Vorträge DGfZ-Tagung Ethische Verantwortung in der Tierzucht

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Züchtungskunde, 77, (6) S. 420 – 425, 2005, ISSN 0044-5401
© Eugen Ulmer KG, Stuttgart
Vorträge DGfZ-Tagung
Ethische Verantwortung in der Tierzucht
R. J. Busch1
1 Einleitung
Wieso wird die Tierzucht – ein Eingriff des Menschen in die Natur, der seit Jahrtausenden praktiziert wird und im historischen Rückblick wohl höchst selten zum Thema gesellschaftlicher Kontroversen wurde – heute zum Gegenstand zuweilen erbitterter, zunächst zwischen Tierschutz und Praxis und in der Folge auf politischem Parkett ausgetragener Streitigkeiten? Die Antwort darauf scheint einfach: Weil bestimmte „Ergebnisse“ züchterischer Aktivitäten auch für Laien so auffallend sind, dass sie sich zu einem
moralischen Urteil veranlasst sehen.
Die Zeitschrift GEO (Wenderoth, 2002) veröffentlichte eindrucksvolle Bilder züchterischer Erfolge bei Nutztieren: z.B. einen Blonde-D’Aquitaine-Bullen neben seinem Besitzer – angeordnet im Stil der Familienbilder des frühen 20. Jahrhunderts. Andere weniger werbende Veröffentlichungen sprechen von Puten, die so viel Brustfleisch angesetzt haben, dass sie sich nur noch mit Mühe aufrecht halten können (z.B. www.vierpfoten.de/kampagne/index.htm vom Juli 2005).
Bilder wirken aus sich heraus. Sie dienen bisweilen nicht lediglich als Visualisierung
einer bereits formulierten Aussage: sie sind die Aussage. Und diese wirkt erfahrungsgemäß sehr viel länger und intensiver als ein Text.
Insofern ist auch die Tierzucht mit der Macht der Bilder konfrontiert, die andere (!)
sich von ihr machen. Hier geht es gewiss zunächst um Ästhetik. Es geht aber auch um
die Deutungen der Freiheitsgrade, die züchterisches Handeln in unserer Gesellschaft beanspruchen darf.
Damit ist das Parkett, auf dem sich die Diskussion bewegt, das der ethischen Bewertung. Ethik ist die systematische Reflexion auf moralische Urteile. Das bedeutet: Was ein
Einzelner für sich persönlich als moralisch vertretbar ansieht, muss vor dem Hintergrund allgemeiner gesellschaftlicher Wertvorstellungen bewertet werden. Es muss auf
argumentative Konsistenz hin befragt werden. Und es muss daraufhin untersucht werden, ob formulierte individuelle moralische Urteile auch von anderen prinzipiell übernommen werden können. Darin unterscheidet sich der Zugang zum Thema aus der Perspektive der Ethik deutlich von intuitiven und/oder politischen Bewertungen. Damit eröffnet die Ethik den Praktikern die Möglichkeit, ihre als gute Gründe angesehenen Erwägungen gesellschaftlich anschlussfähig zu strukturieren und ihre Kommunikation
entsprechend zu gestalten.
2 Hinführung zur ethischen Bewertung der Tierzucht
Descartes wird in Tierschutzpublikationen gelegentlich unterstellt, er habe Tiere aufgrund seines Dualismus von denkender und ausgedehnter Substanz zu empfindungslosen beweglichen Maschinen degradiert. Das trifft so nicht zu. „Obwohl ich es für bewiesen halte, dass es unbeweisbar ist, dass die Tiere denken, glaube ich deshalb noch nicht,
1 Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Marsstraße 19, 80335 München. E-Mail: [email protected]
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es sei beweisbar, dass Tiere nicht denken. Denn das Herz der Tiere bleibt dem menschlichen Geist verschlossen“ (zit. nach H.-P. Schütt 1990, S. 106).
Descartes konzedierte den Tieren auch die Empfindungsfähigkeit (vgl. H.-P. Schütt,
1990, S. 108). Insofern eignet er sich kaum als Gewährsmann einer rigide anthropozentrischen Kontraposition zu den im Folgenden zu skizzierenden Ansätzen.
Besonders im angelsächsischen Sprachraum gibt es seit langem eine Tierrechts-Bewegung. Tiere, so die These, besitzen Rechte wie der Mensch. Und dementsprechend
braucht man Anwälte, die diese Tierrechte verteidigen.
Inhaltlich parallel laufen Überlegungen, den Tieren einen inhärenten (d. h. ihnen als
einem vom Menschen unabhängigen Subjekt zukommenden) Wert zuzuschreiben, der
wiederum mit dem Konzept gestützt wird, den Tieren käme – analog der des Menschen
– „Würde“ zu.
