10.12.2012 Le Schicken: Das Alphorn bekochen

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Das Alphorn bekochen
Stefan Wiesner◉
◉ florian bolk und andreas sawall
www.le-schicken.de
Stefan Wiesner ist einer der großen Kochphilosophen. Wir
haben bisher kaum jemanden getroffen, der sich soviele
Gedanken um seine Teller macht. Ein Trip auf die schweizer
Berge und in andere unbekannte Gefilde
Sie kochen natur- und kulturverbunden.
Die aktuelle Karte hat Alphörner zum
Thema. Wie wird das umgesetzt?
Wenn in den Bergen die Alphörner erklingen, dann geht es Mensch und Tier so, dass
diese Naturmusik direkt ins Herz geht.
Ob Kühe oder Pferde, alle lauschen und
kommen zu dem Ort, wo die Hörner live
gespielt werden. Sie können sich dem nicht
entziehen. Deshalb kam ich auf die Idee,
das Alphorn zu bekochen. Ich ging zu den
Alphornherstellern Hans-Rudi und Walter,
Vater und Sohn, die nicht weit von mir ihre
Werkstatt haben. Sie bauen nach der Tradition mit sehr viel Handarbeit und nur wenigen und sehr alten Maschinen. 80 Stunden
dauert die Herstellung, und die Wartezeit für
Kunden beträgt drei Jahre. Beim Verkauf sa-
gen sie, dass nicht die Personen die Hörner,
sondern die Hörner die Personen aussuchen.
Die Hörner werden aus den seltenen Haselfichtenhölzern gebaut. Nach dem Fällen
wurden früher die Baumstämme in Kanälen
transportiert. Bei diesem Transport stießen die Hölzer aneinander, und als einige
klangen, fand man heraus, welche sich für
den Instrumentenbau eigneten. Das besondere an den Hölzern ist ihre Struktur,
die keine Jahresringe aufweisen, sondern
wie »gestrickt« aussehen. Die Mundstücke
des Alphorns sind aus Fruchthölzern, wie
Zwetschge, Beere oder Kirsche, es können auch Sträucher sein, wie Rosen- oder
Olivenholz. Der vordere Ring ist meistens
aus Bambusholz, das irgendwie im letzten
Jahrhundert in die Schweiz importiert wur-
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stellen sich durch das Spiel auf dem Teller
bestimmte Texturen und Geschmacksakkorde ein. Bei diesem Konzept stelle ich
übrigens immer wieder fest, dass ich die
gleiche Sprache wie die Künstler spreche,
und wir verstehen uns auch sofort.
Ihre Menüs wirken sehr aufwendig konzipiert und wiederholen sich nicht, erfinden
Sie sich jedes Mal neu?
Ja, ich erfinde mich immer neu. Zwar bleibt
im Restaurant eine Standardkarte konstant,
Fühlen Sie sich und Ihre Küche gut verstanden?
Es gibt genügend Gäste, die lieben meine
Küche über alles. Aber andere haben zunächst Schwierigkeiten, mich zu verstehen
und dann kommen solche Charakterisierungen zustande, wie »der kocht mit Metall,
Rost« oder so. Manche halten mich für verrückt und hören mir nicht zu. Eine sich wiederholende Frage ist dann: »Wieso und wa-
denn diese Gerichte haben sich bewährt und
werden nachgefragt. Bei den neuen Menüs
gehe ich von einer Grundidee aus. Kürzlich
ging ich von der Klangwelt aus. Klänge,
Geräusche, zum Beispiel als Audioaufnahme von einer Wiese. Das wird den Leuten
beim Essen vorgespielt. Ich arbeite sehr viel
mit Hölzern – mein erstes Buch heißt auch
»Gold – Holz – Stein«. Das Kochen mit Holz
findet starken Anklang bei unseren Gästen.
