Wentz-Geschichten aus den Siebzigern „Wentzinger“, seiner Zeit noch „Wenzinger“ ohne „t“, das ist bis heute nicht nur Musik in den Ohren, sondern auch tagtäglich Inspirationsquelle für die eigene Arbeit. Um dies mit anderen Worten zu erklären, ich gehöre zu den damaligen Versuchsaspiranten in BadenWürttemberg, die nach bestandener Aufnahmeprüfung den Feldversuch einer Musikklasse miterleben durften. Und all das, was ich in den Jahren 1974 bis 1982 (da gehört auch eine durchaus positiv erlebte Ehrenrunde dazu – jedenfalls hat diese Sondertour mir nicht geschadet) erlebt und gelernt habe, hat bis heute, da ich nun selber Lehrer bin und unter anderem leidenschaftlich gerne Musik unterrichte und nach wie vor auch in Ensembles mit meinem Instrument, der Geige, der Musik fröne, Auswirkungen. Vieles von dem, was wir vor über dreißig Jahren bei Lehrern wie Professor Hans G. Vogt im Musikunterricht, bei Hanscarl Lehmann im Chor und später im Leistungskurs Musik oder bei Gisela Stache im Orchester (viele weitere Lehrer auch außerhalb der Musik wären zu nennen) gelernt, gesungen, gespielt, erlebt, aufgeführt, ..., haben, ist teilweise immer noch präsent, als wäre es gestern erst geschehen. Hier einen kleinen Ausschnitt in Kurzform: „Der Herr der schickt den Jockel aus ...“ – in unendlich vielen Eigentextvariationen mit Improvisationszwischenspielen mit Orff’schem Instrumentarium beim ersten Konzert der ersten Musikklasse. Apropos „Orff“ – seiner Zeit hat Carl Orff noch gelebt und wir haben ihm gemeinsam mit unserem Musiklehrer Herrn Vogt zum Geburtstag einen Brief geschrieben. Was waren wir stolz, als wir auch Antwort von einem „echten und vor allem berühmten Komponisten“ bekamen. „The Girl and the Ghost“ – eine Musicalaufführung mit dem Musikklassenchor von Herrn Lehmann komponiert. Spannend und aufregend war es und später ist es sogar im damaligen Studio des damaligen Süd-West-Rundfunks in Günterstal aufgezeichnet und natürlich gesendet worden. Welch ein Erlebnis. Die Partitur habe ich heute noch und hüte sie wie einen Schatz. Überhaupt gab es viele tolle Choraufführungen bis hin zu Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ Teil 1, unter anderem mit Rainer Pachner (Sänger, Komponist, Dirigent und Musiklehrer), der an unserer Schule und in unserer Klasse in den 70-er Jahren unter Herrn Vogt einen Teil seines Referendariats absolvierte, genauso wie Agnes Dorwarth (heute Musikprofessorin und Komponistin an der Musikhochschule Freiburg). Aber es ging noch weiter. Mehrere Chor- und Orchesterwettbewerbe mit dritten, zweiten und ersten Preisen folgten. Freiburg, Karlsruhe, Böblingen und Stuttgart waren die Stationen der Wettbewerbskonzerte mit Herrn Lehmann und dem Chor der Musikklassen beziehungsweise dem Schulorchester unter der Leitung von Frau Stache. Und zum Schluss Fernsehaufnahmen mit dem Chor beim SüddeutschenRundfunk in Stuttgart. Der Traum eines jeden Kindes „einmal im Fernsehen zu sein“ wurde wahr und wir fühlten uns wie auf dem Olymp. Chorkonzert unter der Leitung von Hanscarl Lehmann in der Christuskirche 1979. Photo: Dietmund Schwarz Mit dem Orchester unter Leitung von Frau Stache und der Assistenz von Herrn Sladek ging es auf Konzertreisen. So unter anderem in die Partnerstädte von Freiburg: Besancon, Innsbruck und Padua. Tolle Erfahrungen und viele Erlebnisse brachten diese Reisen. Und welches Orchester kann schon von sich behaupten in einem Obdachlosenasyl genächtigt zu haben – so geschehen in Padua – allerdings in einem total renovierten und neu ausgestatteten Haus. Und wir waren die ersten Benutzer. Auch die Stadtbesichtigungsfahrt mit dem Orchester durch Verona bleibt unvergessen, sagte der italienische Reiseführer doch bei jeder roten Ampel: „Braucht nicht anhalten, fahren durch, nix passieren, zahlen Versicherung ...