1/3 hoch rechts, 67*280 leute Hören als Beruf: Pål Christian Moe in der Bayerischen Staatsoper. Talentsuche Wenn eine Operninszenierung besetzt werden soll, ist der Norweger Pål Christian Moe in seinem Element: Der Scout für begabte Sängerinnen und Sänger fahndet in den Konzert­häusern der Welt nach den Opernstars von morgen. 12 mobil 12 | 10 Foto: Enno Kapitza Auf Stimmenfang München, Marstallplatz, Mitte September. Antonín Dvořáks »Rusalka« von Krístīne Opolaís holt Pål Christian Moes Gedanken kurz in die Gegenwart. In den sieben Etagen unter seinem Büro im Probengebäude der Bayerischen Staatsoper haben die Vorberei­ tungen für die Spielzeit 2010/11 begonnen. Die lettische Sopranistin Opolaís wird bald ihr Debüt in München geben. Pål Moe springt auf und lauscht ihrer Stimme am Lautsprecher neben der Tür. Doch es klopft, und schon gilt die Konzen­ tration wieder den Inszenierungen der kommenden Monate und Jahre: Intendant Nikolaus Bachler, auf der Suche nach einem Carmen-Ersatz für Februar 2011, will Moes Meinung zu einer Mezzosopranistin hören. »Hm«, sagt dieser, »eher eine B-Carmen.« Bachler nennt noch einen Namen. Da sei die Bühnenpräsenz besser, ist die prompte Ant­ wort. Und so enteilt der Intendant mit einer anderen Empfehlung Moes für die Beset­ zung an der Seite von Jonas Kaufmann. Als »Trüffelsucher« hat der Startenor Pål Moe einmal bezeichnet, als denjenigen, »der Sänger finden muss, deren Karrieren kurz vor der Zündung stehen, die man an ein Haus binden will und die man noch be­ zahlen kann.« Es ist also nicht der brillante Don José von heute, den Moe sucht – er sucht den Startenor von morgen. Der frühere Betriebsdirektor der Pa­riser Oper arbeitet seit 2004 als freischaffender Berater für Casting und Programmplanung. Nicht nur für die Bayerische Staatsoper reist »einer der besten Stimmenkenner auf der Welt«, so Bachler, durch die Opernhäuser und Konzertsäle. Auch für die britische Glyndebourne Festival Opera und die Oper von Lille besucht er Premieren, Wettbe­ werbe, Festivals und Vorsing­termine [»Die sind am ergiebigsten.«]. Nein, eine Interessenkollision sei nicht zu befürchten, sagt der hagere Norweger, der in sein ausge­ zeichnetes Deutsch gern englische und fran­ zösische Redewendungen integriert. Zu unterschiedlich seien die Spielpläne der Häuser und auch die stimmlichen Vorlieben der jeweiligen Kulturen. Moes »Trüffelsuche« führte ihn im Okto­ ber unter anderem nach Mailand, Rom, New York, Philadelphia und Houston. Wenn er irgendwo in den Reihen sitzt, hat sich das in den meisten Opernhäusern schon ohne sein Zutun herumgesprochen. Der 56-Jäh­ rige versucht einen Platz unter dem Balkon zu vermeiden [»Da klingt es dumpf!«] – und fit zu sein. »Wenn ich schlecht geschlafen habe, dann bin ich … wie sagt man … weni­ ger ›perceptive‹ – weniger offen!« Sein Kommen bedeutet meist, dass schon viele Kriterien erfüllt sind: Dann lassen Stimmlage, musikalische Biografie, Bühnen­präsenz und Berichte von geschätzten mobil 12 | 10 Kollegen und Agenten eine große Über­ einstimmung mit der zu besetzenden Rolle erwarten. Ganz wichtig sei der branchenin­ terne Austausch: »Wie laufen die Proben in Barcelona, wie war xy als Rigoletto, wie hat sich soundso weiterentwickelt …?« In dem hart umkämpften Markt – die begehrten großen Namen müssen mittlerweile vier bis fünf Spielzeiten im Voraus unter Vertrag genommen werden – herrsche »freundliche Konkurrenz«, sagt Moe und blickt warm­ herzig über seine Brillengläser: »Es geht um die Kunst.« Was er hört und sieht, wird notiert und dem jeweiligen Auftraggeber vorgelegt. Die alltägliche Stimmenflut erfordert nicht nur ein gutes Gedächtnis und eine präzise Buch­ führung, sondern auch einen effektiven Fil­ ter: »Ich habe unbewusst eine Methode entwickelt, sofort das zu vergessen, was ich nicht brauchen kann.« Ein hart umkämpfter Markt mit freundlicher Konkurrenz: Es geht um die Kunst. Eine Inszenierung für die Münchner Opernfestspiele 2011 bereitet Moe gerade besonders viel Genuss: »Saint François d’Assise« von Olivier Mes­siaen. »Das dauert über fünf Stunden, hat nicht viel Handlung, keine große Aufführungsgeschichte, ist sehr anspruchsvoll – und ich habe die Oper noch nie besetzt.« Den »Heiligen Franzis­ kus« hat Moe schon in dem französischen Sänger Paul Gay gefunden. Ihm war dessen stimmliche Ähnlichkeit mit dem belgischen Bassbariton José van Dam aufgefallen. Van Dam hatte bei der Uraufführung in Paris 1983 die Titelrolle gesungen. Als enger Mit­ arbeiter des Komponisten damals mit dabei: Kent Nagano, heute Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Eine Probe spä­ ter war der »Heilige Franziskus« besetzt. Aufgaben wie diese reizen den studier­ ten Literaturwissenschaftler, den seine El­ tern gern als Arzt gesehen hätten, den aber der »Don Giovanni« im Covent Garden 1973 unwiderruflich für die Opernwelt gewann. Moe heuerte bei »lokalen Theater­ent­hu­ siasten« im westnorwegischen Kristiansund an, begann als Souffleur und Ankleider von Statisten, wechselte an die Oper in Oslo, ging als Produzent zur Deutschen Grammo­ phon in Hamburg und schließlich für zehn Jahre an die Oper nach Paris. Diese Stadt empfindet er heute auch als sein Zuhause. Opern höre er hier sehr selten, sagt er, eher sinfonische Kammermusik – »um die Ohren zu waschen«. Barbara Link 13