Inkohärenz des Gottesbegriffs?

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Inkohärenz des Gottesbegriffs?
Theodizee-Problem, Theologie und Naturwissenschaften
»Suche nach relevanten Widersprüchen, um bisherige Überzeugungen dem Risiko des Scheiterns auszusetzen,
so dass sie Gelegenheit haben, sich zu bewähren.« [Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft]
1 Das Kriterium der logischen Widerspruchsfreiheit
Eine Aussage/Aussagensystem ist logisch widerspruchsfrei
genau dann, wenn sie/es
in sich keinen Widerspruch enthält
=
Konsistenz/interne Widerspruchsfreiheit
&
keiner anderen gültigen Aussage widerspricht
=
Kohärenz/externe Widerspruchsfreiheit
⇓
Der Glaube an Gott ist logisch widerspruchsfrei genau dann, wenn
der Gottesbegriff konsistent ist,
d.h. in sich keinen Widerspruch enthält,
&
der Gottesglaube kohärent ist,
d.h. keiner anderen gültigen Aussage widerspricht.
Exkurs: Warum sich an die Regeln der Logik halten?
Die Logik ist eine sog. axiomatische Theorie.
→ Verbindlichkeit der Logik ist zwingend nicht begründbar.
→ Verzicht auf die Einhaltung logischer Regeln bzw. Zulassung von Widersprüchen ist grundsätzlich
möglich. (vgl. non-kognitive Rede von Gott!)
Aber: Verzicht auf die Einhaltung logischer Regeln bzw. Zulassung von Widersprüchen kommt der
Verabschiedung von Intelligibilität, Wahrheits- und Kritikfähigkeit gleich.
→ Wenn religiöse Rede rational, d.h. verständlich, wahrheits- und kritikfähig, sein soll, kann auf
die Einhaltung logischer Regeln nicht verzichtet werden. Insbesondere dürfen religiöse Aussagen
keine Widersprüche enthalten.
2 Inkohärenzverdacht Nr. 1: Leid und Übel
Theo-dizee
=
Theodizee-Problem =
Rechtfertigung
Gottes
angesichts von Leid und Übel
Rechtfertigung des Glaubens an Gott angesichts von Leid und Übel
2.1 Die (logische) Struktur des Problems
Prämisse0 :
Prämisse1 :
Prämisse2 :
Gott existiert.
Gott ist sittlich vollkommen.
Gott ist allmächtig.
→
→
Konklusion1 :
Konklusion2 :
Gott will Übel und Leid verhindern.
Gott kann Übel und Leid verhindern.
Konklusion:
Erfahrung:
Es gibt kein Übel und Leid.
Es gibt Übel und Leid.
1
Zur Beachtung: Die Prädikate der sittlichen Vollkommenheit und der Allmacht Gottes ergeben
kein inkonsistentes Gottesbild. Der Widerspruch entsteht, wenn der logische Schluss von der NichtExistenz des Leids mit der (empirischen) Wahrnehmung konfrontiert wird. Erfahrungsgemäß gibt es
nämlich Übel und Leid in der Welt. → Inkohärenzverdacht
2.2 Lösungsansätze
Zu zeigen ist, dass die Annahme der Existenz Gottes zur Erfahrung von Leid und Übel nicht im Widerspruch steht.
#1: Uminterpretation/Verschiebung des Problems:
Theodizee-Problem 6= theoretisches Problem → praktisches Problem des Umgangs mit Leid
Fehler: unzulässige Vermischung zwei unabhängiger Fragen (Theorie versus Praxis) → 7
#2: Abänderung einer der Prämissen:
a. Prämisse0 : Gott existiert. = Atheismus → 7
b. Prämisse1 : Gott ist sittlich vollkommen. = Gott ist böse. → 7
c. Prämisse2 : Gott ist allmächtig. = Gefahr des Dualismus bzw. Begrenzung Gottes → ?