Alle diese Überlegungen finden in der Öffentlichkeit starken Widerhall. Sie funktionieren über die Analogie: Wenn ich als Mensch Rechte, einen Eigenwert und Würde besitze, so kann dies angesichts des stets zunehmenden Wissens im Bereich der Verhaltensbiologie und Neurobiologie doch den Tieren kaum vorenthalten werden.
Nun ist es naturgemäß schwierig, mit einem Tier zu sprechen und herauszufinden,
welche Rechte es einklagen und welche Bedürfnisse es gerne ausleben würde. Hier öffnet sich ein weiter Raum, dem Tier etwas zuzuschreiben, das in manchen Fällen mutmaßlich zunächst eher den Bedürfnissen von Menschen entspricht. Tatsächlich wissen
wir wenig von den Bedürfnissen der Tiere – verstanden im Sinne eines über den physiologischen Bedarf hinausgehenden Anspruchs. Den natürlichen Bedarf der Tiere hingegen kann man heute schon zunehmend besser bestimmen.
Man hat nun – anknüpfend an die Diskussion im angelsächsischen Sprachraum – bestimmte „Freiheiten“ (vgl. Farm Animal Welfare Council, July 2005: www.fawc.org.uk/
freedoms.htm) beschrieben, die dem Tier zukommen und die der Mensch zu respektieren habe. Diese fünf Freiheiten sollten auch für diejenigen anzuerkennen sein, die nicht
von Tierrechten oder von „Würde“ des Tieres im engeren Sinne sprechen möchten. Sie
verweisen auf die moralische Verpflichtung des Tiere haltenden und Tiere züchtenden
Menschen. Tiere werden hierbei als Subjekte mit Ansprüchen verstanden, die der
Mensch zu identifizieren hat. Die Freiheiten fokussieren zunächst auf die Haltung der
Tiere, doch scheint es sachgemäß, auch die über die Züchtung an die Tiere weitergegebenen Merkmale aus der Perspektive des Anspruchs der Tiere zu bewerten.
Im Einzelnen handelt es sich um:
(1) Freiheit von Hunger und Durst,
(2) Freisein von Unbehagen,
(3) Freisein von Schmerzen, Verletzungen und Krankheiten,
(4) Freisein von Angst und Leiden,
(5) Freisein zum Ausleben normaler Verhaltensweisen.
Leben Tiere in der freien Natur, geht es zwar in der Regel nicht so zu, dass solche Rechte beachtet würden. „Die Natur ist nicht im Tierschutzverein“; doch wenn der Mensch
Tiere zu seinem Nutzen hält, kann er sich nicht darauf berufen, dass es in der Natur
eben häufig brutal zugeht.
Die fünf Freiheiten vermitteln – komplementär zu den den Tieren zugeschriebenen
Abwehransprüchen (nach TSchG §11b) – die positiven Ansprüche des Tieres.
3 Die Leistungsfähigkeit des pathozentrischen Ansatzes
Die Fähigkeit des Tieres, Schmerz zu empfinden und zu leiden, ist der sachgemäße Ausgangspunkt, den Umgang des Menschen mit dem Tier ethisch zu bewerten und künftiges Handeln daran auszurichten. Man nennt diesen Ausgangspunkt „pathozentrisch“
(vom griechischen „pathos“ = Leiden).
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Dabei muss einschränkend festgestellt werden, dass der pathozentrische Ansatz im
hier vorzustellenden Sinne wohl nur im gegebenen Kontext der landwirtschaftlichen
Tierhaltung streng durchgehalten werden kann; denn wenn es Ziel sein würde, den Tieren Leiden unter allen Umständen zu ersparen, müsste man alle Tiere töten oder gar
nicht erst erzeugen (lassen): Wer nicht ist, kann auch nicht leiden. Das ist eine abstrakte und mutmaßlich als zynisch verstandene Schlussfolgerung – sie ergibt sich aber aus
einem Ansatz, der kontextunabhängig vertreten würde.
Wir vertreten den pathozentrischen Ansatz im Folgenden bewusst kontextabhängig:
Wir nehmen zur Kenntnis, dass der Mensch Tiere mit dem Ziel züchtet, sie seinen Bedürfnissen anzupassen. Der Umstand, dass er dies seit sehr langer Zeit tut, rechtfertigt
allerdings nicht, dass er dies auch in Zukunft und uneingeschränkt tun dürfen soll. Moralische Urteile wandeln sich. Moralische Urteile spiegeln nicht zuletzt wider, welche
Vorstellungen von einem gemeinsamen guten Leben in definierten Gesellschaften zu einem gegebenen Zeitpunkt konsensfähig sind. Insofern müssen Akteure in diesen Gesellschaften von dort wirkenden, wenn auch gelegentlich eher indirekt erkennbaren moralischen Wertvorstellungen ausgehen und sich in ihrem Handeln darauf beziehen können.
