Serbien 1915 - Zentrum für Militärgeschichte und

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Zeitschrift für historische Bildung
C 21234
ISSN 0940 - 4163
Heft 3/2015
Militärgeschichte
Militärgeschichte im Bild: Deutsche UN-Soldaten in Somalia im Sommer 1993.
Kriegsschauplatz Serbien 1915
60 Jahre Innere Führung
Bismarck in der Bundeswehr
Hazardpolitik mit Erfolg
Militärgeschichtliches Forschungsamt
MGFA
Impressum
Editorial
ZMG 2014-H3 Impressum Editorial
Liebe Leserin,
lieber Leser,
Militärgeschichte
Zeichen: 2.900
Zeitschrift
Bildung
V1für
mthistorische
2014-08-21,
V2 lekt 2014-08Herausgegeben
21, V3 mt 2014-08-22
vom Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften
der Bundeswehr
S. 2
durch Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack und
Oberstleutnant Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.)
Produktionsredakteure der aktuellen
Ausgabe:
Major Dr. Jochen Maurer und
Hauptmann Ariane Huth M.A.
Redaktion:
Friederike Höhn B.A. (fh)
Hauptmann Ariane Huth M.A. (aau)
Major Dr. Jochen Maurer (jm)
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)
Major Dr. Klaus Storkmann (ks),
korresp. Mitglied
Mag. phil. Michael Thomae (mt)
Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig
Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić
Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli
Layout/Grafik:
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Anschrift der Redaktion:
Redaktion »Militärgeschichte«
Zentrum für Militärgeschichte und
Sozialwissenschaften der Bundeswehr
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© 2015 für alle Beiträge beim
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ISSN 0940-4163
dieses Heft nimmt neben zwei Schauplätzen im Ersten Weltkrieg auch zwei
Ereignisse in den Blick, die sich wegen ihres Jubiläumscharakters besonders
für diese Ausgabe eignen.
Es ist 60 Jahre her, dass die Bundeswehr gegründet wurde. Damit stellt sich
die Frage, was zum Aufbau dieser Armee in der Demokratie beigetragen hat.
Rudolf J. Schlaffer wirft einen Blick in die Vergangenheit, um die Konzeption
der Inneren Führung im Wandel von 60 Jahren zu betrachten: Inwiefern hat
die Innere Führung den Aufbau der Bundeswehr beeinflusst und sind ihre
Grundlagen von damals – Staatsbürger und inzwischen auch Staatsbür­
gerinnen in Uniform – auch heute noch anwendbar?
Bereits zum 200. Mal jährt sich 2015 der Geburtstag des ersten Reichskanzlers, Otto von Bismarck. Christoph Nübel nimmt dieses Jubiläum zum Anlass, die verschiedenen Sichtweisen in der Bundeswehr zu Bismarck im Verlauf der Jahrzehnte zu erklären. Dabei betrachtet er den Mythos Bismarck
wie auch die teils heftige Kritik an seiner Person und Politik vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert.
Während Ende 1914 an der Westfront der Bewegungskrieg erstarrte und
sich die Armeen sprichwörtlich zum Schutz vor Waffenwirkung in die Erde
vergruben, lagen die Verhältnisse an der Ostfront anders. Bereits im Heft
2/2015 haben wir mit der Schlacht von Gorlice und Tarnów den östlichen
Kriegsschauplatz thematisiert. Nun wenden wir uns weiteren bisher kaum
beleuchteten Gebieten im Osten zu:
Direkt zu Beginn des Krieges stand Serbien auf der Seite der Ententemächte
im Kampf gegen Österreich-Ungarn, konnte jedoch dessen erste Offensive
zurückschlagen. Im Herbst 1915 griffen die Mittelmächte nun mit vereinter
Übermacht Serbien erneut an. Lange konnte sich die serbische Armee nicht
halten und flüchtete zur Adriaküste. Einen genauen Einblick über den unbekannten Kriegsschauplatz bietet der Beitrag von Gorch Pieken.
Im Laufe des Krieges gab Rumänien seine Neutralität auf und zog im Sommer 1916 gegen die Mittelmächte in den Krieg. Marc Stegherr skizziert den
Verlauf der nun folgenden Monate in denen sich schnell zeigte, dass die rumänische Armee auf den Krieg nicht vorbereitet war und von den deutschen
und österreichischen Truppen sogar über die Landesgrenze hinweg zurückgeschlagen wurde. Das geschwächte Rumänien verkraftete den Kollaps des
russischen Kriegspartners nach der Februar- und Oktoberrevolution 1917
nicht und war gezwungen, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen.
In eigener Sache: Die Redaktion begrüßt den neuen Mitherausgeber Oberstleutnant Dr. Frank Hagemann und freut sich auf eine gute Zusammenarbeit.
Schließlich kennt er als ehemaliges Redaktionsmitglied die Sorgen, Nöte und
auch Freuden von Redakteuren. Zu guter Letzt verdanken wir ihm den
blauen Anstrich des Heftes.
Damit wünschen wir Ihnen eine interessante Lektüre dieses Heftes.
Ihre
Ariane Huth und Jochen Maurer
Inhalt
Der unbekannte Kriegsschauplatz: Serbien 1915
4
Das historische Stichwort:
Das Adventus-Ritual des
Spätmittelalters
23
Neue Medien 24
Lesetipps26
Die historische Quelle
28
Geschichte kompakt
29
Ausstellungen30
Dr. Gorch Pieken, geb. 1961 in Sanderbusch/
Friesland, Wissenschaftlicher Direktor am Militärhistorischen Museums der Bundeswehr, Dresden
Die Innere Führung im
Spiegel von 60 Jahren
Service
10
Militärgeschichte
im Bild
UNOSOM II 31
Oberstleutnant Dr. Rudolf J. Schlaffer, geb.
1970 in Amberg, bis Juli 2015 Bereichsleiter Einsatzgeschichte ZMSBw, derzeit Referent im BMVg
Das Bismarck-Bild in der
Bundeswehr
14
Dr. Christoph Nübel, geb. 1982 in Heide,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HumboldtUniversität zu Berlin, Institut für Geschichts­
wissenschaften
Soldaten des deutschen UN-Hauptkontingents für Somalia am 22. Juli 1993 auf
dem Flughafen von Mogadischu, im Hintergrund der Bundeswehr-Airbus, mit
dem die Soldaten von Dschibuti kommend in der somalischen Hauptstadt eingetroffen waren. Am 23. Juli lief die Entladung der 113 Fahrzeuge des
Bundeswehr-Konvois von dem Frachter
»Beerberg« im Hafen von Mogadischu
an. Am folgenden Tag sollten die Bundeswehrsoldaten zum 300 Kilometer nördlich gelegenen deutschen Stützpunkt in
Belet Uen aufbrechen. Der Konvoi wurde
bei der zweitägigen Fahrt von UN-Truppen aus Nigeria, USA und Italien geschützt.
Foto: dpa
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:
Hazardpolitik mit Erfolg
Oberstleutnant d.R. Dr. Marc Stegherr,
geb. 1968 in Ingolstadt, Gastprofessor an der
Universität Cluj-Napoca/Klausenburg, Rumänien,
Lehrbeauftragter für südslavische Landeskunde,
LMU München
18
Kapitänleutnant Christoph Buschmann, Bun­
des­archiv, Abt. Militärarchiv, Freiburg i. Br.;
Kapitänleutnant Leonie Hieck M.A., ZMSBw;
Kapitänleutnant Gerrit Huth, EinsFüKdoBw;
Oberstleutnant Dr. Dieter H. Kollmer, ZMSBw;
Hauptmann Benjamin Pommer M.A.,
­ZOpKomBw;
Hauptmann Christian Taube M.A., FüAkBw;
Korvettenkapitän d.R. Dr. Manfred Wilde,
Delitzsch.
Serbische Nationalbibliothek
Serbien 1915
5Rückzug der serbischen Armee im Herbst 1915.
Der unbekannte Kriegsschauplatz: Serbien 1915
A
m 6.10. soll der Vormarsch gegen Serbien beginnen u. zw.
mit einer derartigen Kraft, daß
die Brüder mit einem Schlage vernichtet werden & wir der Türkei zu Hilfe
kommen können. Es wird ein ähnlicher Kampf werden wie in Belgien &
können deshalb Wochen vergehen, ehe
Du von mir wieder etwas erhältst«,
schrieb der deutsche Soldat Paul Rockstroh am 4. Oktober 1915 an seine Frau
Gretel. Einen Monat später war der
Feldzug schon fast wieder vorbei, wie
auch Paul Rockstroh in einem Brief an
seine Frau und die Söhne am 5. November bemerkte: »Immerhin haben
die Serben in den letzten Tagen hier
große Einbußen erlitten. Es wurden
große Massen Gefangene an uns vorüber transportiert u. die Bulgaren sollen
nur noch 2 Stunden von uns entfernt
stehen. Auf diesem Gebiete wären also
die Serben bald erledigt.«
4
Die serbische Armee, die Mitte November 1915 geschlagen war, bestand
zu diesem Zeitpunkt nicht nur aus
waffenfähigen Männern aller Schichten der Gesellschaft, sondern auch aus
Knaben, die nicht viel älter waren als
die Söhne Paul Rockstrohs. Einer
dieser Kindersoldaten hieß Stevan
­
Idjidović, dessen Erinnerungen 2012
posthum unter dem Namen erschienen, den er nach seiner Einwanderung
in die USA an­genommen hatte: Stevan
Idjidović ­Stevens.
Die Grenze an der Save
Stevan Idjidović lebte in dem Dorf Jarak an der Mündung des Flusses
Jarčina in die Save, die seit dem 19.
Jahrhundert den Grenzverlauf zwischen Österreich-Ungarn und Serbien
markierte. Jarak lag am nördlichen
Ufer der Save und damit auf dem Ge-
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
biet Österreich-Ungarns. Im 17. und
18. Jahrhundert trennte die Save das
Habsburger Reich vom Osmanischen
Reich. Seit dieser Zeit dienten viele
Männer des mehrheitlich von Serben
bewohnten Ortes Jarak in den Armeen
Österreichs und Ungarns, so wie Stevans Vater Mosije und sein Großvater
Gavrilo, der als Soldat an der Niederschlagung der Märzrevolution von
1848 beteiligt gewesen war. Als Österreich-Ungarn 1908 Bosnien-Herzegowina annektierte, geriet Europa an den
Rand eines Krieges der Großmächte.
Der serbische Außenminister nannte
die neuen Staatsbürger Österreich-­
Ungarns »unterdrückte Völker« und
stellte die erweiterte Südgrenze des
Habsburger Reiches in Frage, in dem
nun insgesamt rund zwei Millionen
Serben lebten. Obwohl sich der serbische Ministerpräsident für seinen
Minister entschuldigte, blieb das Ver-
Kriegsverlauf im Herbst 1915
auf dem Balkan
Ausgangslage
am 5.10.15
Lageentwicklung
bis 11.11.15
letzte Stellung der
Serben am 23.11.15
Rückzug der
Serben ab 24.11.15
Lageentwicklung
bis 26.11.15
Angriffsrichtung
Gallwitz
Ram
Šabac
BELGRAD
Lešnica
D on a u
Obrenovac
Loznica
ÖSTERREICH U N G A R N Vlasenica
11. Armee
Jarak
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Gruppe
Belgrad
3. Armee
Palanka
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Jurišić Šturm
1. Armee
Svilajnac
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Sarajevo
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Kragujevac
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Užice
62.
Infanteriedivision
Za
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Kruševac
Nova Varoš
SERBIEN
montenegrin.
Armee
1. Armee
Mitrovica
Bojadjiew
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Trebinje
Priština
Ipek
Djakova
Podgorica
Skutari
20
30
40
50 km
Shëngjin
(San Giovanni di Medua)
A D R I A
Höhenangaben:
1600 m
800 m
Rückzug
nach Korfu
600 m
400 m
200 m
100 m
0m
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Todorow
Skoplje
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Gostivar
TIRANA
2000 m
100 m
2. Armee
Va
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Tetovo
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ALBANIEN
2400 m
1200 m
Serbischer
Gegenangriff
19. – 24.11.15
wird
abgeschlagen
Prizren
n
Dri
Bundesarchiv, Bild 183-1987-1210-502 / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA
CETINJE
10
Prokuplje
Novi Pazar
Bijelopolje
MONTENEGRO
Durrës
(Durazzo)
5Stevan Idjidović im Jahr 1914.
Versecz
3. Armee
Kövess von Kövesshaza
Farbgebung der Nationalitäten
Deutsche
Österreicher-Ungarn
Bulgaren
Serben/Montenegriner
0
Familie Kimmel
Betschkerek
Neusatz
Dona u
rina
hältnis mit Wien belastet, nicht zuletzt
auch wegen eines von 1906 bis 1911 andauernden Handelskrieges zwischen
beiden Staaten. Im Ersten und Zweiten
Balkankrieg verdoppelte Serbien 1912
und 1913 sein Staatsgebiet durch die
Eroberung osmanischer Territorien auf
dem Balkan. Die angestrebte Ausdehnung Serbiens bis zur Adria verhin­
derten Österreich-Ungarn und Italien,
deren diplomatische Initiative zur
Gründung des Staates Albanien führte,
der wie ein Sperrriegel wirkte. Vor diesem Hintergrund führte die Ermordung des österreichisch-ungarischen
Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdi­
nand und seiner Frau Sophie in Sarajevo durch einen in Bosnien geborenen
serbischen Nationalisten am 28. Juni
1914 zu einer gefährlichen Krise, zumal die österreichische Regierung die
Drahtzieher des Attentats in serbischen
Regierungskreisen vermutete.
Die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und Serbien blieb zunächst offen.
Und die Menschen auf beiden Seiten
des Flusses, die in der Mehrzahl Serbisch sprachen, konnten weiterhin
ohne Pass die Save überqueren und
auch das Dampfschiff nehmen, das
zweimal wöchentlich die k.u.k. Hafenstadt Slavonski Brod und die serbische
Hauptstadt Belgrad miteinander verband. Doch ­einen Monat nach dem
Atten­tat, am 28. Juli 1914, erklärte
Öster­reich-Ungarn Serbien den Krieg.
Am nächsten Tag erschienen sogenannte Donau­monitore, Flusskriegsschiffe der k.u.k. Kriegsmarine, vor
Belgrad und beschossen die Stadt.
Vlorë (Valona)
Monastir
Florina
Berat
Korca
GRIECHENLAND
© ZMSBw
07605-03
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
5
Serbien 1915
»Die Serben sind kriegsmüde. Das
Volk hat genug geblutet […] Einen
wirklich ernsthaften Widerstand leistet der Feind aber jetzt auch nicht
mehr. Er versucht seine Reste nach
Montenegro und Albanien zu retten.
Ich glaube nicht, dass er viel über die
Grenze bringen wird. Auch nach
Griechenland können nur Trümmer
gelangen, und den Anschluss an die
von Saloniki vorgeschobenen Franzosen und Engländer werden nur
kleine Verbände der serbischen Armee finden. Die Beute, welche die
Letztere uns zurückgelassen hat,
wächst täglich […] Die Bevölkerung
benimmt sich bis jetzt ruhig. Eine geordnete Verwaltung ist im Werden.«
Zwei Tage später: »Ein Teil kämpft
noch tapfer, der größere ist kriegsmüde. Die Zahl der Gefangenen
wächst täglich um einige Tausend.
Österreichs Offensiven scheitern
Wenig später rückten österreichischungarische Truppen in Jarak ein, um
die Invasion Serbiens mit dem Bau einer Pontonbrücke über die Save vor­
zubereiten. Gleichzeitig wurden die
wehrfähigen Männer Jaraks eingezogen. Stevan war mit 15 Jahren noch zu
jung für den Soldatendienst und sein
Vater mit 49 Jahren schon zu alt. In Stevans Elternhaus nahmen drei österreichische Offiziere Quartier. Sie bezeichneten den Feldzug gegen Serbien nicht
als Krieg, sondern als Strafaktion, die
nicht nur mit aller Härte gegen gegnerische Soldaten, sondern auch gegen
Zivilisten geführt werden solle. In
­einer Broschüre, die an die k.u.k. Truppenkommandeure im serbischen Aufmarschgebiet gerichtet war, stand zu
lesen: »Der Krieg führt uns in Feindesland, das von einer mit fanatischem
Haß gegen uns erfüllten Bevölkerung
bewohnt wird, in einem Land, wo der
Meuchelmord, wie auch die Katastrophe von Sarajewo zeigt, selbst den höher stehenden Klassen als erlaubt gilt,
wo er gerade als Heldentum gefeiert
wird. Einer solchen Bevölkerung gegenüber ist jede Humanität und Weichlichkeit höchst unangebracht, ja geradezu verderblich.«
6
Ebenso viele flüchten sich in die
Berge. Ich habe Mitleid mit dem
Volk, namentlich mit den Frauen.«
Am 22. November: »Die Serben geben das Entkommen nach Albanien
noch nicht auf […] Lediglich der Zustand der Wege und der Gebirgscharakter des Schauplatzes der Kämpfe
haben den Zusammenbruch verzögert und stützen die Bemühungen
einzelner besonders tatkräftiger serbischer Führer. Wir können in den
Gebirgsgegenden unsere ganze
Kraft gar nicht entfalten und unter
den Wegeverhältnissen unsere
schwere Artillerie kaum vorwärts
bringen. Die Truppen leisten das
möglichste und überwinden Schwierigkeiten, von denen der Unbeteiligte sich kaum eine Vorstellung machen kann.«
Wolfgang Foerster Mackensen, Brief
und Aufzeichnungen des Generalfeldmarschalls aus Krieg und Frieden, Leipzig 1938, S. 234–241.
Nachdem am 12. August die ersten
österreichisch-ungarischen Soldaten
die Grenzflüsse Drina und Save überquert hatten, wurden vielerorts Galgen
aufgestellt und unzählige Todesurteile
an Menschen vollstreckt, die der »Spio­
nage« beschuldigt waren. Oft reichten
dazu einfache Verdächtigungen oder
Schuldzuweisungen mit dünner oder
keiner Beweiskraft. Soldaten Österreich-Ungarns verübten in Serbien sys­
tematisch Verbrechen an Zivilisten.
Gleichzeitig waren die österreichischungarischen Soldaten durch einen
Guerillakrieg mit irregulären serbi­
schen Verbänden, sogenannten Komitas bzw. Komitadschis, bedroht, die
auch in bereits eroberten Gebieten aus
dem Hinterhalt schossen.
Die österreichisch-ungarische Heeresführung reagierte mit Verhaltensvorgaben an die eigenen Truppenkommandanten: »In jedem Einwohner, den
man außerhalb der Ortschaft, besonders in Waldungen trifft, sehe man
nichts anderes als Bandenmitglieder,
welche Waffen irgendwo versteckt haben; diese zu suchen haben wir keine
Zeit; man mache diese Leute, wenn sie
halbwegs verdächtig erscheinen, nieder.« Hinrichtungen galten als gängiges Mittel zur »Disziplinierung« der
serbischen Zivilbevölkerung. Exeku­
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
tionen auf öffentlichen Plätzen sollten
eine abschreckende Wirkung erzielen.
Die Erhängten blieben teilweise über
mehrere Tage am Galgen hängen. Ein
Schild um den Hals beschrieb das todeswürdige Vergehen. Zeitgenössische
Quellen sprechen von 11 400 bis 36 000
serbische Zivilisten, die in den ersten
Kriegsmonaten getötet wurden.
