Die Kompositionen für Laute von Johann Sebastian Bach

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Die Kompositionen für Laute von Johann Sebastian Bach.
Internationales Symposium an der
Hochschule für Künste in Bremen
09. bis 11.12. 2012
2010 wurde unser Mitglied Joachim Held zum Professor für Historische
Lauteninstrumente an die Hochschule für Künste in Bremen berufen. 2011 konnte
die DLG e.V. dann erstmals ihr Festival der Laute in Bremen durchführen (2013
findet es erneut). In diesem Jahr stand, neben einigen Diplomkonzerten aus der
Klasse von Joachim Held, das 1. Internationale Lautensymposium an der
Hochschule für Künste an. Vom 09. bis 11.11.2012 versammelten sich einschlägig
bekannte Wissenschaftler, Lautenisten und andere Instrumentalisten, um mit
fachkundigem Publikum sowie der Lautenklasse von Joachim Held und weiteren
Studierenden der Hochschule (insgesamt rund 60 Personen) den aktuellen
Wissensstand über die Lautenkompositionen von Johann Sebastian Bach, zu den
Übertragungen seiner Kompositionen auf die Laute aufzufächern, neue
Fragestellungen zu diesem Komplex zu entwickeln und die Musik auch erklingen zu
lassen. Abgerundet wurde das dichte, fast zu dichte Programm, von einer von Nigel
North am Abschlusstag angebotenen und überaus gut besuchten Meisterklasse.
Wie schon beim Festival der Laute in 2011 war offenkundig, dass Veranstaltungen
wie diese an der Hochschule für Künste Bremen sehr willkommen und damit auf
jeden Fall auch gut platziert sind: dies reichte von einem Vorwort von Professor Dr.
Herbert Grüner, Rektor der Hochschule, in der ansprechend und in jeder Hinsicht
professionell
im
Nachbarfachbereich
(Kunst
und
Design)
gestalteten
Programmbroschüre über die Eröffnung des Symposiums durch Prof. Martin
Classen (Konrektor), den inspirierenden Vortrag von Prof. Dr. Greta Haenen
(„Instrumententypen und Spielbarkeit: Bachs Solomusik für Streichinstrumente“), den
ebenfalls die Interdisziplinarität des Symposiums unterstreichenden Vortrag von
Viola de Hoog („BWV 995 aus cellistischer Sicht“), die gesamte organisatorische
Vorbereitung und Assistenz durch das Künstlerische Betriebsbüro des Fachbereichs
(namentlich: Frau Anna-Julia Perini) und technische Unterstützung der
Veranstaltung durch Studierende bis hin dazu, dass die Mensa der Hochschule für
die Teilnehmer des Symposiums am Samstag geöffnet war.
In seinem Eröffnungsreferat führte Joachim Held aus der Perspektive des
„praktizierenden Musikers“ allgemein in die Thematik ein (Diskussionsstand über die
Belastbarkeit der Zuordnung der Bachschen Werke für Laute) und begründete,
warum aus seiner Sicht als Kompositionen für die Laute lediglich BWV 995 (g-moll),
998 (Es-Dur), 999 (c-moll) und 1006a (E-Dur) angesehen werden können, eingedenk
dessen, dass auch Kompositionen anderen Komponisten selbst für ein dezidiert
ausgewiesenes Instrument als „unspielbar“ gelten und Bachsche Werke auch für
andere Instrumente durchaus ihre Tücken haben.
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Aber auch für die Kompositionen, die Joachim Helds Auffassung nach zu dem
engen Kreis der Kompositionen für Laute gehören, nämlich BWV 995, 998, 999 und
1006a bemerkte er, dass „Bach wusste was er tat“. Auch wenn dies
selbstverständlich erscheint, so erwecken doch einige Kritiken den Eindruck, dass
Bach aufgrund mangelnder Kenntnis der Laute unspielbare Kompositionen
geschrieben hätte. Wichtig war Joachim Held, dass für die praktische Umsetzung
dieser Werke kaum Eingriffe nötig sind. Sie zeigen einen Komponisten, der sehr wohl
die Möglichkeiten und Grenzen des Instruments Laute kannte Die Stimmung kann im
Wesentlichen beibehalten werden, lediglich bei BWV 998 sollte die 6. Saite nach As
gestimmt werden. Für BWV 995 sollte man eine 14-chörige Laute benutzen, mit
tiefem G. Für BWV 1006a bietet die Transposition nach F-Dur eine Möglichkeit, aber
mit der Skordatur A H C# D# E F# G# A c’ e a c#’ e (bekannt aus einem
tschechischen Manuskirpt aus dem Jahr 1712) ist es sehr gut in der Originaltonart
spielbar.
