Der Zustand selbst und seine Merkmale - poekl-net

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Pökl, Mag. Margarete
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BESCHREIBUNG EINES PATIENTEN MIT PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
1. Zur Person des Patienten und zur Geschichte seines Zustandes:
Der ca. 28 Jahre alte Patient befindet sich seit mehreren Wochen in stationärer Behandlung.
Nach Abbruch der HAK wegen mißlungener Matura verfügt er weder über eine
abgeschlossene Ausbildung noch über einen Beruf, sondern lebt von Gelegenheitsjobs, der
Unterstützung vom Sozialamt und finanziellen Zuwendungen seiner Eltern. Seine basalen
Bedürfnisse sind somit gesichert.
Vor seiner Hospitalisierung lebte der Patient in einer betreuten Wohngemeinschaft, einer
Nachfolgeeinrichtung der Pension Bettina. Dorthin kann er jedoch nun nicht mehr zurückkehren, da er, eigenen Angaben zufolge, von den Eltern seiner Mitbewohner aufgrund der
Tatsache, ständig zu viele Freunde von außerhalb in die Wohngemeinschaft eingeladen zu
haben, als „schlechter Einfluß“ angesehen wird. Der Patient wird, so vermutet er, künftig
allein in einer Gemeindewohnung leben, was er jedoch bedauert, da er „lieber mit Freunden
zusammen“ wäre.
Der Patient berichtet, bis vor kurzem eine Beziehung zu einer jungen Frau gehabt zu haben,
die aber nun, auf Wunsch seiner Freundin, beendet sei und nur mehr freundschaftlichen
Charakter habe.
Über seine Familie erzählt der Patient, daß seine Eltern geschieden seien. Sein um zwei Jahre
jüngerer Bruder arbeite als Maschinenschlosser in einer Fahrradwerkstätte. Er mache dem
Patienten ständig Vorwürfe und erwarte von ihm, ihm ein Vorbild zu sein, ein Anspruch, den
der Patient selbst nicht an sich hat, weil er sich vorgenommen hat, „nie erwachsen zu werden“
(Anzeichen des sogenannten „Peter-Pan-Syndroms“?), da er auf keinen Fall so werden wolle
wie sein Vater. Von seinem Bruder erwartet sich der Patient „ernst genommen zu werden“.
Die Probleme zwischen den beiden können aber nicht besprochen werden, weil dem Patienten
„der Mut dazu fehlt“. Ein ähnliches Verhältnis hat der Patient zu seinem Vater, an dem ihn
vor allem dessen Unzufriedenheit mit seiner Arbeit stört, ein Umstand, an dem der Vater
allerdings nichts ändern könne. Außerdem stört ihn das Trinken des Vaters und dessen damit
zusammenhängende Aggressivität der übrigen Familie gegenüber. In seiner gegenwärtigen
Situation sieht der Patient sein Hauptproblem darin, „daß ich nicht einsehen will, daß es nur
ums Geld geht im Leben.“
Einem in wenigen Tagen stattfindenden Gespräch bei der Berufsberatung sieht er eher mit
gemischten Gefühlen entgegen. Er begründet dies mit: „Wenn es um mich geht, so ist mir das
unangenehm.“ Außerdem meint er, im Grunde überhaupt keine Ziele zu haben, und er scheint
davon überzeugt, es mangle ihm an der nötigen Disziplin. Auf die Frage, wieso er diese nicht
aufbringen könne, führt der Patient Lustlosigkeit, fehlende Motivation, mangelndes
Durchhaltevermögen an. Dazu muß allerdings angemerkt werden, daß der Patient sehr wohl
genügend Durchhaltevermögen und Disziplin aufbrachte, um in der betreuten
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Wohngemeinschaft und bei der Therapie zu bleiben, die er seit einigen Jahren regelmäßig
besucht.
2. Der Zustand selbst und seine Merkmale:
Der Patient gibt an, in der Zeit vor seiner Einweisung ein sehr geringes Schlafbedürfnis
(durchschnittlich vier bis fünf Stunden Schlaf pro Nacht) gehabt und auch wenig bis keine
Tagesmüdigkeit verspürt zu haben. Nachts war er ständig unterwegs, tagsüber traf er sich mit
Freunden oder telefonierte. Das empfand der Patient zwar als angenehm, andererseits schien
es ihm als nicht normal.