Die erste österreichisch-ungarische
Offensive indes geriet innerhalb weniger Tage ins Stocken. In der Schlacht
von Cer kam es zur ersten großen Niederlage der k.u.k. Armee, nicht zuletzt
aufgrund der deutlich höheren Kampf­
erfahrung der serbischen Soldaten, für
die der Erste Weltkrieg nach den beiden Balkankriegen von 1912/13 bereits
der dritte Krieg in kurzer Folge war.
Bis zum 20. August zogen sich die Soldaten der Doppelmonarchie aus
Serbien zurück. Dabei verübten sie in
verschiedenen Ortschaften Gewalttaten an der Zivilbevölkerung. In der
grenznahen Handelsstadt Šabac wurden am 17. August 1914 zwischen 60
und 80 Zivilisten auf dem Kirchplatz
zusammengetrieben und erschossen.
Die genauen Gründe dafür lassen sich
nicht mehr rekonstruieren; eine zeitgenössische Quelle spricht davon, dass
die Bewohner des Ortes bei der eintreffenden Nachricht über heranrückende
serbische Verbände »unruhig wurden«. In Lešnica verübten k.u.k. SoldaMHM
Feldmarschall August
von Mackensen:
Tagebucheintrag
5»Österreichische Kultur in Serbien.«
Hinrichtung serbischer Zivilisten durch
Soldaten der k.u.k. Monarchie.
Familie Kimmel
5Um zu überleben, musste alles verwertet werden, auch das Fleisch der Tragtiere
(1915).
ter Missachtung seiner Neutralität, im
selben Monat umfangreiche französische Munitionstransporte passieren.
Nach wie vor fehlte es der serbischen
Armee jedoch an Bekleidung und
festem Schuhwerk. Das dritte Aufgebot, circa 45 000 Mann, trug Zivilkleidung oder erbeutete Uniformen des
Gegners – so wie auch Stevan, der nach
seiner Flucht aus Jarak als Freiwilliger
im serbischen Heer diente. Serbien bot
jeden Mann und jeden Jungen auf, der
ein Gewehr tragen konnte. Diese Streitmacht drängte die k.u.k. 5. und 6. Armee innerhalb von zwei Wochen aus
dem Land. Die österreichisch-unga-
rische Heeresleitung ließ die Brücken
über die Save abbrechen, der Feldzug
war endgültig gescheitert.
Bulgarien greift ein
Die militärische Situation blieb bis weit
in das Jahr 1915 hinein unverändert;
keine der Konfliktparteien konnte weitere bedeutende Erfolge für sich verbuchen. Erst der Kriegseintritt Bulgariens
auf Seiten der Mittelmächte sowie eine
von starken deutschen Verbänden unterstützte neue Offensive ÖsterreichUngarns, an der auch der eingangs zitierte Soldat Paul Rockstroh teilnahm,
Serbische Nationalbibliothek
ten ein Massaker an etwa 100 Dorfbewohnern, darunter zahlreiche Kinder.
Auch Stevan Idjidovićs Heimatdorf Jarak, nur 12 Kilometer von Šabac entfernt, blieb nicht verschont. Die Ortschaft lag direkt an der Frontlinie und
wechselte mehrfach den Besitzer. Die
k.u.k. Soldaten machten oftmals keinen Unterschied zwischen Serben und
serbischer Minderheit im eigenen
Land, wie auch Stevan Idjidovic
­Stevens in Jarak beobachtete: »An has­
tig errichteten Galgen in der Nähe des
Friedhofs waren wir mit dem grausigen Anblick von sechs baumelnden
Körpern konfrontiert. Die Leichen von
fünf alten grauhaarigen serbischen
Bauern und einer jungen serbischen
Bäuerin bewegten sich sacht im Wind.«
Nachdem Jarak im August beim
öster­reichisch-ungarischen Rückzug
zwischenzeitlich von serbischen Sol­
daten eingenommen worden war,
kehrten die k.u.k. Truppen am 13. September 1914 zurück. Am darauffolgenden Tag wurde Stevan von Geschrei und Lärm geweckt. In seinen
Erin­nerungen beschreibt er, dass österreichisch-ungarische Soldaten als Rache
für die angebliche Unterstützung des
Feindes Häuser in Brand setzten und
wahllos auf die Bewohner schossen.
»Wir konnten nicht verstehen, warum
sie unsere serbischen Dörfer anzündeten; wir waren über Generationen
­loyale Untertanen des Kaiserreichs gewesen.« Stevan wurde dabei von seiner Familie getrennt, sein Vater erschossen. Dem Jungen gelang die
Flucht aus dem von k.u.k. Truppen besetzten Dorf, indem er den mehrere
hundert Meter breiten Grenzfluss Save
schwimmend durchquerte. Die Gewalttaten ereigneten sich sowohl in
Šabac als auch in Jarak unter der Befehlsgewalt des k.u.k. Generals Kasimir Freiherr von Lütgendorf, der sich
dafür nie vor Gericht verantworten
musste.
Auch die zweite im September angelaufene Offensive des österreichischungarischen Militärs gegen Serbien
scheiterte aufgrund mangelnder Artillerieunterstützung, schlechten Wetters
und eines »zeitweiligen Führungschaos«. Doch im Oktober marschierten
erneut zwei k.u.k. Armeen in Serbien
ein, die am 2. Dezember Belgrad eroberten. Zur Unterstützung der serbischen Armee ließ Griechenland, un-
5»Beeilt Euch! Die Kinder frieren!« (1915).
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
7
Serbische Nationalbibliothek
Serbien 1915
und ihr Kind, die umarmt in einem
matschigen Straßengraben lagen, oder
das einsame Kind, das tot am Wegesrand zurückgelassen worden war,
ohne dass es von den Vorbeiziehenden
betrauert wurde. Der Tod war überall
in einem solchen Ausmaß, dass er seinen Schrecken für uns verlor.«
Letzte Zuflucht auf Korfu
5»Verloren im Schnee« (1915).
führten im November 1915 zur Niederlage der serbischen Armee. Eine entscheidende alliierte Unterstützung
blieb trotz der Entsendung britischfranzösischer Soldaten nach Thessaloniki aus, da die zentrale Bahnstrecke
durch die bulgarische Armee erobert
worden war. Einer Einkreisung konnten die serbischen Truppen nur durch
die Evakuierung nach Südwesten an
die Adria entgehen. Ihr Weg führte
über das Bergmassiv Albaniens und
Montenegros. Der riesigen Kolonne
aus Soldaten der serbischen Armee
schlossen sich unzählige Zivilisten an.
Flüchtlinge sah auch Paul Rockstroh:
»Wer das nicht gesehen hat, kann sich
gar kein Bild machen. Wie das nur
Mensch, Vieh u. Wagen aushalten können, ist ein Wunder. Man muß sich immer nur fragen, für was eigentlich
diese kolossalen Anstrengungen gebracht werden. Etwas Widersinnigeres
wie ein derartiger Krieg kann es gar
nicht geben. Was für Not u. Elend dadurch über ein Land heraufbeschworen werden, zeigen nicht zuletzt auch
die vielen Flüchtlinge, die uns begegnen. Leute mit Ochsenwagen, darauf
ihr bißchen Hab u. Gut, soviel sie gerade fort kriegen. Und dann die klei-
8
nen Kinder. Dabei zeigen aber die
Leute kein Murren, sie nehmen vielmehr die Mütze ab, wenn sie an uns
vorüber ziehen. Es wäre ein Glück für
alle beteiligten Völker, wenn bald Frieden würde.«
Vor allem den bulgarischen Truppen
versuchten die Serben zu entgehen,
denn sie befürchteten Vergeltungsmaßnahmen für die bulgarische Niederlage im Zweiten Balkankrieg. Unter
den Flüchtenden befanden sich auch
viele Angehörige der serbischen Oberschicht sowie der Regierung und der
Königsfamilie, darunter der serbische
König Petar I. und sein Sohn Aleksandar. Während des Marsches über die
Berge starben unzählige Menschen infolge von Hunger und Kälte, andere
wurden von albanischen Bergbewohnern getötet oder stürzten auf den vereisten Gebirgspässen in die Tiefe. Auch
Stevan Idjidović marschierte als Soldat
der 2. Armee über den Čakor-Pass:
»Man konnte zwar keine Straße erkennen, aber der richtige Weg war nicht zu
verfehlen. Er war von erfrorenen Menschen gesäumt, den Körpern der Soldaten und Flüchtlinge, die uns vorausgegangen waren. […] Erschütternde
Szenen sah ich, etwa die tote Mutter
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Das Ziel der flüchtenden Truppen und
Zivilisten waren die Hafenstädte
Durrës, Vlorë und Shëngjin an der
Adriaküste. Am 8. Januar 1916 beschlossen die Alliierten die Errichtung
eines Auffanglagers auf der griechischen Insel Korfu, für den Transport
standen 87 zivile und 70 Kriegsschiffe
bereit. Französische Quellen nennen
die Zahl von insgesamt 169 828 Menschen, die verschifft wurden, davon
140 000 Soldaten. Noch drei Monate
zuvor war die serbische Armee etwa
420 000 Soldaten groß. Auf Korfu entstanden Zeltlager für die Mannschaften, Schwerverwundete brachte man
auf die kleine Insel Vido, die von Überlebenden nur noch »Insel des Todes«
genannt wurde. Der dortige Friedhof
bot nach kurzer Zeit keinen Platz mehr,
sodass die Verstorbenen nur noch im
Meer bestattet werden konnten.
Die Zahl der Menschen, die den Strapazen dieses Marsches zum Opfer fiel,
ist bis heute unbekannt. Einige Schätzungen gehen von bis zu 240 000 Toten
aus. Allein 11 000 Menschen starben infolge der entbehrungsreichen Flucht in
den alliierten Auffanglagern Griechenlands. Mit insgesamt etwa 600 000
­Toten erlitt die serbische Armee im
Verhältnis zur eigenen Gesamtbevölkerung die größten Verluste aller am
Ersten Weltkrieg teilnehmenden Staaten. Die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung war ähnlich hoch. Allein
infolge der Cholera- und Typhusepidemie im Winter 1914/15 starben über
100 000 Serben. Nicht zuletzt aufgrund
dieser enormen Verluste an Menschenleben erfuhr der Erste Weltkrieg in der
serbischen Literatur eine erhebliche
Beachtung und Bedeutung als nationales Epos, in der die Flucht über die
albanischen Berge als »serbisches Golgota« beschrieben wird.
Auch Stevan Idjidović erreichte im
Frühjahr 1916 die Insel Korfu. Als einer
der Letzten konnte er in Vlorë ein völ-
Jahrestages des Kriegsbeginns, Serbien
lediglich im Zusammenhang mit dem
kriegsauslösenden Attentat von Sarajevo – dies habe, so der Produzent, mit
Geld zu tun.
Der sogenannte Zug der Hunderttausend vor 100 Jahren ist heute außerhalb Serbiens vergessen.
 Gorch Pieken
Literaturtipps
Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte
Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, Darmstadt
2008.
Holm Sundhaussen, Geschichte Serbiens. 19.–21. Jahrhundert, Wien, Köln, Weimar
2007.
Serbische Nationalbibliothek
lig überfülltes französisches Schiff besteigen. Sein Versuch, sich für die
Kämpfe an der russischen Front freiwillig zu melden, scheiterte an seinem
Alter. Stattdessen war er einer der 8500
serbischen Schüler und Studenten, die
zur Ausbildung nach Frankreich,
Großbritannien oder in die Schweiz geschickt wurden. Über die Zwischenstation Marseille kam er im Herbst
1916 nach Oxford, wo er ein Studium
der Forstwissenschaften am St. John’s
College absolvierte. Später wanderte er
in die USA aus.
Österreich-Ungarn und Bulgarien
teilten derweil das Staatsgebiet Serbiens unter sich auf, die Grenze bildete
der Fluss Morava. Die serbische Regierung verblieb im Exil auf Korfu und
baute eine neue 125 000 Mann zählende serbische Armee auf. Erst am 1.
November 1918 befreiten serbische
Truppen die Hauptstadt Belgrad, zwei
Tage später schied Österreich-Ungarn
aus dem Krieg aus. Die Donaumonarchie zerfiel, während auf dem Balkan
das Königreich der Serben, Kroaten
und Slowenen (ab 1929 Königreich
Jugo­slawien genannt) entstand.
In der westeuropäischen Geschichtserzählung zum Ersten Weltkrieg findet
der serbische Kriegsschauplatz kaum
Beachtung. So erwähnt etwa die achtteilige internationale TV-Koproduktion »14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs«, produziert aus Anlass des 100.
5Die an Entkräftung, ihren Verwundungen oder Krankheiten verstorbenen Serben
wurden auf dem offenen Meer vor der Insel Vido bestattet (1916).
Sie marschieren
Ihre Augen lugen aus Schreckenskarsten
Wie geöffnete Gräber, ihrer beraubt Seelen.
Im heißen Atem die Lippen barsten.
Über ihnen Schicksalsschwaden schwelen.
Statt der Glocke schlägt das Herz die Stunden:
Läutet Schrecken ein, in der Luft klirrt Eis.
Glückliche Unschuld röchelt über Abgründen.
Es verwest das Alter, der Junge wird zum Greis.
Und die Gesandten der Hölle, sie marschieren.
Und ihnen voran ein tollwütiges Bacchanal.
Die Häuser erbeben, Fenstergläser klirren.
Ruhe, Lärm und Nacht ersterben mit einem Mal.
Erfrorene Seelen, nur die Finger zittern noch
Wie kräftige Leiber, die man auf kalte Schwerter spießt.
Mancher schlägt über der Stirn das Kreuz doch
als Geste der Freiheit, die nicht mehr als Kinderweinen ist.
(1916)
Übersetzung von Richard Schuberth. In: Gordana Ilić Marković (Hrsg.), Veliki Rat. Der große Krieg. Der Erste Weltkrieg im Spiegel der serbischen Literatur und Presse, Wien
2014, S. 198.
Nach der Besetzung Belgrads durch die Mittelmächte
am 9. Oktober 1915 brachte Vladislav Petkovic´ Dis
seine Familie in die Stadt Čačak, wo sie ein sicheres Unterkommen fand. Er selbst schloss sich dem Zug der
serbischen Armee über die albanischen Berge an und
erreichte Korfu. Von dort wurde er gemeinsam mit anderen Serben nach Frankreich gebracht, um von den
Strapazen zu genesen. Unter der Trennung von seiner
Frau und seinen beiden Kindern litt Dis so sehr, dass er
sich entschloss, vorzeitig nach Korfu zurückzukehren,
um sich von dort nach Serbien durchzuschlagen. Die
»Italia«, das Schiff, das ihn als Passagier aufnahm,
wurde vor der Küste Korfus am 29. Mai 1917 torpediert und versenkt. Vladislav Petković Dis ertrank.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
9
Innere Führung
A
m 12. November 2015 jährt sich
die Ernennung der ersten Soldaten der Bundeswehr zum
60. Mal. Als wesentliches Markenzeichen der Bundeswehr gilt seither die
»Innere Führung«. Konzipiert für
Streitkräfte in der Demokratie nach der
bedingungslosen Niederlage der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, bildete die Innere Führung das
innere Gefüge für den vorgesehenen
Kampf der Bundeswehr im konventionellen und atomaren Kalten Krieg.
Dazu ist es nie gekommen und mit
dem Ende der Ost-West-Konfrontation
fiel ab 1990 ein grundlegendes Element
der Inneren Führung weg. Folgt man
dieser Logik weiter, dann müsste sich
doch eigentlich auch die Innere Führung ab 1990 erledigt haben oder
zumin­dest einer Reform unterzogen
worden sein. Jedoch besteht sie weiterhin fort, obwohl sie schon mehrfach
totgesagt oder als ungeeignet für die
Bundeswehr, besonders im Auslands­
einsatz, abgewertet worden ist. Die
Kritik an der Inneren Führung ist älter
als die Bundeswehr selbst und offenbart bisweilen eine schon beängstigende Un­kennt­nis des Entstehungszusammenhanges sowie der Inhalte der
Organisations- und Führungsphilosophie der Bundeswehr.
UPI/SZ Photo
Die Innere Führung im
Spiegel von 60 Jahren
Deutsches Konzept
Wissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Geschichte der Wehrmacht
belegen den Wandel vor allem des
Heeres von der Auslese- zur übergreifenden Annahmeorganisation in der
Personalrekrutierung. Die Wehrmacht
veränderte sich vor allem während des
Krieges zu einer nationalsozialistischen Volksarmee. Daher mögen sich
durchaus manche Elemente der nationalsozialistischen Volksarmee auch in
der Inneren Führung der Bundeswehr
wiederfinden. Auch deshalb hieß es im
Handbuch Innere Führung aus dem
Jahr 1957: »Innere Führung ist keine
10
512. November 1955: Bundesverteidigungsminister Theodor Blank spricht in einer Feierstunde zu den ersten 101 Offizieren der Bundeswehr, die ihre Ernennungsurkunden
aus seinen Händen erhielten. Nur zwölf der Offiziere waren in Uniform erschienen.
Erfindung der Bundeswehr. Sie ist nur
ein neuer Begriff für ein Bündel von
Führungsaufgaben, die es zu allen
Zeiten in der Truppe gegeben hat, die
uns heute aber in neuer Form und
nachdrücklicher als früher gestellt
sind.«
Fundamental anders waren aber nun
die Staatsverfassung und das politische System. Die Bundesrepublik
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Deutschland verstand sich als radikaler Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Deutschland. Im Grundgesetz von 1949 wurden ausdrücklich die
individuellen Grundrechte an erster
Stelle genannt und die Menschenwürde als unantastbar verankert. Ein
Bezug der freiheitlich-pluralistisch-demokratischen Bundesrepublik zu
einem totalitären Unrechtsstaat wie
tions­phase zu den künftigen westdeutschen Streitkräften voraus. Ehemalige,
von den westlichen Alliierten beauftragte Wehrmachtgenerale machten
sich Gedanken, wie die Aufstellung
neuer deutscher Streitkräfte unter den
nunmehrigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen gelingen könnte.
Alle ihre Denkschriften gingen von
­einer unabänderlichen Voraussetzung
aus: Die Streitkräfte mussten sich in
die demokratische Staatsordnung des
neuen westdeutschen Staates und in
das Bündnissystem seiner Besatzungsmächte einfügen. Die Streitkräfte der
Bundesrepublik Deutschland sollten
sich somit entweder als »Deutsches
Kontingent« in eine supranationale
Europaarmee (Europäische Verteidigungsgemeinschaft, EVG) eingliedern
oder größtenteils integraler Bestandteil des NATO-Bündnisses werden.
Im »Amt Blank«, benannt nach dem
Beauftragten/Bevollmächtigten des
Bundeskanzlers für die mit der Vermeh­
rung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen und späteren
ersten Bundesminister für Verteidigung Theodor Blank, arbeiteten zivile
SZ Photo
dem »Dritten Reich« und seiner Armee
verbot sich daher von vornherein. Die
Wehrmacht konnte somit nicht zu
einem Muster für die neuen westdeutschen Streitkräfte werden, obgleich
personelle Kontinuitäten und organisatorische Ableitungen unvermeidlich
blieben. Der »politische Soldat« der
Wehrmacht konnte aber niemals der
»politische Soldat« der Bundeswehr
sein. Demokratie und Diktatur standen
sich hier unversöhnlich gegenüber und
mussten daher zu einem grundlegenden Neuanfang im Bereich des inneren
Gefüges der neuen westdeutschen
Streitkräfte führen. Rückgriffe auf Errungenschaften der ersten deutschen
Armee in der Demokratie, der Reichswehr in der Weimarer Republik (1919 bis
1933/35), waren aufgrund des Rekrutierungssystems und der Entwicklung
zum »Staat im Staate« ebenfalls nur
sehr begrenzt möglich. Mit der Bundeswehr wurden im Jahr 1955 die ers­
ten deutschen Streitkräfte in der Demo­
kratie und mit einer Allgemeinen
Wehrpflicht seit der Gründung des
Deutschen Reiches 1870/71 aufgestellt.
