V. Zurück ins weltliche Leben

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Meister Wonhyo
Ein Überblick über sein Leben und Lehren
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© 2014 Diamant Sutra Rezitationsgruppe
Alle Rechte vorbehalten.
Autor: Jeong, Byeong-Jo
Herausgegeben und veröffentlicht vom
Koreanischen Geistes- und Kulturförderungsprojekt
http://www.kscpp.net
Gedruckt und gebunden von
Samjung Munhwasa
Chungjeong-ro 37-18, Seodaemun, Seoul
Gedruckt in der Republik Korea
ISBN: 978-0-9849482-1-5
Kontakt
Jung-Ja Holm
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Telefon +49(0)8191/70618
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Inhalt
I. Vorwort…………………………………………………………...........7
II. Historischer Hintergrund…………………………………………..........11
III. Wonhyos früheres Leben…………………………………….................13
1. Kastanien-Tal……………………………………………..................13
2. Verfolgung des spirituellen Pfads……………………………….......14
IV. Aufforderung zum Auslandsstudium…………………..…...............…17
1. Wonhyo und Uisang………………………………….....……….…..17
2. Eine Reise nach Tang-China………………………….....................20
3. Wasser trinken aus einem Schädel……………………………......….21
V. Zurück ins weltliche Leben………………………................………..…26
1. Leben mit den Leuten……………………………….......……….…...26
2. Eine Begegnung mit PrinzessinYosok…………..…...........................28
3. Prinzessin Yosok und Solchong…………………………..….............32
4. Der Laie Sosong……………………………………….……..............35
VI. Anekdoten aus dem Leben Wonhyos…………………………...............37
1. Oeosa Tempel („Mein Fisch“ Tempel)……………………….....….37
2. Meister Tae-an und die jungen Waschbären………...…………….…38
3. Rettung von tausend Mönchen vor dem Tod………………….…......39
4. Blumenornament-Gebiet………………………………...…...............41
5. Kwangdok und Omjang…………………………………..….............44
6. Wonhyo lehnt eine Opfergabe vom Himmel ab……………………...46
7. Meisterwerk Master Wonhyos: Exposition des Vajrasamadhi Sutra...47
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VII. Folgen dem Pfad Buddhas………………….…………........................52
1. Ein Leuchtturm, der ewig leuchtet……………......………..……….52
2. Die Ästhetik eines Alles-Ein-Gesites………….........…..………......54
3. Die Logik und die moralischen Grundsätze von Hwajaeng.……......57
4. Die Philosophie von Ilche-Muae........................................................61
5. Das Zerbrechen des Schreibpinsels…….......……....…….................62
VIII. Die heutige Bedeutung von Wonhyos Denken……………….............65
1. Wonhyos Geist, ewige Gegenwart……………………………….....65
2. Wonhyos Buddhistische Philosophie…………………………….....67
(1) Hwajang (harmonisierende Streitkultur)……………………......67
(2) Ilsim (Alles-Ein-Geist)………………………….........................68
(3) Muae (kein Hindernis)…………………….................................70
(4) Das Reine Land……………………………................................71
3. Wonhyos Lektionen für unsere Zeit………………...........................72
IX. Das Niederlegen seines Stifts…………………………………...............74
Anhang
Auszüge aus Wonhyos Schriften………………….………….....................76
Das Erwecken von Glaube und Praxis……………………………………..80
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Zeittafel der koreanischen Geschichte
8000 ~ 2000 v. Chr.
Neusteinzeit
2333 v. Chr.~ 108 n. Chr.
Alte Choson Dynastie. Das erste Königreich Koreas
57 v. Chr. ~ 668 n. Chr.
Periode der drei Königreiche: Koguryo, Paekche und Silla
668
Drei Königreiche, vereinigt unter Silla
918 ~ 1392
Koryo Dynastie
1392 ~ 1910
Choson Dynastie
1919 ~ 1945
Japanische Besatzung
1948
Teilung Koreas in Nord (DPRK) und Süd (ROK)
1950 ~ 1953
Koreakrieg
1986
Südkorea als Gastgeber der Asienspiele in Seoul
1988
Südkorea als Gastgeber der Olympischen Sommerspiele in Seoul
1995
Südkorea wird Mitglied der OECD
2002
Südkorea und Japan sind Gastgeber des 2002 FIFA Worldcups
2005
Südkorea als Gastgeber von APEC Gipfeltreffen in Busan
2010
Südkorea als Gastgeber von G20 Gipfeltreffen in Seoul
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I. Vorwort
Die Menschheit im 21. Jahrhundert bewegt sich auf einem beispiellosen
Niveau materiellen Wohlstand und Perfektion. Dabei verschlechterte sich die
persönliche als auch kollektive Ethik. Auf der zielstrebigen Jagd nach
Bequemlichkeit und Rationalismus finden wir uns in einer Welt wieder, in der
alles komfortabel und standardisiert ist. So wie weltweit ungleich verteilter
Reichtum und diplomatische Spannungen eskalieren, wächst auch die
Feindschaft zwischen den großen Religionsgemeinschaften und den kleineren
Schulen (Sekten). Inmitten dieser turbulenten Zeiten wenden wir uns dem Leben
und der Philosophie Meister Wonhyos zu.
Der Buddhismus wurde im Silla-Königreich (57 v. Chr.-935 n. Chr.) im
frühen 6. Jahrhundert eingeführt. Das Silla-Königreich war das letzte der drei
antiken Königreiche Koreas, das erstmals die neue Lehre des Buddhismus
einführte. Anfänglich begegnete die Öffentlichkeit dem Buddhismus aufgrund
der Komplexität seiner Glaubenslehre und der Fremdheit seiner Brauchtümer
(religiöse Zeremonie) mit tiefem Misstrauen. Allerdings zeigten die
aufeinanderfolgenden Könige vom Silla-Königreich ein zunehmendes Interesse
an Praxis und Studium der neuen Religion und unterstützten die weitere
Verbreitung als Mittel zur Vereinigung des Landes. Als Resultat begann
allmählich der Buddhismus in die Herzen der Menschen von Silla, zu gelangen.
Die früheren Wegbreiter waren Ichadon, Ado, Wongwang und Chajang. Danach
sollen Wonhyo und Uisang ein solides Fundament des Buddhismus in Korea
8
gelegt haben.
Unter diesen Männern wird Wonhyo (617-686) als der wichtigste angesehen.
Sein Einfluss ging weit über Korea hinaus, und er wird in Ostasien
hochgeschätzt. Zu Lebzeiten analysierte er zehn der kontroversesten Streitfragen
unter den buddhistischen Richtungen der damaligen Zeit und vereinigte die
unterschiedlichen Glaubensrichtungen zu einem sogenannten „Ein-FahrzeugBuddhismus“. Seitdem tendiert der koreanische Buddhismus eher zur Integration
als zur Zersplitterung.
Wonhyo war einer der großen Intellektuellen in der Geschichte. Zu Lebzeiten
häufte er eine bemerkenswerte Menge an Wissen an. Er lebte über die Grenzen
von Obrigkeiten und Klassen hinaus, indem er ein Leben ohne Hindernisse
(muae) führte, mit der Realität im Einklang. Er versuchte nicht, zwischen
geistlichen und weltlichen Dingen zu unterscheiden und fühlte sich mit
gewöhnlichen Menschen verbunden. Auch genoss er Musik und Tanz. Dies ist
einer der Gründe, warum er weiterhin Einfluss gewann und ihm Respekt
entgegen gebracht wurde, vergleichbar mit berühmten Künstlern der heutigen
Zeit.
Auf dem Porträt Wonhyos, das im Koujanji-Tempel in Kyoto, Japan,
aufbewahrt ist, ist eher ein feuriger junger Krieger als ein sittlicher Gelehrter
oder ein idealisierter buddhistischer Mönch zu erkennen. Man sagt, dass seine
Taten und Worte manchmal absolut unsittlich waren, weil er gängige Normen
übertrat. Aufgrund seines ungewöhnlichen Aussehens und Verhaltens können
wir darauf schließen, dass sein Leben nicht unmoralisch im herkömmlichen
Sinne war, sondern er sich lediglich über etablierte Grenzen hinweg setzte. So
bergen die Geschichten über sein Leben immer wieder Überraschungen. Er
verkörpert eher eine Person aus einem unbekannten zukünftigen Zeitalter, als
eine der Vergangenheit.
Es wird angenommen, dass Wonhyo 100 Werke geschrieben hat, bestehend
aus insgesamt 240 Bänden (einige Quellen sprechen von 85 Werken und 181
Bänden). Obwohl die Originale dieser Arbeiten nicht mehr erhalten sind,
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existieren schriftliche Kopien und Holzdruck-Kopien der Hauptwerke. Sie
gewähren einen wertvollen Einblick in seine Philosophie. Wonhyos Werke
stellen einen Höhepunkt in der Tradition des Mahayana-Buddhismus Ostasien
dar. Diese umfassen alle Varianten des indischen Buddhismus, die China, Korea
und Japan erreichten. Sie folgen damit der Gründung des früheren Buddhismus,
nach dem Shakyamuni Buddha ins Nirvana eingetreten war.
Nach einigen Hundert Jahren verringerte sich die Anzahl der grundlegenden
Richtungen der Schulen, die sich nach der Lehre des Shakyamuni-Buddhas
entfalteten. Es gab z. B. Schulen, die Lehrmeinungen wie Mittlerer-Weg,
Bewusstseinslehre (唯識,Yousik Sasang) und Hwaoem Lehre (Lehre von
Erwachen Buddhas) vertraten. Als dieses vielfältige Gedankengut über
verschiedene Wege und zu unterschiedlichen Epochen nach China kam, bildeten
sich viele unterschiedliche Sekten (Schulen). Dabei waren Streitigkeiten und
Rivalitäten häufiger geworden. Obwohl Wonhyo niemals im Ausland studiert
hatte, beherrschte er schließlich die verschiedenen buddhistischen
Glaubensrichtungen in den umliegenden Ländern. Er konnte sich diesen mit
einer gewissen Objektivität annähern. Schließlich beeinflussten seine eigenen
Ideen stark die Nachbarländer, vor allem China und Japan.
Wie wir aus seiner Lebensweise erfahren, gehörte Wonhyo nie einer
bestimmten Glaubensrichtung an. In seinen Schriften spüren wir ein Bestreben,
sich von der individuellen Subjektivität zu befreien, ein zentrales Thema in der
modernen Philosophie. Ein Denker, der über die reine Theorie hinaus geht und
seine Technik in die Praxis umsetzt, kann uns in der heutigen Zeit Vieles geben.
Wonhyo wurde von den Wissenschaftlern seiner Zeit viel kritisiert. Dennoch
ist er in der 2000-jährigen buddhistischen Geschichte Koreas unerreicht, nicht
nur wegen seiner tiefgründigen Lehre und seiner Überzeugungen, sondern auch
wegen seines bemerkenswerten Lebensstils. Dieser ist ein lebendiges Zeugnis
seines Glaubens. Obwohl in verschiedenen Schulen des Denkens bewandert,
überstieg er den konfessionsgebundenen Formalismus, der an eine bestimmte
Doktrin gebunden war. Aus diesem Grund ist er als Begründer des sogenannten
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„Synkretischen Buddhismus“ bekannt. Das hierbei von ihm verfolgte Ideal war
ein perfektes ganzheitliches Verständnis des Realen und des Idealen. Daher
schlug er die „Harmonisierung der Disputation“ (Hwajeang) vor und praktizierte
„Keine Hinderung“ (Muae). Im Rahmen seiner umfangreichen Gelehrsamkeit,
seiner ausgereiften Logik sowie seiner Taten und seiner Lebensweise, die
letztlich seine Theorien übertrafen, liegen die Verdienste seines bedeutenden
Lebens begründet, die in jedem Zeitalter und jeder Gesellschaft geschätzt werden
können.
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II. Historischer Hintergrund
Im 7. Jahrhundert, zu Lebzeiten Meister Wonhyos, trat Eurasien in eine neue
Epoche ein. Sui-China führte eine Reihe von erfolglosen Invasionen in KoguryoKorea durch. Schließlich wurde Sui-China von der Tang-Dynastie abgelöst. Die
Macht dieser neuen Herrscherfamilie erstreckte sich von Zentralasien bis in den
Fernen Osten. Nach der Gründung des Islams durch den Propheten Mohammed
unter der Devise „Alle sind vor Allah gleich“ drangen die Araber in das
Byzantinische Reich ein, um das erste islamische Reich der Sarazenen zu
gründen. Unterdessen vereinigten das Silla-Königreich (57 v. Chr. - 935 n. Chr.)
nach einem intensiven Kampf mit Paekje (18 v. Chr. -.660 n. Chr.) und Koguryo
(37 v. Chr. -.668 n. Chr.), die beiden anderen antiken Königreiche Koreas auf der
koreanischen Halbinsel.
Der Austausch zwischen Ost und West stieg auch während dieser Periode
beachtlich an. Auf dem Landweg verliefen die Seidenstraße vom chinesischen
Festland und die Steppenroute im Norden geradewegs bis zum Mittelmeerraum.
Die Seidenstraße wurde im 1. Jahrhundert v. Chr. erbaut. Auf diesem Wege
wurden die Gandhara-Künste nach Zentralasien, China, Korea und Japan
eingeführt. Buddha wurde in diesen Künsten in menschlicher Gestalt in einem
Stil dargestellt, der von der griechischen Kunst beeinflusst worden war. Auf dem
Seeweg wurde der südliche eurasische Kontinent bedient. Die persischen
Handelsschiffe segelten bis nach Südostasien und handelten bis weit an die
chinesische Küste. (http://www.imperialtours.de/Silk_road.htm)
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Diese drei Hauptrouten des Handels, Seidenstraße, Steppenstraße und Seeweg,
ließen die Welt definitiv enger zusammenwachsen. Die Geburt eines neuen
Zeitalters der Weltgeschichte hat begonnen. Einige gehen davon aus, dass sich
dies erst in der Seefahrtsepoche im 15. Jahrhundert ereignet hatte, als die
Europäer die neue Kontinente Amerikas und Afrikas erkundet und Routen zur
Umsegelung eingerichtet hatten. Hierbei handelt es sich aber um eine eher
europäische Betrachtungsweise.
Unterdessen trat der Buddhismus Chinas in eine neue Phase ein. Gegen Mitte
des 7. Jahrhunderts kehrte der berühmte buddhistische Mönch Xuanzang1 nach
einem 17-jährigen Studium in Indien (629 - 645) nach Hause zurück. Er
übersetzte 73 buddhistische Schriften, welche heute als „Die neuen
Übersetzungen“ bekannt sind. Dieser neue Kanon war umfangreicher als die
vorherigen Übersetzungen und sorgte für den Aufstieg einer neuen
akademischen Tradition in den buddhistischen Schulen Tang-Chinas.
Nach der Vereinigung Koreas glich das Silla-Königreich die buddhistischen
Praktiken der beiden Königreiche Baekje und Koguryo an. Von den neuen
Bewegungen innerhalb Tang-Chinas angeregt, traten zahlreiche buddhistische
Meister in Erscheinung und begannen das Dharma zu verbreiten. Nachdem die
neu übersetzten Schriften eingeführt und tiefgründiger erforscht wurden, konnten
die Grundlagen eines neuen Buddhismus, der für Shilla einzigartig war, gelegt
werden. Meister Wonhyo erwarb sich einen umfassenden Überblick über die
vielfältigen buddhistischen Richtungen und Traditionen seiner Zeit. Er
vereinheitlichte nicht nur Realität und Wunschbild, sondern perfektionierte auch
die Entwicklung des koreanischen Buddhismus.
1
Xuanzang ist die Hauptfigur in „Journey to the West“, einer der vier klassischen Romane
der chinesischen Literatur, bekannt für die Figur des „Affenkönigs“ Sun Wukong.
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III. Wonhyos frühes Leben
1. Kastanien-Tal
Wonhyo wurde 617 während der Herrschaft von König Chinpyong (579 632) geboren, genau 90 Jahre, bevor der Buddhismus im Silla-Königreich unter
König Pophung offiziell anerkannt wurde. Wonhyos Geburtsort war Buljichon
(Buddhaland-Dorfgemeinde) im Landkreis Anmyung-Gun der nördlichen
Kyongsang-Provinz. Diese Dorfgemeinde soll als Palji (Erwachen der Weisheit)
bekannt gewesen sein. Wie bereits der Name vermuten lässt, war dies eine
Region, die stark von buddhistischer Praxis geprägt war.
Wonhyos Großvater wurde „ehrwürdiger Herr Ingpi“ genannt, sein Vater
namens Soldamnal war ein Regierungsbeamter. Bis auf einen unerfüllten
Kinderwunsch waren Soldamnal und seine Frau mit allen Dingen gesegnet, die
man sich wünschen konnten. Jeden Morgen betete seine Frau andächtig zu
Buddha, ihnen einen Sohn oder eine Tochter zu schenken. Eines Nachts hatte sie,
als Antwort auf ihre Gebete einen sehr viel versprechenden Traum. Die größte
Sternschnuppe des Himmels raste wie ein Pfeil hernieder und durchbohrte ihre
Brust. Erschrocken erwachte sie und erzählte ihrem Mann von dem Traum.
Dieser freute sich sehr darüber, denn er sah es ein gutes Omen zur Ankündigung
der Geburt eines Kindes. Tatsächlich zeigten sich bald nach dem Traum
Anzeichen einer Schwangerschaft.
Eines Tages, als sie am Kastanien-Tal (Yulgok) vorbei ging, begannen bei ihr
plötzlich die Wehen einzusetzen. Es war zu spät, um nach Hause zurückzukehren.
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Soldamnal zog seine Oberbekleidung aus und hing sie zum Schutz über die
Zweige eines Kastanienbaums. Danach bereitete er mit trocknen Gräsern einen
Geburtsplatz vor. Die Dienerinnen halfen, das Baby zur Welt zu bringen, und
Soldamnal betete für seine Frau, die Geburt gut zu überstehen.
In diesem Augenblick hüllten fünf strahlende, kontrastreich getönte Wolken
die Notunterkunft ein, die der Frau zur Entbindung diente. Bald füllten diese
Wolken das ganze Tal aus. Kurz darauf hörte man den Schrei eines neugeborenen
Babys. Das Kind wurde Sodang genannt (der Name Wonhyo, wie er heutzutage
bekannt ist, bedeutet wörtlich „Morgendämmerung“).
Diese Geschichte hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Geschichte von der
Geburt des Shakyamuni Buddha. Nach dieser Geschichte setzten bei Königin
Maya auf dem Weg zu ihrem Elternhaus in Koli im Lumbini-Hain die Wehen ein.
Ihr Sohn, der Kronprinz, wurde unter dem Schutz eines Ashokabaums (ein SalaBaum) geboren. Es wurde überliefert, dass sich bei diesem Ereignis ein
hoffnungsvoller Sonnenstrahl vom Himmel auf die Erde erstreckte und den
neugeborenen Sohn berührte. Wonhyo wurde, wie Shakyamuni-Buddha, ebenso
unter einem Kastanienbaum (auch Sala-Baum genannt) geboren und seine Geburt
war von einem ähnlichen Omen begleitet.
2. Verfolgung des spirituellen Pfads
Sodang war ein begabtes Kind. Er wurde als ein Wunderkind beschrieben, das
nach dem Erlernen eines neuen Begriffs auf zehn weitere schließen konnte. Da er
auch ein talentierter Reiter und Speerwerfer war, wurde er Mitglied des Hwarang
(lit. Blumen-Jugend), einer Gruppe von jungen Elitesoldaten, die sich einer
strengen Ausbildung von Körper und Geist unterzogen. Eines Tages jedoch
entschloss er sich den spirituellen Weg einzuschlagen und nahm den Namen
„Wonhyo“ an. Er verwandelte sein Haus in ein Kloster, das er Chogae nannte.
Zusätzlich baute er einen Tempel neben dem Sala-Kastanienbaum, der ihm als
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Schutz während seiner Geburt gedient hatte, und nannte diesen Salasa.
Es ist nicht klar nachzuvollziehen, warum er sich entschieden hatte, im Alter
von 15 Jahren auf das weltliche Leben zu verzichten, während er noch als
Hwarang diente. Ebenso ist nicht belegt, wie lange er nachdachte, bevor er diese
Entscheidung traf. Eine Vermutung ist, dass ihm durch den Tod eines Kameraden,
den er im Krieg gekannt hatte, bewusst wurde, wie kurz das menschliche Leben
in der Tat ist. So begann er das Ziel zu verfolgen, die Wahrheit jenseits des Grabs
zu erfahren.
Wonhyo gehörte dem unteren Kolpum-Rang der Silla-Gesellschaft an. Seine
Aufstiegschancen zu einer hohen Position in der Regierung waren stark
eingeschränkt. Deshalb glaubten einige, dass die unteren Kolpum-Ränge mithilfe
des buddhistischen Glaubens in der Gesellschaft aufsteigen könnten, indem sie
die Grenze des hierarchischen Systems überwanden.
Es wäre jedoch zu einfach, die Richtung, die Wonhyo einschlug, mit
gesellschaftlichem Fortschritt zu begründen. Für diejenigen, die sich wahrhaftig
einem spirituellen Weg widmen möchten, sind weltlicher Erfolg und Ruhm
bedeutungslos. Um diesen Weg zu verfolgen, muss man vor allem ein
tugendhaftes Leben führen. In diesem Zusammenhang ist die Differenzierung der
Menschen nach Zeit, Ort und gesellschaftlicher Stellung bedeutungslos.