Weiters erwähnt der Patient, „zeitweilige Aussetzer“ gehabt zu haben. Er ging beispielsweise
in die Küche, um sich Tee zu machen, an seinem Ziel angekommen, wußte er jedoch nicht
mehr, was er dort eigentlich wollte. Zwar habe er sich über diese Aussetzer keine wirklichen
Sorgen gemacht, sie erschienen ihm aber häufiger als normal vorzukommen, was ihn
beunruhigte.
Darüber hinaus meint der Patient, er habe „ein wenig halluziniert“. Er hörte zum Beispiel auf
der Straße die Stimme seines Bruders, ohne aber zu verstehen, was diese sagte. Drehte er sich
um, so war dieses Phänomen weg. Das kam dem Patienten seltsam vor, und er gelangte zur
Überzeugung, daß mit ihm etwas nicht stimme könne.
Vor drei Jahren hatte der Patient einen ähnlichen Zustand erlebt. Damals wollte er mit dem
Moped nach Italien fahren. Nachdem dieses Fahrzeug aber bereits in Wiener Neustadt
fahruntüchtig wurde, wollte der Patient mit einem Wohnmobil, das er „als Geschenk“
betrachtete (Verkennung der Realität), seine Reise fortsetzen, worauf er von der Polizei
zunächst festgenommen, dann aber wieder heimgeschickt wurde. Nachdem er danach die
Polizei angerufen und um einen Hubschrauber für seine Italienreise gebeten hatte (die Kosten
dafür wollte er später abzahlen), wurde er in die Psychiatrie gebracht. Er steht seit diesen
Ereignissen in medikamentöser und psychiatrischer Behandlung. Seinen damaligen Zustand
bezeichnet der Patient heute als ein „von Sinnen-Sein“. Er gibt an, damals manchmal vor sich
selbst und dem, was er sich alles zutraute, erschrocken zu sein, obwohl ihm dieser Zustand
auch ein „hohes Selbstwertgefühl“ vermittelt habe.
Seinen gegenwärtigen Zustand hingegen erlebt er als weit weniger gravierend, aber dennoch
als Beschwerden. Sei er vor der Einweisung „durchgehend gut gelaunt“ gewesen, so fühle er
sich jetzt „gedämpft“, bzw. „enttäuscht, daß dieser Zustand verflogen“ sei, vor allem weil er
vor der Hospitalisierung viele Ideen gehabt habe, die er auch verwirklichte. Als Beispiel führt
der Patient das Organisieren von Spiegeln für einen sammelnden Freund an.
Der Patient wundert sich einerseits, daß „mir im Spital bisher niemand sagen konnte, was mir
eigentlich fehlt“, obwohl es andererseits „nichts helfen würde, für meinen Zustand einen
Namen zu haben“. Er selbst bezeichnet diesen Zustand als „eine Art Ich-Störung“. Er gibt an,
seit ungefähr zehn Jahren darunter zu leiden, es handelt sich somit um ein anhaltendes
Problem von nachhaltiger Bedeutung.
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Der Patient wirkt sehr ruhig, er macht einen eher scheuen, gedämpften Eindruck. Seine
Sprache weist keinerlei erkennbare Besonderheiten auf, was er sagt, klingt logisch und
nachvollziehbar.
3. Versuch einer Interpretation:
Zum Zeitpunkt seiner Einweisung befand sich der Patient, der seinen Zustand als
„Beschwerden“ schildert, in einer Art manischer Phase. Diese war gekennzeichnet durch
gehobene Stimmung, geringes Schlafbedürfnis, keine Tagesmüdigkeit und Ideenreichtum.
Auf einen episodischen Ablauf kann geschlossen werden, da der Patient angibt, diesen
Zustand schon mehrere Male zuvor erlebt zu haben.
Auffallend ist, daß der Anfang der Beschwerden des Patienten mit dem Scheitern in der
Schule um das 19. Lebensjahr zusammenfällt. Seither führt der Patient ein unstrukturiertes
Leben, das von Selbstunsicherheit geprägt ist. Diese Selbstunsicherheit bezieht sich
einerseits auf Grundfragen des Lebens. Der Patient hat keine Ziele im herkömmlichen Sinn,
sondern er gibt an, nicht erwachsen werden zu wollen. Andererseits ist er auch selbstunsicher
in bezug auf seine eigenen Fähigkeiten. Die Folge dieser Selbstunsicherheit ist ein
Strukturmangel, ein relativ unstrukturiertes Vorsichhinleben. Der Patient braucht mehr
Strukturen bzw. mehr Lösungsstrategien für seine Persönlichkeitsproblematik.
