Meister Wonhyo Ein Überblick über sein Leben und Lehren 1 © 2014 Diamant Sutra Rezitationsgruppe Alle Rechte vorbehalten. Autor: Jeong, Byeong-Jo Herausgegeben und veröffentlicht vom Koreanischen Geistes- und Kulturförderungsprojekt http://www.kscpp.net Gedruckt und gebunden von Samjung Munhwasa Chungjeong-ro 37-18, Seodaemun, Seoul Gedruckt in der Republik Korea ISBN: 978-0-9849482-1-5 Kontakt Jung-Ja Holm Hiltistr. 7a, D - 86916 Kaufering Telefon +49(0)8191/70618 [email protected] 2 3 Inhalt I. Vorwort…………………………………………………………...........7 II. Historischer Hintergrund…………………………………………..........11 III. Wonhyos früheres Leben…………………………………….................13 1. Kastanien-Tal……………………………………………..................13 2. Verfolgung des spirituellen Pfads……………………………….......14 IV. Aufforderung zum Auslandsstudium…………………..…...............…17 1. Wonhyo und Uisang………………………………….....……….…..17 2. Eine Reise nach Tang-China………………………….....................20 3. Wasser trinken aus einem Schädel……………………………......….21 V. Zurück ins weltliche Leben………………………................………..…26 1. Leben mit den Leuten……………………………….......……….…...26 2. Eine Begegnung mit PrinzessinYosok…………..…...........................28 3. Prinzessin Yosok und Solchong…………………………..….............32 4. Der Laie Sosong……………………………………….……..............35 VI. Anekdoten aus dem Leben Wonhyos…………………………...............37 1. Oeosa Tempel („Mein Fisch“ Tempel)……………………….....….37 2. Meister Tae-an und die jungen Waschbären………...…………….…38 3. Rettung von tausend Mönchen vor dem Tod………………….…......39 4. Blumenornament-Gebiet………………………………...…...............41 5. Kwangdok und Omjang…………………………………..….............44 6. Wonhyo lehnt eine Opfergabe vom Himmel ab……………………...46 7. Meisterwerk Master Wonhyos: Exposition des Vajrasamadhi Sutra...47 4 VII. Folgen dem Pfad Buddhas………………….…………........................52 1. Ein Leuchtturm, der ewig leuchtet……………......………..……….52 2. Die Ästhetik eines Alles-Ein-Gesites………….........…..………......54 3. Die Logik und die moralischen Grundsätze von Hwajaeng.……......57 4. Die Philosophie von Ilche-Muae........................................................61 5. Das Zerbrechen des Schreibpinsels…….......……....…….................62 VIII. Die heutige Bedeutung von Wonhyos Denken……………….............65 1. Wonhyos Geist, ewige Gegenwart……………………………….....65 2. Wonhyos Buddhistische Philosophie…………………………….....67 (1) Hwajang (harmonisierende Streitkultur)……………………......67 (2) Ilsim (Alles-Ein-Geist)………………………….........................68 (3) Muae (kein Hindernis)…………………….................................70 (4) Das Reine Land……………………………................................71 3. Wonhyos Lektionen für unsere Zeit………………...........................72 IX. Das Niederlegen seines Stifts…………………………………...............74 Anhang Auszüge aus Wonhyos Schriften………………….………….....................76 Das Erwecken von Glaube und Praxis……………………………………..80 5 Zeittafel der koreanischen Geschichte 8000 ~ 2000 v. Chr. Neusteinzeit 2333 v. Chr.~ 108 n. Chr. Alte Choson Dynastie. Das erste Königreich Koreas 57 v. Chr. ~ 668 n. Chr. Periode der drei Königreiche: Koguryo, Paekche und Silla 668 Drei Königreiche, vereinigt unter Silla 918 ~ 1392 Koryo Dynastie 1392 ~ 1910 Choson Dynastie 1919 ~ 1945 Japanische Besatzung 1948 Teilung Koreas in Nord (DPRK) und Süd (ROK) 1950 ~ 1953 Koreakrieg 1986 Südkorea als Gastgeber der Asienspiele in Seoul 1988 Südkorea als Gastgeber der Olympischen Sommerspiele in Seoul 1995 Südkorea wird Mitglied der OECD 2002 Südkorea und Japan sind Gastgeber des 2002 FIFA Worldcups 2005 Südkorea als Gastgeber von APEC Gipfeltreffen in Busan 2010 Südkorea als Gastgeber von G20 Gipfeltreffen in Seoul 6 7 I. Vorwort Die Menschheit im 21. Jahrhundert bewegt sich auf einem beispiellosen Niveau materiellen Wohlstand und Perfektion. Dabei verschlechterte sich die persönliche als auch kollektive Ethik. Auf der zielstrebigen Jagd nach Bequemlichkeit und Rationalismus finden wir uns in einer Welt wieder, in der alles komfortabel und standardisiert ist. So wie weltweit ungleich verteilter Reichtum und diplomatische Spannungen eskalieren, wächst auch die Feindschaft zwischen den großen Religionsgemeinschaften und den kleineren Schulen (Sekten). Inmitten dieser turbulenten Zeiten wenden wir uns dem Leben und der Philosophie Meister Wonhyos zu. Der Buddhismus wurde im Silla-Königreich (57 v. Chr.-935 n. Chr.) im frühen 6. Jahrhundert eingeführt. Das Silla-Königreich war das letzte der drei antiken Königreiche Koreas, das erstmals die neue Lehre des Buddhismus einführte. Anfänglich begegnete die Öffentlichkeit dem Buddhismus aufgrund der Komplexität seiner Glaubenslehre und der Fremdheit seiner Brauchtümer (religiöse Zeremonie) mit tiefem Misstrauen. Allerdings zeigten die aufeinanderfolgenden Könige vom Silla-Königreich ein zunehmendes Interesse an Praxis und Studium der neuen Religion und unterstützten die weitere Verbreitung als Mittel zur Vereinigung des Landes. Als Resultat begann allmählich der Buddhismus in die Herzen der Menschen von Silla, zu gelangen. Die früheren Wegbreiter waren Ichadon, Ado, Wongwang und Chajang. Danach sollen Wonhyo und Uisang ein solides Fundament des Buddhismus in Korea 8 gelegt haben. Unter diesen Männern wird Wonhyo (617-686) als der wichtigste angesehen. Sein Einfluss ging weit über Korea hinaus, und er wird in Ostasien hochgeschätzt. Zu Lebzeiten analysierte er zehn der kontroversesten Streitfragen unter den buddhistischen Richtungen der damaligen Zeit und vereinigte die unterschiedlichen Glaubensrichtungen zu einem sogenannten „Ein-FahrzeugBuddhismus“. Seitdem tendiert der koreanische Buddhismus eher zur Integration als zur Zersplitterung. Wonhyo war einer der großen Intellektuellen in der Geschichte. Zu Lebzeiten häufte er eine bemerkenswerte Menge an Wissen an. Er lebte über die Grenzen von Obrigkeiten und Klassen hinaus, indem er ein Leben ohne Hindernisse (muae) führte, mit der Realität im Einklang. Er versuchte nicht, zwischen geistlichen und weltlichen Dingen zu unterscheiden und fühlte sich mit gewöhnlichen Menschen verbunden. Auch genoss er Musik und Tanz. Dies ist einer der Gründe, warum er weiterhin Einfluss gewann und ihm Respekt entgegen gebracht wurde, vergleichbar mit berühmten Künstlern der heutigen Zeit. Auf dem Porträt Wonhyos, das im Koujanji-Tempel in Kyoto, Japan, aufbewahrt ist, ist eher ein feuriger junger Krieger als ein sittlicher Gelehrter oder ein idealisierter buddhistischer Mönch zu erkennen. Man sagt, dass seine Taten und Worte manchmal absolut unsittlich waren, weil er gängige Normen übertrat. Aufgrund seines ungewöhnlichen Aussehens und Verhaltens können wir darauf schließen, dass sein Leben nicht unmoralisch im herkömmlichen Sinne war, sondern er sich lediglich über etablierte Grenzen hinweg setzte. So bergen die Geschichten über sein Leben immer wieder Überraschungen. Er verkörpert eher eine Person aus einem unbekannten zukünftigen Zeitalter, als eine der Vergangenheit. Es wird angenommen, dass Wonhyo 100 Werke geschrieben hat, bestehend aus insgesamt 240 Bänden (einige Quellen sprechen von 85 Werken und 181 Bänden). Obwohl die Originale dieser Arbeiten nicht mehr erhalten sind, 9 existieren schriftliche Kopien und Holzdruck-Kopien der Hauptwerke. Sie gewähren einen wertvollen Einblick in seine Philosophie. Wonhyos Werke stellen einen Höhepunkt in der Tradition des Mahayana-Buddhismus Ostasien dar. Diese umfassen alle Varianten des indischen Buddhismus, die China, Korea und Japan erreichten. Sie folgen damit der Gründung des früheren Buddhismus, nach dem Shakyamuni Buddha ins Nirvana eingetreten war. Nach einigen Hundert Jahren verringerte sich die Anzahl der grundlegenden Richtungen der Schulen, die sich nach der Lehre des Shakyamuni-Buddhas entfalteten. Es gab z. B. Schulen, die Lehrmeinungen wie Mittlerer-Weg, Bewusstseinslehre (唯識,Yousik Sasang) und Hwaoem Lehre (Lehre von Erwachen Buddhas) vertraten. Als dieses vielfältige Gedankengut über verschiedene Wege und zu unterschiedlichen Epochen nach China kam, bildeten sich viele unterschiedliche Sekten (Schulen). Dabei waren Streitigkeiten und Rivalitäten häufiger geworden. Obwohl Wonhyo niemals im Ausland studiert hatte, beherrschte er schließlich die verschiedenen buddhistischen Glaubensrichtungen in den umliegenden Ländern. Er konnte sich diesen mit einer gewissen Objektivität annähern. Schließlich beeinflussten seine eigenen Ideen stark die Nachbarländer, vor allem China und Japan. Wie wir aus seiner Lebensweise erfahren, gehörte Wonhyo nie einer bestimmten Glaubensrichtung an. In seinen Schriften spüren wir ein Bestreben, sich von der individuellen Subjektivität zu befreien, ein zentrales Thema in der modernen Philosophie. Ein Denker, der über die reine Theorie hinaus geht und seine Technik in die Praxis umsetzt, kann uns in der heutigen Zeit Vieles geben. Wonhyo wurde von den Wissenschaftlern seiner Zeit viel kritisiert. Dennoch ist er in der 2000-jährigen buddhistischen Geschichte Koreas unerreicht, nicht nur wegen seiner tiefgründigen Lehre und seiner Überzeugungen, sondern auch wegen seines bemerkenswerten Lebensstils. Dieser ist ein lebendiges Zeugnis seines Glaubens. Obwohl in verschiedenen Schulen des Denkens bewandert, überstieg er den konfessionsgebundenen Formalismus, der an eine bestimmte Doktrin gebunden war. Aus diesem Grund ist er als Begründer des sogenannten 10 „Synkretischen Buddhismus“ bekannt. Das hierbei von ihm verfolgte Ideal war ein perfektes ganzheitliches Verständnis des Realen und des Idealen. Daher schlug er die „Harmonisierung der Disputation“ (Hwajeang) vor und praktizierte „Keine Hinderung“ (Muae). Im Rahmen seiner umfangreichen Gelehrsamkeit, seiner ausgereiften Logik sowie seiner Taten und seiner Lebensweise, die letztlich seine Theorien übertrafen, liegen die Verdienste seines bedeutenden Lebens begründet, die in jedem Zeitalter und jeder Gesellschaft geschätzt werden können. 11 II. Historischer Hintergrund Im 7. Jahrhundert, zu Lebzeiten Meister Wonhyos, trat Eurasien in eine neue Epoche ein. Sui-China führte eine Reihe von erfolglosen Invasionen in KoguryoKorea durch. Schließlich wurde Sui-China von der Tang-Dynastie abgelöst. Die Macht dieser neuen Herrscherfamilie erstreckte sich von Zentralasien bis in den Fernen Osten. Nach der Gründung des Islams durch den Propheten Mohammed unter der Devise „Alle sind vor Allah gleich“ drangen die Araber in das Byzantinische Reich ein, um das erste islamische Reich der Sarazenen zu gründen. Unterdessen vereinigten das Silla-Königreich (57 v. Chr. - 935 n. Chr.) nach einem intensiven Kampf mit Paekje (18 v. Chr. -.660 n. Chr.) und Koguryo (37 v. Chr. -.668 n. Chr.), die beiden anderen antiken Königreiche Koreas auf der koreanischen Halbinsel. Der Austausch zwischen Ost und West stieg auch während dieser Periode beachtlich an. Auf dem Landweg verliefen die Seidenstraße vom chinesischen Festland und die Steppenroute im Norden geradewegs bis zum Mittelmeerraum. Die Seidenstraße wurde im 1. Jahrhundert v. Chr. erbaut. Auf diesem Wege wurden die Gandhara-Künste nach Zentralasien, China, Korea und Japan eingeführt. Buddha wurde in diesen Künsten in menschlicher Gestalt in einem Stil dargestellt, der von der griechischen Kunst beeinflusst worden war. Auf dem Seeweg wurde der südliche eurasische Kontinent bedient. Die persischen Handelsschiffe segelten bis nach Südostasien und handelten bis weit an die chinesische Küste. (http://www.imperialtours.de/Silk_road.htm) 12 Diese drei Hauptrouten des Handels, Seidenstraße, Steppenstraße und Seeweg, ließen die Welt definitiv enger zusammenwachsen. Die Geburt eines neuen Zeitalters der Weltgeschichte hat begonnen. Einige gehen davon aus, dass sich dies erst in der Seefahrtsepoche im 15. Jahrhundert ereignet hatte, als die Europäer die neue Kontinente Amerikas und Afrikas erkundet und Routen zur Umsegelung eingerichtet hatten. Hierbei handelt es sich aber um eine eher europäische Betrachtungsweise. Unterdessen trat der Buddhismus Chinas in eine neue Phase ein. Gegen Mitte des 7. Jahrhunderts kehrte der berühmte buddhistische Mönch Xuanzang1 nach einem 17-jährigen Studium in Indien (629 - 645) nach Hause zurück. Er übersetzte 73 buddhistische Schriften, welche heute als „Die neuen Übersetzungen“ bekannt sind. Dieser neue Kanon war umfangreicher als die vorherigen Übersetzungen und sorgte für den Aufstieg einer neuen akademischen Tradition in den buddhistischen Schulen Tang-Chinas. Nach der Vereinigung Koreas glich das Silla-Königreich die buddhistischen Praktiken der beiden Königreiche Baekje und Koguryo an. Von den neuen Bewegungen innerhalb Tang-Chinas angeregt, traten zahlreiche buddhistische Meister in Erscheinung und begannen das Dharma zu verbreiten. Nachdem die neu übersetzten Schriften eingeführt und tiefgründiger erforscht wurden, konnten die Grundlagen eines neuen Buddhismus, der für Shilla einzigartig war, gelegt werden. Meister Wonhyo erwarb sich einen umfassenden Überblick über die vielfältigen buddhistischen Richtungen und Traditionen seiner Zeit. Er vereinheitlichte nicht nur Realität und Wunschbild, sondern perfektionierte auch die Entwicklung des koreanischen Buddhismus. 1 Xuanzang ist die Hauptfigur in „Journey to the West“, einer der vier klassischen Romane der chinesischen Literatur, bekannt für die Figur des „Affenkönigs“ Sun Wukong. 13 III. Wonhyos frühes Leben 1. Kastanien-Tal Wonhyo wurde 617 während der Herrschaft von König Chinpyong (579 632) geboren, genau 90 Jahre, bevor der Buddhismus im Silla-Königreich unter König Pophung offiziell anerkannt wurde. Wonhyos Geburtsort war Buljichon (Buddhaland-Dorfgemeinde) im Landkreis Anmyung-Gun der nördlichen Kyongsang-Provinz. Diese Dorfgemeinde soll als Palji (Erwachen der Weisheit) bekannt gewesen sein. Wie bereits der Name vermuten lässt, war dies eine Region, die stark von buddhistischer Praxis geprägt war. Wonhyos Großvater wurde „ehrwürdiger Herr Ingpi“ genannt, sein Vater namens Soldamnal war ein Regierungsbeamter. Bis auf einen unerfüllten Kinderwunsch waren Soldamnal und seine Frau mit allen Dingen gesegnet, die man sich wünschen konnten. Jeden Morgen betete seine Frau andächtig zu Buddha, ihnen einen Sohn oder eine Tochter zu schenken. Eines Nachts hatte sie, als Antwort auf ihre Gebete einen sehr viel versprechenden Traum. Die größte Sternschnuppe des Himmels raste wie ein Pfeil hernieder und durchbohrte ihre Brust. Erschrocken erwachte sie und erzählte ihrem Mann von dem Traum. Dieser freute sich sehr darüber, denn er sah es ein gutes Omen zur Ankündigung der Geburt eines Kindes. Tatsächlich zeigten sich bald nach dem Traum Anzeichen einer Schwangerschaft. Eines Tages, als sie am Kastanien-Tal (Yulgok) vorbei ging, begannen bei ihr plötzlich die Wehen einzusetzen. Es war zu spät, um nach Hause zurückzukehren. 14 Soldamnal zog seine Oberbekleidung aus und hing sie zum Schutz über die Zweige eines Kastanienbaums. Danach bereitete er mit trocknen Gräsern einen Geburtsplatz vor. Die Dienerinnen halfen, das Baby zur Welt zu bringen, und Soldamnal betete für seine Frau, die Geburt gut zu überstehen. In diesem Augenblick hüllten fünf strahlende, kontrastreich getönte Wolken die Notunterkunft ein, die der Frau zur Entbindung diente. Bald füllten diese Wolken das ganze Tal aus. Kurz darauf hörte man den Schrei eines neugeborenen Babys. Das Kind wurde Sodang genannt (der Name Wonhyo, wie er heutzutage bekannt ist, bedeutet wörtlich „Morgendämmerung“). Diese Geschichte hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Geschichte von der Geburt des Shakyamuni Buddha. Nach dieser Geschichte setzten bei Königin Maya auf dem Weg zu ihrem Elternhaus in Koli im Lumbini-Hain die Wehen ein. Ihr Sohn, der Kronprinz, wurde unter dem Schutz eines Ashokabaums (ein SalaBaum) geboren. Es wurde überliefert, dass sich bei diesem Ereignis ein hoffnungsvoller Sonnenstrahl vom Himmel auf die Erde erstreckte und den neugeborenen Sohn berührte. Wonhyo wurde, wie Shakyamuni-Buddha, ebenso unter einem Kastanienbaum (auch Sala-Baum genannt) geboren und seine Geburt war von einem ähnlichen Omen begleitet. 