Werbung im Wandel der Zeit September 2010 Wer sich an die Werbung der 70erJahre erinnert, dem fällt als Erstes immer die Waschmittelwerbung ein: Es gab den Persil-Mann, es gab Klementine, es gab Fakt (die Faust, die den Grauschleier einfach wegriss). Werbung in den 80er-Jahren überschreitet häufig die Grenzen des guten Geschmacks: Oliviero Toscani etwa entwarf von 1984 bis 2000 für Benetton spektakuläre, aber auch äußerst umstrittene Werbekampagnen, die das Markenimage des italienischen Modeherstellers prägten. (Foto oben Mitte: Österreichische Nationalbibliothek) ginnt, die Unternehmen müssen sich immer mehr einfallen lassen, damit ihr Produkt unter den Tausenden TVSpots, Anzeigen und Radiowerbungen überhaupt noch wahrgenommen wird. Mit der Folge, dass Werbung immer extremer wird. Sie nutzt sexuelle Anspielungen wie im Fall von Duschgel, Körperlotion oder Bier. Sie bricht Tabus, wie die Benetton-Werbung, bei der Modefotograf Oliviero Toscani auf Provokation setzt. Das ist ihm mit der Abbildung blutverschmierter Neugeborener, sterbender Aidskranker und zerfetzter Uniformen zweifellos gelungen. Letzter Höhepunkt im Kampf gegen die Abstumpfung: die „Geiz ist geil“-Kampagne von Saturn. Der Slogan wird nicht mehr gesprochen, sondern gebrüllt. Aus Sicht vieler Werber ist der Auftritt so plump und laut, dass man den Konsumenten danach nur mit noch plumperen und lauteren Kampagnen erreichen könne. Dies führe früher oder später zu einem Niveauverlust in der Werbung und damit als Folge auch zu einer schwindenden Akzeptanz beim Konsumenten. Promis und neue Schönheitsideale Gerne setzt Werbung auf die Wirkung von Prominenten. Franz Beckenbauer stellte sein Gesicht für fast alles zur Verfügung. Er warb für Adidas, O2, Brauerei Erdinger, die Postbank oder den Energieversorger EnBW. Unser Top-Model Heidi Klum machte Werbung für Mc Donald‘s oder den Volkswagen Tiguan. Thomas Gottschalk ist nicht nur ein Synonym für „Wetten dass ...?“, sondern auch für die Goldbärchen von Haribo. Bereits in den 70er-Jahren warb „Klimbim“Star Ingrid Steeger für ein Rasierwasser, Elke Sommer für Seife und Heinz Rühmann für Weinbrand. Aber erst die heutige Zeit machte es möglich, dass Verona Poth, vormals Feldbusch, zur Werbe-Ikone wurde. Die Telefonauskunft von Telegate brachte sie mit dem Slogan „Da werden Sie geholfen!“ zu absoluter Popularität, die Spinatwerbung des Herstellers Iglo lebt von ihrem Spruch „Wann macht er denn endlich Blubb?“. Die prominenten Gesichter sollen Marken bekannt machen, Images aufpolieren oder den Absatz ankurbeln. Oft aber werben MUM die Stars für so viele Produkte, dass der Konsument den Überblick verliert. Je größer zudem das Aufgebot in der Werbung wird, desto geringer ist die Wirkung. Die Folge: Lediglich der Prominente profitiert von der Werbepräsenz, während die Marke gar nicht mehr wahrgenommen wird. Oder anders gesagt: Die berühmte Person überstrahlt das Produkt. Da verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Deutschen Promiwerbung satt hat. Nach einer Umfrage, in Auftrag gegeben von der Hamburger Beratung Faktenkontor, wollen vier von fünf Bundesbürger keine Spots oder Anzeigen mit Celebrities mehr sehen. Solche Testimonials werden aber nicht nur abgelehnt, sie haben anscheinend auch nicht die gewünschte Wirkung. Denn die große Mehrheit der Befragten lässt sich eigenen Aussagen zufolge von den prominenten Markenbotschaftern nicht beeinflussen. Holger Jung von der Werbeagentur Jung v. Matt brachte es einmal auf den Punkt: „Jemand wie Frau Feldbusch wird von Mal zu Mal teurer, aber auch von Mal zu Mal schwächer.