Er verfasste einen Leitfaden für junge nach Spiritualität Suchende, genannt
Palsim Suhaengjang (das Erwachen des Glaubens und der Praxis). Für die
Neulinge des Buddhismus ist es immer noch eine Quelle der Inspiration und des
Glaubens. Diese Schriften beinhalten seine eigenen tiefen Erfahrungen der
spirituellen Praxis und seine Geisteshaltung in jüngeren Jahren.
Hohe Berge und raue Gipfel sind die Heimat der Weisen. Grüne Pinien
und tiefe Täler beherbergen diejenigen, die praktizieren. Wenn sie
hungrig sind, holen sie Obst von den Bäumen, um den nüchternen
Magen zu beruhigen. Wenn sie durstig sind, löschen sie ihren Durst mit
Wasser aus dem Bachlauf. Obwohl wir diesen Körper mit Delikatessen
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versorgen und ihn achtsam ernähren, ist es gewiss, dass wir schließlich
scheitern werden. Auch wenn wir den Körper mit schöner Kleidung
bedecken, wird die Zeit kommen, wenn unser Leben endet.
Eine felsige Höhle, die mit hallenden Klängen schwingt, dient dir als
Saal zur Rezitation. Die Wildgänse, die in der Einsamkeit schreien,
dienen dir als fröhliche Begleiter deines Geistes. Obwohl deine Knie
kalt und gefühllos wegen ständiger Verbeugungen sind, denkst du nicht
an Feuer. Obwohl sich dein leerer Magen von deinem Körper
abgetrennt fühlt, denkst du nicht daran, nach Nahrung zu suchen. Bevor
du es wahrnimmst, wirst du einhundert Jahre alt sein. Warum also lernst
du nicht? Könnte das Leben für uns jemals lang genug sein, es zu
vertrödeln und unsere Studien zu vernachlässigen.
Von Wonhyo als spirituell Suchender wird angenommen, dass er von einem
sehr angesehenen Meister in allen Bereichen der Praxis unterrichtet wurde. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass er unter renommierten Mönchen wie Nangji, Podok
und Hygong studiert hat. Das Wort „Lehrer“ im Buddhismus wird üblicherweise
mit Dharma und seiner weiteren Passage vom Meister bis zum Schüler verknüpft.
Im Fall von Wonhyo scheint es jedoch, dass er weder einen engagierten Lehrer
noch einen Schüler zur Seite hatte. Das ist sehr bemerkenswert. Ein Schüler lernt
vom Lehrer, und er selbst wird zum Lehrer für seine eigenen Schüler. In gleicher
Weise zieht ein Elternteil ein Kind groß, das später eine Mutter wird. So
wiederholt sich der Kreislauf. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler sowie
weitere Überlieferung von Tradition mittels dieser Beziehung ist ein allgemeines
Thema des menschlichen Lebens, das sich ständig wiederholt. Ohne Lehrer heißt
daher, die Erleuchtung durch sich selbst zu erlangen und außerhalb des Gesetzes
von Ursache und Wirkung zu existieren. Wenn man nicht an das Gesetz von
Ursache und Wirkung gebunden ist, bedeutet dies hier die Ewigkeit. Um zu sagen,
dass Wonhyo nicht einem Lehrer folgte, bedeutet daher zu sagen, dass er ein
Geschöpf war, das diese Welt und ihre Naturgesetze transzendierte.
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IV. Aufforderung zum Auslandsstudium
1.Wonhyo und Uisang
Der spirituelle Weg muss nicht unbedingt allein verfolgt werden. Die spirituell
Suchenden können von der Gemeinschaft der Mitpraktizierenden profitieren und
lernen. Wonhyo fand so einen Begleiter in Meister Uisang (625-702). Obwohl
sich Wonhyo und Uisang in Bezug auf den familiären Hintergrund, die
Persönlichkeit, Methoden der Praxis und Schwerpunkte unterschieden, erkannte
jeder den Charakter und die Lehrmethode des anderen hoch an.
Es gibt viele Geschichten, in denen Meister Wonhyo und Uisang gemeinsam
auftraten. Der Satz „Also sprach Meister Wonhyo …“ erscheint immer wieder in
Berichten über ihre Studien, die dem Blumen-Ornament-Buddhismus gewidmet
wurden. Die Schüler von Uisang zitierten, was Wonhyo zu sagen pflegte. Als
Meister Uisang den Naksansa-Tempel gegründet hatte, wurde Wonhyo von ihm
gebeten, ihn bald danach zu besuchen, um ein Gebet abzuhalten.
Meister Uisang wurde 625 in eine adelige Familie hineingeboren. Er
verzichtete auf das weltliche Leben im Alter von 19 Jahren im Hwangboksa
Tempel in Kyongju, der Hauptstadt des Silla-Königreichs. Im Jahr 661 reiste er
auf der Suche nach einem umfassenderen Studium nach Tang-China. Es wurde
gesagt, dass Uisang die raue See überqueren musste, um in Dengzhau
anzukommen. Für einige Tage blieb er im Haus des Lin Zhiren, einem
Laienbruder. Lin Zhiren hatte eine schöne Tochter, Shanmiao, die sich in Uisang
verliebte. Jedoch war es ihr unmöglich, einen spirituell Suchenden umzustimmen,
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dessen Entschlossenheit zu einem Studium unerschütterlich war. Nachdem
Uisang das Haus von Lin Zhiren verlassen hatte, ging Uisang nach Chagan, der
Hauptstadt des Tang-China, wo er zehn Jahre verbrachte, um die neue Schule des
Buddhismus zu studieren.
Für weitere zehn Jahre war Shanmiao vergeblich in ihn verliebt. Sie erfuhr,
dass Uisang beabsichtigte, kurz ihren Vater zu besuchen, bevor er in das SillaKönigreich zurückging. Sie bereitete eine Kiste mit Kleidung, Geschirr und
anderen Gegenständen als Geschenk für den Meister vor und wartete auf seine
Ankunft. Als dies geschah, bestieg Uisang ein Schiff, bevor sie ihm das
Geschenk überreichen konnte. Direkt am Ufer stehend betete sie. „Wenn mein
Geist gegenüber dem Meister aufrichtig und gänzlich rein ist, möge diese Kiste in
seine Hände gelangen!“ Sie warf die Kiste in die Wellen, und diese wurde sicher
zu ihrem Ziel gebracht. Shanmiao fuhr fort: „Möge dieser Körper zu einem
Drachen werden, um das Schiff mit dem Meister zu schützen und ihm bei seinem
Dienst für Buddha zu helfen.“ Sie sprang in die See und wurde sofort gemäß
ihrem Gelöbnis in einen Drachen verwandelt. Später, als Uisang den Pusoksa
Tempel baute, kam eine Gruppe von Schurken, um die Arbeiter zu behindern.
Daraufhin erschien der Drache in Form eines riesigen schwebenden Felsens, um
Ganoven zu vertreiben. Auf diese Weise kam der Tempel zu seinem Namen
Pusoksa, was wortwörtlich „Schwebender Felsen“ bedeutet.
Mit dem Bau des Pusoksa-Tempels begann Meister Uisang den neuen
„Blumen-Ornament-Buddhismus“ (Hwaom in Koreanisch, Hua-yen in
Chinesisch, Kegon in Japanisch) zu verbreiten, der die Notwendigkeit betont, die
Lehre in die Praxis umzusetzen, anstatt am bloßen Wissen festzuhalten. Während
seine Philosophie auf der Basis des Blumen-Ornament-Buddhismus gegründet
wurde, wurde diese auch vom Avalokitesvara-Buddhismus2 (Kuanum) und von
den Reine-Land3-Lehren übernommen.
2
Bodhisattva. (Posal auf Koreanisch) ist ein Wort aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich
„erleuchtetes Wesen“ und bezieht sich auf jemanden, der eine hohe Stufe der Erleuchtung
erlangt hat, aber seinen Eintritt in das ewige Nirvana verschoben hat, um andere zur
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In einer Gesellschaft, die auf einem starren Kastensystem basierte, betonte
Uisang die Ebenbürtigkeit der Menschen und tat, was er konnte, um das Leiden
der Bevölkerung zu verringern. Als König Munmu (Regierungszeit 661-681) ihn
mit Land und Bediensteten belohnen wollte, lehnte dies Uisang höflich mit der
Begründung ab, dass jeder vor dem Dharma gleich ist und ein praktizierender
Buddhist keine Bedienstete haben kann. Als der König später mit dem Bau einer
Burg in Kyungju begann, drängte Uisang ihn den Bau zu stoppen und sagte:
„Wenn ein König weise regiert, wird eine einfache Zeichnung einer Linie auf
dem Erdboden eine Festung sein, sodass keiner es wagt, darüberzuschreiten, und
sie wird Katastrophen verhindern. Wenn er aber nicht weise regiert, wird sogar
die Große Mauer Chinas nicht ausreichend sein, um Unglück fernzuhalten.“ Auf
diese Weise expandierte der Einfluss Uisangs über die Buddha-Gemeinschaft
hinaus in alle Bereiche der Gesellschaft.
In seiner Hwaom Ilsung Popgyedo (schematische Darstellung des DharmaReichs des Einzelfahrzeuges vom Blumen-Ornament-Buddhismus) entwickelte
Uisang den Kern der Lehren des Blumen-Ornament-Buddhismus, den er lehrte
und praktizierte. Obwohl er im Alter von 78 Jahren 702 starb, bemühten sich
seine zehn führenden Jünger, die Lehre ihres Meisters zu verbreiten. Er wurde
posthum der Begründer der koreanischen Blumen-Ornament-Schule. Auch wenn
Uisang nicht nach Japan ging, gewann er unter den japanischen Buddhisten eine
beachtliche Anhängerschaft. Im Jahre 1219 wurde eine mehrgliedrige Papierrolle,
genannt Kegon Emaki (jetzt bei Kozan-ji in Kyoto) gemalt und die Abenteuer
Erlösung zu führen. Avalokitesvara (Kuanum auf Koreanisch) ist der Bodhisattva des
Mitgefühls und der am häufigsten unter allen Bodhisattvas verehrt wird. Er soll 1000 Arme
und 1000 Augen haben, um jemanden zu sehen, der um seine Hilfe anruft und ihn vor der
Katastrophe rettet.
3
Das „Reine-Land“ ist ein Ableger des Buddhismus, der sich auf den Amitabha Buddha
konzentriert, der vermutlich über das „Reine-Land“ den Vorsitz führt. Anhänger glauben,
dass das Singen des Namens vom Amitabha-Buddha in diesem Leben sie im „Reinen
Land“ wiedergeboren lässt. Mit anderen Worten glauben sie, dem Samsara und dem
Kreislauf von Geburt und Tod zu entkommen. Die Einfachheit dieser Form der Praxis hat
erheblich zu seiner Popularität in ganz Ostasien beigetragen.
20
von Uisang auf seiner Reise nach China dokumentiert.
Wonhyo hatte hervorragende Schüler, aber er organisierte unterwegs seine
Jünger auf andere Weise als Meister Uisang. Anstatt der Dharma durch eine
organisierte Lehrgemeinschaft zu verbreiten, wählte Wonhyo den direkten
Kontakt mit der Öffentlichkeit. Um den Samen des Buddhismus in die Herzen
der Menschen zu tragen, besuchte er zahlreiche Ortschaften und Dörfer im
ganzen Land. Uisang dagegen blieb in seiner Residenz auf dem Berg Taebaek
und konzentrierte sich auf die Ausbildung seiner Schüler.
Wonhyo zeigte Interesse für den Taoismus und sogar für die medizinische
Wissenschaft, Uisang sich nie über die Grenze des Buddhismus hinaus wagte.
Uisang behielt das Aussehen eines strengen Praktizierenden bei, wohingegen
Wonhyo durch die Straßen in Gestalt eines Bürgerlichen schritt.
Obwohl Wonhyo und Uisang unterschiedliche Hintergründe und
Lebensauffassung hatten, waren ihre aufrichtigen Wünsche, dem spirituellen Weg
zu folgen und den Geist der Menschen nach dem Buddha-Dharma zu kultivieren,
genau die gleichen. Diese beiden Männer repräsentieren gegensätzliche Vorbilder
von intellektuellen Vorreitern im alten Korea. Einer widmete sein ganzes Leben
der ernsten Gelehrsamkeit, während der andere sich in die alltägliche Welt
vertiefte und das „Große Mitgefühl“ praktizierte. Beide waren jedoch mit
unermüdlichem Bestreben beschäftigt, die Tore des menschlichen Geistes zu
öffnen.
2. Eine Reise nach Tang-China
Die Veröffentlichung der neuen Übersetzungen des Meisters Xuanzang
signalisierte eine Zeit für große Veränderungen des Buddhismus. Im Hinblick auf
die intellektuelle Reife hatte die buddhistische Tradition Chinas des siebten
Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht. Viele gelehrte Mönche nahmen an dem
Projekt von Xuanzang teil, die neuen Schriften zu übersetzen. Das Studium des
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„Neuen Buddhismus“ wurde schnell beliebt. Es dauerte nicht lange, bis die neuen
Übersetzungen Korea erreichten.
Im Jahr 650, fünf Jahre nach der Rückkehr von Xuanzang von seinen Studien
in Indien, begaben sich Wonhyo und Uisang (34 bzw. 26 Jahre alt) auf eine Reise
nach Tang-China. In der damaligen Zeit war es üblich, eine Seereise zu
unternehmen. Der Seeweg führte an Liadong in Koguryo vorbei, das an China
angrenzt. Liadong war ein Verkehrsknotenpunkt zwischen China und der
koreanischen Halbinsel. Im Jahr 650 war es auch ein Ort gesteigerter Spannungen
wegen einer unlängst erfolgten Invasion von Tang-Truppen. Deswegen wurden
die beiden Praktizierenden aus dem Silla-Königreich durch eine Patrouille
Koguryos fälschlich als Spione identifiziert, als sie versuchten, die Grenze zu
überschreiten. Versuche zur Spionage waren damals an der Tagesordnung.
Spione reisten oft unter dem Deckmantel von wandernden Mönchen.
Darüber hinaus waren das Silla-Königreich und Tang-China verbündet, aber
Silla und Koguryo waren miteinander verfeindet. Wonhyo und Uisang wurden
bei Liaodong festgenommen und für mehrere Wochen inhaftiert. Schließlich
erreichten sie ihre Freilassung und traten mit großen Schwierigkeiten ihren
Rückweg nach Silla an. Ihre Hoffnung auf ein Studium im Ausland mussten sie
frustriert aufgeben. Obwohl die Reise Wonhyos letztendlich erfolglos war,
erlebte er hautnah die rücksichtslosen Aspekte eines Krieges. Dies musste ihm
sehr geholfen haben, sein Verständnis vom Leben zu bereichern. Darüber hinaus
unterstützte ihn dies bei der Entwicklung seiner Philosophie.
3. Wasser trinken aus einem Schädel
Wonhyo machte einen zweiten Versuch im Alter von 44 Jahren (661), wieder
in Begleitung von Uisang in Tang-China zu studieren. Um die See nach TangChina zu überqueren, traten sie zunächst eine Reise nach Westen an. Als sie mit
der Zeit den Hafen der Tang-Burg erreichten, brach schon die Dunkelheit ein. Da
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sie plötzlich vom Regen und Wind überrascht wurden, waren sie gezwungen,
eine Nacht in einer unterirdischen Notunterkunft zu verbringen. Als sie am
nächsten Morgen aufwachten, wurde ihnen klar, dass sie die Nacht in einer
Grabkammer verbracht hatten. Da der schwere Regen anhielt, mussten sie noch
eine zweite Nacht dort verbringen. In dieser Nacht konnte Wonhyo nicht schlafen.
Furchterregende Klänge und Visionen von Geistern hielten ihn wach. Dieser
Anlass diente als eine Gelegenheit für ein großes Erwachen in dem jungen
Meister.
In der vorherigen Nacht fiel es ihm leichter, weil er dachte, dass er in einem
harmlosen Unterschlupf schlafen würde. In der zweiten Nacht fühlte er sich
jedoch sehr unwohl, weil er wusste, dass er in einem Ort von Tod und Bestattung
schlief. Durch diese Erfahrung wurde ihm Folgendes klar: „Wenn ein Gedanke
auftaucht, entstehen alle Phänomene, wenn ein Gedanke verschwindet, sind der
Unterschlupf und das Grab eins.“
Die Drei Welten sind einfach der Geist.
Alle Phänomene sind bloße Wahrnehmung.
Kein Dharma außerhalb des Geistes
Was gibt es sonst zu suchen?
Ich werde nicht nach Tang-China gehen.
Mit der Äußerung dieser späteren Geschichte kehrte Wonhyo in das SillaKönigreich zurück. Er gelangte zu der großen Wahrheit, dass das Dharma nicht
außerhalb des Geistes existiert. Die Wahrheit ist nicht etwas, das man außerhalb
seiner selbst suchen kann, sondern ist eine innere Erkenntnis. Wonhyo hat das
Wesen des Geistes wahrgenommen, der im Inneren-Selbst eines Menschen wohnt.
Die Erkenntnisse Meister Wonhyos wurden in späteren Jahren berühmt und in
der bekannteren Version der Erzählung wieder aufgegriffen.
Der Geschichte nach war Wonhyo in der fraglichen Nacht sehr durstig. In der
Dunkelheit begann er, nach Wasser zu suchen. Er konnte einen Gegenstand, der
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sich wie eine Kürbisschale anfühlte, wahrnehmen. Er hob ihn auf und fühlte, dass
er mit Wasser gefüllt war. Er probierte es, es schmeckt sehr süßlich. Er trank den
Inhalt mit Genuss in einem Zug. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, schlief er
tief und fest bis zum Morgengrauen. Als er am nächsten Morgen aufwachte,
erinnerte er sich an das, was geschehen war und suchte nach der Schale. Er
konnte die Schale jedoch nirgends finden, sondern entdeckte nur menschliche
Schädel, die auf dem Fußboden verstreut lagen. Die Schale war in der Tat einer
dieser Schädel und das süß schmeckende Wasser war Regenwasser, das sich
darin angesammelt hatte. Bei der Betrachtung der Innenseite einer der Schädel
sah er, dass das Wasser lebendige Würmer enthielt. Die tiefe Erkenntnis, die er
durch diese Erfahrung erlangte, erinnerte ihn an eine Dharma-Rede, die er in der
Niederschrift „Erwachen des Glaubens“ gelesen hatte.
Wenn ein Gedanke entsteht,
Ergeben sich alle Arten von verschiedenen Gedanken.
Wenn ein Gedanke verschwindet,
Verschwinden alle verschiedenen Gedanken.
Wie der Tathagata sagte, sind alle drei Welten Illusion.
Alles ist nur der Erfolg des Geistes.
Wonhyo erkannte, dass jedes Bild und Erscheinung eine Folge von
Unterscheidungen innerhalb des Geistes ist und sonst nichts. Er wandte sich an
Uisang und sagte:
„Hast du mich in der letzten Nacht vor Durst leiden sehen?“
„Ich sah dich vom unerträglichen Durst leiden und Wasser aus einer Schüssel
trinken.“
„Als ich heute Morgen aufwachte, sah ich, dass es kein sauberes Wasser war,
das ich trank, sondern verschmutztes Regenwasser, das sich innerhalb eines
menschlichen Schädels angesammelt hatte. Als ich es trank, war es wirklich
erfrischend. Danach schlief ich mit großer Zufriedenheit ein. Als ich aber
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herausfand, was ich getrunken hatte, musste ich mich übergeben. Ich fühlte mich
sehr unbehaglich. Das Wasser von heute Morgen ist nichts anderes als das von
der letzten Nacht. Als ich nicht wusste, was es war, fand ich es erfrischend. Aber
als ich die Wahrheit herausfand, fühlte ich mich sehr unbehaglich. Die
Schmutzigkeit oder die Sauberkeit eines Objektes hängt nicht vom Objekt selbst
ab, sondern von den Unterscheidungen in unserem Geist. Nun habe ich erkannt,
dass alles durch den Geist geschaffen wird. Weil ich diese Wahrheit erkannt habe,
kann ich weder meine Freude, noch den Wunsch zu tanzen und zu singen,
unterdrücken. “
Nachdem er das Alles-Ein-Geist-Prinzip durch diese Erfahrung erkannt hatte,
musste er nicht die weite Reise nach China fortsetzen, um dort Dharma zu
erfahren. Als er so die Erleuchtung in einem einzigen Moment erlangte, äußerte
er den Zustand seines Geistes wie folgt:
Wenn ein Gedanke entsteht, entstehen viele Arten von Dharma.
Wenn der Geist nachlässt, sind eine heilige Stätte und ein Friedhof eins.
Die Drei Welten sind einfach der Geist.
Alle Phänomene basieren auf dem Bewusstsein.
Da es nur den Alles-Ein-Geist gibt, was gibt es sonst noch zu suchen!
Hier verweist „der Geist“ auf karmisches Hindernis oder unterscheidender
Geist. Da unterscheidende Gedanken entstehen, existiert das Dharma als Methode
zur Auslöschung dieser unterscheidenden Gedanken. Wenn alle karmischen
Hindernisse oder der unheilsame Geist gereinigt und ausgelöscht sind, gibt es
sogar keinen Unterschied zwischen Ruhe und Ärger.
