Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto facultas.wuv · Wien Wilhelm Fink · München A. Francke Verlag · Tübingen und Basel Haupt Verlag · Bern · Stuttgart · Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung · Bad Heilbrunn Mohr Siebeck · Tübingen Nomos Verlagsgesellschaft · Baden-Baden Ernst Reinhardt Verlag · München · Basel Ferdinand Schöningh · Paderborn · München · Wien · Zürich Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft · Konstanz, mit UVK / Lucius · München Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen · Bristol vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich Hans Jürgen Heringer Deutsche Grammatik Ein Arbeitsbuch für Studierende und Lehrende Wilhelm Fink Der Autor: Hans Jürgen Heringer, ordentlicher Professor für Germanistische Linguistik in Tübingen und ab 1981 Deutsch als Fremdsprache in Augsburg, Gastprofessoren u. a. in Kopenhagen, Paris und Barcelona. Schwerpunkte: Syntax, Semantik. Interkulturelle Kommunikation. Konrad-Duden-Preis 1989. Emeritiert seit 2007. Umschlagabbildung: © wavebreakmediaMicro#33141750/Fotolia.com Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb-shop.de Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Wilhelm Fink (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart UTB-Band-Nr: 8523 ISBN 978-3-8252-8523-4 5 Inhalt Vorwort ............................................................................................................................... 7 0. Grundfragen ................................................................................................................... 8 Teil A: Wortstrukturen 1. Wortarten ........................................................................................................................ 11 2. Verb: Arten und Konjugation ...................................................................................... 18 3. Verb: Gebrauch der Tempora ...................................................................................... 26 4. Modus: Konjunktiv ........................................................................................................ 31 5. Verb: Passiv .................................................................................................................... 35 6. Modalverben und Modalität ......................................................................................... 41 7. Komplexe Verbalphrasen ............................................................................................. 49 8. Nomen: Deklination und Pluralbildung ...................................................................... 55 9. Genus des Nomens ....................................................................................................... 61 10. Komplexe Nominalphrasen ....................................................................................... 71 11. Artikelwörter ................................................................................................................ 77 12. Das Adjektiv ................................................................................................................. 83 13. Die Pronomen .............................................................................................................. 88 14. Adverbien und Partikeln ............................................................................................. 94 15. Präpositionen ............................................................................................................... 99 16. Wortbildung: Nomen .................................................................................................. 107 17. Wortbildung: Verb und Adjektiv ............................................................................... 113 6 Inhalt | Teil B: Satzstrukturen 18. Satzmuster und Valenz ................................................................................................ 119 19. Topologie ...................................................................................................................... 