2. Verfolgung des spirituellen Pfads Sodang war ein begabtes Kind. Er wurde als ein Wunderkind beschrieben, das nach dem Erlernen eines neuen Begriffs auf zehn weitere schließen konnte. Da er auch ein talentierter Reiter und Speerwerfer war, wurde er Mitglied des Hwarang (lit. Blumen-Jugend), einer Gruppe von jungen Elitesoldaten, die sich einer strengen Ausbildung von Körper und Geist unterzogen. Eines Tages jedoch entschloss er sich den spirituellen Weg einzuschlagen und nahm den Namen „Wonhyo“ an. Er verwandelte sein Haus in ein Kloster, das er Chogae nannte. Zusätzlich baute er einen Tempel neben dem Sala-Kastanienbaum, der ihm als 15 Schutz während seiner Geburt gedient hatte, und nannte diesen Salasa. Es ist nicht klar nachzuvollziehen, warum er sich entschieden hatte, im Alter von 15 Jahren auf das weltliche Leben zu verzichten, während er noch als Hwarang diente. Ebenso ist nicht belegt, wie lange er nachdachte, bevor er diese Entscheidung traf. Eine Vermutung ist, dass ihm durch den Tod eines Kameraden, den er im Krieg gekannt hatte, bewusst wurde, wie kurz das menschliche Leben in der Tat ist. So begann er das Ziel zu verfolgen, die Wahrheit jenseits des Grabs zu erfahren. Wonhyo gehörte dem unteren Kolpum-Rang der Silla-Gesellschaft an. Seine Aufstiegschancen zu einer hohen Position in der Regierung waren stark eingeschränkt. Deshalb glaubten einige, dass die unteren Kolpum-Ränge mithilfe des buddhistischen Glaubens in der Gesellschaft aufsteigen könnten, indem sie die Grenze des hierarchischen Systems überwanden. Es wäre jedoch zu einfach, die Richtung, die Wonhyo einschlug, mit gesellschaftlichem Fortschritt zu begründen. Für diejenigen, die sich wahrhaftig einem spirituellen Weg widmen möchten, sind weltlicher Erfolg und Ruhm bedeutungslos. Um diesen Weg zu verfolgen, muss man vor allem ein tugendhaftes Leben führen. In diesem Zusammenhang ist die Differenzierung der Menschen nach Zeit, Ort und gesellschaftlicher Stellung bedeutungslos. Er verfasste einen Leitfaden für junge nach Spiritualität Suchende, genannt Palsim Suhaengjang (das Erwachen des Glaubens und der Praxis). Für die Neulinge des Buddhismus ist es immer noch eine Quelle der Inspiration und des Glaubens. Diese Schriften beinhalten seine eigenen tiefen Erfahrungen der spirituellen Praxis und seine Geisteshaltung in jüngeren Jahren. Hohe Berge und raue Gipfel sind die Heimat der Weisen. Grüne Pinien und tiefe Täler beherbergen diejenigen, die praktizieren. Wenn sie hungrig sind, holen sie Obst von den Bäumen, um den nüchternen Magen zu beruhigen. Wenn sie durstig sind, löschen sie ihren Durst mit Wasser aus dem Bachlauf. Obwohl wir diesen Körper mit Delikatessen 16 versorgen und ihn achtsam ernähren, ist es gewiss, dass wir schließlich scheitern werden. Auch wenn wir den Körper mit schöner Kleidung bedecken, wird die Zeit kommen, wenn unser Leben endet. Eine felsige Höhle, die mit hallenden Klängen schwingt, dient dir als Saal zur Rezitation. Die Wildgänse, die in der Einsamkeit schreien, dienen dir als fröhliche Begleiter deines Geistes. Obwohl deine Knie kalt und gefühllos wegen ständiger Verbeugungen sind, denkst du nicht an Feuer. Obwohl sich dein leerer Magen von deinem Körper abgetrennt fühlt, denkst du nicht daran, nach Nahrung zu suchen. Bevor du es wahrnimmst, wirst du einhundert Jahre alt sein. Warum also lernst du nicht? Könnte das Leben für uns jemals lang genug sein, es zu vertrödeln und unsere Studien zu vernachlässigen. Von Wonhyo als spirituell Suchender wird angenommen, dass er von einem sehr angesehenen Meister in allen Bereichen der Praxis unterrichtet wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er unter renommierten Mönchen wie Nangji, Podok und Hygong studiert hat. Das Wort „Lehrer“ im Buddhismus wird üblicherweise mit Dharma und seiner weiteren Passage vom Meister bis zum Schüler verknüpft. Im Fall von Wonhyo scheint es jedoch, dass er weder einen engagierten Lehrer noch einen Schüler zur Seite hatte. Das ist sehr bemerkenswert. Ein Schüler lernt vom Lehrer, und er selbst wird zum Lehrer für seine eigenen Schüler. In gleicher Weise zieht ein Elternteil ein Kind groß, das später eine Mutter wird. So wiederholt sich der Kreislauf. Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler sowie weitere Überlieferung von Tradition mittels dieser Beziehung ist ein allgemeines Thema des menschlichen Lebens, das sich ständig wiederholt. Ohne Lehrer heißt daher, die Erleuchtung durch sich selbst zu erlangen und außerhalb des Gesetzes von Ursache und Wirkung zu existieren. Wenn man nicht an das Gesetz von Ursache und Wirkung gebunden ist, bedeutet dies hier die Ewigkeit. Um zu sagen, dass Wonhyo nicht einem Lehrer folgte, bedeutet daher zu sagen, dass er ein Geschöpf war, das diese Welt und ihre Naturgesetze transzendierte. 17 IV. Aufforderung zum Auslandsstudium 1.Wonhyo und Uisang Der spirituelle Weg muss nicht unbedingt allein verfolgt werden. Die spirituell Suchenden können von der Gemeinschaft der Mitpraktizierenden profitieren und lernen. Wonhyo fand so einen Begleiter in Meister Uisang (625-702). Obwohl sich Wonhyo und Uisang in Bezug auf den familiären Hintergrund, die Persönlichkeit, Methoden der Praxis und Schwerpunkte unterschieden, erkannte jeder den Charakter und die Lehrmethode des anderen hoch an. Es gibt viele Geschichten, in denen Meister Wonhyo und Uisang gemeinsam auftraten. Der Satz „Also sprach Meister Wonhyo …“ erscheint immer wieder in Berichten über ihre Studien, die dem Blumen-Ornament-Buddhismus gewidmet wurden. Die Schüler von Uisang zitierten, was Wonhyo zu sagen pflegte. Als Meister Uisang den Naksansa-Tempel gegründet hatte, wurde Wonhyo von ihm gebeten, ihn bald danach zu besuchen, um ein Gebet abzuhalten. Meister Uisang wurde 625 in eine adelige Familie hineingeboren. Er verzichtete auf das weltliche Leben im Alter von 19 Jahren im Hwangboksa Tempel in Kyongju, der Hauptstadt des Silla-Königreichs. Im Jahr 661 reiste er auf der Suche nach einem umfassenderen Studium nach Tang-China. Es wurde gesagt, dass Uisang die raue See überqueren musste, um in Dengzhau anzukommen. Für einige Tage blieb er im Haus des Lin Zhiren, einem Laienbruder. Lin Zhiren hatte eine schöne Tochter, Shanmiao, die sich in Uisang verliebte. Jedoch war es ihr unmöglich, einen spirituell Suchenden umzustimmen, 18 dessen Entschlossenheit zu einem Studium unerschütterlich war. Nachdem Uisang das Haus von Lin Zhiren verlassen hatte, ging Uisang nach Chagan, der Hauptstadt des Tang-China, wo er zehn Jahre verbrachte, um die neue Schule des Buddhismus zu studieren. Für weitere zehn Jahre war Shanmiao vergeblich in ihn verliebt. Sie erfuhr, dass Uisang beabsichtigte, kurz ihren Vater zu besuchen, bevor er in das SillaKönigreich zurückging. Sie bereitete eine Kiste mit Kleidung, Geschirr und anderen Gegenständen als Geschenk für den Meister vor und wartete auf seine Ankunft. Als dies geschah, bestieg Uisang ein Schiff, bevor sie ihm das Geschenk überreichen konnte. Direkt am Ufer stehend betete sie. „Wenn mein Geist gegenüber dem Meister aufrichtig und gänzlich rein ist, möge diese Kiste in seine Hände gelangen!“ Sie warf die Kiste in die Wellen, und diese wurde sicher zu ihrem Ziel gebracht. Shanmiao fuhr fort: „Möge dieser Körper zu einem Drachen werden, um das Schiff mit dem Meister zu schützen und ihm bei seinem Dienst für Buddha zu helfen.“ Sie sprang in die See und wurde sofort gemäß ihrem Gelöbnis in einen Drachen verwandelt. Später, als Uisang den Pusoksa Tempel baute, kam eine Gruppe von Schurken, um die Arbeiter zu behindern. Daraufhin erschien der Drache in Form eines riesigen schwebenden Felsens, um Ganoven zu vertreiben. Auf diese Weise kam der Tempel zu seinem Namen Pusoksa, was wortwörtlich „Schwebender Felsen“ bedeutet. Mit dem Bau des Pusoksa-Tempels begann Meister Uisang den neuen „Blumen-Ornament-Buddhismus“ (Hwaom in Koreanisch, Hua-yen in Chinesisch, Kegon in Japanisch) zu verbreiten, der die Notwendigkeit betont, die Lehre in die Praxis umzusetzen, anstatt am bloßen Wissen festzuhalten. Während seine Philosophie auf der Basis des Blumen-Ornament-Buddhismus gegründet wurde, wurde diese auch vom Avalokitesvara-Buddhismus2 (Kuanum) und von den Reine-Land3-Lehren übernommen. 2 Bodhisattva. (Posal auf Koreanisch) ist ein Wort aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich „erleuchtetes Wesen“ und bezieht sich auf jemanden, der eine hohe Stufe der Erleuchtung erlangt hat, aber seinen Eintritt in das ewige Nirvana verschoben hat, um andere zur 19 In einer Gesellschaft, die auf einem starren Kastensystem basierte, betonte Uisang die Ebenbürtigkeit der Menschen und tat, was er konnte, um das Leiden der Bevölkerung zu verringern. Als König Munmu (Regierungszeit 661-681) ihn mit Land und Bediensteten belohnen wollte, lehnte dies Uisang höflich mit der Begründung ab, dass jeder vor dem Dharma gleich ist und ein praktizierender Buddhist keine Bedienstete haben kann. Als der König später mit dem Bau einer Burg in Kyungju begann, drängte Uisang ihn den Bau zu stoppen und sagte: „Wenn ein König weise regiert, wird eine einfache Zeichnung einer Linie auf dem Erdboden eine Festung sein, sodass keiner es wagt, darüberzuschreiten, und sie wird Katastrophen verhindern. Wenn er aber nicht weise regiert, wird sogar die Große Mauer Chinas nicht ausreichend sein, um Unglück fernzuhalten.“ Auf diese Weise expandierte der Einfluss Uisangs über die Buddha-Gemeinschaft hinaus in alle Bereiche der Gesellschaft. In seiner Hwaom Ilsung Popgyedo (schematische Darstellung des DharmaReichs des Einzelfahrzeuges vom Blumen-Ornament-Buddhismus) entwickelte Uisang den Kern der Lehren des Blumen-Ornament-Buddhismus, den er lehrte und praktizierte. Obwohl er im Alter von 78 Jahren 702 starb, bemühten sich seine zehn führenden Jünger, die Lehre ihres Meisters zu verbreiten. Er wurde posthum der Begründer der koreanischen Blumen-Ornament-Schule. Auch wenn Uisang nicht nach Japan ging, gewann er unter den japanischen Buddhisten eine beachtliche Anhängerschaft. Im Jahre 1219 wurde eine mehrgliedrige Papierrolle, genannt Kegon Emaki (jetzt bei Kozan-ji in Kyoto) gemalt und die Abenteuer Erlösung zu führen. Avalokitesvara (Kuanum auf Koreanisch) ist der Bodhisattva des Mitgefühls und der am häufigsten unter allen Bodhisattvas verehrt wird. Er soll 1000 Arme und 1000 Augen haben, um jemanden zu sehen, der um seine Hilfe anruft und ihn vor der Katastrophe rettet. 3 Das „Reine-Land“ ist ein Ableger des Buddhismus, der sich auf den Amitabha Buddha konzentriert, der vermutlich über das „Reine-Land“ den Vorsitz führt. Anhänger glauben, dass das Singen des Namens vom Amitabha-Buddha in diesem Leben sie im „Reinen Land“ wiedergeboren lässt. Mit anderen Worten glauben sie, dem Samsara und dem Kreislauf von Geburt und Tod zu entkommen. Die Einfachheit dieser Form der Praxis hat erheblich zu seiner Popularität in ganz Ostasien beigetragen. 20 von Uisang auf seiner Reise nach China dokumentiert. Wonhyo hatte hervorragende Schüler, aber er organisierte unterwegs seine Jünger auf andere Weise als Meister Uisang. Anstatt der Dharma durch eine organisierte Lehrgemeinschaft zu verbreiten, wählte Wonhyo den direkten Kontakt mit der Öffentlichkeit. Um den Samen des Buddhismus in die Herzen der Menschen zu tragen, besuchte er zahlreiche Ortschaften und Dörfer im ganzen Land. Uisang dagegen blieb in seiner Residenz auf dem Berg Taebaek und konzentrierte sich auf die Ausbildung seiner Schüler. Wonhyo zeigte Interesse für den Taoismus und sogar für die medizinische Wissenschaft, Uisang sich nie über die Grenze des Buddhismus hinaus wagte. Uisang behielt das Aussehen eines strengen Praktizierenden bei, wohingegen Wonhyo durch die Straßen in Gestalt eines Bürgerlichen schritt. Obwohl Wonhyo und Uisang unterschiedliche Hintergründe und Lebensauffassung hatten, waren ihre aufrichtigen Wünsche, dem spirituellen Weg zu folgen und den Geist der Menschen nach dem Buddha-Dharma zu kultivieren, genau die gleichen. Diese beiden Männer repräsentieren gegensätzliche Vorbilder von intellektuellen Vorreitern im alten Korea. Einer widmete sein ganzes Leben der ernsten Gelehrsamkeit, während der andere sich in die alltägliche Welt vertiefte und das „Große Mitgefühl“ praktizierte. Beide waren jedoch mit unermüdlichem Bestreben beschäftigt, die Tore des menschlichen Geistes zu öffnen. 2. Eine Reise nach Tang-China Die Veröffentlichung der neuen Übersetzungen des Meisters Xuanzang signalisierte eine Zeit für große Veränderungen des Buddhismus. Im Hinblick auf die intellektuelle Reife hatte die buddhistische Tradition Chinas des siebten Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreicht. Viele gelehrte Mönche nahmen an dem Projekt von Xuanzang teil, die neuen Schriften zu übersetzen. Das Studium des 21 „Neuen Buddhismus“ wurde schnell beliebt. Es dauerte nicht lange, bis die neuen Übersetzungen Korea erreichten. Im Jahr 650, fünf Jahre nach der Rückkehr von Xuanzang von seinen Studien in Indien, begaben sich Wonhyo und Uisang (34 bzw. 26 Jahre alt) auf eine Reise nach Tang-China. In der damaligen Zeit war es üblich, eine Seereise zu unternehmen. Der Seeweg führte an Liadong in Koguryo vorbei, das an China angrenzt. Liadong war ein Verkehrsknotenpunkt zwischen China und der koreanischen Halbinsel. Im Jahr 650 war es auch ein Ort gesteigerter Spannungen wegen einer unlängst erfolgten Invasion von Tang-Truppen. Deswegen wurden die beiden Praktizierenden aus dem Silla-Königreich durch eine Patrouille Koguryos fälschlich als Spione identifiziert, als sie versuchten, die Grenze zu überschreiten. Versuche zur Spionage waren damals an der Tagesordnung. Spione reisten oft unter dem Deckmantel von wandernden Mönchen. Darüber hinaus waren das Silla-Königreich und Tang-China verbündet, aber Silla und Koguryo waren miteinander verfeindet. Wonhyo und Uisang wurden bei Liaodong festgenommen und für mehrere Wochen inhaftiert. Schließlich erreichten sie ihre Freilassung und traten mit großen Schwierigkeiten ihren Rückweg nach Silla an. Ihre Hoffnung auf ein Studium im Ausland mussten sie frustriert aufgeben. Obwohl die Reise Wonhyos letztendlich erfolglos war, erlebte er hautnah die rücksichtslosen Aspekte eines Krieges. Dies musste ihm sehr geholfen haben, sein Verständnis vom Leben zu bereichern. Darüber hinaus unterstützte ihn dies bei der Entwicklung seiner Philosophie. 3. Wasser trinken aus einem Schädel Wonhyo machte einen zweiten Versuch im Alter von 44 Jahren (661), wieder in Begleitung von Uisang in Tang-China zu studieren. Um die See nach TangChina zu überqueren, traten sie zunächst eine Reise nach Westen an. Als sie mit der Zeit den Hafen der Tang-Burg erreichten, brach schon die Dunkelheit ein. Da 22 sie plötzlich vom Regen und Wind überrascht wurden, waren sie gezwungen, eine Nacht in einer unterirdischen Notunterkunft zu verbringen. Als sie am nächsten Morgen aufwachten, wurde ihnen klar, dass sie die Nacht in einer Grabkammer verbracht hatten. Da der schwere Regen anhielt, mussten sie noch eine zweite Nacht dort verbringen. In dieser Nacht konnte Wonhyo nicht schlafen. Furchterregende Klänge und Visionen von Geistern hielten ihn wach. Dieser Anlass diente als eine Gelegenheit für ein großes Erwachen in dem jungen Meister. In der vorherigen Nacht fiel es ihm leichter, weil er dachte, dass er in einem harmlosen Unterschlupf schlafen würde. In der zweiten Nacht fühlte er sich jedoch sehr unwohl, weil er wusste, dass er in einem Ort von Tod und Bestattung schlief. Durch diese Erfahrung wurde ihm Folgendes klar: „Wenn ein Gedanke auftaucht, entstehen alle Phänomene, wenn ein Gedanke verschwindet, sind der Unterschlupf und das Grab eins.“ Die Drei Welten sind einfach der Geist. Alle Phänomene sind bloße Wahrnehmung. Kein Dharma außerhalb des Geistes Was gibt es sonst zu suchen? Ich werde nicht nach Tang-China gehen. Mit der Äußerung dieser späteren Geschichte kehrte Wonhyo in das SillaKönigreich zurück. Er gelangte zu der großen Wahrheit, dass das Dharma nicht außerhalb des Geistes existiert. Die Wahrheit ist nicht etwas, das man außerhalb seiner selbst suchen kann, sondern ist eine innere Erkenntnis. Wonhyo hat das Wesen des Geistes wahrgenommen, der im Inneren-Selbst eines Menschen wohnt. Die Erkenntnisse Meister Wonhyos wurden in späteren Jahren berühmt und in der bekannteren Version der Erzählung wieder aufgegriffen. Der Geschichte nach war Wonhyo in der fraglichen Nacht sehr durstig. In der Dunkelheit begann er, nach Wasser zu suchen. Er konnte einen Gegenstand, der 23 sich wie eine Kürbisschale anfühlte, wahrnehmen. Er hob ihn auf und fühlte, dass er mit Wasser gefüllt war. Er probierte es, es schmeckt sehr süßlich. Er trank den Inhalt mit Genuss in einem Zug. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, schlief er tief und fest bis zum Morgengrauen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, erinnerte er sich an das, was geschehen war und suchte nach der Schale. Er konnte die Schale jedoch nirgends finden, sondern entdeckte nur menschliche Schädel, die auf dem Fußboden verstreut lagen. Die Schale war in der Tat einer dieser Schädel und das süß schmeckende Wasser war Regenwasser, das sich darin angesammelt hatte. Bei der Betrachtung der Innenseite einer der Schädel sah er, dass das Wasser lebendige Würmer enthielt. Die tiefe Erkenntnis, die er durch diese Erfahrung erlangte, erinnerte ihn an eine Dharma-Rede, die er in der Niederschrift „Erwachen des Glaubens“ gelesen hatte. Wenn ein Gedanke entsteht, Ergeben sich alle Arten von verschiedenen Gedanken. Wenn ein Gedanke verschwindet, Verschwinden alle verschiedenen Gedanken. Wie der Tathagata sagte, sind alle drei Welten Illusion. Alles ist nur der Erfolg des Geistes. Wonhyo erkannte, dass jedes Bild und Erscheinung eine Folge von Unterscheidungen innerhalb des Geistes ist und sonst nichts. Er wandte sich an Uisang und sagte: „Hast du mich in der letzten Nacht vor Durst leiden sehen?“ „Ich sah dich vom unerträglichen Durst leiden und Wasser aus einer Schüssel trinken.“ „Als ich heute Morgen aufwachte, sah ich, dass es kein sauberes Wasser war, das ich trank, sondern verschmutztes Regenwasser, das sich innerhalb eines menschlichen Schädels angesammelt hatte. Als ich es trank, war es wirklich erfrischend. Danach schlief ich mit großer Zufriedenheit ein. Als ich aber 24 herausfand, was ich getrunken hatte, musste ich mich übergeben. Ich fühlte mich sehr unbehaglich. Das Wasser von heute Morgen ist nichts anderes als das von der letzten Nacht. Als ich nicht wusste, was es war, fand ich es erfrischend. Aber als ich die Wahrheit herausfand, fühlte ich mich sehr unbehaglich. Die Schmutzigkeit oder die Sauberkeit eines Objektes hängt nicht vom Objekt selbst ab, sondern von den Unterscheidungen in unserem Geist. Nun habe ich erkannt, dass alles durch den Geist geschaffen wird. Weil ich diese Wahrheit erkannt habe, kann ich weder meine Freude, noch den Wunsch zu tanzen und zu singen, unterdrücken. “ Nachdem er das Alles-Ein-Geist-Prinzip durch diese Erfahrung erkannt hatte, musste er nicht die weite Reise nach China fortsetzen, um dort Dharma zu erfahren. Als er so die Erleuchtung in einem einzigen Moment erlangte, äußerte er den Zustand seines Geistes wie folgt: Wenn ein Gedanke entsteht, entstehen viele Arten von Dharma. Wenn der Geist nachlässt, sind eine heilige Stätte und ein Friedhof eins. Die Drei Welten sind einfach der Geist. Alle Phänomene basieren auf dem Bewusstsein. Da es nur den Alles-Ein-Geist gibt, was gibt es sonst noch zu suchen! Hier verweist „der Geist“ auf karmisches Hindernis oder unterscheidender Geist. Da unterscheidende Gedanken entstehen, existiert das Dharma als Methode zur Auslöschung dieser unterscheidenden Gedanken. Wenn alle karmischen Hindernisse oder der unheilsame Geist gereinigt und ausgelöscht sind, gibt es sogar keinen Unterschied zwischen Ruhe und Ärger. Uisang setzte seine Reise nach Tang-China über die See fort, wie er es ursprünglich beabsichtigt hatte. Er studierte zehn Jahre bei dem Dharma Meister Zhiyan (602-668) im Zhixiangsi-Tempel auf dem Berg Zhongnan. Danach kehrte er in das Silla-Königreich zurück und verbreitete den Blumen-OrnamentBuddhismus weiter. Im Jahr 676 baute er mit königlichem Vorrecht einen Tempel namens Pusoksa und unterrichtete dort viele Schüler. 