Uisang setzte seine Reise nach Tang-China über die See fort, wie er es
ursprünglich beabsichtigt hatte. Er studierte zehn Jahre bei dem Dharma Meister
Zhiyan (602-668) im Zhixiangsi-Tempel auf dem Berg Zhongnan. Danach kehrte
er in das Silla-Königreich zurück und verbreitete den Blumen-OrnamentBuddhismus weiter. Im Jahr 676 baute er mit königlichem Vorrecht einen Tempel
namens Pusoksa und unterrichtete dort viele Schüler.
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Wonhyo blieb nach seiner Rückkehr in das Silla-Königreich kurz im
Punhwangsa-Tempel und studierte und praktizierte ernsthaft. Seine Erkenntnisse
dienten als Grundlage für seine Schriften. Wonhyo verfasste Kommentare zu den
buddhistischen Schriften. Seine bekanntesten Werke wie Kumgang Samaegyung
Non (Sammlung der Vajrasamadhi Sutren) dienten später als Leitfaden für
unzählige Wissenschaftler und Praktiker in Ostasien. Später verließ er die Enge
des Tempels, um unter den Leuten zu leben. Er vermittelte ihnen große
Hoffnung, einmal mit seinen Worten, ein anders Mal mit Tanz und Gesang.
Seine Methoden für die Verbreitung des Buddhismus waren oft unkonventionell.
Dies war möglich, weil er nicht einer bestimmten Schule oder Glaubensrichtung
angehörte. Wonhyo war aus diesem Grund für die gewöhnlichen Menschen ein
wahrer Wegbereiter des Buddhismus. Buddhismus, so glaubte er, sollte weder
Vorrecht einer elitären Gruppe von Intellektuellen, noch ein Instrument
tyrannischer Macht sein, weder eine Religion, die sich auf Formalitäten stützt,
noch eine Religion für den Adelsstand. Obwohl er Buddhist war, fühlte er, dass
es notwendig war, über den Buddhismus hinauszugehen. Aus diesem Grund
betrachteten viele Wonhyo als Meister der Muae (Nicht-Hindernis), wahrlich ein
Mann, der in jeder Hinsicht frei war.
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V. Zurück ins weltliche Leben
1. Leben mit den Leuten
Als der Buddhismus zum ersten Mal in Korea eingeführt wurde, lag der
Schwerpunkt auf Förmlichkeit und Zeremonie. Alle buddhistischen Mönche
beachteten klösterliche Regeln und Vorschriften sehr streng. Wonhyo jedoch
versuchte sich von diesem Regelwerk, das sich auf äußere Zwänge stützte, zu
befreien.
Wonhyo war an die klösterlichen Regeln, die seine Klosterbrüder strikt
einhielten, nicht gebunden. Er aß Fleisch mit Banditen und trank Wein mit
Dirnen. Viele Mönche und Laien verurteilten seine Taten als unmoralisch. Als
seine Klosterbrüder ihn aufforderten die Regeln einzuhalten, antwortete Wonhyo:
„Ob eine Tat gut oder eine Sünde ist, ist schwer zu bestimmen. Einige
Handlungen mögen gerecht erscheinen, obwohl die dahinterliegende Absicht
falsch ist. Andererseits mag eine Aktion unehrenhaft erscheinen, obwohl in
einigen Fällen ein reines und klares unschuldiges Bestreben dahinter steckt. Ob
etwas gut oder schlecht ist, hängt allein vom reinen Geist ab.“
Wonhyos Worte und Taten waren häufig zu bizarr für seine Mitbrüder, um sie
zu verstehen. Manchmal blieb er im Tempel und praktizierte, ohne zu essen oder
zu schlafen. Hin und wieder verbrachte er den Tag mit Bettlern auf der Straße. Es
war nur natürlich, dass Wonhyo von den buddhistischen Institutionen der
damaligen Zeit gerügt wurde. Diese beschäftigten sich mit der Einhaltung der
Regeln und glaubten, dass die Würde eines Mönchs zu allen Zeiten
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aufrechterhalten werden sollte.
Wonhyo glaubte, dass das Lesen von Sutren und die Ausführung von
Zeremonien in den Mauern des Tempels nicht der einzige Weg waren, Buddhas
Lehre auszuüben. Mit dem Leben neben den fühlenden Wesen in der Außenwelt
nahm er auch an ihren Leiden und Freuden teil. Damit vermittelte er ihnen die
Lehre Buddhas unmittelbar und fühlte, dass dies ein besserer Weg war, das
Vermächtnis Buddhas weiterzugeben. Dennoch verstanden einige Leute seinen
ernsten Wunsch, die Samen der Buddhaschaft in die Niedrigsten und am
wenigsten verstandenen Schichten der Gesellschaft zu säen.
Wonhyos Vorgehensweise bestand darin, alle Teile des Landes zu besuchen
und die Lehre Buddhas so zu übermitteln, dass sie für jeden leicht verständlich
war. Im Gespräch mit königlichen Mitgliedern und Aristokraten, bescheidenen
Bettlern und eigenwilligen Kindern, verbreitete er den Buddhismus weit und breit.
Aufgrund der Bemühungen Wonhyos begann jeder im Silla-Königreich, an die
Lehre des Buddhismus zu glauben. Einer der Gründe für seine Popularität war
seine neue Glaubenslehre „Reines Land“.
Gemäß der Lehre „Reines Land“ sollten Praktizierende das „NamuAmitabul“ (Loblied auf Amitabha-Buddha) singen, um nach dem Tod in einem
Paradies wiedergeboren zu werden. Gewöhnliche Leute fanden die Lehre einfach
und mitfühlend, attraktiv und leicht zu verstehen. Das Ergebnis war weitaus
effektiver als eine schwer verständliche akademische Theorie. Mit der Rezitation
des Namens Buddhas kommt allmählich der Geist zur Ruhe. Mit anderen Worten,
durch die Rezitation des Mantras oder des Namens Buddhas wird der Geist
gereinigt und gesammelt. So bewahrt der Geist fortwährend einen Zustand der
inneren Ruhe. Als Meister Wonhyos Lehre vom „Reinen Land“ weitgehend
verbreitet war, rezitierten alle in Silla-Königreich, sowohl adelige als auch
niedrige Schichten, den Namen vom „Amitabha Buddha“.
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2. Eine Begegnung mit Prinzessin Yosok
Wonhyo dachte, dass es das wahre Ziel des Buddhismus ist, die Seelen der
Menschen vom Leiden zu befreien. Zu dieser Zeit war der Buddhismus nur den
Adeligen und Oberschichten der Bevölkerung bekannt. Wonhyo begann DharmaVorträge für Gruppen von gewöhnlichen Bürgern zu halten, um den Buddhismus
so vielen Menschen wie möglich zu lehren. Mit der Anzahl von Menschen,
welche die Dharma-Vorträge Wonhyos hörten, wuchs sein Ruf, und er wurde im
ganzen Land bekannt.
Eines Tages besuchte eine wunderschöne Prinzessin einen seiner Dharma
Vorträge, und sie war von seinen Worten sehr beeindruckt. Die Prinzessin hieß
Yosok, die zweite Tochter des Königs Muyol (Regierungszeit 654-661), anmutig
und freundlich. Als junges Mädchen wurde sie Ayuta genannt und wurde von
vielen Hwarangs bewundert. Ihr Mann war ein Hwarang namens Kojin, der
während des Krieges mit Paekje gefallen war. Nachdem sie die Lehre Wonhyos
gehört hatte, war sie in ihrem Innersten sehr berührt.
Buddha erlangte Erleuchtung,
Um die Menschen vom Leid zu erlösen.
Und ihnen Glück zu geben.
Dies wird Buddhas Barmherzigkeit genannt.
Und dies ist die Haltung Buddhas,
Um alle Menschen gleich zu lieben.
Tagelang blieben ihr die Worte Meister Wonhyos im Herzen. Schließlich
wurde sie krank vor Liebe. Als der König von ihrer Krankheit erfuhr, rief er einen
berühmten Arzt, aber der konnte keine Ursache ihrer Krankheit finden. Eines
Tages sagte die Prinzessin zu ihrem Dienstmädchen:
„Ich wünschte, ich könnte Meister Wonhyo noch einmal sehen, nur ein
einziges Mal.“
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Nach reiflicher Überlegung antwortete das Mädchen:
„Nun eure Hoheit! Senden Sie eine Mitteilung, dass Sie sich wünschen, an
einem Dharma-Vortrag Meister Wonhyos teilzunehmen und die Sitzung im
Palast abzuhalten.“
Die königliche Familie und Aristokraten des Silla-Königreichs waren gläubige
Buddhisten und luden oft bekannte buddhistische Lehrer (Dharmameister) in ihre
Häuser ein. Wonhyo, der ungeachtet der Klassenzugehörigkeit unterrichtete,
nahm die Einladung gern an und fuhr in einer Kutsche zum königlichen Palast.
Als er ankam, hielt er den folgenden Vortrag:
„Jeder Mensch besitzt die Natur Buddhas. Jeder Mensch, egal ob Mann oder
Frau, der seinen Geist erweckt, um die Lehre Buddhas zu studieren und zu üben
und dem Pfad folgt, wird ein Bodhisattva.. Um ein Bodhisattva zu werden,
müssen Sie sich bemühen, den Fesseln der Täuschung zu entgehen, und mit allen
fühlenden Wesen frei teilen, was Sie erlangt haben. Wenn Sie dies fortwährend
praktizieren, werden Sie die Buddhaschaft erlangen.“
Als er nach dem Vortrag zum Punhwangsa-Tempel zurückkehren wollte, kam
ein Mädchen zu ihm und sprach ihn mit großem Respekt an:
„Meister, die Prinzessin möchte Ihnen gerne einen seltenen Tee, der aus dem
Ausland kommt, servieren.“
Wonhyo wurde zu der Prinzessin geführt, deren Zimmer nach Tee duftete. Die
Prinzessin servierte persönlich und er trank. Schließlich war die Prinzessin nicht
in der Lage, ihre Gefühle weiterhin zu unterdrücken und weinte schließlich.
„Meister, ich kann meine Gedanken nicht von Ihnen lassen. Seit einiger Zeit bin
ich vor Sehnsucht nach Ihrer Gegenwart krank. Wenn Sie mich nicht erretten,
werde ich sterben.“
Wonhyo war überrascht und antwortete:
“Eure Hoheit, ich verstehe Ihre Worte nicht. Ich bin ein Mönch und die
weltliche Liebe ist mir verboten. Ich muss die buddhistischen Gebote befolgen.“
„Aber Meister, verbieten die Gebote nicht, mich sterben zu lassen?“
Wonhyo dachte eine Weile mit geschlossenen Augen nach und entgegnete:
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„Eure Hoheit, die Brahma-Net-Sutra besagt, dass die vorsätzliche
Auslöschung eines Lebens eine große Sünde ist und andere sterben zu lassen,
ebenfalls eine große Sünde bedeutet. Falls es Ihr wahrer Wunsch ist, mich zu
heiraten, müssen Sie zuerst die Erlaubnis des Königs einholen.“
Wonhyo verließ eilig den Palast. Er betete die nächsten Tage und meditierte,
um einen Weg zu finden, das Leben der Prinzessin zu retten. Es kam ihm der
Gedanke, dass ein Mönch verpflichtet ist, Vorschriften einzuhalten. Andererseits
gibt es aber auch Situationen, die es unmöglich machen, die Regeln strikt zu
befolgen. Um dem Wunsch der Prinzessin nachzukommen, ihr Leben zu retten,
erkannte er, dass es einen Weg gab, Mitgefühl zu praktizieren und eine
verzeihbare Sünde zu begehen.
Nach einigen Tagen erschien Wonhyo vor dem Palast des Königs und sang
folgendes Lied:
Wer wird mir eine Axt leihen, die ihren Griff verloren hat?
Ich werde einen Balken, der als Stütze im Himmel dient, umschlagen.
Wonhyo sang dieses Lied wie ein Wahnsinniger immer wieder und kehrte
dann in der Abenddämmerung zum Punhwangsa Tempel zurück. Er wiederholte
dies an vielen Tagen, kam zum Palast, sang und kehrte dann wieder zurück. Sein
merkwürdiges Verhalten wurde viel diskutiert, aber niemand ahnte die wahre
Bedeutung seines Liedes. Endlich hörte König Muyol davon. Nach der
Betrachtung der Worte des Liedes erkannte er ihre Bedeutung. Eine Axt, die den
Griff verloren hat, ist wie eine Frau, die ihren Mann verloren hat. Ein Balken des
Himmels stellt einen Thronfolger des Königreichs dar.
„Meister Wonhyo beabsichtigt, die Prinzessin zu heiraten und einen weisen
Sohn zu zeugen.“
Der König lächelte und dachte an seine Tochter Prinzessin Yosok. Er forderte
seinen Beamten auf, Wonhyo heimlich zur Residenz der Prinzessin zu führen.
Als Wonhyo die Absicht des Königs erkannte, ihn zu finden, warf sich Wonhyo
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in einen Bach. Die königlichen Beamten trugen ihn samt seiner nassen Kleidung
in den Palast.
Nach einer kurzen Zeit erschien die Prinzessin in einem wunderschönen Kleid.
Sie näherte sich Wonhyo und schenkte ihm ein Glas Wein ein. Nach dem Trinken
des Weins füllte er für die Prinzessin ein Glas Wein. Mit dieser einfachen
Zeremonie wurde ihre Eheschließung besiegelt.
Die dazwischen liegenden Tage vergingen wie in einem Traum. Einen halben
Monat später kam Wonhyo im Palast der Prinzessin an. Unfähig, die
Gewissensqual länger zu ertragen, fasste er den festen Entschluss, auf seinen
ursprünglichen Weg zurückzukehren.
„Prinzessin, ich muss Dich heute verlassen. Übe den Pfad des Bodhisattva,
wie Du es von mir bei dem Dharmatreffen in diesem Palast bereits gehört hast.
Suche in Dir die Buddha-Natur und führe viele tugendhaften Taten aus. So kannst
Du das Leid unserer Trennung vergessen und ein Bodhisattva werden. Ich muss
meine Aufgabe erfüllen, um den Menschen die Wahrheit des Buddha-Dharmas
zu unterrichten und ihnen auf dem Pfad zur Erleuchtung zu helfen.“
Die Augen der Prinzessin füllten sich mit Tränen.
„Werde ich Dich jemals wiedersehen?“
„Prinzessin, suche bitte Deinen Buddha-Geist, aber nicht mich. Ich hoffe auf
ein Wiedersehen mit Dir in dem Reinen-Land des Glücks.“
Wonhyo verbeugte sich, faltete seine Hände zum Gebet und verließ den Palast.
Einige Monate später bemerkte die Prinzessin, dass sie schwanger war.
„Ich habe ein Kind vom Meister empfangen. Er hinterlässt mir eine weitere
wertvolle karmische Bindung.“
3. Prinzessin Yosok und Solchong
Prinzessin Yosok brachte einen edel aussehenden Jungen zur Welt und nannte
ihn Solchong. Später wurde er ein hervorragender Gelehrter. Seine offizielle
32
Stellung in der Regierung war die eines Mitglieds des Hallim-Gremiums, das
dem König als Berater und auch als Verfasser königlicher Dekrete diente. Sein
berühmtestes Vermächtnis ist der Idu-Zeichensatz, ein Schriftsystem, das
Sonderzeichen einführte, um die Phonologie, Syntax und andere linguistische
Merkmale zu berücksichtigen, einzigartig für die koreanische Sprache innerhalb
der chinesischen Schriftzeichen. Er gilt heute als einer der Zehn-Großen-Weisen
des Silla-Königreichs.
Obwohl Wonhyo von seiner Frau und seinem Kind getrennt lebte, war es nicht
im Sinn von Entsagung, dass er sie verließ. Denn er war kein herzloser und
unverantwortlicher Mann, der seine buddhistische Praxis als Ausrede benutzte,
um die Pflichten der menschlichen Zuneigung und die weltlichen Aufgaben zu
vermeiden. Es ist überliefert, dass er oft im Hyol-Tempel residierte, von dem er
später in das Nirwana eintrat. Es wurde gesagt, dass das Haus Solchongs in der
Nähe dieses Tempels gewesen sein soll. Es ist wahrscheinlich, dass die drei
Mitglieder der Familie Wonhyos untereinander in Kontakt geblieben sind.
Als Wonhyo starb, vermischte Solchong die Asche seines Vaters mit der Erde,
um eine kleine Figur als Ebenbild seines Vaters zu fertigen. Er bewahrte diese in
einem Schrein im Punhwangsa-Tempel auf, den er regelmäßig aufsuchte, um
dort seinen Respekt mit großer Ehrfurcht, Liebe und Schmerz auszudrücken. Als
er sich eines Tages tief vor der Statue Wonhyos verbeugte, drehte die Statue
ihren Kopf zu ihm. Dies soll der Grund dafür sein, dass die Statue ihren Kopf
noch heute seitlich gedreht hält.
Bis zur Erschaffung des koreanischen Alphabets Hangul durch Sejong
während des 15. Jahrhunderts benutzten Koreaner Hanja als Schriftsprache, die
der chinesischen Schrift entspricht. Solchong versuchte die nationale Identität
Koreas zu bewahren, indem er die Elemente der einheimischen Sprache Koreas
dokumentierte und sie selbst anwendete. Bei einer Diskussion der drei
berühmten Literaten des Silla-Königreichs (Kang Su, Choi Chiwon und
Solchong) bezieht sich die Memorabilia of the Three Kingdoms auf Solchong als
jemanden, der „vier Bücher und fünf Klassiker las und die nachfolgende
33
Generation in unserer Muttersprache ausbildete“. Der Geist Solchongs lebte nach
seinem Tod weiter und erreichte seine volle Verwirklichung in dem koreanischen
Alphabet Hangul von König Sejong dem Großen.
Das einzig verbliebene Beispiel von literarischen Werken Solchongs ist ein
Bericht über ein Gespräch zwischen ihm und König Sinmun. Der Titel lautet
Hwawanggye (Eine belehrende Erzählung für den Blumen-König).
Vor langer Zeit, als der Blumen-König zuerst ankam, ließ er sich auf
einem Hügel nieder und erblühte als Strauch von schönen Pfingstrosen
im Frühling. Weil sein Aussehen so außergewöhnlich war, kamen
Blumen von nah und fern, um ihm Respekt zu zollen. Eine von ihnen
war eine Rose und sagte: „Mein Herr, ich schreite über den Sand, der so
weiß ist wie der Schnee, und ich sehe über das Meer hinaus, das so klar
ist wie ein Spiegel. Ich bade in dem Frühlingsregen und erfrische mich
mit erfrischendem Wind. Ich lebe nach meinem Vergnügen, und mein
Name ist Rose. Ich habe von den Tugenden Ihrer Majestät gehört und
wünsche mir, Ihre Couch in einem duftenden Zelt mit Ihnen zu teilen.
Bitte akzeptieren Sie mich mein Herr!“ Als Nächstes erschien ein
grauhaariger alter Mann. Seine Kleider waren aus Hanf, die dicht um
seine Taille gewunden waren. Es war ihm kaum möglich, sich auf
seinen Wanderstock zu stützen. „Mein Herr, mein Name ist
Küchenschelle. Ich lebe auf der Bergstraße mit fernen Feldern darunter
und Bergen mit hohen Gipfeln darüber. Eure Majestät, obwohl Sie alles
besitzen, was Sie verlangen, biete ich Ihnen diesen Dienst an. Ich biete
Ihnen an, dass Sie mit gutem Essen reichlich versorgt sind, dass Ihr
Geist mit feinem Tee und Wein gereinigt wird und Sie mit wirksamen
Medikamenten versorgt werden, sodass Ihr Köper von Energie erfüllt
ist und jeder unheilvolle Einfluss entfernt wird. Selbst wenn man Fäden
aus Seide und Leinen hat, so sagt man, sollte man das trockene Gras
und Schilf nicht wegwerfen, denn es gibt Zeiten, in denen Seide und
Leinen ausgehen werden. Wird man dies tun, Eure Majestät? Der
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Blumen-König überlegte. „Ich sehe zwei Blumen. Die eine muss ich
akzeptieren und die andere wegwerfen. Die Worte der Küchenschelle
sind voller Wahrheit, aber die Schönheit der Rosen ist in der Tat
außergewöhnlich. Es ist eine schwere Entscheidung.“ Nach der
Anhörung der Worte des Königs entgegnete die Küchenschelle: „Ich
glaube nicht mehr, Eure Hoheit, weise und mit den Gepflogenheiten der
Welt vertraut zu sein. Wenn sich ein König üblicherweise nicht mit
denen, die ihm schmeicheln oder ihn betrügen, verbündet, wird er ein
tugendhaftes und aufrechtes Leben führen.“ Die Pfingstrose, der König
der Blumen, erwiderte daraufhin: „Ich habe mich sehr geirrt.“
Diese Geschichte ist offenbar eine Satire über den damaligen Monarchen des
Silla-Königreichs, König Sinmun. Man findet sie im Abschnitt „Biografien von
Solchong“ in dem Buch Samguk-Yusa (Memorabilien der Drei-Reiche). Solchong
wurde weiterhin nach seinem Tod verehrt und erhielt posthum den Titel
Hongyuhu (Großer konfuzianischer Gelehrter), der von König Hyongjong der
Koryo-Dynastie 1022 verliehen wurde. Zusammen mit Choi Chiwon wurde er in
dem konfuzianischen Schrein als einer der Zwei Weisen des Silla-Königreichs
geehrt. Seitdem wird zu seinem Gedenken eine nationale Feierstunde in der Great
Western Mountain School of Confucianism in Kyongju abgehalten.
