Handelszeitungbeilage März 2015

Werbung
| 19. März 2015
Special
Marketing
Transformation
Digitalorientierte Unternehmensführung
Seite 7
Euro-Mindestkurs
Gespräch mit Ulrich H. Moser,
Präsident der Gesellschaft für
Marketing (GfM). Seite 4
Zehn neue Trends
Leitartikel von Marian Salzman,
Trendspotterin und Vorsitzende
von Havas PR Global. Seite 8
SPECIAL MARKETING
Imagewerbung ist
kein Muss mehr
W
IMPRESSUM
Der Special «Marketing»
im Magazin-Format ist
eine redaktionelle Beilage
der «Handelszeitung».
TITELBILD: SWISS POSTER AWARD 2014 – KATEGORIE «POSTER OF THE YEAR» (PLAKATSUJET: «TOTAL WASCHMITTEL», AUFTRAGGEBER: MIGROS-GENOSSENSCHAFTS-BUND, ZÜRICH, WERBEAGENTUR: Y&R GROUP, ZÜRICH)
Gesamtverantwortung
Norman C. Bandi
Redaktionelle Mitarbeit
Marc Blume, John-Oliver Breckoff,
Sandro Graf, Cyrill Hauser, Mélanie
Knüsel-Rietmann, Gérard Moinat,
Kirsten Mrkwicka, Sibylle Müller,
Patrick Pfäffli, Simon Rehsche,
Holger Rust, Marian Salzman,
Marcus Schögel, Isabel Steinhoff,
Patrick Warnking
Chefredaktor Stefan Barmettler
Stv.Chefredaktor Pascal Ihle
Ressortleitung Markus Köchli
Stv.Ressortleitung
Norman C.Bandi
Layout Roger Cavalli
Titelbild ZVG
Korrektorat Urs Bochsler, Renate
Brunner, Beat Koch, Florian Vogler
Adresse Redaktion
«Handelszeitung»
Förrlibuckstrasse 70
8021 Zürich
Telefon: 043 444 59 00
Fax: 043 444 59 30
Mail: [email protected]
Website: www.handelszeitung.ch
Verlag Thomas Garms (Leitung),
Maike Juchler (Stv. Leitung),
Musti Asaf (Sales Director)
Anzeigenverkauf Renato Oliva
(Leitung), Adi Frei, Verena
Tschopp, Karin Urech, Eveline
Fenner (Kunst), Servais Y.F.
Micolot (Westschweiz), Brigitte
Lopez-y-Martin (Westschweiz)
Marketing Patrizia Serra (Leitung),
Nicola Eberhard (Product
Manager), Sabine Carrieu
Adresse Verlag/Verkauf
«Handelszeitung»
Förrlibuckstrasse 70
8021 Zürich
Telefon: 043 444 59 00
Fax: 043 444 59 32
Mail: [email protected]
Mail: [email protected]
Druck
Ringier Print Adligenswil AG
Herausgeberin
Axel Springer Schweiz AG
Bekanntgabe von namhaften
Beteiligungen im Sinne von
Art. 322 StGB: Amiado Group AG
as wären die rund 55 000
Plakatwände von APG
und Clear Channel hierzulande ohne Autohersteller, bundesnahe
Betriebe, Detailhändler, Telekomdienstleister? Halb leer – subjektiv beobachtet. Die
andere Hälfte scheinen derzeit Zürcher und
Luzerner Kantonsratswahlen sowie eidgenössische Parlamentswahlen zu füllen. Aber
in der Woche vom 9. bis 15. März 2015 gab
es in den Grossstädten einen anderen Dominator. Gefühlt jede vierte bis dritte Affiche
zierte eine Kampagne mit einem geschwungenen M darauf. Mal gelb auf grünem Hintergrund für Deluxe-Burger. Mal weiss auf
rotem Hintergrund für Signature-Burger.
Mal schwarz auf gelbem Hintergrund für die
Ronald-McDonald’s-Kinderstiftung. An der
Förrlibuckstrasse 10 bis 70 zwischen Basler
Versicherung und Axel Springer Schweiz in
Zürich-West waren diese drei Sujets auf
knapp 200 Metern zu entdecken.
