Das Alphorn bekochen Stefan Wiesner◉ ◉ florian bolk und andreas sawall www.le-schicken.de Stefan Wiesner ist einer der großen Kochphilosophen. Wir haben bisher kaum jemanden getroffen, der sich soviele Gedanken um seine Teller macht. Ein Trip auf die schweizer Berge und in andere unbekannte Gefilde Sie kochen natur- und kulturverbunden. Die aktuelle Karte hat Alphörner zum Thema. Wie wird das umgesetzt? Wenn in den Bergen die Alphörner erklingen, dann geht es Mensch und Tier so, dass diese Naturmusik direkt ins Herz geht. Ob Kühe oder Pferde, alle lauschen und kommen zu dem Ort, wo die Hörner live gespielt werden. Sie können sich dem nicht entziehen. Deshalb kam ich auf die Idee, das Alphorn zu bekochen. Ich ging zu den Alphornherstellern Hans-Rudi und Walter, Vater und Sohn, die nicht weit von mir ihre Werkstatt haben. Sie bauen nach der Tradition mit sehr viel Handarbeit und nur wenigen und sehr alten Maschinen. 80 Stunden dauert die Herstellung, und die Wartezeit für Kunden beträgt drei Jahre. Beim Verkauf sa- gen sie, dass nicht die Personen die Hörner, sondern die Hörner die Personen aussuchen. Die Hörner werden aus den seltenen Haselfichtenhölzern gebaut. Nach dem Fällen wurden früher die Baumstämme in Kanälen transportiert. Bei diesem Transport stießen die Hölzer aneinander, und als einige klangen, fand man heraus, welche sich für den Instrumentenbau eigneten. Das besondere an den Hölzern ist ihre Struktur, die keine Jahresringe aufweisen, sondern wie »gestrickt« aussehen. Die Mundstücke des Alphorns sind aus Fruchthölzern, wie Zwetschge, Beere oder Kirsche, es können auch Sträucher sein, wie Rosen- oder Olivenholz. Der vordere Ring ist meistens aus Bambusholz, das irgendwie im letzten Jahrhundert in die Schweiz importiert wur- 9 stellen sich durch das Spiel auf dem Teller bestimmte Texturen und Geschmacksakkorde ein. Bei diesem Konzept stelle ich übrigens immer wieder fest, dass ich die gleiche Sprache wie die Künstler spreche, und wir verstehen uns auch sofort. Ihre Menüs wirken sehr aufwendig konzipiert und wiederholen sich nicht, erfinden Sie sich jedes Mal neu? Ja, ich erfinde mich immer neu. Zwar bleibt im Restaurant eine Standardkarte konstant, Fühlen Sie sich und Ihre Küche gut verstanden? Es gibt genügend Gäste, die lieben meine Küche über alles. Aber andere haben zunächst Schwierigkeiten, mich zu verstehen und dann kommen solche Charakterisierungen zustande, wie »der kocht mit Metall, Rost« oder so. Manche halten mich für verrückt und hören mir nicht zu. Eine sich wiederholende Frage ist dann: »Wieso und wa- denn diese Gerichte haben sich bewährt und werden nachgefragt. Bei den neuen Menüs gehe ich von einer Grundidee aus. Kürzlich ging ich von der Klangwelt aus. Klänge, Geräusche, zum Beispiel als Audioaufnahme von einer Wiese. Das wird den Leuten beim Essen vorgespielt. Ich arbeite sehr viel mit Hölzern – mein erstes Buch heißt auch »Gold – Holz – Stein«. Das Kochen mit Holz findet starken Anklang bei unseren Gästen. Wir kochen die Hölzer aus, machen daraus Kohle, verwenden die Sprossen, Blätter, Rinde, den Saft und so weiter, da bieten sich unendlich viele Möglichkeiten. Bei unserem Kochen mit Naturmaterialien wie Holz gehen wir von den drei Elementen Textur, Akkord und Philosophie aus. Beim Essen rum kocht er das?