127 20. Satzverbindungen ........................................................................................................ 134 Teil C: Textstrukturen 21. Anaphorik und Kohäsion ........................................................................................... 140 22. Der komprimierte Stil ................................................................................................. 146 23. Textwiedergabe ............................................................................................................ 151 Anhang: Einige Grammatiken kurz kommentiert .......................................................... 157 7 Vorwort Eine Deutschlehrerin wie ein Deutschlehrer, sei es für den Unterricht in der Primärsprache, sei es für den Unterricht in der Zweitsprache oder Fremdsprache, benötigt vor allem: ► Wissen über einen Grundstock der deutschen Grammatik ► Wissen über theoretische und terminologische Grundfragen ► Wissen über Fragen der Darstellung und didaktischen Anwendung Der Umfang des Grundstocks wird weitgehend bestimmt durch das jeweilige Curriculum. Es wird bestimmt sein von der Frage „Wie viel Grammatik brauchen Lernende?“ Aber der Grundstock muss auch anschlussfähig sein – sowohl für Lehrende wie für Lernende. Es geht also nicht um pures Regelwissen, sondern auch um die Methode, wie es gewonnen wird und wie das kollektive grammatische Wissen gewonnen wurde. Somit ist grammatisches Know-that zu ergänzen durch grammatisches Know-how, also deklaratives Wissen plus prozedurales Wissen. Grammatisches Wissen sollte operational basiert sein. Grammatische Theorien sind oft formal und in ihren Konzepten unterschiedlich, in Denke und Zielsetzung weit voneinander entfernt. Um die unterschiedlichen grammatischen Konzepte seriös zu behandeln, reicht für eine eher praxisorientierte Darstellung weder der Platz noch die Lernzeit. Das ist der Grund, warum in Lernzusammenhängen und auch hier – leider – auf eine mehr oder weniger traditionelle Grammatik aufgesetzt wird. Dies aber wird durchaus an wichtigen Stellen hinterfragt. Im Übrigen scheinen publizierte Schülergrammatiken wie Schulgrammatiken der Regel zu gehorchen, dass sie jedes Jahr dicker werden. Es fehlt der Mut, etwas wegzulassen. Dabei kommen ja Schüler in der Regel nicht sehr weit in ihrem grammatischen Wissen. Der primärsprachliche Grammatikunterricht folgt eher einem „Alle Jahre wieder“. Insoweit die Curricula bezüglich grammatischer Kenntnisse doch recht idealistisch bleiben, sollte auch der Schulstoff eher bescheiden gehalten werden. Analoges gilt für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache. Auch hier ist Skepsis lang schon Thema: Wie viel explizite Grammatik braucht ein Lernender? Braucht er sie überhaupt? Mit einem radikalen Nein muss man diese Frage nicht beantworten. Man sollte aber eine gewisse Vorsicht walten lassen, was die Stoffmenge betrifft. Denn kein Betroffener muss ja gleich zum Grammatikmaniac gemacht werden. Dieser Vorsicht folge ich auch in diesem Buch. Es geht eher darum, die grammatische Kompetenz Lehrender und künftig Lehrender zu stärken, auch ihren Realitätssinn in der Frage, welche Bereiche denn in welcher Breite für Lernende wichtig sein könnten. Es bietet Ihnen darum keine irgendwie vollständige Grammatik, sondern selegiert für Deutschlerner wichtige Phänomene und behandelt sie exemplarisch. Aber auch für die exemplarische Methode müssen natürlich wichtige Bereiche ausgewählt werden, wichtig als Lernstoff für Deutschlerner und zugleich wichtig für Lehrende als methodisches Reflexionsmaterial und Trainingsfeld. Also wird doch der Grundstock geboten. H. J. Heringer Herrsching, im September 2012 8 Grundfragen | 0. 