Diese Positionierung wurde von Andreas Schlegel (CH) unter der Überschrift „Die
französische Barocklautentechnik als Basis für spätere Spieltechniken und die
Dynamik der Instrumentenentwicklung im 18. Jahrhundert“ sogleich aufgegriffen:
Skordaturen sind für die Laute nichts Ungewöhnliches, und ein 14- (1724) bzw. sogar
ein 15-chöriges Instrument (Jonas Elg, Stockholm 1729) sind zeitgenössisch verbrieft
(ab ca. 1720 begann der Bau von Lauten nach individuellen Vorstellungen).
Skordaturen und instrumentechnische Voraussetzungen können also nach heutigem
Wissensstand nicht als prinzipieller Maßstab zum Ausschluss von Bachschen
Kompositionen aus seinem als solchem angesehenen Lautenwerk geltend gemacht
werden.
Dass auch andere Instrumententypen aus der Lautenfamilie bei der Umsetzung
Bachscher Werke zum Einsatz kamen (und kommen), obwohl sie auch ein eigenes
Repertoire haben, belegte Dr. Pietro Prosser (I) für Mandora und Galichon.
Michael Freimuth (D) demonstrierte theoretisch wie praktisch die Anpassung
(Skordatur) seines 13-chörigen Instruments zur Realisierung von BWV 996 in e-mollStimmung. Sein Ausgangspunkt: kein Transponieren in eine Tonart, die auf der
Barocklaute ohne umfängliche Skordaturen in der Hand liegt, sondern Finden einer
Stimmung, die das Stück auf der Laute in der Originaltonart (hier: e-moll) umsetzbar
macht. Als geeignet hat sich die Stimmung C D D# E F# A c e a c’ e’ herausgestellt,
die über das „Stockmann Manuskript“ auch historisch verbürgt ist. Die praktische
Umsetzung auf der Laute setzt allerdings trotz der Skordatur einen überaus
versierten Spieler voraus, damit BWV 996 dann auch mit der spezifischen Idiomatik
einer Laute erklingen kann. Dies fiel Michael Freimuth leicht, wobei ich zwei
unterschiedliche Eindrücke zur Musik hatte: mit geschlossenen Augen nahm ich
Musik als wie für die Laute geschrieben wahr, mit geöffneten Augen sah ich dann,
welcher Griffe es trotz der Skordatur bedurfte, um die Stücke auch in der einer Laute
spezifischen Sprache erklingen zu lassen.
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Dr. Greta Haenen (D/B), Professorin für Musikwissenschaft mit dem Schwerpunkt
Alte Musik im Fachbereich Musik an der Hochschule für Künste in Bremen,
erweiterte mit ihrer erfrischenden Art den Blickwinkel auf die Thematik durch drei
grundsätzliche, über zahlreiche Beispielen belegte Aussagen: a) Bach schrieb für
Geiger hinsichtlich der technischen Anforderungen an die Fertigkeiten bei
Beherrschung des Instruments „state of the art“; und die war sehr hoch. So wird es
auch bei anderen Instrumenten sein; b) Scordaturen finden sich zumindest bei der
Violine vornehmlich in den südlichen Gebieten des Kaiserreiches; c) Bach hat nie
gegen ein Instrument und dessen Möglichkeiten geschrieben. Angesichts der
fortgeschrittenen Zeit konnten die Thesen von Greta Haenen nicht mehr im Plenum
diskutiert werden, dafür dann aber zu späterer Stunde mit Vehemenz in kleineren
Gruppen. Hieraus seien nur zwei Erwägungen aufgegriffen: Scordaturen waren bei
Lautenspielern u.a. auch im Norden des Kaiserreiches (als geografischer
Ausgangspunkt) geläufig (z.B. Reusner d.J.), das Umstimmen der Bässe zur
Anpassung an die jeweilige Tonart ist ohnehin der Normalfall; Bach mag nicht gegen
das Instrument, aber als große technische Voraussetzung, als Provokation für ihm
bekannte Lautenisten komponiert haben.