25 Wonhyo blieb nach seiner Rückkehr in das Silla-Königreich kurz im Punhwangsa-Tempel und studierte und praktizierte ernsthaft. Seine Erkenntnisse dienten als Grundlage für seine Schriften. Wonhyo verfasste Kommentare zu den buddhistischen Schriften. Seine bekanntesten Werke wie Kumgang Samaegyung Non (Sammlung der Vajrasamadhi Sutren) dienten später als Leitfaden für unzählige Wissenschaftler und Praktiker in Ostasien. Später verließ er die Enge des Tempels, um unter den Leuten zu leben. Er vermittelte ihnen große Hoffnung, einmal mit seinen Worten, ein anders Mal mit Tanz und Gesang. Seine Methoden für die Verbreitung des Buddhismus waren oft unkonventionell. Dies war möglich, weil er nicht einer bestimmten Schule oder Glaubensrichtung angehörte. Wonhyo war aus diesem Grund für die gewöhnlichen Menschen ein wahrer Wegbereiter des Buddhismus. Buddhismus, so glaubte er, sollte weder Vorrecht einer elitären Gruppe von Intellektuellen, noch ein Instrument tyrannischer Macht sein, weder eine Religion, die sich auf Formalitäten stützt, noch eine Religion für den Adelsstand. Obwohl er Buddhist war, fühlte er, dass es notwendig war, über den Buddhismus hinauszugehen. Aus diesem Grund betrachteten viele Wonhyo als Meister der Muae (Nicht-Hindernis), wahrlich ein Mann, der in jeder Hinsicht frei war. 26 V. Zurück ins weltliche Leben 1. Leben mit den Leuten Als der Buddhismus zum ersten Mal in Korea eingeführt wurde, lag der Schwerpunkt auf Förmlichkeit und Zeremonie. Alle buddhistischen Mönche beachteten klösterliche Regeln und Vorschriften sehr streng. Wonhyo jedoch versuchte sich von diesem Regelwerk, das sich auf äußere Zwänge stützte, zu befreien. Wonhyo war an die klösterlichen Regeln, die seine Klosterbrüder strikt einhielten, nicht gebunden. Er aß Fleisch mit Banditen und trank Wein mit Dirnen. Viele Mönche und Laien verurteilten seine Taten als unmoralisch. Als seine Klosterbrüder ihn aufforderten die Regeln einzuhalten, antwortete Wonhyo: „Ob eine Tat gut oder eine Sünde ist, ist schwer zu bestimmen. Einige Handlungen mögen gerecht erscheinen, obwohl die dahinterliegende Absicht falsch ist. Andererseits mag eine Aktion unehrenhaft erscheinen, obwohl in einigen Fällen ein reines und klares unschuldiges Bestreben dahinter steckt. Ob etwas gut oder schlecht ist, hängt allein vom reinen Geist ab.“ Wonhyos Worte und Taten waren häufig zu bizarr für seine Mitbrüder, um sie zu verstehen. Manchmal blieb er im Tempel und praktizierte, ohne zu essen oder zu schlafen. Hin und wieder verbrachte er den Tag mit Bettlern auf der Straße. Es war nur natürlich, dass Wonhyo von den buddhistischen Institutionen der damaligen Zeit gerügt wurde. Diese beschäftigten sich mit der Einhaltung der Regeln und glaubten, dass die Würde eines Mönchs zu allen Zeiten 27 aufrechterhalten werden sollte. Wonhyo glaubte, dass das Lesen von Sutren und die Ausführung von Zeremonien in den Mauern des Tempels nicht der einzige Weg waren, Buddhas Lehre auszuüben. Mit dem Leben neben den fühlenden Wesen in der Außenwelt nahm er auch an ihren Leiden und Freuden teil. Damit vermittelte er ihnen die Lehre Buddhas unmittelbar und fühlte, dass dies ein besserer Weg war, das Vermächtnis Buddhas weiterzugeben. Dennoch verstanden einige Leute seinen ernsten Wunsch, die Samen der Buddhaschaft in die Niedrigsten und am wenigsten verstandenen Schichten der Gesellschaft zu säen. Wonhyos Vorgehensweise bestand darin, alle Teile des Landes zu besuchen und die Lehre Buddhas so zu übermitteln, dass sie für jeden leicht verständlich war. Im Gespräch mit königlichen Mitgliedern und Aristokraten, bescheidenen Bettlern und eigenwilligen Kindern, verbreitete er den Buddhismus weit und breit. Aufgrund der Bemühungen Wonhyos begann jeder im Silla-Königreich, an die Lehre des Buddhismus zu glauben. Einer der Gründe für seine Popularität war seine neue Glaubenslehre „Reines Land“. Gemäß der Lehre „Reines Land“ sollten Praktizierende das „NamuAmitabul“ (Loblied auf Amitabha-Buddha) singen, um nach dem Tod in einem Paradies wiedergeboren zu werden. Gewöhnliche Leute fanden die Lehre einfach und mitfühlend, attraktiv und leicht zu verstehen. Das Ergebnis war weitaus effektiver als eine schwer verständliche akademische Theorie. Mit der Rezitation des Namens Buddhas kommt allmählich der Geist zur Ruhe. Mit anderen Worten, durch die Rezitation des Mantras oder des Namens Buddhas wird der Geist gereinigt und gesammelt. So bewahrt der Geist fortwährend einen Zustand der inneren Ruhe. Als Meister Wonhyos Lehre vom „Reinen Land“ weitgehend verbreitet war, rezitierten alle in Silla-Königreich, sowohl adelige als auch niedrige Schichten, den Namen vom „Amitabha Buddha“. 28 2. Eine Begegnung mit Prinzessin Yosok Wonhyo dachte, dass es das wahre Ziel des Buddhismus ist, die Seelen der Menschen vom Leiden zu befreien. Zu dieser Zeit war der Buddhismus nur den Adeligen und Oberschichten der Bevölkerung bekannt. Wonhyo begann DharmaVorträge für Gruppen von gewöhnlichen Bürgern zu halten, um den Buddhismus so vielen Menschen wie möglich zu lehren. Mit der Anzahl von Menschen, welche die Dharma-Vorträge Wonhyos hörten, wuchs sein Ruf, und er wurde im ganzen Land bekannt. Eines Tages besuchte eine wunderschöne Prinzessin einen seiner Dharma Vorträge, und sie war von seinen Worten sehr beeindruckt. Die Prinzessin hieß Yosok, die zweite Tochter des Königs Muyol (Regierungszeit 654-661), anmutig und freundlich. Als junges Mädchen wurde sie Ayuta genannt und wurde von vielen Hwarangs bewundert. Ihr Mann war ein Hwarang namens Kojin, der während des Krieges mit Paekje gefallen war. Nachdem sie die Lehre Wonhyos gehört hatte, war sie in ihrem Innersten sehr berührt. Buddha erlangte Erleuchtung, Um die Menschen vom Leid zu erlösen. Und ihnen Glück zu geben. Dies wird Buddhas Barmherzigkeit genannt. Und dies ist die Haltung Buddhas, Um alle Menschen gleich zu lieben. Tagelang blieben ihr die Worte Meister Wonhyos im Herzen. Schließlich wurde sie krank vor Liebe. Als der König von ihrer Krankheit erfuhr, rief er einen berühmten Arzt, aber der konnte keine Ursache ihrer Krankheit finden. Eines Tages sagte die Prinzessin zu ihrem Dienstmädchen: „Ich wünschte, ich könnte Meister Wonhyo noch einmal sehen, nur ein einziges Mal.“ 29 Nach reiflicher Überlegung antwortete das Mädchen: „Nun eure Hoheit! Senden Sie eine Mitteilung, dass Sie sich wünschen, an einem Dharma-Vortrag Meister Wonhyos teilzunehmen und die Sitzung im Palast abzuhalten.“ Die königliche Familie und Aristokraten des Silla-Königreichs waren gläubige Buddhisten und luden oft bekannte buddhistische Lehrer (Dharmameister) in ihre Häuser ein. Wonhyo, der ungeachtet der Klassenzugehörigkeit unterrichtete, nahm die Einladung gern an und fuhr in einer Kutsche zum königlichen Palast. Als er ankam, hielt er den folgenden Vortrag: „Jeder Mensch besitzt die Natur Buddhas. Jeder Mensch, egal ob Mann oder Frau, der seinen Geist erweckt, um die Lehre Buddhas zu studieren und zu üben und dem Pfad folgt, wird ein Bodhisattva.. Um ein Bodhisattva zu werden, müssen Sie sich bemühen, den Fesseln der Täuschung zu entgehen, und mit allen fühlenden Wesen frei teilen, was Sie erlangt haben. Wenn Sie dies fortwährend praktizieren, werden Sie die Buddhaschaft erlangen.“ Als er nach dem Vortrag zum Punhwangsa-Tempel zurückkehren wollte, kam ein Mädchen zu ihm und sprach ihn mit großem Respekt an: „Meister, die Prinzessin möchte Ihnen gerne einen seltenen Tee, der aus dem Ausland kommt, servieren.“ Wonhyo wurde zu der Prinzessin geführt, deren Zimmer nach Tee duftete. Die Prinzessin servierte persönlich und er trank. Schließlich war die Prinzessin nicht in der Lage, ihre Gefühle weiterhin zu unterdrücken und weinte schließlich. „Meister, ich kann meine Gedanken nicht von Ihnen lassen. Seit einiger Zeit bin ich vor Sehnsucht nach Ihrer Gegenwart krank. Wenn Sie mich nicht erretten, werde ich sterben.“ Wonhyo war überrascht und antwortete: “Eure Hoheit, ich verstehe Ihre Worte nicht. Ich bin ein Mönch und die weltliche Liebe ist mir verboten. Ich muss die buddhistischen Gebote befolgen.“ „Aber Meister, verbieten die Gebote nicht, mich sterben zu lassen?“ Wonhyo dachte eine Weile mit geschlossenen Augen nach und entgegnete: 30 „Eure Hoheit, die Brahma-Net-Sutra besagt, dass die vorsätzliche Auslöschung eines Lebens eine große Sünde ist und andere sterben zu lassen, ebenfalls eine große Sünde bedeutet. Falls es Ihr wahrer Wunsch ist, mich zu heiraten, müssen Sie zuerst die Erlaubnis des Königs einholen.“ Wonhyo verließ eilig den Palast. Er betete die nächsten Tage und meditierte, um einen Weg zu finden, das Leben der Prinzessin zu retten. Es kam ihm der Gedanke, dass ein Mönch verpflichtet ist, Vorschriften einzuhalten. Andererseits gibt es aber auch Situationen, die es unmöglich machen, die Regeln strikt zu befolgen. Um dem Wunsch der Prinzessin nachzukommen, ihr Leben zu retten, erkannte er, dass es einen Weg gab, Mitgefühl zu praktizieren und eine verzeihbare Sünde zu begehen. Nach einigen Tagen erschien Wonhyo vor dem Palast des Königs und sang folgendes Lied: Wer wird mir eine Axt leihen, die ihren Griff verloren hat? Ich werde einen Balken, der als Stütze im Himmel dient, umschlagen. Wonhyo sang dieses Lied wie ein Wahnsinniger immer wieder und kehrte dann in der Abenddämmerung zum Punhwangsa Tempel zurück. Er wiederholte dies an vielen Tagen, kam zum Palast, sang und kehrte dann wieder zurück. Sein merkwürdiges Verhalten wurde viel diskutiert, aber niemand ahnte die wahre Bedeutung seines Liedes. Endlich hörte König Muyol davon. Nach der Betrachtung der Worte des Liedes erkannte er ihre Bedeutung. Eine Axt, die den Griff verloren hat, ist wie eine Frau, die ihren Mann verloren hat. Ein Balken des Himmels stellt einen Thronfolger des Königreichs dar. „Meister Wonhyo beabsichtigt, die Prinzessin zu heiraten und einen weisen Sohn zu zeugen.“ Der König lächelte und dachte an seine Tochter Prinzessin Yosok. Er forderte seinen Beamten auf, Wonhyo heimlich zur Residenz der Prinzessin zu führen. Als Wonhyo die Absicht des Königs erkannte, ihn zu finden, warf sich Wonhyo 31 in einen Bach. Die königlichen Beamten trugen ihn samt seiner nassen Kleidung in den Palast. Nach einer kurzen Zeit erschien die Prinzessin in einem wunderschönen Kleid. Sie näherte sich Wonhyo und schenkte ihm ein Glas Wein ein. Nach dem Trinken des Weins füllte er für die Prinzessin ein Glas Wein. Mit dieser einfachen Zeremonie wurde ihre Eheschließung besiegelt. Die dazwischen liegenden Tage vergingen wie in einem Traum. Einen halben Monat später kam Wonhyo im Palast der Prinzessin an. Unfähig, die Gewissensqual länger zu ertragen, fasste er den festen Entschluss, auf seinen ursprünglichen Weg zurückzukehren. „Prinzessin, ich muss Dich heute verlassen. Übe den Pfad des Bodhisattva, wie Du es von mir bei dem Dharmatreffen in diesem Palast bereits gehört hast. Suche in Dir die Buddha-Natur und führe viele tugendhaften Taten aus. So kannst Du das Leid unserer Trennung vergessen und ein Bodhisattva werden. Ich muss meine Aufgabe erfüllen, um den Menschen die Wahrheit des Buddha-Dharmas zu unterrichten und ihnen auf dem Pfad zur Erleuchtung zu helfen.“ Die Augen der Prinzessin füllten sich mit Tränen. „Werde ich Dich jemals wiedersehen?“ „Prinzessin, suche bitte Deinen Buddha-Geist, aber nicht mich. Ich hoffe auf ein Wiedersehen mit Dir in dem Reinen-Land des Glücks.“ Wonhyo verbeugte sich, faltete seine Hände zum Gebet und verließ den Palast. Einige Monate später bemerkte die Prinzessin, dass sie schwanger war. „Ich habe ein Kind vom Meister empfangen. Er hinterlässt mir eine weitere wertvolle karmische Bindung.“ 3. Prinzessin Yosok und Solchong Prinzessin Yosok brachte einen edel aussehenden Jungen zur Welt und nannte ihn Solchong. Später wurde er ein hervorragender Gelehrter. Seine offizielle 32 Stellung in der Regierung war die eines Mitglieds des Hallim-Gremiums, das dem König als Berater und auch als Verfasser königlicher Dekrete diente. Sein berühmtestes Vermächtnis ist der Idu-Zeichensatz, ein Schriftsystem, das Sonderzeichen einführte, um die Phonologie, Syntax und andere linguistische Merkmale zu berücksichtigen, einzigartig für die koreanische Sprache innerhalb der chinesischen Schriftzeichen. Er gilt heute als einer der Zehn-Großen-Weisen des Silla-Königreichs. Obwohl Wonhyo von seiner Frau und seinem Kind getrennt lebte, war es nicht im Sinn von Entsagung, dass er sie verließ. Denn er war kein herzloser und unverantwortlicher Mann, der seine buddhistische Praxis als Ausrede benutzte, um die Pflichten der menschlichen Zuneigung und die weltlichen Aufgaben zu vermeiden. Es ist überliefert, dass er oft im Hyol-Tempel residierte, von dem er später in das Nirwana eintrat. Es wurde gesagt, dass das Haus Solchongs in der Nähe dieses Tempels gewesen sein soll. Es ist wahrscheinlich, dass die drei Mitglieder der Familie Wonhyos untereinander in Kontakt geblieben sind. Als Wonhyo starb, vermischte Solchong die Asche seines Vaters mit der Erde, um eine kleine Figur als Ebenbild seines Vaters zu fertigen. Er bewahrte diese in einem Schrein im Punhwangsa-Tempel auf, den er regelmäßig aufsuchte, um dort seinen Respekt mit großer Ehrfurcht, Liebe und Schmerz auszudrücken. Als er sich eines Tages tief vor der Statue Wonhyos verbeugte, drehte die Statue ihren Kopf zu ihm. Dies soll der Grund dafür sein, dass die Statue ihren Kopf noch heute seitlich gedreht hält. Bis zur Erschaffung des koreanischen Alphabets Hangul durch Sejong während des 15. Jahrhunderts benutzten Koreaner Hanja als Schriftsprache, die der chinesischen Schrift entspricht. Solchong versuchte die nationale Identität Koreas zu bewahren, indem er die Elemente der einheimischen Sprache Koreas dokumentierte und sie selbst anwendete. Bei einer Diskussion der drei berühmten Literaten des Silla-Königreichs (Kang Su, Choi Chiwon und Solchong) bezieht sich die Memorabilia of the Three Kingdoms auf Solchong als jemanden, der „vier Bücher und fünf Klassiker las und die nachfolgende 33 Generation in unserer Muttersprache ausbildete“. Der Geist Solchongs lebte nach seinem Tod weiter und erreichte seine volle Verwirklichung in dem koreanischen Alphabet Hangul von König Sejong dem Großen. Das einzig verbliebene Beispiel von literarischen Werken Solchongs ist ein Bericht über ein Gespräch zwischen ihm und König Sinmun. Der Titel lautet Hwawanggye (Eine belehrende Erzählung für den Blumen-König). Vor langer Zeit, als der Blumen-König zuerst ankam, ließ er sich auf einem Hügel nieder und erblühte als Strauch von schönen Pfingstrosen im Frühling. Weil sein Aussehen so außergewöhnlich war, kamen Blumen von nah und fern, um ihm Respekt zu zollen. Eine von ihnen war eine Rose und sagte: „Mein Herr, ich schreite über den Sand, der so weiß ist wie der Schnee, und ich sehe über das Meer hinaus, das so klar ist wie ein Spiegel. Ich bade in dem Frühlingsregen und erfrische mich mit erfrischendem Wind. Ich lebe nach meinem Vergnügen, und mein Name ist Rose. Ich habe von den Tugenden Ihrer Majestät gehört und wünsche mir, Ihre Couch in einem duftenden Zelt mit Ihnen zu teilen. Bitte akzeptieren Sie mich mein Herr!“ Als Nächstes erschien ein grauhaariger alter Mann. Seine Kleider waren aus Hanf, die dicht um seine Taille gewunden waren. Es war ihm kaum möglich, sich auf seinen Wanderstock zu stützen. „Mein Herr, mein Name ist Küchenschelle. Ich lebe auf der Bergstraße mit fernen Feldern darunter und Bergen mit hohen Gipfeln darüber. Eure Majestät, obwohl Sie alles besitzen, was Sie verlangen, biete ich Ihnen diesen Dienst an. Ich biete Ihnen an, dass Sie mit gutem Essen reichlich versorgt sind, dass Ihr Geist mit feinem Tee und Wein gereinigt wird und Sie mit wirksamen Medikamenten versorgt werden, sodass Ihr Köper von Energie erfüllt ist und jeder unheilvolle Einfluss entfernt wird. Selbst wenn man Fäden aus Seide und Leinen hat, so sagt man, sollte man das trockene Gras und Schilf nicht wegwerfen, denn es gibt Zeiten, in denen Seide und Leinen ausgehen werden. Wird man dies tun, Eure Majestät? Der 34 Blumen-König überlegte. „Ich sehe zwei Blumen. Die eine muss ich akzeptieren und die andere wegwerfen. Die Worte der Küchenschelle sind voller Wahrheit, aber die Schönheit der Rosen ist in der Tat außergewöhnlich. Es ist eine schwere Entscheidung.“ Nach der Anhörung der Worte des Königs entgegnete die Küchenschelle: „Ich glaube nicht mehr, Eure Hoheit, weise und mit den Gepflogenheiten der Welt vertraut zu sein. Wenn sich ein König üblicherweise nicht mit denen, die ihm schmeicheln oder ihn betrügen, verbündet, wird er ein tugendhaftes und aufrechtes Leben führen.“ Die Pfingstrose, der König der Blumen, erwiderte daraufhin: „Ich habe mich sehr geirrt.