Doch warum ist nationale Imagewerbung
für die Imbisskette noch ein Muss? Eigentlich sollte man das nicht nötig haben, indes
sei es nützlich, so Marketingleiter Thomas
Truttmann. «Ich glaube erst an Reklame,
seit ich für McDonald’s arbeite.» Alle sechs
bis acht Wochen lanciere man eine Kampagne und danach steige der Absatz jeweils
nachweislich. Erstaunlich daran ist, dass der
Big Mac nach wie vor das am meisten ver-
Norman C. Bandi
(vor einem McDonald’s-Plakat in Zürich-West)
Stv. Ressortleiter «Handelszeitung»
kaufte Produkt ist, obwohl es dafür in den
vergangenen zehn Jahren bloss zwei Promotionen gab. Laut Truttmann ist es schwer, einen Selbstläufer zu bewerben, der dermassen bekannt ist. Wohl ein Grund, weshalb
McDonald’s die Plakatsujets immer wieder
mal mit einem Augenzwinkern versieht.
2014 war es die ursprünglich französische
Icon-Kampagne, für die sechs unverkennbare Fast-Food-Ikonen ausgehängt wurden
– als Grafik, ohne Text. Nur der letzte Mut
fehlte: Das Logo wurde nicht weggelassen,
sondern reduziert trotzdem dazugestellt.
INHALT
Ulrich H. Moser Der GfMPräsident sagt, weshalb
Schweizer Firmen gerade
jetzt werben müssen. 4
Lead-Listen-Engage Der
neue gemeinsame Ansatz
der Universität St.Gallen
mit Google Schweiz. 7
Der Übertrend Die USTrendspotterin Marian
Salzman erklärt «selbst-»
zum Wort des Jahres. 8
Erich Joachimsthaler Der
Chef von Vivaldi Partners
erklärt digitale Werbung
zum Nebenschauplatz. 10
FOTO-PORTFOLIO
Holger Rust Der Professor
für Wirtschaftssoziologie
zeigt, wie man den Homo
algorithmicus decodiert. 13
Price Excellence Patrick
Pfäffli und John-Oliver
Breckoff sagen in ihrem
neuen Buch, wies geht. 16
Markenbotschafter Sind
Testimonials «state of the
art»? «Und wie», heisst es
etwa bei TBWA Zürich. 19
Content Marketing Laut
Jung von Matt/Limmat
steckt die Schweiz noch
in den Kinderschuhen. 22
Migros: Poster of the Year 2014.
Die Bilder zeigen das
Plakat des Jahres (Cover)
und alle 18 Gewinner in
den sechs Kategorien des
Swiss Poster Award 2014,
der am 12. März 2015 von
APG in Gold, Silber und
Bronze verliehen wurde.
Fotos: ZVG
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
3
SPECIAL MARKETING
«Ich wünsche
mir mehr
Leadership»
Ulrich H. Moser Der Präsident der Gesellschaft
für Marketing (GfM) über den Frankenschock,
die Heilmittel und den neuen Trend Simplicity.
DER MARKTORIENTIERTE
INTERVIEW: NORMAN C. BANDI
Die Nachricht schlug in der Schweizer
Wirtschaft ein wie eine Bombe: Unsere
Nationalbank hebt den Mindestkurs
des Frankens zum Euro auf. Wie schwarz
war der 15. Januar 2015 für Marketeers?
Ulrich H. Moser: Zuerst kam die grosse Hektik wie nach jedem einschneidenden und
überraschenden Ereignis. Der Preis ist das
zentral diskutierte Thema. Die Marketingverantwortlichen in der Schweiz sind nun
sicher noch mehr gefordert. Kosten senken,
Werbeetats verteidigen. Langfristig wird das
Thema der «Marketing-driven Innovation»
wichtig.
«Die Währungsthematik ist nur
ein Faktor der Transformation.
Zentral für die Unternehmen ist
indes der Technologiesprung.»
Welche Unternehmensarten respektive
Wirtschaftszweige sind von der Frankenstärke am meisten betroffen?
Je höher der Exportanteil ist und je höher
die Wertschöpfung in der Schweiz, desto
grösser ist die Herausforderung. Höhere
Preise können nur durch stetige Innovation
und hohe Qualität gerechtfertigt werden.
Durchschnittliche Qualität und Waren mit
dem Absender Schweiz haben es schwer auf
dem globalen Markt.
Und welche Unternehmensarten respektive
Wirtschaftszweige lässt die Sache praktisch
kalt?
Alle Wirtschaftszweige sind betroffen. Der
grösste Profiteur ist wohl der Konsument.