0. Grundfragen Wenn es um einen grammatischen Grundstock geht, so sollte man bedenken, dass es keine vollständige Grammatik geben kann, an der man messen könnte. Eine vollständige Grammatik des Deutschen kann es aus verschiedenen Gründen nicht geben: ► Das Deutsche ist unüberschaubar groß und in sich tief gegliedert. ► Das Deutsche ist wie jede Sprache in stetigem Wandel. ► Wenn die Grammatik nur Korrektes behandeln soll, bleibt strittig, was jeweils korrekt ist. ► Welche sprachlichen Bereiche zur Grammatik gehören, ist theorieabhängig. ► Welche sprachlichen Bereiche zur Grammatik gehören, ist dem Wandel unterworfen. Inhalt und Bereiche Eine einschlägige Frage ist zum Beispiel, ob textuelle Fragen in die Grammatik gehören und wenn ja, was und wie viel. In der Duden Grammatik von 1959 gab es nichts zu Text, wenigstens nicht in einer eigenen Abteilung. Die Grammatik von 2009 bietet hingegen einen umfänglichen Teil „Der Text“ von mehr als 100 Seiten. Engels Grammatik von 1988 enthielt schon einen Teil zu Text. Dies verdankte sich der Entwicklung und Attraktivität der Textlinguistik. Analog bleibt fraglich, welche stilistischen Phänomene in der Grammatik zu behandeln sind. Die Entscheidung über den Inhalt einer Grammatik sollte vielleicht nach Nutzerbedürfnissen getroffen werden, sie entbehrt aber nicht einer gewissen Willkür. Das Analoge trifft eigentlich auch zu für die Frage nach den Proportionen, den Anteilen einzelner Grammatikbereiche. Die Grafik für sechs gängige Grammatiken zeigt erhebliche Unterschiede für die Anteile des Verbs (V), des Nomens (N) und des Satzes (S). 6 5 4 Verb Nomen 3 Satz 2 1 0 50 100 150 200 250 Dabei stellt sich natürlich immer die Detailfrage: Was subsummieren Autoren im Einzelnen unter Satz zum Beispiel. Die Einen mögen ein Phänomen unter Satz behandeln, Andere mögen es vielleicht beim Verb oder beim Text abhandeln. Hinzu kommt die Frage, wie die Phänomene dargestellt werden. Gibt es Bereiche, die eher graphisch anzubieten sind, was vielleicht der Übersichtlichkeit und Lernbarkeit dient, aber mehr Platz beansprucht? 0. | Grundfragen Beim Aufbau einer Grammatik geht es – vielleicht neben dem Inhalt und den Proportionen – vor allem um die Abfolge und die Tiefe der Gliederung. Die Abfolge in einer Grammatik scheint öfter begründet durch die Methode der grammatischen Analyse. Grob werden unterschieden das aszendente und das deszendente Verfahren. Die Unterscheidung ruht auf einer hierarchischen Strukturierung von Sätzen: Oben der ganze Satz, darunter gestuft seine Teile. Deszendent geht den Weg abwärts vom Ganzen zu den Teilen, aszendent umgekehrt von den Teilen zum Ganzen. Das ist stark geprägt von einer möglichen Nutzung der Grammatik. Die meisten Grammatiken sind produktiv gedacht: Sie beschreiben, wie ein Sprecher aus kleinsten Teilen einen Satz aufbauen könnte. Selten sind Grammatiken aus der rezeptiven Perspektive, die dem Nutzer zeigen könnten, wie er einen Satz analysiert und zum Verständnis kommt. Sie könnte also den Weg gehen vom Satz zu den Satzgliedern, zu den Phrasen, zu den Wörtern und enden bei den Morphemen. Ein beachtenswerter Unterschied von Grammatiken besteht in der Abfolge der Hauptwortarten: Verb und Nomen. Dabei dürften Kriterien eine Rolle spielen, wie dass das Verb eine Satzstruktur vorgibt und darum vielleicht am Anfang stehen sollte, oder aber, dass Nomen saliente Wörter sind, die unser Verstehen leiten können und somit nach vorn gehören. Derartige Fragen wären aber letztlich für den Nutzer nur relevant, wenn man sich denkt, die Grammatik verfolge eine Lernprogression. Für Zugriffsgrammatiken dürften sie eher keine Rolle spielen. Gliederung und Aufbau einer Grammatik könnte es stringent nur geben, wenn die grammatischen Phänomene exakt zu definieren wären, und vor allem, wenn sie tatsächlich einer hierarchischen oder gar linearen Ordnung gehorchten oder wenigstens in einer solchen Ordnung darstellbar wären. Dass dies oft angenommen wird, ist einer Art self-fulfilling prophecy geschuldet. Implizit gehen wir wohl davon aus, das Deutsche habe eine bestimmte Grammatik, die es definiert. Explizit haben wir mit Grammatik alle nur zu tun in Form von Grammatiken, von Darstellungen, von Grammatikbüchern eben. Die sind klar strukturiert und geordnet oder sollten es zumindest sein. So unterliegen wir der häufigen Verwechslung von Grammatikbüchern mit inneren Grammatiken einer Sprache, die nicht explizit vorliegen. Sobald ein grammatisches Phänomen