“ Diese Geschichte ist offenbar eine Satire über den damaligen Monarchen des Silla-Königreichs, König Sinmun. Man findet sie im Abschnitt „Biografien von Solchong“ in dem Buch Samguk-Yusa (Memorabilien der Drei-Reiche). Solchong wurde weiterhin nach seinem Tod verehrt und erhielt posthum den Titel Hongyuhu (Großer konfuzianischer Gelehrter), der von König Hyongjong der Koryo-Dynastie 1022 verliehen wurde. Zusammen mit Choi Chiwon wurde er in dem konfuzianischen Schrein als einer der Zwei Weisen des Silla-Königreichs geehrt. Seitdem wird zu seinem Gedenken eine nationale Feierstunde in der Great Western Mountain School of Confucianism in Kyongju abgehalten. 4. Der Laie Sosong Nachdem Wonhyo das Gelübde des Zölibats gebrochen hatte und Vater von Solchong geworden war, erkannte Wonhyo seinen neuen Status als Laie an und nannte sich „Laien Sosong“ oder „Laien Poksong“. Ein Laie im Buddhismus ist jemand, der an den Buddhismus glaubt, aber nicht wie ein Mönch in einem Tempel praktiziert. Die beiden Worte „Sosong“ und „Poksong“ bezeichnen eine bescheidene Person, die niedriger gestellt ist als jede andere. Den Laien Sosong konnte man in den Straßen des Silla-Königreichs antreffen. Wonhyo besuchte 35 Kneipen, trank zusammen mit Männern oder mischte sich unter spielende Kinder. Im Rahmen unterhaltsamer Geschichte vermittelte er ihnen erzählerisch die Lehre Buddhas. Kinder rannten zu ihm und wollten wissen, wer Buddha sei. Die Ausgestoßenen, die in den Bergen lebten, verließen Wonhyo im Glauben, etwas von der Lehre Buddhas verstanden zu haben. Bei dieser Arbeit fand Wonhyo große Freude. Eines Tages begegnete Wonhyo auf der Straße einem Akrobatenpaar, das am Straßenrand auftrat. Einer von ihnen balancierte auf einem Seil, während der andere unter ihm eine Maske trug, kleine Kürbisse in der Hand hielt und zum Rhythmus der Musik tanzte. Die Menge versammelte sich im Kreis, um die Vorstellung zu sehen. In ihrer Begeisterung begannen die Zuschauer mitzumachen, zu tanzen und zu klatschen. Bei diesem Anblick kam Wonhyo eine Idee. Er hatte vor, die Lehre Buddhas in ein Lied umzusetzen und es jedermann beizubringen. Mit der Losung „Wenn einer völlig frei von allen weltlichen Dingen ist, ist er vom Kreislauf von Tod und Geburt befreit“, komponierte er ein Lied mit dem Titel „Muae“ (Ohne-Hindernis), und brachte es vielen Menschen bei. Schließlich folgten ihm die Kinder scharenweise und sangen mit ihm das MuaeLied. Der Text, auf dem das Lied basierte, stammt aus dem Blumen-Ornament-Sutra (Hwaeom-Sutra). Meister Wonhyo bearbeitete die ursprünglichen Formulierungen so, damit diese leicht verstanden werden konnten. Besitzt eine Person das Potenzial eines kultivierten Geistes, wird jede Aufgabe mit Weisheit und Gelassenheit erfüllt, weil er oder sie keine diskriminierenden Gedanken mehr hat. Wenn der Geist auf diese Weise nachhaltig davon frei geworden ist, wird er vom unendlichen Kreislauf der Wiedergeburt erlöst. Ungehindert zu sein bedeutet mit anderen Worten, dass man keinerlei Groll, keine schlechten Gefühle oder keine anderen Hindernisse hat. Außerdem sollte man keine Hindernisse im Geiste haben. Aus diesen Gründen sollte man alles und jeden weise und fair behandeln. Bei einem Geist, der wirklich frei und befreit ist, bleiben keine Gefühle des Bedauerns oder der Schuld zurück. Mit dem Muae-Lied auf den Lippen reiste Meiser 36 Wonhyo von Dorf zu Dorf. Da er alle Landesteile bereiste, blieb er niemals lange an einem Ort. Alle fühlenden Wesen, höret! Hört die erhabenen Worte Buddhas! Gutes und Schlechtes hängen ab vom Geist, Reines und Unreines hängen ab vom Geist. Wenn die Seele barmherzig und gütig ist, Wie der Geist des erhabenen Buddhas, Treten alle in das Land des Glücks! Indem die Lehren Buddhas für jedermann zugänglich gemacht wurden, wurde das Lied in allen Dörfern, die Meister Wonhyo besuchte, bekannt. Darüber hinaus versammelten sich die Menschen, um Tempel und Pagoden zu errichten. All dies trug dazu bei, ein Gefühl von Harmonie und Kooperation unter den Bürgern Sillas zu fördern. 37 VI. Anekdoten aus dem Leben Wonhyos Zahlreiche Geschichten und Anekdoten existieren über das Leben Meister Wonhyos. Diese enthalten oft Elemente, die wunderlich und fiktiv erscheinen. Für diejenigen, die mit der ostasiatischen Tradition nicht vertraut sind, ist es wichtig zu wissen, dass diese Elemente vorhanden sind, um als Botschaft der Geschichte zu dienen und nicht der Botschaft selbst. 1. Oeosa Tempel („Mein Fisch“ Tempel) „Oeosa“, das wörtlich mit „Mein Fisch“ übersetzt wird, ist ein ungewöhnlicher Name für einen Tempel. Hier haben Chajang, Wonhyo, Hyegong und Uisang, bekannt als die ‘Vier Heiligen des Silla-Königreichs’, gewohnt und gemeinsam praktiziert. Insbesondere ist dies der Ort der oft wiederholten Geschichten, in die Wonhyo und Hyegong einbezogen waren. Der Tempel wurde von Meister Chajang unter König Chinpyong (regierte 579632) gegründet. Ursprünglich hieß er Hangsasa. Vor dem zweiten Versuch Wonhyos nach Tang-China zu reisen, baute er einen kleinen Tempel im Tal des Unje-Berges, wo er Tag und Nacht praktizierte. Hyegong lebte im HangsasaTempel, wo er 70 Schüler unterrichtete. Eines Tages rezitierten die zwei Männer im Tal des Unje-Berges den Namen Buddhas. Dabei saßen die beiden im Lotussitz auf einem Felsen. Plötzlich wandte sich Hyegong zu Wonhyo. 38 „Wenn Du eine Bestätigung für die Erleuchtung in China erhältst, musst Du übernatürliche Kräfte zeigen. Nur dann wirst Du Dir selber beweisen, imstande zu sein, die Abstammung des großen Buddha-Dharma fortzusetzen. Lass uns sehen, ob Du solche Dharma-Macht besitzt. Das Tal war so sauber und unberührt wie ein polierter Spiegel. Fische waren reichlich im Bach unten vorhanden. Sie vereinbarten, dass jeder einen Fisch fangen und diesen lebend unzerkaut schlucken sollte. Dann sollten sie auf einem Felsen stehend ihre Därme entleeren. Sollte der Fisch lebend herauskommen, wäre dies ein Zeichen dafür, dass der Meister seine Dharmakraft bewiesen hätte. Sie krempelten die Ärmel hoch und machten sich auf den Weg zum Bach. Es gelang beiden, einen Fisch zu fangen. Nachdem jeder einen Fisch geschluckt hatte, wurde nur einer der Fische wieder lebend ausgeschieden. Dieser sprang zurück ins Wasser und begann energisch stromaufwärts von den beiden Herren wegzuschwimmen. Jeder von ihnen behauptete, dass der Fisch der eigener gewesen sei. Gemäß Iryon (1206-1289), ein Mönch, der das berühmte SamgukYusa (Memorabilia of the Three Kingdoms) verfasste, bekam der Tempel den Namen „Oeosa“ oder „Mein Fisch“. 2. Meister Tae-an und die jungen Waschbären Wonhyo hatte keinen üblichen Lehrer, sondern studierte bei vielen Meistern. Einer seiner Lehrer war Meister Tae-an. Eines Tages fand Tae-an einige junge Waschbären, die ihre Mutter verloren hatten. Um sie zu retten, ging der Meister in die Stadt, dort von Frauen etwas Milch zu erbitten. Die Frauen, die von dem wertvollen Dharma-Vortrag tief bewegt waren, spendeten fröhlich etwas Milch. Meister Tae-an trug die Milch in einer Schüssel und kletterte über einen steilen Hügel, bis er schließlich die Höhle erreichte, in der die jungen Waschbären gierig auf ihr Futter warteten. Er hatte Mitleid mit den Kleinen, fütterte sie und zog sie viele Tage voll Mitgefühl auf. 39 Als die Jungen bereits so groß waren, um sehen zu können, kam Meister Wonhyo zu Besuch. Meister Tae-an bat Wonhyo die jungen Waschbären für einige Tage zu pflegen, weil er anderswo einige dringende Angelegenheiten zu erledigen hatte. Meister Wonhyo zog die kleinen Waschbären mit großer Sorgfalt auf, trotzdem starben zwei von ihnen. Wonhyo, der für sich in Anspruch nahm, führender buddhistischer Meister Sillas zu sein, konnte nicht ertragen, Meister Tae-an gegenüberzustehen. Meister Wonhyo dachte bei sich: „Meister Tae-an zog die Jungen 15 Tage lang auf, denn sie waren nur kleine Lebewesen aus Fleisch und Blut. Aber wegen meiner eigenen schweren karmischen Hindernisse und wegen Mangel an Weisheit verursachte ich ihren Tod.“ Er bereute dies zutiefst und nutzte die Gelegenheit, seine Hingabe wieder zu erwecken. Als Meister Tae-an zurückkehrte, tröstete er Wonhyo. „Es gab keine Möglichkeit, diese Tiere, deren karmische Bindungen endeten, am Leben zu erhalten.“ In diesem Augenblick krächzte eine Krähe laut vor Wonhyo, der nicht in der Lage war etwas zu erwidern. Dann sprach Meister Tae-an: „Lass uns den Magen der Krähe mit den toten Waschbären füllen, damit diese noch eine gute Tat vollbringen.“ Er warf die toten jungen Waschbären in die Luft. Die Krähe, die über ihnen kreiste, spürte ihr Glück und schnappte die toten Körper schnell wie ein Blitz. 3. Rettung von tausend Mönchen vor dem Tod Einmal hielt sich Meister Wonhyo im Taegosa-Tempel auf. Als er gerade mit seinem Abendessen begann, sah er mit seinem Weisheitsauge, dass ein großer alter Tempel in China kurz vor dem Zusammenbruch stand. Währenddessen waren bei dem Tempel in China tausend ansässige Novizen4 4 Ein Novize ist ein Anfänger, die sich auf das Studium der Sutren konzentriert, bevor er die Praxis der Meditation fortsetzt. 40 dabei, ihr Abendessen zu sich zu nehmen, ohne zu wissen, dass sie sich in Gefahr befanden, zu Tode gequetscht zu werden. In diesem Augenblick entfernte Wonhyo plötzlich die Teller von seinem Esstisch und schleuderte den Tisch in Richtung des Tempels in China. Das Abendessen der Mönche in China wurde unterbrochen, als ein seltsames Objekt am Himmel erschien und über dem Tempelhof zu kreisen begann. Der Mönch aus der Küche sah es zuerst und warnte seine Mitpraktizierenden. Die Mönche, erstaunt über den bemerkenswerten Anblick, hörten auf zu essen, und eilten auf den Hof. Das seltsame Objekt bewegte sich langsam in Richtung des Waldes außerhalb des Tempels, als ob es die Mönche nach vorne winkte. Als alle tausend Mönche das Grundstück des Tempels verlassen hatten, brach plötzlich der Tempel hinter ihnen zusammen. Die Mönche wandten sich um und sahen ungläubig auf den Platz, wo sich kürzlich aufgehalten hatten, in Ruinen. Dies alles geschah in wenigen Augenblicken. Das seltsame Objekt fiel vom Himmel in ein Feld. Die Mönche drängten sich um es herum. Bei dem Objekt handelt es sich um einen Holztisch, auf dem geschrieben stand: „Diese Tafel Wonhyos aus dem Osten ist die Tafel, die seine Mitbrüder in China rettete.“ Schließlich erkannten sie, was geschehen war. Sie falteten ihre Hände und verneigten sich ehrfürchtig in Richtung des SillaKönigreichs im Osten. Während sie sich weiter bedankten und ihre Achtung zum Ausdruck brachten, stieg die Tafel wieder in den Himmel auf und begann sich langsam nach Osten zu bewegen. Die Mönche folgten ihr. Sie bestiegen ein Schiff und überquerten das Gelbe Meer, um Meister Wonhyo im SillaKönigreich aufzusuchen. Wonhyo verweilte im Chokpanam-Kloster, das ein Teil des ChangansaTempels war. Er war erstaunt über die tausend Mönche, die plötzlich eine Audienz bei ihm wünschten. Da das Kloster zu klein war, tausend Menschen unterzubringen, arrangierte er für sie eine vorübergehende Unterkunft in Changansa. Ferner suchte er einen geeigneten Ort, in dem die tausend Mönche dauerhaft bleiben könnten. Schließlich baute er einen großen Tempel auf dem 41 Gelände des heutigen Wunhungsa-Tempels, der groß genug war, alle Mönche aufzunehmen. Oberhalb des Tempels gab es einen Bereich, wo er die Mönche unterrichtete und sie nach der Lehre des Blumen-Ornament-Sutra schulte. Aus diesem Grund nannte man diesen Berg Chonsong-Berg (Berg-der-tausendHeiligen). Der Landstrich wird Hwaom (Blumen-Ornament-Ebene) genannt. Obwohl diese Geschichte außergewöhnlich ist, können wir zumindest daraus folgern, dass eine beträchtliche Zahl von chinesischen Mönchen bei Meister Wonhyo ausgebildet wurde und die Grundlage seiner Lehre das BlumenOrnament-Sutra war. Es ist eine Tatsache, dass der chinesische Dharma-Meister Fazang, ein Befürworter der Blumen-Ornament-Schule, häufige Verweise auf Meister Wonhyo in seinen Schriften machte. Ebenso spricht der Schriftsteller von Zhengdage (Songs Enlightning Truth), Meister Yongming Yanshou, von der Bedeutung der philosophischen Schriften Wonhyos. Zu dieser Zeit wurde der Buddhismus ein universelles System von Werten in Ostasien. Die Aufgaben der Spiritualität wurden als wichtiger betrachtet als jene der Nationalität. In dieser Geschichte sehen wir, wie sich der Einfluss Wonhyos über die Grenzen des SillaKönigreichs erweiterte und weitgehend in ganz China zu spüren war. 4. Blumenornament-Gebiet In der südlichen Kyongsang-Provinz gibt es in der Nähe des NeawonsaTempels ein Gebiet namens Blumenornament, wo die Ereignisse dieser Geschichte stattgefunden haben sollen. Die tausend Mönche des Meisters Wonhyo, die dort wohnten, waren es gewöhnt, Essen und Almosen von denen zu erbetteln, die in der Nähe des Tempels wohnten. Da die Mönche so zahlreich waren, wurde es Wonhyo bald klar, dass sie zu einer Belastung für die Dörfer in der Umgebung würden. Dies beunruhigte ihn sehr. Er überlegte, wie dieses Problem gelöst werden könnte. 42 Einmal sagte Wonhyo zu den Mönchen: „Ab heute sollte kein Praktizierender mehr um Almosen betteln. Sucht nicht Mahlzeiten von anderen zu bekommen.“ Alle wunderten sich darüber, was ihrer Meister damit meinen könnte. Die Mönche bekamen Angst, dass sie vor Hunger sterben würden. Meister Wonhyo rief einen der Mönche zu sich und sagte im Vertrauen zu ihm: „Tun Sie genau, was ich Ihnen sage. Wenn Sie ins Dorf gehen, werden Sie eine sehr reiche Familie finden. Nehmen Sie einen leeren Sack mit und bitten den Eigentürmer, den Sack mit Reis zu füllen. Kommen Sie erst zurück, wenn der Sack voll ist. Achten Sie darauf, dass es richtig gemacht wird.“ Den Anweisungen seines Meisters folgend ging der Mönch mit einem leeren Sack zu der Familie. Er schlug an seinen hölzernen Gong und rezitierte den Namen Buddhas. Der Hausbesitzer, der ihn hörte, ging zurück, um ein Gefäß mit Reis zu holen. Er schüttete den Inhalt in den Sack, den der Mönch bereithielt, und dieser Sack wurde tatsächlich voll. Der Mönch begann, den oberen Teil des Sacks zu schnüren. Der Eigentürmer ging in der Annahme zurück, dass der Mönch weggehen würde. Der Mönch bemerkte aber, dass der Sack irgendwie leer blieb und kein einziges Reiskorn übrig war. Verwundert erinnerte er sich an die Anweisungen seines Meisters, nicht eher zurückzukehren, bis der Sack voll ist. Er schlug noch einmal den Gong und rezitierte erneut den Namen Buddhas. Der Eigentürmer fand dies sehr merkwürdig. „Ich habe Ihnen einen vollen Sack gegeben“, sagte er. „Wie wollen Sie ihn tragen, wenn ich ihnen mehr gebe? Es wird Ihnen zu schwer sein.“ Aber als der Eigentümer den Sack anblickte, sah er, dass dieser leer war. Der Reis, den er kurz zuvor eingefüllt hatte, war nicht mehr da. Er murmelte vor sich hin, dass dies sogar böse Geister bestaunen würden. Er ging noch einen weiteren Sack Reis holen. Nachdem er den Reissack des Mönchs aufgefüllt hatte, ging er wieder zurück. Der Sack wurde aber wieder leer. Als jedoch der Sack zum dritten Mal gefüllt wurde, passierte das Gleiche. 43 Schließlich erkannte der Besitzer die Wahrheit. „Ich habe gehört“, dachte er bei sich, „dass der erleuchtete Meister Wonhyo sich auf dem Berg aufhält. Er muss derjenige sein, der den Reis so verschwinden lässt wie hier geschehen. Wenn ich dies nicht bemerkt hätte, wer weiß dann, ob all das Getreide, das ich gelagert habe, plötzlich um Mitternacht verschwinden könnte und in der Lagerhalle im Tempel wieder auftaucht! Ich würde nicht nur meinen Reis verlieren, sondern auch zum Bettler werden. Außerdem könnte ich mich nicht einmal als Wohltäter erweisen, mein Vermögen zu verschenken. Da dies so ist, werde ich einfach meinen Reis dem Tempel schenken und dabei eine gute Tat vollbringen. Dann wandte er sich an den Mönch: „Ehrwürdiger Mönch, ich verstehe den Wunsch Ihres Meisters. Bitte gehen Sie in den Tempel zurück.“ „Ich kann nicht zurückgehen, mein Herr. Mein Meister sagte mir, nicht zurückzukommen, ehe der Sack voll ist.“ „Sehr wohl, ich werde den Sack nochmals füllen. Wenn Sie mir versprechen, Ihrem Meister zu sagen, dass ich morgen hundert Säcke Reis in den Tempel bringen werde.“ Mit diesen Worten füllte er eine weitere Menge Reis in den Sack, und diesmal blieb er voll. Als der Mönch dann in den Tempel zurückkam, berichtete er seinem Meister, was geschehen war. „Meister, ich habe heute ein sehr seltsames Erlebnis gehabt.“ „Was war denn los?“ Der Mönch erzählte dann seinem Meister, wie der Reis dreimal verschwunden war und dass der Sack beim vierten Mal gefüllt war. Er fuhr fort, „Ich konnte es nicht verstehen, noch kann ich voll und ganz daran glauben. Der reiche Mann sagte, er wüsste, dass es die Dharmakraft Meister Wonhyos sei und versprach, hundert Säcke Reis als Opfergabe morgen zu bringen.“ Wonhyo lachte und sagte: „Ich vermutete, er könnte so handeln.“ Am nächsten Tag, als der reiche Mann mit dem Reis in den Tempel kam, war der Weg zum Tempel von anderen Leuten, beladen mit Opfergaben, bevölkert. Als sich das Gerücht vom Vortag verbreitet hatte, dachten sich die andren reichen 44 Leute in der Nachbarschaft: „Wenn ich hier sitze und nichts tue, werde ich nicht dem Einfluss des Meisters entgehen. Ich sollte meine Opfergabe so schnell wie möglich darbringen.“ So beeilte sich jeder Lebensmittel als Opfergaben abzugeben. Am Ende war das Lagerhaus des Tempels randvoll gefüllt, obwohl keiner der Mönche zum Betteln von Almosen weggegangen war. Gemäß dieser Geschichte haben die tausend Mönche von Meister Wonhyo nie wieder an Nahrungsmangel gelitten. 