#3: Reductio in mysterium:
Lösung existiert, sie ist aber uns (zumindest aktuell) nicht erkennbar.
→ 3: Falls Gottes Existenz zwingend bewiesen, ist Gott Garant der Lösung.
→ 7 : Falls Gottes Existenz fraglich, ist das Theodizee-Problem ein starkes Argument gegen die
Rationalität des Glaubens an Gott.
#4: Einführung von Zusatzannahmen:
Idee: Finde einen realen Sachverhalt (= Prämisse∗ ), der (1) mit Gottes Güte und Allmacht vereinbar ist, (2) zusammen mit diesen aber nicht zur Konklusion der Nicht-Existenz von Übel und Leid führt.
→ Argument der Willensfreiheit:
Prämisse∗
Menschen handeln und
entscheiden zumindest
manchmal frei.
→
Konklusion∗
→
Konklusion∗∗
Willensfreiheit impliziert die
Möglichkeit moralischen Übels.
Willensfreiheit setzt die Absehbarkeit
der Folgen von Handlungen voraus.
= Naturgesetze → natürliches Übel
Prämisse0
Prämisse1
Gott existiert.
Gott ist sittlich vollkommen.
→
Konklusion1
Prämisse2
Gott ist allmächtig.
→
Konklusion2
Gott will Übel und Leid verhindern.
Aber Gott will auch Willensfreiheit.
Gott kann Übel und Leid nur verhindern,
sofern dies mit der Willensfreiheit
vereinbar ist.
Konklusion
Es gibt Übel und Leid.
2
→ Kritik:
- Sind wir überhaupt frei? (Prämisse∗ ) → ?: Die moderne Hirnforschung erklärt die Willensfreiheit
für eine Illusion. [Aber: Greift der Quantenindeterminismus auf neuronaler Ebene und ist er nicht
mit Willkür gleichzusetzen, wäre die Frage nach der Willensfreiheit neu zu stellen!]
- Muss Willensfreiheit die Möglichkeit moralischen Übels implizieren? Wären freie Wesen nicht
vorstellbar, die ihre Freiheit niemals missbrauchen? (Konklusion∗ ) → 7: Wenn die Möglichkeit
moralischen Übels im Voraus ausgeschlossen wäre, wären wir nicht mehr frei, uns für das moralisch
Falsche zu entscheiden.
- Könnten die Naturgesetze nicht anders beschaffen sein? (Konklusion∗∗ ) → 7: Wären die Naturgesetze anders beschaffen, dann gäbe es uns nicht.
- Ist die Willensfreiheit so wertvoll, dass sie das Ausmaß von Leid rechtfertigen kann? → ?
3 Inkohärenzverdacht Nr. 2: Das Weltbild der Naturwissenschaften
Vorgeschichte: Fall Galilei/Fall Darwin
→ Entstehung bzw. Verselbstständigung der Naturwissenschaften zu Beginn der Neuzeit
3.1 Die (logische) Struktur des Problems
theologische Aussagen
↔
naturwissenschaftliche Theorien
über
?
über
Entstehung des Universums
↔
Entstehung des Universums
Beschaffenheit des Universums
?
Beschaffenheit des Universums
Entstehung und Entwicklung von Leben
↔
Entstehung und Entwicklung von Leben
den Menschen
?
den Menschen
? Machen die Naturwissenschaften die Theologie überflüssig? (Relevanz?)
? Widersprechen Naturwissenschaften und Theologie einander notwendigerweise? (Inkohärenz?)
? Sind Theologie und Naturwissenschaften schon allein aus rein methodologischen Gründen unvereinbar? (Autorität versus Argumente?)
3.2 Lösungsansätze der Verhältnisbestimmung
#1 Entweder - Oder (Konkurenzmodell)
Zwischen Naturwissenschaften und Theologie besteht ein unüberwindbarer Widerspruch auf sachlicher wie auf methodologischer Ebene. (Autorität der Offenbarung contra Freiheit der Argumentation)
Kritik:
→ Instruktionstheoretisches Offenbarungsmodell ist überholt und erkenntnis- bzw. rationalitätstheoretisch äußerst problematisch.
