Sport als Antidepressivum Welchen Einfluss hat regelmässige körperliche Aktivität bei Personen mit einer depressiven Störung? Donnerstag, 23. Februar 2017, 19-20 Uhr Universitäre Psychiatrische Kliniken Plenum 1, Campus UPK Basel, Schweiz Serge Brand, PD Dr phil Zentrum für Affektive-, Stress- und Schlafstörungen (ZASS) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 1 Damals, im Zweistromland...... Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 2 Gilgamesch-Epos ca. 5000 – 4500 Jahre vor unserer Zeit Altbabylonisches Helden-Epos Gilgamesch verliert im Kampf seinen Weggefährten Enkidu Tiefe Trauer, Wollte für längere Zeit alleine bleiben Weinte um Verlust des Freundes Vom Kämpfen zurückgezogen Kümmerte sich um nichts mehr Verwahrlosung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 3 Eckpfeiler der Entwicklung des homo sapiens ca. 8 Mio. Jahre Gemeinsamer Vorfahre von Affen u. späteren HS ca. 4.4 Mio. Jahre Aufrechter Gang ca. 1.8 Mio. Jahre Pläistozän; Gruppen von ca. 8-15 Familien/ca. 100-130 Individuen; Afrika, Asien (Out-of-Africa I) AUFBAU SOZIALER HIERARCHIEN UND NETZE ca. 1.2 Mio. Jahre Hirnexpansion; von ca 450cm3 – 700cm3 ca. 1 Mio. Jahre Europa, Naher Osten (Out-of-Africa II) ca. 500‘000-100‘000 J. Hirnexpansion; von ca. 700cm3 auf ca. 1250cm3 ca. 66‘000 Jahre Out-of-Africa III: Afrika, Europa, Asien, Amerika, Australia 12‘000 Jahre Ackerbau, Viehzucht, Sesshaftwerdung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 4 Eckpfeiler der Entwicklung des homo sapiens Was hat dies mit einem Zustand der Depression zu tun? ca. 1.8 Mio. Jahre (...) 12‘000 Jahre Pläistozän; Gruppen von ca. 8-15 Familien/ ca. 100-130 Individuen AUFBAU SOZIALER HIERARCHIEN UND NETZE Ackerbau, Viehzucht, Sesshaftwerdung Verhalten einer Person mit depressiver Störung: Sozialer Rückzug Mimik der Trauer Gestik und Körperhaltung der Wehrlosigkeit Verringerte Interaktion Ruminieren/Gedankenkreisen (über soziale Gefüge) ⇒ SIGNALE DER UNTERWERFUNG/SUBORDINATION UND ‚GEFAHRLOSIGKEIT‘ ⇒ ‚Gefahrlosigkeit‘ = Gegenteil der Aggression/Gefahr für andere ⇒ Mobilisieren der Ressourcen der Gruppenmitglieder Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 5 Eckpfeiler der Entwicklung des homo sapiens Depression als Ressource Verhalten einer Person mit depressiver Störung: Sozialer Rückzug, Mimik der Trauer Gestik und Körperhaltung der Wehrlosigkeit Verringerte Interaktion Ruminieren/Gedankenkreisen (über soziale Gefüge) ⇒ SIGNALE DER UNTERWERFUNG/SUBORDINATION UND ‚GEFAHRLOSIGKEIT‘ ⇒ ‚Gefahrlosigkeit‘ = Gegenteil der Aggression gegen/Gefahr für andere ⇒ Mobilisieren der Ressourcen der Gruppenmitglieder ⇒ Depression als Ressource, um: ⇒ Ressourcen von anderen zu mobilisieren ⇒ Signale der Non-Aggression zu zeigen ⇒ Hierarchien einzuhalten Problem: Kernstrategie der Depression und heutige Lebensweise sind in der Regel nicht kompatibel Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 6 Epidemiologie Lebenszeitprävalenz (weltweit): 4-20% 5-10% der Bevölkerung entwickelt in den nächsten 12 Monaten eine Depression Frauen gegenüber Männern doppelt so häufige Diagnosen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 7 Körperliche Aktivität, Sport Begriffliches Körperliche Aktivität (KA) = Aktivität der Skelettmuskulatur Sport = KA: zielgerichtet, systematisch, spezifisch, regelmässig; oft im Vergleich mit vorheriger eigener Leistung/Leistung anderer Personen/Normen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 8 Inaktivität = ‚Rauchen‘ des 21. Jhd Ekelund et al 2016; Inaktivität, Aktivität, verfrühtes Mortalitätsrisiko Ekelund et al 2016 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 9 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Ja, falls die ‚Pille‘ eingenommen wird........ 3 x 20 Patienten mit schwerer MDD; stationär Standardmedikation: Antidepressivum (citalopram) 4 Wochen; 3x/Woche 45‘ Fahrradergometer Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 10 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Salehi et al 2016; Hamilton scores ECT = electroconvulsive therapy AET = aerobic exercise training Salehi et al 2016 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 11 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Salehi et al 2016; BDNF ECT = electroconvulsive therapy AET = aerobic exercise training Salehi et al 2016 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 12 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Mota-Pereira et al 2011; treatment-resistant Mota-Pereira et al 2011 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 13 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Mota-Pereira et al 2011; treatment-resistant Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 14 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Mota-Pereira et al 2011; Fremdeinschätzung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 15 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Mota-Pereira et al 2011; Fremdeinschätzung GAF = Global Assessment of Functioning Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 16 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Non-Response, Response, Remission GAF = Global Assessment of Functioning Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 17 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Kvam et al 2016; Meta-Analyse Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 18 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Kvam et al 2016; Meta-Analyse Resultate von Kvam et al (2016) KA gegenüber keiner Intervention: KA gegenüber ‚usual care‘: KA gegenüber Psychotherapie (CBT): KA gegenüber Antidepressiva: deutliche Vorteile moderate Vorteile keine Vorteile keine Vorteile KA zusätzlich zu Antidepressiva: moderate Vorteile WICHTIG! KEINE VORTEILE = KEINE NACHTEILE! Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 19 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Razazian et al 2016; Multiple Sclerose Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 20 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Ja, falls die ‚Pille‘ eingenommen wird........ Razazian et al 2016 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 21 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Welche ‚Dosis‘? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 22 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Welche ‚Dosis‘? 3x KA pro Woche 30-45‘/Einheit Zwischen 6 bis 9 Wochen Moderate KA In Gruppen oder individuell Unter Anleitung/Supervision Stanton and Reaburn 2014 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 23 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Welche ‚Dosis‘? – Sollen Patienten selbst pace wählen? Meyer et al 2016 sind dieser Frage nachgegangen N = 24 Frauen mit MDD; Alter: 39 Jahre; 4 x 30‘ Fahrradergometer selbstgewählte Intensität vs. vorgegebene Intensitäten Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 24 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Jede Form von Depressionsschwere? Joseffson et al 2014 (Meta-Analyse) Leichte und mittelschwere MDD; Patienten, die willens und fähig sind, an PA-Programmen teilzunehmen Schwere MDD: Als Zusatztherapie; nicht als Haupttherapie Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 25 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Wieso sollte regelmässige KA auf MDD wirken? Physiologische Faktoren (Deslandes, 2014): › Ausschütten von Botenstoffen, die Stimmung beeinflussen › Stärkung des Organismus › Vermehrte Blutbahnen in Hirn (= mehr Sauerstoff und Glukoseversorgung) › Regulierung Schlaf-Wachrhythmus › Stärkung des Immunsystems › Mitochondrien-Aktivität, usw. › Abbau von (überschüssigem) Körperfett Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 26 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Wieso sollte regelmässige KA auf MDD wirken? Psychologische Faktoren (Knapen et al 2015) › Selbstwirksamkeit › Stolz › Stimmungsaufhellung › Grübeln/Ruminieren verringert sich › Erlebniserfahrung vergrössern › erhöhte Stressresistenz › Tagesstrukturen › Lebensqualität › geringere Kalorienzufuhr = bessere Kontrolle über Essverhalten GANZ WICHTIG! › Kognitive Leistungen (Arbeits-, Langzeitgedächtnis, Aufmerksamkeit) nehmen zu (Oertel-Knoechel et al 2014) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 27 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Ist die kardio-respiratorische Fitness wichtig? Ja Hmmm, doch wieso? Patienten mit MDD erhöhtes Risiko für: › Übergewicht › Diabetes › Somatoforme Störungen › Nikotinmissbrauch › cardio-vaskuläre Beschwerden › oft in Verbindung mit reduzierten kognitiven Leistungen (!) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 28 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Zusammenfassung MDD aus evolutionspsychologischer Sicht eine ‚schlaue‘ Taktik: › Geringerer Ressourcenverbrauch › Soziale Signale der Unterwerfung und v.a. der ‚Harmlosigkeit‘ › Ressourcen der Gruppenmitglieder werden mobilisiert › Problem des mismatch: evolution vs. lifestyle der letzten 12‘000 Jahre Körperliche Aktivität (KA) hat einen günstigen Einfluss auf › Physische Aspekte einer MDD › Psychische Aspekte einer MDD Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 29 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Zusammenfassung Günstige Interventionen: 3x/Woche 30-50‘ Moderate Belastung Sanfter Druck/Motivation, sich ein wenig mehr zu belasten als empfunden (Meyer et al 2016) 6-9 Wochen Unter Anleitung In Gruppen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 30 Ist körperliche Aktivität ein Antidepressivum? Zusammenfassung Leichte und mittelschwere MDD: KA besser als keine Intervention KA keine Vor- und Nachteile gegenüber Psychotherapie u Antidepressants Schwere MDD: Als Zusatztherapie Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 31 DANKE AN ZASS (Zentrum für Affektive-, Stressund Schlafstörungen) Prof Dr med E Holsboer-Trachsler Nadeem Kalak PhD Thorsten Mikoteit MD Christine Haselbach Gözde Üstkan Marielle König Vladimir Djurdjevic DSBG (Dep Sport, Bewegung und Gesundheit) Uwe Pühse PhD Markus Gerber PhD Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 32 DANKE AN Kooperationspartner im Iran Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 33 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Viel Erfolg, viel Erholung, und viel Spass an der Bewegung! Serge Brand [email protected] [email protected] researchgate.net/profile/Serge_Brand http://www.upkbs.ch Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 24.02.17 34