5. Kwangdok und Omjang Während der Regierung vom König Munmu gab es zwei Männer mit den Namen Kwangdok und Omjang. Kwangdok lebte mit seiner Frau in einem Dorf westlich des Punhwangsa-Tempels und verdiente seinen Lebensunterhalt, indem er Strohschuhe webte. Omjang wohnte in einer Einsiedelei (Eremitage) bei Namak und lebte von Brandrodung. Beide waren sehr fleißig beim Rezitieren des Namens vom Amitabha-Buddha. Sie trafen eine Vereinbarung, dass derjenige von ihnen, der zuerst in das westliche Paradies, dem Reinen-Land, eintreten würde, dem anderen eine Nachricht zukommen lassen soll. Eines Tages, als die Sonne unterging und die Schatten immer länger wurden, hörte Omjang draußen vor seinem Fenster ein Geräusch. Er erkannte die Stimme seines Freundes Kwangdok: „Ich gehe in das Reine-Land. Mein Bruder, sei getreu zu Buddha, bleibe hier, solange es sein muss, folge mir aber so schnell, wie du kannst.“ Als Omjang die Tür öffnete und hinausging, hörte er schöne Musik, die von den Wolken widerhallte. Am nächsten Tag, als er das Haus seines Freundes besuchte, erfuhr er tatsächlich, dass sein Freund verstorben war. Mit der Ehefrau des verstorbenen Freundes suchte er einen geeigneten Ort, um ihn zu beerdigen. Nachdem die Trauerfeier beendet war, sagte er zu ihr: „Da Dein Mann gestorben ist, lasse mich dein Haus hüten. Die Frau Kwangdoks stimmte zu und von da an lebten 45 beide im gleichen Haus.“ Eines Nachts kam Omjang zu der Frau Kwangdoks und versuchte sie zu umarmen. Erschrocken sagte sie zu ihm: „Dharma-Meister, Ihre Suche nach dem Reinen-Land ist wie ein Mann auf einem Baum, der nach einem Fisch sucht.“ Verblüfft über ihre Worte fragte er sie: „Dein Mann Kwangdok lebte mit Dir und ist in das Reine-Land eingetreten. Warum sollte ich ihm nicht folgen?“ Kwangdoks Frau erwiderte: „Es ist so, wie ich es gesagt habe. Deine Suche nach dem Westlichen-Reinen-Land ist wie ein Mann, der auf dem Ast eines Baumes nach einem Fisch sucht. Mein Mann lebte mit mir mehr als zehn Jahren zusammen, aber er teilte niemals mein Bett mit mir oder umarmte mich mit unreiner Absicht. Jede Nacht saß er auf dem Boden und betete, indem er den Namen des Amita-Buddhas rezitierte. Man sagt, dass bei einem Mann, der tausend Meilen geht, bereits der erste Schritt auf sein Ziel zeigt. Da ich sehe, wie Du praktizierst, glaube ich, dass Du nach Osten reisen kannst, aber nicht nach Westen.“ Sehr beschämt entfernte sich Omjang. Er trat vor Meister Wonhyo und bat ihn inständig, ihm den richtigen Weg, den er einschlagen soll, zu zeigen. Voller Mitgefühle hielt der Meister ihm eine Dharmarede über die Kultivierung des Geistes. Von diesem Zeitpunkt an hielt Omjang seinen Körper rein, bereute zutiefst seine Sünde und widmete sich ausschließlich, Dharma zu praktizieren. Im Lauf der Zeit trat er auch in das Westliche-Reine-Land. Dort entdeckte er, dass die Frau Kwangdoks zu Lebzeiten eine Dienerin im Punhwangsa-Tempel war. In der Tat war sie eine der Inkarnationen des Bodhisattva-Kuanum. Betrachten wir die Menschen in dieser Geschichte. Kwangdok, der Strohschuhe webte, Omjang, ein Bauer, der von Brandrodung lebte und Kwangdoks Frau, eine Dienerin im Punhwangsa-Tempel. So können wir sehen, dass die Fähigkeit Wonhyos das Wissen des Buddhismus zu verbreiten, sowohl bei den einfachen Leuten als auch bei den höheren Gesellschaftsschichten gelungen ist. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Praxis des Buddhismus nicht den Mönchen allein vorbehalten ist. Laien aller Art praktizieren die 46 buddhistische Lehre im täglichen Leben. Der Grund für die große Popularität des Reinen-Land-Konzepts scheint in seiner Einfachheit und in seiner grundlegenden Attraktivität zu liegen. Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin, dass jeder gleich mit der Buddha-Natur ausgestattet ist, unabhängig von Gesellschaftsschicht, Position oder Wohlstand. Auch wenn jemand die komplexen buddhistischen Schriften nicht versteht, oder sich wahrhaftig einer von mehreren Methoden der Praxis entsprechend seinem jeweiligen Niveau widmet, kann jeder darin seine Buddha-Natur entdecken. 6. Wonhyo lehnt eine Opfergabe vom Himmel ab Einmal besuchte Wonhyo Meister Uisang auf dessen Einladung im NaksansaTempel. Als längst die Zeit zum Mittagsessen vorüber war, gab es noch keine Anzeichen für das Essen. Darauf fragte Wonhyo Uisang nach dem Grund dafür, und Uisang erklärte ihm, dass es im Kloster keine Wasserquelle gibt. Da sie keinen Reis kochen konnten, waren sie deshalb auf ein Essensangebot angewiesen, das ihnen von einem göttlichen Wesen vom Himmel gebracht wurde. Die Stunden vergingen und sogar um vier Uhr nachmittags kam das himmlische Essensangebot noch nicht an. Wonhyo erhob sich von der Stelle, wo er gesessen hatte und sagte dabei: „Es ist nicht richtig, dass fühlende Wesen in der Welt himmlische Malzeiten empfangen sollten. Dies gilt auch für höchst Erleuchtete.“ Er nahm einen Stock und trieb ihn in einen Felsen hinter dem Kloster hinein, um eine neue Quelle zu schaffen. Als Wonhyo die Tempelanlage verlassen hatte, erschien das himmlische Wesen mit dem üblichen Essensangebot. Uisang fragte, warum das Essen erst so spät angekommen ist. Das himmlische Wesen erklärte, dass während der Anwesenheit von Meister Wonhyo die Wächter-Devas des Blumen-OrnamentOrdens die Anlage des Tempels bewachten und er es nicht gewagt hat einzutreten. 47 Als Meister Wonhyo den Tempel verließ, entfernten sich auch die WächterDevas, und es war dann möglich, sich dem Tempel zu nähern. Diese Geschichte zeigt, dass Uisang ein großer erleuchteter Meister war, der von himmlischen Wesen Nahrungsmittel erhielt. Gleichzeitig zeigt die Geschichte, dass Wonhyos Erleuchtung größer als die von Meister Uisang war und ebenso, dass Wonhyo der maßgebliche Vertreter des Blumen-OrnamentSutra war. Wonhyos Aussage, dass es nicht richtig ist, dass Lebewesen in der Welt Opfergaben von himmlischen Malzeiten annehmen. Dies zeigt seine äußerste Demut, mit der er sein Leben und Studium erfüllte. 7. Meisterwerk Meister Wonhyos: Exposition des Vajrasamadhi Sutra Die Königin des Silla-Königreichs erkrankte einst an einem Gehirntumor. Weder berühmte Ärzte noch renommierte Schamanen konnten sie heilen. Ein Weiser am königlichen Hof erklärte, dass ihre Krankheit nur mit Medizin aus dem Ausland geheilt werden kann. Der König schickte einen von seinen vertrauten Höflingen nach China, um dort die Medizin zu finden. Der Höfling bestieg ein Schiff und machte sich auf den Weg nach Tang-China. Während er auf See war, erschien ihm ein alter Mann und sprach folgende Worte: „Um die Krankheit der Königin zu heilen, müssen Sie mit mir in den Drachen-Palast kommen. Dort müssen Sie mit dem Drachen-König sprechen. Nur so erhalten Sie dann das Heilmittel.“ Der alte Mann führte den Höfling in die Tiefen der See. Es dauerte nicht lang, und er stand vor dem Thron des Drachenkönigs. Der Drachenkönig fragte den Höfling, woher er gekommen sei. „Eure Hoheit, ich wurde vom Silla-Königreich geschickt. Bevor ich hier hergebracht wurde, war ich auf dem Weg nach Tang-China, um die Medizin für die Krankheit unserer Königin zu finden.“ „Sie waren gut beraten, hierher zu kommen“, antwortete der Drachenkönig: 48 „Ihre Königin wird sich bald erholen.“ „Welche Medizin kann sie heilen?“ „Nicht die Medizin, sondern ein weiteres Mittel wird Ihre Königin retten. Ihre karmische Bindung mit Buddha ist sehr stark, und ihre Krankheit wird nur geheilt werden können, indem sie das Buddha-Werk umsetzt. „Was ist das Buddha-Werk, Eure Hoheit?“ „In diesem Palast gibt es ein Sutra, genannt Adamantine Schrift, die noch nicht der Welt vorgestellt worden ist. Nehmen Sie dieses Sutra und sorgen Sie dafür, dass es überall in der Welt bekannt wird. Wenn dies geschehen ist, wird die Königin voll genesen. Behüte es und beeile dich!“ Der Drachenkönig gab ihm dann ein Bündel von Blättern, auf denen das Sutra geschrieben war. Um deren Sicherheit zu gewähren, öffnete er das Bein des Mannes und stellte das Sutra hinein. Er schloss die Wunde und gab dem Höfling einen Topf mit Salbe. „Wenn Sie zu Ihrem Land zurückkehren, entfernen Sie das Sutra und wenden Sie diese Salbe für Ihre Wunde an. Ihr Bein wird dann geheilt werden.“ Der Drachenkönig fuhr fort: „Stellen Sie sicher, dass Meister Tae-an derjenige ist, der die Blätter in Ordnung bringt und sie bindet. Seht zu, dass Meister Wonhyo einen Kommentar verfasst und einen Dharma-Vortrag über die neue Schrift liefert. Wenn Sie dies tun, wird die Königin sicherlich geheilt werden.“ Der Drachenkönig brachte ihn zur Oberfläche und schickte ihn auf seinen Weg. Als der Höfling zurückkehrte, war der König Sillas überglücklich und gab sofort einen Befehl, dass der heilige Mann Tae-an in den Palast gebracht werden sollte. Allerdings hatte niemand von Tae-an gehört, und es herrschte am königlichen Hof große Besorgnis. Eines Tages erschien im Königreich ein seltsamer Mönch mit ausgefallenen Gewändern. Während er an seine Almosenschüssel aus Kupfer klopfte, wanderte er von Ort zu Ort und rief „Tae-an, Tae-an!“ In der Annahme, dass dieser Mönch vielleicht der Heilige sei, der das Sutra binden sollte, ging der Höfling, der diese Mitteilung vom Drachen-König mitgebracht hatte, zu dem Mönch und bat ihn, 49 mit ihm zu sprechen. Der Höfling erzählte ihm die Geschichte von seinem Besuch des DrachenPalastes. Der Mönch stimmte zu, ihn zum königlichen Palast zu begleiten. Endlich war Meister Tae-an gefunden. Außerhalb des Palastes sagte der Mönch zu dem Höfling: „Es gibt keine Notwendigkeit für mich den weltlichen Palast zu betreten. Bringen Sie mir das Sutra.“ Als die lose Blattsammlung gebracht wurde, teilte Tae-an sie schnell in sechs Kapitel ein. Schließlich konnte die Bedeutung des Textes verstanden werden. Als er jedoch das Sutra dem Höfling übergab, sagte er: „Nur Meister Wonhyo besitzt die Weisheit, einen Kommentar zu dem Sutra zu verfassen. Sie müssen ihn suchen.“ Daraufhin ging der Mönch seinen Weg, indem er sein gewohntes Lied sang. Inzwischen studierte Meister Wonhyo in Sangju, seinem Geburtsort. Ein Bote wurde entsandt, ihm das Sutra zu übermitteln. Wonhyo war bewusst, dass der Bote kommen würde, und ritt ihm auf einem Ochsen entgegen, um ihn zu treffen. Der Bote reichte ihm respektvoll das Sutra. Wonhyo warf einen kurzen Blick auf die Seiten. Er platzierte dann einen Tuschereibstein zwischen den Hörnern des Stiers, nahm einen Pinsel und begann, seinen Kommentar auf der Stelle zu verfassen. Noch ehe der Ochs die Hauptstadt Kyongju erreichte, hatte er einen fünfbändigen Kommentar fertiggestellt. Dieser Kommentar ist auch als „Horn Vehicle“ bekannt, da dieser geschrieben wurde, während Wonyo auf dem Ochsen ritt. Es ist ein Sutra des Großen-Fahrzeugs (Mahayana-Buddhismus). Kurz danach befahl der König Meister Wonhyo einen Dharma-Vortrag, basierend auf dem neuen Sutra, im Hwangyongsa-Tempel, abzuhalten. In der Nacht zuvor stahl eine Gruppe von Verschwörern den Kommentar (Auslegung) des Sutra, den er bearbeitet hatte. Aufgrund dieses Vorfalls informierte Wonhyo den König und bat den Dharma-Vortrag um drei Tage zu verschieben. Er schrieb dann einen neuen Kommentar in drei Bänden, welche in späteren Jahren eher als die Schriftstücke eines Bodhisattvas, als die eines großen Meisters betrachten wurden. Sie wurden als sogenannte Abhandlung bezeichnet. Die Schriften 50 wurden von Wonhyo auf dem Höhepunkt seiner geistigen Kräfte bearbeitet. Sie enthalten mehrere universelle Themen aus den Werken Wonhyos. Diese Themen umfassen die Rolle der meditativen Versenkung (Sindhi in Sanskrit), die Bedeutung des immanenten Potenzials für die Erleuchtung (Tathagatagarbha in Sanskrit), die Inspiration ursprünglicher Erleuchtung und den Verzicht auf die Hingabe, um die Realität zu schätzen. Als der König, die Königin, Regierungsbeamte, renommierte Mönche und gewöhnliche Leute sich im Hwangyonsa-Tempel versammelten, stieß Meister Wonhyo sein5 Löwengebrüll aus. Als der Dharma-Vortrag zu Ende war, blieb die Besuchermenge noch für eine Weile sitzen, ihr Geist erfüllt mit Ehrfurcht und Freude. Dann entfernte Wonhyo sich von seinem Platz und sagte dabei: „Als hundert Dachsparren erforderlich waren, wurde ich nicht gerufen. Als aber der Hauptbalken notwendig wurde, konnte ich nur allein helfen. Diese Erklärung bezog sich auf die Tatsache, dass er von der „Versammlung der Hundert Plätze“, einem Rat von hundert bedeutenden Mönchen nicht gerufen wurde. Dieser Rat wurde nach der hier verwendeten Metapher zynisch als „Dachsparren“ bezeichnet. Wenn er sich selbst als den „wichtigsten Hauptbalken“ bezeichnete, deutete Wonhyo an, dass er allein in der Lage war, um eine solide Grundlage für den Buddhismus im Silla-Königreich zu schaffen. Es ist wichtig zu erkennen, dass diese Worte nicht aus Hochmut oder Geringschätzung wurden. Durch die Ermahnung der Mönche, welche von Erfolg und Lob motiviert waren, befreite er sie von ihrer Unwissenheit und Überheblichkeit. Man sagt, dass beim Anhören des Tadels von Wonhyo, die Versammlung der ausgezeichneten Mönche ihre Köpfe senkte und ihre Fehler tief bereute. Kommentare über buddhistische Schriften werden üblicherweise als „So(疏)“ bezeichnet, was Diskurs oder Erörterung bedeutet. Aber dem Kommentar Wonhyos wurde der Titel „Non(論)“ verliehen, welcher besser als 5 Löwengebrüll: Ein buddhistischer Fachbegriff, bezeichnend eine leistungsfähige Art der Lehre, die karmische Hindernisse überwindet und innere Weisheit der Zuhörer erweckt. 51 „Abhandlung“ zu übersetzen ist. Diese Bezeichnung „Non“ bedeutet ein Werk von höchster Wichtigkeit. Ferner ist dieser Text Bestandteil von großen kanonischen Schriften, die auch als Tripitaka bekannt sind. Faktisch wird „Non“ nur für die Schriften Buddhas und von großen Meistern wie Nāgārjuna oder Vasubandhu verwendet, deren Grad der Erleuchtung ähnlich wie des Buddhas war. In der Geschichte des ostasiatischen Buddhismus haben nur fünf Männer Werke geschrieben, die als „Non“ klassifiziert wurden. Auf diese Weise nimmt Wonhyo unter den Weisen Ostasiens einen hohen Platz ein. 52 Vll. Folgen dem Pfad Buddhas 1. Ein Leuchtturm, der ewig leuchtet Die heftigen Konflikte unter den drei Königreichen von Korea endeten im Jahre 686. Zehn Jahre, nachdem Reste der Tang-chinesischen Armee von der koreanischen Halbinsel endgültig verschwunden waren, wurde Korea von einem neuen Gefühl des Friedens erfüllt. In diesem Jahr erreichte die Lebenskraft und Hingabe Wonhyos sein Ende. Im Alter von 70 Jahren, am 30. Tag des dritten Monats nach dem Mondkalender im Frühling, beendete Wonhyo seine karmischen Bindungen mit der Welt in der Nähe des Hyol-Tempels in Kyongju. Meister Uisang, der damals mit seinen 60 Jahren den Blumen-OrnamentBuddhismus im Pusoksa-Tempel auf dem Taebaek-Berg lehrte, war wahrscheinlich ebenso wie Wonhyos zwanzigjähriger Sohn Solchong zugegen, der den höchsten Grund zur Trauer hatte. Allerdings gibt es keine Aufzeichnungen über seinen Tod. Auf seinem Grabstein wurde geschrieben: „Er bemühte sich, den Prinzipien des Universums zu folgen, und machte sich die tiefgründigste Wahrheit zum Ziel.“ Meister Zanning aus China, Autor des Liedes Gaoseng Zhuan. (Leben von angesehenen Mönchen in Liedform zusammengestellt) charakterisierte Wonhyo den Gelehrten mit folgenden Worten. Wonhyo griff mutig die Bastion der Meinung an und machte furchtlos seinen Weg durch die Vielzahl der Schriften. Mit Schnelligkeit und 53 Entschlossenheit marschierte er immer weiter und zog sich nie zurück. Weitgehend bewandert in den dreifachen Prinzipien der Einhaltung, Klarheit und Weisheit, nannte ihn das Volk seines Landes „Gewinner gegen Zehntausend“. So war seine meisterliche Wahrheit, so war seine Heiligkeit. Es ist bemerkenswert, dass die Menschen von Silla ihn mit dem oben genannten Begriff lobten. „Ein Spiel gegen Zehntausend“ bedeutet, dass jemand die Weisheit und den Mut besitzt, um gegen unzählige feindliche Truppen allein ohne Schwierigkeiten antreten zu können. Legendären Generälen, wie Guanyu und Zhanfel, wurde dieser Titel verliehen. Es ist interessant, dass Wonhyo, ein Gelehrter, mit den fähigsten Generälen seiner Zeit verglichen wird. Auf diese Weise wurde seine energische und unverwechselbare Herangehensweise an das Leben, an das Feld des Dharmas, ausgedrückt. Für die Menschen von Silla war „Ein Spiel gegen Zehntausend“ sicherlich keine Übertreibung. In der 1600-jährigen Geschichte des koreanischen Buddhismus belegen seine Lehren und Schriften den Höhepunkt des Erreichbaren. Keine früheren Meister erreichten den Höhepunkt, den Wonhyo zu Lebzeiten erreicht hatte. Nachfolgende Meister mit ähnlichen Fähigkeiten sind weit davon entfernt. Die 240 Bände, die Wonhyo bekanntlich verfasst hat, können nur als übermenschliche Anstrengung des Studiums und der Schriftstellerei beschrieben werden. Diese Bände umfassen fast jeden Aspekt des Buddhismus, einschließlich Hinayana, Mahayana und die Tripitakas der Sutras, Vinaya und Shastra. Die Tiefe der Wahrnehmung und Klarheit der Interpretation sind in seinen wichtigsten Werken Taesung Kisillon So (Kommentar zum Erwachen des Glaubens) und Kumgang Sammaegyong Non (Darstellung des VajrasamadhiSutra) zu finden. Diese beiden Werke wurden von buddhistischen Meistern und Gelehrten auf der ganzen Welt gelobt und bleiben ein Leuchtfeuer für die Wahrheit der buddhistischen Welt. 54 2. Die Ästhetik eines Alles-Ein-Geistes Beim Schlafen in einem unterirdischen Schutzraum gestern fühlte ich mich wohl. Aber beim Schlafen in einem Grab letzte Nacht war mein Geist sehr unruhig. Nun verstehe ich – wenn ein Gedanke entsteht, entstehen alle Dharmas (Phänomene). Wenn ein Gedanke verschwindet, sind Unterkunft und Friedhof Ein und dasselbe. Die Drei-Welten existieren einfach im Geist, Und alle Phänomene sind bloße Wahrnehmung. Da kein Dharma außerhalb des Geistes existiert, Wie kann es woanders gesucht werden? In diesem Lied, das er nach seinem berühmten Erwachen in der Grabkammer komponierte, übernahm Wonhyo einen Satz aus der Schrift Erwachen des Glaubens, eine klassische Einführung in die Mahayana-buddhistische Tradition, um seinen radikalen Perspektivwechsel zum Ausdruck zu bringen. Es gilt der Satz: Wenn ein Gedanke entsteht, entstehen alle möglichen Phänomene. Wenn der Gedanke verschwindet, verschwinden alle möglichen Phänomene. Er änderte dies ab: Weil ein Gedanke entsteht, entstehen alle Phänomene. Weil der Geist verschwindet, Sind Unterkunft und Friedhof nicht mehr voneinander zu trennen. 