Zur Einstimmung des Tages sowie zur musikalischen Einleitung des Vortrags von
Viola de Hoog (NL/D), Lehrbeauftragte für Barockcello an der Akademie für Alte
Musik an der Hochschule für Künste in Bremen mit Unterrichtstätigkeit auch am
Conservatorium von Amsterdam und dem Utrechter Conservatorium, spielte
Joachim Held mit hoher Intensität die g-moll-Suite BWV 995. Es ist weiterhin nicht
geklärt, ob die Suite g-moll eine Bearbeitung der Suite Nr. 5 für Violoncello solo
(einzige französische Suite als Solokomposition für Cello) ist oder beide auf eine
gemeinsamen Urfassung zurückgehen. Durch Vortrag und Spiel machte Viola de
Hoog deutlich, wie sehr sich Cello und Laute von der Idiomatik her voneinander
unterscheiden. Sehr pointiert warf sie die Frage auf, warum Bach, der Meister der
Harmonie und Polyphonie, für das zu seiner Zeit noch sehr junge Solo-Instrument
„Cello“, das von der Ansprache her ein eher langsames Instrument ist und vom Spiel
her in Melodien gedacht wird, gleich 6 Suiten geschrieben hat.
Dies könnte in Verbindung damit gesehen werden, dass im Bachschen Haushalt eine
Vielzahl an Musikern ein- und ausging und, wie Viola de Hoog es formulierte: „die
Musik gespielt wurde, auf was für Instrumente auch immer gerade im Bachschen
Haushalt verfügbar waren.“ Das kann prinzipiell auch für die Laute gelten: Silvius
Leopold Weiss und sein Schüler Johann Kropfganss dürften nicht die einzigen
Lautenisten gewesen sein, mit denen Bach bekannt war. Und: im Nachlass von Bach
befand sich eine Laute. Mit einem deutlichen Augenzwinkern zitierte Viola de Hoog
zum Abschluss ihres Vortrages Frank Zappa (oder ist es von Alan Watts?): „Über
Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen“ und gab dem Auditorium auch
noch mit auf den Weg, die 3. Dimension bewusster wahrzunehmen: die
Ergänzungen, die Spieler und Zuhörer bei Präsentation von Musik vornehmen.
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Jerzy Zak (Pl) hatte in den Mittelpunkt seiner Ausführungen die Sonata/Suite in ADur BWV 1025 gestellt. Dieses Werk basiert auf einer Komposition für Laute solo von
S. L. Weiss, ergänzt um einen unabhängigen Part für die Violine von J.S. Bach und
einen komplett neuen Satz. So erscheint das Werk als kammermusikalisches Trio mit
obligater Laute. Ob Weiss und Bach für dieses Werk unmittelbar zusammen
gearbeitet haben oder sich Bach lediglich der Kompositionen von Weiss als Material
bedient hat, ist nicht bekannt. Für die Lautenisten und auf die Laute spezialisierte
Musikwissenschaftler dürfte ein anderer Teil des Vortrags von Jerzy Zak möglicher
Weise noch größere Bedeutung gehabt haben als die eigentlich im Mittelpunkt
stehende Sonata/Suite A-Dur BWV 1025: sein breit angelegter Überblick zur
Entwicklung der Formen des Lautenkonzertes und dessen Komponisten.