Wir kochen die Hölzer aus, machen daraus
Kohle, verwenden die Sprossen, Blätter,
Rinde, den Saft und so weiter, da bieten sich
unendlich viele Möglichkeiten. Bei unserem
Kochen mit Naturmaterialien wie Holz
gehen wir von den drei Elementen Textur,
Akkord und Philosophie aus. Beim Essen
rum kocht er das?« Ich bemühe mich, eine
verständliche Philosophie zu artikulieren,
allerdings kann ich in einer halben Stunde
ein Menü entwickeln, das dann zeigt, worum es mir geht. Der Prozess zu solchen Kreationen dauert allerdings eine längere Zeit
der gedanklichen Vorbereitung. Zum Beispiel wurde ich einmal von einer deutschen
Kunststudentin gefragt, ob ich etwas über
die vier Element Luft, Feuer, Wasser und
Erde kochen könnte. Ich habe dann noch die
beiden Elemente Holz und Metall hinzugefügt. Dabei habe ich viel nachgedacht über
die griechischen und chinesischen Elemente
und ihre Besonderheiten. Dann habe ich
sechs Elemente aufgestellt und dazu eine
eigene These formuliert: Holz und Luft gibt
Maisdestillat, Maiswasser, Polenta mit Kokosmilch, Hühnerbrust und -leber, Sauerrahmeis, Hühnerhaut
de und seitdem wegen seiner Robustheit
benutzt wird. Die bei der Instrumentenproduktion abfallenden Holzabschnitte – zum
Beispiel die Hobelschnitze - benutze ich
nun zum Kochen. Jeder Menügang ist dann
mit dem Alphorn verbunden. So entsteht in
unserer Küche eine eigene Kochphilosophie,
die allerdings nicht unbedingt immer mit
dem Holz verbunden ist – das ist nur ein
Beispiel –, es können auch andere Ideen
oder Ideologien sein.
Maisdestillat, auf den
rechten Handrücken
angerichtet auf einem
Haselfichtenbrettchen ,
eingerieben mit 2jährigem Emmentaler:
Zentrifugiertes
Maiswasser, gekocht
mit geröstetem
Haselfichtenholz, mit
Maisblätterjus,
weisse Polenta mit
Kokosmilch
karamellisierter
Maisgriess
Ganache von
Mistkratzerbrüstli und Leber
Knochenknorpel
gebacken,
Hühnerhaut frittiert
Maisfäden
Eis aus Sauerrahm und
geröstetem Maismehl
Tränenjus vom
Emmentaler
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Serviert auf einer
Glasplatte, mit Heu
unterlegt:
Im Stickstoff gefrorene
Joghurtstücke mit
Heidelbeerfruchtcrème
getrocknete und
gemahlene
Heidelbeeren
Haferbrei (Porridge)
in der Pfanne in Butter
und Haselnussöl
gebratene Haferflocken
Emdsauce
( Emd = 2. Heuschnitt)
geschäumte
Blütenhonigsauce
Erdbeerpapier
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Feuer, daraus entstehe Asche, die zur Erde
und Mineralität wird, und Wasser entwickelt sich wieder zu Holz und so weiter, es
entsteht also meine eigene Philosophie.
Ich wollte auch einmal etwas Cineastisches
machen, also jeder Tisch hätte ein eigenes
Kino und es würden filmische Cartoons
gezeigt. Für die Durchführung hatte ich
eine Studentin angesprochen, die hatte ausgerechnet, dass sie pro Cartoon eine Woche
Arbeitszeit benötige. Das fand ich dann undurchführbar und verwarf die Idee. Dann,
beim Nachhauseweg mit Fahrrad kam mir
als neue Idee, ich würde in einer Kuh sitzen
und könnte daraus einen Menügedanken
entwickeln. Um hierbei weiterzukommen,
gehe ich zu einem Bauernhof, führe Gespräche mit den Bauersleuten und versuche herauszufinden, was so abläuft in diesem Bereich
rundherum um eine Kuh, die dort lebt.
Also lassen Sie die Ideen zu sich selbst
kommen?
Ja, Ideen werden immer geworfen, weshalb
man warten muss. Ich kann sehr schnell ein
Menü praktisch aufbauen, aber es dauert,
bis ich alle Elemente erfasst habe, die da
hinein gehören. Dazu führe ich viele Gespräche, um viel zu erfahren. Ich sammle
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Eindrücke und Erfahrungen, schreibe das
in eine Mappe, bis ich genug für die Ausführung eines Menüs weiß. Mir stellen sich
auch viele Fragen aus der Beobachtung.
Nehmen wir die Torferde. In Schottland
basiert die Whiskyproduktion auf Torf. Torf
kann man aber auch essen. Oder die Linde
ist überall als spezielle Note im Wein aus
den Barriquefässern zu schmecken. Oder
die Fruchtbrände haben den Geschmack
von Fruchtholz, das Zedernholz ist im Tabak und so weiter. Für mich ist es dann auch
logisch, dass ich mit Torf,
Linden- und Zedernholz
kochen kann.