beschrieben ist, erscheint es klar in seinem Zusammenhang. Tatsächlich ist die Grammatik aber voll von Unschärfen, Unklarheiten und Zweifelsfällen. Kaum jemand wird sagen in ihrer aller Nöten. Warum? Heißt es zum Beispiel das Nutella oder die Nutella? Und warum eigentlich? Nach neuer Rechtschreibung könnte man denken, hier ginge es um ein Nomen: Es tut mir Leid. Aber was wäre dann mit: Es tut mir sehr Leid? Ein mit sehr gesteigertes Nomen. Gibt es das? Man kann vielleicht sagen: Je nachdem, wie tief man in der Grammatik geht, wie detailliert man die Beschreibung versucht, umso weniger klar bleibt der Zusammenhang. Für die tatsächliche und die intendierte Nutzung einer Grammatik wird man allerdings praktisch entscheiden, wie tief man gliedert und darstellt. Hier wird es auch einen natürliche Grenze geben, eine der Zeit und eine der Fassungskraft. 9 Au au 10 Terminologie Grundfragen | 0. Grammatik gilt meistens – im Gegensatz zur Lexik – als das Reich des Regulären. Wichtiges Mittel einer regulären Beschreibung ist eine trennscharfe Terminologie. Gemeinhin scheinen Nutzer davon auszugehen, dass es eine präzise und einheitliche Terminologie gibt oder zumindest geben sollte. Meist gerade die, die sie kennen. Ein terminologisches Grundgerüst etwa für die Wortarten wird seit Jahrhunderten überliefert. Für europäische Sprachen (und für andere) gibt es die lange Tradition der lateinischen Schulgrammatik mit ihren partes orationis, den Wortarten zum Beispiel. Im Zuge des Strukturalismus, in dem jede Sprache als ein System sui generis zu betrachten war, wurde klar, dass diese Terminologie bei weitem nicht auf alle Sprachen gleichermaßen zutrifft und sozusagen treffsicher die sprachlichen Phänomene darstellen ließe. Aber sie hatte doch den Vorteil, dass sie einerseits für Fremdsprachenlerner einen Wiedererkennungswert mitbrachte und andererseits auch Gleichartiges entdecken half. Wie weit und mit welchen Mitteln dann Detailfragen dran sein konnten, war eine spätere Frage. Wie wäre dieses Grundgerüst zu modifizieren, will man nicht völlig windschiefe Darstellungen produzieren? Üblich waren didaktische Modifikationen, aber auch solche aus theoretischen Gründen. Für schulische Zwecke waren für Verben etwa auch üblich „Tätigkeitswort“ oder „Tuwort“ sowie eine Reihe weiterer deutschtümelnder Termini für andere Wortarten. Darum glaubte im Jahr 1982 die Kultusministerkonferenz eine grammatische Terminologie für die Schule verordnen zu müssen, die von dieser Art Termini abging und nicht nur eine Vereinheitlichung anstrebte, sondern durchaus auch eine Art Internationalisierung. Der Erlass der KMK (http:// www2.unierfurt.de/ sprachwissenschaft/ Lehre&Studium/ d_gramm_Fachausdruecke.html) war auch als mäßigender Gegenschlag gedacht gegen eine theoretisch neu basierte Terminologie, die (im Zuge der Neuorientierung des Sprachunterrichts Ende der 60er Jahre) in Schulbüchern für den Primärsprachunterricht erprobt wurde. Diese Reform fiel alsbald diversen Eltern- und Medieninitiativen zum Opfer – und sie war wohl durchaus auch etwas theorielastig. Die Probleme grammatischer Termini können unterschiedlich sein: ► Sprechende Termini charakterisieren die Leistungen sprachlicher Einheiten falsch. ► Semantisch orientierte Termini erfassen die abstrakte Leistung grammatischer Phänomene nicht. ► Die Granularität der Terminologie ist unzureichend. ► Unterschiedlich funktionierende Phänomene werden durch einen Terminus in einen Topf geworfen. Letztlich bleiben die Fragen nach Inhalt, Aufbau und Terminologie immer Fragen nach der Nutzung und den Nutzern einer Grammatik: ► Wer soll die Grammatik nutzen? Wer sind die Adressaten? ► Zu welchem Zweck soll die Grammatik genutzt werden? 1.3 | Wer bin ich eigentlich? 