In vielen Gesetzestexten und Politiker-Reden wird eine „artgerechte“ Tierhaltung gefordert – mit entsprechenden Implikationen für die Zuchtziele. Das klingt gut, und die
Absicht ist ehrenwert. Aber die Deutungen dessen, was denn im Blick auf eine Kuh oder
ein Schwein oder ein Huhn „artgerecht“ sei, sind weit – und die Verhaltensbiologen
(„Ethologen“) sind sich vielfach durchaus nicht einig.
Die Forderung nach einer „artgerechten“ Tierhaltung und Tierzucht signalisiert dennoch zunächst einmal zutreffend, dass der Mensch mit dem Tier aus ethischer Perspektive nicht alles machen sollte, was ihm vielleicht einen ökonomischen Nutzen bescheren
würde: Er trägt Verantwortung für sein Tier.
Es erscheint wesentlich sinnvoller, anstelle von „artgerechter“ Haltung und Züchtung
von einer dem einzelnen Tier gerecht werdenden Haltung und Züchtung zu sprechen:
Weil es jeweils das einzelne Tier ist, das leidensfähig ist, muss das Handeln des Menschen dem einzelnen Tier auch darin gerecht werden, dessen Leiden (hervorgerufen
durch zu hohe Belastungen) zu verhindern.
4 Von der Problemstellung zur ethischen Bewertung
Kontext-abhängige Betrachtung
Die Tierzucht als solche lässt sich nicht pauschal bewerten. Würde man dies versuchen,
könnte zwischen den verschiedenen Graden des aktuell moralisch Zulässigen nicht differenziert werden. Es kann nicht um eine pauschale Ablehnung oder eine umfassende
Bestätigung züchterischen Handelns gehen. Es muss kontext-abhängig und in Einzelabwägungen bewertet werden.
Definierte Problemstellung
Insofern ist es wichtig, eine ethische Bewertung auf eine möglichst konkrete Problemstellung zu beziehen. Ob Milchleistung, Klauengesundheit, Fleischqualität und –menge,
Stresstoleranz – die Problemstellungen lassen sich verhältnismäßig leicht definieren.
Sie werden jedoch dann zunehmend unübersichtlich und vielschichtig, wenn auch
moderne Verfahren der traditionellen Züchtung und Reproduktionstechnik sowie der
Biotechnologie eingesetzt werden, denn an dieser Stelle interferieren die Diskussionen
um Zuchtziele mit denen um die gesellschaftliche Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz einer umstrittenen Technologie.
Die Problemstellungen werden zudem schwieriger bearbeitbar, wenn die Zuchtziele
sich aus dem Wunsch ergeben, Tiere den vorhandenen Aufstallungssystemen anzupas-
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sen und dadurch Neuinvestitionen in tiergerechte(re) Haltungssysteme überflüssig zu
machen. So wurde seitens der Legehennenhalter angeblich behauptet, die dort genutzten Rassen seien an die Käfige angepasst worden – hätten also beispielsweise gar kein
Verlangen nach Staubbaden oder Flügelschlag – und insofern könne nicht davon gesprochen werden, dass die Käfige dem Tierwohl abträglich seien. Unterlegt wurde diese Argumentationslinie durch den Hinweis auf die bessere hygienische Qualität der gelegten Eier. Diese Argumentation ist nicht durchzuhalten, denn die Haltung in den konventionellen Käfigen – unbeschadet des beschlossenen europaweiten Verbots in einigen
Jahren – kann auch aus gutwilliger Perspektive und bei Berücksichtigung der o.g. fünf
Freiheiten wohl kaum als tiergerechtes Haltungssystem angesehen werden, weil grundlegende Freiheiten der Tiere massiv eingeschränkt werden.
Wo Anpassung an die technischen Gegebenheiten erfolgen soll, muss die Tiergerechtheit ausgewiesen werden – nicht allein rechtlich, sondern auch moralisch. Entscheidend
dabei ist, dass es auf das einzelne Tier ankommt. Die Zahl der in einem Betrieb gehaltenen Tiere kommt nur insofern in Betracht, als sie Auswirkungen auf das Wohl des einzelnen Tieres haben könnte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, auch Alternativen zu
umstrittenen Haltungsbedingungen einer gewissenhaften Prüfung im Blick auf den
ethologischen Bedarf der Tiere zu unterziehen.