“. Unvergesslich auch die jährlichen Orchesterkonzerte im Kaufhaussaal. Einer der schulischen Höhepunkte des Jahres. Sei es Johann Pachelbels „Kanon und Gigue“, Johann Sebastian Bachs „Brandenburgische Konzerte“ (Wir haben im Laufe der Jahre wohl alle sechs Brandenburgischen Konzerte einmal gespielt?), Benjamin Brittens „Simple Symphonie“ mit dem dritten Satz im Pizziccato der Geigen in Gitarrenhaltung oder Felix Mendelssohn-Bartoldys „Hebriden-Ouvertüre“, schon in Sinfonieorchestergröße, jedes Stück ein weiteres Highlight im stets übervoll mit Zuhörern gefüllten wunderschönen Renaissancesaal. Natürlich haben wir auch manchen Unsinn im Kopf gehabt, wie an jenen Probentagen im Schwarzwald, wo wir in einer aufgelassenen kleinen Volksschule in einem noch vollständig eingerichteten Klassenzimmer probten und in den Pausen uns im ehemaligen Schulleiterzimmer – es war alles unverschlossen und noch komplett ausgestattet, einschließlich aller blanko Dokumente – selber Zeugnisse ausstellten und mit Dienstsiegel nebst Phantasieunterschrift versahen. Nach den montaglichen Orchesterproben fuhr immer das „Orchestertaxi Stache“ in ihrem Renault R5 ein halbes Dutzend Orchesterspieler nach Hause. Dies sah dann oft wie folgt aus: soweit möglich, kamen in den Kofferraum die Instrumentenkoffer, das Schiebedach des Autos wurde geöffnet, die Rückbank mit drei, vier Schülern nebst Instrumentenkoffern, die nicht mehr in den Kofferraum gepasst haben (meist das Horn), gefüllt und auf dem Beifahrersitz nahmen nochmals ein oder auch zwei Schüler nebst Cello, das zum Teil durch das offenen Schiebedach hinausragte, Platz. Heute undenkbar, aber auch damals sicher nicht unbedingt regelkonform. Bei „R5“ fällt mir auch noch ein, dass wir, drei nach dem Abitur entlassene Schüler, unmittelbar danach noch eine Reise nach Wien machen wollten. Den Führerschein hatten wir gerade auch schon mehr oder weniger frisch in der Tasche. Aber natürlich nur wenig Geld, geschweige denn ein genügend großes Zelt oder gar ein Auto. Aber wir hatten Lehrer, die uns Zelt (Herr Birmelin, Bio und Chemie) und sogar Auto (Frau Stache, Erdkunde, Musik und Orchester) für eine Woche zur Verfügung stellten. Wir konnten fahren und es war einmalig schön. Wie Frau Stache in dieser Zeit in die Schule gefahren ist, weiß ich bis heute nicht, aber herzlichen Dank und Hochachtung für dieses Vertrauen! Und „Wien“ liefert das nächste Stichwort, waren wir dort doch schon einmal, als wir in der zwölften Klasse mit Herrn Lehmann diese Stadt der Musik besuchten. Ihm haben wir es zu verdanken, dass unser Musikleistungskurs 1981 das Privileg bekam, in der österreichischen Nationalbibliothek, bei einem Sondertermin in einem separaten Raum, Originalnoten von Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn („Kaiserquartett“ mit der Melodie der heutigen deutschen Nationalhymne), Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Johannes Brahms, Anton Bruckner, Arnold Schönberg und Richard Strauss („Rosenkavalier“) aus dem Archiv sehen zu können und zum Teil auch selber in den Händen zu halten. Herr Lehmann hatte uns als Musikstudenten der Freiburger Musikhochschule, an der er, neben seiner Arbeit als Musik- und Englischlehrer am „Wentzinger“, einen Lehrauftrag hatte, angemeldet. Das war einmalig! Zu meiner Abitursfeier durfte ich dann selber einmal das Pult in der ersten Geige des Orchesters verlassen und mit