4. Der Laie Sosong
Nachdem Wonhyo das Gelübde des Zölibats gebrochen hatte und Vater von
Solchong geworden war, erkannte Wonhyo seinen neuen Status als Laie an und
nannte sich „Laien Sosong“ oder „Laien Poksong“. Ein Laie im Buddhismus ist
jemand, der an den Buddhismus glaubt, aber nicht wie ein Mönch in einem
Tempel praktiziert. Die beiden Worte „Sosong“ und „Poksong“ bezeichnen eine
bescheidene Person, die niedriger gestellt ist als jede andere. Den Laien Sosong
konnte man in den Straßen des Silla-Königreichs antreffen. Wonhyo besuchte
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Kneipen, trank zusammen mit Männern oder mischte sich unter spielende Kinder.
Im Rahmen unterhaltsamer Geschichte vermittelte er ihnen erzählerisch die Lehre
Buddhas. Kinder rannten zu ihm und wollten wissen, wer Buddha sei. Die
Ausgestoßenen, die in den Bergen lebten, verließen Wonhyo im Glauben, etwas
von der Lehre Buddhas verstanden zu haben. Bei dieser Arbeit fand Wonhyo
große Freude.
Eines Tages begegnete Wonhyo auf der Straße einem Akrobatenpaar, das am
Straßenrand auftrat. Einer von ihnen balancierte auf einem Seil, während der
andere unter ihm eine Maske trug, kleine Kürbisse in der Hand hielt und zum
Rhythmus der Musik tanzte. Die Menge versammelte sich im Kreis, um die
Vorstellung zu sehen. In ihrer Begeisterung begannen die Zuschauer mitzumachen,
zu tanzen und zu klatschen. Bei diesem Anblick kam Wonhyo eine Idee.
Er hatte vor, die Lehre Buddhas in ein Lied umzusetzen und es jedermann
beizubringen. Mit der Losung „Wenn einer völlig frei von allen weltlichen Dingen
ist, ist er vom Kreislauf von Tod und Geburt befreit“, komponierte er ein Lied mit
dem Titel „Muae“ (Ohne-Hindernis), und brachte es vielen Menschen bei.
Schließlich folgten ihm die Kinder scharenweise und sangen mit ihm das MuaeLied.
Der Text, auf dem das Lied basierte, stammt aus dem Blumen-Ornament-Sutra
(Hwaeom-Sutra). Meister Wonhyo bearbeitete die ursprünglichen Formulierungen
so, damit diese leicht verstanden werden konnten. Besitzt eine Person das
Potenzial eines kultivierten Geistes, wird jede Aufgabe mit Weisheit und
Gelassenheit erfüllt, weil er oder sie keine diskriminierenden Gedanken mehr hat.
Wenn der Geist auf diese Weise nachhaltig davon frei geworden ist, wird er vom
unendlichen Kreislauf der Wiedergeburt erlöst. Ungehindert zu sein bedeutet mit
anderen Worten, dass man keinerlei Groll, keine schlechten Gefühle oder keine
anderen Hindernisse hat. Außerdem sollte man keine Hindernisse im Geiste haben.
Aus diesen Gründen sollte man alles und jeden weise und fair behandeln. Bei
einem Geist, der wirklich frei und befreit ist, bleiben keine Gefühle des Bedauerns
oder der Schuld zurück. Mit dem Muae-Lied auf den Lippen reiste Meiser
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Wonhyo von Dorf zu Dorf. Da er alle Landesteile bereiste, blieb er niemals lange
an einem Ort.
Alle fühlenden Wesen, höret!
Hört die erhabenen Worte Buddhas!
Gutes und Schlechtes hängen ab vom Geist,
Reines und Unreines hängen ab vom Geist.
Wenn die Seele barmherzig und gütig ist,
Wie der Geist des erhabenen Buddhas,
Treten alle in das Land des Glücks!
Indem die Lehren Buddhas für jedermann zugänglich gemacht wurden, wurde
das Lied in allen Dörfern, die Meister Wonhyo besuchte, bekannt. Darüber
hinaus versammelten sich die Menschen, um Tempel und Pagoden zu errichten.
All dies trug dazu bei, ein Gefühl von Harmonie und Kooperation unter den
Bürgern Sillas zu fördern.
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VI. Anekdoten aus dem Leben Wonhyos
Zahlreiche Geschichten und Anekdoten existieren über das Leben Meister
Wonhyos. Diese enthalten oft Elemente, die wunderlich und fiktiv erscheinen.
Für diejenigen, die mit der ostasiatischen Tradition nicht vertraut sind, ist es
wichtig zu wissen, dass diese Elemente vorhanden sind, um als Botschaft der
Geschichte zu dienen und nicht der Botschaft selbst.
1. Oeosa Tempel („Mein Fisch“ Tempel)
„Oeosa“, das wörtlich mit „Mein Fisch“ übersetzt wird, ist ein ungewöhnlicher
Name für einen Tempel. Hier haben Chajang, Wonhyo, Hyegong und Uisang,
bekannt als die ‘Vier Heiligen des Silla-Königreichs’, gewohnt und gemeinsam
praktiziert. Insbesondere ist dies der Ort der oft wiederholten Geschichten, in die
Wonhyo und Hyegong einbezogen waren.
Der Tempel wurde von Meister Chajang unter König Chinpyong (regierte 579632) gegründet. Ursprünglich hieß er Hangsasa. Vor dem zweiten Versuch
Wonhyos nach Tang-China zu reisen, baute er einen kleinen Tempel im Tal des
Unje-Berges, wo er Tag und Nacht praktizierte. Hyegong lebte im HangsasaTempel, wo er 70 Schüler unterrichtete.
Eines Tages rezitierten die zwei Männer im Tal des Unje-Berges den Namen
Buddhas. Dabei saßen die beiden im Lotussitz auf einem Felsen. Plötzlich
wandte sich Hyegong zu Wonhyo.
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„Wenn Du eine Bestätigung für die Erleuchtung in China erhältst, musst Du
übernatürliche Kräfte zeigen. Nur dann wirst Du Dir selber beweisen, imstande
zu sein, die Abstammung des großen Buddha-Dharma fortzusetzen. Lass uns
sehen, ob Du solche Dharma-Macht besitzt.
Das Tal war so sauber und unberührt wie ein polierter Spiegel. Fische waren
reichlich im Bach unten vorhanden. Sie vereinbarten, dass jeder einen Fisch
fangen und diesen lebend unzerkaut schlucken sollte. Dann sollten sie auf einem
Felsen stehend ihre Därme entleeren. Sollte der Fisch lebend herauskommen,
wäre dies ein Zeichen dafür, dass der Meister seine Dharmakraft bewiesen hätte.
Sie krempelten die Ärmel hoch und machten sich auf den Weg zum Bach. Es
gelang beiden, einen Fisch zu fangen. Nachdem jeder einen Fisch geschluckt
hatte, wurde nur einer der Fische wieder lebend ausgeschieden. Dieser sprang
zurück ins Wasser und begann energisch stromaufwärts von den beiden Herren
wegzuschwimmen. Jeder von ihnen behauptete, dass der Fisch der eigener
gewesen sei. Gemäß Iryon (1206-1289), ein Mönch, der das berühmte SamgukYusa (Memorabilia of the Three Kingdoms) verfasste, bekam der Tempel den
Namen „Oeosa“ oder „Mein Fisch“.
2. Meister Tae-an und die jungen Waschbären
Wonhyo hatte keinen üblichen Lehrer, sondern studierte bei vielen Meistern.
Einer seiner Lehrer war Meister Tae-an. Eines Tages fand Tae-an einige junge
Waschbären, die ihre Mutter verloren hatten. Um sie zu retten, ging der Meister
in die Stadt, dort von Frauen etwas Milch zu erbitten. Die Frauen, die von dem
wertvollen Dharma-Vortrag tief bewegt waren, spendeten fröhlich etwas Milch.
Meister Tae-an trug die Milch in einer Schüssel und kletterte über einen steilen
Hügel, bis er schließlich die Höhle erreichte, in der die jungen Waschbären gierig
auf ihr Futter warteten. Er hatte Mitleid mit den Kleinen, fütterte sie und zog sie
viele Tage voll Mitgefühl auf.
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Als die Jungen bereits so groß waren, um sehen zu können, kam Meister
Wonhyo zu Besuch. Meister Tae-an bat Wonhyo die jungen Waschbären für
einige Tage zu pflegen, weil er anderswo einige dringende Angelegenheiten zu
erledigen hatte.
Meister Wonhyo zog die kleinen Waschbären mit großer Sorgfalt auf,
trotzdem starben zwei von ihnen. Wonhyo, der für sich in Anspruch nahm,
führender buddhistischer Meister Sillas zu sein, konnte nicht ertragen, Meister
Tae-an gegenüberzustehen. Meister Wonhyo dachte bei sich: „Meister Tae-an
zog die Jungen 15 Tage lang auf, denn sie waren nur kleine Lebewesen aus
Fleisch und Blut. Aber wegen meiner eigenen schweren karmischen Hindernisse
und wegen Mangel an Weisheit verursachte ich ihren Tod.“ Er bereute dies
zutiefst und nutzte die Gelegenheit, seine Hingabe wieder zu erwecken.
Als Meister Tae-an zurückkehrte, tröstete er Wonhyo. „Es gab keine
Möglichkeit, diese Tiere, deren karmische Bindungen endeten, am Leben zu
erhalten.“ In diesem Augenblick krächzte eine Krähe laut vor Wonhyo, der nicht
in der Lage war etwas zu erwidern. Dann sprach Meister Tae-an: „Lass uns den
Magen der Krähe mit den toten Waschbären füllen, damit diese noch eine gute
Tat vollbringen.“ Er warf die toten jungen Waschbären in die Luft. Die Krähe,
die über ihnen kreiste, spürte ihr Glück und schnappte die toten Körper schnell
wie ein Blitz.
3. Rettung von tausend Mönchen vor dem Tod
Einmal hielt sich Meister Wonhyo im Taegosa-Tempel auf. Als er gerade mit
seinem Abendessen begann, sah er mit seinem Weisheitsauge, dass ein großer
alter Tempel in China kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Währenddessen waren bei dem Tempel in China tausend ansässige Novizen4
4
Ein Novize ist ein Anfänger, die sich auf das Studium der Sutren konzentriert, bevor er die
Praxis der Meditation fortsetzt.
40
dabei, ihr Abendessen zu sich zu nehmen, ohne zu wissen, dass sie sich in Gefahr
befanden, zu Tode gequetscht zu werden. In diesem Augenblick entfernte
Wonhyo plötzlich die Teller von seinem Esstisch und schleuderte den Tisch in
Richtung des Tempels in China.
Das Abendessen der Mönche in China wurde unterbrochen, als ein seltsames
Objekt am Himmel erschien und über dem Tempelhof zu kreisen begann. Der
Mönch aus der Küche sah es zuerst und warnte seine Mitpraktizierenden. Die
Mönche, erstaunt über den bemerkenswerten Anblick, hörten auf zu essen, und
eilten auf den Hof. Das seltsame Objekt bewegte sich langsam in Richtung des
Waldes außerhalb des Tempels, als ob es die Mönche nach vorne winkte. Als alle
tausend Mönche das Grundstück des Tempels verlassen hatten, brach plötzlich
der Tempel hinter ihnen zusammen. Die Mönche wandten sich um und sahen
ungläubig auf den Platz, wo sich kürzlich aufgehalten hatten, in Ruinen. Dies
alles geschah in wenigen Augenblicken.
Das seltsame Objekt fiel vom Himmel in ein Feld. Die Mönche drängten sich
um es herum. Bei dem Objekt handelt es sich um einen Holztisch, auf dem
geschrieben stand: „Diese Tafel Wonhyos aus dem Osten ist die Tafel, die seine
Mitbrüder in China rettete.“ Schließlich erkannten sie, was geschehen war. Sie
falteten ihre Hände und verneigten sich ehrfürchtig in Richtung des SillaKönigreichs im Osten. Während sie sich weiter bedankten und ihre Achtung zum
Ausdruck brachten, stieg die Tafel wieder in den Himmel auf und begann sich
langsam nach Osten zu bewegen. Die Mönche folgten ihr. Sie bestiegen ein
Schiff und überquerten das Gelbe Meer, um Meister Wonhyo im SillaKönigreich aufzusuchen.
Wonhyo verweilte im Chokpanam-Kloster, das ein Teil des ChangansaTempels war. Er war erstaunt über die tausend Mönche, die plötzlich eine
Audienz bei ihm wünschten. Da das Kloster zu klein war, tausend Menschen
unterzubringen, arrangierte er für sie eine vorübergehende Unterkunft in
Changansa. Ferner suchte er einen geeigneten Ort, in dem die tausend Mönche
dauerhaft bleiben könnten. Schließlich baute er einen großen Tempel auf dem
41
Gelände des heutigen Wunhungsa-Tempels, der groß genug war, alle Mönche
aufzunehmen. Oberhalb des Tempels gab es einen Bereich, wo er die Mönche
unterrichtete und sie nach der Lehre des Blumen-Ornament-Sutra schulte. Aus
diesem Grund nannte man diesen Berg Chonsong-Berg (Berg-der-tausendHeiligen). Der Landstrich wird Hwaom (Blumen-Ornament-Ebene) genannt.
Obwohl diese Geschichte außergewöhnlich ist, können wir zumindest daraus
folgern, dass eine beträchtliche Zahl von chinesischen Mönchen bei Meister
Wonhyo ausgebildet wurde und die Grundlage seiner Lehre das BlumenOrnament-Sutra war. Es ist eine Tatsache, dass der chinesische Dharma-Meister
Fazang, ein Befürworter der Blumen-Ornament-Schule, häufige Verweise auf
Meister Wonhyo in seinen Schriften machte. Ebenso spricht der Schriftsteller
von Zhengdage (Songs Enlightning Truth), Meister Yongming Yanshou, von der
Bedeutung der philosophischen Schriften Wonhyos. Zu dieser Zeit wurde der
Buddhismus ein universelles System von Werten in Ostasien. Die Aufgaben der
Spiritualität wurden als wichtiger betrachtet als jene der Nationalität. In dieser
Geschichte sehen wir, wie sich der Einfluss Wonhyos über die Grenzen des SillaKönigreichs erweiterte und weitgehend in ganz China zu spüren war.
4. Blumenornament-Gebiet
In der südlichen Kyongsang-Provinz gibt es in der Nähe des NeawonsaTempels ein Gebiet namens Blumenornament, wo die Ereignisse dieser
Geschichte stattgefunden haben sollen. Die tausend Mönche des Meisters
Wonhyo, die dort wohnten, waren es gewöhnt, Essen und Almosen von denen zu
erbetteln, die in der Nähe des Tempels wohnten. Da die Mönche so zahlreich
waren, wurde es Wonhyo bald klar, dass sie zu einer Belastung für die Dörfer in
der Umgebung würden. Dies beunruhigte ihn sehr. Er überlegte, wie dieses
Problem gelöst werden könnte.
42
Einmal sagte Wonhyo zu den Mönchen: „Ab heute sollte kein Praktizierender
mehr um Almosen betteln. Sucht nicht Mahlzeiten von anderen zu
bekommen.“ Alle wunderten sich darüber, was ihrer Meister damit meinen
könnte. Die Mönche bekamen Angst, dass sie vor Hunger sterben würden.
Meister Wonhyo rief einen der Mönche zu sich und sagte im Vertrauen zu ihm:
„Tun Sie genau, was ich Ihnen sage. Wenn Sie ins Dorf gehen, werden Sie eine
sehr reiche Familie finden. Nehmen Sie einen leeren Sack mit und bitten den
Eigentürmer, den Sack mit Reis zu füllen. Kommen Sie erst zurück, wenn der
Sack voll ist. Achten Sie darauf, dass es richtig gemacht wird.“
Den Anweisungen seines Meisters folgend ging der Mönch mit einem leeren
Sack zu der Familie. Er schlug an seinen hölzernen Gong und rezitierte den
Namen Buddhas. Der Hausbesitzer, der ihn hörte, ging zurück, um ein Gefäß mit
Reis zu holen. Er schüttete den Inhalt in den Sack, den der Mönch bereithielt,
und dieser Sack wurde tatsächlich voll.
Der Mönch begann, den oberen Teil des Sacks zu schnüren. Der Eigentürmer
ging in der Annahme zurück, dass der Mönch weggehen würde. Der Mönch
bemerkte aber, dass der Sack irgendwie leer blieb und kein einziges Reiskorn
übrig war. Verwundert erinnerte er sich an die Anweisungen seines Meisters,
nicht eher zurückzukehren, bis der Sack voll ist. Er schlug noch einmal den
Gong und rezitierte erneut den Namen Buddhas. Der Eigentürmer fand dies sehr
merkwürdig.
„Ich habe Ihnen einen vollen Sack gegeben“, sagte er. „Wie wollen Sie ihn
tragen, wenn ich ihnen mehr gebe? Es wird Ihnen zu schwer sein.“
Aber als der Eigentümer den Sack anblickte, sah er, dass dieser leer war. Der
Reis, den er kurz zuvor eingefüllt hatte, war nicht mehr da. Er murmelte vor sich
hin, dass dies sogar böse Geister bestaunen würden. Er ging noch einen weiteren
Sack Reis holen. Nachdem er den Reissack des Mönchs aufgefüllt hatte, ging er
wieder zurück. Der Sack wurde aber wieder leer. Als jedoch der Sack zum dritten
Mal gefüllt wurde, passierte das Gleiche.
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Schließlich erkannte der Besitzer die Wahrheit. „Ich habe gehört“, dachte er
bei sich, „dass der erleuchtete Meister Wonhyo sich auf dem Berg aufhält. Er
muss derjenige sein, der den Reis so verschwinden lässt wie hier geschehen.
Wenn ich dies nicht bemerkt hätte, wer weiß dann, ob all das Getreide, das ich
gelagert habe, plötzlich um Mitternacht verschwinden könnte und in der
Lagerhalle im Tempel wieder auftaucht! Ich würde nicht nur meinen Reis
verlieren, sondern auch zum Bettler werden. Außerdem könnte ich mich nicht
einmal als Wohltäter erweisen, mein Vermögen zu verschenken. Da dies so ist,
werde ich einfach meinen Reis dem Tempel schenken und dabei eine gute Tat
vollbringen. Dann wandte er sich an den Mönch: „Ehrwürdiger Mönch, ich
verstehe den Wunsch Ihres Meisters. Bitte gehen Sie in den Tempel
zurück.“ „Ich kann nicht zurückgehen, mein Herr. Mein Meister sagte mir, nicht
zurückzukommen, ehe der Sack voll ist.“
„Sehr wohl, ich werde den Sack nochmals füllen. Wenn Sie mir versprechen,
Ihrem Meister zu sagen, dass ich morgen hundert Säcke Reis in den Tempel
bringen werde.“
Mit diesen Worten füllte er eine weitere Menge Reis in den Sack, und diesmal
blieb er voll. Als der Mönch dann in den Tempel zurückkam, berichtete er
seinem Meister, was geschehen war.
„Meister, ich habe heute ein sehr seltsames Erlebnis gehabt.“
„Was war denn los?“
Der Mönch erzählte dann seinem Meister, wie der Reis dreimal verschwunden
war und dass der Sack beim vierten Mal gefüllt war. Er fuhr fort, „Ich konnte es
nicht verstehen, noch kann ich voll und ganz daran glauben. Der reiche Mann
sagte, er wüsste, dass es die Dharmakraft Meister Wonhyos sei und versprach,
hundert Säcke Reis als Opfergabe morgen zu bringen.“
Wonhyo lachte und sagte: „Ich vermutete, er könnte so handeln.“
Am nächsten Tag, als der reiche Mann mit dem Reis in den Tempel kam, war
der Weg zum Tempel von anderen Leuten, beladen mit Opfergaben, bevölkert.
Als sich das Gerücht vom Vortag verbreitet hatte, dachten sich die andren reichen
44
Leute in der Nachbarschaft: „Wenn ich hier sitze und nichts tue, werde ich nicht
dem Einfluss des Meisters entgehen. Ich sollte meine Opfergabe so schnell wie
möglich darbringen.“ So beeilte sich jeder Lebensmittel als Opfergaben
abzugeben. Am Ende war das Lagerhaus des Tempels randvoll gefüllt, obwohl
keiner der Mönche zum Betteln von Almosen weggegangen war. Gemäß dieser
Geschichte haben die tausend Mönche von Meister Wonhyo nie wieder an
Nahrungsmangel gelitten.