55 Die Entdeckung des „Alles-Ein-Geist“ veränderte das Leben Wonhyos und wurde dadurch als Praktizierender wiedergeboren. Die Weisheit, die er durch diesen Wandel auf das Alaya6 Bewusstsein erworben hat, war in der Tat tief. Einmal hat er erkannt, dass die beiden Gegensätze von Reinheit und Verunreinigung durch diesen „Alles-Ein-Geist“ eins werden. Es gab nichts, ihn zurückzuhalten. Ungehindert und vollständig befreit verwirklichte er seine nachfolgenden Anstrengungen im Schreiben und in der Verbreitung Buddhas Lehre „Nicht-Hinderung“. Durch die Brille des Alaya Bewusstseins betrachtend erkannte Wonhyo, dass der Unterstand und das Grab dasselbe sind. Das gleiche gilt für den Kreislauf von Geburt und Tod und Nirvana. Mit Blick auf das Leben der Menschheit auf der Basis von Nicht-Dualität gab er seine Reise im Ausland auf und begann ein neues Leben in seiner Heimat. Aufgrund dieser großen Erkenntnis betrachtete Wonhyo die menschliche Existenz auf eine grundsätzlich andere Weise. Da der Dharma nicht außerhalb des Geistes existiert, wohin würde man gehen, um den Dharma zu suchen? Wenn es die Wahrheit in Tang-China gibt, warum existiert sie nicht in Silla? Sicherlich geht es hier um die wahre Kultivierung des Geistes, „wie“ er kultiviert wird, aber nicht „wo“ er kultiviert wird. Die Frage ist sicherlich, „wie“ das Problem von Leben und Tod gelöst wird und nicht „wo“ es gelöst wird. So dachte Wonhyo selbst nach. Aufgrund der dramatischen Veränderung seiner Sichtweise, die in kurzer Zeit von einem Tag und einer Nacht aufgetreten war, begann er das Alaya-Bewusstsein vertieft zu analysieren. Da die biologischen Bedingungen für alle Lebewesen gleich sind, kann die Wahrheit überall gefunden werden. Warum müssen wir dann nach Tang-China reisen? Wie unterscheiden sich Silla und Tang, und worin sind sie gleich? Was gibt es hier? Was sollte es hier geben? Wie können wir die Lücke zwischen den 6 Alaya Bewusstsein: Das allem zugrundeliegende Bewusstsein; jener Aspekt des Geistes, der die Grundlage für die – durch Illusion bedingte – Identifikation mit einem Ich und für das dualistische Denken ist. 56 beiden verringern. Er steht zwischen diesen beiden Achsen der universellen Wahrheit. Er dachte über diese Fragen nach und erfuhr bedeutsame Qualen des Denkens. Durch diesen tief greifenden Wandel in der Wahrnehmung des Geistes nahm Wonhyo die wahre Natur des Geistes wahr, der innerhalb eines jeden Lebewesens existiert. Wonhyo erkannte, dass dieser „Alles-Ein-Geist“ unendlich und zugleich der Geist aller fühlenden Wesen ist. Durch dieses spontane SelbstErwachen gab er seine Reise in das Tang-China auf und wurde zu einem führenden Denker und Visionär in seinem eigenen Land. In der Taesung Kisillon So (Kommentar zum Erwachen des Glaubens) erläuterte Wonhyo die Theorie des Alles-Ein-Geistes wie folgt: Was ist Alles-Ein-Geist? Da alle Phänomene der Reinheit und Unreinheit in der Natur nicht voneinander getrennt sind und da die Türen von Wahrheit und Unwahrheit ebenfalls gleich sind, spricht man von „Eins“. Wo es keine Diskriminierung zwischen den beiden gibt, sind alle Erscheinungen am wahrsten, wie freie Luft. Da die wahre Natur untrüglich verstanden wird, spricht man von Geist. Da es kein solches Ding wie „Zwei“ geben kann, kann es nicht so etwas wie „Eins“ geben. Wenn es kein „Eins“ gibt, was können wir Geist nennen? Da diese Wahrheit, trotz Beschreibungen und abstraktem Denken nur ungenügend zu erfahren ist, und nicht wissend, wie Worte zu gebrauchen sind, nenne ich es ungern „Alles-Ein-Geist“. „Alles-Ein-Geist“ liegt jenseits des Horizonts der „Anderen“. Wonhyo entdeckt das Konzept des „Alles-Ein-Geist“ außerhalb der Einschränkungen einer Welt der binären Alternativen. Weil gegensätzliche Begriffe wie rein und unrein davon abhängen, dient „Alles-Ein-Geist“ als Grundlage für alle Existenzen. Wenn wir einen Alles-Ein-Geist entdecken, welcher die Quelle von allem ist, entstehen keine unterscheidenden Gedanken. Die Teilung der Drei- 57 Königreiche, die Teilung von Ost und West, Nord und Süd, all dies schmilzt im Ofen des „Alles-Ein-Geistes“. Die fühlenden Wesen sind im Grunde erleuchtet. Daher wird Erleuchtung nicht durch den Erwerb von etwas anderem erreicht. Tatsache ist, dass wir durch Verblendung, Ignoranz und Anhaftung der Wünsche beeinflusst sind, und damit nicht in der Lage sind, die Wahrheit zu erkennen. Das ist die Last, die wir als fühlende Wesen tragen. Jedoch wird die Erleuchtung bei jedem Menschen klar erkennbar, wenn man den Geist kultiviert und den Nebel der Unwissenheit wie einen friedlichen Ozean beruhigt. Die Wahrheit ist getrübt, wenn wir sie nur für einen bestimmten Augenblick oder aus einer speziellen Perspektive betrachten. Mit dem Alles-Ein-Geist als sein Leitmotiv bemühte sich Wonhyo dem Buddha zu dienen. Es war Alles-Ein-Geist der Grund, dass er literarische Werke verfasste. Es war das allgegenwärtige Ziel von Alles-Ein-Geist, dass er sein Leben mit „Nicht –Hinderung“ lebte. Er versuchte sein wahres Selbst durch die Rückkehr zur Wurzel des Alles-Ein-Geistes zu entdecken, und für alle Lebewesen nützlich zu sein. 3. Die Logik und die moralischen Grundsätze von Hwajaeng (harmonisierende Streitkultur) Wegen unterschiedlicher Interessen geraten Menschen oft in Konflikte, und friedliche Tage gibt es wenige auf der Welt. Obwohl jeder Friede und Versöhnung sucht, ist es doch schwer, sich der Meinung anderer zu beugen. Das siebte Jahrhundert n.Chr. war in Ostasien eine Zeit großer Auseinandersetzungen und Zwietracht, und die koreanische Halbinsel war dauernd in Kriege verwickelt. Die Zwänge eines strengen Klassensystems hatten auch viel Aufruhr und Unruhe in der Bevölkerung verursacht. Wonhyos Leben war von diesen Bedingungen seiner Zeit nicht unberührt geblieben. Sein Plan, an der Tang-Hochschule zu studieren, wurde zu seiner großen Enttäuschung 58 vereitelt, als er als Spion in Liadong verhaftet wurde. Obwohl Wonhyo ursprünglich eingeladen worden war, einen Sitz in der nationalen „Versammlung der hundert Sitze“ einzunehmen, wurde seine Stellung durch Rivalen unterwandert und die Einladung später wieder zurückgenommen. Er wurde auch seines ersten Kommentars zum Adamantine-Sutra beraubt, und zwar vor dem Dharma-Antrittsvortrag, den der König angeordnet hatte. Doch Wonhyo wählte einen Weg der Versöhnung, der Auseinandersetzung und Konflikt mit einbezog. Als eine Art, mit solchen Situationen umzugehen, schlug er die Methode des Hwajaeng vor. Das Hwajaeng erlaubt keine Unterscheidung zwischen Positivem und Negativem, sondern betont, dass alles auf der Welt miteinander verbunden ist. Aufgrund dieser wechselseitigen Abhängigkeiten und dem gemeinsamen Ursprung aller Dinge sind das Ganze und das Teil eine Einheit. Deshalb sollte man nicht durch „die Täler wandern, ohne den Berg zu sehen“ oder „zu einem Wald eilen und die Bäume übersehen.“ Aus der einen Sichtweise sind wir eine Einheit, und aus einer anderen sind wir viele. Dieser Gedanke ist in der folgenden Textstelle aus Wonhyos Werk zusammengefasst. Ganzheitlich betrachtet gibt es nur eine Sichtweise; Einzeln betrachtet gibt es zehn Tore. Aber einzeln betrachtet ist das Eine nicht mehr. Aber als Ganzes betrachtet, sind zehn nicht weniger. Wenn als Vieles betrachtet, sind zehn nicht unüberschaubar; Aber allein betrachtet ist das Eine nicht begrenzt. So war Wonhyo nicht eingeschränkt in seiner Behandlung von dem Einen oder der vielen Teile. Es kümmerte ihn auch nicht, ob seine Ansichten von anderen akzeptiert oder abgelehnt wurden. Wenn man nicht an Anerkennung anhaftet, kann man durch Bestätigung seiner Ansichten nichts gewinnen und durch Ablehnung nichts verlieren. In einer Diskussion ignorieren wir oft die 59 Meinung anderer und halten an unserer Ausgangsposition fest. Doch immer, wenn wir etwas zu verstehen versuchen oder etwas vorschlagen und dabei an unseren Einstellungen und Vorlieben festhalten, ist es schwer für uns, das Thema objektiv von einer ganzheitlichen Sicht aus zu betrachten. So ist es schwierig, eine Sache so zu sehen, wie sie wirklich ist. Wir sehen die Welt gefiltert durch unsere eigene Sichtweise, wir messen Dinge an unseren eigenen Maßstäben und betrachten und analysieren Sachverhalte und Dinge mit uns selbst als zentralen Bezugspunkt. Doch all diese Überheblichkeit kommt vom Ich-Bewusstsein. Um zu vermeiden, dass wir die Wirklichkeit durch diese ich-zentrierte Sichtweise verzerrt sehen, müssen wir frei von Vorstellungen und Vorurteilen sein. Das bedeutet, gleichzeitig unseren Geist als begrenzt zu sehen und ständig bemüht zu sein, diese Grenzen zu überschreiten und unseren Geist zu öffnen. Wie Wonhyo in dem Kommentar über das Erwachen des Glaubens bemerkt: „Wenn du frei von vorgefassten Meinungen und Vorstellungen bist, werden du und dein Gegenüber gleich sein.“ Um etwas einzuschätzen, was die Dimensionen und Begrenzungen unserer Maßstäbe überschreitet, müssen wir dazu bereit sein, diese festen Standards und Vorstellungen fallen zu lassen. Obwohl es leicht ist zu sagen, dass wir etwas „loslassen“ müssen, ist es tatsächlich sehr schwer für unseren Geist, wirklich loszulassen. Solange wir an uns selbst festhalten, oder glauben, dass die anderen von uns abgetrennt sind, ist es uns nicht möglich, unseren Geist leer zu machen. Eine Person, die versucht, einen Kampf zu beenden, muss unparteiisch sein. Hwajaeng ist nur möglich, wenn es sich auf absolute Unparteilichkeit gründet. Wenn wir zu Handlungen fähig sind, die völlig selbstlos sind, wie Buddhas Taten, können wir schließlich von den Differenzen und Disputen zwischen Weisen und Akademikern befreit werden. Wenn wir in der Enge unserer eigenen Vorstellungen gefangen bleiben und auf der absoluten Gültigkeit einer gewissen Sichtweise bestehen, oder einen bestimmten Standpunkt dogmatisieren, werden Probleme unvermeidbar sein. Wonhyo beschreibt eine solche Haltung wie folgt: 60 „Es gibt jene, die ihre eigene begrenzte Meinung äußern, gegründet auf das Wenige, das sie gehört haben; wenn andere zustimmen, sind sie erfreut und zufrieden, aber wenn andere nicht übereinstimmen, sagen sie, dass diese falsch lägen. Wie jemand, der den Himmel durch die Röhre eines Schilfhalmes betrachtet, finden solche Leute es gut, wenn andere den Himmel durch die gleiche Röhre betrachten, und behaupten, dass jene, die das nicht tun, nicht in der Lage sind, den Himmel zu sehen.“ Wonhyo tadelt die unkluge Art der Engstirnigen und Schwachen, zu behaupten, dass nur ihre Meinung richtig ist, und die Worte der anderen nicht zu akzeptieren. Obwohl Maßstäbe nicht immer gleich sind, sind sie auch nicht immer unterschiedlich. Nichts ist dasselbe, doch nichts ist wirklich unterschiedlich. In Wonhyos Worten: „Weil es viele Sichtweisen gibt, sind viele möglich, und weil sie alle Eins sind, sind letztendlich alle Sichtweisen eine einzige Sicht. Wie könnte es nur einen Pfad im Leben geben? Es gibt eine breite Straße, eine Wasserstraße, einen einsamen Trampelpfad. Wie könnten wir sagen, dass nur ein Weg der richtige ist? Jede Art von Weg kann uns zur Glückseligkeit führen. Wenn wir unseren engen und eingezwängten Geist öffnen, enthüllt sich ein offener Himmel voller Möglichkeiten.“ Das gesprochene oder geschriebene Wort ist wie ein Finger, der zum Mond zeigt. Es genügt, den Mond anzuschauen anstatt nur den Finger. Wie Wonhyo sagt: „Mit Worten will ich den Dharma, den hinter den Worten liegt, veranschaulichen. Genau wie der Finger, der zum Mond zeigt, sind der Mond und der Finger nicht dasselbe.“ Wenn man seine Aufmerksamkeit auf rhetorische Figuren richtet, geschieht es leicht, dass einem das Wesentliche von dem, was gesagt wird, entgeht. Deshalb ist es besser, man sucht den Sinn hinter den Worten, anstatt sich auf die Wörter selbst zu konzentrieren. Wenn man nur auf die Wörter achtet, ist es schwer, die Meinung des anderen zu erfassen, was immer sie sein mag. Aber wenn wir auf die Bedeutung der Wörter, den Sinn hinter den Wörtern schauen, gibt es nichts, was nicht erfasst werden kann. 61 Bei Worten gibt es nichts zu akzeptieren. Bei Worten gibt es nichts zurückzuweisen. Das ist eine weitere Lektion, die uns Wonhyo erteilt. Wenn wir die Bedeutung aus den Augen verlieren und uns nur an Worte klammern, ist es genau so, als untersuchte man seine Fingerspitze und betrachtete etwas, das eben nicht der Mond ist. Es wäre besser von unseren Vorstellungen und Vorurteilen völlig abzulassen und den Worten von anderen zuzuhören. Besser wäre noch, wenn wir durch die Augen der anderen sehen und die wahren, unausgesprochenen Worte ihrer Gedanken aufnehmen könnten. 4. Die Philosophie von Ilche - Muae (Die Hindernislosigkeit von allem) Das Prinzip von Ilche-Muae bildete die Grundlage von Wonhyos Leben. Da er keinem einzigen Ding anhaftete, war er ein vollkommen freier Mann. Sein Bestreben, bei allem „ungehindert“ zu sein, drückt er so in Worten aus: „Einer, der an nichts mehr anhaftet, wird umgehend vom Kreislauf von Geburt und Tod befreit werden.“ Für ihn war der Buddha nicht abgetrennt von allen empfindungsfähigen Wesen. So versicherte er: „Wenn wir es genau betrachten, ist der Geist aller empfindungsfähigen Wesen unteilbar und deshalb ohne Hindernis. Er ist so ruhig wie die Oberfläche des Ozeans, und es gibt keine Basis für irgendwelche Unterschiedlichkeiten.“ Deshalb sah er es als gegeben an, dass unbegrenzte Freiheit im Geiste eines jeden empfindungsfähigen Wesens existiert und dass jeder selbst auch ein gänzlich befreites Wesen werden kann. So schlug er das Konzept des „Einen-Fahrzeugs“ und des „Alles-Ein-Geistes“ vor, ohne sich nach irgendeiner besonderen Sekte oder Schule auszurichten. Gemäß seiner Philosophie war es für ihn am wichtigsten, den Alles-Ein-Geist wieder zu entdecken. Was die tägliche Praxis anging, hielt er das`Ohne62 Hindernis-Sein´ für das Wichtigste. Die Freiheit, die er anstrebte, gründete sich nicht auf die Sehnsucht der materiellen Wirklichkeit zu entfliehen, sondern sollte dazu dienen, die Kraft der Nicht-Dualität in der irdischen Welt nutzbar zu machen zum Wohle aller empfindungsfähigen Wesen. In anderen Worten, er glaubte, dass das unaufhörliche Ausüben von Mitgefühl und Erbarmen allen empfindungsfähigen Wesen gegenüber der Schlüssel zu einem Leben ohne jegliche Hindernisse und Einschränkungen ist. Ob in der Theorie oder in der Praxis, Wonhyo war wirklich frei und ungehindert in allem. Aus seiner Sicht heraus sind alle Wesen frei und ohne Hindernisse, da alle im Alles-Ein-Geist wurzeln. Doch weil wir von unserem Ego geplagt und getrieben werden, verlieren wir die Freiheit unseres ureigenen wahren Willens und leben demzufolge inmitten unendlichen Leids. Deshalb müssen wir zu unserem ursprünglichen Zustand zurückkehren und unsere Wurzeln in dem Alles-Ein-Geist wieder entdecken. Hier finden wir eine Parallele zu den Gedanken und Vorstellungen des deutschen Philosophen Martin Heidegger von Heimatlosigkeit und Heimkehr. Empfindungsfähige Wesen haben im Grunde ihres Herzens „Heimweh“ und Buddha ist die Heimat, die sie suchen. Methoden spiritueller Praxis sind einfach nur ein Mittel, daheim anzukommen. 5. Das Zerbrechen des Schreibpinsels Bei seinem Bestreben, die Menschen von ihren Leiden zu befreien, ganz im Geiste eines mitfühlenden Bodhisattva des Mahayana Buddhismus (des Großen Fahrzeugs des Buddhismus) ließ Wonhyo bedeutungslose Formalitäten, die zu dieser buddhistischen Richtung gehören, einfach fallen. Gleichzeitig betonte er aber die Wichtigkeit des inneren Erwachens eines Übenden, das durch aufrichtige Reue möglich wird. Im Song Gaosong Zhuan (Die Leben von hervorragenden und außergewöhnlichen Mönchen zusammengefasst in einem Lied) von Zanning (919 - 1001) wird Wonhyos Leben wie folgt beschrieben: 63 Seine Worte waren geradezu und direkt und sein Verhalten wich von den akzeptierten Konventionen ab, oft so weit, dass es nicht mehr als recht und anständig erachtet wurde. In der Gesellschaft von Laien ging er sogar in Tavernen und Bordelle. Wie Zhigong trug er auch ein Messer und einen Stab aus Eisen bei sich. Manchmal verfasste er Kommentare zum Blumen-Ornament-Sutra. Manchmal spielte er auch die Komungo (koreanische Zither), um die Atmosphäre im Tempel zu beleben. Manche Nacht verbrachte er im Hause eines Dorfbewohners. Tagsüber meditierte er oft an einem Bach in den Bergen. So lebte und praktizierte Wonhyo auf ganz spontane Weise und hielt sich nicht an irgendwelche festgelegte Regeln. Wonhyos ungehindertes und freies Leben begann, nachdem er den Alles-EinGeist wahrgenommen hatte. Wenn er Zeit mit Clowns, Metzgern, Prostituierten, ungebildeten Bauern verbrachte, teilte er ihre Freude und ihren Kummer und übte sich in Mitgefühl für alle, die ihm begegneten. Da er singend und tanzend durchs Land zog, lernte so jeder, vom Hausbesitzer bis zum Straßenkind, Buddhas Namen kennen. Wonhyo war sich des unschätzbaren inneren Wertes eines jeden lebenden Wesens voll bewusst. Er versuchte die unberechtigte, falsche Trennung von Adeligen und einfachen Leuten aufzuheben. Wenn Korea vereinigt werden sollte, genügt es nicht, die Mauern von drei Königreichen niederzureißen und dass nur ein Monarch das Land regiert. Eine wirkliche Vereinigung würde erst entstehen, wenn die Mauern in den Herzen der Menschen zusammengebrochen wären, und jeder sich ein Zusammenleben ohne Hass und Misstrauen wünschte. So stellte sich Wonhyo von einer buddhistischen Perspektive aus vor, wie eine wirkliche Vereinigung von Koreas drei Königreichen aussehen sein sollte. Während Wonhyo sich im Puhwangsa-Tempel aufhielt und an dem Kommentar zum Blumen-Ornament-Sutra schrieb, zerbrach er plötzlich den Schreibpinsel, den er gerade benutzte, entzwei, als er gerade bei dem Kapitel mit 64 dem Titel „Das Zurückgeben erworbener Verdienste an andere“ angekommen war. Diese symbolische Handlung erfolgte aufgrund einer tiefen Einsicht, die er erhielt, während er über die Botschaft des Blumen-Ornament-Sutra nachsann, nämlich dass tief greifende Belehrungen nicht mit vollem Erfolg nur durch das Studium der Schriften allein durchgeführt werden können. Das BlumenOrnament-Sutra lehrte, dass man ein Bodhisattva werden muss, dass man den Entschluss fassen muss, Erleuchtung zu erlangen und dass man seine Verdienste an alle empfindungsfähige Wesen zurückgeben muss. Er glaubte, dass das `Zurückgeben seiner Verdienste an andere´ dadurch erreicht werden könnte, dass man die Erfahrung seiner eigenen Erleuchtung mit allen teilte. Jedenfalls erkannte er, dass die wirkliche Bedeutung des Sutra nicht durch Worte und Buchstaben verstanden werden konnte. So verließ er den Tempel, um die Lehren des Sutra ganz in der weiten Welt zu leben. 