Beschreibung der Eingriffsintensität
Durch die Züchtung werden dem Tier Merkmale vererbt, die grundsätzlich und wertneutral als Eingriff zu interpretieren sind. Möchte man ein Zuchtziel sachgemäß ethisch
bewerten und dem im oben skizzierten Sinne modifizierten pathozentrischen Ansatz
folgen, so ist es folgerichtig, die für das einzelne erzeugte Tier durch die über die Züchtung vermittelten Merkmale „zugemutete“ Eingriffs-Intensität so genau wie möglich zu
beschreiben. Die Eingriffsintensität reflektiert und gewichtet die dem Tier im Laufe seines Lebens auferlegten Belastungen.
Definition des angestrebten Nutzens des Eingriffs und Abwägung des Verhältnisses
von Eingriffsintensität und Nutzen
Nach der Bestimmung der Eingriffsintensität muss gefragt werden, ob nicht beispielsweise eine durch Züchtung ermöglichte sehr hohe Milch- oder Fleischleistung bei Kühen
physische Belastungen für das einzelne Tier nach sich ziehen, die wiederum durch zusätzliche Interventionen durch den Landwirt kompensiert werden müssen. Der argumentative Stand des Landwirts wäre hier in der Tat verletzlich, denn der von ihm angestrebte ökonomische Nutzen kann nicht gegen eine potenzielle Belastung des Tieres aufgerechnet werden. Die Belastung eines Tieres kann zunächst nur durch einen Nutzen
gerechtfertigt werden, der dem Tier selbst oder anderen Tieren der Herde zugute
kommt. Ist die Belastung (gemessen über die Eingriffsintensität, die als Vektor aus Eingriffstiefe x Eingriffsdauer verstanden wird) hoch, so wird eine ethische Rechtfertigung
sehr schwierig. Dieses Problem ergibt sich in verschärfter Form für die Züchtung selbst,
denn ihr Resultat betrifft häufig das ganze Leben der erzeugten Tiere.
Züchtungsbemühungen, die einer Stabilisierung der Tiergesundheit dienen, werden
in diesem Zusammenhang eher positiv zu bewerten sein. Sie haben das Kriterium des
Tierwohls gewissermaßen bereits auf ihrer Seite.
Abwägung von Alternativen
Selbst wenn eine ethische Bewertung ergibt, dass die Handlung des Züchters bzw. des
Landwirts als zulässig anerkannt wird, sollte er sich der Betrachtung (ökonomisch) realisierbarer Alternativen stellen.
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Dies ist durchaus nicht trivial, denn aus der Perspektive der Praktiker hat sich der Status quo als gut erwiesen, und wenn die gesellschaftliche Diskussion auch noch ergeben
sollte, dass die Öffentlichkeit diesen Status als moralisch vertretbar einschätzt: Warum
sollte der Akteur sich dann noch Alternativen zuwenden?
Die Antwort ergibt sich, wenn man in die Geschichte der landwirtschaftlichen Entwicklung blickt. Diese Geschichte ist geprägt von einem starken Beharrungsvermögen
auf der einen und von einer eindrucksvollen Innovationsfähigkeit auf der anderen Seite. Betrachtet man die allmähliche Erweiterung der Zuchtzieldefinitionen von Leistungssteigerungen um die der Förderung des Gesundheitsstatus – ein Bereich, der in der
öffentlichen Kommunikation bislang kaum angekommen ist (man denke an den stehenden Topos der Puten, die soviel Brustfleisch ansetzen, dass sie kaum noch stehen können: ein „beliebtes“ Beispiel in vielen Broschüren der Kritiker der Tierhaltung) – so liegt
es nahe, diese Zielbereiche ausdrücklich um den der Tiergerechtheit zu erweitern.
5 Problemfelder der Tierzucht, die einer ethischen Reflexion bedürfen
Anhand der oben skizzierten Systematik sollten eine Reihe von Problemstellungen der
Tierzucht diskutiert werden; sie sollen an dieser Stelle lediglich beispielhaft und in Auswahl genannt sein.
– Männliche Küken in der Legehennenproduktion: Ist es möglich, das Entstehen männlicher Küken in diesem Kontext zu verhindern, um die massenweise Tötung dieser Tiere zu vermeiden?