Hatte Viola de Hoog u.a. sensibilisieren wollen für das, was beim Hören von Musik
als nicht gespielt und dennoch wahrgenommen, weil ergänzt wird, ging es dem
Gitarristen Tilmann Hoppstock (D) vor allem um die Frage, wie die
kontrapunktische Kompositionsweise unter Berücksichtigung der Ansprache des
Instruments tatsächlich umgesetzt wird. Launig und präzise in der Darstellung hatte
er sich dafür BWV 998 (Präludium, Fuge, Allegro; Es-Dur) vorgenommen. Wie
wichtig allgemein das Tempo bei der Umsetzung eines Notentextes ist, fasste
Hoppstock so: „Bei machen Instrumentalisten merkt man einfach nicht, in welche
Richtung es denn überhaupt gehen soll!“
Im Mittagskonzert boten James Holland (AUS/F; Praeludium, Fuge, Allegro BWV
998) und anschließend Anna Kowalska (Rus/Pl; BWV 1006a transponiert nach FDur) die Möglichkeit, Bachs Musik auf der Laute vor dem Hintergrund der von den
Referentinnen und Referenten gegebenen Impulse aufzunehmen. Anna Kowalska
beeindruckte dabei wieder durch ihr gerade bei schnellen Läufen sehr präzises Spiel.
Mit neuen Aspekten zu möglichen Absichten Bachs bei seinen Kompositionen für
Laute unter Bezugnahme auf andere Bachsche Kompositionen wartete David
Ledbetter (GB) in temporeichem, mit einer Vielzahl an Beispielen versehenen
Vortrag auf. U.a. trug er vor, dass seines Erachtens nach BWV 996 ganz sicher, sich
auch von allen anderen Kompositionen für Tasteninstrumente unterscheidend, für
das immer noch nicht überzeugend rekonstruierte „Lautenwerk“ geschrieben worden
sei, nicht aber für die Laute.
Eine sich aus der Diskussion zum Vortrag ergebende Hypothese von David
Ledbetter wurde in der Kaffeepause intensiv aufgegriffen und in Beziehung zu den
Aussagen von Andreas Schlegel über die vermutlich weit größer als bis heute
bekannt und angenommene Variationsbreite an Lauteninstrumenten gesetzt: wählte
Bach für die Suite g-moll (BWV 995) das G als tiefsten, die Tonart bestimmenden
Leitton, weil es sich um den tiefsten Ton des Instruments handelte, auf dem er das
Stück komponierte (vielleicht das „Lautenwerk“), und eigentlich damit nur die
Vorgabe gemacht wird, die Wahl der Tonart bei Spiel auf einem anderen Instrument
über dessen tiefsten Ton zu bestimmen?
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Prof. Dr. Hans-Joachim Schulze (D) griff in seinem Vortrag „Bach – Bild und
Lautenspiel – Anmerkungen über das Selbstverständliche“ neben grundsätzlichen
Fragestellungen nach hinreichenden Gründe für die Zuordnung der sieben Werke
zum Lautenwerk Johann Sebastian Bachs (mit der Differenzierung „für die Laute“
und das „Lautenwerk“) auch eine Reihe von an der Praxis orientierten Fragen auf.
So: warum sollte Bach, ein Virtuose auf den Tasteninstrumenten, ein guter Geiger,
sich auf der komplizierten Laute mit vermutlich mittelmäßigen Ergebnissen versucht
haben? Grundsätzlich plädierte er dafür, die aus seiner Sicht tatsächlich dem
Lautenwerk zuzuordnenden Stücke (auf keinen Fall zur Laute dazugehörend: BWV
996, denn bei diesem Stück lägen zu viele Stimmen in tiefer Lage auf der Laute
nebeneinander) und in ihrer jeweiligen Tonart zu belassen, auch sehr schwierige
Stellen spieltechnisch zu lösen und bei der Umsetzung ggf. im Text zu ändern, nicht
aber zu transponieren. Schulze vertrat zudem die Position, es sei von der Systematik
her sinnvoll, bei einer Neuauflage oder Revision der Bach-Gesamtausgabe die
Lautenstücke in Band 6 „Kammermusik“ zusammen als Stücke für die Laute
auszuweisen und sie nicht mehr wie bislang in der Sammlung Bd. 5 „Klavier- und
Lautenwerke“ zu führen.
