Dr. med. Barbara Lindemann/ Dr. med. Birgit Klee Akademisches Lehrkrankenhaus der Charité Klinik für HNO-Krankheiten, Gesichts- und Halschirurgie Das Ästhesioneuroblastom - ein seltener Tumor der Nasennebenhöhlen - Therapie - Verlauf - Nachsorge - D as Ästhesioneuroblastom (syn. olfaktorisches Neuroblastom) wurde erstmals 1924 durch Berger und Luc beschrieben. Es ist ein von den basalen Zellen des Riechepithels ausgehender Tumor, dessen histogenetischer Ursprung auf die Neuralleiste zurückgeht. Das Ästhesioneuroblastom dringt in die Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen destruierend vor und kann sowohl orbitale als auch endokranielle Komplikationen bedingen. Weiterentwickelte diagnostische Möglichkeiten, insbesondere die Immunhistochemie haben die Differentialdiagnose zu anderen Tumoren der Rhinobasis (Sarkome, Lymphome, Melanome etc.) verbessert. Er handelt sich um einen relativ seltenen Tumor (bisher ca. 1000 Fälle publiziert), der ca. 3 % aller Tumore der Nasenhaupt- und Nasennebenhöhlen ausmacht. Bezüglich der Altersverteilung findet sich ein gehäuftes Auftreten in der 2. - 3. sowie der 5. - 6. Lebensdekade, wobei keine Geschlechtsspezifität bisher beobachtet werden konnte. Klinisch finden sich neben einer Nasenatmungsbehinderung häufig rezidivierendes Nasenbluten sowie Kopfschmerzen und eine Riechminderung. Dabei kann ein sehr aggressives Tumorwachstum fulminante Krankheitsverläufe bedingen. Leider wird aufgrund der unspezifischen Frühsymptome die Erstdiagnose oft erst im fortgeschrittenen Tumorstadium gestellt, d.h. wenn bereits eine massive lokale Ausdehnung mit lokoregionärer oder Fernmetastasierung (vor allem Skelettmetastasen) vorliegt. Daher ist vor Therapieentscheidung neben einer MRT-Darstellung der Tumorausdehnung mit Beurteilung der Halslymphknoten ein Tumorstaging mit CT-Thorax/-Abdomen und Skelettszintigraphie dringend anzuraten. Die allgemeine 5-Jahresüberlebensrate beträt 85 % , wobei insbesondere das Auftreten von cervikalen Metastasen als stark prognoseverschlechternd zu werten ist. Dem gegenüber konnte zu den häufig auftretenden Skelettmetastasen keine prognostisch verwertbare Aussage bisher gefunden werden. Das Rezidivrisiko des Ästhesioneuroblastoms ist hoch und beträgt je nach Stadium und Primärtherapie 15 % bis 75 %. Multizentrischer Ursprung, submuköses Wachstum und unter-h nach 10 2 1 3 20-jähriger Patient 18-jähriger Patient 45-jähriger Patient Symptomatik bei Erstvorstellung: seit 3 - 4 Monaten anhaltende Nasenatmungsbehinderung beidseits Kopfschmerzen seit 1 Monat Rezidivierende Epistaxis Symptomatik bei Erstvorstellung: Seit 1 Woche rechts frontal beginnend Cephalgien, Visusverlust seit 5 Tagen rechts, Erkältung vor 2 Wochen, Verlegung aus Augenklinik bei initialer VD Neuritis Symptomatik bei Erstvorstellung: Nasenatmungsbehinderung links seit 2 Jahren; Heuschnupfen, Kopfschmerzen MRT 3/01: extra- und intrakranielles Wachstum des Tumors mit Durainfiltration Staging: keine Metastasierung nachweisbar Tumorformel: Stadium C nach Kadish (Stadium C nach Morita, T3 N0 M0 R1 nach Biller, T4 nach Dulgerov) MRT 4/02: Staging: VERLAUF Chirurgische Primärtherapie 3/01: Resektion des nasalen Tumoranteils durch midfacial degloving unter Resektion nahezu des gesamten Nasenseptums und der mittleren Muscheln, zusätzlich intrakranielle Tumorexstirpation über osteoplastische bifrontale Kraniotomie und Verschluß des Duradefektes mit Galea Postoperative Radiotherapie (bis 6/01): insgesamt 56 Gy mit kompletter Remission Tumornachsorge schiedliche Therapieansätze können Ursache für die große Variabilität des Tumors sein, bei dem man am häufigsten Rezidive innerhalb der ersten 5 Jahre, aber auch noch nach 10 Jahren erwarten kann. Bei kleinen und mittelgroßen Tumoren, d.h. auf die Nasenhaupthöhle begrenztes Tumor (Kadish A) bzw. Tumorwachstum mit Nasennebenhöhlenbeteiligung (Kadish B) und überschaubarer intracranieller Ausbreitung (Kadish C), hat sich die chirurgische Resektion mit anschließender Strahlentherapie bewährt. Nur bei inoperablen Tumoren (einschließlich Metastasierung) sollte primär eine Chemotherapie erwogen werden, wobei die Wahl des Chemotherapeutikums noch sehr umstritten ist. In den letzten 3 Jahren sahen wir in unserer Klinik 3 Patienten mit unterschiedlichster Symptomatik, bei denen sich im Behandlungsverlauf ein Ästhesioneuroblastom nachweisen lies. Aufgrund der Seltenheit dieses Krankheitsbildes möchten wir hier die Kasuistiken dieser Patienten hinsichtlich unseres therapeutischen Vorgehens in Abhängigkeit vom Initialbefund sowie hinsichtlich