Villenkolonien in Wannsee 1875 - Haus der Wannsee

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Villenkolonien in Wannsee 1875 – 1945
Sonderausstellung der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz,
Mai 2000 – Januar 2006
Villa Marlier – „Gästehaus“ des SD – Haus
der Wannsee-Konferenz
1914/15 hatte sich der Kaufmann und Fabrikant
pharmazeutischer Produkte Ernst Marlier (1875-?)
eine repräsentative Villa auf dem Grundstück
unmittelbar am Rande der Colonie Alsen errichten
lassen. 1921 erwarb der Industrielle und
Generaldirektor im Sinnes-Konzern Friedrich
Minoux (1877-1945) die Villa.
Villa Marlier/Minoux, 1922
Minoux unterhielt Kontakte zu rechtsradikalen Wehrverbänden und stand im Vorfeld des Hitlerputsches
vom November 1923 in München in Verbindung mit
dem ehemaligen Generalquartiermeister Erich
Ludendorff. Im Sommer 1933 fand man ihn unter den
Mitgliedern der “Akademie für Deutsches Recht”, der
auch NS-Größen wie Hermann Göring, Hans Frank
und Roland Freisler angehörten. Minoux hatte
innerhalb weniger Jahre eine steile Karriere im
Konzern von Hugo Stinnes gemacht und war seit
1919 Generaldirektor im Stinnes-Konzern. Während
der Inflationsjahre kam er durch Spekulationen und
Firmenübernahmen zu einem beträchtlichen Vermögen, das ihm auch 1921 den Kauf der Villa am
Wannsee vom bisherigen Besitzer Ernst Marlier für
1,95 Millionen Reichsmark ermöglichte.
1938 wurde Minoux wegen fortgesetzter Untreue
und Betrugs unter Anklage gestellt und im Sommer
1940 schließlich verhaftet. Im Herbst desselben
Jahres verkaufte er Villa und Grundstück am Großen
Wannsee an die von Reinhard Heydrich gegründete
SS-„Stiftung Nordhav“.
Die SS übernahm Teile der wertvollen Einrichtung
und ließ im Sommer 1941 das erste und zweite
Stockwerk der Villa umbauen. Das Haus sollte künftig
von der Sicherheitspolizei und SD als Gästehaus zur
Unterbringung auswärtiger Polizei- und SD-Führer
genutzt werden. Im Herbst 1941 wurde das Haus am
Großen Wannsee als „anständige und angemessene
Unterkunftsmöglichkeit“ und „Mittel-punkt des
kameradschaftlichen Verkehrs der auswärtigen SSFührer von Sicherheitspolizei und SD in Berlin“
angepriesen. Für nur 5,- Reichsmark biete das
Gästehaus: „vollkommen neu eingerichtete
Besucherzimmer, Geselligkeitsräume wie Musikzimmer, Spielzimmer (Billard), ... Wintergarten,
Terrasse zum See ... allen Komfort. Im Haus befindet
Grundstück Villa Marlier, ca. 1915
Ernst Marlier
(1875-?)
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sich eine gute Küche, die auch für Mittag- und
Abendmahlzeiten sorgt; Wein, Bier und Rauchwaren
sind vorrätig.“
Nur wenige Wochen später, am 20. Januar 1942,
wurde die Villa am Großen Wannsee Schauplatz der
Wannsee-Konferenz, auf der fünfzehn hochrangige
Vertreter von Reichsministerien, der SS, der Gestapo
und weiterer NS-Behörden auf Einladung Reinhard
Heydrichs über die „Endlösung der Judenfrage“
berieten.
Friedrich Minoux
(1877-1945)
Ernst Kaltenbrunner
(1903-1946)
Speisesaal der Villa Minoux, 1922,
der spätere Konferenzraum
Die Konferenz fand im großbürgerlichen Ambiente
des Speisezimmers der ehemaligen Industriellen-Villa
statt, um die Details der beabsichtigten Deportation
und Ermordung von elf Millionen europäischer Juden
zu besprechen. Mordpraktiker der SS berichteten den
anwesenden Staatssekretären verschiedener
Ministerien, was in den besetzten Teilen der Sowjetunion mit den Juden geschah. Man habe, berichtete
der Protokollant der Konferenz, Adolf Eichmann,
später, unverblümt über den Massenmord an den
europäischen Juden gesprochen.