11 Teil A: Wortstrukturen 1. Wort und Wortarten Wort und Satz sind die Grundeinheiten der Sprache. Das Wort ist ein Baustein für Sätze, das gleiche Wort kann in vielen Sätzen vorkommen. Das Wort ist definiert durch folgende Eigenschaften: ► Ein Wort ist selbständig; vor ihm und nach ihm kann man im Sprechen eine Pause machen. ► Ein Wort hat eine bestimmte Bedeutung; seine Bestandteile haben meistens keine selbständige Bedeutung. ► Ein Wort ist die Form, in der wir es zitieren, in der es im Wörterbuch steht. ► Ein Wort ist eine Einheit im Bewusstsein der Sprecher. Sie wissen, was als Grundbaustein zur Verfügung steht und wie man Wörter in Sätze einbauen kann. ► Ein Wort wird als orthographische Einheit geschrieben; vor und nach dem Wort machen wir Lücken. Was im Wörterbuch steht, ist nur die allgemeine Form eines Wortes. In einem Satz, einem Text kann ein Wort seine Form ändern; trotzdem bleibt es das gleiche Wort: Der Mantel und der Ring der Frau wurden von dem Ehegatten gefunden. Die ersten beiden Vorkommen von der gehören zum gleichen Wort, das dritte aber ist eine Form des Wortes die und das nachfolgende dem ist erstaunlicherweise wieder das Wort der, nur in anderer, abgewandelter Gestalt. Somit ist erst einmal wichtig zu unterscheiden zwischen Wort und Wortform und weiter zwischen der jeweiligen Wortform und ihrem Vorkommen im Text. Man spricht hier auch von Textwörtern, mit denen man etwa die Größe eines Textes angibt. Was ein Wort ist und was zwei sind, kann sich ändern. Wörter können zusammenwachsen, verschmelzen und sich trennen: ► Zusammenrückung: im Stande sein – imstande sein, vonstatten, vonnöten, womit, dadurch Dank sagen – danksagen, zu Liebe – zuliebe, zusammenschreiben, heimgehen ► Verschmelzung: in dem Ei – im Ei, in das Kino – ins Kino, zu der Oma – zur Oma, für das Ei – fürs Ei ich habe es – ich hab‘s, es geht – s‘geht ► Trennung: Wir wollen abfahren. – Wir fahren ab. Er ist damit reingefallen. – Rein gefallen ist er damit. – Rein ist er damit gefallen. Was gleich lautet, können doch zwei Wörter sein. In der gleichen Lautform können sich mehrere Wörter verstecken: ► Das war sein erster Laut. ► Sie waren sehr, sehr laut. ► Aber laut Presseberichten wird der Vertrag unterzeichnet. Wörter sind Bausteine. Aber nicht alle Wörter sind gleichartig, es gibt verschiedene Arten mit verschiedenen Funktionen für verschiedene Zwecke. Dem Deutschen werden meistens zehn Wortarten zugesprochen: Verb, Nomen, Adjektiv, Artikel, Pronomen, Adverb, Präposition, Partikel, Konjunktion/ Subjunktion, Interjektion. Was ist ein Wort? 12 Typologien Wort und Wortarten | 1. Jede Wortart hat ihre eigene grammatische Funktion und viele haben ihre eigene Flexion. Man kann die Wortarten ordnen nach ihren grammatischen Eigenschaften. Wortarten veränderlich konjugierbar deklinierbar Nomen unveränderlich graduierbar Adverb Pronomen Verb Ar kel Adjek v Konjunk on Interjek on Präposi on Par kel Auch nach ihrer inhaltlichen Leistung werden die Wortarten öfter eingeteilt. Wortarten bezeichnend verweisend verbindend kommen erend Verb Nomen Adjek v Pronomen Konjunk on Präposi on Adverb Par kel Adverb Noch spezifischer haben die einzelnen Hauptwortarten unterschiedliche Arbeitsgebiete: ► Verben bezeichnen Handlungen, Vorgänge und Zustände. ► Nomen bezeichnen Gegenstände, Personen und Lebewesen. ► Adjektive bezeichnen Eigenschaften und Merkmale. Eine etwas striktere Kategorisierung nutzt morphologische Kriterien, also die Flektierbarkeit von Wörtern. Das muss allerdings aufgefüllt werden mit weiteren, z. B. auch syntaktischen Merkmalen und ergibt dann ein Bild wie dieses. Wort nicht flek erbar flek erbar konjugierbar deklinierbar komparierbar nicht satzbildend kann allein Satzglied sein nicht komparierbar ar kelfähig nicht ar kelfähig kann allein kann nicht allein Satzglied sein Satzglied sein Verb Adjek v Substan v Pronomen Ar kel satzbildend kann nicht allein Satzglied sein verlangt einen Kasus verlangt keinen Kasus Adverb Präposi on Konjunk on Interjek on 1. | Wort und Wortarten 13 Reflexion Typologien sind Taxonomien. Sie arrangieren diverse Merkmale gestuft in einem verzweigenden Baum. Auf der untersten Ebene stehen hier die Wortarten. Die Verzweigungen sind in der Regel binär: Ein Merkmal gilt oder gilt nicht. Die Stufung ergibt eine Art kriteriales Geflecht. Eine gute Taxonomie für Wortarten sollte folgenden Bedingungen genügen: ► Jede Verzweigung sollte disjunkt