“ Und das war vor der schlagzeilenträchtigen Insolvenz ihres Mannes, mit der auch ihr Werbewert sank. Einen neuen Weg ging vor ein paar Jahren der Kosmetikhersteller Dove. Die Anzeigenkampagne für AntiCellulite-Cremes wurde nicht mehr von superdünnen Modelkörpern präsentiert, sondern von Frauen mit normalen Rundungen. Der Slogan lautete: „Es ist keine große Kunst, die Haut von Supermodels zu straffen!“ Die Nachfolgekampagne „Jede Haut ist schön!“ setzte die eingeschlagene Richtung fort: Frauen mit nicht makelloser Haut, mit Narben, Muttermalen oder Tattoos wurde als Testimonials gewählt. Mit Erfolg, denn die Frauenwelt fühlt sich verstanden und ließ den Umsatz in die Höhe schießen. Mitmachwerbung im Trend Engagement-Marketing, Participatory Advertising, Brand as a Friend, Involvement-Marketing, Mitmachwerbung oder User Generated Advertising – alles Begriffe, die für ein neues Werbephänomen im Internet stehen. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass die heutigen Internetnutzer nicht mehr nur stillschweigend Informationen konsumieren, sondern sich aktiv beteiligen möchten. Der neue Trend greift diese Mitmachbereitschaft der Nutzer auf. Werbung soll den Konsumenten nicht berieseln, sondern ihn dazu anregen, sich mit dem beworbenen Produkt auseinander zu setzen. Dazu werden dialogbasierte Maßnahmen gestartet, die den Nutzer aktiv mit Themen, für die die Marke steht, interagieren lassen. Die Produktwerbung selbst tritt in den Hintergrund. „Rübergeschwappt“ ist die neue Werbeform aus den USA. Firmen wie Dove, Heinz oder Kentucky Fried Chicken veranstalteten Wettbewerbe, bei denen Laien sogar für den ganzen Spot zuständig waren. Die Belohnung: Eine Prämie und – wie im Fall der Dove-Contest-Gewinnerin – die Ausstrahlung in der Werbepause der Oskar-Verleihung. In vielen Fällen finden die selbst gedrehten Reklamefilme den Weg auf Youtube & Co., wo sie so das Kalkül der Werbeindustrie tausendfach abgerufen werden. Dieser „virale Effekt“ ist erwünscht. Für die Firmen bedeutet die Mitmachwerbung leicht gespartes Geld. Produkte können auf diese Weise rasch Kultstatus erlangen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen Marktforschungs- und Marketingkosten einsparen. Und: Diese Form der Werbung soll die Lösung für das Hauptdilemma der Branche bringen. Tag für Tag werden die Kunden mit Werbung vollgestopft, wahrgenommen werden nur noch wenige Botschaften. Etwa 95 Prozent aller täglich gesendeten Spots verpuffen, behaupten kritische Stimmen. Durch die Mitmachwerbung beschäftige sich der Kunde aber mit dem Produkt und verbreite seine Botschaft auch noch selbst. Natürlich bergen solche Kampagnen Risiken, so sind die Reaktionen der Konsumenten oftmals unberechenbar, unter Umständen kann ein falsches oder ungewolltes Bild einer Marke vermittelt werden und die Qualität solcher Inhalte entspricht manchmal nicht dem Standard, den man sich als Unternehmen wünscht. Entsprechend zögerlich zeigen sich die Werbeverantwortlichen in Deutschland. Sie hätten immer noch Hemmungen, sich dem unberechenbaren Urteil der Kunden auszusetzen, behauptet Martin Oetting, Partner