– Optimierung von Leistungsparametern in der Rinderzucht; Trend zu immer größeren
und leistungsfähigeren Tieren
– Zusammenhang von Markt und Zuchtzielen
– Fachliche Definition und öffentliche Deutung von „Qualzucht“ nach TSchG § 11,1.2
– Herausforderung: Züchtung auf Eutergesundheit bei Milchkühen
– Genetische Vielfalt im Bereich Rinderzucht
– Einfluss der Qualitätsanforderungen des Handels an die landwirtschaftliche Tierzucht
und Tierproduktion
– Semantische Aspekte der „Rede“ von „Qualität“
Alle diese Themen harren bislang einer sachgemäßen ethischen Analyse. Das ist – im
Blick auf die teilweise sehr engagierte öffentliche Diskussion zur landwirtschaftlichen
Tiernutzung – kein lässlicher Bereich: Die Öffentlichkeit „entdeckt“ immer mehr Themen für eine Beschäftigung mit einem bis dahin eher „unterbelichteten“ Bereich der
Produktion. Die Tierzucht wird auf absehbare Zeit ebenfalls in den Fokus einer kritischen Aufmerksamkeit rücken. Spätestens dann sollten die Vertreter der Tierzucht gute
Antworten geben können.
2 A. Goetschel: Zucht, Halten von Tieren, Handel mit Tieren. In: H.-G. Kluge (Hrsg.): Tierschutzgesetz. Kommentar. Stuttgart 2002, S.249: „Wenn Krankheitsdispositionen, erbliche
Defekte oder Verhaltsstörungen züchterisch genutzt werden, die Tiere demnach so miteinander gepaart werden, dass bei den Nachkommen ein Schmerzen, Leiden oder Schäden verursachender Erbfehler in Erscheinung treten kann, wird allg. von Qual-, Defekt- oder Extremzucht gesprochen“. Das Problem der rechtlichen Beurteilung von Zuchtzielen und Züchtungsergebnissen wird sich durch die neueren Kommentare zum Tierschutzgesetz mutmaßlich
verschärfen (Vgl. A. Hirt, Chr. Maisack, Johanna Moritz: Tierschutzgesetz. Kommentar.
München 2003; dort v.a. die Neubestimmung des „vernünftigen Grundes“ als Fundamentalkriterium für die rechtliche Würdigung eines Eingriffs; s. dort S. 56 ff.).
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Zusammenfassung
Um heutzutage gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen, hat nicht nur die Tierhaltung
in der Landwirtschaft, sondern bereits die Tierzüchtung Zeugnis abzulegen über ihre
ethische Rechtfertigung. Diese Akzeptanz ist Voraussetzung für die Entwicklung eines
gesetzlichen Rahmens, der der Tierzucht den für ihre Entwicklung erforderlichen Spielraum garantiert.
Eine ethische Bewertung der Tierzüchtung sollte davon ausgehen, anzuerkennen,
dass Tiere in der Lage sind, zu empfinden und Schmerz zu fühlen. Dieser Einschätzung
als solcher folgen dann die Schritte „Bestimmung der Eingriffsintensität“, „Bestimmung
des angestrebten Nutzens“, „Abwägung des Verhältnisses von Eingriffsintensität und
Nutzen“ sowie „Abwägung potenzieller Alternativen“. Im Hinblick auf die zukünftig zunehmende Notwendigkeit der gesellschaftlichen Akzeptanz ist der Dialog mit der Gesellschaft offen und transparent zu gestalten.
Schlüsselwörter: Ethik, Tierzucht, Tierschutz, gesellschaftliche Akzeptanz
Literatur
Busch, R. J. und Kunzmann, P. (2004): Leben mit und von Tieren. Ethisches Bewertungsmodell zur Tierhaltung in der Landwirtschaft. DLV, München.
Hirt, A., Maisack, Chr. und Johanna Moritz (2003): Tierschutzgesetz. Kommentar.
München
Schütt, H.-P. (1990): Die Vernunft der Tiere. Goldbach
Wenderoth, A (2002): Die Geschichte von Mensch und Tier. GEO 05, 88-112.
Ethical responsibility in livestock breeding
by Busch, R. J.
In order to receive social acceptance today, not alone animal husbandry in agriculture
but already animal breeding must give evidence of its ethical justification. Social
acceptance is a prerequisite for such a development of the legal framework that grants
animal breeding the necessary scope for evolution.
An ethical assessment of animal breeding should start by recognising that animals
are able to perceive, and feel the sensation of pain. The assessment as such then follows the steps “determination of intervention intensity”, “determination of desired
benefits”, “consideration of intervention intensity versus desired benefits”, and “evaluation of potential alternatives”.
With regard to the future growing need for social acceptance, dialogue with society has to be made open and transparent.
Keywords: ethics, animal breeding, animal welfare, social acceptance
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