Lektion 14 Ethische Werte der idealistischen Zivilisation 3. Arbeit * Nach dem Staat und der Familie ist der dritte ethische Wert, in dem sich das rationale, freie und schöpferische Wesen des Menschen entfaltet, die Arbeit. Genauer gesagt, handelt es sich um den Beitrag, den jedes Individuum der gesellschaftlichen Produktion von lebensnotwendigen Gütern beisteuert. Aus einer materiellen, körperlichen Sicht entspricht dieser Begriff dem Bedürfnis der Assimilierung bzw. Aufnahme jener natürlichen Elemente, die das körperliche (Essen, Wasser ein Dach über dem Kopf usw.), aber auch das geistige Überleben sichern (Erziehung, Erlernen eines Berufes usw.). So wie die Spezies sich durch den sexuellen Akt reproduziert, der, frei und spirituell gelebt, zur „Familie“ wird, so reproduziert sich das Individuum durch Arbeit, die seine eigenen Bedürfnisse befriedigt. Wird auch die Arbeit frei und spirituell gelebt, wird sie zu ‚sozialer Arbeit‘ und es entfaltet sich als ‚bürgerliche Gesellschaft‘. Die ‚bürgerliche Gesellschaft‘ besteht in der sozialen Organisation der Arbeit durch das Prinzip der „Arbeitsverteilung“, weil das einzelne Individuum gegen die Kräfte der Natur alleine nichts ausrichten könnte. Aus diesem Grund gehört es zum Begriff der Arbeit und nicht nur zur konkreten historischen Evolution der Gesellschaft, die davon eher eine logische Folge ist, dass die Arbeit sozial organisiert ist und die Individuen einer Gemeinschaft oder einer Familie sich die Gesamtarbeit aufteilen, um die lebensnotwendigen Gemeingüter zu produzieren. Diese Spezialisierung führt zu einer exponentiellen Verbesserung der Arbeitsergebnisse und somit auch der menschlichen Lebensqualität wie auch Lebensquantität (Länge des Lebens in Jahren, Zahl der Menschen, die die ersten Lebensjahre überleben usw.). Die Arbeit ist somit eine Gesamtheit komplexer Handlungen zur Herstellung sowohl materieller (Landwirtschaft, Tierzucht, Industrie usw.) als auch geistiger Güter (Forschung, Lehre, Kunst, Theater usw.) wie auch deren Verteilung (Handel, Verbreitung usw.). Je weiter eine Gesellschaft entwickelt ist, desto spezialisierter sind die von den Individuen ausgeführten Handlungen. Auf diese Weise erzielt man Ergebnisse, die unerreichbar blieben, wenn jeder Einzelne sich um all die Güter, die er zum Überleben benötigt, selbst kümmern müsste. Indem der Einzelne nur ein oder wenige Güter produziert, entsteht die Notwendigkeit, die selbst produzierten Güter mit denen der anderen zu teilen. Dieses Teilen kann auf verschiedenen Wegen erfolgen, nämlich z.B. als Tauschhandel (ein Gut im Tausch gegen ein anderes) wie auch über eine Werteinheit, die als Tauschmittel dient (Geld, d.h. Arbeit wird mit Geld bezahlt und gegen Geld kann man andere Güter tauschen). Wie genau dies in einer Gesellschaft geregelt ist, ist vom philosophischen Standpunkt aus egal und hängt von strategischen Entscheidungen der Gesellschaft ab. Die Wissenschaft, die sich damit befasst, ist die Volkswirtschaftslehre. Da die Arbeit eine soziale Aktivität darstellt, bzw. anderen Menschen dient, birgt sie den Begriff nach - wie die Familie - die Anerkennung des anderen als Ziel. Das Individuum produziert ein Gut oder bietet eine Dienstleistung an, welches von anderen Individuen benötigt wird. Diese Adressaten seiner Arbeit muss der Arbeitende als Ziel seiner Arbeit ansehen, anders gesagt: Er muss arbeiten, um die Bedürfnisse der anderen Individuen bestmöglich zu befriedigen. So erkennt das Individuum die anderen als Subjekte an, als geistige, rationale und freie Einheiten, bzw. als sich selbst, als seinesgleichen. Das Absolute erkennt sich selbst an, könnte man auch sagen. Daher stellt die Arbeit auch Fürsorge für den anderen dar, wo der andere in diesem Fall kein Familienmitglied, sondern ein Mitglied der Gesellschaft ist. Es kann auch sein, dass die beiden Individuen sich gar nicht kennen und der Tausch nicht auf direkte, sondern indirekte Weise erfolgt (wie es