Aber dies nur kurzfristig – sollte es nicht
4
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
gelingen, das Schiff Schweizer Wirtschaft
auf Kurs zu halten. Indirekt sind auch rein
auf den Schweizer Markt ausgerichtete Firmen in den Sog geraten.
Was passiert, wenn es politisch und
wirtschaftlich motiviert einen neuen
Euro-Mindestkurs gibt – ist dann subito
wieder alles Friede, Freude, Eierkuchen?
Dieses Szenario halte ich für sehr unwahrscheinlich. Wir müssen uns langfristig von
stabilen Kursen verabschieden, mit Volatilitäten rechnen und immer zwei «What if»Pläne zur Hand haben.
Die GfM steht hierzulande als Synonym für
die marktorientierte Unternehmensführung.
Trotzdem schreien alle exportabhängigen
Firmen nach einer Euro-Untergrenze, also
Planwirtschaft. Ist das nicht grotesk?
Die Euro-Untergrenze hatte zum Zeitpunkt
der Einführung ihre Ziele erreicht. Viele
Firmen sind nun vom Entscheid der SNB
überrascht worden. Mich beunruhigt das
nicht so, weil ich um die Flexibilität und die
Innovationskraft der Schweizer KMU weiss.
Wir haben hierzulande in der Vergangenheit die schnelle Anpassung an neue Realitäten x-fach bewiesen und werden dies auch
in diesem Fall tun. Anpassung heisst aber
auch Veränderung.
Einige Betriebe oder Branchen haben
bereits reagiert und beim Personal und/oder
bei der Produktion die Kostenbremse
gezogen. Befürchten Sie, dass jetzt ebenfalls
die Werbebudgets unter Druck kommen?
Kurzfristig werden alle Bereiche auf ihre
Kosten, deren Effizienz und Einsparmöglichkeit geprüft. Davon sind auch die Werbeetats betroffen. Wer aber zu den langfristigen Gewinnern zählen möchte, wird gerade
in dieser schwierigen Zeit mutig auftreten
und die Werbung nicht zurückfahren.
Name: Ulrich H. Moser
Funktion: Präsident der
GfM (seit 2007); diverse
Verwaltungsratsmandate,
unter anderem Alfred
Müller AG, Biomed AG,
Hug AG und Rivella AG
Alter: 59
Wohnort: Zug
Ausbildung: Ökonom HWV (FH),
AMP Harvard Business School
Der Verband Die 1941 gegründete
Gesellschaft für Marketing (GfM) ist
die Plattform für marktorientierte
Unternehmensführung. Sie hat
nach eigenen Angaben in den
vergangenen 74 Jahren deren
Entwicklung hierzulande massgeblich beeinflusst. Der GfM gehören
gegenwärtig über 700 Firmen aller
Branchen sowie öffentlich-rechtliche, marktwirtschaftlich ausgerichtete Institutionen als Mitglieder
an. Der nationale Verband unterstützt mit seinen vier Tätigkeitsfeldern Forschung, Aus- und Weiterbildung, Veranstaltungen sowie
Publikationen das Marketing nachhaltig. Die Mission lautet: «Die GfM
fördert Marketing als Denkhaltung
der marktorientierten Unternehmensführung. Als Vision will man
dafür die Referenz im Land sein.
Weshalb ist es gerade jetzt falsch, beim
Marketing Abstriche zu machen?
Gutes Marketing ist vor allem in schwierigen
Zeiten ein wesentlicher Treiber des langfristigen Unternehmenserfolgs. Wer jetzt die
richtigen Botschaften sendet, wird zu den
Gewinnern gehören.
SPECIAL MARKETING
«Marketing-Transformation» – das Jahresmotto der GfM könnte aktueller nicht sein?
Richtig. Die Währungsthematik ist aber nur
ein Faktor der Transformation. Ganz zentral
für die Unternehmen sind indes der Technologiesprung, sprich die Digitalisierung,
und die damit verbundenen langfristigen
Chancen und Risiken.
«Bei der Vermarktung
unserer Innovationen
sind wir noch stark
verbesserungsfähig.»
Worauf muss der Fokus der Marketingaktivitäten aller Firmen in der Schweiz
im Jahr 2015 liegen?
Die Nähe zum – individualisierten – Kunden
verbunden mit hoher Emotionalität bleibt
die erste Priorität.