Dem Aufbau der Bundeswehr ging
eine seit 1948 beginnende Konzep­
510. Februar1965: Ulrich de Maizière, Wolf Graf von Baudissin und Johann Graf von
­ ielmansegg (v.li.) erhalten den Freiherr vom Stein Preis für ihre Verdienste um die
K
»Innere Führung« der Bundeswehr in einer Feierstunden im Auditorium Maximum
der Universität Hamburg.
und militärische Experten an der Konzeption der neuen Inneren Führung.
Am 10. Januar 1953 verfügte Blank als
Ziel, »den Typ des modernen Soldaten
zu schaffen und fortzubilden, der freier
Mensch, guter Staatsbürger und vollwertiger Soldat zugleich ist«. Die maßgeblichen Bearbeiter des Konzepts
­waren zuvorderst Wolf Graf von Baudissin und danach Ulrich de Maizière.
In vielen Sitzungen des zuständigen
Bundestagsauschusses trugen sie das
Konzept den Sicherheitspolitikern
vor. Anders als die Reichs­tagsabge­
ordne­ten in der Weimarer Republik
übten die Bundestagsabgeordneten
einen entscheidenden Einfluss auf das
innere Gefüge der künftigen Streitkräfte aus.
In der Wehrmacht hatte in einigen
Ausbildungseinheiten die Praxis geherrscht, den einzelnen Rekruten seiner Würde zu berauben. Zwar hatte
die Wehrmacht auch über ein Beschwerderecht verfügt, in der Realität
hatte das freilich oft anders ausgesehen. Das Beispiel der Wehrmacht im
Nationalsozialismus hatte im Ergebnis
zu drastisch belegt, dass der militärische Befehl über allen sittlichen und
moralischen Werten rangiert hatte –
viele Soldaten waren deshalb zu Verbrechern geworden.
Solche Verbrechen durften in den
Streitkräften der Bundesrepublik
Deutschland nicht mehr möglich sein.
Daraus leiteten sich dann Forderungen
für das Konzept der Inneren Führung
ab. Im »Amt Blank« orientierten sich
die Beamten und militärischen Experten an bereits bestehenden Vorbildern.
Eine Studienkommission des »Ausschusses für Fragen der europäischen
Sicherheit« des Deutschen Bundestages (die Vorgängerinstitution des
Bundestagsausschusses für Verteidigung) besuchte 1954 den Militärbeauftragten in Schweden und beobachtete
»die Gestaltung der Inneren Führung
in der schwedischen Wehrmacht«. So
überwachte im Verteidigungsstab
(Oberkommando) der schwedischen
Armee eine eigene Abteilung (Personalpflege) die menschlichen und sozialen Belange der Soldaten. Außerdem
wurde das Militärstrafgesetzbuch und
die Militärstraftaten abgeschafft. Das
schwedische Modell wurde für die
Bundeswehr zu einer deutschen Variante weiterentwickelt.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
11
Innere Führung
Organisations- und Führungsphilosophie
SZ Photo
Bei allen Unterschieden im Politik-,
Gesellschafts- und Wirtschaftssystem
zwischen Schweden und der Bundesrepublik Deutschland existierten doch
einige Parallelen. Beide Demokratien
benötigten einen Soldaten, der vor
allem als Persönlichkeit überzeugen
musste. Aus ihm sollte dann der Einzelkämpfer geformt werden, der sich
aus Überzeugung unterordnete und
genau wusste, wofür er Soldat geworden war und wofür er kämpfen sollte.
Aus dem Konzept im »Amt Blank«
wurde in der Bundeswehr ab 1955
dann die Innere Führung. In der Umsetzung nahm der »Staatsbürger in
Uniform« die Härten, Entbehrungen
und notwendigen Einschränkungen
seiner persönlichen Freiheit im militärischen Alltag auf sich, um die freiheitliche Lebensordnung zu schützen.
Solch ein Soldat konnte als Spezialist
seinen Auftrag nur erfüllen, wenn er
ohne persönliche Schikane in einer
hoch technisierten Armee den Krieg im
Atomzeitalter auch führen konnte. Die-
ser Soldat brauchte bis auf die Pflicht
zur Disziplin und Kameradschaft sowie das Ansehen in der Öffentlichkeit
weiter keine einschränkenden Freiheiten mehr hinzunehmen. Eine rechtsstaatliche Militärgerichtsbarkeit mit
­einer in der Ziviljustiz üblichen Trennung zwischen Strafverfolgungsbehörde und Rechtsprechung bildeten
daher eine wesentliche Grundlage. Die
Verrechtlichung des militärischen Systems erhoben der Deutsche Bundestag
und die Bundesregierung ab 1955 zur
Handlungsmaxime. Streitkräfte in der
Demokratie benötigten besonders die
Berücksichtigung der persönlichen
Freiheit, die Mitverantwortung des
einzelnen Soldaten und die Fürsorge
der Vorgesetzten. Die Innere Führung
stellte vor allem an die Vorgesetzten
hohe intellektuelle Anforderungen
und erforderte sowohl eine solide
schulische als auch militärische Ausbildung. Der »Staatsbürger in Uniform«
war und ist eine gleichwertige Kombination aus freiem Menschen, gutem
Staatsbürger und vollwertigem Soldaten. Eine beabsichtigte Verschiebung
dieser drei gleichwertigen Elemente,
insbesondere die oft geforderte höhere
Gewichtung des »vollwertigen Soldaten« führten zu mehreren Krisen in der
Inneren Führung. Doch gerade die Krisen der Inneren Führung lieferten den
Beleg ihrer Funktionsfähigkeit. In den
folgenden Ausführungen werden daher diese drei Elemente über die gesamten 60 Jahre kurz überblickt.
Freier Mensch
5Gründung der Bundeswehr, 1955
»Vom künftigen deutschen Soldaten.
Gedan­ken und Planungen der Dienst­
stelle Blank«.
12
Der Freiheitsbegriff war einer der zentralen Aspekte in der Konzeptionsphase und in der Umsetzung der Inneren Führung. In der Schrift der Dienststelle Blank »Vom künftigen deutschen
Soldaten« aus dem Jahr 1955 hieß es:
»Der totale Staat erzieht seine Bürger
zum Sterben und verspricht das Heil
der Urenkel. Freie Völker achten es für
recht, ein tätiges und verantwortungsvolles Leben zu führen. […] Die freie
Welt lehnt die totalitäre Verstaatlichung ab. Sie strebt nach der Vermenschlichung des Staates.« In der
Bundesrepublik Deutschland besaß
und besitzt der Staat das Gewaltmonopol. In dieser Konsequenz mussten den
Streitkräften in der Demokratie auch
enge Schranken im Umgang mit dem
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Menschen als Soldat gesetzt werden.
Das des Öfteren angeführte Argument,
dass inzwischen, anders als noch in
den 1950er Jahren, die Demokratie gefestigt sei und die Streitkräfte in den
verbündeten westlichen Demokratien
eine engere Auslegung der Freiheitsrechte des Soldaten aufweisen würden,
greift hier zu kurz. Auch nach der
Deutschen Einheit im Jahr 1990 veränderten sich diese Prämissen nicht. Vielmehr war es wieder einmal notwendig
geworden, unfreie Menschen aus
einem totalitären Staat in eine freie
Gesell­schaft und deren Armee zu überführen. ­Neben dieser Gültigkeit für die
Bundeswehr der Einheit erhielt der
Freiheitsbegriff auch eine zentrale
Rechtfertigung für die Auslandseinsätze.
Guter Staatsbürger
Der Soldat musste ein guter Staatsbürger im Sinne eines positiven Bekenntnisses und aktiven Eintretens für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland
sein. Der Primat der Politik, der wiederum parlamentarisch kontrolliert und
von den Staatsbürgern per Wahl legitimiert wurde, blieb uneingeschränkt erhalten. Die Ausübung der Befehls- und
Kommandogewalt, das Soldatengesetz, die Vorgesetztenverordnung erhielten klare Regelungen und sie
setzten Rechte sowie Pflichten für alle
Soldaten. Der Bundeswehrsoldat verfügt seither im Gegensatz zu den Soldaten bis 1945 über das aktive und passive Wahlrecht und somit über alle
staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Der »gute Staatsbürger« konnte
aber in der Praxis durchaus in Konflikt
mit dem Soldaten kommen. Gerade in
der Zeit des gesellschaftlichen Wandels, die mit der Chiffre »1968« verbunden wird, lehnten sich viele Soldaten gegen politische Vorgaben auf und
demonstrierten für ihre staatsbürgerlichen Rechte wie die freie Meinungsäußerung
Ein »guter Staatsbürger« fordert
auch seine Rechte ein. Daher musste
sich die Bundeswehr auch an gesellschaftliche Veränderungen im Hinblick auf Frauen in den Streitkräften,
Familienfreundlichkeit, Attraktivität
und »Diversity Management« anpassen.
Pa/dpa/Thomas Frey
5Soldaten sudanesischer, vietnamesischer, syrischer und kasachischer
­Herkunft dienen am 1. Juni 2001
­gemeinsam in der Koblenzer Falcken­
stein-­Kaserne.
Und wie die Erfahrungen in der bisherigen Geschichte deutlich zeigten,
war damit zu keinem Zeitpunkt die
Funktionsfähigkeit der Bundeswehr
gefährdet. Vielmehr zeigten diese Krisen der Inneren Führung gerade die
Praxistauglichkeit. Eine Armee mit
dem inneren Gefüge der Wehrmacht
wäre dagegen wohl an solchen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gescheitert.
Vollwertiger Soldat
Die Innere Führung versinnbildliche
die »weiche Welle«, mit ihr sei kein
»kerniger Kommiss« möglich oder sie
sei nur »die Maske«, die politisch gewollt, aber militärisch unsinnig sei und
daher abgelegt werden müsse. Solche
Äußerungen oder Skandale finden sich
immer wieder als Krisen in der Inneren
Führung. Der Soldat der Bundeswehr
sei ja auch kein vollwertiger Kämpfer,
da er ja eher einem uniformierten Beamten entspreche, so die damaligen
Kritiker. Gesellschaftlich veranlasste
Wandlungsprozesse, die sich auch in
den Streitkräften auswirken sollten,
wurden in dieser Logik als unsoldatisch abgetan, gleichwohl wurde aber
stets die Anerkennung der zivilen Gesellschaft für den soldatischen Dienst
eingefordert. Bis auf wenige lautstarke
Kritiker zeigten sich doch die Millionen von Bundeswehrsoldaten in den
60 Jahren mit den Errungenschaften
der Inneren Führung sehr zufrieden
und sahen sich selbst auch als vollwertige Soldaten an.
Im Kern der Inneren Führung stand
auch stets der tapfere Soldat und harte
Kämpfer im »permanenten Bürgerkrieg« und »im heißen Gefecht«, wie es
im ersten Handbuch Innere Führung
hieß. Innere Führung bedeutete eben
nicht Verweichlichung, sondern erforderte vielmehr Härte und Zivilcourage. Das militärische Prinzip von
­Befehl und Gehorsam sowie die hierarchische Ordnung wurden zu keiner
Zeit in der Geschichte der Inneren Führung in Frage gestellt. Einzig setzten
das Grundgesetz und die daraus abgeleitete gesetzliche Ordnung eindeutige
Schranken. Die Bundeswehrsoldaten
waren während des gesamten Kalten
Krieges vollwertig und einsatzbereit
gewesen. Sie waren es auch in den heißen Gefechten der Auslandseinsätze ab
1990. Zwar haben sich nach 1990 die
Anforderungen an den Bundeswehrsoldaten und das Kriegsbild verändert, aber doch wiederum nicht so
fundamental, dass sich eine Überhöhung des »vollwertigen Soldaten« gegenüber dem »freien Menschen« und
dem »guten Staatsbürger« rechtfertigen lassen würde. Schließlich wäre
solch eine Interpretation gegen den
Geist der Inneren Führung, die man
zwar durchaus neu verfassen könnte.
Eine Reform in diese Richtung wäre
aber gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gerichtet
und somit verfassungswidrig.
Bilanz und Perspektiven
Die Innere Führung bewährte sich in
der Aufbauphase der Bundeswehr, um
aus Wehrmachtangehörigen Soldaten
in der Demokratie zu machen, sie bewährte sich in den 1970er und 1980er
Jahren, als trotz der politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
die Bundeswehr zur besten (Technisierung, Ausbildungsstand, Bildungsstand, Einsatzwert) deutschen Armee
im 20. Jahrhundert wurde, und schließlich bewährte sie sich auch bei der Integration von NVA-Angehörigen in die
Bundeswehr und bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die Innere
Führung erwies sich als derart elastisches Korsett, dass kritische Haltungen
sowie politische und gesellschaftliche
Veränderungen erfolgreich in die
Streitkräfte sowie in die gesamte Bundeswehr integriert werden konnten.
Die Innere Führung gilt daher nicht
nur für die Streitkräfte, sondern sie ist
die Organisations-und Führungsphilosophie der gesamten Bundeswehr. Sie
regelt sowohl den organisatorischen
als auch wertorientierten Umgang der
Vorgesetzten mit den Untergebenen
unter Aufrechterhaltung des Gehorsamsprinzips sowie des Führens mit
Auftrag im Rahmen der Wert- und
Normenordnung des Grundgesetzes
und der Ausführungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland in der Bundeswehr. Wem diese Definition als zu
kompliziert und sperrig erscheint, dem
sei noch diese prägnante Beschreibung
angeboten: Die Innere Führung vereint
in einer Person den Soldaten, Beamten,
zivilen Mitarbeiter und den in der freiheitlichen Ordnung lebenden Staatsbürger. Diese Charakterisierung des
Staatsbürgers in und ohne Uniform
bleibt das grundlegende Element, das
sich hoffentlich zukünftig in der Bundeswehr und in der Bundesrepublik
Deutschland niemals verändern wird.
 Rudolf J. Schlaffer
Literaturtipps
Frank Nägler, Der gewollte Soldat und sein Wandel. Personelle Rüstung und Innere Führung in den Aufbaujahren
der Bundeswehr 1956 bis 1964/65, München 2010.
Rudolf J. Schlaffer, Wolfgang Schmidt (Hrsg.), Wolf Graf von
Baudissin 1907–1993. Modernisierer zwischen totalitärer
Herrschaft und freiheitlicher Ordnung, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2007.
Rudolf J. Schlaffer, Der Wehrbeauftragte 1951 bis 1985. Aus
Sorge um den Soldaten, München 2006.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
13
Bismarck in der Bundeswehr
pa/akg images
Das Bismarck-Bild in der Bundeswehr
5Bismarcks Rede zum Landwehrgesetz.
W
ir Deutsche fürchten Gott,
aber sonst nichts in der
Welt.« Im Deutschen Kaiserreich wusste jeder, dass Reichskanzler
Otto von Bismarck diesen Ausspruch
geprägt hatte. Die enorme Verbreitung
dieser Worte zeigt, wie sehr Bismarck
vom deutschen Zeitgeist vereinnahmt
wurde. Immer wieder zitiert und auf
allerlei Nippes und Kitsch verewigt,
passte das Zitat nur zu gut zum Bild
vom »Eisernen Kanzler«, das viele von
ihm zeichneten und das er auch selbst
gern bediente.
Ein guter Teil dieses Bildes war militärisch: Zu Lebzeiten war Bismarck
gern in Uniform der Halberstädter Kürassiere aufgetreten, denen er als Offizier à la suite zugeordnet war. Seine
Rolle in den sogenannten Reichseinigungskriegen zwischen 1864 und 1871
machte ihn ebenso wie seine teils martialischen Äußerungen, die auf einem
ausgesprochenen Sinn für Realpolitik
basierten, für ein nationalistisches und
militaristisches Denken anschlussfä-
14
hig. So verwundert es nicht, wenn dieses Bismarckbild in der Erinnerungskultur eine Fortsetzung fand. Das 1906
eingeweihte Bismarck-Denkmal in
Hamburg, das zu einer nationalen
Ikone wurde, zeigt Bismarck als standfesten Ritter, der sich auf ein mächtiges
Schwert stützt.
Der Mythos Bismarck
Bismarcks Popularität ist nicht nur auf
seine markigen Sprüche, sondern auch
auf sein Wirken zurückzuführen.
Schon dessen erste Züge auf dem politischen Schachbrett waren umstritten.
Kurz nach seinem Amtsantritt als
preußischer Ministerpräsident 1862
machte er sich bei den Liberalen unbeliebt, als er den Wehretat ohne Zustimmung des Parlaments festsetzte. Damit
ermöglichte er Militärreformen, die
­einen entscheidenden Anteil an den
Erfolgen der preußischen Armeen zwischen 1864 und 1871 hatten. Jetzt wurden viele Gegner Bismarcks zu seinen
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Anhängern, hatte er doch mit der
Reichsgründung die sehnlichsten
Wünsche vieler Deutscher verwirklicht. Während er ein vielbewundertes
europäisches Bündnissystem schmiedete, polarisierte er innenpolitisch
durch seine Kampfmaßnahmen gegen
Katholiken und Sozialisten. All das bot
genug Stoff für Bewunderung und Kritik, auf jeden Fall sicherte es Bismarck
lange den prominentesten Platz in der
deutschen Erinnerung.
Nach seinem Tode 1898 wurde Bismarck zum Mythos, zum Sinnbild einer glorreichen Vergangenheit; entrückt von der historischen Person
konnte die mythische Gestalt Bismarck
für allerlei Ideen und Ideologien vereinnahmt werden. Es gab eine große
Anhängerschaft, die sein Erbe bewahren wollte, indem sie ihre Politik an
ihm ausrichtete und mit ihm legitimierte. Im Rückgriff auf Bismarck war
es möglich, an vertrautes Wissen anzuknüpfen und auch komplexe Botschaften verständlich darzustellen. Das
nutzten rechte wie auch linke Politiker
im Kaiserreich und in der Weimarer
Republik aus.
Armee, Gesellschaft und
­Geschichte nach 1945
bpk
Doch die oft bemühte militärische Seite
Bismarcks war nach 1945 diskreditiert.
Der »Bismarck in Kürassierstiefeln«
galt als Verkörperung des deutschen
Militarismus. Ein solches Denken, von
den Alliierten als »Krankheit« bezeichnet, sollte durch die Auflösung des
Staates Preußen 1947 auch symbolisch
zu Grabe getragen werden. Obwohl
seine Popularität sogar diese geschichtspolitische Zäsur überdauerte,
war ein militärischer Bismarck für die
1955/56 gegründete Bundeswehr im
Grunde unbrauchbar, denn die neuen
(west)deutschen Streikräfte sollten
nach den Erfahrungen im Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg in
bewusster Abgrenzung zu solchen Traditionen aufgebaut werden. Allerdings
lassen sich einflussreiche politische
Mythen nicht einfach per Verordnung
entsorgen. War es möglich, in Bismarck, weiterhin einer der populärsten
Deutschen, einen unbelasteten historischen Anker für die Bundeswehr zu
finden?