« Ich bemühe mich, eine verständliche Philosophie zu artikulieren, allerdings kann ich in einer halben Stunde ein Menü entwickeln, das dann zeigt, worum es mir geht. Der Prozess zu solchen Kreationen dauert allerdings eine längere Zeit der gedanklichen Vorbereitung. Zum Beispiel wurde ich einmal von einer deutschen Kunststudentin gefragt, ob ich etwas über die vier Element Luft, Feuer, Wasser und Erde kochen könnte. Ich habe dann noch die beiden Elemente Holz und Metall hinzugefügt. Dabei habe ich viel nachgedacht über die griechischen und chinesischen Elemente und ihre Besonderheiten. Dann habe ich sechs Elemente aufgestellt und dazu eine eigene These formuliert: Holz und Luft gibt Maisdestillat, Maiswasser, Polenta mit Kokosmilch, Hühnerbrust und -leber, Sauerrahmeis, Hühnerhaut de und seitdem wegen seiner Robustheit benutzt wird. Die bei der Instrumentenproduktion abfallenden Holzabschnitte – zum Beispiel die Hobelschnitze - benutze ich nun zum Kochen. Jeder Menügang ist dann mit dem Alphorn verbunden. So entsteht in unserer Küche eine eigene Kochphilosophie, die allerdings nicht unbedingt immer mit dem Holz verbunden ist – das ist nur ein Beispiel –, es können auch andere Ideen oder Ideologien sein. Maisdestillat, auf den rechten Handrücken angerichtet auf einem Haselfichtenbrettchen , eingerieben mit 2jährigem Emmentaler: Zentrifugiertes Maiswasser, gekocht mit geröstetem Haselfichtenholz, mit Maisblätterjus, weisse Polenta mit Kokosmilch karamellisierter Maisgriess Ganache von Mistkratzerbrüstli und Leber Knochenknorpel gebacken, Hühnerhaut frittiert Maisfäden Eis aus Sauerrahm und geröstetem Maismehl Tränenjus vom Emmentaler 11 Serviert auf einer Glasplatte, mit Heu unterlegt: Im Stickstoff gefrorene Joghurtstücke mit Heidelbeerfruchtcrème getrocknete und gemahlene Heidelbeeren Haferbrei (Porridge) in der Pfanne in Butter und Haselnussöl gebratene Haferflocken Emdsauce ( Emd = 2. Heuschnitt) geschäumte Blütenhonigsauce Erdbeerpapier 12 Feuer, daraus entstehe Asche, die zur Erde und Mineralität wird, und Wasser entwickelt sich wieder zu Holz und so weiter, es entsteht also meine eigene Philosophie. Ich wollte auch einmal etwas Cineastisches machen, also jeder Tisch hätte ein eigenes Kino und es würden filmische Cartoons gezeigt. Für die Durchführung hatte ich eine Studentin angesprochen, die hatte ausgerechnet, dass sie pro Cartoon eine Woche Arbeitszeit benötige. Das fand ich dann undurchführbar und verwarf die Idee. Dann, beim Nachhauseweg mit Fahrrad kam mir als neue Idee, ich würde in einer Kuh sitzen und könnte daraus einen Menügedanken entwickeln. Um hierbei weiterzukommen, gehe ich zu einem Bauernhof, führe Gespräche mit den Bauersleuten und versuche herauszufinden, was so abläuft in diesem Bereich rundherum um eine Kuh, die dort lebt. Also lassen Sie die Ideen zu sich selbst kommen? Ja, Ideen werden immer geworfen, weshalb man warten muss. Ich kann sehr schnell ein Menü praktisch aufbauen, aber es dauert, bis ich alle Elemente erfasst habe, die da hinein gehören. Dazu führe ich viele Gespräche, um viel zu erfahren. Ich sammle 14 Eindrücke und Erfahrungen, schreibe das in eine Mappe, bis ich genug für die Ausführung eines Menüs weiß. Mir stellen sich auch viele Fragen aus der Beobachtung. Nehmen wir die Torferde. In Schottland basiert die Whiskyproduktion auf Torf. Torf kann man aber auch essen. Oder die Linde ist überall als spezielle Note im Wein aus den Barriquefässern zu schmecken. Oder die Fruchtbrände haben den Geschmack von Fruchtholz, das Zedernholz ist im Tabak und so weiter. Für mich ist es dann auch logisch, dass