Anfang Juni in Interlaken hat ebenfalls Simplicity als Thema gewählt.
Welche neuen Themen und Trends orten
Sie, die auch hierzulande wegweisend
sein werden?
Simplicity ist ein gutes Stichwort. Das neuste
Buch von Benedikt Weibel ist diesem Trend
gewidmet, und das Swiss Economic Forum
ANZEIGE
Big Data revolutioniert das Marketing. Das
behaupten zumindest Zukunftsforscher und
Trendscouts. Wird das Thema überschätzt?
Big Data ist ein wichtiges Thema im Marketing, aber ganz sicher nicht das einzige.
Welche Trends bestimmen die Marketingagenda 2015 denn sonst noch?
Das Zusammenspiel zwischen Innovation
und Technik ist aus Sicht der GfM dabei
ganz zentral. Bei der Vermarktung unserer
Innovationen sind wir noch stark verbesserungsfähig.
Welche Chancen gilt es dabei zu nutzen?
Wir sind weltweit ganz vorne bei den technischen Innovationen. Bezüglich Patenten
sind wir die Nummer eins. Der Erfolg im
Markt tritt aber erst dann ein, wenn die Kunden die neuen Produkte und Dienstleistungen auch wirklich kaufen möchten. Das
Marketing muss in diesem Prozess eine
noch viel wichtigere Führungsrolle übernehmen. Ich wünsche mir da mehr Leadership der Marketeers.
Wo lauern die Gefahren?
Man kann nicht immer auf Nummer sicher
gehen. Flops gehören zum Geschäft. Die
Unternehmen sind aufgefordert, mehr Mut
zu zeigen und sich auch auf ihre Intuition
zu verlassen.
SPECIAL MARKETING
Swiss Poster Award 2014 Kategorie «Commercial National»
Gold
Plakatsujet:
«Royal’s»
Auftraggeber:
McDonald’s, Crissier
Werbeagentur:
TBWA, Zürich
Unsere Firma
verdient Millionen
in den Sand gesetzt.
Silber
Plakatsujet:
«You are what you wear»
Auftraggeber: Karl Vögele
für Max Shoes, Uznach
Werbeagentur: Jung von
Matt/Limmat, Zürich
6
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
Das Leben ist voller Wendungen.
Unsere Vorsorge passt sich an.
Bronze
Plakatsujet:
«Wendesätze»
Auftraggeber:
Swiss Life, Zürich
Werbeagentur:
Leo Burnett, Zürich
SPECIAL MARKETING
Leiten, zuhören
und engagieren
Transformation Mit ihrem Ansatz plädieren die Universität St.Gallen
und Google Schweiz für eine digitalere Ausrichtung des Marketings.
KIRSTEN MRKWICKA, MARCUS SCHÖGEL
UND PATRICK WARNKING
E
xponentielle Trends in Technologie und Konsumentenverhalten sind für viele Unternehmen
sowohl Chance als auch Herausforderung. Gerade in der
Schweiz boomt die Nutzung mobiler Endgeräte und digitaler Plattformen, sodass der
Handlungsbedarf im Marketing gross ist.
Die hohe Dynamik und Komplexität bei
Themen wie Search, Social, Mobile, Video,
Analytics und Programmatic erfordern
nicht nur neue Tools und Know-how. Firmen müssen in eine neue Lern- und Innovationskultur investieren, was oft Anpassungen beim Geschäftsmodell und in der
Organisation voraussetzt. Als Orientierungshilfe für das Marketing haben das Institut für
Marketing der Universität St. Gallen (IfMHSG) und Google Schweiz gemeinsam den
«Lead-Listen-Engage»-Ansatz entwickelt.
Die grundlegenden Auswirkungen der
digitalen Transformation auf das Marketing
sind offensichtlich: Digitale Medien bieten
eine Vielzahl neuer Zugänge zum Kunden,
erleichtern umgekehrt aber auch Kunden
die Teilnahme am öffentlichen Dialog. Mit
den neuen Interaktionsmöglichkeiten haben sich die Rollen von Unternehmen und
von Konsumenten nachhaltig verändert.
Über digitale Medien können Firmen ihre
aktuellen und potenziellen Kunden im Prinzip jederzeit und überall in Echtzeit erreichen. Für ihre Aufmerksamkeit erwarten
diese allerdings einen klaren Mehrwert.