und exhaustiv sein. ► Verzweigungen können binär (mit kontradiktorischen Merkmalen) oder skalar sein. ► Jeder Ausgang unten sollte mit genau einer Wortart besetzt sein. ► Jede Wortart sollte nur an einem Ausgang stehen. ► Kein Merkmal sollte auf verschiedenen Ebenen vorkommen. Taxonomie Unter diesen Aspekten sind die angeführten Bäume kritisch zu sehen. Die ersten beiden führen nicht zu eindeutigen Definitionen der Wortarten, weil die Ausgänge mehrfach besetzt sind oder auf mehreren Wegen erreichbar. Der dritte Baum erfüllt die Bedingung, er mischt allerdings einige Kriterien bei, die selbst definitorisch nicht so klar sind. Was zum Beispiel einen Satz bilden kann, was nicht, hängt wesentlich vom Satzbegriff ab. So erstaunt etwa, dass einzig Interjektionen satzbildend sein sollen. Werden auf einer Ebene verschiedene Kriterien gemischt, wird es schwer eine disjunkte Ordnung zu schaffen. Wie beurteilen Sie die folgende Subkategorisierung von Nomen? □ Dinge □ Lebewesen □ Pflanzen □ Eigennamen 1. Was gehört nicht auf die gleiche Ebene? Kreuzen Sie an. 2. Überlegen Sie: Würde die Trias Dinge, Lebewesen, Pflanzen alle gängigen ontologisierenden Kategorien umfassen? Wäre sie trennscharf? Gängige Wortartentypologien scheinen geprägt von der magischen Zahl „zehn“. Wundersamer Weise kommt die KMK-Empfehlung auch auf 10 Wortarten: Nomen, Substantiv, Artikel, Pronomen, Verb, Numerale, Adjektiv, Adverb, Präposition, Konjunktion (nebenordnend, unterordnend). Irritierend könnte dabei das Vorkommen von Numerale sein und die Art von Doppelnennung bei Nomen und Substantiv. Die wohl aufgelöst werden soll durch: „Substantive sind eine Untergruppe der Nomina“, ohne dass zu erkennen wäre, welche weiteren Untergruppen es hier gäbe. Später Kommentar eines nicht gerade reflektierten Linguisten: „Dieser korrekten Feststellung folgt in der Vorlage eine dem widersprechende Empfehlung zum Gebrauch von „Nomen“ statt „Substantiv“.“ Im Grund geht es nur um konfligierende Terminologien. Der kluge Linguist verficht jene traditionelle Terminologie, nach der es grob gesprochen nur Nomen und Verben gibt. Unter die Nomen fallen hier Substantive, Pronomen und Adjektive. Die entscheidende Frage: Ist in diesem System Nomen eine Wortart? Will man eine Hierarchie von Wortarten oder eine flache Struktur, in der alle Wortarten auf einer Ebene nebeneinander stehen? Die Grundfrage einer systematischen Gewinnung von Wortarten bleibt: Was sind die definierenden Kriterien? Üblich sind vor allem drei Typen: ► Semantische Definition ► Morphologische Definition ► Syntaktisch distributive Definition Konflikte 14 seman sch Wort und Wortarten | 1. Eine semantische Definition mag für Anfänger didaktisch interessant sein. Sie leidet aber an mehreren Schwächen. Die genannten Aufgaben der Wortarten sind nur die typischen Aufgaben. Das semantische Kriterium ist nicht durchzuhalten. So können Nomen auch Eigenschaften oder Handlungen bezeichnen wie Blau, Größe, Spiel usw. So soll zwei ein Numerale sein, Million aber nicht und ebenso wenig verdreifachen oder doppelt. Das semantische Kriterium ist auch sonst nicht exakt anwendbar. So soll spielen ein Verb sein, weil es eine Handlung bezeichnet. Aber auch Spiel kann eine Handlung bezeichnen, wird aber nicht als Verb geführt. Außerdem ist es äußerst diffizil, die semantischen Leistungen von Wortarten überhaupt zu fassen. Einerseits sind die Leistungen oft so abstrakt, dass keine Beschreibungssprache sie fassen kann. Beispielsweise wird ja nicht umsonst beim Verb gleich mehrerlei genannt. Und dann ist die Frage, ob und wie weit syntaktische Eigenschaften überhaupt semantisch ausgedeutet werden können. 