Sie leben ja hier auf dem
Dorf, würde Ihre Küche
zum Beispiel in einer
Großstadt nicht besser verstanden werden?
Ich brauche den Kontakt
zum Land und zum Erdigen,
deshalb bleibe ich hier. Dass
ich hier nicht immer von den
Einheimischen verstanden
werde, ist nicht schlimm.
In unserem Restaurant zu
essen, ist ja auch teuer. Aber
ich habe guten Kontakt zu den Leuten.
Wie sind biografisch Ihre Ursprünge und
Entwicklung zum Koch verlaufen?
Ich musste immer schon alles wissen, um
es verstehen zu können, und dabei setze ich
alles in Logik um. Es ist einfach meine Art,
den Dingen auf den Grund zu gehen. Und
wenn ich zu verstehen versuche, kommt die
Idee, die Dinge auch anders zu verwenden.
Nehmen wir das Mineralwasser, das ja eigentlich Steinwasser ist, weil es durch Steine
gelaufen ist. Da komme ich auf die Frage,
wieso man nicht mit Steinen kochen kann.
Aus Steinen im Kalkboden wächst der Wein,
also gehören Steine zum Wachstum. Oder
Bernstein, das ist Harz, der erwärmt werden
kann. So entsteht ein ganzheitliches Denken gebracht. Sein Projekt hieß »Mysterium«
von Körper, Geist und Seele. Der Körper ist und ich wollte ein gleichnamiges Restaurant
der Apfel, der Geist das Destillat und die
aufbauen und dort in der vierten DimenSeele die Asche. Somit kann ich bei einem
sion kochen. Mit Gefühlen und Visionen,
Apfel den ganzen Baum verwenden. Der
also extrem komplex kochen. Aber in der
Baum kann zur Asche werden, die Blätter,
Schweiz finde ich keine Zuhörer und Invesdie Knospen, die Blüten, der holzige Stil
toren für so ein avantgardistisches Projekt.
des Apfels, die Kerne sind Blausäure, die
Dagegen finde ich in Spanien einen guten
Schale, das Öl des Kernes, das Destillat aus
Anklang. Ich habe in Alicante gekocht und
dem Apfel … so kann eine endlose Abfolge
werde demnächst in Madrid einen solchen
entwickelt werden. Beim Schmecken einer
Auftritt einer Fusion von Essen und Musik
Frucht kommen auch immer wieder Unter- inszenieren.
töne auf. Beim Stein allerdings kann sich
kein Geschmack ergeben, trotzdem gehört
Sie entwickeln auch neue Kochtechniken?
der Stein immer dazu, weil
Wir erfinden und bauen
mit ihm etwas gewachsen
manchmal Geräte für unsere
ist. Er ist dann zwar nicht
Küche. Zum Beispiel haben
Geschmacksträger, aber
wir einen Schmiedeofen
Der Körper ist der Apfel,
durch ihn kommt eine Komgebaut, der eine Temperatur
der Geist das Destillat
plexität ins Essen hinein, die
von 1.000 Grad erreichen
und die Seele die Asche.
muss nicht direkt spürbar
kann. Ein anderes Beispiel
sein, sondern wirkt einfach
ist der Einsatz einer Flex bei
komplexer.
einem neuen Menü. Damit
kann ich beim Schneiden in
Wo steht Ihre Art zu
auf 100 Grad vorgewärmtem
kochen?
Holz noch stärkere Wärme
Das ist ein Problem, weil imerzeugen, um in diese heimer wieder gesagt wird, dass
ßen Einschnitte Zutaten zu
unsere Küche mit keiner zu vergleichen ist.
geben, die weitergaren und ein ganz eigenes
Allerdings habe ich auch immer das Gefühl, Röstaroma entfalten. Mit solchen Techniken
dass kaum jemand von den Kritikern bereit werden neue Verbindungen geschaffen.
ist, mir zuzuhören. Keiner fragt nach Erklärungen und dann kommt eine Beschreibung Was ist Ihr nächstes Buchprojekt?
heraus, in der beschrieben wird, dass das
Der Fotodesigner Michael Wissing plant
und das zusammengekocht wurde und fermit mir ein Buch zum Thema »Würste«.
tig. Oft steht dann noch, »der ist verrückt«
Eigentlich würde ich gerne ein Buch über
und das war es dann. Auch die Rezensionen »Kochphilosophie« machen. Ich finde, es
zu meinem neuen Buch waren erschreckend gibt genug Rezepte von Superköchen, aber
schlecht. Da wurde offensichtlich nur in
es fehlt eine Erklärung zur Konzeption
dem Buch herumgeblättert, aber es wurde
des Kochens. Wieso und warum kochen
nicht wirklich gelesen.