` Lead: Mit der neuen Rollenverteilung in
digitalen Medien muss der Kundennutzen
in den Mittelpunkt rücken, und zwar in allen
Unternehmensaktivitäten. Ausgangspunkt
sollten immer Customer Insights sein. Zum
Beispiel orientiert sich BMW mit dem Slogan «Freude am Fahren» klar am Bedürfnis
nach individueller Mobilität.
Diese kundenzentrierte Positionierung
bietet auch unternehmensintern Orientierung und schafft als strategische Leitlinie
(«Lead») Raum für Flexibilität. Gerade die
für Social, Mobile und Video sowie Community Management auf Augenhöhe können
Firmen an den einzelnen Kontaktpunkten
einmalige Kundenerlebnisse schaffen («Engage»), die sich auch nachhaltig auf den
Unternehmenserfolg auswirken und im
Idealfall sogar virale Effekte auslösen.
Einheitliche Kundenerlebnisse lassen
sich angesichts der zunehmenden Kanal` Listen: Als Grundlage für die schnelleren vielfalt allerdings nur durch integriertes
strategischen Entscheidungen eignen sich Denken und vernetzte Strukturen realisiedie leicht zugänglichen Echtzeit-Infor- ren. Insbesondere Marketing, Sales und IT
mationen in digitalen Medien. Kommentare müssen heutzutage aus einer Hand komin Online Communities oder
men. Für diese SchnittstelReviews auf Bewertungslenaufgabe müssen in der
portalen enthalten reichhalti- Die Transformation
Regel neue Funktionen geges Wissen, das Forschung
muss weit über die schaffen werden. Neben eiund Entwicklung vorantreianderen Firmen hat
Abteilungsgrenzen nigen
ben kann. Häufig finden sich
Starbucks sogar einen Chief
des Marketings
Trends und Kritik hier sogar
Digital Officer ernannt, der
zuerst, sodass die meisten
die Atmosphäre des «Third
hinausreichen.
Firmen mittlerweile stanPlace» systematisch in Social
dardmässig Monitoring-Tools
Media und Mobile Media
als Frühwarnsysteme einsetzen. Neben dem umsetzt. Bereits seit 2008 können Kunden
direkten Feedback sagt aber genauso das unter mystarbucksidea.com das eigene ErOnline-Nutzungsverhalten in Form von lebnis aktiv mitgestalten.
Klick-Streams auf den eigenen Websites
Die drei Ebenen stehen jeweils in einem
schon viel über die Reaktion von Konsu- engen Zusammenhang. So sollte die stratementen aus.
gische Leitlinie («Lead») natürlich den FoMit dem Feedback lässt sich das Marke- kus aller «Listen»- und «Engage»-Aktivitäting für Kunden relevanter und für Unter- ten definieren. Das generierte Kundenfeednehmen effizienter gestalten. Allerdings back («Listen») wiederum muss die strategischöpfen nur wenige Firmen das digitale sche Positionierung und Ausgestaltung der
Wissenspotenzial voll aus. Relevante Infor- vielfältigen Kundenkontakte beeinflussen.
mationen bleiben entweder unentdeckt Und das eigentliche Kundenerlebnis («Enoder versickern später. Hauptbarriere ist gage») ist im Idealfall zugleich Ausgangsvielfach Silodenken. Für erfolgreiches «Lis- punkt für weitere Optimierungen.
tening» brauchen Unternehmen nicht nur
Damit zeigt der «Lead-Listen-Engage»die richtigen Analyse-Tools, sondern auch Ansatz nicht nur die Eckpunkte, sondern
das richtige Know-how sowie schnellere, auch die notwendigen Verknüpfungen für
übergreifende Informations- und Aus- zeitgemässes Marketing. Die Dynamik und
tauschprozesse. So hat Nestlé ein Digital Flexibilität im Unternehmen schafft nur
Acceleration Team aufgebaut, das interne eine Marketingtransformation, die weit
Beratung und Trainings anbietet sowie die über die eigentlichen Abteilungsgrenzen
Informationsflüsse koordiniert.
des Marketings hinaus reicht.
erhöhte Entwicklungsgeschwindigkeit in digitalen Medien erfordert kürzere Planungszyklen und Mut zum Voranschreiten. Erst
wenn es gelingt, Inhalte und Initiativen im
Netz aktiv zu gestalten, dann ist eine aktive
Positionierung möglich. Sie wirkt darüber
hinaus im Netz als Orientierungspunkt für
Konsumenten und Konkurrenten.