5. Kwangdok und Omjang
Während der Regierung vom König Munmu gab es zwei Männer mit den
Namen Kwangdok und Omjang. Kwangdok lebte mit seiner Frau in einem Dorf
westlich des Punhwangsa-Tempels und verdiente seinen Lebensunterhalt, indem
er Strohschuhe webte. Omjang wohnte in einer Einsiedelei (Eremitage) bei
Namak und lebte von Brandrodung. Beide waren sehr fleißig beim Rezitieren
des Namens vom Amitabha-Buddha. Sie trafen eine Vereinbarung, dass derjenige
von ihnen, der zuerst in das westliche Paradies, dem Reinen-Land, eintreten
würde, dem anderen eine Nachricht zukommen lassen soll.
Eines Tages, als die Sonne unterging und die Schatten immer länger wurden,
hörte Omjang draußen vor seinem Fenster ein Geräusch. Er erkannte die Stimme
seines Freundes Kwangdok: „Ich gehe in das Reine-Land. Mein Bruder, sei
getreu zu Buddha, bleibe hier, solange es sein muss, folge mir aber so schnell,
wie du kannst.“ Als Omjang die Tür öffnete und hinausging, hörte er schöne
Musik, die von den Wolken widerhallte.
Am nächsten Tag, als er das Haus seines Freundes besuchte, erfuhr er
tatsächlich, dass sein Freund verstorben war. Mit der Ehefrau des verstorbenen
Freundes suchte er einen geeigneten Ort, um ihn zu beerdigen. Nachdem die
Trauerfeier beendet war, sagte er zu ihr: „Da Dein Mann gestorben ist, lasse
mich dein Haus hüten. Die Frau Kwangdoks stimmte zu und von da an lebten
45
beide im gleichen Haus.“
Eines Nachts kam Omjang zu der Frau Kwangdoks und versuchte sie zu
umarmen. Erschrocken sagte sie zu ihm: „Dharma-Meister, Ihre Suche nach dem
Reinen-Land ist wie ein Mann auf einem Baum, der nach einem Fisch
sucht.“ Verblüfft über ihre Worte fragte er sie: „Dein Mann Kwangdok lebte mit
Dir und ist in das Reine-Land eingetreten. Warum sollte ich ihm nicht
folgen?“ Kwangdoks Frau erwiderte: „Es ist so, wie ich es gesagt habe. Deine
Suche nach dem Westlichen-Reinen-Land ist wie ein Mann, der auf dem Ast
eines Baumes nach einem Fisch sucht. Mein Mann lebte mit mir mehr als zehn
Jahren zusammen, aber er teilte niemals mein Bett mit mir oder umarmte mich
mit unreiner Absicht. Jede Nacht saß er auf dem Boden und betete, indem er den
Namen des Amita-Buddhas rezitierte. Man sagt, dass bei einem Mann, der
tausend Meilen geht, bereits der erste Schritt auf sein Ziel zeigt. Da ich sehe, wie
Du praktizierst, glaube ich, dass Du nach Osten reisen kannst, aber nicht nach
Westen.“
Sehr beschämt entfernte sich Omjang. Er trat vor Meister Wonhyo und bat ihn
inständig, ihm den richtigen Weg, den er einschlagen soll, zu zeigen. Voller
Mitgefühle hielt der Meister ihm eine Dharmarede über die Kultivierung des
Geistes. Von diesem Zeitpunkt an hielt Omjang seinen Körper rein, bereute
zutiefst seine Sünde und widmete sich ausschließlich, Dharma zu praktizieren.
Im Lauf der Zeit trat er auch in das Westliche-Reine-Land. Dort entdeckte er,
dass die Frau Kwangdoks zu Lebzeiten eine Dienerin im Punhwangsa-Tempel
war. In der Tat war sie eine der Inkarnationen des Bodhisattva-Kuanum.
Betrachten wir die Menschen in dieser Geschichte. Kwangdok, der
Strohschuhe webte, Omjang, ein Bauer, der von Brandrodung lebte und
Kwangdoks Frau, eine Dienerin im Punhwangsa-Tempel. So können wir sehen,
dass die Fähigkeit Wonhyos das Wissen des Buddhismus zu verbreiten, sowohl
bei den einfachen Leuten als auch bei den höheren Gesellschaftsschichten
gelungen ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Praxis des Buddhismus nicht
den Mönchen allein vorbehalten ist. Laien aller Art praktizieren die
46
buddhistische Lehre im täglichen Leben. Der Grund für die große Popularität des
Reinen-Land-Konzepts scheint in seiner Einfachheit und in seiner grundlegenden
Attraktivität zu liegen. Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin, dass jeder
gleich mit der Buddha-Natur ausgestattet ist, unabhängig von
Gesellschaftsschicht, Position oder Wohlstand. Auch wenn jemand die
komplexen buddhistischen Schriften nicht versteht, oder sich wahrhaftig einer
von mehreren Methoden der Praxis entsprechend seinem jeweiligen Niveau
widmet, kann jeder darin seine Buddha-Natur entdecken.
6. Wonhyo lehnt eine Opfergabe vom Himmel ab
Einmal besuchte Wonhyo Meister Uisang auf dessen Einladung im NaksansaTempel. Als längst die Zeit zum Mittagsessen vorüber war, gab es noch keine
Anzeichen für das Essen. Darauf fragte Wonhyo Uisang nach dem Grund dafür,
und Uisang erklärte ihm, dass es im Kloster keine Wasserquelle gibt. Da sie
keinen Reis kochen konnten, waren sie deshalb auf ein Essensangebot
angewiesen, das ihnen von einem göttlichen Wesen vom Himmel gebracht wurde.
Die Stunden vergingen und sogar um vier Uhr nachmittags kam das himmlische
Essensangebot noch nicht an.
Wonhyo erhob sich von der Stelle, wo er gesessen hatte und sagte dabei: „Es
ist nicht richtig, dass fühlende Wesen in der Welt himmlische Malzeiten
empfangen sollten. Dies gilt auch für höchst Erleuchtete.“ Er nahm einen Stock
und trieb ihn in einen Felsen hinter dem Kloster hinein, um eine neue Quelle zu
schaffen.
Als Wonhyo die Tempelanlage verlassen hatte, erschien das himmlische
Wesen mit dem üblichen Essensangebot. Uisang fragte, warum das Essen erst so
spät angekommen ist. Das himmlische Wesen erklärte, dass während der
Anwesenheit von Meister Wonhyo die Wächter-Devas des Blumen-OrnamentOrdens die Anlage des Tempels bewachten und er es nicht gewagt hat einzutreten.
47
Als Meister Wonhyo den Tempel verließ, entfernten sich auch die WächterDevas, und es war dann möglich, sich dem Tempel zu nähern.
Diese Geschichte zeigt, dass Uisang ein großer erleuchteter Meister war, der
von himmlischen Wesen Nahrungsmittel erhielt. Gleichzeitig zeigt die
Geschichte, dass Wonhyos Erleuchtung größer als die von Meister Uisang war
und ebenso, dass Wonhyo der maßgebliche Vertreter des Blumen-OrnamentSutra war. Wonhyos Aussage, dass es nicht richtig ist, dass Lebewesen in der
Welt Opfergaben von himmlischen Malzeiten annehmen. Dies zeigt seine
äußerste Demut, mit der er sein Leben und Studium erfüllte.
7. Meisterwerk Meister Wonhyos: Exposition des Vajrasamadhi Sutra
Die Königin des Silla-Königreichs erkrankte einst an einem Gehirntumor.
Weder berühmte Ärzte noch renommierte Schamanen konnten sie heilen. Ein
Weiser am königlichen Hof erklärte, dass ihre Krankheit nur mit Medizin aus
dem Ausland geheilt werden kann. Der König schickte einen von seinen
vertrauten Höflingen nach China, um dort die Medizin zu finden.
Der Höfling bestieg ein Schiff und machte sich auf den Weg nach Tang-China.
Während er auf See war, erschien ihm ein alter Mann und sprach folgende
Worte: „Um die Krankheit der Königin zu heilen, müssen Sie mit mir in den
Drachen-Palast kommen. Dort müssen Sie mit dem Drachen-König sprechen.
Nur so erhalten Sie dann das Heilmittel.“
Der alte Mann führte den Höfling in die Tiefen der See. Es dauerte nicht lang,
und er stand vor dem Thron des Drachenkönigs.
Der Drachenkönig fragte den Höfling, woher er gekommen sei.
„Eure Hoheit, ich wurde vom Silla-Königreich geschickt. Bevor ich hier
hergebracht wurde, war ich auf dem Weg nach Tang-China, um die Medizin für
die Krankheit unserer Königin zu finden.“
„Sie waren gut beraten, hierher zu kommen“, antwortete der Drachenkönig:
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„Ihre Königin wird sich bald erholen.“
„Welche Medizin kann sie heilen?“
„Nicht die Medizin, sondern ein weiteres Mittel wird Ihre Königin retten. Ihre
karmische Bindung mit Buddha ist sehr stark, und ihre Krankheit wird nur
geheilt werden können, indem sie das Buddha-Werk umsetzt.
„Was ist das Buddha-Werk, Eure Hoheit?“
„In diesem Palast gibt es ein Sutra, genannt Adamantine Schrift, die noch
nicht der Welt vorgestellt worden ist. Nehmen Sie dieses Sutra und sorgen Sie
dafür, dass es überall in der Welt bekannt wird. Wenn dies geschehen ist, wird
die Königin voll genesen. Behüte es und beeile dich!“
Der Drachenkönig gab ihm dann ein Bündel von Blättern, auf denen das Sutra
geschrieben war. Um deren Sicherheit zu gewähren, öffnete er das Bein des
Mannes und stellte das Sutra hinein. Er schloss die Wunde und gab dem Höfling
einen Topf mit Salbe.
„Wenn Sie zu Ihrem Land zurückkehren, entfernen Sie das Sutra und wenden
Sie diese Salbe für Ihre Wunde an. Ihr Bein wird dann geheilt werden.“
Der Drachenkönig fuhr fort: „Stellen Sie sicher, dass Meister Tae-an derjenige
ist, der die Blätter in Ordnung bringt und sie bindet. Seht zu, dass Meister
Wonhyo einen Kommentar verfasst und einen Dharma-Vortrag über die neue
Schrift liefert. Wenn Sie dies tun, wird die Königin sicherlich geheilt werden.“
Der Drachenkönig brachte ihn zur Oberfläche und schickte ihn auf seinen Weg.
Als der Höfling zurückkehrte, war der König Sillas überglücklich und gab sofort
einen Befehl, dass der heilige Mann Tae-an in den Palast gebracht werden sollte.
Allerdings hatte niemand von Tae-an gehört, und es herrschte am königlichen
Hof große Besorgnis.
Eines Tages erschien im Königreich ein seltsamer Mönch mit ausgefallenen
Gewändern. Während er an seine Almosenschüssel aus Kupfer klopfte, wanderte
er von Ort zu Ort und rief „Tae-an, Tae-an!“ In der Annahme, dass dieser Mönch
vielleicht der Heilige sei, der das Sutra binden sollte, ging der Höfling, der diese
Mitteilung vom Drachen-König mitgebracht hatte, zu dem Mönch und bat ihn,
49
mit ihm zu sprechen.
Der Höfling erzählte ihm die Geschichte von seinem Besuch des DrachenPalastes. Der Mönch stimmte zu, ihn zum königlichen Palast zu begleiten.
Endlich war Meister Tae-an gefunden.
Außerhalb des Palastes sagte der Mönch zu dem Höfling: „Es gibt keine
Notwendigkeit für mich den weltlichen Palast zu betreten. Bringen Sie mir das
Sutra.“ Als die lose Blattsammlung gebracht wurde, teilte Tae-an sie schnell in
sechs Kapitel ein. Schließlich konnte die Bedeutung des Textes verstanden
werden. Als er jedoch das Sutra dem Höfling übergab, sagte er: „Nur Meister
Wonhyo besitzt die Weisheit, einen Kommentar zu dem Sutra zu verfassen. Sie
müssen ihn suchen.“ Daraufhin ging der Mönch seinen Weg, indem er sein
gewohntes Lied sang.
Inzwischen studierte Meister Wonhyo in Sangju, seinem Geburtsort. Ein Bote
wurde entsandt, ihm das Sutra zu übermitteln. Wonhyo war bewusst, dass der
Bote kommen würde, und ritt ihm auf einem Ochsen entgegen, um ihn zu treffen.
Der Bote reichte ihm respektvoll das Sutra. Wonhyo warf einen kurzen Blick auf
die Seiten. Er platzierte dann einen Tuschereibstein zwischen den Hörnern des
Stiers, nahm einen Pinsel und begann, seinen Kommentar auf der Stelle zu
verfassen. Noch ehe der Ochs die Hauptstadt Kyongju erreichte, hatte er einen
fünfbändigen Kommentar fertiggestellt. Dieser Kommentar ist auch als „Horn
Vehicle“ bekannt, da dieser geschrieben wurde, während Wonyo auf dem Ochsen
ritt. Es ist ein Sutra des Großen-Fahrzeugs (Mahayana-Buddhismus).
Kurz danach befahl der König Meister Wonhyo einen Dharma-Vortrag,
basierend auf dem neuen Sutra, im Hwangyongsa-Tempel, abzuhalten. In der
Nacht zuvor stahl eine Gruppe von Verschwörern den Kommentar (Auslegung)
des Sutra, den er bearbeitet hatte. Aufgrund dieses Vorfalls informierte Wonhyo
den König und bat den Dharma-Vortrag um drei Tage zu verschieben. Er schrieb
dann einen neuen Kommentar in drei Bänden, welche in späteren Jahren eher als
die Schriftstücke eines Bodhisattvas, als die eines großen Meisters betrachten
wurden. Sie wurden als sogenannte Abhandlung bezeichnet. Die Schriften
50
wurden von Wonhyo auf dem Höhepunkt seiner geistigen Kräfte bearbeitet. Sie
enthalten mehrere universelle Themen aus den Werken Wonhyos. Diese Themen
umfassen die Rolle der meditativen Versenkung (Sindhi in Sanskrit), die
Bedeutung des immanenten Potenzials für die Erleuchtung (Tathagatagarbha in
Sanskrit), die Inspiration ursprünglicher Erleuchtung und den Verzicht auf die
Hingabe, um die Realität zu schätzen.
Als der König, die Königin, Regierungsbeamte, renommierte Mönche und
gewöhnliche Leute sich im Hwangyonsa-Tempel versammelten, stieß Meister
Wonhyo sein5 Löwengebrüll aus. Als der Dharma-Vortrag zu Ende war, blieb die
Besuchermenge noch für eine Weile sitzen, ihr Geist erfüllt mit Ehrfurcht und
Freude. Dann entfernte Wonhyo sich von seinem Platz und sagte dabei: „Als
hundert Dachsparren erforderlich waren, wurde ich nicht gerufen. Als aber der
Hauptbalken notwendig wurde, konnte ich nur allein helfen.
Diese Erklärung bezog sich auf die Tatsache, dass er von der „Versammlung
der Hundert Plätze“, einem Rat von hundert bedeutenden Mönchen nicht gerufen
wurde. Dieser Rat wurde nach der hier verwendeten Metapher zynisch als
„Dachsparren“ bezeichnet. Wenn er sich selbst als den „wichtigsten
Hauptbalken“ bezeichnete, deutete Wonhyo an, dass er allein in der Lage war,
um eine solide Grundlage für den Buddhismus im Silla-Königreich zu schaffen.
Es ist wichtig zu erkennen, dass diese Worte nicht aus Hochmut oder
Geringschätzung wurden. Durch die Ermahnung der Mönche, welche von Erfolg
und Lob motiviert waren, befreite er sie von ihrer Unwissenheit und
Überheblichkeit. Man sagt, dass beim Anhören des Tadels von Wonhyo, die
Versammlung der ausgezeichneten Mönche ihre Köpfe senkte und ihre Fehler
tief bereute.
Kommentare über buddhistische Schriften werden üblicherweise als
„So(疏)“ bezeichnet, was Diskurs oder Erörterung bedeutet. Aber dem
Kommentar Wonhyos wurde der Titel „Non(論)“ verliehen, welcher besser als
5
Löwengebrüll: Ein buddhistischer Fachbegriff, bezeichnend eine leistungsfähige Art der
Lehre, die karmische Hindernisse überwindet und innere Weisheit der Zuhörer erweckt.
51
„Abhandlung“ zu übersetzen ist. Diese Bezeichnung „Non“ bedeutet ein Werk
von höchster Wichtigkeit. Ferner ist dieser Text Bestandteil von großen
kanonischen Schriften, die auch als Tripitaka bekannt sind. Faktisch wird
„Non“ nur für die Schriften Buddhas und von großen Meistern wie Nāgārjuna
oder Vasubandhu verwendet, deren Grad der Erleuchtung ähnlich wie des
Buddhas war. In der Geschichte des ostasiatischen Buddhismus haben nur fünf
Männer Werke geschrieben, die als „Non“ klassifiziert wurden. Auf diese Weise
nimmt Wonhyo unter den Weisen Ostasiens einen hohen Platz ein.
52
Vll. Folgen dem Pfad Buddhas
1. Ein Leuchtturm, der ewig leuchtet
Die heftigen Konflikte unter den drei Königreichen von Korea endeten im
Jahre 686. Zehn Jahre, nachdem Reste der Tang-chinesischen Armee von der
koreanischen Halbinsel endgültig verschwunden waren, wurde Korea von einem
neuen Gefühl des Friedens erfüllt. In diesem Jahr erreichte die Lebenskraft und
Hingabe Wonhyos sein Ende. Im Alter von 70 Jahren, am 30. Tag des dritten
Monats nach dem Mondkalender im Frühling, beendete Wonhyo seine
karmischen Bindungen mit der Welt in der Nähe des Hyol-Tempels in Kyongju.
Meister Uisang, der damals mit seinen 60 Jahren den Blumen-OrnamentBuddhismus im Pusoksa-Tempel auf dem Taebaek-Berg lehrte, war
wahrscheinlich ebenso wie Wonhyos zwanzigjähriger Sohn Solchong zugegen,
der den höchsten Grund zur Trauer hatte. Allerdings gibt es keine
Aufzeichnungen über seinen Tod. Auf seinem Grabstein wurde geschrieben: „Er
bemühte sich, den Prinzipien des Universums zu folgen, und machte sich die
tiefgründigste Wahrheit zum Ziel.“
Meister Zanning aus China, Autor des Liedes Gaoseng Zhuan. (Leben von
angesehenen Mönchen in Liedform zusammengestellt) charakterisierte Wonhyo
den Gelehrten mit folgenden Worten.
Wonhyo griff mutig die Bastion der Meinung an und machte furchtlos
seinen Weg durch die Vielzahl der Schriften. Mit Schnelligkeit und
53
Entschlossenheit marschierte er immer weiter und zog sich nie zurück.
Weitgehend bewandert in den dreifachen Prinzipien der Einhaltung,
Klarheit und Weisheit, nannte ihn das Volk seines Landes „Gewinner
gegen Zehntausend“. So war seine meisterliche Wahrheit, so war seine
Heiligkeit.
Es ist bemerkenswert, dass die Menschen von Silla ihn mit dem oben
genannten Begriff lobten. „Ein Spiel gegen Zehntausend“ bedeutet, dass jemand
die Weisheit und den Mut besitzt, um gegen unzählige feindliche Truppen allein
ohne Schwierigkeiten antreten zu können. Legendären Generälen, wie Guanyu
und Zhanfel, wurde dieser Titel verliehen. Es ist interessant, dass Wonhyo, ein
Gelehrter, mit den fähigsten Generälen seiner Zeit verglichen wird. Auf diese
Weise wurde seine energische und unverwechselbare Herangehensweise an das
Leben, an das Feld des Dharmas, ausgedrückt.
Für die Menschen von Silla war „Ein Spiel gegen Zehntausend“ sicherlich
keine Übertreibung. In der 1600-jährigen Geschichte des koreanischen
Buddhismus belegen seine Lehren und Schriften den Höhepunkt des
Erreichbaren. Keine früheren Meister erreichten den Höhepunkt, den Wonhyo zu
Lebzeiten erreicht hatte. Nachfolgende Meister mit ähnlichen Fähigkeiten sind
weit davon entfernt.
Die 240 Bände, die Wonhyo bekanntlich verfasst hat, können nur als
übermenschliche Anstrengung des Studiums und der Schriftstellerei beschrieben
werden. Diese Bände umfassen fast jeden Aspekt des Buddhismus, einschließlich
Hinayana, Mahayana und die Tripitakas der Sutras, Vinaya und Shastra. Die
Tiefe der Wahrnehmung und Klarheit der Interpretation sind in seinen
wichtigsten Werken Taesung Kisillon So (Kommentar zum Erwachen des
Glaubens) und Kumgang Sammaegyong Non (Darstellung des VajrasamadhiSutra) zu finden. Diese beiden Werke wurden von buddhistischen Meistern und
Gelehrten auf der ganzen Welt gelobt und bleiben ein Leuchtfeuer für die
Wahrheit der buddhistischen Welt.
54
2. Die Ästhetik eines Alles-Ein-Geistes
Beim Schlafen in einem unterirdischen Schutzraum gestern fühlte ich
mich wohl.
Aber beim Schlafen in einem Grab letzte Nacht war mein Geist sehr
unruhig.
Nun verstehe ich – wenn ein Gedanke entsteht, entstehen alle Dharmas
(Phänomene).
Wenn ein Gedanke verschwindet, sind Unterkunft und Friedhof
Ein und dasselbe.
Die Drei-Welten existieren einfach im Geist,
Und alle Phänomene sind bloße Wahrnehmung.