Die Bundeswehr basierte auf einem
doppelten Selbstverständnis: Auf der
einen Seite stand die radikale Absage
an militärische Traditionen. Paradigmatisch dafür ist die Himmeroder
Denkschrift, die im Oktober 1950 während eines Treffens ehemaliger Wehrmachtoffiziere entstand. Sie hielt fest,
dass »die Voraussetzungen für den
Neuaufbau« einer deutsche Armee
»von denen der Vergangenheit so verschieden« seien, dass »ohne Anlehnung an die Formen der Wehrmacht
heute grundlegend Neues zu schaffen
ist«. Auf der anderen Seite kommt auch
heute noch keine Armee der Welt ohne
den Blick zurück aus, ohne die Geschichte als Orientierungshilfe für das
eigene Handeln.
Innerhalb der Bundeswehr gab es
immer wieder heftige Auseinandersetzungen zwischen Konservativen und
Reformern, die um geeignete Tradi­
tions­linien für die Truppe rangen. In
den ersten Jahren nach ihrer Gründung rekrutierte sich der überwiegende Teil der Bundeswehrführung
aus der Wehrmacht. Es war nicht zu erwarten, dass sich dieses Personal ohne
Weiteres vom Vorbild Wehrmacht verabschieden würde. Gleichwohl war die
Armee des Nationalsozialismus zumindest in offiziellen Verlautbarungen
nur sehr eingeschränkt geeignet, als historischer Referenzpunkt der jungen
deutschen Armee zu dienen. Unverfänglicher als die Wehrmacht waren
die Traditionen der preußischen Reformzeit, mit denen die Konzepte »Innere Führung« und »Staatsbürger in
Uniform« legitimiert wurden.
Otto von Bismarck fiel in die Kategorie der begrenzt belasteten Tradi­
5Das 1906 eingeweihte Hamburger Bismarckdenkmal.
tionen, mit denen in der Bundeswehr
die deutsche Geschichte verhandelt
wurde. Er war von den Nationalsozialisten nicht rigoros vereinnahmt und
damit unbrauchbar geworden. Gleichwohl stellte sich die Frage, ob Bismarck
durch seinen Politikstil nicht einen
deutschen Sonderweg begründet hatte,
der in den Abgrund führte – »von Bismarck zu Hitler«, wie das Schlagwort
lautete. Der britische Historiker A.J.P.
Taylor war nicht der einzige, der nach
1945 die Auffassung vertrat, der Nationalsozialismus und Hitler seien ein
notwendiger Endpunkt einer spezifisch deutschen Geschichtsentwicklung. Andere hingegen waren bemüht,
den Nationalsozialismus als atypi­
schen »Unfall« darzustellen, als eine
Katastrophe, die über die Deutschen
hereingebrochen sei und die man nicht
aus dem 19. Jahrhundert heraus erklären könne. Diese zwei Interpretationslinien bestimmen die Bismarckdeutung im Grunde bis heute.
In der jungen Bundesrepublik lässt
sich eine schrittweise Entfremdung
von Bismarck beobachten. Bismarck
hörte auf, Leitstern der Politik zu sein,
weil der Glaube an historische Vorbilder durch den Nationalsozialismus
erschüttert war und viele Konflikte der
Bismarckzeit als überwunden galten:
Die Verfassung war freiheitlich-demokratisch ausgerichtet und die politischen Außenseiter des Kaiserreiches –
Katholiken und Sozialdemokraten – in
Amt und Würden. Die Teilung
Deutschlands in Ost und West unterstrich, dass man sich nicht mehr in der
Welt des 19. Jahrhunderts befand. Es
stellte sich sogar die Frage, ob Bismarcks kleindeutsches Reich von 1871
zu einer Fußnote der Geschichte werden würde.
Diese Phase ermöglichte es, Bismarck
zu historisieren und ein ausgewoge­
neres Urteil über ihn zu fällen. Je mehr
sich die Gegenwart von seinem Werk
entfernte, desto unbefangener konnte
man sich ihm als historische Persönlichkeit nähern. Es war sogar möglich,
dass Bundeskanzler Willy Brandt
(SPD) Bismarck 1971 »einen der großen
Staatsmänner unseres Volkes« nannte,
ohne dass es einen Aufschrei gab und
Brandt des Verrats an der sozialdemokratischen Geschichte bezichtigt
wurde. Lassen sich in der Bundeswehr
ähnliche Entwicklungen finden, oder
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
15
dpa
Bismarck in der Bundeswehr
5Bismarckkaserne in Schwäbisch Gmünd.
verfolgte sie einen geschichtspolitischen Sonderweg?
Das Bismarck-Bild in der
­Bundeswehr
Ein Teil des öffentlichen Bekenntnisses
der Bundeswehr zu Bismarck ging ausgerechnet auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück. 1936 wurde bei
Hamburg eine »Bismarck-Kaserne« errichtet und in den 1960er Jahren von
der Bundeswehr mit diesem Namen
übernommen. Insgesamt gab es nur
zwei Bismarck-Kasernen, dagegen
aber 30, die nach Teilnehmern des
Zweiten Weltkrieges benannt waren.
Militärangehörige eigneten sich offenbar besser zur Identitätsstiftung als der
Reichskanzler, der eher als ein Teil der
zivilen Sphäre begriffen wurde. Das
zeigt auch ein Blick in Zeitschriften,
welche die Bundeswehr herausgegeben hat. Sie sind eine wichtige Quelle,
denn sie machen die Auseinandersetzungen um die Auslegung der deutschen Geschichte sichtbar. Frühe Artikel beispielsweise in der Zeitschrift
»Wehrausbildung in Wort und Bild«
über die Kriege 1864 bis 1871 schilderten vor allem die Genialität des preußischen Generalstabschefs Hellmuth
von Moltke d.Ä. Bestenfalls kam Bismarck in diesen Beiträgen in einer Nebenrolle vor.
Wenn Bismarck auch nicht im Mittelpunkt der Traditionsstiftung der Bundeswehr stand, war er bis in die 1970er
Jahre auf dem subtileren Feld der poli-
16
tischen Bildung ständig präsent. Wer
Bismarck war, das musste der »Staatsbürger in Uniform« offenbar wissen
und daher fanden sich in den Bundeswehrzeitschriften wie der »Wehrausbildung« oder den »Information für
die Truppe« immer wieder Abrisse
von wenigen Zeilen, die neben Lenin
und dem »Alten Dessauer« auch Bismarck thematisierten. Hier überwog
ein positives Bismarckbild, das durch
die Kürze der Darstellung jedoch verzerrt wurde. Bismarck galt als weitsichtiger Politiker, der seinen Zeitgenossen immer einige Schritte voraus
war. Lob fand auch die Einführung der
gesetzlichen Sozialversicherung 1881.
Das ist jedoch eine wenig differenzierte
Sicht, die für die machtpolitischen Intentionen dieses Vorhabens, mit dem
er das sozialdemokratische Wähler­
milieu austrocknen wollte, keinen
Platz ließ. Bismarcks Leistungsbilanz
wurde nur durch die Erwähnung von
Kulturkampf (gegen die katholische
Kirche) und Sozialistengesetz (gegen
die Sozialdemokratie) getrübt, wobei
das knappe Format dieser Artikel allerdings wenig Raum für differenzierte
Erläuterungen bot. Eine kritische Bewertung Bismarcks setzte mithin einen
historisch kundigen Leser voraus, der
durch die Lektüre der Artikel in den
Bundeswehrzeitschriften eigentlich
erst hervorgebracht werden sollte.
In den Bundeswehrzeitschriften erschienen aber auch längere Artikel zur
deutschen Geschichte. Darin ließ man
Professoren zu Wort kommen, um sich
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
eines externen Fachurteils zu versichern. So wollte die Bundeswehr vermeiden, auf dem glatten Terrain ins
Schlittern zu geraten, welches das Bismarck-Bild angesichts der Kontinuitätsdebatte zur deutschen Geschichte
darstellte. Hier griff man allerdings
vor allem auf die Expertise konservativer Historiker wie Theodor Schieder
zurück. Diese verneinten einen geraden Weg von Bismarck zu Hitler oder
umschifften die schwierige Frage ganz.
Die kontroverse Innenpolitik Bismarcks wurde dagegen eher selten thematisiert. Wenn, dann geschah dies
durchaus kritisch: Die »politische Freiheit der Staatsbürger war beschränkt,
und das Reich war keine parlamentarische Demokratie im modernen
Sinne«, monierte »Information für die
Truppe« 1963. Durch einen andauernden »Machtkampf« im Innern habe
Bismarck Katholiken und Sozialisten
vom Reich entfremdet. Den Sozialis­
tengesetzen ließ sich angesichts der
ideologischen Frontstellung des Kalten
Krieges allerdings auch eine positive
Seite abgewinnen. So wurde in der Unterdrückung der Sozialdemokratie im
Kaiserreich auch eine notwendige Verteidigungsmaßnahme des Staates gegen gefährliche Kommunisten gesehen
– eine Interpretation, die gut in den
anti­
kommunistischen Konsens der
Bundesrepublik passte.
Der Friedensfürst
Im Mittelpunkt der Zeitschriftenbeiträge der 1960er und 1970er Jahre
stand der geniale Außenpolitiker Bismarck, der im Lichte der aktuellen
Weltlage gedeutet wurde. Hier zeigte
sich erneut, wie sehr die Gegenwart
die Lesarten der Geschichte bestimmte.
Fast alle Autoren waren sich einig, dass
Bismarck Kriege nur in Kauf genommen habe, wenn sie unausweichlich
gewesen seien. Das bedeutete, dass
zwischen 1864 und 1870 die Kriegsschuld nicht bei Preußen, sondern immer bei den Gegnern zu suchen war.
Diese Interpretation ist vor dem Hintergrund der in den 1960er Jahren heftig ausgetragenen Fischer-Kontroverse
zu lesen. Der Historiker Fritz Fischer
hatte in seinen Arbeiten den bequemen
Konsens aufgekündigt, Deutschland
sei wie alle anderen Nationen auch in
den Ersten Weltkrieg hineingeschlit-
pa
tert. Fischer wurde daraufhin von konservativer Seite entschieden angegriffen, erfuhr zugleich auch breite Unterstützung in Wissenschaft und Öffentlichkeit. Angesichts dieser Debatte
er­
s chien es umso wichtiger, dass
­Preußen-Deutschland wenigstens im
19. Jahrhundert nicht als Kriegstreiber
dastehen sollte.
Bundeswehrzeitschriften beschrieben Bismarck als Vater eines Bündnissystems, das Europa jahrzehntelang
den Frieden gebracht habe. Diese Leistung stach nach Jahren der Gewalt –
die Phase zwischen 1914 und 1945
wird gelegentlich auch als zweiter
Dreißigjähriger Krieg bezeichnet –
deutlich heraus. Bismarck war ein Garant des Friedens in Europa und bot
damit einen klaren Kontrast zur risikobehafteten Weltordnung jener Tage, in
denen man sich der Kriege und der
Reichsgründung vor 100 Jahren erinnerte. Jetzt bestimmte die Bipolarität
des Kalten Krieges das Bild, in der ein
Konflikt wie die Kuba-Krise 1962 in
einem Atomkrieg zu enden drohte. Bismarck jedoch verkörperte in der deutschen Armee so sehr das Bild des Moderators und Vermittlers, dass er sogar
in einem Artikel über Möglichkeiten
der Krisenbewältigung als Beispiel
auftauchte. Der in den Publikationen
der Bundeswehr erkennbare Bismarck
glich also einem Friedensfürsten, dessen Zeit und Werk sich klar von der
Gegenwart unterschieden.
Auf diese Weise wurde eine kritische
Debatte der Kontinuitätsfrage vermieden. Indem sie den friedensliebenden
Außenpolitiker Bismarck zeigten und
den spaltenden Innenpolitiker und militäraffinen Bismarck übergingen, erteilten die Artikel der Behauptung eine
Absage, die nationalsozialistischen
Verbrechen wurzelten in der deutschen Geschichte des 19. Jahrhunderts.
Damit adaptierte die Bundeswehr ein
Narrativ, das bereits im Kreis des militärischen Widerstandes im Vorfeld des
20. Juli 1944 kursierte und damit ausdrücklich traditionswürdig war. Als
der christlich-konservativer Hitlergegner Ulrich von Hassell im Jahre 1944
Bismarcks Grab in Friedrichsruh besuchte, schrieb er in sein Tagebuch: »Es
ist bedauerlich, welches falsche Bild
wir selbst in der Welt von ihm erzeugt
haben, als dem Gewaltpolitiker mit
Kürassierstiefeln. In Wahrheit waren
5Bundespräsident Joachim Gauck spricht am 1. April 2015 in Berlin beim Festakt des
Deutschen Historischen Museums (DHM) anlässlich des 200. Geburtstags von Otto
von Bismarck.
die höchste Diplomatie und das Maßhalten seine große Gabe.«
Die Vielfalt der Meinungen und Interpretationen zeigt: Es ist unmöglich,
von einem Bismarckmythos zu sprechen. Immer wieder veränderten sich
seine Botschaften, er wurde mehrfach
umgeschrieben. In der Bundesrepublik
demontierte man das Bild des »Eiser­
nen Kanzlers« und bedingungslosen
Machtpolitikers rasch. Das zeigt, wie
sehr nach 1945 die zuvor oft bemühte
militärische Seite Bismarcks diskreditiert war. Zugleich verlor der Mythos
seine Brisanz.
Heute spielt Otto von Bismarck
kaum noch eine Rolle in Politik und
Gesellschaft. Er ist – wenn überhaupt –
als Politiker bekannt, der vor langer
Zeit die Reichsgründung zu Stande gebracht hatte. 2003 wurde er wohl vor
allem wegen dieser Leistung in einer
Fernsehshow auf den neunten Platz
unter den »größten« Deutschen gewählt. Wenn dieses Ergebnis sicherlich
keine Repräsentativität beanspruchen
kann, zeigt es immerhin doch den Stellenwert Bismarcks in der Berliner Republik. Das Erinnerungsjahr 2015 belegt erneut, dass Bismarck mittlerweile
erfolgreich historisiert wurde und sich
keine großen Kontroversen um seine
Person entzünden, obwohl das Urteil
über sein Werk immer noch zwischen
Bewunderung und Kritik schwankt.
Dementsprechend stellt man heute das
eingangs zitierte Bismarckwort, die
Deutschen fürchteten in der Welt allein
Gott und nichts anderes, in einen
neuen Kontext. Vielsagend ergänzt
wird das Zitat dann mit dem in der
Kaiserzeit regelmäßig ausgelassenen
zweiten Teil des Satzes: »Und die Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt.«
Auch die Bundeswehr interpretierte
den Bismarckmythos neu. Als Zivilist
wahrgenommen, fand sich Bismarck in
die zweite Reihe der Geschichtsbilder
der Bundeswehr wieder. Die Militärzeitschriften machten Licht und Schatten im Werk und Wirken Otto von
­Bismarcks sichtbar, doch zumeist verkörperte er die positiven Seiten der
deutschen Vergangenheit. Im Mittelpunkt stand ganz klar die Auffassung,
Bismarck habe eine beispielhafte Friedensordnung für Europa begründet.
Wenn in den untersuchten Veröffentlichungen auch konservative Positionen
dominierten, bewegten sie sich doch
immer im Rahmen des in der bundesrepublikanischen Gesellschaft Sagbaren und scherten nicht in Extreme
aus. Insofern zeigt ein Blick auf das
Bismarckbild im deutschen Militär,
dass sich die Bundeswehr für vielfältige Meinungen öffnete und eine kritische Auseinandersetzung mit der
deutschen Vergangenheit aufnahm.
 Christoph Nübel
Literaturtipps
Otto Pflanze, Bismarck, 2 Bände, München 1997/98.
Markus Raasch (Hrsg.), Die deutsche Gesellschaft und der
konservative Heroe. Der Bismarckmythos im Wandel der
Zeit, Aachen 2010.
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Hazardpolitik mit Erfolg
Hazardpolitik mit Erfolg
ullstein bild
Rumäniens
Eintritt in
den Ersten Weltkrieg
5Zwei deutsche Soldaten und ein rumänischer Polizist patrouillieren im besetzten Bukarest, Ende 1916.
D
er Kriegseintritt Rumäniens
1916 aufseiten der Entente, die
aus Frankreich, Großbritannien
und Russland bestand, ist als Verrat,
Tragödie und als riskantes Glücksspiel
mit überraschend gutem Ausgang beschrieben worden. Rumänien wurde
zwar vernichtend geschlagen und
musste im Mai 1918 einen schmachvollen Separatfrieden mit den Mittelmächten unterzeichnen. Doch der Sieg
der Entente machte Rumänien zum
Sieger und vergrößerte sein Staatsgebiet um gut zwei Drittel – um Siebenbürgen, Teile des Banat, die Maramuresch, Bukowina und Bessarabien.
Neutralitätserklärung 1914
Als der Erste Weltkrieg 1914 ausbrach,
erklärte die Regierung in Bukarest, zur
großen Enttäuschung König Carols
(Karl I.), der aus dem deutschen Hause
Hohenzollern stammte, die Neutralität
Rumäniens, obwohl das Land 1883
dem »Dreibund« beigetreten war,
einem geheimen Defensivbündnis
zwischen dem Deutschen Kaiserreich,
der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und Italien, das 1912 zuletzt erneuert worden war.
In der Julikrise nach dem Attentat
von Sarajevo war aufseiten der Donaumonarchie zunächst nur der ungarische Ministerpräsident Graf István
Tisza gegen einen Krieg mit Serbien,
18
weil er einen rumänischen Einfall in
Siebenbürgen befürchtete. Tisza rechnete das Königreich Rumänien von
Anfang an zu den Gegnern. Er musste
unter dem Druck der deutschen Regierung jedoch nachgeben, nachdem
diese die Neutralität Rumäniens garantiert hatte. Der k.u.k. Generalstab
seinerseits versprach, die Grenze Siebenbürgens zu stärken sowie Streitkräfte dorthin zu verlegen. Allerdings
war die ungarisch-rumänische Grenze
1916, als die rumänische Armee die
Karpatenpässe nach Siebenbürgen
überschritt, praktisch nur von Gendarmen bewacht, da die Streitkräfte
der Donaumonarchie an der russischen
Front gebraucht wurden.
Am 26. Juli 1914 wurde in einem
breiten Grenzstreifen von Serbien bis
Galizien, das heißt auch im zur ungarischen Reichshälfte gehörenden Siebenbürgen, der Ausnahmezustand
­erklärt: Der Grenzübertritt, das Versammlungsrecht, die Verwaltungskompetenz der Komitate (regionale
Verwaltungseinheiten Ungarns) wurden
eingeschränkt, die Geschworenen­
gerichte aufgehoben und das be­
schleunigte Strafprozessverfahren eingeführt. Im ganzen Land galt die
Presse­zensur, den Behörden wurde die
Kontrolle des Post-, Telegramm- und
Fernsprechverkehrs erlaubt. Pferde
und Fahrzeuge wurden für Kriegszwecke beschlagnahmt und Wehr-
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pflichtige wurden massenweise eingezogen.
Das nüchterne politische Kalkül diktierte den politischen Entscheidungsträ­
gern Rumäniens die Notwendigkeit,
die militärischen Kräfte des Landes
möglichst lange unbeschadet zu erhalten. Bereits bei Kriegsausbruch setzte
jedoch ein Wettstreit zwischen der Entente und den Mittelmächten ein, die
jeweils versuchten, Rumänien für sich
zu gewinnen – aus strategischen Gründen, aber auch um Lieferungen von
Erdöl und landwirtschaftlichen Produkten zu erhalten. Die Mittelmächte
versprachen bei einem Kriegseintritt
auf ihrer Seite dem Königreich Bessarabien, die Entente sagte für den umgekehrten Fall das Banat, die Bukowina
und Siebenbürgen zu.