der Werbeagentur trnd. Dass Mitmachwerbung der richtige Weg sein kann, hat allerdings die BMW-Tochter Mini bewiesen. Mangels Budget starteten die Münchner einen Reklamewettbewerb im Netz. Die teils schrägen und komischen Spots gerieten zur Erleichterung des Vertriebsleiters Hans-Peter Kleebinder fast ausnahmslos zu Liebeserklärungen an den Kultwagen. Das Gesetz setzt Gren­zen Werbungen überschreiten häufig die Grenzen des guten Geschmacks. Jeder Bürger, der sich durch einen Fernsehspot oder eine Anzeige beleidigt fühlt, hat in Deutschland das Recht, sich zu beschweren. Der Staat kann die Werbegesetze verschärfen und damit die Möglichkeiten der Branche einschränken. Sehr zum Unwillen der deutschen Werbeindustrie, die sozusagen vorgreifend ein eigenes Kontrollgremium eingerichtet hat, den Deutschen Werberat. Er überprüft die beanstandete Kampagne und spricht notfalls die Empfehlung aus, die Werbung nicht mehr zu senden beziehungsweise zu drucken. Die Macht des Gremiums ist zwar beschränkt – Werbeaktionen einzelner Firmen können die Mitglieder nicht verbieten –, die Verleger und Fernsehsender hören aber meistens auf die Empfehlung. Autorin: Sandra Klein tempo-werbung im zeitraffer „Drum merkt es Euch für immer, Leute – Tempo muß man haben heute.“ Ein echter Knaller, kurz vor der Sylvesternacht: Mit der ersten Tempo-Anzeige in der „Berliner Illustrierten“ beginnt am 29. Dezember 1929 das Werbezeitalter für Tempo. „Ist Herr Müller rücksichtslos?“, fragt eine Zeitschriftenanzeige der 30er-Jahre. Trotz Schnupfen mutet er seiner Frau das Waschen seiner „bakterienübersäten“ Stofftaschentücher zu. Mit Tempo ist die Sache – im wörtlichen Sinne – bereinigt: Frau Müller hat weniger Arbeit und ist nicht mehr der Ansteckungsgefahr ausgeliefert. „Auf Schnupfen-Nächten liegt ein Fluch! – Da hilft das TempoTaschentuch“, reimt ein schlafloser, vom Schnupfen geplagter Zeichentrickheld der 50er-Jahre. Nach den erklärenden Plakaten und Anzeigen der Anfangsjahre wagt die Tempo-Mannschaft in den Fünfzigern den Sprung in eine neue Form der Ansprache. „Blau und weiß ist das TempoSymbol – für das eigene und and’rer Leute Wohl“, so besingen in der ersten Tempo-Kinowerbung auf Skiern durch den Schnee wedelnde oder tanzende TempoPäckchen die vielfältigen Vorzüge info des Einmaltuchs in der schnupfenreichen Winterzeit. Mit dem Spruch „Tempo mit besond’rem Pfiff – rasch entfaltet, nur ein Griff“ vermarkten die Werbetexter die Neuentwicklung des „Tempo-Griffs“ 1963 im Fernsehen und in Anzeigen. Tempo lässt sich nun dank einer Aussparung an der rechten oberen Ecke mit nur einem Griff entfalten. 1977 erhält der TV-Spot „Spätheimkehrer“ beim Werbefilmfestival in Cannes eine besondere Auszeichnung. Hauptdarsteller: Tempo mit der neuen „Ruck-Zuck-Faltung“. Z-förmig zusammengelegt, sind die Taschentücher „jetzt ruckzuck entfaltet“ und ersparen dem zu später Nacht heimkehrenden Ehemann eine ärgerliche Szene. „Verlass’ Dich drauf“: In den 90er-Jahren besteht das „durchschnupfsichere“ Tempo in der Werbung Belastungsproben der besonderen Art. Selbst der Strahl einer Wasserpistole, der mit dem stärksten Nieser konkurrieren kann, bringt es nicht zum Zerreißen. Keine Kompromisse gibt es in Sachen „Nasenweichheit“: Wenn Kindergartenkinder im TV-Spot das Tuch über ihre kleinen Nasen reiben, stellen sie fest: „Tempo – das ist ja wie Streicheln.“