ich mit Torf, Linden- und Zedernholz kochen kann. Sie leben ja hier auf dem Dorf, würde Ihre Küche zum Beispiel in einer Großstadt nicht besser verstanden werden? Ich brauche den Kontakt zum Land und zum Erdigen, deshalb bleibe ich hier. Dass ich hier nicht immer von den Einheimischen verstanden werde, ist nicht schlimm. In unserem Restaurant zu essen, ist ja auch teuer. Aber ich habe guten Kontakt zu den Leuten. Wie sind biografisch Ihre Ursprünge und Entwicklung zum Koch verlaufen? Ich musste immer schon alles wissen, um es verstehen zu können, und dabei setze ich alles in Logik um. Es ist einfach meine Art, den Dingen auf den Grund zu gehen. Und wenn ich zu verstehen versuche, kommt die Idee, die Dinge auch anders zu verwenden. Nehmen wir das Mineralwasser, das ja eigentlich Steinwasser ist, weil es durch Steine gelaufen ist. Da komme ich auf die Frage, wieso man nicht mit Steinen kochen kann. Aus Steinen im Kalkboden wächst der Wein, also gehören Steine zum Wachstum. Oder Bernstein, das ist Harz, der erwärmt werden kann. So entsteht ein ganzheitliches Denken gebracht. Sein Projekt hieß »Mysterium« von Körper, Geist und Seele. Der Körper ist und ich wollte ein gleichnamiges Restaurant der Apfel, der Geist das Destillat und die aufbauen und dort in der vierten DimenSeele die Asche. Somit kann ich bei einem sion kochen. Mit Gefühlen und Visionen, Apfel den ganzen Baum verwenden. Der also extrem komplex kochen. Aber in der Baum kann zur Asche werden, die Blätter, Schweiz finde ich keine Zuhörer und Invesdie Knospen, die Blüten, der holzige Stil toren für so ein avantgardistisches Projekt. des Apfels, die Kerne sind Blausäure, die Dagegen finde ich in Spanien einen guten Schale, das Öl des Kernes, das Destillat aus Anklang. Ich habe in Alicante gekocht und dem Apfel … so kann eine endlose Abfolge werde demnächst in Madrid einen solchen entwickelt werden. Beim Schmecken einer Auftritt einer Fusion von Essen und Musik Frucht kommen auch immer wieder Unter- inszenieren. töne auf. Beim Stein allerdings kann sich kein Geschmack ergeben, trotzdem gehört Sie entwickeln auch neue Kochtechniken? der Stein immer dazu, weil Wir erfinden und bauen mit ihm etwas gewachsen manchmal Geräte für unsere ist. Er ist dann zwar nicht Küche. Zum Beispiel haben Geschmacksträger, aber wir einen Schmiedeofen Der Körper ist der Apfel, durch ihn kommt eine Komgebaut, der eine Temperatur der Geist das Destillat plexität ins Essen hinein, die von 1.000 Grad erreichen und die Seele die Asche. muss nicht direkt spürbar kann. Ein anderes Beispiel sein, sondern wirkt einfach ist der Einsatz einer Flex bei komplexer. einem neuen Menü. Damit kann ich beim Schneiden in Wo steht Ihre Art zu auf 100 Grad vorgewärmtem kochen? Holz noch stärkere Wärme Das ist ein Problem, weil imerzeugen, um in diese heimer wieder gesagt wird, dass ßen Einschnitte Zutaten zu unsere Küche mit keiner zu vergleichen ist. geben, die weitergaren und ein ganz eigenes Allerdings habe ich auch immer das Gefühl, Röstaroma entfalten. Mit solchen Techniken dass kaum jemand von den Kritikern bereit werden neue Verbindungen geschaffen. ist, mir zuzuhören. Keiner fragt nach Erklärungen und dann kommt eine Beschreibung Was ist Ihr nächstes Buchprojekt? heraus, in der beschrieben wird, dass das Der Fotodesigner Michael Wissing plant und das zusammengekocht wurde und fermit mir ein Buch zum Thema »Würste«. tig. Oft steht dann noch, »der ist verrückt« Eigentlich