Auf Stimmenfang

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leute
Hören als Beruf:
Pål Christian Moe in der
Bayerischen Staatsoper.
Talentsuche
Wenn eine Operninszenierung besetzt werden soll, ist der Norweger Pål Christian Moe
in seinem Element: Der Scout für begabte Sängerinnen und Sänger fahndet in den
Konzert­häusern der Welt nach den Opernstars von morgen.
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Foto: Enno Kapitza
Auf Stimmenfang
München, Marstallplatz, Mitte September.
Antonín Dvořáks »Rusalka« von Krístīne
Opolaís holt Pål Christian Moes Gedanken
kurz in die Gegenwart. In den sieben Etagen
unter seinem Büro im Probengebäude der
Bayerischen Staatsoper haben die Vorberei­
tungen für die Spielzeit 2010/11 begonnen.
Die lettische Sopranistin Opolaís wird bald
ihr Debüt in München geben.
Pål Moe springt auf und lauscht ihrer
Stimme am Lautsprecher neben der Tür.
Doch es klopft, und schon gilt die Konzen­
tration wieder den Inszenierungen der
kommenden Monate und Jahre: Intendant
Nikolaus Bachler, auf der Suche nach einem
Carmen-Ersatz für Februar 2011, will Moes
Meinung zu einer Mezzosopranistin hören.
»Hm«, sagt dieser, »eher eine B-Carmen.«
Bachler nennt noch einen Namen. Da sei die
Bühnenpräsenz besser, ist die prompte Ant­
wort. Und so enteilt der Intendant mit einer
anderen Empfehlung Moes für die Beset­
zung an der Seite von Jonas Kaufmann.
Als »Trüffelsucher« hat der Startenor
Pål Moe einmal bezeichnet, als denjenigen,
»der Sänger finden muss, deren Karrieren
kurz vor der Zündung stehen, die man an
ein Haus binden will und die man noch be­
zahlen kann.« Es ist also nicht der brillante
Don José von heute, den Moe sucht – er
sucht den Startenor von morgen.
Der frühere Betriebsdirektor der Pa­riser
Oper arbeitet seit 2004 als freischaffender
Berater für Casting und Programmplanung.
Nicht nur für die Bayerische Staatsoper reist
»einer der besten Stimmenkenner auf der
Welt«, so Bachler, durch die Opernhäuser
und Konzertsäle. Auch für die britische
Glyndebourne Festival Opera und die Oper
von Lille besucht er Premieren, Wettbe­
werbe, Festivals und Vorsing­termine [»Die
sind am ergiebigsten.«]. Nein, eine
Interessenkollision sei nicht zu befürchten,
sagt der hagere Norweger, der in sein ausge­
zeichnetes Deutsch gern englische und fran­
zösische Redewendungen integriert. Zu
unterschiedlich seien die Spielpläne der
Häuser und auch die stimmlichen Vorlieben
der jeweiligen Kulturen.
Moes »Trüffelsuche« führte ihn im Okto­
ber unter anderem nach Mailand, Rom, New
York, Philadelphia und Houston. Wenn er
irgendwo in den Reihen sitzt, hat sich das
in den meisten Opernhäusern schon ohne
sein Zutun herumgesprochen. Der 56-Jäh­
rige versucht einen Platz unter dem Balkon
zu vermeiden [»Da klingt es dumpf!«] – und
fit zu sein. »Wenn ich schlecht geschlafen
habe, dann bin ich … wie sagt man … weni­
ger ›perceptive‹ – weniger offen!«
Sein Kommen bedeutet meist, dass schon
viele Kriterien erfüllt sind: Dann lassen
Stimmlage, musikalische Biografie, Bühnen­präsenz und Berichte von geschätzten
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Kollegen und Agenten eine große Über­
einstimmung mit der zu besetzenden Rolle
erwarten. Ganz wichtig sei der branchenin­
terne Austausch: »Wie laufen die Proben in
Barcelona, wie war xy als Rigoletto, wie hat
sich soundso weiterentwickelt …?« In dem
hart umkämpften Markt – die begehrten
großen Namen müssen mittlerweile vier bis
fünf Spielzeiten im Voraus unter Vertrag
genommen werden – herrsche »freundliche
Konkurrenz«, sagt Moe und blickt warm­
herzig über seine Brillengläser: »Es geht
um die Kunst.«
Was er hört und sieht, wird notiert und
dem jeweiligen Auftraggeber vorgelegt. Die
alltägliche Stimmenflut erfordert nicht nur
ein gutes Gedächtnis und eine präzise Buch­
führung, sondern auch einen effektiven Fil­
ter: »Ich habe unbewusst eine Methode
entwickelt, sofort das zu vergessen, was ich
nicht brauchen kann.«
Ein hart umkämpfter Markt
mit freundlicher Konkurrenz:
Es geht um die Kunst.
Eine Inszenierung für die Münchner
Opernfestspiele 2011 bereitet Moe gerade
besonders viel Genuss: »Saint François
d’Assise« von Olivier Mes­siaen. »Das dauert
über fünf Stunden, hat nicht viel Handlung,
keine große Aufführungsgeschichte, ist
sehr anspruchsvoll – und ich habe die Oper
noch nie besetzt.« Den »Heiligen Franzis­
kus« hat Moe schon in dem französischen
Sänger Paul Gay gefunden. Ihm war dessen
stimmliche Ähnlichkeit mit dem belgischen
Bassbariton José van Dam aufgefallen. Van
Dam hatte bei der Uraufführung in Paris
1983 die Titelrolle gesungen. Als enger Mit­
arbeiter des Komponisten damals mit dabei:
Kent Nagano, heute Generalmusikdirektor
der Bayerischen Staatsoper. Eine Probe spä­
ter war der »Heilige Franziskus« besetzt.
Aufgaben wie diese reizen den studier­
ten Literaturwissenschaftler, den seine El­
tern gern als Arzt gesehen hätten, den aber
der »Don Giovanni« im Covent Garden 1973
unwiderruflich für die Opernwelt gewann.
Moe heuerte bei »lokalen Theater­ent­hu­
siasten« im westnorwegischen Kristiansund
an, begann als Souffleur und Ankleider von
Statisten, wechselte an die Oper in Oslo,
ging als Produzent zur Deutschen Grammo­
phon in Hamburg und schließlich für zehn
Jahre an die Oper nach Paris. Diese Stadt
empfindet er heute auch als sein Zuhause.
Opern höre er hier sehr selten, sagt er, eher
sinfonische Kammermusik – »um die Ohren
zu waschen«.
Barbara Link
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