Die deutsche Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter. Bis zum Jahr 2030 wächst der Anteil der über 60Jährigen um ein Drittel auf 24 Millionen an. Gleichzeitig geht die Geburtenrate zurück. Deutliche Signale, die auch Werbung und Wirtschaft nicht übersehen dürfen. Werbespots und Anzeigen sind jedoch noch immer mit Schlagwörtern wie jung, dynamisch und erfolgreich verbunden. Werbung für Ältere oder gar mit Älteren ist die Ausnahme. Die Senioren, so scheint es, passen den Unternehmen nicht recht ins Konzept. Dafür gibt es mehrere Gründe. Nach wie vor gehen viele Firmen davon aus, Ältere seien markentreu, innovationsfeindlich und für die Werbung somit unrentabel. Zudem herrscht das Klischee vor, dass Senioren viel von ihrem Geld für den Nachwuchs sparen. Das ist jedoch schon lange nicht mehr so. Einen Großteil ihres Vermögens wollen Senioren heutzutage selbst ausgeben. Und dieses Vermögen ist in Deutschland beträchtlich. Die jüngste Studie des Statistischen Bundesamtes zu Einkommen und Verbrauch ergab, dass die über 50-Jährigen durchschnittlich mehr als die Hälfte der Kaufkraft in Deutschland und über Titelthema 8 Kaufkräftige Zielgruppe eine halbe Billion Euro Geldvermögen besitzen – Tendenz steigend. Zudem würden jährlich in Deutschland Lebensversicherungen im Wert von 15 Milliarden Euro ausgezahlt. Senioren - interessante Kunden für die Wirtschaft Die Senioren müssten deshalb eigentlich die heiß umworbenste Käufergruppe überhaupt sein. Doch die Wirtschaft traut dem Klientel nicht viel zu. Dabei genießen die älteren Menschen heute im Vergleich zu früher ihr Rentnerdasein in vollen Zügen. Der Trugschluss der vergangenen Jahre, dass lediglich die 14- bis 49-Jährigen für die Werbung interessant seien und gerne konsumierten, ist heute überholt. Das Angebot hat sich schon länger auf die „Silver-Age“-Zielgruppe eingestellt. Es gibt nicht mehr nur die typischen Produkte für Senioren wie Haftcreme für die Dritten und Knoblauchpastillen, Kreislauftröpfchen und Krampfa- dermittel. In der Gesellschaft entsteht vielmehr ein Bild des rüstigen Menschen, der vital und mit vollem Einsatz seinen Lebensabend genießt. Die Senioren schaffen sich Computer an, steigen in die Welt des Internets ein, reisen viel, ziehen sich modisch an und vieles mehr. „Darauf muss die Wirtschaft in Zukunft stärker reagieren“, sagt Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW). Es gehe nicht mehr darum, den älteren Menschen als Kostenfaktor im Krankheitssystem zu sehen, sondern als für die Wirtschaft interessanten Kunden zu entdecken, der aber nicht unbedingt über sein Alter definiert wird. „Die Gesellschaft strukturiert sich um. Es gibt nicht mehr nur Alt und Jung, Arbeiter und Rentner“, sagt Nickel. Man sollte deshalb auch nicht von einer überalterten Gesellschaft sprechen, sondern von einer Gesellschaft des langen Lebens, in der es verschiedene Lebensstile gibt. Noch muss allerdings Werbung, die für typische Senioren-Produkte wirbt, sensibel gemacht sein. „Senioren wollen sich in der Werbung nicht spiegelbildlich DIE WIRTSCHAFT 10/2002 erkennen“, erklärt Fachmann Nickel. „In der Regel erwarten sie, dass ihre Produkte von Personen präsentiert werden, die 10 bis 15 Jahre jünger sind.