Andreas Schwarting (Blockflöte) und Isabella Lehmann (Blockflöte) den Solopart auf der Violine im 4. Brandenburgischen Konzert für Violine, zwei Blockflöten, Orchester und Basso Continuo, übernehmen. Die Leitung hatte Frau Stache. Für mich ein Höhepunkt in meiner Schullaufbahn. Abiturfeier mit Orchesterkonzert Juni 1982 in den Räumen des Wentzingergymnasiums. Photo: Dietmund Schwarz Mit dem Abitur war die Verbindung zum „Wentzinger“ zum Glück nie ganz abgebrochen, gab es, neben Klassen- und Abiturjahrgangstreffen, immer wieder auch Gelegenheiten sich nochmals musikalisch einzubringen. Hier kommt mir das 25-jährige Schuljubiläum in den Sinn, wo es nochmals ein Konzert mit dem Schulorchester und Ehemaligen unter der Leitung von Frau Stache im Kaufhaussaal gab. Oder auch die Verabschiedung von Rektor Adler im Bürgerhaus. Auch hier gestaltete das Schulorchester mit Ehemaligen unter der Leitung von Frau Stache die Verabschiedungsfeier mit. Und je weiter ich mich nun in dies Schulerinnerungen hineinschreibe, desto mehr fällt mir ein und das beileibe nicht nur zum Thema Musik, gab es doch auch zahlreiche Theateraufführungen, die wir mit der Klasse erarbeitet haben: „Till Eugenspiegel“ (1974) mit Frau Hupperschwiller (Deutsch), „Oliver Twist“ (Juni 1977) in Englisch (siehe Photo) mit Frau Gnass-Franke (Englisch) oder „Der Biberpelz“ von Gerhard Hauptmann (1978) mit Frau Rützel (Deutsch) (hiervon existiert sogar ein kurzer tonloser „Super 8 Film“). Ebenso prägend war auch die Projektwoche, die es 1980 an der Schule erstmals gab. Unvergesslich die fünftägige Wanderung mit Herrn Schroff (Sport und Französisch) auf dem „Querweg“ von Freiburg an den Bodensee mit Übernachten unter eigen konstruierten Plastikplanen, dem Übernachtungsasyl wegen nasser Sachen im Kirchturm von Blumberg und der Bahnüberquerung auf freier Strecke zwischen Singen und Radolfzell mit Hilfe von Bahnarbeitern, die zufällig gerade an der freien Strecke tätig waren. Und dann das Schwimmen im Bodensee, dem Ziel unserer Wanderung, bei Regen und Herr Schroff mit Kopfschirm. Die Wanderstiefel, die ich mir damals für diese Tour von meinem eigenen Geld für 50,-- DM in der Sportabteilung des Kaufhaus Schneider (heute Breuninger) einen Tag vorher erstanden habe, trage ich heute noch. Und - um dieser Frage vorzubeugen – ich hatte nie auch nur eine einzige Blase. Englisches Theater mit „Oliver Twist“ – Klassenaufführung im Juni 1977. Photo: Dietmund Schwarz Bei der zweiten Projektwoche, 1981, nächtigten wir unterhalb des Feldbergs fünf Tage in einer Hütte und tagsüber, lange, bevor es den Feldberg-Ranger gab, der heute für diese Aufgaben zuständig ist, haben wir auf dem Feldberg und dem Herzogenhorn dem Förster geholfen Erosionsschäden zu beseitigen und entsprechende Hinweisschilder aufgestellt. Dies war übrigens auch unter der Leitung von Herrn Schroff. Auch die Landschulheimaufenthalte am Bodensee in Klasse 6 und in Südtirol in Klasse 9 bergen noch so manche Geschichte und Anekdote. Und von letzterem Aufenthalt gibt es auch noch ein Filmdokument. Und wer weiß heute noch, was die „Käfige“, jene achteckigen, mit Kleiderständer und Schränken versehenen begehbaren Spinde im Erdgeschoss, die damals jede Klasse nebst Schlüssel zur Verfügung gestellt bekam, waren. Tolle Verstecke. Besonders an den Probenwochenenden, wenn sonst keine Schüler im Haus waren, war das Erdgeschoss eine tolle Versteckspielebene. Nun bin ich gespannt, was aus der „Wentzyklopädie“ wird, wünsche in jedem Fall dafür viel Erfolg und freue mich schon jetzt auf das, vielleicht auch einmal gedruckte, Gesamtwerk. Dietmund Schwarz