Da kein Dharma außerhalb des Geistes existiert,
Wie kann es woanders gesucht werden?
In diesem Lied, das er nach seinem berühmten Erwachen in der Grabkammer
komponierte, übernahm Wonhyo einen Satz aus der Schrift Erwachen des
Glaubens, eine klassische Einführung in die Mahayana-buddhistische Tradition,
um seinen radikalen Perspektivwechsel zum Ausdruck zu bringen. Es gilt der
Satz:
Wenn ein Gedanke entsteht, entstehen alle möglichen Phänomene.
Wenn der Gedanke verschwindet, verschwinden alle möglichen
Phänomene.
Er änderte dies ab:
Weil ein Gedanke entsteht, entstehen alle Phänomene.
Weil der Geist verschwindet,
Sind Unterkunft und Friedhof nicht mehr voneinander zu trennen.
55
Die Entdeckung des „Alles-Ein-Geist“ veränderte das Leben Wonhyos und
wurde dadurch als Praktizierender wiedergeboren. Die Weisheit, die er durch
diesen Wandel auf das Alaya6 Bewusstsein erworben hat, war in der Tat tief.
Einmal hat er erkannt, dass die beiden Gegensätze von Reinheit und
Verunreinigung durch diesen „Alles-Ein-Geist“ eins werden. Es gab nichts, ihn
zurückzuhalten. Ungehindert und vollständig befreit verwirklichte er seine
nachfolgenden Anstrengungen im Schreiben und in der Verbreitung Buddhas
Lehre „Nicht-Hinderung“.
Durch die Brille des Alaya Bewusstseins betrachtend erkannte Wonhyo, dass
der Unterstand und das Grab dasselbe sind. Das gleiche gilt für den Kreislauf
von Geburt und Tod und Nirvana. Mit Blick auf das Leben der Menschheit auf
der Basis von Nicht-Dualität gab er seine Reise im Ausland auf und begann ein
neues Leben in seiner Heimat. Aufgrund dieser großen Erkenntnis betrachtete
Wonhyo die menschliche Existenz auf eine grundsätzlich andere Weise.
Da der Dharma nicht außerhalb des Geistes existiert, wohin würde man gehen,
um den Dharma zu suchen? Wenn es die Wahrheit in Tang-China gibt, warum
existiert sie nicht in Silla? Sicherlich geht es hier um die wahre Kultivierung des
Geistes, „wie“ er kultiviert wird, aber nicht „wo“ er kultiviert wird. Die Frage ist
sicherlich, „wie“ das Problem von Leben und Tod gelöst wird und nicht „wo“ es
gelöst wird.
So dachte Wonhyo selbst nach. Aufgrund der dramatischen Veränderung
seiner Sichtweise, die in kurzer Zeit von einem Tag und einer Nacht aufgetreten
war, begann er das Alaya-Bewusstsein vertieft zu analysieren.
Da die biologischen Bedingungen für alle Lebewesen gleich sind, kann die
Wahrheit überall gefunden werden. Warum müssen wir dann nach Tang-China
reisen? Wie unterscheiden sich Silla und Tang, und worin sind sie gleich? Was
gibt es hier? Was sollte es hier geben? Wie können wir die Lücke zwischen den
6
Alaya Bewusstsein: Das allem zugrundeliegende Bewusstsein; jener Aspekt des Geistes,
der die Grundlage für die – durch Illusion bedingte – Identifikation mit einem Ich und für
das dualistische Denken ist.
56
beiden verringern. Er steht zwischen diesen beiden Achsen der universellen
Wahrheit. Er dachte über diese Fragen nach und erfuhr bedeutsame Qualen des
Denkens.
Durch diesen tief greifenden Wandel in der Wahrnehmung des Geistes nahm
Wonhyo die wahre Natur des Geistes wahr, der innerhalb eines jeden
Lebewesens existiert. Wonhyo erkannte, dass dieser „Alles-Ein-Geist“ unendlich
und zugleich der Geist aller fühlenden Wesen ist. Durch dieses spontane SelbstErwachen gab er seine Reise in das Tang-China auf und wurde zu einem
führenden Denker und Visionär in seinem eigenen Land.
In der Taesung Kisillon So (Kommentar zum Erwachen des Glaubens)
erläuterte Wonhyo die Theorie des Alles-Ein-Geistes wie folgt:
Was ist Alles-Ein-Geist? Da alle Phänomene der Reinheit und
Unreinheit in der Natur nicht voneinander getrennt sind und da die
Türen von Wahrheit und Unwahrheit ebenfalls gleich sind, spricht
man von „Eins“. Wo es keine Diskriminierung zwischen den beiden
gibt, sind alle Erscheinungen am wahrsten, wie freie Luft. Da die
wahre Natur untrüglich verstanden wird, spricht man von Geist. Da es
kein solches Ding wie „Zwei“ geben kann, kann es nicht so etwas wie
„Eins“ geben. Wenn es kein „Eins“ gibt, was können wir Geist
nennen? Da diese Wahrheit, trotz Beschreibungen und abstraktem
Denken nur ungenügend zu erfahren ist, und nicht wissend, wie Worte
zu gebrauchen sind, nenne ich es ungern „Alles-Ein-Geist“.
„Alles-Ein-Geist“ liegt jenseits des Horizonts der „Anderen“. Wonhyo
entdeckt das Konzept des „Alles-Ein-Geist“ außerhalb der Einschränkungen
einer Welt der binären Alternativen. Weil gegensätzliche Begriffe wie rein und
unrein davon abhängen, dient „Alles-Ein-Geist“ als Grundlage für alle
Existenzen. Wenn wir einen Alles-Ein-Geist entdecken, welcher die Quelle von
allem ist, entstehen keine unterscheidenden Gedanken. Die Teilung der Drei-
57
Königreiche, die Teilung von Ost und West, Nord und Süd, all dies schmilzt im
Ofen des „Alles-Ein-Geistes“.
Die fühlenden Wesen sind im Grunde erleuchtet. Daher wird Erleuchtung
nicht durch den Erwerb von etwas anderem erreicht. Tatsache ist, dass wir durch
Verblendung, Ignoranz und Anhaftung der Wünsche beeinflusst sind, und damit
nicht in der Lage sind, die Wahrheit zu erkennen. Das ist die Last, die wir als
fühlende Wesen tragen. Jedoch wird die Erleuchtung bei jedem Menschen klar
erkennbar, wenn man den Geist kultiviert und den Nebel der Unwissenheit wie
einen friedlichen Ozean beruhigt. Die Wahrheit ist getrübt, wenn wir sie nur für
einen bestimmten Augenblick oder aus einer speziellen Perspektive betrachten.
Mit dem Alles-Ein-Geist als sein Leitmotiv bemühte sich Wonhyo dem
Buddha zu dienen. Es war Alles-Ein-Geist der Grund, dass er literarische Werke
verfasste. Es war das allgegenwärtige Ziel von Alles-Ein-Geist, dass er sein
Leben mit „Nicht –Hinderung“ lebte. Er versuchte sein wahres Selbst durch die
Rückkehr zur Wurzel des Alles-Ein-Geistes zu entdecken, und für alle
Lebewesen nützlich zu sein.
3. Die Logik und die moralischen Grundsätze von Hwajaeng
(harmonisierende Streitkultur)
Wegen unterschiedlicher Interessen geraten Menschen oft in Konflikte, und
friedliche Tage gibt es wenige auf der Welt. Obwohl jeder Friede und
Versöhnung sucht, ist es doch schwer, sich der Meinung anderer zu beugen.
Das siebte Jahrhundert n.Chr. war in Ostasien eine Zeit großer
Auseinandersetzungen und Zwietracht, und die koreanische Halbinsel war
dauernd in Kriege verwickelt. Die Zwänge eines strengen Klassensystems hatten
auch viel Aufruhr und Unruhe in der Bevölkerung verursacht. Wonhyos Leben
war von diesen Bedingungen seiner Zeit nicht unberührt geblieben. Sein Plan, an
der Tang-Hochschule zu studieren, wurde zu seiner großen Enttäuschung
58
vereitelt, als er als Spion in Liadong verhaftet wurde. Obwohl Wonhyo
ursprünglich eingeladen worden war, einen Sitz in der nationalen „Versammlung
der hundert Sitze“ einzunehmen, wurde seine Stellung durch Rivalen
unterwandert und die Einladung später wieder zurückgenommen. Er wurde auch
seines ersten Kommentars zum Adamantine-Sutra beraubt, und zwar vor dem
Dharma-Antrittsvortrag, den der König angeordnet hatte.
Doch Wonhyo wählte einen Weg der Versöhnung, der Auseinandersetzung
und Konflikt mit einbezog. Als eine Art, mit solchen Situationen umzugehen,
schlug er die Methode des Hwajaeng vor. Das Hwajaeng erlaubt keine
Unterscheidung zwischen Positivem und Negativem, sondern betont, dass alles
auf der Welt miteinander verbunden ist. Aufgrund dieser wechselseitigen
Abhängigkeiten und dem gemeinsamen Ursprung aller Dinge sind das Ganze
und das Teil eine Einheit. Deshalb sollte man nicht durch „die Täler wandern,
ohne den Berg zu sehen“ oder „zu einem Wald eilen und die Bäume
übersehen.“ Aus der einen Sichtweise sind wir eine Einheit, und aus einer
anderen sind wir viele. Dieser Gedanke ist in der folgenden Textstelle aus
Wonhyos Werk zusammengefasst.
Ganzheitlich betrachtet gibt es nur eine Sichtweise;
Einzeln betrachtet gibt es zehn Tore.
Aber einzeln betrachtet ist das Eine nicht mehr.
Aber als Ganzes betrachtet, sind zehn nicht weniger.
Wenn als Vieles betrachtet, sind zehn nicht unüberschaubar;
Aber allein betrachtet ist das Eine nicht begrenzt.
So war Wonhyo nicht eingeschränkt in seiner Behandlung von dem Einen
oder der vielen Teile. Es kümmerte ihn auch nicht, ob seine Ansichten von
anderen akzeptiert oder abgelehnt wurden. Wenn man nicht an Anerkennung
anhaftet, kann man durch Bestätigung seiner Ansichten nichts gewinnen und
durch Ablehnung nichts verlieren. In einer Diskussion ignorieren wir oft die
59
Meinung anderer und halten an unserer Ausgangsposition fest. Doch immer,
wenn wir etwas zu verstehen versuchen oder etwas vorschlagen und dabei an
unseren Einstellungen und Vorlieben festhalten, ist es schwer für uns, das Thema
objektiv von einer ganzheitlichen Sicht aus zu betrachten. So ist es schwierig,
eine Sache so zu sehen, wie sie wirklich ist. Wir sehen die Welt gefiltert durch
unsere eigene Sichtweise, wir messen Dinge an unseren eigenen Maßstäben und
betrachten und analysieren Sachverhalte und Dinge mit uns selbst als zentralen
Bezugspunkt. Doch all diese Überheblichkeit kommt vom Ich-Bewusstsein.
Um zu vermeiden, dass wir die Wirklichkeit durch diese ich-zentrierte
Sichtweise verzerrt sehen, müssen wir frei von Vorstellungen und Vorurteilen
sein. Das bedeutet, gleichzeitig unseren Geist als begrenzt zu sehen und ständig
bemüht zu sein, diese Grenzen zu überschreiten und unseren Geist zu öffnen.
Wie Wonhyo in dem Kommentar über das Erwachen des Glaubens bemerkt:
„Wenn du frei von vorgefassten Meinungen und Vorstellungen bist, werden du
und dein Gegenüber gleich sein.“ Um etwas einzuschätzen, was die
Dimensionen und Begrenzungen unserer Maßstäbe überschreitet, müssen wir
dazu bereit sein, diese festen Standards und Vorstellungen fallen zu lassen.
Obwohl es leicht ist zu sagen, dass wir etwas „loslassen“ müssen, ist es
tatsächlich sehr schwer für unseren Geist, wirklich loszulassen. Solange wir an
uns selbst festhalten, oder glauben, dass die anderen von uns abgetrennt sind, ist
es uns nicht möglich, unseren Geist leer zu machen. Eine Person, die versucht,
einen Kampf zu beenden, muss unparteiisch sein. Hwajaeng ist nur möglich,
wenn es sich auf absolute Unparteilichkeit gründet. Wenn wir zu Handlungen
fähig sind, die völlig selbstlos sind, wie Buddhas Taten, können wir schließlich
von den Differenzen und Disputen zwischen Weisen und Akademikern befreit
werden.
Wenn wir in der Enge unserer eigenen Vorstellungen gefangen bleiben und
auf der absoluten Gültigkeit einer gewissen Sichtweise bestehen, oder einen
bestimmten Standpunkt dogmatisieren, werden Probleme unvermeidbar sein.
Wonhyo beschreibt eine solche Haltung wie folgt:
60
„Es gibt jene, die ihre eigene begrenzte Meinung äußern, gegründet auf das
Wenige, das sie gehört haben; wenn andere zustimmen, sind sie erfreut und
zufrieden, aber wenn andere nicht übereinstimmen, sagen sie, dass diese falsch
lägen. Wie jemand, der den Himmel durch die Röhre eines Schilfhalmes
betrachtet, finden solche Leute es gut, wenn andere den Himmel durch die
gleiche Röhre betrachten, und behaupten, dass jene, die das nicht tun, nicht in
der Lage sind, den Himmel zu sehen.“
Wonhyo tadelt die unkluge Art der Engstirnigen und Schwachen, zu
behaupten, dass nur ihre Meinung richtig ist, und die Worte der anderen nicht zu
akzeptieren. Obwohl Maßstäbe nicht immer gleich sind, sind sie auch nicht
immer unterschiedlich. Nichts ist dasselbe, doch nichts ist wirklich
unterschiedlich. In Wonhyos Worten: „Weil es viele Sichtweisen gibt, sind viele
möglich, und weil sie alle Eins sind, sind letztendlich alle Sichtweisen eine
einzige Sicht. Wie könnte es nur einen Pfad im Leben geben? Es gibt eine breite
Straße, eine Wasserstraße, einen einsamen Trampelpfad. Wie könnten wir sagen,
dass nur ein Weg der richtige ist? Jede Art von Weg kann uns zur Glückseligkeit
führen. Wenn wir unseren engen und eingezwängten Geist öffnen, enthüllt sich
ein offener Himmel voller Möglichkeiten.“
Das gesprochene oder geschriebene Wort ist wie ein Finger, der zum Mond
zeigt. Es genügt, den Mond anzuschauen anstatt nur den Finger. Wie Wonhyo
sagt: „Mit Worten will ich den Dharma, den hinter den Worten liegt,
veranschaulichen. Genau wie der Finger, der zum Mond zeigt, sind der Mond
und der Finger nicht dasselbe.“
Wenn man seine Aufmerksamkeit auf rhetorische Figuren richtet, geschieht es
leicht, dass einem das Wesentliche von dem, was gesagt wird, entgeht. Deshalb
ist es besser, man sucht den Sinn hinter den Worten, anstatt sich auf die Wörter
selbst zu konzentrieren. Wenn man nur auf die Wörter achtet, ist es schwer, die
Meinung des anderen zu erfassen, was immer sie sein mag. Aber wenn wir auf
die Bedeutung der Wörter, den Sinn hinter den Wörtern schauen, gibt es nichts,
was nicht erfasst werden kann.
61
Bei Worten gibt es nichts zu akzeptieren.
Bei Worten gibt es nichts zurückzuweisen.
Das ist eine weitere Lektion, die uns Wonhyo erteilt. Wenn wir die Bedeutung
aus den Augen verlieren und uns nur an Worte klammern, ist es genau so, als
untersuchte man seine Fingerspitze und betrachtete etwas, das eben nicht der
Mond ist. Es wäre besser von unseren Vorstellungen und Vorurteilen völlig
abzulassen und den Worten von anderen zuzuhören. Besser wäre noch, wenn wir
durch die Augen der anderen sehen und die wahren, unausgesprochenen Worte
ihrer Gedanken aufnehmen könnten.
4. Die Philosophie von Ilche - Muae (Die Hindernislosigkeit von allem)
Das Prinzip von Ilche-Muae bildete die Grundlage von Wonhyos Leben. Da er
keinem einzigen Ding anhaftete, war er ein vollkommen freier Mann. Sein
Bestreben, bei allem „ungehindert“ zu sein, drückt er so in Worten aus: „Einer,
der an nichts mehr anhaftet, wird umgehend vom Kreislauf von Geburt und Tod
befreit werden.“ Für ihn war der Buddha nicht abgetrennt von allen
empfindungsfähigen Wesen. So versicherte er: „Wenn wir es genau betrachten,
ist der Geist aller empfindungsfähigen Wesen unteilbar und deshalb ohne
Hindernis. Er ist so ruhig wie die Oberfläche des Ozeans, und es gibt keine Basis
für irgendwelche Unterschiedlichkeiten.“ Deshalb sah er es als gegeben an, dass
unbegrenzte Freiheit im Geiste eines jeden empfindungsfähigen Wesens existiert
und dass jeder selbst auch ein gänzlich befreites Wesen werden kann. So schlug
er das Konzept des „Einen-Fahrzeugs“ und des „Alles-Ein-Geistes“ vor, ohne
sich nach irgendeiner besonderen Sekte oder Schule auszurichten.
Gemäß seiner Philosophie war es für ihn am wichtigsten, den Alles-Ein-Geist
wieder zu entdecken. Was die tägliche Praxis anging, hielt er das`Ohne62
Hindernis-Sein´ für das Wichtigste. Die Freiheit, die er anstrebte, gründete sich
nicht auf die Sehnsucht der materiellen Wirklichkeit zu entfliehen, sondern sollte
dazu dienen, die Kraft der Nicht-Dualität in der irdischen Welt nutzbar zu
machen zum Wohle aller empfindungsfähigen Wesen. In anderen Worten, er
glaubte, dass das unaufhörliche Ausüben von Mitgefühl und Erbarmen allen
empfindungsfähigen Wesen gegenüber der Schlüssel zu einem Leben ohne
jegliche Hindernisse und Einschränkungen ist.
Ob in der Theorie oder in der Praxis, Wonhyo war wirklich frei und
ungehindert in allem. Aus seiner Sicht heraus sind alle Wesen frei und ohne
Hindernisse, da alle im Alles-Ein-Geist wurzeln. Doch weil wir von unserem
Ego geplagt und getrieben werden, verlieren wir die Freiheit unseres ureigenen
wahren Willens und leben demzufolge inmitten unendlichen Leids. Deshalb
müssen wir zu unserem ursprünglichen Zustand zurückkehren und unsere
Wurzeln in dem Alles-Ein-Geist wieder entdecken. Hier finden wir eine Parallele
zu den Gedanken und Vorstellungen des deutschen Philosophen Martin
Heidegger von Heimatlosigkeit und Heimkehr. Empfindungsfähige Wesen haben
im Grunde ihres Herzens „Heimweh“ und Buddha ist die Heimat, die sie suchen.
Methoden spiritueller Praxis sind einfach nur ein Mittel, daheim anzukommen.
5. Das Zerbrechen des Schreibpinsels
Bei seinem Bestreben, die Menschen von ihren Leiden zu befreien, ganz im
Geiste eines mitfühlenden Bodhisattva des Mahayana Buddhismus (des Großen
Fahrzeugs des Buddhismus) ließ Wonhyo bedeutungslose Formalitäten, die zu
dieser buddhistischen Richtung gehören, einfach fallen. Gleichzeitig betonte er
aber die Wichtigkeit des inneren Erwachens eines Übenden, das durch
aufrichtige Reue möglich wird. Im Song Gaosong Zhuan (Die Leben von
hervorragenden und außergewöhnlichen Mönchen zusammengefasst in einem
Lied) von Zanning (919 - 1001) wird Wonhyos Leben wie folgt beschrieben:
63
Seine Worte waren geradezu und direkt und sein Verhalten wich von
den akzeptierten Konventionen ab, oft so weit, dass es nicht mehr als
recht und anständig erachtet wurde. In der Gesellschaft von Laien ging
er sogar in Tavernen und Bordelle. Wie Zhigong trug er auch ein
Messer und einen Stab aus Eisen bei sich. Manchmal verfasste er
Kommentare zum Blumen-Ornament-Sutra. Manchmal spielte er auch
die Komungo (koreanische Zither), um die Atmosphäre im Tempel zu
beleben. Manche Nacht verbrachte er im Hause eines Dorfbewohners.
Tagsüber meditierte er oft an einem Bach in den Bergen. So lebte und
praktizierte Wonhyo auf ganz spontane Weise und hielt sich nicht an
irgendwelche festgelegte Regeln.
Wonhyos ungehindertes und freies Leben begann, nachdem er den Alles-EinGeist wahrgenommen hatte. Wenn er Zeit mit Clowns, Metzgern, Prostituierten,
ungebildeten Bauern verbrachte, teilte er ihre Freude und ihren Kummer und
übte sich in Mitgefühl für alle, die ihm begegneten. Da er singend und tanzend
durchs Land zog, lernte so jeder, vom Hausbesitzer bis zum Straßenkind,
Buddhas Namen kennen. Wonhyo war sich des unschätzbaren inneren Wertes
eines jeden lebenden Wesens voll bewusst. Er versuchte die unberechtigte,
falsche Trennung von Adeligen und einfachen Leuten aufzuheben. Wenn Korea
vereinigt werden sollte, genügt es nicht, die Mauern von drei Königreichen
niederzureißen und dass nur ein Monarch das Land regiert. Eine wirkliche
Vereinigung würde erst entstehen, wenn die Mauern in den Herzen der
Menschen zusammengebrochen wären, und jeder sich ein Zusammenleben ohne
Hass und Misstrauen wünschte. So stellte sich Wonhyo von einer buddhistischen
Perspektive aus vor, wie eine wirkliche Vereinigung von Koreas drei
Königreichen aussehen sein sollte.