würde ich gerne ein Buch über und das war es dann. Auch die Rezensionen »Kochphilosophie« machen. Ich finde, es zu meinem neuen Buch waren erschreckend gibt genug Rezepte von Superköchen, aber schlecht. Da wurde offensichtlich nur in es fehlt eine Erklärung zur Konzeption dem Buch herumgeblättert, aber es wurde des Kochens. Wieso und warum kochen nicht wirklich gelesen. Köche so, wie sie kochen? Die Philosophie Ich wollte zum Beispiel den russischen der Köche ist die Zukunft. Es geht nicht Klavierkomponisten Alexander Skrjabin darum, welche Küche – ob nordisch, franbekochen. Er hat die Farben der Klaviatur zösisch oder italienisch – die beste ist, erfunden, hat Elemente von Architektur, sondern welche Philosophie der Koch hat. Ton und Duft in seiner Musik in Einklang Ich will mir jetzt aber nicht den Esoteriker 15 anhängen lassen. Vielmehr ist die Welt des Kochens eine sehr schöne, aber auch eine sehr schwer zu verstehende. Doch wenn man näher hinschaut, erkennt man, wie wunderbar diese Welt ist. Das ist wie beim Tier, da muss man nicht immer mit den edelsten Teilen kochen, sondern kann auch aus den einfachsten Teilen etwas machen. Natürlich gibt es dabei auch Grenzen, wenn man die Innereien denkt. Hier akzeptieren wir gewisse Grenzen des Geschmacks. Zum Beispiel bieten wir unseren Gästen auch einfache Dinge an, wie ein mit gemahlener Walnussschale gewürztes Zwischenrippenstück, das auf fermentiertem Gras in einem Ofen bei 1.000 Grad gegart wird. Dieses Gras ist eigentlich Kuhscheiße, denn es ist durch die Mägen gegangen und wurde dabei fermentiert. Bei trockener Anwendung im Grill liegt es unter dem Fleisch und macht einen starken Zischlaut. Ähnliche Anwendungen gibt es in Island, wo Schaffleisch mit Schafmist geräuchert wird. Auch in Afrika werden die Wände mit Kuhmist gekleistert, und dazu gibt es noch viele andere Beispiele. So gibt es altes Wissen, mit dem ich mich von Hildegard von Bingen bis zur weißen Magie beschäftige und teilweise in der Küche umzuwandeln und interessierten Gästen auch zu erklären versuche. 16 Escholzmatter Quellwasserforelle, gegart in der blauen Wasserbüffelmilch Wasserbüffelmozzarella Zwetschgenholzsalz Wasserbüffelrahm mit Lavendel Wasserbüffelmilchessig mit Lorbeer Zwetschgenkompott mit Zwetschgendestillat gemörster Tasmanischer Pfeffer Meringage mit gerösteten Anissamen, geflämmt 17 Am Knochen gereiftes, Zwischenrippenstück, vom Entlebucher Rind, gewürzt mit geriebener Baumnussschale im Schmiedeofen bei 10000C gegart und geräuchert mit fermentierten Kräutern von der Weide Onglet (Zwerchfellzapfen) gesotten Siedfleischsauce Rindfleischkügelchen, mariniert mit Knoblauch, schwarzer-/weisser Pfeffer, Zimt, Nelken, Muskat und Tinto Fino mit Edelschimmel bewachsen Im Big Green Egg bei 2500C mit Buchenholzkohle vom Napf und Baumnussschalen: gebackene ganze Rande, ausgebrochen geschälte Baumnüsse, geräuchert mit Baumnussholz, gebraten in Butter Im Rinderknochen: Rindsmark, mariniert mit Apfelkernöl, Apfelkernen und Schalengranitée von der Berner Rose 19 20 Serviert in einem Salzstein : Gehacktes Gemsfleisch vom Revier Beichlen-Nord, eingeschichtet mit Sauerteigbrotwürfel, Mostbröckliwürfel, mariniert mit Steinsalz, Szechuanpfeffer, Sangiovese und Arvenholz mit Arvennadelöl und Arvennüsschen Gemsfleisch - Knusper Schaum aus Arvennadelwasser 21 ) w e i Hauptstrasse 111 6981 Escholzmatt Tel. 041 486 12 41 G as ös th of R sl i 8 r e n s e www.stefanwiesner.ch