Kriegseintritt 1916
Mitentscheidend für den Kriegseintritt
Rumäniens aufseiten der Entente 1916
war der Tod König Carols am 10. Ok­
tober 1914, der die Notwendigkeit
weite­
rer Rücksichtnahmen auf die
Mittel­
mächte schwinden ließ. Der
Thronfolger, König Ferdinand, dachte
weniger dynastisch, fühlte sich dem
Deutschen Reich weniger verpflichtet
als sein Vorgänger und stimmte der
Entente-freundlichen Politik der Regierung unter Ion Brătianu zu. Ausschlaggebend für diese Entscheidung
picture alliance/akg-images
war auch die Aussicht, ebenso leicht
Gebietsgewinne zu machen wie 1913
infolge des zweiten Balkankrieges, als
Rumänien die südliche Dobrudscha
zugeschlagen worden war. Zudem
hoffte die rumänische Regierung auf
die Abtretung der Bukowina, die Russland in einem Geheimabkommen versprochen hatte. Auch fühlte sich die rumänische Regierung 1916 sicherer vor
einer allzu starken deutschen Reaktion, da die Schlacht um Verdun für die
deutsche Seite katastrophal auszugehen schien und die Ententemächte
gute Aussichten hatten, in der SommeSchlacht die deutsche Front im Westen
zu durchbrechen. Darüber hinaus
wichen die österreichisch-ungarischen
Kräfte infolge der russischen Brussilov-Offensive zurück. Es sah fast so
aus, als könne Rumänien durch seinen
Kriegseintritt aufseiten der Entente der
zusammenbrechenden Donaumonarchie den Gnadenstoß versetzen und
sich Siebenbürgen einverleiben, da mit
zusätzlicher deutscher Unterstützung
nicht zu rechnen sei.
Doch die Begeisterung für die nationale Befreiung »der Brüder in Siebenbürgen vom ungarischen Joch« war
keineswegs ungeteilt. Die rumänische
National-Liberale Partei Siebenbürgens hatte im Sommer 1914 ihre Treue
gegenüber Österreich-Ungarn bekundet, und noch im Februar 1917 unterzeichneten etwa 200 siebenbürgische
Rumänen mit ihren Metropoliten und
5Kriegseintritt Rumäniens aufseiten der
Entente: Vorbeimarsch rumänischer
Truppen an König Ferdinand I., 1916.
Bischöfen und einigen rumänischen
Abgeordneten des Budapester Parlaments eine Deklaration, in der sie ihre
Treue gegenüber der ungarischen
Krone verkündeten. Die rumänische
Elite Bessarabiens, die die Lage der siebenbürgischen Rumänen jederzeit der
russischen Autokratie vorgezogen
hätte, war ebenfalls gegen ein Bündnis
mit der Entente und damit gegen Russ­
land.
Kämpfe in Siebenbürgen
Als rumänische Truppen Ende August
1916 in Siebenbürgen einmarschierten,
äußerte König Ferdinand, »selbst die
Siebenbürger Rumänen empfingen
[sie] als Feinde«, und der Politiker und
Professor Nicolae Iorga merkte an:
»Kein einziges Wort der Begrüßung
kam aus ihren Reihen, als die rumänischen Heere 1916 die Grenze überschritten.« Bedeutende rumänische
Intellek­tuelle, die der rumänische His­
toriker Lucian Boia »Germanophile«
nennt, sprachen sich für die Neutralität
oder den Eintritt aufseiten der Mittelmächte aus. Etliche von ihnen wurden
nach dem Krieg als Vaterlandsverräter
vor Gericht gestellt – etwa Ioan Slavici,
Tudor Arghezi, Gheorghe Dem Teodorescu und Constantin Stere – und sogar
eingekerkert.
Rumänien befürchtete, sich zu spät
am Krieg zu beteiligen. Nach zwei Jahren »bewaffneter Neutralität« überreichte der rumänische Gesandte am
27. August 1916 in Wien eine Erklärung, wonach sich Rumänien denen
anschlösse, die besser in der Lage
seien, »die Durchführung seiner nationalen Einheit zu sichern«. Rumänien
hatte der Donaumonarchie den Krieg
erklärt. Der geheime Bündnisvertrag
mit den Mittelmächten von 1883, das
politische Testament Carols I., war zerrissen. Sogleich folgten die Kriegserklärungen Deutschlands, Bulgariens
und der Türkei an Rumänien. Bereits
einen Tag später, am 28. August 1916,
drang das rumänische Heer durch die
Karpatenpässe in das ungeschützte
Siebenbürgen ein und besetzte dessen
süd-östlichen Teil. Da aber der Schlag
zu rasch erfolgte, das rumänische Heer
auf einen Krieg noch nicht ausreichend
vorbereitet war, brach der Handstreich
unter der deutschen Gegenwehr in Siebenbürgen und der deutsch-bulga-
rischen in der Dobrudscha innerhalb
kurzer Zeit zusammen. Die rumäni­
sche Armee stand zwar am 10. September bereits vor Hermannstadt, doch in
Siebenbürgen erschien die deutsche
9. Armee unter General der Infanterie
Erich von Falkenhayn, der mit den Österreichern die rumänische Offensive
nicht nur aufhielt. Die rumänischen
Truppen wurden vielmehr in mehreren verlustreichen Schlachten aufgerieben und zum Rückzug gezwungen.
Unterstützung leistete das Deutsche
Reich dem bereits geschwächten Bundesgenossen Österreich-Ungarn unter
denkbar ungünstigen zeitlichen, strategischen und logistischen Umständen.
»Wohlbekannte deutsche Führer teilten sich mit österreichisch-ungarischen
Generälen in die Aufgaben der Verteidigung des schönen Ungarlandes«,
wie es in einer zeitgenössischen Beschreibung heißt. Zu diesen »wohlbekannten« Militärs gehörte erstens Feldmarschall August von Mackensen, der
an entscheidender Stelle an der
Schlacht von Tannenberg beteiligt war
und zusammen mit seinem Stabschef
Hans von Seeckt als Architekt der strategisch bedeutenden Siege von GorliceTarnów, Brest-Litowsk, Pinsk, Belgrad
und eben in Rumänien gilt; zweitens
der Königlich Bayerische Generalleutnant Konrad Krafft von Dellmensingen, Träger des Ordens Pour le Mérite
für seine Leistungen vor Verdun; drittens Generalleutnant Eberhard Graf
von Schmettow und und viertens der
k.u.k. General der Infanterie und spätere Generalstabschef Artur Baron Arz
von Straußenburg.
In der Nacht vom 21. auf den 22. September 1916 kam es bei Hermannstadt
zur Schlacht, in der sich unter anderen
das deutsche Kavalleriecorps Schmettow, die k.u.k. 71. Infanterietruppendivision unter Generalmajor Anton
Goldbach von Sulitaborn und das
Szekler-Regiment Nr. 82 gegen wiederholte Angriffe und Durchbruchsversuche der rumänischen Armee bewährten. Durch geschickte Umgehung
durch unwegsames Gebirge, in der Gegend des Roten-Turm-Passes, namentlich durch das Deutsche Alpenkorps
unter Führung des Königlich Bayerischen Generalmajors Adolf Ritter
von Tutschek, gelang es, die rumänische Armee einzukesseln. Die verzweifelt zurückflutenden Rumänen
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Hazardpolitik mit Erfolg
versuchten den Pass zu durchbrechen.
Die rumänische Seite führte Verstärkungen heran, um den Einschließungsring aufzubrechen, die jedoch von
deutscher Seite zurückgeschlagen
wurden, was furchtbare Verluste bei
den rumänischen Verbänden verur­
sachte.
Die Enge der Passstraße wurde für
die vom Norden hereindrängenden rumänischen Verbände zur Falle. Berge
von Leichen türmten sich auf der
Straße und an den Hängen, die von
den anderen Soldaten, die sich den
Weg bahnen wollten, in den Fluss gestoßen wurden, der sie zu Hunderten
zu Tal führte, »nach Rumänien, dem
Heimatlande, wohin nur Trümmer
dieser unglücklichen Armeegruppe
entkamen«. Am 29. September 1916
war die rumänische 1. Armee geschlagen. Etwa 40 Bataillone und 16 Batterien
wurden zersprengt, 3000 Soldaten ge-
rieten in Gefangenschaft. Das waren ge­
ringe Verluste angesichts der in die Tau­
sende gehenden gefallenen Rumänen.
Die rumänische 2. Armee, die der 1.
Armee in der Schlacht von Hermannstadt nicht hatte zu Hilfe kommen können, rückte jedoch weiter Richtung
Nordwesten und Westen vor, stieß erfolgreich gegen die geschwächte
Gruppe Schmettow, das Alpenkorps
sowie gegen deutsche und österreichische Truppenteile zwischen den
Flüssen Alt und Harbach (rum. Olt
und Hârtibaciu) vor, was die Kräfte
der Mittelmächte zu rascherem Neuaufmarsch zwang. Die schnelle Umgruppierung, der Eilmarsch durch den
Geisterwald nach Kronstadt und der
schnelle Angriff auf die eigentlich
überlegene rumänische 2. Armee waren nach der Schlacht von Hermannstadt der zweite entscheidende Schritt
für die Befreiung Siebenbürgens.
Der Feldzug der Mittelmächte gegen Rumänien, Herbst 1916
2500 m
Stellungen Ende September 1916
Bewegungen/Angriffe
Kolomea
2000 m
Kamieniec-Podolski
1500 m
1000 m
Czernowitz
800 m
600 m
400 m
200 m
Stellungen Ende September 1916
Großwardein
Stellungen
Anfang Dezember 1916Zilah
Bewegungen/Angriffe
100 m
Letschizki
Békás Pass
1. Armee
2544 m
Kronstadt
7.−9.10.16
Törzburger Pass
Jiul
Ploieşti
BUKAREST
Alt
Caracal
RUMÄNIEN
1723 m 4. Armee
Bodza Pass Focşani
1. Armee
Presan Korps
Istrate
Roşiorii de Vede
Stellungen Ende September 1916
Stellungen Anfang Dezember 1916
Bewegungen/Angriffe
SOFIA
Russen
Stellungen Ende September 1916
Stellungen Anfang Dezember 1916
Bewegungen/Angriffe
20
Galaţi
Zimnicea
Brăila
Isman
Heeresgruppe
König von Rumänien
Donau-Armee
Sacharow
DonauArmee Teile
Cernavoda
Donau
Giurgiu
Nikopol
Kagul
Averescu
Lom Palanka
Rumänen
in Aufstellung
Berlad
2. Armee
Piteşti
Slatina
4. Armee
Oitoz Pass
Predeal
Pass
Craiova
Roman
Gyimes Pass
Fogaras
Eisernes Tor
Iaşi
reth
Se
Orsova
100 km
1864 m
Tölgyes Pass
Petra
Roter Turm Pass
Szurduk Pass
80
Balta
Falkenhayn
Korps
Karlsburg Staabs
Hermannstadt Korps
Korps
Morgen
26.−29.9.16
Krafft
Hötzing
Vulcan Pass
60
9. Armee
Arz von Straußenburg
9. Armee
40
Botoşani
ÖSTERREICHUNGARN
2502 m
Mehadia
20
< 100 m
Klausenburg
Korps
Kühne
0
Pflanzer-Baltin
Bistritz
Miers
ch
Südwest-Front
Brussilow
Sereth
7. Armee
Anfangsschlacht
Jenopol
Dn
je
Pruth
str
Österreicher-Ungarn
Stellungen
DebrecenEnde September
Groß1916
Karol
Stellungen Anfang Dezember 1916
Bewegungen/Angriffe
Bulgaren
RUSSISCHES
REICH
Höhenangaben:
Deutsche
Rustschuk
Tutrakan Silistra
Constanza
Sistova
Bjala
Donau-Armee
SCHWARZES
MEER
Kosch
BULGARIEN
Grabowo
Sumla
3. Armee
Nerasow
Heeresgruppe
Mackensen
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Varna
© ZMSBw
07608-01
Am 2. und 3. Oktober fanden die ers­
ten Angriffe statt, am 4. Oktober
musste die rumänische 2. Armee aus
dem Becken von Kronstadt zurückweichen, und am 7. Oktober war sie vor
Kronstadt soweit in die Defensive geraten, dass es für sie nur noch darum
ging, den Rückzug von Material und
Mannschaften in das Gebirge zu decken. Während Hermannstadt von den
Gefechten unberührt geblieben war,
fanden nun im Nordteil von Kronstadt
heftige Kämpfe statt. Teils im Häuserkampf rangen deutsche, österreichisch-ungarische und rumänische
Truppen miteinander. Die Kräfte der
Mittelmächte standen dabei unter dem
steten Druck, Kronstadt schnellstmöglich einzunehmen, um den heranrückenden rumänischen Einsatztruppen
zuvorzukommen, was schließlich im
Morgengrauen des 9. Oktober gelang.
Etwa 200 mit Verpflegung beladene
Eisen­bahnwaggons, 1200 rumänsiche
Soldaten und 23 Geschütze fielen den
Siegern in die Hände. Auch die rumänische 2. Armee musste Siebenbürgen
räumen.
General von Falkenhayn erließ am
10. Oktober einen Armeebefehl, in dem
es hieß: »In 14-tägigem Siegeszug haben die mir unterstellten Truppen die
1. und 2. rumänische Armee, von denen jede der Kopfzahl nach unseren
gegen sie eingesetzten Kräften stark
überlegen war, vernichtend geschlagen und zersprengt. Hell leuchtet für
alle Zeiten der Ruhm der Tage bei Hermannstadt und vor dem RothenThurm-Pass, am Geisterwald und bei
Kronstadt, an der Oboroca und Tulisa.
Der freche Eindringling, der sich schon
bis in das Herz Siebenbürgens geschlichen hatte, ist von dem uns heiligen
Boden gefegt. Mit schneller Flucht in
unwegsame Gebirge glaubt er sich allein noch der Wucht unserer Waffen
entziehen zu können.«
Zugleich hatte die deutsche 1. Armee
unter General Arz von Straußenburg
die Kraft des Gegners südöstlich von
Neumarkt am Mieresch (rumän. Târgu
Mureş, ungar. Marosvásárhely) gebrochen. Doch der Kampf um Siebenbürgen war damit noch nicht endgültig
beendet. Rumänische Durchbruchsversuche über die Gebirgspässe forderten das Alpenkorps und die k.u.k.
Gebirgsbrigaden. Hinzu kamen eisige
Kälte, Regen- und Schneewetter, da
Waffenstillstand und Separatfrieden
Während die Kämpfe in Siebenbürgen
tobten, waren die rumänisch-russi­
schen Kräfte bereits bis 21. Oktober
1916 vom deutsch-bulgarisch-türkischen Heer unter dem Oberbefehl
von Feldmarschall Mackensen, das aus
Bulgarien in der Dobrudscha eingedrungen war, vollständig geschlagen
worden. Die rumänische Armee geriet
somit in die Zange und musste weichen. Die Provinzen Dobrudscha, Oltenien und Muntenien wurden von den
Verbänden der Mittelmächte besetzt.
Der rumänische König Ferdinand I.,
sein Hof und die Regierung flohen
nach Iaşi, und, nach der Schlacht am
Argesch zwischen 1. und 3. Dezember,
fiel Bukarest am 6. Dezember 1916
kampflos. Mackensen, der sich durch
seine Siege und den rumänischen Erfolg den Spitznamen »neuer Marschall
Vorwärts« verdient hatte, nahm auf
einem Schimmel die Parade der siegreichen Truppen in Bukarest ab. Die
österreichisch-ungarischen Vorstöße
kamen jenseits der Ostkarpaten, die
deutsch-österreichische Offensive im
Süden der Moldau zum Stehen.
Mit Hilfe der französischen Militärmission Henri Berthelots wurde die rumänische Armee soweit reorganisiert,
dass im Juli 1917 gerade noch verhindert werden konnte, dass auch die
Moldau überrannt wurde. Rumänien
war aber derart geschwächt, dass es
nach dem Kollaps des russischen
Kriegspartners nach der Februar- und
Oktoberrevolution 1917 gezwungen
war, mit Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei einen
Waffenstillstand und am 7. Mai 1918
einen demütigenden Separatfrieden in
Bukarest zu schließen, der mit beträchtlichen Gebietsverlusten (Dobrudscha, Karpatenkämme) und erheblichen Reparationen verbunden war.
Rumänien war auf ganzer Linie
geschla­gen worden. Das Besatzungsregime unter deutscher Leitung profitierte von Nahrungsmittel- und Öl­
lieferungen an das Deutsche Reich.
­Gemäß der vorherrschenden Interpretation der Zwischenkriegszeit ist es als
ausbeuterisch und repressiv beschrieben worden. Einige wenige Historiker
(Lucian Boia, Lisa Mayerhofer) weisen
darauf hin, dass die deutsche Okkupation eine Sonderstellung im Rahmen
der Besatzungsregime des Ersten
Weltkrie­ges einnahm. Vor dem Hintergrund der weithin deutschfreundli­
chen Haltung habe sich die Besatzungs­
armee gegenüber der rumänischen
Bevölke­rung nicht wie in Feindesland
verhalten, was wiederum die Kooperationsbereitschaft verstärkte. Für die
Verwaltung des besetzten Rumäniens,
das dem Oberkommandierenden Feldmarschall August von Mackensen unterstand (die südliche Dobrudscha hatten die Bulgaren besetzt), wurden
größtenteils einheimische Kräfte herangezogen und die bestehenden
Strukturen beibehalten. Das sei auch
darauf zurückzuführen, dass es den
Deutschen an Personal mangelte, um
die gesamte Verwaltung zu übernehmen, wodurch es der rumänischen Bevölkerung gelang, sich einer lückenlosen Kontrolle und dem Zugriff der
Besatzer zu entziehen. Es gab allerdings auch Internierungen von ver-
ullstein bild/SZ Photo/Scherl
sich die Kämpfe bis in den November
hinzogen. Am 7. November fiel beim
Monte Sate, etwa 60 km südöstlich von
Hermannstadt, der in der Truppe äußerst beliebte, hochdekorierte Major
Prinz Heinrich von Bayern vom Königlich Bayerischen Infanterie-Leibregiment, dessen Kommandeur er seit März
1915 in Frankreich, Serbien und dann
wieder in Frankreich gewesen war.
Am 14. November gelang der deutschen 9. Armee der Durchbruch durch
das Tal des Jiu (dt. Schil) in den Südkarpaten in die Walachei, da die rumänische Seite Verstärkungen vor allem
in das Argesch-Tal, nach Câmpulung
und Sinaia heranführte. Die Artillerie,
die am Jiu-Fluss gegen die rumäni­
schen Stellungen eingesetzt wurde,
war unter unvorstellbaren Strapazen
über das Gebirge gebracht worden,
wegen der Unwegsamkeit des Geländes aber nur teilweise. Daher fiel die
kampfentscheidende Rolle den Infanteristen, Jägern, Maschinengewehrtruppen und Pionieren zu. Nachdem
die rumänische Armee, die die Stadt
Târgu Jiu nicht hatte halten können
und sich auf den Höhen südlich des
Ortes verschanzt hatte, geschlagen war
– wiederum unter schweren Verlusten
der Rumänen – konnten die Truppenverbände Falkenhayns in die Walachei
vorstoßen.
5General Erich von Falkenhayn, Befehlshaber der 9. Armee, vor seinem Hauptquartier in Rumänien, 1916.
dächtigen Personen. Ansonsten verlief
das öffentliche Leben ohne wesentliche
Eingriffe.