3. Könnten Sie erklären, was „bezeichnend“ im zweiten Baum genau heißt oder was der Unterschied ist zwischen „verbindend“ und „verweisend“? Semantische Subkategorisierungen sind besonders heikel. Zur Abschreckung eine unbegründete, idiosynkratische Erfindung zu den Adjektiven (aus DUDEN: Schulgrammatik Deutsch): sensorisch qualifizierend (mit den Sinnen erfassbar) (bewertend) blau, rund, sauber, leise, rau rela onal (eine Zugehörigkeit ausdrückend) schön, ehrlich, klug, sport- europäisch, deutsch, lich, hoch christlich, moslemisch klassifizierend (eine Klasse/ einen Typ bezeichnend) schulisch, ärztlich, mi elalterlich Schüler werden wohl – eher wie ich – die plastischen Fremdwörter nicht verstehen und sich an die deutschen Erklärungen halten. Da könnten sie sich natürlich fragen, ob man denn nicht sehen könnte, was schön und hoch ist, oder ob schulisch nicht zur Schule gehört. Vielleicht würde sie sogar interessieren, warum die relationalen etwas ausdrücken und die klassifizierenden etwas bezeichnen. Trennscharf und exhaustiv ist diese Aufstellung gewiss nicht. Wohin gehört gewiss? morphologisch Die vorgeführte morphologische Typologie ist nicht rein flexivisch basiert. Das zeigt schon, dass keine derartige Typologie zu den gängigen Wortarten führen kann. Alle Wörter, die keine Flexion haben, würden damit in einen Topf gehören. Sollte ein Ausweg sein, die morphologische Ordnung mit syntaktischen Kriterien anzureichern? Dann wäre vielleicht eine rein syntaktische Typologie doch befriedigender, letztlich vor allem deshalb, weil in ihr die morphologischen Kriterien aufgingen. Formaler und detaillierter wären die morphologischen Eigenschaften für die flektierbaren Hauptkategorien etwa so aufzunehmen: N[num, kas], A[num, kas, gns], V[prs, num, tmp, mod], Determinierer D[num, kas, gns]. Verwendet werden die Subkategorien Numerus, Kasus, Genus, Person, Tempus, Modus. Lexeme, die mit entsprechenden Flexiven kombiniert werden können, gehören zur jeweiligen Kategorie. Die entsprechenden Flexivmengen definieren diese Kategorien allerdings nicht trennscharf: Determinierer und Adjektive werden in den gleichen Kategorien flektiert. Nomen erscheinen wie ein Sonderfall der Adjektive. (Das Genus ist keine Flexionskategorie des Nomens, es gehört zu seinen lexikalischen Eigenschaften.) Aber vor allem funktioniert dieses Verfahren nicht bei den morphologisch armen Lexemen wie Präpositionen, Konjunktionen und Adverbien. Hier werden dann syntaktisch distributionelle Kriterien verwendet: KON verknüpfen Wörter, Phrasen und Sätze, P stehen vor Nominalphrasen, regieren sie usw. 1. | Wort und Wortarten Eine rein flexivische Basierung müsste vieles in einen Topf werfen, eine semantische Basierung scheitert an der Abstraktheit und an der Unzulänglichkeit unserer Beschreibungssprache. Fundiert können Wortarten nur über ihre Rolle im Satz gewonnen werden. Ein erster Schritt: In Distributionsrahmen werden Wörter eingesetzt und geprüft, ob sie passen oder sich ausschließen. In einer reduzierten Version des distributionellen Ansatzes werden Substitutionsrahmen gegeben, die eine Zuordnung zu einer Wortklasse gestatten. Wenn Sie einsetzen in den Rahmen, sollten Sie Nomen gewinnen: Das . . . war gut. (Essen) Ich sehe den . . . (Freund) Sie sprachen von der . . . (Reise) Man muss nicht gerade böswillig sein, um zu sehen, dass in diese Rahmen so mancherlei passt, was wir intuitiv gern anderswo sähen, etwa: alles, nie, jetzt, gleichen, einen, selbe. Man müsste noch eine Menge Kautelen einführen. Dies bringt zweierlei ans Licht: 1. Es genügt nicht mit einem Vorbegriff Distributionen operational zu erproben. 2. Eine syntaktisch basierte Gewinnung wird wesentlich differenzierter und hierarchisch. Eine syntaktisch orientierte Bestimmung konstruiert Wortarten als syntaktische Kategorie. Eine syntaktische Kategorie ist eine Menge von Wörtern, die sich syntaktisch gleich verhalten. Die syntaktische Notation wird ein Netz von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zeigen. Das Kategoriennetz kann zeigen, dass etwa Nomen und Pronomen sich partiell gleich verhalten. So könnte man in einer eher allgemeinen Kategorie N subkategorisieren in N_sub, N_pro und weiter etwa in N_sub_en für Eigennamen und so weiter. Das Ganze könnte rein nach dem syntaktischen Verhalten weiterführen in N_sub_mass und N_sub_count für die Unterscheidung von Masse- und Zählnomen, die sich insbesondere den Artikel betreffend unterschiedlich verhalten. Für die Didaktik bleibt die Frage: Wie