Während Wonhyo sich im Puhwangsa-Tempel aufhielt und an dem
Kommentar zum Blumen-Ornament-Sutra schrieb, zerbrach er plötzlich den
Schreibpinsel, den er gerade benutzte, entzwei, als er gerade bei dem Kapitel mit
64
dem Titel „Das Zurückgeben erworbener Verdienste an andere“ angekommen
war. Diese symbolische Handlung erfolgte aufgrund einer tiefen Einsicht, die er
erhielt, während er über die Botschaft des Blumen-Ornament-Sutra nachsann,
nämlich dass tief greifende Belehrungen nicht mit vollem Erfolg nur durch das
Studium der Schriften allein durchgeführt werden können. Das BlumenOrnament-Sutra lehrte, dass man ein Bodhisattva werden muss, dass man den
Entschluss fassen muss, Erleuchtung zu erlangen und dass man seine Verdienste
an alle empfindungsfähige Wesen zurückgeben muss. Er glaubte, dass das
`Zurückgeben seiner Verdienste an andere´ dadurch erreicht werden könnte, dass
man die Erfahrung seiner eigenen Erleuchtung mit allen teilte. Jedenfalls
erkannte er, dass die wirkliche Bedeutung des Sutra nicht durch Worte und
Buchstaben verstanden werden konnte. So verließ er den Tempel, um die Lehren
des Sutra ganz in der weiten Welt zu leben.
65
VIII. Die heutige Bedeutung von Wonhyos Denken
1. Wonhyos Geist, ewige Gegenwart
Wonhyo war mehr als ein verdienter buddhistischer Mönch; er war auch ein
inspirierter Philosoph, ein großer Gelehrter und ein sehr produktiver Autor. Er
spielte eine bedeutsame Rolle dabei, den Buddhismus zur Nationalreligion vom
Silla-Königreich zu machen, und begründete eine tiefe und gewichtige Tradition
von Gelehrsamkeit, die bis heute von modernen Gelehrten und Philosophen
bewundert wird.
Seine Schriften können in verschiedene Untertitel eingeteilt werden Hwajaeng, Reines-Land, Buddhas Schoß, Blumen-Ornament und Alles-EinGeist, von denen alle miteinander verbunden sind. Er lebte das, was er glaubte.
Seine Taten voller Mitgefühle und motiviert durch den Freiheitsgedanken,
drücken ganz besonders klar den Kern seiner Glaubenssätze und Überzeugungen
aus. So ist sein Leben eine Quelle von Erkenntnissen und Einsichten und bildet
eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart, da die Probleme und
Konflikte, mit denen Meister Wonhyo vor 1300 Jahren in Silla-Königreich
konfrontiert war, noch genauso in unseren modernen Zeiten vorhanden sind.
Wonhyo wurde 617 n.Chr. geboren, genau 90 Jahre nachdem der Buddhismus
eine offiziell anerkannte Religion im Lande geworden war. Zu jener Zeit war der
Silla-Buddhismus von der Regierung als ein Mittel dazu eingeführt worden, das
Land zu entwickeln und um die nationale Einheit voranzubringen.
Silla-Königreich lag in der südlichen Spitze der koreanischen Halbinsel und
66
war von der Tradition her eine geschlossene und gesellschaftlich konservative
Gesellschaft, die eifrig den Einfluss anderer Kulturen vermied. Der Buddhismus
kam unter großen Schwierigkeiten nach Silla-Königreich, und es gibt sogar
Berichte darüber, dass die Koguryo-buddhistischen Missionare Chongbang und
Myolkuja getötet worden sind. Die formale Anerkennung des Buddhismus durch
König Pophung geschah erst nach dem Martyrium des Mönchs Ichadon, einem
Mitglied der königlichen Familie des Silla-Königreichs. Das war sogar erst 150
Jahre her, nachdem der Buddhismus in Koguryo und Paekche, den anderen
beiden Königreichen der koreanischen Halbinsel, anerkannt worden war.
Doch nachdem der Buddhismus einmal anerkannt worden war, wurde seine
Entwicklung und Verbreitung mit erstaunlichem Eifer von der königlichen
Regierung vorangetrieben. König Pophung erließ im Jahre 529 (dem 16. Jahr
seiner Regierung) eine nationale Proklamation, die das Töten von Tieren verbat.
König Chinhung, der Pophung nachfolgte, ermutigte sein Volk, in heilige Orden
einzutreten und Mönch zu werden. Das Land begann auch mit dem Bau vieler
großartiger Tempel wie z. B. Hwangnyongsa und Chiwonsa und lud verdiente
und bekannte Geistliche vom Silla-Königreich und dem Ausland dazu ein,
Lehrreden zu halten und an religiösen Zeremonien teilzunehmen. Während
dieser Zeit bildete Silla-Königreich ein Elitekorps aus, bekannt als Hwarangdo,
um fähige junge Männer für den Staatsdienst heranzuziehen, und der
Buddhismus lieferte den spirituellen Aspekt ihrer Ausbildung.
Der Silla-Buddhismus dieser Anfangszeit könnte dafür kritisiert werden, dass
er mehr Wert auf die nationale Entwicklung legte als auf das, was man als wahre
buddhistische Praxis betrachtet, besonders da die weltlichen Motive des Staates
nicht immer mit jenen des buddhistischen Glaubens übereinstimmten. Dazu
kommt noch, dass in Korea verschiedene buddhistische Sekten und Schulen
Eingang gefunden hatten, und nun sah sich der Silla-Königreich-Buddhismus der
Herausforderung gegenüber, die unterschiedlichen Lehren, die oft miteinander
im Streit lagen, zu systematisieren. Während die grundsätzlichen Elemente der
buddhistischen Philosophie weltweit für jeden gelten, gibt es viele
67
unterschiedliche Methoden der Praxis und verschiedene Lehrmethoden, die sich
danach richten, auf welchem spirituellen Stand die einzelnen Menschen sind. So
gibt es im Buddhismus viele heilige Schriften, jede mit einer unterschiedlichen
Antwort auf dieselbe Frage. Diese Vielfalt im Buddhismus hatte natürlich Streit
und Dispute unter den verschiedenen Sekten und Schulen zur Folge und machte
das Verstehen und Begreifen für einfache Leute schwierig. Wonhyo, der all diese
Probleme als seine eigenen betrachtete und sie eins nach dem anderen zu lösen
versuchte, etablierte eine nicht-sektiererische, alles einschließende Form von
koreanischem Buddhismus. Der Geist von Meister Wonhyo lebt weiter bis zum
heutigen Tag, und ein Resultat davon ist, dass der koreanische Buddhismus
deutlich ökumenisch und für die harmonische Koexistenz einzelner Schulen und
Doktrinen bekannt ist.
2. Wonhyos Buddhistische Philosophie
(1) Hwajang (harmonisierende Streitkultur)
Um das Sektiererische bei der Weitergabe der buddhistischen Lehre zu
beenden und um Streit über verschiedene Lehrmeinungen zu vermeiden, schrieb
Wonhyo das Chong-Yo, eine grundsätzliche Übersicht von 17 verschiedenen
Sutren. „Chong“ bedeutet „sich allen erschließend“ und „Yo“ bedeutet „zu
einem vereinend“. In anderen Worten das Chong-Yo ist auf der Ansicht
gegründet, dass sich Buddhas Geist auf viele unterschiedliche Arten und Weisen
offenbart, aber dass er letztendlich ein vereinigtes Ganzes ist.
Wonhyo betonte, dass, obwohl beide Seiten in einem Streitgespräch Gründe
für ihre Gegenargumente haben, beide Parteien versuchen sollten, den
Sachverhalt in einer umfassenden und ganzheitlichen Weise zu sehen. Er drückt
seine Vorstellung von Hwajaeng im Yolbangyong Chongyo (das Wesentliche
des Nirvana Sutras) so aus: „Wenn man die vielen Elemente, die in den Sutren
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vorhanden sind, zusammenbringt, wird klar, dass unzählige Ideen und Gedanken
alle auf eine Bedeutung zurückkommen. Wenn man diesen einen universellen
Sinn herausdestilliert, ist es möglich, die Meinungen von hundert Sekten auf
einen Nenner zu bringen. “
Wonhyos Hwajaeng-Philosophie schlägt vor, dass man einer vorgetragenen
Lehrmeinung oder Ansicht weder widersprechen noch sie bestätigen sollte, da es
möglich ist, die beiden Seiten zusammenzubringen. Dies geschieht, indem man
zwei Faktoren - Gefühl (情) und Verstand (理) in Betracht zieht. „Gefühl“ bezieht
sich hier auf das Anhaften an der eigenen Ansicht und was auf dem „Ich habe
recht“ besteht. Wenn man jedermanns Anhaften an seine oder ihre Glaubenssätze
anerkennt und diese Gefühle akzeptiert und respektiert, kann man die
Begrenzungen einer vorgetragenen Sichtweise in Bezug auf das Ganze
offenlegen und so jeder Person erlauben zu erkennen, dass es weise ist, nicht an
einer begrenzten Sicht festzuhalten. Dieser letztere Vorgang ist der Weg der
Vernunft (理). Kurz, Hwajaeng heißt, beide Seiten zu bestätigen und ihnen
gleichzeitig zu widersprechen. Dies ist möglich zu erreichen, wenn man alles,
was relativ ist, aufnimmt und akzeptiert und das Absolute, was darin enthalten ist,
offenlegt.
Das Prinzip, auf das sich die Lehre von Hwajaeng stützt, ist das von dem
Alles-Ein-Geist. Das Meer des Alles-Ein-Geist, wie Wonhyo sagt, ist ein
absoluter Zustand, weit entfernt von relativen Unterschiedlichkeiten.
Normalerweise verstehen wir unter dem Absoluten das Gegenteil des Relativen,
aber Wonhyos Vorstellung von dem transzendierenden Absoluten geht über den
Zustand der Gegensätzlichkeit weit hinaus.
(2) Ilsim (Alles-Ein-Geist)
In Wonhyos Werk taucht oft die Idee des „Rückkehrens zur Quelle des AllesEin-Geistes“ wieder auf. Alle empfindungsfähigen Wesen existieren innerhalb
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des Alles-Ein-Geistes, doch weil wir dies vergessen haben, müssen wir „zur
Quelle des Alles-Ein-Geistes zurückkehren“. Das Ziel ist es, in uns Ehrfurcht
und Mitgefühl zu erwecken, da alle Wesen den Alles-Ein-Geist in sich haben,
der „Wohnstätte der Buddha-Natur“.
Um in der Lage zu sein, zu der Quelle des Alles-Ein-Geistes zurückzukehren,
müssen wir zuerst unseren Geist und unser Denken verstehen. Gemäß der Schrift
„Erwachen des Glaubens“ besteht unser Geist aus zwei Toren, d. h. dem
Wirklich-So-Sein-Tor (眞如門) und dem Entstehens-Vergehens-Tor (生滅門). Das
Wirklich-So-Sein-Tor ist der zentrale Punkt des Wesentlichen, der weit entfernt
von allen Beurteilungen ist. Das Entstehens-Vergehens-Tor ist die Welt der
Phänomene, wie sie durch unterscheidende Beurteilungen projiziert wird.
Wonhyo erklärt, dass „das Wirklich-So-Sein-Tor und das Entstehens-VergehensTor den gesamten Dharma umfassen. Deshalb sind die beiden Tore auch nicht
voneinander getrennt. Die Buddha-Natur ist in dem Entstehens-Vergehens-Tor
verborgen.“ Von der Perspektive des Alles-Ein-Geistes betrachtet, gibt es keine
Unterschiede und alle Dinge sind gleich.
Das Wesen der Buddha-Natur ist der Alles-Ein-Geist. Die Natur des
Alles-Ein-Geistes ist bar aller Beurteilungen. Da der Alles-Ein-Geist
nichts beurteilt, gleicht er nichts. Da er von jeglichen Unterscheidungen
und Urteilen frei ist, entspricht er nichts anderem. Da der Alles-EinGeist nichts anderem entspricht, entspricht er auch nicht dem Nichts.
Kern des Nirwana Sutra
Der Ursprung des Alles-Ein-Geistes ist weder existent noch
nichtexistent, er ist vollkommen unabhängig und rein. Das Meer der
Drei Großen Leeren, welches das Absolute mit dem Weltlichen
verbindet, ist ruhig und klar. Ruhig und klar nimmt es die Dualität auf
und ist dennoch nicht einheitlich. Unabhängig und rein ist der AllesEin-Geist weit von dem Äußersten entfernt, und doch findet man sein
Wesen nicht im Mittelpunkt. Man findet ihn nicht in der Mitte, jedoch
70
ist er weit von dem Äußersten entfernt. Daher ist ein Phänomen, das
nicht existiert, nicht einfach im Nichtsein; und eines, das nicht im
Nichtsein ist, ist nicht einfach im Sein.
Einleitung zum Vajrasamadhi Sutra
In der obigen Textstelle wird behauptet, dass der Alles-Ein-Geist das
Absolute mit dem Weltlichen verbindet. Wonhyos Absicht ist es, durch das
immer wieder Wiederholen und Erklären des Alles-Ein-Geistes, den wahren
Geist zum Vorschein zu bringen, der über allem Leiden steht und sich in einem
befreiten Zustand ohne Anhaftungen befindet. Wie es im Text heißt, ist „das,
was nicht im Nichtsein ist, nicht einfach im Sein“. Wenn der Alles-Ein-Geist
eine feste Größe in der Realität ist, kann er nicht erreicht werden. In Wonhyos
Worten ausgedrückt: „Er transzendiert Sprache und Gedanken. Deshalb, da ich
nicht weiß, wie ich ihn nennen soll, muss ich ihn Alles-Ein-Geist nennen.“ (Kern
des Nirwana Sutras)
Da das Absolute und das Weltliche durch den Alles-Ein-Geist
zusammengebracht werden, wird die Dualität vom Kreislauf von Geburt und Tod
und dem Nirvana aufgehoben. Mehr noch, die Welt von Geburt und Tod und die
des Reinen-Landes des Nirvanas wohnen gemeinsam dem Alles-Ein-Geist inne.
Genauso gehen auch die Welt der empfindungsfähigen Wesen und die Welt des
Buddhas aus dem Alles-Ein-Geist hervor. Wenn wir das erkennen und
wahrnehmen, wird unser Alles-Ein-Geist zu seinem Wesen zurückgefunden
haben. Während wir das nicht erkennen, können wir gar nicht anders, als als
unwissende empfindungsfähige Wesen zu leben. Wir sind in dem Alles-EinGeist und den- noch außerhalb davon. Dies ist Wirklichkeit von weltlichem
Leben und empfindungsfähiger Existenz.
71
(3) Muae (kein Hindernis)
Muae (kein Hindernis) ist Wonhyos Denken vollzogen in Handlung. Muae
steht für Freiheit, uneingeengt durch dualistische Gegensätze und festgelegten
Konventionen. Es unterscheidet sich von dem Verfolgen individueller Wünsche,
da es im Alles-Ein-Geist wurzelt, der Ausgeglichenheit und Mitgefühl in uns
hervorruft. In anderen Worten, Muae bedeutet, dass man nicht mehr durch die
Dualität von „ich“ und die „anderen“ gefesselt ist, und dadurch ein mitfühlendes
Leben leben kann.
Von der buddhistischen Sicht aus ist Freiheit ohne Mitgefühl keine echte
Freiheit, sondern Selbstgefälligkeit. Mitgefühl ohne Freiheit ist andererseits
passiv und kein echtes Mitgefühl. Wenn wir das eine erlangen, bekommen wir
auf ganz natürliche Weise das andere. Freiheit und Mitgefühl sind im Muae
untrennbar. Es beruht nicht auf atomisierten und besitzergreifenden
Individualismus, sondern hat seine Wurzeln in der Einheit von dem „Du“ und
dem „Ich“. Muae zielt darauf, zum Wohle seiner selbst und der anderen zu
handeln und berührt so das Herz des Buddhismus, nämlich `das große Mitgefühl
für die Einheit von allem´.
(4) Das Reine-Land
Wonhyo war ein Vertreter des Reinen-Land-Buddhismus und bezog diese
Richtung voll in seine Lehrvorträge mit ein. Die Reine-Land-Theorie war eng
verbunden mit der Theorie des Hwajaeng und der des Alles-Ein-Geistes. Was die
persönliche Erleuchtung betrifft, so kann nach der Philosophie des Hwajaeng
und des Alles-Ein-Geistes jeder durch seiner Situation und seinem spirituellen
Stand angemessene Mittel Erleuchtung erlangen.
Diese Ansicht, die die Gleichheit aller Wesen bei der Erlangung der
Buddhaschaft betont, stimmte natürlich nicht mit dem Geiste des frühen Silla72
Buddhismus überein, der die hierarchische Gesellschaftsordnung damit zu
rechtfertigen suchte, dass er das Konzept von Karma7 betont. Nach Wonhyo ist
das Tor zur absoluten Wahrheit für alle geöffnet. Dies forderte die typische Sicht
des Laien heraus, der sich als Anhänger der Lehre als passives Subjekt sah und
nicht als aktiven Teilnehmer auf dem spirituellen Pfad zur Erleuchtung.
Das Reine-Land, wo Amitabha Buddha residiert, ist ein ideales himmlisches
Reich und reine Wohnstätte. Jeder, der seinen oder ihren Geist durch das
ehrfürchtige Chanten des Namens Amitabha Buddha läutert, ist in der Lage, nach
dem Tod in das Reine-Land zu kommen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder
gesellschaftlicher Klasse. Weil der Reines-Land-Buddhismus leicht zu verstehen
und zu praktizieren war, sprach er diejenigen an, die sich nicht so gut mit den
komplexeren Aspekten der buddhistischen Philosophie und Praxis auskannten.
Deshalb wählte Wonhyo diesen einfachen und leicht zugänglichen Ansatz und
propagierte den Buddhismus unter den einfachen Leuten.
3. Wonhyos Lektionen für unsere Zeit
Wonhyos Theorie von Hwajaeng war Produkt seiner eigenen Gedanken und
Überlegungen zur Geschichte. Darauf gründend harmonisierte er die
gegensätzlichen Sichtweisen, die ihm in der buddhistischen Welt auffielen, und
löste sie auf. Praktizierende wurden davon abgehalten, in den Genuss von
Buddhas wahrer Leere zu kommen, da es zu einem Konflikt zwischen dem
Leere-Buddhismus und dem Nur-Bewusstsein-Buddhismus gekommen war.
Dank der Theorie von Hwajaeng verschwendete die buddhistische Philosophie
im Silla-Königreich keine Zeit mehr mit fruchtlosen Diskussionen, sondern
konnte sich weiter entwickeln.
7
Karma (Sanskrit). Jede Art von einer physischen, stimmlichen oder geistigen Handlung
prägt sich im Geist ein und verursacht folglich Wirkungen in der Zukunft. Karmische
Handlungen können positiv oder negativ, absichtlich oder unabsichtlich sein.
73
Dazu kommt noch, dass durch seine Theorie des Alles-Ein-Geistes, die
wieder die Basis für die Hwajaeng-Philosophie war, Wonhyo betonte, dass die
Welt des Nirvana nicht getrennt von dieser Welt existierte und folglich, die Welt,
in der wir leben auch das Reich des Absoluten sein kann. Wonhyo hielt daran
fest, dass jeder, der die Wahrheit des Alles-Ein-Geist erkennt und wahrnimmt, in
dieser Welt erleuchtet werden kann.
Wonhyo dachte auch, dass die letztendliche Absicht des Buddhismus ist, alle
empfindungsfähigen Wesen vom Leiden zu erretten. Wie großartig eine Theorie
auch immer sein mag, so ist sie leblos und nutzlos, wenn sie nicht in unserem
Alltag angewandt wird. Sein Leben ist das vollkommene Beispiel dafür, wie er
das Verkünden und Lehren des auf philosophischer Wahrheit gegründeten
Buddhismus in Theorie und Praxis zusammengebracht hat. In diesem Sinne ist
Wonyhos Leben und Werk eine Säule des koreanischen Buddhismus und ist für
uns heute eine Quelle der Inspiration und Anleitung geblieben.
74
IX. Das Niederlegen seines Stifts
Wonhyos Gedanken gründen sich auf eine ganzheitliche universelle
Betrachtung des Lebens. Sie können nicht in einem religiösen Text oder in einem
metaphysischen System eingefangen werden. In seinem Denken gibt es keine
einfachen Gegensätzlichkeiten wie real und ideal, materiell und spirituell,
einzeln und ganz, existent und nichtexistent oder gut und böse. Trotz seines
logischen und systematischen Rahmens bleibt es doch ein tiefes Nachdenken
über das Wesen des Seins, mit dem Ziel herauszufinden, wie man frei und
ungehindert leben kann.