Als Verbündeter der Ententemächte
erhielt Rumänien am Ende in den Pariser Vorortverträgen 1919/20 doch noch
das, wofür es 1916 in den Krieg eingetreten war: Siebenbürgen, darüber hinaus das Banat und die Bukowina. Im
nationalrumänischen Narrativ erscheinen der Kriegsausgang und die Entstehung Großrumäniens nach dem Krieg
als beinahe zwangsläufig, getragen
von der ungeteilten Zustimmung aller
Rumänen, was nicht zuletzt wiederum
Lucian Boia als Mythos entlarvt hat.
Angesichts einer desaströsen Kriegführung, mehr als 100 000 rumänischen
Gefallenen und 150 000 Kriegsgefangenen ist die Frage legitim, ob nicht das
Festhalten an der Neutralität die bessere Wahl gewesen wäre.
 Marc Stegherr
Literaturtipps
Lucian Boia, Geschichte und Mythos. Über die Gegenwart
des Vergangenen in der rumänischen Gesellschaft, Köln
u.a. 2003.
Lucian Boia, Die Germanophilen. Die rumänische Elite zu
Beginn des Ersten Weltkrieges, Berlin 2014.
Keith Hitchins, Rumania 1866-1947. Oxford History of
­Modern Europe, Oxford 1994.
Lisa Mayerhofer, Zwischen Freund und Feind. Deutsche
­Besatzung in Rumänien 1916–1918, München 2010.
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21
Service
Das historische Stichwort
Das Adventus-Ritual
des Spätmittelalters
A
m 29. November feiern Christen dieses Jahr den 1. Advent
und leiten damit die vierwöchige Vorbereitungszeit vor Weihnachten ein. Dass sich der Begriff Advent,
lat. adventus, auf die Ankunft des
Herrn, also von Christus bezieht,
dürfte auch weniger religiösen Menschen bekannt sein. Im Mittelalter bezeichnete er jedoch auch ein wichtiges
städtisches und herrschaftliches Ritual,
das heute kaum noch mit diesem Stichwort in Verbindung gebracht wird.
Das Adventus-Ritual wurde bei Ankunft des Königs bzw. Kaisers in einer
Stadt unter Beachtung fester Bräuche
und liturgischer Formen durchgeführt.
Es diente dazu, die Herrschaftsübernahme durch den König als Stadtherrn
zu demonstrieren und Eintracht und
Stabilität sinnfällig darzustellen. Der
Ursprung des Zeremoniells liegt in hellenistischer Zeit und wurde zur politischen und sakralen Überhöhung des
Regenten auf den Herrscherkult übertragen.Über den römischen Kaiserkult,
die Germanen und das Papsttum fand
dieses Zeremoniell Eingang in das
Brauchtum des Mittelalters. Voraussetzung für die häufige Durchführung
des Herrschereinzugs war die eigentümliche Form mittelalterlicher Reiseherrschaft mit der im Spätmittelalter
zentralen Bedeutung der Reichsstädte.
Deutsche Könige regierten damals
noch nicht von einer Hauptstadt aus,
sondern reisten mit Familie und Hofstaat durch das Reich und verweilten
in ihren Königshöfen, Pfalzen, Reichsburgen und Reichsstädten.
Der Herrschereinzug war jedesmal
ein öffentliches, repräsentatives Ereignis, das aufgrund seiner starken Formalisierung einen großen Planungsund Organisationsaufwand bedeutete.
Je nach Vorlieben des Herrschers, nach
Größe und Vermögen der Stadt, nach
Wetter und schließlich auch nach Verhältnis zwischen Stadt und Stadtherrn
konnte die Ausgestaltung des Adventus stark variieren. Das Adventus
­Ritual wies aber immer folgende Ele-
22
mente auf: Occursio, Ingressus, Processio, Offertorium; wobei vor dem Zeremoniell stets die Vorbereitung stand
und abschließend die Einherbergung
folgte. In der Vorbereitungsphase wurden die Vorkehrungen für den Adventus seitens der Einziehenden und der
Empfangenden getroffen. Der reisende
Hof entsandte dazu Untermarschälle
und Furiere in die Stadt, welche die
Auswahl und Ausstattung des königlichen Quartiers vornahmen; zumeist
wurde der Herrscher in repräsentativen Patrizierhäusern, gelegentlich
auch in geistlichen Gebäuden beherbergt. Der Einzug wurde nun anhand
der räumlichen Gegebenheiten vor Ort
geplant: die Breite des Zuges im Verhältnis zum Stadttor und die Route der
Prozession entlang der präsentablen
Gebäude und Plätze mussten festgelegt werden. Auf dieser Route waren
sodann die Straßen gegebenenfalls
auszubessern, Müll und Unrat zu beseitigen sowie die Gebäude und Tore
festlich zu schmücken.
Auch das Militär hatte sorgfältige
Vorbereitungen zu treffen. Die Ankunft des Herrschers erforderte diverse Sicherheitsvorkehrungen, Wach-,
Ronden- und Feuerschutzordnungen
mussten aufgestellt werden, Aufmarschpläne für die räumliche Entfaltung der Truppen im Feld vor der
Stadt sowie für den beengten Raum innerhalb der Stadtmauern mussten erstellt und ihre Umsetzung geübt werden. Der Einsatz des Militärs sollte so
die städtische Wehrhaftigkeit eindrucksvoll und augenfällig inszenieren.
Anlässlich des hohen Besuches wurden auch gesellschaftliche Ereignisse
wie Tänze, Jagden, Turniere oder
Schauspiele vorbereitet. Die Versorgung des Hofes mit Speisen und Getränken musste sichergestellt und
schließlich auch Gastgeschenke, die
dem Herrscher anläss­lich seines Besuchs überreicht wurden. Dabei handelte es sich in der Regel um kostbare
Trinkgefäße, die mit dem Stadtwappen
verziert waren.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Um den Adventus formell einzuleiten, wurde das Reichsoberhaupt durch
eine Ratsgesandtschaft der Stadt eingeladen. Dieser Akt war Bestandteil der
Occursio, des Empfangs und Geleits
des Herrschers. Ausgewählte Mitglieder der städtischen Führungsschicht
bildeten die Gesandtschaft und reisten
dem Herrscher oftmals sogar mehrere
Tagesreisen weit entgegen, um die Einladung auszusprechen. Dem Herrscher sollte durch diesen Empfang sowohl ein Gefühl seines Willkommens
als auch ein erster Eindruck der Prosperität und Macht der Stadt vermittelt
werden. Waren Herrscher oder Stadt
zur Zeit des Adventus bedroht, ritten
die Gesandten zur Abschreckung und
zur Versinnbildlichung militärischer
Stärke und Wehrhaftigkeit der Stadt in
Harnisch und Waffen.
Nach Annahme der Einladung
wurde der Hof von der Gesandtschaft
auf dem Weg zur Stadt eskortiert. Vor
dem Stadttor machte der Zug Station.
Der Herrscher nutzte diese Pause für
letzte praktische Vorbereitungen: Er
wechselte die Reisekleidung gegen repräsentative Gewänder, stieg vom Wagen auf ein Pferd für den Einritt in die
Stadt um und ließ sein Gefolge für den
Einzug Aufstellung nehmen.
Die Formation folgte einer streng
festgelegten Ordnung, welche die Bedeutung und Hierarchie der teilnehmenden Gruppen und Einzelpersonen
widerspiegelte. Der Herrscher ritt im
letzten Drittel des Zuges. Von der
Spitze der Formation bis zu ihm nahm
der gesellschaftliche Rang der Teilnehmer zu. Die Positionen hinter ihm waren wiederum Personen geringerer Bedeutung vorbehalten. Zwischen den
einzelnen Abteilungen gingen kleinere
Gruppen von Herolden und Spielleuten, die den Marschierenden den Takt
vorgaben und den Adventus musikalisch begleiteten. So erhielt der Zug seinen auch akustisch festlichen und unterhaltsamen Charakter.
Die Prozession wurde am Stadttor
von einem geistlichen Empfangskomitee erwartet. Auch die städtische Führungsschicht – soweit nicht bereits seit
der Occursio im Zug selbst vertreten –
nahm am Tor Aufstellung. Sie erwartete den Herrscher mit einem Baldachin, unter dem er die Stadt betreten
sollte. Gelegentlich bildeten Soldaten
ein Spalier, oder einheitlich gerüstete
Unter dem Baldachin durchquerte
der Herrscher, nun wieder zu Pferde,
das Stadttor, hinter dem ihn die jubelnden Bürger erwarteten. Nun folgte die
Processio, der festliche Umzug durch
die Stadt. Dieser folgte der zuvor festgelegten Route durch repräsentativ geschmückte Straßenzüge, die an wichtigen Kirchen, am Rathaus und an
prächtigen Bürgerhäusern entlang
führte, um dem Herrscher die geistliche und politische Bedeutung und den
Wohlstand der Stadt zu demonstrieren.
An der Hauptkirche fand der Adventus seinen religiösen Höhepunkt. Der
Herrscher sprach dort ein Gebet,
brachte ein Geldopfer, das Offertorium, dar und hörte eine Begrüßungspredigt an. Der Klerus erbat Gottes Segen für ihn und entließ ihn unter den
Klängen von Orgel und Chor. Damit
endete der kirchliche Empfang, die
geistlichen Stadtvertreter schlossen
sich dem Weiterzug zum Quartier des
Herrschers nicht mehr an. Auch die
Schar der Gäste und Zuschauer löste
sich während des Aufenthalts an der
Hauptkirche auf, sodass der Herrscher
nur mehr von der weltlichen Führungsschicht zu seiner Unterkunft begleitet wurde, wo die Einherbergung
stattfand.
Hier suchten ihn führende Ratsmitglieder später am Tag zur Übergabe
des Gastgeschenks auf. Mit einer
kurzen, formellen Rede wurde der
Herrscher abermals begrüßt und mit
der Gabe als Zeichen der Großzügigkeit bedacht. Diese Schenkung bildete
den Abschluss des Zeremoniells.
Leonie Hieck
Literaturtipps
Anna Maria Drabek, Reisen und Reisezeremoniell der römisch-deutschen Herrscher im Spätmittelalter, Wien 1964.
Adventus. Studien zum herrscherlichen Einzug in die Stadt.
Hrsg. von Peter Johanek und Angelika Lampen, Köln 2009.
bpk/Lutz Braun
Truppen nahmen repräsentativ Aufstellung. Die städtische Jugend schließlich bildete die stärkste Gruppe der
Empfangenden. Sie wartete dem Herrscher mit Wimpeln und Fähnchen auf
und verstärkte damit den festlichen
Rahmen des Ingressus, des Einzugs.
Am Stadttor angekommen, stieg der
Herrscher vom Pferd und erwies
einem ihm von einem ranghohen
Geistlichen dargebotenen Kreuz oder
Heiligtum seine Verehrung. Anschließend begrüßten ihn die weltlichen Vertreter der Stadt mit einer Kniebeugung
und einer formelhaften kurzen Rede.
Der Bürgermeister bot dann die Stadtschlüssel der wichtigsten Stadttore an,
die vom Herrscher angenommen, geschüttelt und dem Stadtvertreter – an
Reiches statt – zurückgegeben wurden.
Dieser Akt der Schlüsselübergabe bildete den rechtlichen Kern des Adventus-Rituals, er versinnbildlichte die
Anerkennung des Herrschers als legitimen Stadtherren.
5Der Einzug von König Rudolf von Habsburg in Basel 1273.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
23
Service
Neue Medien
! Comics & Graphic Novels M
W
er Saccos Werke kennt, weiß,
dass dieser nie ausschließlich
das Vordergründige, das Offensichtliche in den Mittelpunkt stellt. Die von
ihm erfundenen »Comic-Reportagen«
geben eben auch besondere Einblicke
in die Hintergründe, die Ursachen sowie die Auslöser von Kriegen und Konflikten. Natürlich weicht Sacco dabei
keinesfalls der brutalen Wahrheit des
Krieges aus. Tod, Leid und Zerstörung
als unausweichliche Bestandteile und
Folgen von Kriegen finden auch bei
ihm ihren Niederschlag in deutlichen
Schwarz-weiß-Bildern.
In seinem Band »Sarajevo« findet das
Heranführen des Lesers an den Balkankrieg über die Figur »Neven« statt:
ein ehemaliger Kämpfer, der aufseiten
der Bosnier Sarajevo verteidigt hat und
nun nach Kriegsende als Guide für
Journalisten arbeitet. Der »Fixer« ­Neven,
also der Beschaffer von Kontakten, Organisator und Übersetzer, nimmt Sacco
im Zuge von dessen Recherchen mit
auf eine journalistische Reise durch
den Balkankonflikt. Gekonnt werden
Kriegserlebnisse und Geschichten mit
Anmerkungen zum Kriegsverlauf und
den Akteuren aus Politik sowie Militär
verknüpft. Dabei verwischt oftmals die
Grenze zwischen Fakt und Fiktion,
wenn sich der Leser immer wieder die
Frage stellt, ob denn nun diese oder
jene Kriegserzählung Nevens wohl
wirklich in der Wirklichkeit so stattgefunden hat. Hin und hergerissen zwischen schmerzhaften Erinnerungen,
übertriebenen Kriegsgeschichten,
Selbstzweifeln und Zukunftsangst begleitet Neven den ­Leser durch den
Krieg und die Schlacht(en) um Sarajevo. Überzeugend.
jm
it dem vorliegenden Band »Die
Heimatlosen« nimmt sich Paco
Roca eines Themas an, das bisher bestenfalls wenig Beachtung in anderen
Graphic Novels gefunden hat: die Vertreibung und der Kampf der spanischen Exil-Widerstandskämpfer im
Zweiten Weltkrieg. Obwohl der Spanische Bürgerkrieg bereits in einigen
Graphic Novels (Andreas Martens,
Quintos; Antonio Altarriba, Die Kunst
zu fliegen) thematisiert wurde, geriet
die Geschichte der spanischen Widerstandskämpfer, die ihr Land im Zuge
des Spanischen Bürgerkrieges und aufgrund der Machtergreifung des
Franco-Regimes verlassen mussten, bis
heute stets zu kurz. Dieser Entwicklung hält Paco Roca sein Werk »Die
Heimatlosen« entgegen und setzt den
spanischen Exilanten damit ein grafisches Denkmal.
Mit viel Liebe zum Detail und umfangreichen Hintergrundinformatio­
nen zum Verlauf des Krieges erzählt
Roca im Stil eines Zeitzeugengespräches den Lebensweg des gealterten
spanischen Widerstandskämpfers Miguel Ruiz. Die Geschichte verläuft dabei auf den beiden Ebenen der Gegenwart, also des Gesprächs Rocas mit
Muiz, das in Schwarz-weiß-Bildern gehalten ist, und den verschiedenen, in
farbigen Bildern gehaltenen Kriegserlebnissen, die Ruiz bis zum Ende des
Zweiten Weltkrieges widerfuhren. Die
Flucht und der Kampf von Ruiz führen
ihn über die halbe Welt, angefangen
von Spanien über Strafkolonien in
Afrika bis in das von Deutschen besetzte Frankreich.
Neben der Erkenntnis, wie erdrückend und unmenschlich die Vertreibung aus dem eigenen Land gewesen
sein muss, gewinnt der Leser auch ei-
Joe Sacco, Sarajevo,
Zürich 2015. ISBN
978-3-03731-133-2;
176 S., 26,00 Euro
24
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
nen Eindruck davon, welchen Anteil
die spanischen Exil-Widerstandskämpfer an der erfolgreichen Bekämpfung der deutschen Truppen im
Afrika-Feldzug und an der Befreiung
Frankreichs durch die Alliierten hatten. Letztlich führt Roca damit das
scheinbare Nischen-Thema der spanischen Exilanten aus dem Dunkel ans
Licht.
jm
D
er berührende Bericht von Irmgard
Litten, der bereits 1940 noch vor
der Niederlage Frankreichs in Paris
unter dem deutschen Titel »Die Hölle
sieht dich an« erschien, liegt nun als
Hörbuch vor – und legt ein frühes
Zeugnis von der absoluten »Machtlosigkeit« im Umgang mit dem NS-Unrecht ab. Noch vor Beginn des Krieges
war die Autorin nach Frankreich, später nach Großbritannien emigriert und
beschrieb in ihrem Werk den erfolglosen Kampf um die Freilassung ihres
Sohnes Hans Litten (geb. 1903), der
sich nach fünf Jahren in Haft 1938
schließlich im KZ Dachau das Leben
genommen hatte.
Hans, der zwischen 1928 und 1933 in
Berlin als Strafverteidiger für die linke
Arbeiterschaft wirkte, hatte im Edenpalast-Prozess 1931 als Ankläger gegen
die Nationalsozialisten selbst Adolf
Hitler im Zeugenstand scharf angegriffen und vorgeführt – und damit wohl
sein eigenes Schicksal besiegelt. Infolge des Reichstagsbrandes wurde der
Jurist 1933 in »Schutzhaft« genommen
und zunächst in das »Schutzhaftlager«
nach Spandau verbracht. In den kommenden fünf Jahren erlebte er Gefangenschaft, Folter und Hoffnung. Seine
Mutter, die über gute gesellschaftliche
Verbindungen verfügte, versuchte mit
allen Kräften, das Leben ihres Sohnes
zu retten. Sie schrieb Anträge auf
Hafterleichterung und nach jeder Verlegung von Hans Litten in ein weiteres
Lager – von Spandau aus wurde er u.a.
nach Brandenburg, Buchenwald und
Paco Roca,
schließlich 1937 nach Dachau verlegt –
Die Heimat­ setzte sie sich für die Freilassung des
losen, Berlin
»Schutzgefangenen« Litten ein.
2015. ISBN
Gelesen wird das erschütternde
978-3-95640033-9; 328 S., Zeugnis eines inszenierten Todes von
39,00 Euro
Patricia Litten, der Enkelin der Autorin
neue
Irmgard Litten, Trotz der Tränen. Ein Hörbuch, 2013.
ISBN 3937337512; 3 CDs, 220 Minuten, 17,90 Euro
und Nichte von Hans Litten – die
Briefe von Hans an seine Mutter wurden von Gerd Heidenreich sehr stimmig vertont. Insbesondere in den Besuchsszenen wird deutlich, wie Hans
Litten nur durch Gesten und Anspielungen auf Musik und Literatur seiner
Mutter Hinweise auf seinen tatsächlichen körperlichen und seelischen Zustand geben kann.
Patricia Litten trägt ruhig und gefühlvoll die scharfsinnigen Beobachtungen der Haftbedingungen, des Verhaltens der Wachmannschaften und
insbesondere des körperlichen Verfalls
von Hans Litten durch seine Mutter
vor. Die verschiedenen Gespräche mit
diversen Gesprächspartnern werden
dabei durch die Sprecherin so passend
interpretiert, dass die schlimmen Lebensbedingungen der politischen Häftlinge, die Trostlosigkeit von Hans und
die Machtlosigkeit seiner Mutter spürbar werden.