65 VIII. Die heutige Bedeutung von Wonhyos Denken 1. Wonhyos Geist, ewige Gegenwart Wonhyo war mehr als ein verdienter buddhistischer Mönch; er war auch ein inspirierter Philosoph, ein großer Gelehrter und ein sehr produktiver Autor. Er spielte eine bedeutsame Rolle dabei, den Buddhismus zur Nationalreligion vom Silla-Königreich zu machen, und begründete eine tiefe und gewichtige Tradition von Gelehrsamkeit, die bis heute von modernen Gelehrten und Philosophen bewundert wird. Seine Schriften können in verschiedene Untertitel eingeteilt werden Hwajaeng, Reines-Land, Buddhas Schoß, Blumen-Ornament und Alles-EinGeist, von denen alle miteinander verbunden sind. Er lebte das, was er glaubte. Seine Taten voller Mitgefühle und motiviert durch den Freiheitsgedanken, drücken ganz besonders klar den Kern seiner Glaubenssätze und Überzeugungen aus. So ist sein Leben eine Quelle von Erkenntnissen und Einsichten und bildet eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart, da die Probleme und Konflikte, mit denen Meister Wonhyo vor 1300 Jahren in Silla-Königreich konfrontiert war, noch genauso in unseren modernen Zeiten vorhanden sind. Wonhyo wurde 617 n.Chr. geboren, genau 90 Jahre nachdem der Buddhismus eine offiziell anerkannte Religion im Lande geworden war. Zu jener Zeit war der Silla-Buddhismus von der Regierung als ein Mittel dazu eingeführt worden, das Land zu entwickeln und um die nationale Einheit voranzubringen. Silla-Königreich lag in der südlichen Spitze der koreanischen Halbinsel und 66 war von der Tradition her eine geschlossene und gesellschaftlich konservative Gesellschaft, die eifrig den Einfluss anderer Kulturen vermied. Der Buddhismus kam unter großen Schwierigkeiten nach Silla-Königreich, und es gibt sogar Berichte darüber, dass die Koguryo-buddhistischen Missionare Chongbang und Myolkuja getötet worden sind. Die formale Anerkennung des Buddhismus durch König Pophung geschah erst nach dem Martyrium des Mönchs Ichadon, einem Mitglied der königlichen Familie des Silla-Königreichs. Das war sogar erst 150 Jahre her, nachdem der Buddhismus in Koguryo und Paekche, den anderen beiden Königreichen der koreanischen Halbinsel, anerkannt worden war. Doch nachdem der Buddhismus einmal anerkannt worden war, wurde seine Entwicklung und Verbreitung mit erstaunlichem Eifer von der königlichen Regierung vorangetrieben. König Pophung erließ im Jahre 529 (dem 16. Jahr seiner Regierung) eine nationale Proklamation, die das Töten von Tieren verbat. König Chinhung, der Pophung nachfolgte, ermutigte sein Volk, in heilige Orden einzutreten und Mönch zu werden. Das Land begann auch mit dem Bau vieler großartiger Tempel wie z. B. Hwangnyongsa und Chiwonsa und lud verdiente und bekannte Geistliche vom Silla-Königreich und dem Ausland dazu ein, Lehrreden zu halten und an religiösen Zeremonien teilzunehmen. Während dieser Zeit bildete Silla-Königreich ein Elitekorps aus, bekannt als Hwarangdo, um fähige junge Männer für den Staatsdienst heranzuziehen, und der Buddhismus lieferte den spirituellen Aspekt ihrer Ausbildung. Der Silla-Buddhismus dieser Anfangszeit könnte dafür kritisiert werden, dass er mehr Wert auf die nationale Entwicklung legte als auf das, was man als wahre buddhistische Praxis betrachtet, besonders da die weltlichen Motive des Staates nicht immer mit jenen des buddhistischen Glaubens übereinstimmten. Dazu kommt noch, dass in Korea verschiedene buddhistische Sekten und Schulen Eingang gefunden hatten, und nun sah sich der Silla-Königreich-Buddhismus der Herausforderung gegenüber, die unterschiedlichen Lehren, die oft miteinander im Streit lagen, zu systematisieren. Während die grundsätzlichen Elemente der buddhistischen Philosophie weltweit für jeden gelten, gibt es viele 67 unterschiedliche Methoden der Praxis und verschiedene Lehrmethoden, die sich danach richten, auf welchem spirituellen Stand die einzelnen Menschen sind. So gibt es im Buddhismus viele heilige Schriften, jede mit einer unterschiedlichen Antwort auf dieselbe Frage. Diese Vielfalt im Buddhismus hatte natürlich Streit und Dispute unter den verschiedenen Sekten und Schulen zur Folge und machte das Verstehen und Begreifen für einfache Leute schwierig. Wonhyo, der all diese Probleme als seine eigenen betrachtete und sie eins nach dem anderen zu lösen versuchte, etablierte eine nicht-sektiererische, alles einschließende Form von koreanischem Buddhismus. Der Geist von Meister Wonhyo lebt weiter bis zum heutigen Tag, und ein Resultat davon ist, dass der koreanische Buddhismus deutlich ökumenisch und für die harmonische Koexistenz einzelner Schulen und Doktrinen bekannt ist. 2. Wonhyos Buddhistische Philosophie (1) Hwajang (harmonisierende Streitkultur) Um das Sektiererische bei der Weitergabe der buddhistischen Lehre zu beenden und um Streit über verschiedene Lehrmeinungen zu vermeiden, schrieb Wonhyo das Chong-Yo, eine grundsätzliche Übersicht von 17 verschiedenen Sutren. „Chong“ bedeutet „sich allen erschließend“ und „Yo“ bedeutet „zu einem vereinend“. In anderen Worten das Chong-Yo ist auf der Ansicht gegründet, dass sich Buddhas Geist auf viele unterschiedliche Arten und Weisen offenbart, aber dass er letztendlich ein vereinigtes Ganzes ist. Wonhyo betonte, dass, obwohl beide Seiten in einem Streitgespräch Gründe für ihre Gegenargumente haben, beide Parteien versuchen sollten, den Sachverhalt in einer umfassenden und ganzheitlichen Weise zu sehen. Er drückt seine Vorstellung von Hwajaeng im Yolbangyong Chongyo (das Wesentliche des Nirvana Sutras) so aus: „Wenn man die vielen Elemente, die in den Sutren 68 vorhanden sind, zusammenbringt, wird klar, dass unzählige Ideen und Gedanken alle auf eine Bedeutung zurückkommen. Wenn man diesen einen universellen Sinn herausdestilliert, ist es möglich, die Meinungen von hundert Sekten auf einen Nenner zu bringen. “ Wonhyos Hwajaeng-Philosophie schlägt vor, dass man einer vorgetragenen Lehrmeinung oder Ansicht weder widersprechen noch sie bestätigen sollte, da es möglich ist, die beiden Seiten zusammenzubringen. Dies geschieht, indem man zwei Faktoren - Gefühl (情) und Verstand (理) in Betracht zieht. „Gefühl“ bezieht sich hier auf das Anhaften an der eigenen Ansicht und was auf dem „Ich habe recht“ besteht. Wenn man jedermanns Anhaften an seine oder ihre Glaubenssätze anerkennt und diese Gefühle akzeptiert und respektiert, kann man die Begrenzungen einer vorgetragenen Sichtweise in Bezug auf das Ganze offenlegen und so jeder Person erlauben zu erkennen, dass es weise ist, nicht an einer begrenzten Sicht festzuhalten. Dieser letztere Vorgang ist der Weg der Vernunft (理). Kurz, Hwajaeng heißt, beide Seiten zu bestätigen und ihnen gleichzeitig zu widersprechen. Dies ist möglich zu erreichen, wenn man alles, was relativ ist, aufnimmt und akzeptiert und das Absolute, was darin enthalten ist, offenlegt. Das Prinzip, auf das sich die Lehre von Hwajaeng stützt, ist das von dem Alles-Ein-Geist. Das Meer des Alles-Ein-Geist, wie Wonhyo sagt, ist ein absoluter Zustand, weit entfernt von relativen Unterschiedlichkeiten. Normalerweise verstehen wir unter dem Absoluten das Gegenteil des Relativen, aber Wonhyos Vorstellung von dem transzendierenden Absoluten geht über den Zustand der Gegensätzlichkeit weit hinaus. (2) Ilsim (Alles-Ein-Geist) In Wonhyos Werk taucht oft die Idee des „Rückkehrens zur Quelle des AllesEin-Geistes“ wieder auf. Alle empfindungsfähigen Wesen existieren innerhalb 69 des Alles-Ein-Geistes, doch weil wir dies vergessen haben, müssen wir „zur Quelle des Alles-Ein-Geistes zurückkehren“. Das Ziel ist es, in uns Ehrfurcht und Mitgefühl zu erwecken, da alle Wesen den Alles-Ein-Geist in sich haben, der „Wohnstätte der Buddha-Natur“. Um in der Lage zu sein, zu der Quelle des Alles-Ein-Geistes zurückzukehren, müssen wir zuerst unseren Geist und unser Denken verstehen. Gemäß der Schrift „Erwachen des Glaubens“ besteht unser Geist aus zwei Toren, d. h. dem Wirklich-So-Sein-Tor (眞如門) und dem Entstehens-Vergehens-Tor (生滅門). Das Wirklich-So-Sein-Tor ist der zentrale Punkt des Wesentlichen, der weit entfernt von allen Beurteilungen ist. Das Entstehens-Vergehens-Tor ist die Welt der Phänomene, wie sie durch unterscheidende Beurteilungen projiziert wird. Wonhyo erklärt, dass „das Wirklich-So-Sein-Tor und das Entstehens-VergehensTor den gesamten Dharma umfassen. Deshalb sind die beiden Tore auch nicht voneinander getrennt. Die Buddha-Natur ist in dem Entstehens-Vergehens-Tor verborgen.“ Von der Perspektive des Alles-Ein-Geistes betrachtet, gibt es keine Unterschiede und alle Dinge sind gleich. Das Wesen der Buddha-Natur ist der Alles-Ein-Geist. Die Natur des Alles-Ein-Geistes ist bar aller Beurteilungen. Da der Alles-Ein-Geist nichts beurteilt, gleicht er nichts. Da er von jeglichen Unterscheidungen und Urteilen frei ist, entspricht er nichts anderem. Da der Alles-EinGeist nichts anderem entspricht, entspricht er auch nicht dem Nichts. Kern des Nirwana Sutra Der Ursprung des Alles-Ein-Geistes ist weder existent noch nichtexistent, er ist vollkommen unabhängig und rein. Das Meer der Drei Großen Leeren, welches das Absolute mit dem Weltlichen verbindet, ist ruhig und klar. Ruhig und klar nimmt es die Dualität auf und ist dennoch nicht einheitlich. Unabhängig und rein ist der AllesEin-Geist weit von dem Äußersten entfernt, und doch findet man sein Wesen nicht im Mittelpunkt. Man findet ihn nicht in der Mitte, jedoch 70 ist er weit von dem Äußersten entfernt. Daher ist ein Phänomen, das nicht existiert, nicht einfach im Nichtsein; und eines, das nicht im Nichtsein ist, ist nicht einfach im Sein. Einleitung zum Vajrasamadhi Sutra In der obigen Textstelle wird behauptet, dass der Alles-Ein-Geist das Absolute mit dem Weltlichen verbindet. Wonhyos Absicht ist es, durch das immer wieder Wiederholen und Erklären des Alles-Ein-Geistes, den wahren Geist zum Vorschein zu bringen, der über allem Leiden steht und sich in einem befreiten Zustand ohne Anhaftungen befindet. Wie es im Text heißt, ist „das, was nicht im Nichtsein ist, nicht einfach im Sein“. Wenn der Alles-Ein-Geist eine feste Größe in der Realität ist, kann er nicht erreicht werden. In Wonhyos Worten ausgedrückt: „Er transzendiert Sprache und Gedanken. Deshalb, da ich nicht weiß, wie ich ihn nennen soll, muss ich ihn Alles-Ein-Geist nennen.“ (Kern des Nirwana Sutras) Da das Absolute und das Weltliche durch den Alles-Ein-Geist zusammengebracht werden, wird die Dualität vom Kreislauf von Geburt und Tod und dem Nirvana aufgehoben. Mehr noch, die Welt von Geburt und Tod und die des Reinen-Landes des Nirvanas wohnen gemeinsam dem Alles-Ein-Geist inne. Genauso gehen auch die Welt der empfindungsfähigen Wesen und die Welt des Buddhas aus dem Alles-Ein-Geist hervor. Wenn wir das erkennen und wahrnehmen, wird unser Alles-Ein-Geist zu seinem Wesen zurückgefunden haben. Während wir das nicht erkennen, können wir gar nicht anders, als als unwissende empfindungsfähige Wesen zu leben. Wir sind in dem Alles-EinGeist und den- noch außerhalb davon. Dies ist Wirklichkeit von weltlichem Leben und empfindungsfähiger Existenz. 71 (3) Muae (kein Hindernis) Muae (kein Hindernis) ist Wonhyos Denken vollzogen in Handlung. Muae steht für Freiheit, uneingeengt durch dualistische Gegensätze und festgelegten Konventionen. Es unterscheidet sich von dem Verfolgen individueller Wünsche, da es im Alles-Ein-Geist wurzelt, der Ausgeglichenheit und Mitgefühl in uns hervorruft. In anderen Worten, Muae bedeutet, dass man nicht mehr durch die Dualität von „ich“ und die „anderen“ gefesselt ist, und dadurch ein mitfühlendes Leben leben kann. Von der buddhistischen Sicht aus ist Freiheit ohne Mitgefühl keine echte Freiheit, sondern Selbstgefälligkeit. Mitgefühl ohne Freiheit ist andererseits passiv und kein echtes Mitgefühl. Wenn wir das eine erlangen, bekommen wir auf ganz natürliche Weise das andere. Freiheit und Mitgefühl sind im Muae untrennbar. Es beruht nicht auf atomisierten und besitzergreifenden Individualismus, sondern hat seine Wurzeln in der Einheit von dem „Du“ und dem „Ich“. Muae zielt darauf, zum Wohle seiner selbst und der anderen zu handeln und berührt so das Herz des Buddhismus, nämlich `das große Mitgefühl für die Einheit von allem´. (4) Das Reine-Land Wonhyo war ein Vertreter des Reinen-Land-Buddhismus und bezog diese Richtung voll in seine Lehrvorträge mit ein. Die Reine-Land-Theorie war eng verbunden mit der Theorie des Hwajaeng und der des Alles-Ein-Geistes. Was die persönliche Erleuchtung betrifft, so kann nach der Philosophie des Hwajaeng und des Alles-Ein-Geistes jeder durch seiner Situation und seinem spirituellen Stand angemessene Mittel Erleuchtung erlangen. Diese Ansicht, die die Gleichheit aller Wesen bei der Erlangung der Buddhaschaft betont, stimmte natürlich nicht mit dem Geiste des frühen Silla72 Buddhismus überein, der die hierarchische Gesellschaftsordnung damit zu rechtfertigen suchte, dass er das Konzept von Karma7 betont. Nach Wonhyo ist das Tor zur absoluten Wahrheit für alle geöffnet. Dies forderte die typische Sicht des Laien heraus, der sich als Anhänger der Lehre als passives Subjekt sah und nicht als aktiven Teilnehmer auf dem spirituellen Pfad zur Erleuchtung. Das Reine-Land, wo Amitabha Buddha residiert, ist ein ideales himmlisches Reich und reine Wohnstätte. Jeder, der seinen oder ihren Geist durch das ehrfürchtige Chanten des Namens Amitabha Buddha läutert, ist in der Lage, nach dem Tod in das Reine-Land zu kommen, unabhängig von Alter, Geschlecht oder gesellschaftlicher Klasse. Weil der Reines-Land-Buddhismus leicht zu verstehen und zu praktizieren war, sprach er diejenigen an, die sich nicht so gut mit den komplexeren Aspekten der buddhistischen Philosophie und Praxis auskannten. Deshalb wählte Wonhyo diesen einfachen und leicht zugänglichen Ansatz und propagierte den Buddhismus unter den einfachen Leuten. 3. Wonhyos Lektionen für unsere Zeit Wonhyos Theorie von Hwajaeng war Produkt seiner eigenen Gedanken und Überlegungen zur Geschichte. Darauf gründend harmonisierte er die gegensätzlichen Sichtweisen, die ihm in der buddhistischen Welt auffielen, und löste sie auf. Praktizierende wurden davon abgehalten, in den Genuss von Buddhas wahrer Leere zu kommen, da es zu einem Konflikt zwischen dem Leere-Buddhismus und dem Nur-Bewusstsein-Buddhismus gekommen war. Dank der Theorie von Hwajaeng verschwendete die buddhistische Philosophie im Silla-Königreich keine Zeit mehr mit fruchtlosen Diskussionen, sondern konnte sich weiter entwickeln. 7 Karma (Sanskrit). Jede Art von einer physischen, stimmlichen oder geistigen Handlung prägt sich im Geist ein und verursacht folglich Wirkungen in der Zukunft. Karmische Handlungen können positiv oder negativ, absichtlich oder unabsichtlich sein. 73 Dazu kommt noch, dass durch seine Theorie des Alles-Ein-Geistes, die wieder die Basis für die Hwajaeng-Philosophie war, Wonhyo betonte, dass die Welt des Nirvana nicht getrennt von dieser Welt existierte und folglich, die Welt, in der wir leben auch das Reich des Absoluten sein kann. Wonhyo hielt daran fest, dass jeder, der die Wahrheit des Alles-Ein-Geist erkennt und wahrnimmt, in dieser Welt erleuchtet werden kann. Wonhyo dachte auch, dass die letztendliche Absicht des Buddhismus ist, alle empfindungsfähigen Wesen vom Leiden zu erretten. Wie großartig eine Theorie auch immer sein mag, so ist sie leblos und nutzlos, wenn sie nicht in unserem Alltag angewandt wird. Sein Leben ist das vollkommene Beispiel dafür, wie er das Verkünden und Lehren des auf philosophischer Wahrheit gegründeten Buddhismus in Theorie und Praxis zusammengebracht hat. In diesem Sinne ist Wonyhos Leben und Werk eine Säule des koreanischen Buddhismus und ist für uns heute eine Quelle der Inspiration und Anleitung geblieben. 74 IX. Das Niederlegen seines Stifts Wonhyos Gedanken gründen sich auf eine ganzheitliche universelle Betrachtung des Lebens. Sie können nicht in einem religiösen Text oder in einem metaphysischen System eingefangen werden. In seinem Denken gibt es keine einfachen Gegensätzlichkeiten wie real und ideal, materiell und spirituell, einzeln und ganz, existent und nichtexistent oder gut und böse. Trotz seines logischen und systematischen Rahmens bleibt es doch ein tiefes Nachdenken über das Wesen des Seins, mit dem Ziel herauszufinden, wie man frei und ungehindert leben kann. Die Spezialisierung, eine der treibenden Kräfte hinter der heutigen Zivilisation, ist auf Kosten von Beziehungen zwischen den Individuen in der menschlichen Gesellschaft gegangen. Der Mensch hat sich entfremdet und die Aufnahme von Kultur ist aus dem Gleichgewicht geraten. Da es in der Welt Konflikte zwischen verschiedenen Zivilisationen gibt, ist eine neue, erweiterte Sicht der Dinge dringend notwendig. Die Rolle der Kunst und Philosophie ist es heute, die Wirklichkeit widerzuspiegeln und die Fragmentierung, die in unserer Gesellschaft entstanden ist, zu überwinden. Bis ins letzte Jahrhundert haben sich die Philosophen mit der Frage des Seins beschäftigt. Sie haben gefragt, was die Natur des menschlichen Lebens wirklich ist, und inwieweit das Verhalten des Menschen seinen Mitmenschen gegenüber einen Einfluss auf das Gute und das Böse haben kann. Im 21. Jahrhundert stehen wir vor einer neuen Herausforderung in der Form einer globalen Umweltkrise. 