Tempo 30 als Politikplazebo

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Bericht | Text und Foto: Michael Heß
Tempo 30 als Politikplazebo
Die Tempo 30-Debatte überzeugt nicht durch Inhalte
Die großen Probleme der Stadt, wie
Flüchtlinge, Verschuldung und Wohnungsnot, sind allgemein bekannt. Als
wären es nicht schon genug Sorgen, stört
sich ein kleiner Teil der Politik an der
Geschwindigkeit auf Münsters Straßen.
Es ist eine überflüssige weil praxisferne
Debatte, befindet draußen!-Redakteur
Michael Heß kurz und bündig.
Mit einer Sturheit, die am Verstande
zweifeln lässt, kommt von den Grünen
seit Jahren die Forderung nach einem
generellen Tempo 30 auf Münsters
großen Hauptstraßen. Insbesondere der
verkehrspolitische Sprecher der Grünen
Carsten Peters tritt als Sachwalter auf.
Seiner Biografie ist kein Hinweis auf eine
Tätigkeit als Stadt- bzw. Verkehrsplaner
zu entnehmen, noch hat er anderweitig
mit der Materie zu tun. Doch sprechen
auch Gründe in der Sache selbst gegen
das Anliegen. Seit den 90er Jahren gilt
in ausnahmslos allen rund 170 Wohngebieten der Stadt zwischen Amelsbüren
und Sprakel (die Zahl wird ständig
größer) Tempo 30. Das ist einsichtig. Die
Hauptstraßen sollen nach dem Willen
der Verkehrsplaner dagegen der zügigen
Verbindung zwischen den Wohngebieten dienen und erlauben überall
dort Tempo 50, wo keine besonderen
Gefahren drohen. Dieser Wert ist jedoch
kein Selbstzweck. Auch die StVO verlangt
eine stets der Situation angepasste
Fahrweise unabhängig von der formal
erlaubten Geschwindigkeit. Das lernt
jeder Fahrschüler. Also Tempo 30 bis 40
tagsüber auf der Hammer Straße, aber
auch Tempo 50 zwei Uhr nachts auf dem
Ring oder gerne wieder Tempo 70 auf
dem Albersloher Weg. Dem stünden aber,
so Herr Peters und andere wie Münsters
neuer Polizeipräsident Hans-Joachim
Kuhlisch, die vielen Verletzten und Toten
gegenüber. Wie viele Verletzte und Tote
gibt es überhaupt? Die Statistik des Polizeipräsidiums zeigt eine stabile Größe
20
von drei bis vier Getöteten per annum
auf, wovon im letzten Jahr drei Tote
Radfahrer waren und einer Kfz-Nutzer.
Bei hunderten Millionen Fahrten im
Stadtgebiet jährlich. Ein Lottogewinn ist
wahrscheinlicher, als im Straßenverkehr
zu sterben. Die Stabilität dieser Kennziffer muss man außerdem vor der dem
Hintergrund stetig vermehrter Radler und
Autofahrer sehen, sowie den Umstand
bedenken, dass zu jedem Semesterbeginn etwa 10.000 relativ unerfahrene
Radfahrer nach Münster kommen.
Doch was sind die hauptsächlichen
Unfallursachen? Im Jahre 2014 kam es
zu 626 Unfällen beim Abbiegen, dicht
gefolgt von zu geringem Abstand als
Unfallgrund. Wer jetzt “Aha” ruft, tut
dies vorschnell, denn es gibt noch die
Kategorie Geschwindigkeit, die mit nur
70 Unfällen weit abgeschlagen ist (Unfälle
aufgrund Alkohol gab es übrigens 119;
die Zahlen für 2013 sind geringfügig
verschieden). Das scheinbare Rätsel ist
eben keines. Wer lange genug Auto fährt,
kennt diese Situationen, in denen man
trotz niedriger Geschwindigkeit, so wie in
Staus, beinahe auffährt. Das kann sogar
bei sehr niedriger bis hin zu Schrittgeschwindigkeit passieren. Nicht das
Tempo verursacht den Löwenanteil der
Unfälle, sondern fehlende Aufmerksamkeit beim Abbiegen und beim Abstand
halten. Was jedem Autofahrer bekannt
ist, muss auch für die Verkehrspolitiker
in Münsters Rat gelten. Diese sollten das
Geschehen als Autofahrer, als Leezenritter und als Nutzer des ÖPNV als den drei
für Münster maßgeblichen Verkehrsarten
kennen. Sonst sind fachlich faule Eier
aus Ideologie und Theorie das Ergebnis.
Dann gibt es noch die Erwartung aus dem
Polizeipräsidium, bei Tempo 30 könnten
Radler im Verkehr “mitschwimmen”. Die
Reaktionen auf Münsters Leserbriefseiten
waren deutlich: Im Verkehr “mitschwimmen” und das auch nachts oder mit
Alkoholeinfluss? Nebst skurriler Auswüchse dieser Debatte. Wenn nämlich
der grüne verkehrspolitische Sprecher
die Feuerwehr belehrt, dass Tempo 30
auf den Straßen keine Beeinträchtigung
bei Rettungseinsätzen darstelle (Münsters Feuerwehr sieht es anders). Doch
was passiert, wenn alle Spuren besetzt
sind und jedermann brav sein Tempo 30
fahren muss? Da kommt die Feuerwehr
auch nicht schneller vorwärts, was jedes
Kind begreift.
Das alles ist so offenkundig, dass sich
Münsters Parteien außer den Grünen im
OB-Wahlkampf Tempo 30 verweigerten.
Immerhin ein deutliches Zeichen. Und
bekanntlich versteht sich die CDU als eine
konservative Partei. Konservativ zu sein
aber bedeutet im Kern, trotz schwarzgrüner Tändelei das Bestehende zu wahren und nur dort vorsichtig zu ändern,
wo es wirklich nötig ist. Das betrifft
ebenso die bestehenden Temporegelungen in der Domstadt. Die Entwertung
von praxisgerechten Tempooptionen
ist keine Politik, sondern gängelt die
Bürger. Der von der Stadtverwaltung
angedachte Modellversuch rund um die
Von-Steuben-Straße sollte deshalb auch
überdacht werden. #
www.stadt-muenster.de
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