im Übrigen in den entwickelten Gesellschaften, in denen die Arbeitsteilung komplexer und die Güter differenzierter sind, auch meistens der Fall ist). Die Fürsorge ist daher nicht notwendigerweise direkt, sondern kann auch indirekt über die professionelle Produktion erfolgen, die in ihrer Quantität und Qualität an die Beschaffenheit des jeweiligen Gutes angepasst ist. Es handelt sich jedenfalls immer um eine Form der Fürsorge für den anderen, bzw. für jemanden, der das Gut vielleicht Tausende Kilometer weit entfernt braucht bzw. in ferner Zukunft erst brauchen wird. Im Kern der Arbeit, wie auch im Kern der Familie steckt daher die zwischenmenschliche Anerkennung, das Gefühl, zur selben Spezies zu gehören, dasselbe rationale, freie und schöpferische Wesen zu besitzen, wie auch in derselben existenziellen Situation zu sein, Bedürfnisse und Wünsche zu haben, die durch unsere eigene und durch die Arbeit der anderen befriedigt und erfüllt werden. Da auch die Arbeit ein Akt dieser Anerkennung ist, gibt auch sie, wie die Familie, dem menschlichen Leben einen Sinn. Innerhalb der Familie besteht der Sinn im Erschaffen einer positiven, liebevollen Umgebung, die die körperliche und geistige Entwicklung weiterer Menschen fördert. Was die Arbeit betrifft, so besteht ihr Sinn in der Produktion von materiellen und immateriellen Gütern, welche die Bedürfnisse der Individuen befriedigen können und so vor allem deren Leben sichern und es qualitativ schöner und/oder quantitativ länger machen. Wenn man die Arbeit so ansieht, dann ist sie also ein Pflicht-Recht des Individuums, sodass der Staat bzw. die organisierte Gesellschaft der Individuen dieses allen garantieren soll. Der Staat soll auch die Individuen zur Arbeit erziehen und kontrollieren, dass sie tatsächlich nach ihren eigenen Möglichkeiten zum Allgemeinwohl beitragen. Natürlich muss die Arbeit sowohl hinsichtlich der Arbeitszeiten als auch der Ausführungsmodalitäten reguliert werden, weil sie die Lebensenergien des Individuums verbraucht. Das genau ist eines der Hauptziele des Staates. Er muss nämlich dafür sorgen, dass sowohl die Reglementierung der Familie als auch die Regulierung der Arbeit es dem Individuum ermöglicht wird, die eigene Freiheit und Kreativität zu verwirklichen sowie gleichzeitig dem Absoluten dessen körperliche Reproduktion als Spezies durch die Familie und als Individuum durch die Arbeit garantiert wird. Aus diesem Grund sind die Familien- und die Wirtschaftspolitik des Staates besonders wichtig, weil sie ihn als einen Ethischen Staat kennzeichnen (oder, im Gegenteil, als einen nicht Ethischen Staat). Unter dem Begriff des ‚ethischen Staates‘ versteht man einen Staat, der die absolute Ethik anstrebt, wie sie in den vorangehenden Lektionen festgelegt und dargestellt wurde. Die absolute Ethik ermöglicht den Menschen wiederum die Verwirklichung ihres Lebenssinnes, indem sie ihnen erlaubt, ein spirituell ausgefülltes Leben zu haben, in dem aber auch die materiellsten Bedürfnisse befriedigt werden. Letztlich ermöglicht die Selbstverwirklichung des Geistes die Verwirklichung des Absoluten in der Welt, das ja das rationale und schöpferische Wesen desselben Geistes darstellt. Auf diese Weise überlagern sich auch in dem Begriff der Arbeit der Sinn des menschlichen Lebens auf der Welt und der Sinn der Welt: Das Absolute verwirklicht sich durch die Selbstverwirklichung der Menschen, und so schließt sich der Kreis der Beziehung zwischen Metaphysik, als Wissenschaft des Absoluten, und Ethik, als Wissenschaft den Sinn des menschlichen Lebens auf der Welt. Die soeben dargestellten Werte (Staat, Familie, Arbeit) bilden den Inhalt der menschlichen Weisheit, die von der philosophischen Wissenschaft begründet wird. Auf diese Weise wurde der Begriff der Philosophie als „Wissenschaft der Weisheit“ logisch erläutert, welches zu Beginn der vorliegenden Einführung als der wahre Begriff und somit das echte Ziel der Philosophie eingeführt wurde.