` Engage: Im Kundenkontakt zeichnen sich
digitale Medien vor allem durch die vielfältigen Interaktionsmöglichkeiten aus. Mit
einer Nutzen-basierten Content-Strategie
Kirsten Mrkwicka, Doktorandin, sowie Marcus Schögel,
Direktor und Titularprofessor, Institut für Marketing
der Universität St.Gallen (IfM-HSG), St.Gallen; Patrick
Warnking, Country Director, Google Schweiz, Zürich.
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
7
SPECIAL MARKETING
KOMMENTAR
Der Übertrend
P
ünktlich zum Jahresanfang legen
Trendspotter wie ich den Schnellgang ein. Wir halten unsere Ohren
an den Boden, um zu hören, was es
Neues gibt und was als Nächstes dran
ist. Um die kulturellen Vibrationen wahrzunehmen, die sich rund um die Erde bewegen. Ich
nenne sie gerne «Zukunftsschlagzeilen», während Marketing-Guru Seth Godin von «Ideenviren» spricht. Tatsächlich erinnern sie ein wenig
an Epidemien. Sie manifestieren sich nur, wenn
eine Vielzahl von Menschen miteinander in Kontakt stehen und sich die Dinge rasch verändern.
Marian Salzman
Vorsitzende, Havas
PR Global Collective,
Havas Worldwide,
New York
bereich: Gesundheit, Beziehungen, Technologie,
Haushaltprodukte, Gebrauchswaren, Medien
und der Rest. In einer immer unsicher werdenden Welt signalisiert «selbst-» die eine Person,
auf die wir uns verlassen können und die sich
mehr als jede andere um uns kümmert. Für
Marketeers und Kommunikatoren heisst die
steigende Bedeutung von «selbst-», dass die
Menschen selbst-zentrierter werden – und nicht
zwingend selbst-süchtiger.
In anderen Worten: Heute, das ist jeden Tag.
Marketeers und Kommunikatoren müssen
mehr denn je «up to date» sein. Raten Sie mal?
In ihrem Geschäft ist das keine einfache Aufgabe.
Es gibt so viel aufzunehmen und zu verdauen,
und unsere digital erweiterten, Twitter-gefütterten Gewohnheiten lernen uns, in
Bruchstücken zu denken. Deshalb
destilliert meine Agentur Havas
«Uns stehen
alles, was an nahen und fernen
noch nie
Horizonten sichtbar wird, in ihrem
jährlichen «Trends Report». Nachda gewesene
stehend eines der zehn Highlights
Veränderungen
unserer globalen Prognose für
bevor.»
dieses Jahr (siehe nächste Seite),
nämlich der Übertrend.
2014 erklärte Oxford Dictionaries den Ausdruck
Selfie zum internationalen Wort des Jahres. Wie
wär es also mit «selbst-» als Wort der Epoche?
Nicht «selbst» alleinstehend, sondern «selbst-»,
also als Präfix. Wie in Selbst-porträt, Selbst-parodie, selbst-referenziell und vielleicht ein wenig
selbst-obsessiv. Es widerspiegelt den Zeitgeist. Es
führt wie ein roter Faden durch Worte, die überall geschrieben, gesprochen und gelesen werden.
Von selbst-inszenierten Ikonen der Popkultur
über selbst-ernannte Blogger bis hin zu selbstgerechten Wächtern der Hochkultur.
Das Phänomen ist nicht neu, doch das Vehikel,
das den Selbst-Fokus des 20. Jahrhunderts in die
Selbst-Obsession des 21. Jahrhunderts befördert
hat, ist die «personal technology». Diese katapultiert jeden und jede ins Zentrum seines oder
ihres eigenen globalen Kommunikations- und
Publikationsnetzwerks. Gleichzeitig bietet sie
wachsende Möglichkeiten zur Selbst-Überwachung und zum Sammeln persönlicher Daten,
sprich der Selbst-Verfolgung. Die Ausbreitung
und Verankerung dieses Self-Tracking ist eine
meiner stärksten Trendvoraussagen für 2015.
