21 „Der Glaube an das Gedruckte ist seit Gutenberg einer der mächtigsten Aberglauben dieser Welt“ (Ludwig Marcuse).
22 Kaptein (2004) Journal of Business Ethics 50, 26.
23 Rivers (2014) International Studies of Management and Organisation 43 (4),
56, referring to De Bettingies/Tan (2003) International Management Review
3 (1), 33; von Weltzien Hoivik (2007) Journal of Business Ethics 74 (4), 459.
24 Barmeyer/Davoine, in: Scholz/Zentes, Strategic Management – New Rules
for Old Europe, 2006, S. 239.
25 Schein (1984) Sloan Management Review 25 (2), 4.
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