Köche so, wie sie kochen? Die Philosophie
Ich wollte zum Beispiel den russischen
der Köche ist die Zukunft. Es geht nicht
Klavierkomponisten Alexander Skrjabin
darum, welche Küche – ob nordisch, franbekochen. Er hat die Farben der Klaviatur
zösisch oder italienisch – die beste ist,
erfunden, hat Elemente von Architektur,
sondern welche Philosophie der Koch hat.
Ton und Duft in seiner Musik in Einklang
Ich will mir jetzt aber nicht den Esoteriker
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anhängen lassen. Vielmehr ist die Welt des
Kochens eine sehr schöne, aber auch eine
sehr schwer zu verstehende. Doch wenn
man näher hinschaut, erkennt man, wie
wunderbar diese Welt ist. Das ist wie beim
Tier, da muss man nicht immer mit den
edelsten Teilen kochen, sondern kann auch
aus den einfachsten Teilen etwas machen.
Natürlich gibt es dabei auch Grenzen, wenn
man die Innereien denkt. Hier akzeptieren
wir gewisse Grenzen des Geschmacks. Zum
Beispiel bieten wir unseren Gästen auch
einfache Dinge an, wie ein mit gemahlener
Walnussschale gewürztes Zwischenrippenstück, das auf fermentiertem Gras in einem
Ofen bei 1.000 Grad gegart wird. Dieses
Gras ist eigentlich Kuhscheiße, denn es ist
durch die Mägen gegangen und wurde dabei
fermentiert. Bei trockener Anwendung im
Grill liegt es unter dem Fleisch und macht
einen starken Zischlaut. Ähnliche Anwendungen gibt es in Island, wo Schaffleisch mit
Schafmist geräuchert wird. Auch in Afrika
werden die Wände mit Kuhmist gekleistert,
und dazu gibt es noch viele andere Beispiele.
So gibt es altes Wissen, mit dem ich mich
von Hildegard von Bingen bis zur weißen
Magie beschäftige und teilweise in der Küche umzuwandeln und interessierten Gästen
auch zu erklären versuche.
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Escholzmatter
Quellwasserforelle,
gegart in der blauen
Wasserbüffelmilch
Wasserbüffelmozzarella
Zwetschgenholzsalz
Wasserbüffelrahm
mit Lavendel
Wasserbüffelmilchessig mit Lorbeer
Zwetschgenkompott
mit
Zwetschgendestillat
gemörster
Tasmanischer Pfeffer
Meringage mit
gerösteten
Anissamen,
geflämmt
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Am Knochen gereiftes,
Zwischenrippenstück,
vom Entlebucher Rind,
gewürzt mit geriebener
Baumnussschale
im Schmiedeofen bei
10000C gegart und
geräuchert mit
fermentierten Kräutern
von der Weide
Onglet
(Zwerchfellzapfen)
gesotten
Siedfleischsauce
Rindfleischkügelchen,
mariniert mit Knoblauch,
schwarzer-/weisser
Pfeffer, Zimt, Nelken,
Muskat und Tinto Fino
mit Edelschimmel
bewachsen
Im Big Green Egg bei
2500C mit
Buchenholzkohle vom
Napf und
Baumnussschalen:
gebackene ganze Rande,
ausgebrochen
geschälte Baumnüsse,
geräuchert mit
Baumnussholz, gebraten
in Butter
Im Rinderknochen:
Rindsmark, mariniert mit
Apfelkernöl, Apfelkernen
und Schalengranitée von
der Berner Rose
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Serviert in einem
Salzstein : Gehacktes
Gemsfleisch vom Revier
Beichlen-Nord,
eingeschichtet mit
Sauerteigbrotwürfel,
Mostbröckliwürfel,
mariniert mit Steinsalz,
Szechuanpfeffer,
Sangiovese und
Arvenholz mit
Arvennadelöl und
Arvennüsschen
Gemsfleisch - Knusper
Schaum aus
Arvennadelwasser
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)
w
e
i
Hauptstrasse 111
6981 Escholzmatt
Tel. 041 486 12 41
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