Heinrich Müller
(1900-?)
Im Frühjahr 1947 wurde ein Exemplar des Protokolls
der Wannsee-Konferenz in den Akten des Auswärtigen Amtes aufgefunden. Es belegt, dass hier am
20. Januar 1942 Detailfragen eines monströsen
Mordprogramms an Millionen Menschen erörtert
wurden. Es belegt auch, dass kein Teilnehmer an
dieser Konferenz grundsätzliche Einwände gegen
dieses Vorhaben erhob.
Otto Ohlendorf
(1907-1951)
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Das „Gästehaus“ am Großen Wannsee wurde von SS und SD in den folgenden Jahren als Tagungsort
für verschiedene Konferenzen, für repräsentative Empfänge und zur Unterbringung von Gästen genutzt.
So sollten etwa auswärtige Gäste, die an einer Tagung des SD-Amtes für „Weltanschauliche
Forschung“ teilnahmen, im Oktober 1942 in der Villa am Wannsee wohnen. Leiter dieser Tagung zu
Fragen der „Gegenerforschung“ war der Historiker Georg Franz von der Universität Straßburg. Im
Februar 1943 fand im „Gästehaus“ am Wannsee ein großer Empfang „mit sämtlichen Amtschefs des
RSHA“ statt, den SD-Chef Ernst Kaltenbrunner für hochrangige Vertreter des türkischen Geheimdienstes veranstalten ließ. Auch Angehörige der berüchtigten „Einsatzgruppen“, die seit 1941 in den
eroberten Teilen der Sowjetunion die jüdische Bevölkerung ermordeten, wurden während ihrer
Aufenthalte in Berlin im „Gästehaus“ untergebracht, darunter auch der SD-Offizier und Massenmörder
Paul Blobel und Teile seines Sonderkommandos.
Die Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942 war nicht die einzige Tagung, die im „Gästehaus“
stattfand. Vor allem ab 1944 wurde der stille Vorort im Südwesten Berlins für Konferenzen genutzt, da
in der Innenstadt infolge der Bombenangriffe immer weniger Möglichkeiten vorhanden waren. Am 11.
Oktober 1944 trafen sich im „Gästehaus“ Mitarbeiter verschiedener SS-Dienststellen, um über die
Zentralisierung der von ihnen betriebenen „Germanisierungspolitik“ zu beraten. Dabei besprachen sie
Maßnahmen zur Zwangsumsiedlung und „Eindeutschung“ in den unterworfenen Gebieten im Osten zu
einem Zeitpunkt, als sämtliche rassistische „Siedlungsplanungen“ durch den Kriegsverlauf längst
Makulatur geworden waren.
Im Oktober 1944 wohnte der Leiter der „Sonderkommission 20. Juli 1944“, SS-Oberführer Georg Klein
aus Nürnberg im „Gästehaus“. Beim „Kampf um Berlin“ verlegte auch der letzte in Berlin verbliebene
Führer des Reichssicherheitshauptamtes, Gestapo-Chef Heinrich Müller, sein Hauptquartier nach
Wannsee. Möglicherweise verhandelte er Ende April im „Gästehaus“ mit Unterhändlern des Roten
Kreuzes über die Freilassung von Häftlingen des KZs Sachsenhausen.
Am 1. Dezember 1944 wurde auf Initiative von Otto Ohlendorf, der hochrangiger Beamter im
Wirtschaftsministerium und gleichzeitig Amtschef im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war, eine
Soziologentagung veranstaltet. Insgesamt dreißig Personen tauschten sich über Probleme der
Gegenwart und Fragen der Nachkriegsplanung aus. Unter ihnen waren neben Professoren der
Soziologie auch Betriebswirtschaftler und Angehörige der Ministerialbürokratie. Ebenfalls im Dezember
1944 nutzte Ohlendorf das Gästehaus, um die Verwaltungsreformpläne des Widerstandes diskutieren
zu lassen.
Nach dem Krieg nutzte das August-Bebel-Institut die Villa von 1947-1951 als Bildungsstätte der
Berliner Sozialdemokratischen Partei (SPD). Von 1952-1988 war in der Villa das Landschulheim des
damaligen Westberliner Bezirkes Neukölln untergebracht.
© Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin 2012
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