3
#2 Sowohl - Als auch (Trennungsmodell)
Naturwissenschaften und Theologie behandeln zwei ontologisch, d.h. ihrem Wesen nach, völlig isolierte Bereiche. Deshalb sind auch die jeweiligen Methoden völlig verschieden. Da es keine
Überlappungen gibt, kann es auch keine Konflikte geben (Ignoranz der Naturwissenschaften).
Kritik:
→ These von der einen objektiven Wahrheit wird aufgegeben. (Unvereinbarkeit mit Realismus)
→ Liefert zerbröckeltes, inkohärentes Weltbild.
→ Theologische Aussagen verlieren den Rationalitätsanspruch (im Sinne des Kritizismus).
→ Tendenz zur Desintegration der Person. Existentielle Fragen können von naturwissenschaftlichen Aussagen nicht völlig abgetrennt werden. (→ Alltag, Mensch als Teil der Natur)
#3 Plädoyer für Dialog (Interaktionsmodell)
Kritizistisches Rationalitätsmodell → Theologie und Naturwissenschaften liefern nur zusammen
ein kohärentes Weltbild:
- Theologie ist ein metaphysisches Theoriesystem, ihrem Zuständigkeitsbereich gehören per
definitionem nicht-falsifizierbare, d.h. nicht-empirische Theorien an. Insbesondere soll also
die Theologie über die Gültigkeit einer falsifizierbaren, d.h. empirischen, Hypothese nicht
urteilen dürfen.
- Genauso können die Naturwissenschaften nur über die Geltung ihrer eigenen, d.h. falsifizierbaren Lösungsansätze entscheiden. Sobald es um metaphysische Fragestellungen geht,
müssen sie differenzieren.
& These der einen objektiven Wahrheit impliziert die Kohärenz aller Theoriesysteme. Eine
Isolierung der Disziplinen ist folglich nicht nur nicht wünschenswert sondern grundsätzlich
unzulässig. Entwickeln sich nämlich die verschiedenen Theoriesysteme voneinander unabhängig, gerät das Prinzip der logischen Widerspruchsfreiheit und so die Wahrheitsfähigkeit
des von den Theoriesystemen gelieferten Weltbildes außer Kontrolle.
→ Notwendigkeit des gegenseitigen Dialogs!
»Es ist eine Pflicht der Theologen, sich regelmäßig über die wissenschaftlichen Ergebnisse zu
informieren, um eventuell zu prüfen, ob sie diese in ihrer Reflexion berücksichtigen oder ihre
Lehre anders formulieren müssen.« [Johannes Paul II.]
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Prüfungsfragen
Unterrichtsfach
- Theodizee-Problem - Fels des Atheismus? Diskutieren Sie theologische Lösungsvorschläge! (F2003)
- Theodizee. Erläutern Sie den Begriff, skizzieren Sie die Problemstellung und diskutieren Sie
wichtige Lösungsansätze! (F2009)
- Christlicher Glaube und moderne Naturwissenschaft. Erläutern Sie das Konfliktpotential in der
Beziehung zwischen Glaube und Wissenschaft und deuten Sie Lösungsmöglichkeiten an! (F2007)
LA vertieft
- Wie vermag die christliche Theologie angesichts der katastrophalen Leidensgeschichte der Menschheit glaubwürdig von Gott zu reden? Geben Sie einen Überblick über die wichtigsten Ansätze
zum theologischen Umgang mit der Theodizee-Frage! (H2005)
- Skizzieren Sie das Theodizee-Problem und diskutieren Sie Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen!
(H2007)
- Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, exemplifiziert an der Debatte um Kreationismus und
Intelligent Design. (H2008)
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