Nach der subjektiven Zuschreibung des Patienten handelt es sich bei seinen Beschwerden um
„eine Art Ich-Störung“. Diese Formulierung läßt eine Art Distanz des Patienten zu sich selbst
vermuten, wobei allerdings einschränkend zu bemerken ist, daß der Patient von sich selbst
nicht in Man-Sätzen, sondern in Ich-Sätzen spricht.
Der Patient berichtet vom wiederholtem Auftreten von Erlebnissen, die er selbst als Halluzinationen bezeichnet. Er hörte die Stimme seines Bruders hinter sich, wenn er sich aber
umdrehte, war der Bruder nicht da und die Stimme weg. Diese Erlebnisse schreibt er seinem
eigenen Zustand zu („Mit mir muß irgendetwas nicht stimmen.“) Halluzinatorische Erlebnisse
sind Sinneseindrücke, denen in der Realität nichts entspricht. Möglicherweise hatte der
Patient tatsächlich auditive Halluzinationen. Diese Erlebnisse traten beim Patienten aber
immer dann auf, wenn er mit anderen Leuten zusammen war. Es könnte also sein, daß es sich
bei ihm um keine wirklichen Halluzinationen, sondern um eine illusionäre Verkennung der
Realität gehandelt hat. Wie kommt nun ein solches Phänomen zustande? Der Patient hörte die
Stimme seines Bruders, zu dem er eine negativ besetzte bzw. ambivalent besetzte Beziehung
hat. Der Bruder ist für den Patienten eine bedeutungsvolle Person. Er ist ihm wichtig, aber er
ist auch jemand, der Erwartungen an ihn hat, die er nicht erfüllen kann, aber dennoch gern
erfüllt hätte bzw. erfüllen würde. Auf der anderen Seite wurden aber auch die eigenen
Erwartungen des Patienten an den Bruder enttäuscht (z.B. als er dem Patienten durch sein
Betrunkensein das Weihnachtsfest verdorben hat). Die Beziehung des Patienten zu seinem
Bruder ist facettenreich und voller Widersprüche. Eine ähnliche wichtige Figur ist für den
Patienten sein Vater. In dieser Beziehung gibt es ebenfalls widersprüchliche Erwartungen,
sowohl an den Vater als auch an sich selbst. Dennoch hörte der Patient nie die Stimme seines
Vaters, vielleicht, weil mit diesem eine Kommunikation schlecht bzw. unmöglich wäre.
Während im Verhältnis zum Bruder noch allerlei offen ist, so hat der Patient von seinem
Vater ein relativ endgültiges Bild, der Vater ist für ihn sozusagen eine fertige Figur. Das
könnte ein Grund sein, warum der Patient die Stimme seines Bruders, nicht aber die seines
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Vaters hörte. Dieses Phänomen wurde vom Patienten nicht als Irrtum bewertet, sondern als
Symptom.
Auch die sogenannten „Aussetzer“ wurden vom Patienten als Symptom interpretiert,
wenngleich seine Freundin sie ihm gegenüber als etwas Alltägliches bezeichnete. Ein Grund
für solche Aussetzer ist ein Brüchigwerden der Aufmerksamkeit, was bei Müdigkeit oder
infolge Substanzeinwirkung auftreten kann. Der Patient nimmt nun eine Zuschreibung vor,
indem er diese Erlebnisse als Symptom wertet. Damit hat er recht, aber es handelt sich dabei
eher um eine Störung im Bereich des Denkens, der Abläufe, der Kohärenz, d.h. daß er in
seinem Zustand einen gefaßten Gedanken nicht schlüssig weiterverfolgen konnte.
Zusammenfassend könnte man sagen, daß der Patient wahrscheinlich an einer Persönlichkeitsstörung leidet, die dem schizophrenen Formenkreis zuzuordnen ist. Dafür spricht
folgendes:
Die Zustände des Patienten begannen vor zehn Jahren, also um sein 19. Lebensjahr herum.
Das häufigste Auftreten der Schizophrenie liegt zwischen dem 20. bis 40. Lebensjahr, der
Häufigkeitsgipfel bei Männer zwischen dem 15. bis 24. Lebensjahr.
Möglicherweise wurde die Erkrankung damals durch das Scheitern bei der Matura ausgelöst.
Das negative Prüfungsergebnis war für den Patienten gewiß ein belastendes Lebensereignis,
was beim Vorliegen einer entsprechenden Disposition zum Ausbruch der Schizophrenie
führen kann. Andererseits könnte die mißglückte Matura aber auch schon eine Folge der
Erkrankung gewesen sein, denn der Patient gibt an, „ein schlechter Schüler“ gewesen zu sein.