Janine Rischke-Neß
I
n das große online zu findende Angebot zum Ersten Weltkrieg reiht sich
auch das Bundesarchiv ein. Mit seinem
in Freiburg beheimateten Militärarchiv
verfügt es über einen umfangreichen
Schatz an exklusiven Originaldokumenten. Große Teile dieses einmaligen
Bestandes, mehrere tausend Akten mit
insgesamt mehr als 700 000 Seiten,
macht das Archiv jetzt online zugänglich: Der Nutzer kann in der Datenbank u.a. zur Überlieferung des königlich-preußischen Militärkabinetts, der
Heeresgruppen, einzelner Kommandanturen und Festungen bis hin zum
»Kriegsaussschuss für Kaffee, Tee und
deren Ersatzmittel« sowie der Reichskartoffelstelle stöbern. Besonders
span­nend sind die Bestände des in
China gelegenen Gouvernements
­Kiautshou sowie des Reichskolonialamts zu Deutsch-Ostafrika, Südwestafrika, Kamerun und Togo sowie den
deutschen Südseegebieten.
Wer sich eher für Bilder interessiert,
wird über die Datenbank des Archivs
mit mehreren hunderttausend Bildern
(Fotos, Luftbilder und Plakate) aus der
Zeit des Ersten Weltkriegs bedient.
Auch Tonaufnahmen gehören zum
Schatz des Bundearchivs. Drei Aufnahmen wurden online gestellt: die berühmte Ansprache Kaiser Wilhelm II.
»An das deutsche Volk«, die Rede des
Generaloberst Paul von Hindenburg
an seine Soldaten vom 31. August 1914
nach dem Sieg von Tannenberg und
eine Aufnahme des Großadmirals Alfred von Tirpitz aus dem Jahr 1915.
Auch mehr als 150 Filme aus dem Bestand des Bundesarchivs wurden im
Rahmen des Projekts »European Film
Gateway« digitalisiert. Über den Link
zum Internetauftritt des »European
Film Gateway« stehen dem Nutzer
nicht nur die Bestände des Bundesarchivs, sondern sogar die Bestände von
33 anderen europäischen Archiven offen.
Eine eigene Initiative des Freiburger
Militärarchivs findet sich unter in der
Rubrik »Urgroßvater im Ersten Weltkrieg«: Hier findet der Nutzer zahlreiche online gestellte Gefechtsberichte
und Tagebucheinträge im Original:
etwa den Gefechtsbericht des Infanterie-Regiments Nr. 56 über den Angriff
und Gegenangriff um das Grabenstück
708-709 im Abschnitt »Toter Mann« an
der Westfront am 21. September 1916
oder den Bericht einer Patrouille in
Deutsch-Ostafrika vom 13. August
1916. Dem Nutzer des BundesarchivPortals eröffnen sich schier unendliche
Archivweiten.
ks
www.ersterweltkrieg.bundesarchiv.de
http://www.bpb.de/shop/multimedia/
mobil/146941/app-erinnerungsorte
D
ie App »Erinnerungsorte für die
Opfer des Nationalsozialismus«
basiert auf der gleichnamigen Datenbank der Bundeszentrale für politische
Bildung (BPB) ermöglicht den Zugriff
auf derzeit 418 Erinnerungsorte.
Hier­zu gehören Gedenkstätten, Museen, Dokumentationszentren, Mahnmale und Online-Angebote. Die App
ist kostenlos für IPhone und Android
verfügbar.
Alle Orte werden mit einem kurzen
Text, Hinweisen zum pädagogischen
Angebot und einem Foto beschrieben,
zusätzlich sind Öffnungszeiten und
Kontaktdaten abrufbar.
Die Suche innerhalb der App kann
eingegrenzt werden auf Kategorien,
Bundesländer und Online-Angebote
sowie regional anhand von Postleitzahlen. Aufgrund der Angabe seines
eigenen aktuellen Standorts kann der
Nutzer auf einer Karte sich umliegende Erinnerungsorte anzeigen lassen.
Ziel der App ist es, ein Ausgangspunkt für die historisch-politische Bildung im Themenbereich der Verfolgung verschiedenster Menschengruppen unter der NS-Diktatur zu sein. Sie
lädt den Leser ein, seine Umgebung
mit anderen Augen zu betrachten – insbesondere auf Reisen ist es immer wieder horizonterweiternd, einen Blick
auf die App zu werfen, um zu erfahren, was für »Erinnerungsorte« sich in
der Umgebung befinden.
Die Datenbank und die App sind
»Work in Progress«, d.h. vorhandene
Einträge werden laufend aktualisiert
und neue Erinnerungsorte aufgenommen. Über die Homepage der BPB
können auch die Nutzer weitere Erinnerungsorte vorschlagen.
Nach der Installation der AndroidApp kann es zu einer Endlosschleife
kommen, man kann die App dann
nicht mehr verlassen. In diesem Fall
muss das Smartphone neu gestartet
werden – anschließend sollte die App
normal funktionieren.
Gerrit Huth
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
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Service
Lesetipp
Peter Scholl-Latour
V
on seinen Lesern wurde der 2014
verstorbene Autor für seine fundierten, durch eigenes Erleben vor Ort
gestützten Analysen bewundert; von
seinen Kritikern wurde er böse als
»König der Unken« verspottet. Dabei
hat Scholl-Latour mit seinen Unkenrufen, seinen Warnungen vor den Folgen
militärischen Engagements im Nahen
Osten, in Afghanistan oder in Vietnam
am Ende sehr oft Recht behalten.
In seinem neuem, letzten Buch zeigt
Scholl-Latour große Sympathie für die
in Afghanistan und der Türkei eingesetzten deutschen Soldaten, auch wenn
er keinen Hehl aus seiner pessimistischen Lagebeurteilung machte. Im Irak
und Afghanistan hätten sich »die amerikanischen Stäbe beinahe feindselig
gegen jede objektive Lagebeurteilung
abgekapselt« (S. 20). Doch den Vorwurf des Antiamerikanismus weist er
zurück. Dieser sei ihm schon 1965 vom
damaligen westdeutschen Außenmi­
nister Gerhard Schröder nach seinen
kritischen Reportagen über den be­
ginnenden amerikanischen Vietnam­
einsatz gemacht worden. Besonders
scharf kritisiert der große alte Orientkenner die Syrienpolitik des Westens,
die allein in Assad den Schuldigen
sehe und die Einmischung der Türkei,
Saudi-Arabiens und der Golf-Emirate
dulde. Hinter dem Giftgaseinsatz in
Ghouta, der 2013 um Haaresbreite
zum Eingreifen der USA, Frankreichs
und Großbritanniens in den Syrienkrieg geführt hätte, sieht Scholl-Latour
nicht Assad sondern die Aufständischen, »die präzise zu dem Zeitpunkt, als Obama seine rote Linie zog,
sich zu dieser Provokation entschlossen in der Erwartung, dass nunmehr
die vernichtende Vergeltung der amerikanischen Luftwaffe über Damaskus
hereinbräche« (S. 281). Die Mahnungen
Peter Scholl-Latour, Der
Fluch der bösen Tat.
Das Scheitern des
Wes­tens im Orient, Berlin
2014. ISBN 978-3-54907412-1; 351 S.,
24,95 Euro
26
des alten, furchtlosen Kriegsreporters
werden uns künftig fehlen.
ks
Katyn 1940
E
nde Januar 1943 entdeckte ein deutscher Oberstleutnant im Wald von
Katyn, westlich von Smolensk, ein
Mas­sengrab mit den sterblichen Überresten von etwa 4300 polnischen Offizieren. Sie waren 1940 vom sowjeti­
schen Geheimdienst NKWD erschossen
worden. Das Massaker von Katyn steht
heute symbolisch für die systematische
Auslöschung der polnischen Elite nach
dem Einfall der Roten Armee 1940, der
insgesamt etwa 25 000 Offiziere zum
Opfer fielen.
Thomas Urban, Katyn
1940. Geschichte eines
Verbrechens, München
2015. ISBN 978-3-40667366-5; 249 S.,
14,95 Euro
Thomas Urban, viele Jahre Korres­
pondent in Polen und Russland, zeichnet anlässlich des 75. Jahrestags des
Verbrechens dessen Geschichte nach.
Nach der Entdeckung des Massengrabs wurde das Verbrechen durch
Joseph Goebbels propagandistisch
ausgeschlachtet, um einen Keil zwischen die Alliierten zu treiben. Doch
die Sowjetunion schob der Wehrmacht
das Verbrechen zu, fälschte dazu Briefe
und Papiere der Toten; die Westalliierten spielten mit, Pragmatismus siegte
über Aufklärung. Erst in den 1950er
Jahren wurden die Zweifel an der sowjetischen Version auch außerhalb der
polnischen Aktivistenkreise salonfähig, doch sollte es noch bis 1990 dauern, bis Moskau seine Schuld eingestand.
Vielschichtig und informationsgesättigt spürt Urban den Spuren des Verbrechens nach und vermag dabei die
beinahe unübersichtliche Anzahl von
Akteuren dem Leser ebenso klar zu
ordnen wie den unzähligen Gerüchten
und Legenden Platz einzuräumen.
Seine detektivische Aufarbeitung ist
eine historische Dokumentation, keine
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Anklageschrift gegen Russland, auch
wenn seine Enttäuschung über die
noch immer nicht vollständig vorgenommene Klarstellung und die fehlende juristische Aufarbeitung seitens
Moskaus nicht zu verkennen ist.
fh
Deutschen Marine(n)
D
ie Geschichte jeder deutschen Marine ist eng mit der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts
verbunden. Anders als die meisten
euro­päischen Staaten, hat Deutschland
während der letzten 160 Jahre nicht
nur eine Marine besessen, sondern
gleich acht:
Angefangen mit der Reichsflotte von
1848 über die preußische Marine, die
Marine des Norddeutschen Bundes,
die Kaiserliche Marine, die Reichsmarine (der Weimarer Republik), die
Kriegsmarine bis 1945 bis hin zur
Volksmarine der DDR und der Marine
der Bundesrepublik Deutschland, die
seit der Wiedervereinigung kurz Deutsche Marine heißt. Manche dieser
­Marinen sind historisch besonders auffällig und Gegenstand unzähliger Literatur, andere wiederrum sind nur als
eine Randerscheinung der Geschichte
zu sehen.
Das im besten Sinne populärwissenschaftliche Buch von Jann M. Witt gibt
einen gut überschaubaren und kurzweiligen Überblick über die wichtigsten historischen Ereignisse der unterschiedlichen deutschen Marinen.
Witt hört aber nicht 1990 auf, sondern
lenkt den Blick seiner Leser auf die
Einsätze »Sharp Guard« in der Adria
1993 bis 1996, den wenig bekannten
humanitären Einsatz der Fregatten
»Karlsruhe« und »Köln« sowie des
Tankers »Spessart« vor Somalia 1993
und die Beteiligung der Marine an den
Operationen »Enduring Freedom« und
»Active Endeavour« nach 2001. Auch
Jann M. Witt,
Deutsche Marine­
geschichten. 1848
bis heute, Berlin 2015.
ISBN 978-3-94459423-1; 144 S.,
14,95 Euro
die aktuellen Einsätze UNIFIL und
»Atalanta« werden bereits kurz vor­
gestellt. Die Fülle der Themen hat den
Nachteil, dass vieles nur kurz ange­
rissen, anderes ausgespart werden
muss.
Christoph Buschmann
haltensweisen aller drei Generationen
im Sinne der transgenerationalen
Übertragung besser versteht.
Gabriele Bosch
Reichskanzler Bülow
B
ie Generation der zwischen 1955
und 1975 Geborenen hat von klein
auf materiell alles bekommen, was sie
zum Leben brauchte. Sie profitierte in
vollen Zügen von den Früchten des
Wirtschaftswunders. Doch im Rückblick tauchen Erinnerungen an das Familienleben auf, die nicht nur schön,
sondern auf diffuse Weise auch beklemmend sind. Die »Nebelkinder«
können oft gar nicht genau benennen,
welche Nebel und Schatten auf ihrer
Herkunft liegen. Über die Traumatisierung von Kriegskindern, die zwischen
1939 und 1945 unter 16 Jahre alt waren,
ist bereits viel geschrieben worden. Bekamen diese Frauen und Männer später selbst Kinder, gaben sie ihre Erlebnisse wie Hunger, Kriegsschrecken,
Flucht, Vaterverlust und sexuelle Übergriffe unbewusst weiter. Über schuldhaftes Verhalten der Großeltern oder
andere Familiengeheimnisse wurde
nicht gesprochen. Die Kriegsenkel nahmen ihre Eltern nicht selten als gefühlskalt oder innerlich abwesend
wahr, was bei ihnen selbst zu psychischen Problemen führte. Woher rührt
das Gefühl, eine schwere Last zu tragen? Den Kriegskindern fehlte häufig
ein Problembewusstsein, dass mit ihnen etwas nicht stimmen könnte. Die
eindrücklichen Berichte von Kriegsenkeln, die sich in der Mehrzahl profes­
sio­nell mit der Aufarbeitung von Traumata beschäftigen, sind unter die
Überschriften Erfahrung, Deutung
und Heilung gestellt. Die Lektüre führt
dazu, dass man Einstellungen und Ver-
ernhard Fürst von Bülow war von
1900 bis 1909 Reichskanzler. Er galt
in den Augen seiner Anhänger als umsichtiger Staatsmann, der Ruhe und
Stetigkeit in die Innenpolitik brachte
und in der Außenpolitik kriegerische
Verwicklungen verhinderte. Seine
Gegner hingegen sprachen ihm jegliche Kunst des Staatsmannes ab und arbeiteten heraus, dass er lediglich den
Willen Kaiser Wilhelms II. umsetzte.
Peter Winzen hat sich nun nach langjährigen Studien aufgemacht, der
Wahrheit ein Stück näher zu kommen.
Er beschreibt den Lebensweg des
1849 geborenen und 1929 gestorbenen
Bülow in drei Großabschnitten: Aufstieg, Kanzlerschaft und römisches
Exil. Er schildert die Entwicklung des
Juristen vom Attaché zum Botschafter
in den Jahren 1873 bis 1893. Die Jahre
der deutschen Flottenrüstung sowie
des Ausbaus der Kolonien erlebte
Bülow als Staatssekretär des Äußeren
und ab 1900 als Reichskanzler. In diese
Zeit fielen der Boxer-Aufstand in
China, die Verschlechterung des
deutsch-britischen Verhältnisses, die
Bosnien-Krise und die Daily-Telegraph-Affäre (beide 1908). Letztere
führten zum Zerwürfnis mit dem Kaiser, der ihn entließ. Es folgte eine Zeit
intensiver publizistischer Tätigkeit.
Der Autor arbeitet heraus, dass
Bülow etwa für die deutsche Vorkriegspolitik zwischen 1898 und 1909
keineswegs nur Erfüllungsgehilfe war.
Indirekt trug Bülow demnach die historische Verantwortung für den Weg
in die Julikrise 1914. So ganz nebenbei
gelingt Winzen auch noch eine Geschichte des Beziehungsgeflechtes der
Michael Schneider und
Joachim Süss (Hg.), Nebel­
kinder. Kriegsenkel treten
aus dem Traumaschatten
der Geschichte, Berlin [u.a.]
2015. ISBN 978-3-94430591-2; 382 S., 19,99 Euro
Peter Winzen, Reichskanz­
ler Bernhard von Bülow.
Mit Weltmachtphantasien
in den Ersten Weltkrieg,
Regensburg 2013. ISBN
978-3-7917-2546-8;
573 S., 36,95 Euro
Traumaschatten
D
führenden deutschen Politiker, Diplomaten und Militärs jener Zeit.
hp
»Kanonen statt Butter«
K
anonen statt Butter« – unter diesem
Zitat von Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß setzt sich Tim Schanetzky mit
Wirtschaft und Konsum im Dritten
Reich auseinander. Im zweiten Band
der Reihe »Die Deutschen und der Nationalsozialismus« schreibt er eine kritische Wirtschaftsgeschichte für die
Zeit zwischen 1933 und 1945 und beleuchtet darin die Zusammenhänge
von Aufrüstung, Kriegswirtschaft,
Konsumgesellschaft, Zwangsarbeit
und NS-Regime. Dabei ist ihm besonders daran gelegen, militärische Zwecke der Wirtschaft des Dritten Reiches
(»Kanonen«) mit den gerne übersehenen, ganz alltäglichen Bedürfnissen
der Gesellschaft (»Butter«) in ihrem
Spannungsverhältnis darzustellen. Im
Ergebnis werden in seinem Buch nicht
nur Terror, Ausbeutung, Arisierung
und Zwangsarbeit behandelt, auch die
Lebensstandards der damaligen Zeit,
Konsummöglichkeiten und -chancen
der Bevölkerung werden in den Blick
genommen. Schanetzky analysiert in
dem lebendig geschriebenen Buch die
Zusammenarbeit der Unternehmer mit
dem NS-Regime und untersucht die
Rolle der Wirtschaft: Zunächst für den
Erfolg des Nationalsozialismus durch
die Überwindung der Wirtschaftskrise
und die Rüstungswirtschaft und später
für das Scheitern und für den Zusammenbruch von Versorgung, Kommunikation und Verwaltung. Er kommt zu
dem Fazit, dass die deutsche Wirtschaft von Beginn an mit Hitlers Regime kooperierte und bereit war, sich
den Regeln des Dritten Reiches unterzuordnen – oftmals unter Druck oder
aus Angst vor Repressalien, vor allem
aber auch, weil es lukrativ war.
Leonie Hieck
Tim Schanetzky, »Kanonen
statt Butter«. Wirtschaft
und Konsum im Dritten
Reich, München 2015. ISBN
978-3-406-67515-7; 272 S.;
16,95 Euro
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
27
Service
Die historische Quelle
Die Wehrtechnische Studiensammlung der Bundeswehr in Koblenz
Entwicklung der Wehrtechnik
A
ls Einrichtung und Referat des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr gehört die seit 1982 in Koblenz ansässige »Wehrtechnische Studiensammlung« (WTS) zu einem ihrer
maßgeblichen Bestandteile. Die Sammlung ist aus der bei
der Erprobungsstelle der Bundeswehr in Meppen seit
1962 aufgebauten »Waffen- und Studiensammlung für
Entwicklungs- und Konstruktionsstudien« hervorgegangen. Sie wird von Seiten der Bundeswehr nicht als Museum, sondern als Studiensammlung geführt.
Die 24 000 Objekte umfassen einen in dieser Form einmaligen Bestand an Militär- und Wehrtechnik, wobei
etwa ein Zehntel der Exponate des Gesamtbestandes auf
7200 qm öffentlich gezeigt wird. In unregelmäßigen Abständen gibt es auch thematische Sonderausstellungen.
Schwerpunkte des Bestandes bilden die Handwaffensammlung mit rund 10 000 Objekten sowie Munition,
Rad- und Kettenfahrzeuge, automatische Waffen, Geschütztechnik, Raketen, Marinegerät, Luftfahrzeuge,
Infor­mationstechnik, Fernmelde-, Elektronik- und optisches Gerät, Pioniergerät, Bekleidung und Ausrüstung
aus dem historischen und dem aktuellen Bestand der
Bundeswehr und anderer Streitkräfte. Innerhalb dieser
Sammlungsgruppen ist der Bestand an technisch hochinteressanten Demonstratoren, Prototypen und Versuchsmustern hervorzuheben. Zum Bestand der Heeresgroßtechnik gehören beispielsweise ein französischer Panzer
vom Typ Renault FT 17 aus den letzten Monaten des Ers­
ten Weltkrieges, deutsche Kettenfahrzeuge aus dem
Zweiten Weltkrieg, wie z.B. das Sturmgeschütz III und
der Jagdpanther, bis hin zu Vorserienmodellen der Bun-
deswehr bzw. der NATO, wie der Schützenpanzer Marder II und der Kampfpanzer 70.