Mit seinem Vortrag „Lute Song in Leipzig during the early Enlightement“ blätterte Tim
Crawford (GB) einen Strauß musikalischer Präferenzen im bürgerlich-intellektuellen
Umfeld Leipzigs zwischen 1730 und 1760 auf. Ein Novum dürfte für viele nicht
Lauten-Interessierte sein, dass Stücke aus der „Bauernkantate“ (originale
Bezeichnung von Bach: Cantate burlesque, BWV 212), in denen Bach populäre
Tanzformen wie volkstümliche Melodien aufgriff, die am häufigsten von anderen für
die Laute intabulierten Werke Bachs sind. Sicherlich auch ein Indikator dafür, dass
Bachsche Musik in ihrer Zeit von ihrem Unterhaltungswert her wahrgenommen und
verarbeitet wurde. Dass eben musikalische Unterhaltung, bei der populäre Musik der
Zeit (auch neu komponierte) gesungen zu Instrumentalbegleitung einen Markt hatte,
verdeutlichte Tim Crawford an Publikationen wie „Singende Muse an der Pleiße in
zwei mahl 50 Oden, der neuesten und besten musicalischen Stücke mit der darzu
gehörigen Melodien zu beliebter Clavier-Übung und Gemüths-Ergötzung nebst einem
Anhange aus J.C. Günthers Gedichten“ von Sperontes (= Johann Sigismund
Scholze), die vierteilige „Sammlung verschiedener und auserlesener Oden zu
welchen von den berühmtesten Meistern in der Music eigene Melodeyen
verfertigt worden, besorgt und herausgegeben von einem Liebhaber der Music
und Poesie“ von Johann Friedrich Gräfe sowie „Herrn Professor Gellerts (Christian
Fürchtegott Gellert) Geistliche Oden und Lieder, später u.a. auch von Carl Philipp
Emanuel Bach vertont und erschienen als "Herrn Professor Gellerts geistliche Oden
und Lieder mit Melodien von Carl Philipp Emmanuel Bach" (1758), hier aber
besonders relevant als „Herrn Prof. Gellerts Oden, Lieder und Fabeln: nebst
verschiedenen französischen und italienischen Liedern: für die Laute übersetzt von
Johann Christian Beyer (1760).
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Anhand einer Vielzahl an optisch wie akustisch dargebotener Beispiele sensibilisierte
Ralf Jarchow (D) für Themenmotiven in den Lautenwerken BWV 995 – 998, die
entweder von Bach auch anderweitig verwendet worden waren bzw. wurden, aber
auch – sei es Zufall oder Absicht – von anderen Komponisten bereits vor Bach oder
nach ihm verwendet wurden. Themen- und Motivkonkordanzen als möglicher
Ansatzpunkt zur Auffächerung der Interpretationen der Lautenwerke war der
übergreifende Ansatz des Vortrages. Dass Bach bei seinen oratorischen Werken
vornehmlich deklamatorisch gearbeitet hat (die Musik unterstreicht das Wort), war
Anlass für Ralf Jarchow, einen möglichen Interpretationshinweis zur praktischen
Umsetzung in den Worten in Oratorien zu verwandten Motiven im Lautenwerk
auszumachen. Im Hinblick auf die Bachschen Parodien im eigenen Werk muss
dieser Ansatz allerdings noch dahingehend erweitert werden, ob zum Motiv oder
Thema gewählte Worte jeweils den identischen Sinngehalt oder identischen
Gefühlsausdruck aufweisen, so eine Anregung aus der Diskussion des Vortrags.
Beim internationalen Festival der Laute in Bremen 2011 hatte sich der Ton der Laute
von Anthony Bailes im Kirchenschiff der „Kirche unserer lieben Frauen“ im Zentrum
der bremischen Altstadt etwas verloren. Dies mag Grund dafür gewesen sein, das
Konzert von Nigel North (USA) in den Christopherussaal, praktisch in den ersten
Stock der Kirche, gelegt zu haben. Hierhin strömten die Besucher bereits eine
Stunde vor Konzertbeginn. Um 19:30 Uhr gab es schon keinen regulären Sitzplatz
mehr, von da an wurde improvisiert! Obwohl der Saal mit über 200 Besuchern
deutlich überfüllt war, reichte schon ein von Nigel North angedeutetes Nachstimmen
seines Instruments, um volle Aufmerksamkeit vom Publikum zu erhalten: hier gab es
kein Hüsteln, kein Geknitter mit Bonbonpapier, kein Winken zu Bekannten und
Freunden (Kompliment an das Bremer Publikum an diesem Abend!). Dieser Respekt
vor dem auftretenden Künstler war in jeder Hinsicht angebracht: mit den Suiten in
Bb-Dur (nach BWV 1010) und der Sonata in g-moll (nach BWV 1001) von J.S. Bach
und der Sonata c-moll und f-moll von Silvius Leopold Weiss holte Nigel North
musikalisch das Publikum dort ab, wo Joachim Held es am Morgen richtungweisend
mit seiner Interpretation der g-moll-Suite BWV 995 auf den Weg gebracht hatte: mit
absolut sanglicher Umsetzung der Stücke. Mit lang anhaltendem Applaus konnte
noch eine Zugabe erklatscht werden: die Sarabande aus der g-moll-Suite BWV 995.