differenziert braucht man es? Wie tief soll die Kategorisierung gehen? Und vor allem: Wie ist die Kategorisierung begründet und kann man sie vermitteln? Didaktik Die didaktische Nutzung von Wortarten ist vielfältig. Darum wäre auch ein didaktischer Traum ein System wohldefinierter grammatischer Kategorien, ► das mit möglichst wenig Kategorien auskommt und ► damit aber alle Zeichen ohne Rest kategorisieren kann und ► zugleich das grammatische Verhalten dieser Zeichen hinreichend charakterisiert. Wortarten bestimmen gehört zum Grundbestand der Grammatiklehre. Wer sich moderner kommunikativer Sprachdidaktik verpflichtet fühlt, wird damit seine Schwierigkeiten haben, weil Wortartbestimmung schwerlich echt kommunikativ zu inszenieren ist. Das traditionelle Verfahren, in einem motivierenden Text die Wortarten farbig unterstreichen zu lassen, ist mittlerweile verpönt. Es instrumentalisiert den Text und wird ihm nicht gerecht. So werden Lerner eher demotiviert, sich mit Texten zu befassen und das Interesse an Grammatik schwindet im gleichen Zug. Auch die Abarbeitung von Wortlisten wird kaum kommunikativ gelingen, mag man die Wörter thematisch selegieren oder nett arrangieren. Sogar die wohlgemeinte Idee, mit einem kommunikativen Anlass zu beginnen, wird kaum echt kommunikativ. Lassen Sie Lerner einen Gegenstand oder eine Person beschreiben, so werden sie sicherlich viele Adjektive verwenden. Aber eben nicht nur Adjektive. Und wie Sie die Reflexion dann absichern durch Üben, ist nicht gewährleistet. 15 distribu v syntak sch 16 Wort und Wortarten | 1. über Sprache sprechen Wortarten bestimmen ist traditionell so etabliert, dass nicht häufig gefragt wird, wozu es gut sein soll. Ein Lernziel wäre sicherlich: Wortarten muss man kennen, wenn man über Sprache sprechen will. Und über Sprache sprechen ist Teil jeden bewussten und reflektierten Umgangs mit Kommunikation. In Stilfragen und Stilbeschreibung ist die Kenntnis von Wortarten unabdinglich. Ebenso wird man annehmen, dass im Fremdsprachenunterricht über Sprache geredet wird und dass vor allem grammatische Regelformulierungen immer von Wortarten Gebrauch machen. Mit dem Reden über Sprache wird der Grundstein gelegt für grammatisches Denken und Ansichten über Sprache überhaupt. So könnten Schüler lernen, Wort, die Bedeutung des Wortes und die Welt zu verwechseln, wenn sie folgende Redeweisen lernen (DUDEN: Schulgrammatik Deutsch): Unbestimmter Artikel wird verwendet, wenn in einem Text ein Substantiv noch unbekannt ist. Pronomen können ein schon bekanntes Substantiv ersetzen. Das Personalpronomen ich steht als Stellvertreter für die sprechende Person. Caveats Eine andere Fehlleitung könnte man darin sehen, wenn vermittelt wird, in der Grammatik sei alles fest geregelt und fein kategorisiert. Kategorisierungsbestreben kann Wörter zerreißen und vervielfältigen. So gehen die gemeinsamen Eigenschaften verloren, wenn man der, die, das dreifach kategorisiert als Artikel, als Demonstrativpronomen und als Relativpronomen. Andererseits wird auch Manches in einen Topf geworfen, besonders wenn die Differenzierung schwierig ist. Eher wie Kraut und Rüben geht es hier zu (nach DUDEN: Schulgrammatik Deutsch): Indefinitpronomen unbes mmte Numeralia einige, etliche, etwas, irgendjemand, jeder, jemand, kein, wenig, einige, andere, viele, ganz, zahllos, ein paar, man, mancher, mehrere, niemand mehr Dass ein Numerale sogar aus zwei Wörtern bestehen kann, ist doch misslich. Oder? Und wieso sind kein und niemand indefinit? 4. Erproben Sie: In welche Distributionsrahmen passen welche Wörter? Ich finde das _______ _______ _______ gut. Ich sehe _______ _______ _______ Wasser. Ich sehe _______ _______ _______ Menschen. einige, etwas, kein, wenig, ganz, mehr, alles Die Aufgabe 4 lässt erkennen, dass man eine tiefere Analyse braucht als bis zur Ebene der Wortform. Man muss die Wortformen weiter segmentieren, etwa in Lexem + Flexiv (= Flexionsendung). Wenn man die Flexive variiert, ergeben sich neue Möglichkeiten. 5. Was ermöglichen Analyse und Variation der Vorgaben in Aufgabe 4? Erproben Sie es.