Auf jeden Fall hat die mißlungene Prüfung einen Knick in der Lebenslinie des Patienten
bewirkt. Auffallend ist auch, daß er danach nicht einfach, wie in solchen Fällen üblich, noch
einmal zur Matura angetreten ist. Dieser Umstand könnte auf Antriebsdefizit, Initiativeverlust
und Mangel an Aktivität schließen lassen, die als Symptome von Schizophrenia simplex
gelten. Beim gegenwärtigen Zustand wiederum könnte es sich um einen durch einen lifeevent ausgelösten Rückfall in die Schizophrenie gehandelt haben. Eventuell stellte die
Trennung von der Freundin, die Erlebnisse des Patienten anläßlich des Weihnachtsfestes oder
das drohende Auseinanderbrechen der Wohngemeinschaft, alles Situationen, die eine geistige
Anpassung erfordern, einen derartigen life-event dar. Ein hoher Level von Expressed
Emotions innerhalb der Familie, was sich bei Schizophrenie für einen Rückfall begünstigend
auswirkt, dürfte beim Patienten nicht vorliegen.
Vor seiner Einweisung ins Krankenhaus litt der Patient offensichtlich an einer Störung der
Wach-Schlaf-Regulation, die gekennzeichnet war durch Schlaflosigkeit, Unruhe (ständiges
Unterwegssein, gesteigerte Betriebsamkeit) und gehobene Stimmung.
Allerdings trat bei ihm der bei Schizophrenie oft beschriebene soziale Rückzug nicht auf, er
scheint im Gegenteil sozial besonders umtriebig gewesen zu sein, berichtet er doch von
zahlreichen Telefonaten und Treffen mit Freunden. Seine Beziehung zur Außenwelt scheint
also nicht gestört gewesen zu sein. Auch für einen emotionalen Rückzug liegen keine
Anzeichen vor, obwohl man die Trennung von der Freundin möglicherweise als solchen
interpretieren könnte.
Ob es sich beim Hören der Stimme des Bruders tatsächlich um akustische Halluzinationen
gehandelt hat, kann man aus dem Bericht des Patienten über diese Erlebnisse nicht wirklich
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definitiv schließen. Die Stimme des Bruders war seinen Angaben zufolge weder imperativ
noch kommentierend. Es könnte sich also auch um eine illusionäre Verkennung der Realität
gehandelt haben.
Möglicherweise kann aus dem, was der Patient über sein Verhältnis zu seinem Bruder und
Vater erzählt hat, auf das Vorhandensein von Anzeichen leichten Verfolgungswahns
geschlossen werden. Diese beiden Personen haben dem Patienten seinen Angaben zufolge
mehrmals das Weihnachtsfest verdorben. Aus dem Umstand, daß der Vater, vom Patienten
darauf angesprochen, sich gar nicht mehr an diesen Vorfall erinnern konnte, und aus dem
beharrlichen Bestehen des Patienten darauf, sein Bruder habe ihm absichtlich diese Kränkung
zugefügt, könnten eventuell Indizien dafür abgelesen werden.
Aus dem Umstand, daß der Patient in bezug auf seine Ziele wenig bis keine Angaben machen
kann bzw. daß er mehr oder weniger vor sich hinlebt, könnte auf Willenlosigkeit, ein
Negativsymptom der Schizophrenie, geschlossen werden. Andererseits tut der Patient sehr
wohl Wollen kund, wenn er angibt, nicht erwachsen und auf keinen Fall so werden zu wollen
wie sein Vater.
Aus dem Verhalten des Patienten während des Gesprächs läßt sich möglicherweise eine
gewisse Affektflachheit ablesen. Sein Gesicht blieb unbewegt, er schien Blickkontakt eher zu
vermeiden, sprach monoton und zeigte wenig Emotionen. Dies könnte aber auch auf die für
ihn ungewohnte Situation im Hörsaal zurückzuführen sein. Seine Sprache ließ keinerlei
Desorganisation erkennen, die für Schizophrenie typischen unlogischen oder
unzusammenhängenden Bemerkungen, Anakoluthe und Neologismen kamen nicht vor.
Abschließend sei bemerkt: Der Zustand des Patienten läßt sich nicht eindeutig einem bestimmten Krankheitsbild zuordnen. Einiges spricht für Schizophrenie, die Symptomatik
erscheint jedoch nicht deutlich ausgeprägt. Das könnte aber auch damit zusammenhängen,
daß der Patient seit drei Jahren regelmäßig Medikamente nimmt und sich einer Therapie
unterzieht.
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