des weiteren Krankheitsverlaufs vorstellen. Þ Rezidiv 3/02 Tumorformel: Radiotherapie des Rezidivbereiches bis 6/02: (fraktioniert, Harddosis 40Gy) AKTUELLER BEFUND MRT 09/03: kein Hinweis auf lokales Tumorrezidiv bei subjektiver Beschwerdefreiheit diffuse Lungenmetastasierung, szintigraphisch hochgradiger Verdacht auf ossäre Metastasierungen im Bereich der Humerusköpfe, Ileosacralfugen, Os ischii/ileum, B+LWK Stadium C nach Kadish (Stadium D nach Morita, T2 NX MX nach Biller, T3 nach Dulguerov) MRT 02/99: postoperative Tumorreste nach Ethmoidektomie in den Siebbeinzellen links mit Durainfiltration und intrakranieller Ausbreitung im Bereich der Lamina Cribrosa Staging: keine Metastasierung nachweisbar Tumorformel: Stadium C nach Kadish (Stadium C nach Morita, T2 N0 M0 R1 nach Biller, T3 nach Dulguerov) VERLAUF Chirurgische Primärtherapie 4/02: Pan-Sinus-OP rechts bei initialem Verdacht auf akute Pansinusitis rechts Postoperative palliative Chemotherapie (bis 9/02): mit Adriamycin / Ifosfamid in insgesamt 6 Zyklen mit kompletter Remission MRT 3/02: frontobasales Rezidiv (0,5x0,7mm links, 2cm von der Mittellinie) Chirurgische Therapie 4/02: osteoplastische Trepanation links frontal mit Entfernung des Rezidivtumors ausgedehntes patholog. Weichteilsubstrat der paranasalen Sinus rechts, im mittleren Nasengang mit Infiltration des rechten Keilbeins sowie meningealem Enhancement frontobasal, Orbitaspitzensyndrom rechts Þ unter der Verdachtsdiagnose Sinusitis ethmoidalis links erfolgte 2/99 eine Ethmoidektomie links MRT 09/02: rechts kein Anhalt für ein lokales Tumorrezidiv, leptomeningeale Formation nicht verdickt, linker Sinus maxillaris Schleimhautschwellung sowie Sekretverhalt bei subjektiver Beschwerdefreiheit, Amaurose rechts persistierend Tumornachsorge Þ Rezidiv 1/03 - Manifestation pulmontal, hiliäre Lymphome, Knochen, Orbita, Keilbeinhöhle, subcutanes Fettgewebe, Verdacht auf Pancreasinfiltration VERLAUF Chirurgische Primärtherapie 3/99: obere mediane Rhinotomie mit vollständiger Resektion des Siebbeins, eines Teils der Schädelbasis und angrenzender Dura mit Bulbus olfaktorius und anschließender Duradeckung mit Faszie und Muskel Postoperative Strahlentherapie (bis 5/02): insgesamt 56 Gy mit kompletter Remission AKTUELLER BEFUND MRT 09/03: kein Anhalt für lokales Tumorrezidiv bei subjektiver Beschwerdefreiheit - Erweiterte Chemotherapie bis 4/03: mit weiteren 5 Zyklen Adriblastin/Ifosfamid sehr gute partiele Remission (nur noch In Os ilium links und Femur bds. Markinfitration nachweisbar) - Hochdosischemotherapie zur Konsolidierung bis 5/03 mit Ifosfamid - Autologe periphere Blutstammzellentransplantation 5/03 - Therapierefraktärität des Ästhesioneuroblastoms 6/03: - akutes Psychosyndrom infolge Hydrocephalus internus mit Hirnödem bei basaler Meningeosis carcinomatosa mit konsekutivem Exitus letalis Werbe Profi Brandenburg, Tel. (0 33 81) 738-0 Zusammenfassung Wir können an unserem Patientengut ausgehend vom bisherigen Beobachtungszeitraum von 1,5 bis zu 4,5 Jahren gute Erfolge bei der Therapie eines Ästhesioneuroblastoms sowohl durch eine Kombination von vollständiger Tumorresektion und postoperativer Strahlentherapie bei resektablen Tumoren als auch durch eine primäre Chemotherapie bei einem sehr ausgedehnten Tumor mit Metastasierung feststellen. Auch bei Rezidiven scheint die Ausschöpfung einer multimodalen Therapie wirkungsvoll. Damit decken sich unsere Ergebnisse mit einer Literaturrecherche aller bis 1997 veröffentlichten Fälle, in der die höchste 5-Jahresüberlebensrate mit einer Kombination aus chirurgischer und Strahlentherapie erzielt wurde. Hinsichtlich der Diagnostik im Rahmen der Tumornachsorge (Dispensaire) halten wir eine Endoskopie der Nasennebenhöhlen einschließlich Ultraschalldarstellung der Halsweichteile mindestens aller 6 Wochen über mindestens 2 Jahre nach Abschluss der Posterpräsentation auf der 12. Jahrestagung der “Vereinigung Mitteldeutscher Hals-Nasen-Ohren-Ärzte” in Erlangen am 5. September 2003. Primärbehandlung für notwendig, danach vierteljährlich. Im ersten postoperativen Jahr ist eine vierteljährliche MRT-Kontrolle besonders bei ausgedehnten Tumoren mit intracerebraler Ausdehnung und der latenten Gefahr eines Rezidivs sowie bei Rezidivtumoren empfehlenswert. In der Literatur wird allgemein im 1. postoperativen Jahr eine halbjährliche, ab dem 2. postoperativen Jahr eine jährliche MRT-Kontrolle für ausreichend erachtet. Gleiches gilt auch für Ultraschalluntersuchungen der Halsweichteile sowie Röntgen-Thoraxaufnahmen zum Ausschluss von Metastasen.