75 Zudem zwingen uns die Fortschritte in der Klon- und Gentechnik und weitere neue Errungenschaften wie das Ersetzen menschlicher Organe durch künstliche Apparate dazu, unsere Werte und Normen des gesellschaftlichen Miteinanders neu einzuschätzen. Die Umweltverschmutzung und die globale Erwärmung erfordern ein vereinigtes gemeinschaftliches Reagieren. Sich verändernde Ökosysteme bedrohen das nackte Überleben der menschlichen Rasse. Der einzige Weg nach vorn ist, sich gemeinsam als eine Welt der Krise zu stellen und zusammen zu denken und zu handeln. Anders ausgedrückt, wir müssen die Weisheit haben, mehr den Wald als nur die einzelnen Bäume zu sehen. In diesem Sinne hat Wonhyos Leben und Philosophie eine besondere Bedeutung für uns. Seine Philosophie gründet sich auf der Erkenntnis, dass jedes einzelne Leben wertvoll ist. Das Praktizieren und nicht das Theoretisieren ist der Schlüssel zu seiner Alles-Ein-Geist- und Hwajaeng Philosophie. 76 Auszüge aus Wonhyos Schriften Empfindsame Wesen und die Buddha-Natur sind nicht dasselbe, aber dennoch nicht verschieden. <금강삼매경론> Einer, der erkennt, dass er verblendet ist, ist nicht sehr verblendet, und einer der erkennt, dass er in der Dunkelheit ist, ist nicht in völliger Dunkelheit. <보살계본지범요기> Das Falsche verschwindet in sich selbst, während das Richtige sich selbst offenbart, genauso wie echtes Gold aus sich selbst heraus leuchtet, während eine Fälschung das nicht tut. <대승기신론소> Ich wünsche, Worte zu benutzen, um den Dharma darzulegen, der hinter den Worten ist, genauso wie einen Finger zu benutzen, um auf den Mond zu zeigen, der getrennt von dem Finger ist. <십문화쟁론> Wenn man Kleidung näht, braucht man eine kurze Nadel, und ein langer Speer ist nutzlos. Um den Regen abzuhalten, braucht man einen kleinen Schirm, und eine Abdeckung, die über den ganzen Himmel reicht, ist nutzlos. Deshalb sollten kleine Dinge nicht als unwichtig erachtet werden. Abhängig von ihrer wahren Natur sind sowohl kleine als auch große Dinge wertvoll. <미륵상생경종요> Hitze ist die elementare Natur der Sonne und Kälte die des Mondes. Wenn es nur die Sonne und keinen Mond gibt, werden die wachsenden Schösslinge 77 vertrocknen und nicht lange genug leben, um Frucht zu tragen. Aber wenn es nur den Mond und keine Sonne gibt, können die Schösslinge nicht wachsen und werden verfaulen. <범망경보살계본사기> Der tugendhafte Verdienst von Reue wird als rein und kühl gepriesen. Weil sie die Unreinheit, die die Ursache von Schlechtem ist, reinigt, ist sie rein. Da sie auf die Hitze von fleischlichem Begehren verzichtet, die vom endlosen Leben und Tod kommt, ist sie kühl. <금강삼매경론> Innerlich zu praktizieren bedeutet zu üben, den Geist in stiller Betrachtung zu beobachten. Äußerlich zu praktizieren bedeutet, aus der Beobachtung des Geistes herauszukommen und andere durch das Weitergeben der Lehre und Unterweisung zu transformieren. Ob man aus der Praxis der Beobachtung des Geistes herauskommt oder hineingeht, ist weder das eine noch das andere, weil die Praxis nicht vom Mittleren-Weg abweicht. <금강삼매경론> Die grenzenlose Weisheit des Mahayana (Großes Fahrzeug) ist ganz einfach das heilige Wissen von der Gleichheit aller Dinge. Weil es im `Nicht-Ich´ wohnt, gibt es nichts, was nicht `Ich´ ist. Weil es nichts gibt, das nicht `Ich´ ist, gibt es nichts, was es nicht gleichermaßen umfasst. Ermächtigt mit dem Wissen, dass alle empfindungsfähigen Wesen dieselbe ursprüngliche Natur haben, bringt es unzählige empfindungsfähige Wesen zur großen Erleuchtung. Deshalb wird es die grenzenlose Weisheit des Mahayana (Großes Fahrzeug) genannt. <무량수경종요> Einige Leute verkünden ihr Wissen, das auf wenig Erfahrung beruht, und freuen sich, wenn andere mit ihren Ansichten übereinstimmen. Aber wenn andere nicht 78 übereinstimmen, kritisieren sie diese. Sie sind wie Leute, die den Himmel durch ein hohles Schilfrohr betrachten. Sie behaupten, dass es gut ist, den Himmel durch ein hohles Schilfrohr anzuschauen und dass andere, die den Himmel nicht auf die gleiche Weise anschauen, den Himmel nicht sehen können. Dies ist die Verblendung, sich für weise zu halten, obwohl es ihnen an Einsicht und Erkenntnis fehlt und obwohl sie jene, die viel weiser sind, kritisieren. <보살계본지범요기> Während weise und heilige Männer viele tugendhafte Handlungen ausführen, widmen sie sich diesen sieben Übungen, um ihren Charakter zu bilden. Den Glauben, die Grundlage für viele Tugenden; das Geben, um den Gewinn zu verdoppeln; die Einhaltung von Regeln und Prinzipien, um Unglück leicht zu vermeiden; das Zuhören, um alles von Wert zu bewahren; die Reue, um das, was gut ist, zu ehren und zu vermehren; die Scham, um Boshaftigkeit weit von sich fernzuhalten; und die Weisheit, um die sechs Reichtümer zu verwalten und zu vermehren. <본업경소> Zu glauben bedeutet, überzeugt und ohne jeden Zweifel den Stand der Dinge zu bestätigen. In anderen Worten, wahrhaftig an die Existenz des Dharma zu glauben und daran zu glauben, dass es durch Üben und Praktizieren erreicht werden kann, und es unbegrenzte Tugend und Verdienst bringt, wenn einer es durch Üben und Praktizieren erreicht. <대승기신론소> Ein Hindernis ist eine Blockade auf dem Pfad, aber es bedeutet auch, dass etwas auf dem Pfad verdunkelt und schwer verständlich wird. Karmische Hindernisse blockieren den Pfad von empfindungsfähigen Wesen, sodass sie dem Kreislauf von Geburt und Tod nicht entfliehen können. Ein Hindernis umhüllt auch empfindungsfähige Wesen und verbirgt so das Nirvana. Aus diesen zwei 79 Gründen wird es „Hindernis“ genannt. <이장의> Die Geistesbeschaffenheit, die sich weder für eine Sünde schämt, noch sich vor der Sünde fürchtet, ist die Quelle von aller Nicht-Güte. <유가사지론> Wenn man eine dieser vier Verfehlungen begeht, kann man nicht mehr in der Gemeinschaft bleiben und muss diese verlassen. Die erste ist, sich selbst zu rühmen und andere herabzusetzen. Die zweite ist, mit seinem Wohlstand oder Wissen geizig zu sein und alles nur für sich behalten zu wollen, ohne mit anderen zu teilen. Die dritte ist, Groll im Herzen zu bewahren und die Entschuldigungen und Buße anderer nicht zu akzeptieren. Die vierte ist, den wahren Dharma zu kritisieren und Verwirrung zu stiften. <유가사지론> Wenn auch nur eine Tugend nicht voll ausgebildet ist, kann man keine vollkommene Erleuchtung erlangen. Um zur wesentlichen Sache zurückzukehren, muss man mit jeder Art von Disziplin ausgerüstet sein. <대승기신론소> Der Charakter einer großen Persönlichkeit ist erhaben und weit offen. Ihr Geist ist einfach und ohne Grenzen. So ein Geist nimmt Unglück und Glück in gleicher Weise gelassen auf und unterscheidet nicht zwischen dem „Ich“ und den „anderen“. Dieser Geist ist immer heiter und wonnig und Rechtschaffenheit ist seine Heimstatt. Folglich rühmt man sich nicht selbst und kritisiert andere, noch stellt man sich über und unterdrückt andere. <보살계본지범요기> 80 Das Erwecken von Glaube und Praxis Die Buddhas residieren herrlich und erhaben im Palast der Auslöschung, dem Nirvana, weil sie alle Anhaftungen aufgegeben haben und sich über lange Zeit in Entbehrungen geübt haben. Inzwischen sind unzählige empfindungsfähige Wesen im brennenden Haus, Samsara, wiedergeboren worden und weigern sich, ihre Gier nach zahllosen Äonen aufzugeben. Der Pfad zum Himmel ist frei, und doch erreichen ihn wenige, weil viele die drei Gifte8 und Verunreinigungen für Schätze halten. Viele überschlagen sich fast, um in die Reiche des Übels hineinzukommen, obwohl diese Reiche keine Anziehungskraft und Reize haben, weil sie die „Vier Elemente“9 und die „Fünf Begehren“10 als die Reichtümer des Geistes betrachten. Wer würde nicht gern in den Bergen leben und den Geist schulen und verfeinern? Und dennoch kannst du es nicht tun, weil du durch dein Begehren versklavt bist. Selbst wenn du nicht zu den Wäldern und Bergen zurückkehren kannst, um zu praktizieren, solltest du dein Bestes tun und niemals die Praxis der guten Taten aufgeben. Wenn du willentlich deine Begehren auf diese Weise aufgibst, wird dir wie den großen Weisen Vertrauen und Achtung entgegengebracht werden; und wenn du willentlich das Schwierige praktizierst, wirst du geehrt werden wie der Buddha. Materielle Dinge zu begehren und an sich zu raffen, ist die Art der Maras; Mitgefühl zu geben ist die Art des Königs des Dharmas. 8 Gier, Hass und Unwissenheit. 3 Die Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft bilden den physischen Körper. Den vier Elementen anzuhaften, heißt deshalb, dem Körper anzuhaften. 10 Das Begehren nach Nahrung, Ruhm, Wohlstand, Lust und Schlaf. 9 81 Hohe Berge und raue Gipfel sind da, wo weise Männer zu Hause sind. Grüne Kiefern und tiefe Bergtäler sind das Zuhause derer, die üben und praktizieren. Wenn sie hungrig sind, pflücken sie Früchte von den Bäumen, um einen leeren Magen zu beruhigen. Wenn sie durstig sind, löschen sie ihren Durst mit Wasser vom fließenden Bach. Obwohl wir diesen unseren Körper mit feinen Delikatessen füttern und ihn sorgfältig pflegen, ist es sicher, dass er uns am Ende im Stich lassen wird. Und obwohl wir ihn mit feinen Kleidern bedecken, wird die Zeit kommen, wenn unser Leben aufhört. Eine felsige Höhle, in der das Echo widerhallt, mache diese zu deiner Rezitationshalle. Die Wildgänse, die in der Einsamkeit schreien, mache diese zu den Gefährten deines Geistes. Obwohl deine Knie kalt und taub vom dauernden Gebeugtsein sind, denke nicht an ein Feuer. Obwohl sich dein leerer Magen anfühlt, als sei er von deinem Körper abgetrennt, denke nicht daran, nach Essen zu suchen. Bevor du es weißt, wirst du hundert Jahre alt sein, warum also das Lernen vernachlässigen? Könnte das Leben für uns jemals lang genug sein, um es untätig vergehen zu lassen und unsere Studien zu vernachlässigen? Wenn in deinem Herzen keine Sehnsucht mehr ist, bist du ein „Sramana“. Wenn man nicht mehr an weltliche Dinge denkt, entsagt man der Welt. Ein Praktizierender, der im Netz von Begehren und Wünschen gefangen ist, ist wie ein Hund, der in der Haut eines Elefanten steckt. Alle Buddhas sind traurig und bekümmert wegen jenen, die ein Heim in einem Dorf haben, auch wenn sie große Weisheit und Können erlangt haben. Über jene aber, die in den Tiefen des Gebirges verweilen, selbst, wenn sie nicht den Dharma praktizieren, freuen sich viele Heilige sehr. Einer, der den Regeln und Prinzipien nicht folgt, ist wie einer, der zu einem Platz mit einem Schatz geführt worden ist und dort stehen bleibt und nicht weiter geht. Wenn einer sorgfältig praktiziert, es ihm aber an Weisheit mangelt, so ist er wie 82 einer, der nach Westen reist, wenn er nach Osten gehen sollte. Der Weise dämpft Reis zum Essen, während ein Unwissender Sand dämpft. Jeder weiß, wie man einen hungrigen Magen durch etwas zu essen kuriert, aber dennoch weiß niemand, wie man die Unwissenheit des Geistes durch das Erlernen des Dharmas behebt. Weisheit und Übung sind wie die zwei Räder eines Karrens. Sich selbst und anderen Gutes tun sind wie die zwei Flügel eines Vogels. Du kannst Gebete anbieten, nachdem du deinen Reis bekommen hast, aber, wenn du die Bedeutung deiner Worte nicht kennst, ist es dann nicht etwas, wofür man sich vor dem Geber schämen muss? Auch wenn du dein Opfergebet bei einer Mahlzeit chantest, und du verstehst seine Wichtigkeit nicht, ist das nicht auch etwas, wofür man sich vor den Weisen schämen müsste? Maden werden gehasst, weil sie nicht zwischen sauber und schmutzig unterscheiden. Bodhisattvas haben keine Freuden an Mönchen, die nicht zwischen reinen Handlungen und Handlungen, die gegen die Regeln und Prinzipien sind, unterscheiden können. Wenn man sich wünscht, das Chaos der Welt hinter sich zu lassen, in eine höhere Sphäre aufzusteigen und im Himmel geboren zu werden, dann sind die Regeln und Grundsätze eine gute Leiter. Wenn man anstrebt, für andere ein Feld von Verdiensten zu sein, während man selbst gegen die Regeln verstößt, so ist das, als würde ein Vogel mit gebrochenen Flügeln und eine Schildkröte auf dem Rücken tragend zu fliegen versuchen. 11 Wenn du noch im Schatten deiner eigenen Sünden stehst, kannst du andere nicht von den ihren befreien. Deshalb, wenn du den Regeln nicht folgst und die Prinzipien nicht einhältst, wie kannst du dann Achtung und Opfergaben von einem anderen entgegennehmen? Es bringt keinen Gewinn, einen leeren Körper zu nähren, der nicht den Geist schult und 11 Mönche arbeiten nicht, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sondern sind abhängig von den Opfergaben der Laien-Anhänger. Meister Wonhyo macht jenen Vorwürfe, die sich nicht an die Regeln halten, aber trotzdem Opfergaben annehmen. Einem Praktizierenden, der gut studiert, eine Opfergabe zu geben, wird zu einem Verdienst; daher sind sie „ein Feld von Verdiensten“, die anderen Gelegenheiten geben, gute Taten zu tun. Spenden an Praktizierende, die schlecht studieren, werden nicht zu Verdiensten. Dies hier ist eine strenge Zurechtweisung von solchen Praktizierenden, die diese Tatsache ignorieren. 83 weiterbildet, und es ist schwierig, ein flüchtiges und fruchtloses Leben zu bewahren, wie sehr man auch immer dazu neigt. Wenn du den Tugenden der großen Meister nacheifern willst, musst du willentlich großes Leid auf dich nehmen. Um den Löwensitz 12 anzustreben, musst du dich für immer von den Fünf Begehren abwenden. Wenn der Geist eines Praktizierenden rein ist, bewundern das die Himmel, aber wenn einer, der auf dem Pfad wandelt, seinen Geist lustvollen Gedanken zuwendet, werden ihn die guten Geisterwesen verlassen. Die Vier Elemente werden unerwartet auseinanderfallen, und du wirst sie nicht lange zusammenhalten können. Bald wird es Abend sein und wir hätten seit dem Morgengrauen praktizieren sollen! Wenn man sich den Annehmlichkeiten dieses Lebens hingibt, wird das Leiden in einem späteren Leben bringen. Warum also sollten wir uns nach ihnen sehnen? Wenn wir uns der Genüsse enthalten, und sei es nur einmal, so wird das bleibende zukünftige Freuden bringen. Warum sollten wir dann nicht unseren Geist schulen und verfeinern? Die Begehren eines spirituell Suchenden sind die Schande eines Praktizierenden, und der Reichtum von einem, der der Welt entsagt hat, ist eine Quelle von Spott für das weltliche Volk, das er hinter sich gelassen hat. Obwohl wir andauernd mit endlosen Worten gewarnt werden, können wir nicht von unseren Begehren lassen. Obwohl wir dauernd Entschlüsse fassen, können wir unsere Anhaftungen nicht abtrennen. Obwohl es nichts zu verlieren gibt, ist niemand willens, die weltlichen Angelegenheiten loszulassen; und obwohl es kein Ende der Verblendung gibt, kann sich niemand dazu bringen, seine Bande zu zerschneiden. Das Heute ist noch nicht zu Ende, doch ist es schon von vielen Sünden befleckt. So sind die Tage der Sünden viele, und es gibt kein Ende der Morgen, an denen wir die Konsequenzen unserer Handlungen auf uns nehmen müssen. Und dennoch sind die Tage der guten Taten wenige. Obwohl das Jahr 12 Der Sitz, von dem aus Buddha oder erleuchtete Meister Dharma-Vorlesungen halten. 84 noch nicht zu Ende gegangen ist, ist es voller Leiden, weil wir unaufhörlich gesündigt haben. Obwohl noch viele Jahre kommen werden, pflegen und vergrößern wir die Weisheit nicht und bereiten uns nicht auf die Zukunft vor. Stunde um Stunde vergeht und der Tag ist schnell vorbei. Tage vergehen und schon ist der letzte Tag des Monats da. Die Monate vergehen, und ein neues Jahr liegt vor uns. Die Jahre vergehen und bald stehen wir an der Schwelle zum Tod. Genau, wie eine zerbrochene Karre nicht fahren kann, können wir im Alter nicht praktizieren. Und doch sitzen wir in passiver Faulheit herum und erlauben unseren Gedanken auf Wanderschaft zu gehen. Die Leben, die wir praktizierend verbracht haben, sind wenige, und doch praktizieren wir heute nicht und lassen die Zeit vergeblich verstreichen. Wie vergeblich dieser Körper ist, und trotzdem nutzt du diese Leben nicht, um zu studieren und zu lernen. Dieses Leben wird bald zu Ende gehen, und wenn das Ende kommt, ohne dass du praktiziert und geübt hast, was für einen Körper wirst du als nächsten erhalten? Ist es nicht ernst? Fürchtest du dich nicht? 85 Autor: Jeong, Byeong-Jo Professor Jeong absolvierte das Studium für indische Philosophie an der Dongguk-Universität in Seoul und promovierte im Jahr 1986. Seine Dissertation trägt den Titel „Studie über Mañjuśrī Bodhisattva”. Seit 1980 ist er Professor an der Fakultät für Ethical Culture an der Dongguk-Universität. Er war ein ehrmaliger Vizepräsident der Universität. Zwei Jahre verbrachte er als Gastprofessor an der Nehru-University in Indien (1984-1986). Als Präsident und Vorsitzender des Korea Institut of Buddhist Studies (KIBS) bemüht er sich den akademischen Austausch zwischen Korea, USA und Europa im Bereich der buddhistischen Studien zu fördern. Seine Werke umfassen A History of Indian Philosophical Thought, Theory on the History of Buddhist Culture, Practical Buddhism, A History of Korean Buddhist Thought. Seine Veröffentlichungen umfassen “Study on Avalokitesvara with Eleven Faces”, “Study on Woncheuk’s Praise to Heart Sutra”, und “Study on the Layperson’s Buddhist Movement in Modern Korea.“ 86 87