Der Bestand der WTS entwickelt sich progressiv und
degressiv dynamisch, d.h. neben der Übernahme neuer
Technik und Ausrüstung einerseits werden andererseits
einzelne Objekte für ingenieurtechnische Untersuchungen zur Verfügung gestellt und damit abgeschrieben. Dies erklärt sich aus der eigentlichen Aufgabenstellung der WTS für die Bundeswehr.
Besonders imposant sind die Präsenzbibliothek und
das Archiv mit über 100 000 technischen Dokumenten,
wie Dienstvorschriften und Gerätebeschreibungen der
Bundeswehr, NVA und NATO, 17 700 Titeln von Fach­
büchern und -zeitschriften zur Militärtechnik sowie zur
Militär­geschichte.
Die Einrichtung ist die zentrale ingenieurtechnische
Studien- und Schausammlung dieser Art in Deutschland.
Mit dem neuen Konzept aus dem Jahr 2000 ergaben sich
folgende Aufgaben: 1. die Fortschritte der Wehrtechnik
mit dem Schwerpunkt der Entwicklung nach 1945 zu
dokumen­tieren und darzustellen; 2. bei der Laufbahnausbildung und Fortbildung von Wehringenieuren und
Technikern mitzuwirken; 3. Waffen und Gerät für technische Untersuchungen, Erprobungen und Weiterentwicklungen bereitzustellen. Hinzu kommen die Mitarbeit
im Museums- und Sammlungsverbund der Bundeswehr
und die Öffnung der Schauausstellung für die interessierte Öffentlichkeit.
Manfred Wilde
WTS Koblenz
Literaturtipp
Wehrtechnische Studiensammlung
­Koblenz. Ein Überblick. 50 Jahre WTS
– 30 Jahre in Koblenz. Redaktionsleitung: Rolf Wirtgen. Redaktion: Frank
Köhler, Lothar Simon, Hubert Zimmer.
Hrsg. vom Verein der Freunde und Förderer der Wehrtechnischen Studien­
sammlung Koblenz e.V., Hunzel:
Hermes Medien [2012].
3Das Schnittmodell einer
Vorserie des Leopard 1
gibt Einblicke ins Innere
des Fahrzeugs für jedermann, ohne sich durch
die Lucke in den Innenraum zu begeben.
28
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
30. November 1945
455 n.Chr.
Air Transport Auxiliary wird aufgelöst
Eroberung von Rom durch die Vandalen
or 70 Jahren wurde die Organisation außer Dienst gestellt, die im Zweiten Weltkrieg für den Transport von
Militärmaschinen der Royal Air Force (RAF) eingesetzt
wurde. Insgesamt 147 verschiedene Flugzeugtypen – vom
leichten Trainings-Doppeldecker bis zum viermotorigen
Bomber – wurden durch die Air Transport Auxiliary (ATA)
von Werften und Reparaturplätzen zur Truppe und zurück
transferiert. Diese wichtige Aufgabe übernahmen in Großbritannien keine Militärpiloten, sondern ab 1941 ausschließlich zivile Piloten der ATA. Aufgestellt wurde die ATA 1940
durch Gérard d’Erlanger, Direktor der britischen Fluggesellschaft British Overseas Airways Corporation. Er schlug
eine solche paramilitärische Organisation bereits 1938 vor,
um dem sich abzeichnenden Pilotenmangel zu begegnen.
Zur ATA gehörten nicht nur für den militärischen Dienst
zu alte oder untaugliche britische Piloten wie er selbst, sondern auch freiwillige ausländische und weibliche Piloten.
Gerade der Einsatz von weiblichen Piloten (insg. 16%)
sorgte für Aufmerksamkeit der zeitgenössischen Presse,
insbesondere nachdem die seinerzeit berühmte Rekordfliegerin Amy Johnson mit vereisten Tragflächen in die Themse
gestürzt war. Insgesamt stellt die ATA eine Fallstudie für
die außerordentlich gelungene Integration von Frauen in
eine Organisation bei Eliminierung von Diskriminierung
dar; gleiche Bezahlung für beide Geschlechter war zu der
damaligen Zeit nicht selbstverständlich. Zu den »Unternehmensgrundsätzen« der ATA gehörte zwar das Prinzip der
absoluten Risikovermeidung: Die wertvollen Flugzeuge
sollten unbeschädigt ihr Ziel erreichen und Kapriolen sowie Flüge unter schlechten (Wetter-)Bedingungen vermieden werden. Dennoch ließen 174 ATA-Piloten ihr Leben,
unter ihnen 15 Frauen. Über 309 000 neue, beschädigte und
reparierte Flugzeuge wurden bis Kriegsende für die RAF
transferiert. Die Auflösung der ATA fand im feierlichen
Rahmen statt – die historische Bedeutung der ATA wurde
deutlich herausgestellt, denn ohne die ATA hätte die »Luftschlacht um England« welche die RAF bis zum Äußersten
forderte, noch unter deutlich ungünstigen Umständen
stattgefunden.
Auch in Deutschland wurden im Verlauf des Krieges meh­
rere »Überführungsgeschwader« aufgestellt, in denen verein­
zelt Frauen dienten. Über diese ist allerdings kaum etwas be­
kannt, die meisten Akten wurden vernichtet.
Christian Taube
I
pa/akg-images
Getty Images
V
n der vormals bedeutendsten Stadt der Welt bot sich den
Bewohnern ein ungewohntes Bild. Angehörige des germanischen Volkstamms der Vandalen drangen trotz bestehender Verträge in Rom ein und plünderten die Stadt. Das
Römi­sche Reich war zu dieser Zeit nur noch ein Schatten
seiner selbst. Ironischerweise prägte die vandalische Besetzung Roms seit dem 18. Jahrhundert nachhaltig ihr Bild als
»zerstörungswütige Plünderer« (Vandalismus), obwohl sie
bei diesem für die Antike gängigen Verfahren harmloser
vorgingen als ihre römischen Gegner in den Jahrhunderten
zuvor.
Das alte Imperium Romanum erfuhr erst 60 Jahre zuvor
seine Teilung in einen westlichen und einen östlichen Teil.
Durch die Völkerwanderung, der sich auch die Vandalen in
Mitteleuropa anschlossen, geriet insbesondere der weströmische Reichsteil unter Druck. Zu dieser Zeit war schon das
norditalienische Ravenna dessen Hauptstadt. Im Laufe der
großen Bevölkerungsbewegungen zogen die germanischen
Stämme über Gallien nach Hispanien und dann schlussend­
lich nach Nordafrika, der damaligen Kornkammer des Reiches. Diese Provinz war wegen ihres Reichtums das Ziel
des vandalischen Königs Geiserich. Laut römischen Quellen sollten die Vandalen als Verbündete (lat. foederati)
durch den römischen Statthalter eingebunden werden, um
die Provinz Nordafrika gegen die Berber zu verteidigen.
Nach einer mühsamen Überfahrt von Hispanien nach
Nord­afrika erreichten laut dem oströmischen Geschichtsschreiber Prokop etwa 80 000 Vandalen die nordafrikanischen Provinzen. Nach Querelen mit dem Statthalter und
Gefechten mit weströmischen Truppen eroberten die Vandalen die Hauptstadt Karthago. Viel wichtiger war aber der
Coup, der ihnen mit der Beschlagnahmung der römischen
Kriegsschiffe gelang. Dieser Handstreich sollte die Vandalen zur einzigen germanischen Seemacht der Antike werden
lassen. Sie eroberten nach und nach Sardinien, die Balearen
sowie Korsika und bedrohten damit die römische Vorherrschaft im Mittelmeer. Den Höhepunkt dieser Streifzüge
stellte die bereits erwähnte Eroberung von Rom dar. Mittels
notgedrungen geschlossener Verträge konnte Ravenna die
Situation entspannen, obwohl damit die Anerkennung der
vandalischen Eroberungen verbunden war. Maßnahmen
gegen die Vandalen ließen so lange auf sich warten, dass die
ausbleibende Versorgung mit Getreide aus Nordafrika zu
einer Hungersnot im Reich
führte.
Benjamin Pommer
3Die argentinisch-britische Pilotin
Maureen Dunlop diente als First
Officer im ATA und flog u.a. die
Jäger Spitfire und Hurricane
sowie den Wellington-Bomber
und Mosquito-Aufklärer.
3Eroberung der Stadt Rom
durch die Vandalen unter König
Geiserich.
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
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• Berlin
Alltag Einheit. Portrait
einer Übergangs­
gesellschaft
27. Mai 2015 bis
3. Januar 2016
sowie
Homosexualität_en
26. Juni bis
1. Dezember 2015
Deutsches Historisches
Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
Tel.: 0 30 / 20 30 40
www.dhm.de
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 8,00 Euro
(unter 18 Jahren Eintritt
frei)
• Ingolstadt
Napoleon und Bayern
30. April bis
31. Oktober 2015
Bayerisches Armee­
museum
Neues Schloss
Ingolstadt
Paradeplatz 4
85049 Ingolstadt
Tel.: 08 41 / 9 37 70
www.hdbg.de
täglich
9.00 bis 18.00 Uhr
30. April bis 31.10.2015
Eintritt: 9,00 Euro
• Kalkriese
Ich Germanicus!
Feldherr Priester
­Superstar
20. Juni bis
1. November 2015
Varusschlacht im
­Osnabrücker Land
Venner Str. 69
49565 Bramsche-­
Kalkriese
Tel.: 0 54 68 / 9 20 40
www.kalkriesevarusschlacht.de
April bis Oktober
täglich
10.00 bis 18.00 Uhr
November bis März
30
Ausstellungen
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 5,00 Euro
• Ludwigsburg
»Gerüstet für den Krieg
– vorbereitet auf den
Frieden«
24. Mai 2015 bis
31. Januar 2016
Garnisonmuseum
Ludwigsburg
Asperger Str. 52
71634 Ludwigsburg
Tel.: 07 11 / 25 73 416
www.garnisonmuseumludwigsburg.de
Mittwoch
15.00 bis 18.00 Uhr
Sonntag
13.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 2,00 Euro
• Mühlhausen
Gezeichnet! Gustav
Wolf-Weifa skizziert
den Ersten Weltkrieg
11. September 2015
bis 31. Januar 2016
St. Marien, Müntzer­
gedenkstätte
Bei der Marienkirche
99974 Mühlhausen
Tel.: 0 36 01 / 8 56 60
www.mhl-museen.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 4,00 Euro
• Oberammergau
NS-Herrschaft und
Krieg
Oberammergau
1933–1945
4. April bis
8. November 2015
Oberammergau ­Museum
Dorfstr. 8
82487 Oberammergau
Tel.: 0 88 22 / 9 41 36
www.oberammer
gaumuseum.de
Dienstag bis Sonntag
10.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 6,00 Euro
• Rastatt
Kleine Geschenke er­
halten die Freundschaft
15. August bis
22. November 2015
Wehrgeschichtliches
Museum im Schloss
­Rastatt
Herrenstr. 18
76437 Rastatt
Tel.: 0 72 22 / 3 42 44
www.wgm-rastatt.de
Dienstag bis Sonntag
und Feiertag
April bis Oktober
10.00 bis 17.30 Uhr
November bis März
10.00 bis 16.30 Uhr
Eintritt: 7,00 Euro
• Münster/Westfalen • Ratingen
Propaganda trifft
­Grabenkrieg:
Plakatkunst um 1915
11. September 2015
bis 10. Januar 2016
LWL-Museum für Kunst
und Kultur
Domplatz 10
48143 Münster
Tel.: 02 51 / 59 07 01
www.lwl-museum-­
kunst-kultur.de
Dienstag bis Sonntag
und Feiertag
10.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: 8,00 Euro
Heimat.Front – Ober­
schlesien und der Erste
Weltkrieg
10. Mai bis
8. November 2015
Oberschlesisches
­Landesmuseum
Bahnhofstr. 62
40883 Ratingen (Hösel)
Tel.: 0 21 02 / 96 50
www.oberschlesisches-­
landesmuseum.de
täglich außer Montag
11.00 bis 17.00 Uhr
Eintritt: 5,00 Euro
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
Heft 4/2015
Service
Militärgeschichte
Zeitschrift für historische Bildung
 Vorschau
Der 12. November 1955 gilt als der Gründungstag der Bundeswehr. Die ersten 101
Freiwilligen erhielten ihre Ernennungsurkunden. Nur: eine Armee existierte damit
noch lange nicht. Ab Januar 1956 wurden
Mannschaften, Unteroffiziere sowie Offiziere ausgebildet, im Laufe der nächsten
Jahre wurden Einheiten, Verbände und
Großverbände aufgestellt und der NATO
als einsatzbereit gemeldet. Ähnliches geschah ab dem 1. März 1956 in der DDR mit
der Aufstellung der Nationalen Volks­
armee im Bündnis des Warschauer Vertrages. Rüdiger Wenzke beleuchtet die
Anfangs­jahre beider deutscher Armeen im
Überblick.
Die in diesem Heft (3/2015) begonnene
Reise zu den eher »vergessenen« Fronten
des Weltkrieges 1914–1918 (Serbien/Rumänien) setzt Marcel Serr fort. Er stellt die Palästinafront und damit dem Krieg in der
Levante vor. Diese umfasste die heutigen
Staaten Syrien, Israel, Jordanien, Libanon,
Irak, Türkei sowie den Gaza-Streifen. Hier
waren deutsche und österreichisch-ungarische Truppenteile zu Lande zu Wasser
und in der Luft zur Unterstützung des verbündeten Osmanische Reich eingesetzt.
Helmut Schuhart spannt einen über tausendjährigen Bogen über die wechselhafte
Beziehung zwischen Polen und Russen.
Mit dem Wissen von heute in puncto
Psychologie gab es während und vor allen
Dingen nach allen Kriegen Traumata. Sie
wurden zumeist anders benannt, nicht
­erkannt, verdrängt, vergessen bzw. verschwiegen und kamen erst nach Jahrzehnten wieder hoch. Diese trafen Soldaten und Zivilbevölkerung gleichermaßen.
Katrin Hentschel widmet sich dieser Thematik am Beispiel des Zweiten Weltkrieges
und seiner langen psychischen Nachwirkungen für Kriegsgefangene, Verwundete,
Vergewaltigte, Flüchtlinge und Ausgebombte.
hp
Militärgeschichte im Bild
Das somalische Desaster: Die Mission
UNOSOM II und ihr Scheitern im Herbst 1993
N
setzen – mit mehr beteiligten Nationen, mehr Soldaten, aber auch mehr
Hilfsgütern. Erstmalig beteiligte sich
die Bundesrepublik Deutschland mit
1500 Soldaten an einem solchen Einsatz.
Die beteiligten Kontingente aus 29
Nationen mit insgesamt 20 000 Mann
Kampftruppe, 8000 Logistiksoldaten
und 2800 Zivilisten hatten zwar einen
gemeinsamen Auftrag, unterlagen jedoch den Grenzen der Auftragserfüllung, die ihre Regierungen festlegten,
den »national caveats«. In der Durchführung waren die Kontingente jedoch
auf Zusammenarbeit angewiesen und
stützten sich zumeist auf die ameri­
kanische Führung sowie deren Mittel
der Machtprojektion ab. Dies führte
zwangs­läufig zu erheblichen Friktio­
nen in der Kommunikation und Koordination bei der Auftragserfüllung.
In den verschiedenen Regionen Somalias entwickelten sich so aufgrund
der unterschiedlichen Wahrnehmung
der Aufträge stark voneinander abweichende Verhältnisse zwischen den UNTruppen und der einheimischen Bevölkerung. Während in den Regionen
der australischen, französischen oder
deutschen Kontingente, die von den
Vereinten Nationen angestrebte humanitäre Hilfe ohne größere Problem
pa/AP
ach dem Ende der Herrschaft des
Diktators Siad Barre 1991 versank
Somalia in einen blutigen Bürgerkrieg,
in dessen Folge jegliche staatliche Autorität und Formen öffentliche Verwaltung verloren gingen. Faktisch exis­
tierte kein handlungsfähiger Staat
mehr. Mit dem Scheitern der Blauhelmmission UNOSOM im Dezember
1992, die einen ausgehandelten Waffenstillstand überwachen sollte, und
aufgrund der anhaltenden, massiven
Gewalt somalischer Clan-Milizen auch
gegen die eingesetzten Blauhelme erhielt eine multinationale Unified Task
Force (UNITAF) mit bis zu 28 000 Soldaten unter Führung der USA vom
UN-Sicher­heitsrat den Auftrag, »mit
allen erforderlichen Mitteln« Ballungszentren sowie Häfen zu sichern und
eine sichere Umgebung für humanitäre Hilfe zu schaffen. Nachdem die
UNITAF zunächst ihren Auftrag hatte
durchsetzen können, führte eine deutliche Reduzierung der US-Anteile zum
Wiederaufflammen der Gewalt. Infolgedessen beschloss der UN-Sicherheitsrat mit der Resolution 814 vom
26. März 1993, die UN-Kräfte von 3500
auf 30 800 Mann zu erhöhen. Die neue
Mission UNOSOM II sollte die Ziele
der vorhergehenden Missio­nen auf einer breiter abgestützten Basis durch-
59. Juli 1993, Mogadischu: Somalier umringen ein italienisches Militärfahrzeug und
zeigen Portraits des Milizenführers Mohamed Farrah Aidid (AP Photo/Hansi Krauss,
dieser Fotograf wurde nur drei Tage nach dieser Aufnahme getötet).
durchgeführt werden konnte, eskalierte die Situation im amerikanischen
Sektor, zu dem auch die Hauptstadt
Mogadischu zählte.
Die innersomalischen Konflikte verschärften die schwierige und unübersichtliche Lage in der somalischen
Hauptstadt. Am 5. Juni 1993 töteten
Milizen des Clanführers Mohammed
Farah Aidid 23 pakistanische UN-Blauhelme, als diese versuchten, einen von
Aidids Radiosendern zu schließen. Dadurch geriet die Situation in Mogadischu und somit für die gesamte UNMission vollkommen außer Kontrolle.
In der Folgezeit wurden die UN-Truppen aufgrund der Dynamik des Bürgerkriegs immer mehr zu einer weiteren »Kriegspartei«.
Auf Geheiß des damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton wurde
vor diesem Hintergrund zunächst Aidid persönlich gejagt, dann seine Miliz
mit aller Härte bekämpft. Am 3. Oktober 1993 wollten amerikanische Spezialkräfte zum entscheidenden Schlag
ausholen und – unter einer vollkommenen Fehleinschätzung der Lage –
eine größere Anzahl von Aidids Unterführern mitten in Mogadischu verhaften und aus der Stadt heraustransportieren. Die sogenannte »Operation
Irene« endete in einem Desaster, das
als »Schlacht von Mogadischu« in die
Geschichte einging. Die zwei Tage andauernde massive militärische Auseinandersetzung in den Straßen der somalischen Hauptstadt kostete 18 amerikanischen Soldaten und vermutlich
fast 1000 Einheimischen das Leben. Infolgedessen befahl Präsident Clinton
am 6. Oktober 1993, das amerikanische
Engagement in Somalia zu beenden
und alle US-Truppen bis zum 31. März
1994 aus dem Land zurückzuziehen.
Da die anderen Kontingente der UNOSOM II-Mission zwingend auf die Kooperation mit der US-Eingreiftruppe
angewiesen waren, führte diese Entscheidung auch zum vorzeitigen Abzug der meisten anderen Blauhelme.
UNOSOM II war somit gescheitert. Somalia ist bis heute ein »gescheiterter
Staat« und eine Brutstätte des Terrorismus.
Dieter H. Kollmer
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2015
31
ZMSBw
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Matthias Rogg, Kompass Militärgeschichte. Ein historischer Überblick für Einsteiger.
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