Die Spezialisierung, eine der treibenden Kräfte hinter der heutigen
Zivilisation, ist auf Kosten von Beziehungen zwischen den Individuen in der
menschlichen Gesellschaft gegangen. Der Mensch hat sich entfremdet und die
Aufnahme von Kultur ist aus dem Gleichgewicht geraten. Da es in der Welt
Konflikte zwischen verschiedenen Zivilisationen gibt, ist eine neue, erweiterte
Sicht der Dinge dringend notwendig. Die Rolle der Kunst und Philosophie ist es
heute, die Wirklichkeit widerzuspiegeln und die Fragmentierung, die in unserer
Gesellschaft entstanden ist, zu überwinden.
Bis ins letzte Jahrhundert haben sich die Philosophen mit der Frage des Seins
beschäftigt. Sie haben gefragt, was die Natur des menschlichen Lebens wirklich
ist, und inwieweit das Verhalten des Menschen seinen Mitmenschen gegenüber
einen Einfluss auf das Gute und das Böse haben kann. Im 21. Jahrhundert stehen
wir vor einer neuen Herausforderung in der Form einer globalen Umweltkrise.
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Zudem zwingen uns die Fortschritte in der Klon- und Gentechnik und weitere
neue Errungenschaften wie das Ersetzen menschlicher Organe durch künstliche
Apparate dazu, unsere Werte und Normen des gesellschaftlichen Miteinanders
neu einzuschätzen. Die Umweltverschmutzung und die globale Erwärmung
erfordern ein vereinigtes gemeinschaftliches Reagieren. Sich verändernde
Ökosysteme bedrohen das nackte Überleben der menschlichen Rasse. Der
einzige Weg nach vorn ist, sich gemeinsam als eine Welt der Krise zu stellen und
zusammen zu denken und zu handeln.
Anders ausgedrückt, wir müssen die Weisheit haben, mehr den Wald als nur
die einzelnen Bäume zu sehen. In diesem Sinne hat Wonhyos Leben und
Philosophie eine besondere Bedeutung für uns. Seine Philosophie gründet sich
auf der Erkenntnis, dass jedes einzelne Leben wertvoll ist. Das Praktizieren und
nicht das Theoretisieren ist der Schlüssel zu seiner Alles-Ein-Geist- und
Hwajaeng Philosophie.
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Auszüge aus Wonhyos Schriften
Empfindsame Wesen und die Buddha-Natur sind nicht dasselbe, aber dennoch
nicht verschieden.
<금강삼매경론>
Einer, der erkennt, dass er verblendet ist, ist nicht sehr verblendet, und einer der
erkennt, dass er in der Dunkelheit ist, ist nicht in völliger Dunkelheit.
<보살계본지범요기>
Das Falsche verschwindet in sich selbst, während das Richtige sich selbst
offenbart, genauso wie echtes Gold aus sich selbst heraus leuchtet, während eine
Fälschung das nicht tut.
<대승기신론소>
Ich wünsche, Worte zu benutzen, um den Dharma darzulegen, der hinter den
Worten ist, genauso wie einen Finger zu benutzen, um auf den Mond zu zeigen,
der getrennt von dem Finger ist.
<십문화쟁론>
Wenn man Kleidung näht, braucht man eine kurze Nadel, und ein langer Speer
ist nutzlos. Um den Regen abzuhalten, braucht man einen kleinen Schirm, und
eine Abdeckung, die über den ganzen Himmel reicht, ist nutzlos.
Deshalb sollten kleine Dinge nicht als unwichtig erachtet werden.
Abhängig von ihrer wahren Natur sind sowohl kleine als auch große Dinge
wertvoll.
<미륵상생경종요>
Hitze ist die elementare Natur der Sonne und Kälte die des Mondes. Wenn es nur
die Sonne und keinen Mond gibt, werden die wachsenden Schösslinge
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vertrocknen und nicht lange genug leben, um Frucht zu tragen. Aber wenn es nur
den Mond und keine Sonne gibt, können die Schösslinge nicht wachsen und
werden verfaulen.
<범망경보살계본사기>
Der tugendhafte Verdienst von Reue wird als rein und kühl gepriesen. Weil sie
die Unreinheit, die die Ursache von Schlechtem ist, reinigt, ist sie rein. Da sie
auf die Hitze von fleischlichem Begehren verzichtet, die vom endlosen Leben
und Tod kommt, ist sie kühl.
<금강삼매경론>
Innerlich zu praktizieren bedeutet zu üben, den Geist in stiller Betrachtung zu
beobachten. Äußerlich zu praktizieren bedeutet, aus der Beobachtung des Geistes
herauszukommen und andere durch das Weitergeben der Lehre und
Unterweisung zu transformieren. Ob man aus der Praxis der Beobachtung des
Geistes herauskommt oder hineingeht, ist weder das eine noch das andere, weil
die Praxis nicht vom Mittleren-Weg abweicht.
<금강삼매경론>
Die grenzenlose Weisheit des Mahayana (Großes Fahrzeug) ist ganz einfach das
heilige Wissen von der Gleichheit aller Dinge. Weil es im `Nicht-Ich´ wohnt,
gibt es nichts, was nicht `Ich´ ist. Weil es nichts gibt, das nicht `Ich´ ist, gibt es
nichts, was es nicht gleichermaßen umfasst. Ermächtigt mit dem Wissen, dass
alle empfindungsfähigen Wesen dieselbe ursprüngliche Natur haben, bringt es
unzählige empfindungsfähige Wesen zur großen Erleuchtung. Deshalb wird es
die grenzenlose Weisheit des Mahayana (Großes Fahrzeug) genannt.
<무량수경종요>
Einige Leute verkünden ihr Wissen, das auf wenig Erfahrung beruht, und freuen
sich, wenn andere mit ihren Ansichten übereinstimmen. Aber wenn andere nicht
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übereinstimmen, kritisieren sie diese. Sie sind wie Leute, die den Himmel durch
ein hohles Schilfrohr betrachten. Sie behaupten, dass es gut ist, den Himmel
durch ein hohles Schilfrohr anzuschauen und dass andere, die den Himmel nicht
auf die gleiche Weise anschauen, den Himmel nicht sehen können. Dies ist die
Verblendung, sich für weise zu halten, obwohl es ihnen an Einsicht und
Erkenntnis fehlt und obwohl sie jene, die viel weiser sind, kritisieren.
<보살계본지범요기>
Während weise und heilige Männer viele tugendhafte Handlungen ausführen,
widmen sie sich diesen sieben Übungen, um ihren Charakter zu bilden. Den
Glauben, die Grundlage für viele Tugenden; das Geben, um den Gewinn zu
verdoppeln; die Einhaltung von Regeln und Prinzipien, um Unglück leicht zu
vermeiden; das Zuhören, um alles von Wert zu bewahren; die Reue, um das, was
gut ist, zu ehren und zu vermehren; die Scham, um Boshaftigkeit weit von sich
fernzuhalten; und die Weisheit, um die sechs Reichtümer zu verwalten und zu
vermehren.
<본업경소>
Zu glauben bedeutet, überzeugt und ohne jeden Zweifel den Stand der Dinge zu
bestätigen. In anderen Worten, wahrhaftig an die Existenz des Dharma zu
glauben und daran zu glauben, dass es durch Üben und Praktizieren erreicht
werden kann, und es unbegrenzte Tugend und Verdienst bringt, wenn einer es
durch Üben und Praktizieren erreicht.
<대승기신론소>
Ein Hindernis ist eine Blockade auf dem Pfad, aber es bedeutet auch, dass etwas
auf dem Pfad verdunkelt und schwer verständlich wird. Karmische Hindernisse
blockieren den Pfad von empfindungsfähigen Wesen, sodass sie dem Kreislauf
von Geburt und Tod nicht entfliehen können. Ein Hindernis umhüllt auch
empfindungsfähige Wesen und verbirgt so das Nirvana. Aus diesen zwei
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Gründen wird es „Hindernis“ genannt.
<이장의>
Die Geistesbeschaffenheit, die sich weder für eine Sünde schämt, noch sich vor
der Sünde fürchtet, ist die Quelle von aller Nicht-Güte.
<유가사지론>
Wenn man eine dieser vier Verfehlungen begeht, kann man nicht mehr in der
Gemeinschaft bleiben und muss diese verlassen.
Die erste ist, sich selbst zu rühmen und andere herabzusetzen.
Die zweite ist, mit seinem Wohlstand oder Wissen geizig zu sein und alles nur
für sich behalten zu wollen, ohne mit anderen zu teilen.
Die dritte ist, Groll im Herzen zu bewahren und die Entschuldigungen und Buße
anderer nicht zu akzeptieren.
Die vierte ist, den wahren Dharma zu kritisieren und Verwirrung zu stiften.
<유가사지론>
Wenn auch nur eine Tugend nicht voll ausgebildet ist, kann man keine
vollkommene Erleuchtung erlangen.
Um zur wesentlichen Sache zurückzukehren, muss man mit jeder Art von
Disziplin ausgerüstet sein.
<대승기신론소>
Der Charakter einer großen Persönlichkeit ist erhaben und weit offen. Ihr Geist
ist einfach und ohne Grenzen. So ein Geist nimmt Unglück und Glück in
gleicher Weise gelassen auf und unterscheidet nicht zwischen dem „Ich“ und
den „anderen“. Dieser Geist ist immer heiter und wonnig und Rechtschaffenheit
ist seine Heimstatt. Folglich rühmt man sich nicht selbst und kritisiert andere,
noch stellt man sich über und unterdrückt andere.
<보살계본지범요기>
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Das Erwecken von Glaube und Praxis
Die Buddhas residieren herrlich und erhaben im Palast der Auslöschung, dem
Nirvana, weil sie alle Anhaftungen aufgegeben haben und sich über lange Zeit in
Entbehrungen geübt haben. Inzwischen sind unzählige empfindungsfähige
Wesen im brennenden Haus, Samsara, wiedergeboren worden und weigern sich,
ihre Gier nach zahllosen Äonen aufzugeben.
Der Pfad zum Himmel ist frei, und doch erreichen ihn wenige, weil viele die drei
Gifte8 und Verunreinigungen für Schätze halten. Viele überschlagen sich fast,
um in die Reiche des Übels hineinzukommen, obwohl diese Reiche keine
Anziehungskraft und Reize haben, weil sie die „Vier Elemente“9 und die „Fünf
Begehren“10 als die Reichtümer des Geistes betrachten.
Wer würde nicht gern in den Bergen leben und den Geist schulen und
verfeinern? Und dennoch kannst du es nicht tun, weil du durch dein Begehren
versklavt bist. Selbst wenn du nicht zu den Wäldern und Bergen zurückkehren
kannst, um zu praktizieren, solltest du dein Bestes tun und niemals die Praxis der
guten Taten aufgeben. Wenn du willentlich deine Begehren auf diese Weise
aufgibst, wird dir wie den großen Weisen Vertrauen und Achtung
entgegengebracht werden; und wenn du willentlich das Schwierige praktizierst,
wirst du geehrt werden wie der Buddha. Materielle Dinge zu begehren und an
sich zu raffen, ist die Art der Maras; Mitgefühl zu geben ist die Art des Königs
des Dharmas.
8
Gier, Hass und Unwissenheit.
3 Die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft bilden den physischen Körper. Den vier
Elementen anzuhaften, heißt deshalb, dem Körper anzuhaften.
10
Das Begehren nach Nahrung, Ruhm, Wohlstand, Lust und Schlaf.
9
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Hohe Berge und raue Gipfel sind da, wo weise Männer zu Hause sind. Grüne
Kiefern und tiefe Bergtäler sind das Zuhause derer, die üben und praktizieren.
Wenn sie hungrig sind, pflücken sie Früchte von den Bäumen, um einen leeren
Magen zu beruhigen. Wenn sie durstig sind, löschen sie ihren Durst mit Wasser
vom fließenden Bach. Obwohl wir diesen unseren Körper mit feinen
Delikatessen füttern und ihn sorgfältig pflegen, ist es sicher, dass er uns am Ende
im Stich lassen wird. Und obwohl wir ihn mit feinen Kleidern bedecken, wird die
Zeit kommen, wenn unser Leben aufhört.
Eine felsige Höhle, in der das Echo widerhallt, mache diese zu deiner
Rezitationshalle. Die Wildgänse, die in der Einsamkeit schreien, mache diese zu
den Gefährten deines Geistes. Obwohl deine Knie kalt und taub vom dauernden
Gebeugtsein sind, denke nicht an ein Feuer. Obwohl sich dein leerer Magen
anfühlt, als sei er von deinem Körper abgetrennt, denke nicht daran, nach Essen
zu suchen. Bevor du es weißt, wirst du hundert Jahre alt sein, warum also das
Lernen vernachlässigen? Könnte das Leben für uns jemals lang genug sein, um
es untätig vergehen zu lassen und unsere Studien zu vernachlässigen?
Wenn in deinem Herzen keine Sehnsucht mehr ist, bist du ein „Sramana“. Wenn
man nicht mehr an weltliche Dinge denkt, entsagt man der Welt. Ein
Praktizierender, der im Netz von Begehren und Wünschen gefangen ist, ist wie
ein Hund, der in der Haut eines Elefanten steckt. Alle Buddhas sind traurig und
bekümmert wegen jenen, die ein Heim in einem Dorf haben, auch wenn sie große
Weisheit und Können erlangt haben. Über jene aber, die in den Tiefen des
Gebirges verweilen, selbst, wenn sie nicht den Dharma praktizieren, freuen sich
viele Heilige sehr.
Einer, der den Regeln und Prinzipien nicht folgt, ist wie einer, der zu einem Platz
mit einem Schatz geführt worden ist und dort stehen bleibt und nicht weiter geht.
Wenn einer sorgfältig praktiziert, es ihm aber an Weisheit mangelt, so ist er wie
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einer, der nach Westen reist, wenn er nach Osten gehen sollte. Der Weise dämpft
Reis zum Essen, während ein Unwissender Sand dämpft. Jeder weiß, wie man
einen hungrigen Magen durch etwas zu essen kuriert, aber dennoch weiß
niemand, wie man die Unwissenheit des Geistes durch das Erlernen des Dharmas
behebt. Weisheit und Übung sind wie die zwei Räder eines Karrens. Sich selbst
und anderen Gutes tun sind wie die zwei Flügel eines Vogels.
Du kannst Gebete anbieten, nachdem du deinen Reis bekommen hast, aber, wenn
du die Bedeutung deiner Worte nicht kennst, ist es dann nicht etwas, wofür man
sich vor dem Geber schämen muss? Auch wenn du dein Opfergebet bei einer
Mahlzeit chantest, und du verstehst seine Wichtigkeit nicht, ist das nicht auch
etwas, wofür man sich vor den Weisen schämen müsste? Maden werden gehasst,
weil sie nicht zwischen sauber und schmutzig unterscheiden. Bodhisattvas haben
keine Freuden an Mönchen, die nicht zwischen reinen Handlungen und
Handlungen, die gegen die Regeln und Prinzipien sind, unterscheiden können.
Wenn man sich wünscht, das Chaos der Welt hinter sich zu lassen, in eine
höhere Sphäre aufzusteigen und im Himmel geboren zu werden, dann sind die
Regeln und Grundsätze eine gute Leiter. Wenn man anstrebt, für andere ein Feld
von Verdiensten zu sein, während man selbst gegen die Regeln verstößt, so ist
das, als würde ein Vogel mit gebrochenen Flügeln und eine Schildkröte auf dem
Rücken tragend zu fliegen versuchen. 11 Wenn du noch im Schatten deiner
eigenen Sünden stehst, kannst du andere nicht von den ihren befreien. Deshalb,
wenn du den Regeln nicht folgst und die Prinzipien nicht einhältst, wie kannst du
dann Achtung und Opfergaben von einem anderen entgegennehmen? Es bringt
keinen Gewinn, einen leeren Körper zu nähren, der nicht den Geist schult und
11
Mönche arbeiten nicht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern sind abhängig
von den Opfergaben der Laien-Anhänger. Meister Wonhyo macht jenen Vorwürfe, die sich
nicht an die Regeln halten, aber trotzdem Opfergaben annehmen. Einem Praktizierenden, der
gut studiert, eine Opfergabe zu geben, wird zu einem Verdienst; daher sind sie „ein Feld von
Verdiensten“, die anderen Gelegenheiten geben, gute Taten zu tun. Spenden an
Praktizierende, die schlecht studieren, werden nicht zu Verdiensten. Dies hier ist eine
strenge Zurechtweisung von solchen Praktizierenden, die diese Tatsache ignorieren.
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weiterbildet, und es ist schwierig, ein flüchtiges und fruchtloses Leben zu
bewahren, wie sehr man auch immer dazu neigt.
Wenn du den Tugenden der großen Meister nacheifern willst, musst du
willentlich großes Leid auf dich nehmen. Um den Löwensitz 12 anzustreben,
musst du dich für immer von den Fünf Begehren abwenden. Wenn der Geist
eines Praktizierenden rein ist, bewundern das die Himmel, aber wenn einer, der
auf dem Pfad wandelt, seinen Geist lustvollen Gedanken zuwendet, werden ihn
die guten Geisterwesen verlassen. Die Vier Elemente werden unerwartet
auseinanderfallen, und du wirst sie nicht lange zusammenhalten können. Bald
wird es Abend sein und wir hätten seit dem Morgengrauen praktizieren sollen!
Wenn man sich den Annehmlichkeiten dieses Lebens hingibt, wird das Leiden in
einem späteren Leben bringen. Warum also sollten wir uns nach ihnen sehnen?
Wenn wir uns der Genüsse enthalten, und sei es nur einmal, so wird das
bleibende zukünftige Freuden bringen. Warum sollten wir dann nicht unseren
Geist schulen und verfeinern? Die Begehren eines spirituell Suchenden sind die
Schande eines Praktizierenden, und der Reichtum von einem, der der Welt
entsagt hat, ist eine Quelle von Spott für das weltliche Volk, das er hinter sich
gelassen hat.
Obwohl wir andauernd mit endlosen Worten gewarnt werden, können wir nicht
von unseren Begehren lassen. Obwohl wir dauernd Entschlüsse fassen, können
wir unsere Anhaftungen nicht abtrennen. Obwohl es nichts zu verlieren gibt, ist
niemand willens, die weltlichen Angelegenheiten loszulassen; und obwohl es
kein Ende der Verblendung gibt, kann sich niemand dazu bringen, seine Bande
zu zerschneiden. Das Heute ist noch nicht zu Ende, doch ist es schon von vielen
Sünden befleckt. So sind die Tage der Sünden viele, und es gibt kein Ende der
Morgen, an denen wir die Konsequenzen unserer Handlungen auf uns nehmen
müssen. Und dennoch sind die Tage der guten Taten wenige. Obwohl das Jahr
12
Der Sitz, von dem aus Buddha oder erleuchtete Meister Dharma-Vorlesungen halten.
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noch nicht zu Ende gegangen ist, ist es voller Leiden, weil wir unaufhörlich
gesündigt haben. Obwohl noch viele Jahre kommen werden, pflegen und
vergrößern wir die Weisheit nicht und bereiten uns nicht auf die Zukunft vor.
Stunde um Stunde vergeht und der Tag ist schnell vorbei. Tage vergehen und
schon ist der letzte Tag des Monats da. Die Monate vergehen, und ein neues Jahr
liegt vor uns. Die Jahre vergehen und bald stehen wir an der Schwelle zum Tod.
Genau, wie eine zerbrochene Karre nicht fahren kann, können wir im Alter nicht
praktizieren. Und doch sitzen wir in passiver Faulheit herum und erlauben
unseren Gedanken auf Wanderschaft zu gehen.
Die Leben, die wir praktizierend verbracht haben, sind wenige, und doch
praktizieren wir heute nicht und lassen die Zeit vergeblich verstreichen. Wie
vergeblich dieser Körper ist, und trotzdem nutzt du diese Leben nicht, um zu
studieren und zu lernen. Dieses Leben wird bald zu Ende gehen, und wenn das
Ende kommt, ohne dass du praktiziert und geübt hast, was für einen Körper wirst
du als nächsten erhalten? Ist es nicht ernst? Fürchtest du dich nicht?
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Autor: Jeong, Byeong-Jo
Professor Jeong absolvierte das Studium für indische Philosophie an der
Dongguk-Universität in Seoul und promovierte im Jahr 1986. Seine Dissertation
trägt den Titel „Studie über Mañjuśrī Bodhisattva”. Seit 1980 ist er Professor an
der Fakultät für Ethical Culture an der Dongguk-Universität. Er war ein
ehrmaliger Vizepräsident der Universität. Zwei Jahre verbrachte er als
Gastprofessor an der Nehru-University in Indien (1984-1986). Als Präsident und
Vorsitzender des Korea Institut of Buddhist Studies (KIBS) bemüht er sich den
akademischen Austausch zwischen Korea, USA und Europa im Bereich der
buddhistischen Studien zu fördern. Seine Werke umfassen A History of Indian
Philosophical Thought, Theory on the History of Buddhist Culture, Practical
Buddhism, A History of Korean Buddhist Thought. Seine Veröffentlichungen
umfassen “Study on Avalokitesvara with Eleven Faces”, “Study on Woncheuk’s
Praise to Heart Sutra”, und “Study on the Layperson’s Buddhist Movement in
Modern Korea.“
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