Dem Vortrag von Nigel North am Sonntagmorgen „What was a real lute style c.
1730, and how does this influence a lutenists approach to playing Bach“ wäre
aufgrund der vielen praktischen Beispiele, die auf der Laute erklangen, und des
didaktischen Geschicks auch von Nicht-Lautenisten zu folgen gewesen. So erlebten
dann (leider nur, so muss ich an dieser Stelle schreiben), die Teilnehmer des
Symposiums und die Referentinnen und Referenten eine Privatstunde auf der Laute
und über die Interpretation von Lautenmusik: welche Auswirkungen hat die bei
Übertragung von regulärer Notation auf Lautentabulatur gewählte Griffweise auf die
Interpretation? Wie kann Bach lautenspezifisch erklingen? Wie kann man die
Weiss’sche Weise „cantabile“ (das Instrument zum Singen zu bringen) anwenden,
um Bach zu spielen? Was kann der Daumen, was muss er leisten? Wie passe ich
Akkorde, die für ein 4-saitiges Instrument geschrieben sind, den Möglichkeiten der
Laute an?
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Und immer wieder die Frage nach den „slurs“, den Verbindungen, den Bögen, den
Betonungen. Fragen und Themen wie diese wurden dann in der sehr gut
nachgefragten Meisterklasse mit Nigel North am Nachmittag vertiefend aufgegriffen.
In der abschließenden Diskussion sprach Andreas Schlegel ein insbesondere alle
wissenschaftlich auf dem Gebiet der Laute Arbeitenden und an den Ergebnissen
Interessierte an: das Sammeln und Ordnen von Wissen, das Verfügbarmachen von
Informationen. Dies ist aus meiner Sicht ganz gewiss ein Thema, dessen sich die
DLG e.V. möglichst rasch und unter praktisch-pragmatischen Gesichtspunkten
annehmen könnte und sollte.
Eine Zusammenfassung aller Thesen, Überlegungen, Anregungen, neuen Ansätzen
war angesichts der Fülle (auch vorstehend ist nur ein Bruchteil notiert) nicht möglich.
So blieben Joachim Held als Veranstalter vor allem der Dank an alle Mitwirkenden
vor und hinter den Kulissen und der Ausblick auf die Vorbereitung eines Symposiums
dieser Art mit dem Schwerpunkt Lautenmusik im Herzogtum Schlesien und
Königreich Böhmen (voraussichtlich 2015, wieder an der Hochschule für Künste in
Bremen).
Aus meiner Sicht, und so habe ich auch erste Rückkoppelungen während und
unmittelbar nach dem Symposium wahrgenommen, ist der von Joachim Held
gewählte Ansatz, das erste Symposium dieser Art nach Aufnahme seiner
Lehrtätigkeit in Bremen hochkarätig zu besetzen, interdisziplinär anzulegen und
international auszurichten, Theoretiker wie Praktiker einbeziehend, mit einer
Meisterklasse auch auf der praktischen Ebene eine Fortbildungsmöglichkeit sowie
mit
dem
Konzert
einer
hervorragenden,
international
bekannten
Musikerpersönlichkeit auch gegenüber der musikinteressierten Öffentlichkeit in
Bremen ein Fenster offen zu halten, gelungen. Ganz sicher dazu beigetragen hat,
dass die Hochschule als Institution, Mitglieder des Lehrkörpers als auch die
Studierenden die Veranstaltung wahrnehmbar mitgetragen haben.
Michael Treder
Fotos: Albert Reyerman, Simon Linné (nur im Originalbeitrag)
Zuerst erschienen in: Lauten-Info der DLG e.V. 04/2012, S. 16 ff.
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