“ Die Werbung müsse deshalb eine Mischung finden, die anspricht, allerdings ohne die Umworbenen gleichzeitig zu gettoisieren. „Denn das“, so Nickel, „ist genauso kontraproduktiv, wie die Gruppe zu ignorieren“. Klischees aufbrechen, Chancen nutzen Es gibt aber auch Beispiele, die zeigen wie erfolgreich Werbung für und gleichzeitig mit Älteren funktionieren kann: Eine Fastfood-Kette wirbt unverkrampft mit drei Damen, die zum ersten Mal einen Hamburger essen. Dieser Spot lässt sowohl Ältere über sich selbst und Jüngere über die Spätberufung der Omis zum Fastfood schmunzeln. Eine andere Werbung zeigt ein altes Paar, das durch das zur schau gestellte Vertrauen und ihre Zuverlässigkeit in ihrer Partnerschaft für Stahl aus Deutschland wirbt. „Wir müssen die bestehenden Klischees aufbrechen“, sagt Volker Nickel und ist überzeugt, dass mit der wachsenden Zahl der Senioren in der Gesellschaft auch ihr Selbstbewusstsein steigt und damit die Möglichkeit, mit ihnen zu werben. Dann könnte auf einmal die jüngere Zielgruppe ganz schön alt aussehen. Viele Werber und der Handel trauen den Senioren zudem noch nicht recht zu, dass sie mit dem Internet umgehen können. Dabei sind sie diejenigen, die traditionelle Medien wie Fernsehen, Radio oder Zeitschriften am meisten nutzen. Eine aktuelle Studie des E-CommerceSpezialisten eResult zeigt aber, dass Menschen über 50 Jahren im World Wide Web ebenso intensiv surfen wie jüngere. Nur verfügen viele Ältere zudem noch über das nötige Kleingeld, um über das Netz auch einzukaufen. Mehr als ein Drit- tel dieser „Silver-Surfer“ habe ein durchschnittliches Nettoeinkommen von über 2 500 Euro pro Monat. Engagement kann sich also auch dort lohnen. Fast die Hälfte in dieser Altergruppe gab bei der Umfrage an, gelegentlich im Web einzukaufen. Jeder Fünfte bezeichnete sich als regelmäßigen InternetShopper. Vor allem greifen Senioren bei Büchern zu. Zudem ist das Interesse bei Reisebuchungen, Immobilienvermittlung, Autokauf sowie Rechts- und Steuerberatung groß. Industrie und Handel sollten die Chancen nutzen. Den Silver-Surfern ist nämlich mehr zuzutrauen, als oft gedacht wird. Nicht nur finanziell. „Die Wirtschaft hat auch kaum eine andere Möglichkeit“, sagt Werbefachmann Nickel. „Denn die so genannten "Alten" werden sich vermehrt in die Gesellschaft einmischen.“ Dominik Ohlig, freier Journalist, Köln Lange Zeit hatten Betriebe und ältere Arbeitnehmer viele Anreize, gemeinsam einen frühen Ruhestand zu vereinbaren. Gerade, wenn in der Firma sowieso Personalabbau anstand, nahmen Ältere als erstes den Hut – häufig mit hoher Abfindung und guten Rentenaussichten. Doch durch die absehbare demografische Entwicklung wird dies nicht mehr möglich sein. Die Arbeitnehmer müssen in Zukunft wesentlich länger arbeiten und sich ein Leben lang weiterbilden. Ansonsten würde die deutsche Volkwirtschaft ausbluten. Wird dieser Frühverrentungs-Trend nicht gestoppt und umgekehrt, kann dies in naher Zukunft verheerende Folgen haben. Denn die deutsche Bevölkerung wird immer älter, die Geburtenrate geht kontinuierlich zurück und damit auch die Zahl der potenziellen Arbeitnehmer. Ohne die Option der Zuwanderung kann der Nachwuchs die demografische Lücke kaum mehr ausgleichen. Bereits ab 2010 wird es an qualifizierten und gut ausgebildeten Kräften mangeln. So lautet die Prognose des Demografie-Experten Hartmut Buck vom Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Lebenslanges Lernen In Deutschland gehören zurzeit etwa 26 Millionen Menschen zu den geburtenstarken Jahrgängen im Alter von 30 bis 49 Jahren, aber nur etwa 19 Millionen sind zwischen 10 und 29 Jahre alt. Die Experten prophezeien bereits jetzt: Künftig werde sich eher die Frage stellen, wie man die Beschäftigten möglichst lange fortbildet und so im Arbeitsmarkt halten kann. Und nicht, so wie heute praktiziert, wie man sie möglichst schnell los wird. „In dieser Frage müssen sich alle bewegen - Arbeitgeber, Gewerkschaften und Arbeitnehmer gleichermaßen“, sagt der Präsident des Deutschen Industrieund Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun. Denn oftmals fehle es nicht nur an Weiterbildungsangeboten in den Unternehmen, um ältere Mitarbei10 DIE WIRTSCHAFT 10/2002