Was kommt als Nächstes? «Selbst-» und seine
Äquivalente in anderen Sprachen werden zur
fundamentalen Wortidee in jedem Lebens-
8
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
Wenn wir uns der chinesischen
Symbolik bedienen, besteht das
Ying aus dem «selbst-» als fixem
Referenzpunkt im Leben und als
Ziel für das Marketing («Du
bist es dir wert» oder «Mach es
auf deine Art») sowie aus der
Technologie. Das Yang ist das
Bedürfnis der Menschen, miteinander in Kontakt zu treten und
anderen etwas zu bedeuten. Marken haben in
diesem Kontext die Aufgabe, den Konsumenten
mit diesem Yang zu helfen und sie darin zu
unterstützen, die Entwicklung ihres Selbst in
einer digitalen Welt zu verstehen.
Um es zusammenzufassen: Während unser
«Trends Report» vor zwei Jahren auf das Aufkommen von «Co»-Wörtern hinwies (Co-Kreator,
Co-Unternehmer, Co-Erzieher), stellt Havas für
2015 die Bedeutung von «selbst-» als übergeordnete Idee fest. Wir ertragen nicht noch mehr Turbulenzen, weshalb wir wahrscheinlich alle unser
individuelles Selbst retten möchten, obschon wir
uns nach dem «Co» sehnen. In einer Welt, in der
sich alles mit Warp-Geschwindigkeit bewegt, in
der Individuen sich schnell einmal überfordert
und verloren fühlen können, ist das Fokussieren
auf das Kleine und Lokale eine tolle Strategie, um
das eigene Selbst-verständnis zu finden.
Bezüglich dessen, was als Nächstes kommen
wird – abgesehen vom Tod und von den Steuern –,
gibt es kaum Zweifel. Uns stehen noch nie da
gewesene Veränderungen bevor. Diejenigen, die
mit ihnen gehen, auf ihnen surfen und sie einer
grossen Gruppe kommunizieren können, werden
die Gewinner sein – sowohl auf die eigene Industrie als auch auf die gesamte Wirtschaft bezogen.
HAVAS WORLDWIDE
316 Agenturen
in 75 Ländern
Global Mit 316 Agenturen in
75 Ländern und über 10000
Angestellten gehört Havas
Worldwide mit Hauptsitz im
französischen Suresnes zu
den Top-Five-Netzwerken
der Welt. Mit Vincent Bolloré
hat man einen Grossaktionär,
der die Geschicke des inhabergeführten Unternehmens
persönlich und langfristig
leitet. Die an der Pariser Börse
kotierte Havas Holding besteht aus Havas Worldwide,
Havas Media sowie Havas PR
und ist Teil der Bolloré Group
und wird auch dort bilanziert.
National Im März 2012 wurden die Schweizer Niederlassungen der Werbeagentur
Euro RSCG in Havas Worldwide Zürich beziehungsweise
Havas Worldwide Genève
umbenannt. Sie stehen unter
der Leitung von Frank Bodin,
«Werber des Jahres 2009».
SPECIAL MARKETING
` DIE 10 MARKETING-TRENDS FÜR 2015 VON MARIAN SALZMAN
1. Selbst-Alles: Der Übertrend. Das Präfix
«selbst-» drückt den Zeitgeist aus. Nicht
zuletzt, weil die Kreation eines positiven
Selbstbilds als essenziell für jedermann
gilt. Eingebettet in diesen Trend sind das
Self-Tracking unserer Gesundheit, die
Selbst-Verbesserung durch NonstopBildung und das (digitale) Überwachen
des Fehlverhaltens anderer. Schliesslich
können wir uns nicht darauf verlassen, dass
dies jemand anders für uns übernimmt.
2. Die neu definierte Mittelklasse. In entwickelten Nationen verschwindet sie zusehends, während sie überall sonst auf der
Welt zu einem ernst zu nehmenden Käufersegment wird und das Denken der Marketeers und Kommunikatoren herausfordert.
3. Internet erhöht Schau-mich-an-Einsatz.
Menschen, die ein Bedürfnis haben, online
wahrgenommen und erkannt zu werden,
werden versucht sein, zu immer weiteren
(und grafischeren) Extremen zu gehen.
4. Nicht immun gegen Viren. Biologische
Viren sind eine Bedrohung in den aufkommenden Ländern – während CyberAttacken mit absichtlich kreierten, digitalen Viren die entwickelten Staaten
beunruhigen werden.
5. Sicheres Essen: Gibt es das noch?
Zucker, Sojabohnen, Gluten, Salz... Viele
Nahrungsmittel werden ihren sogenannten
Tabakmoment erleben, mit stärkeren
Regulierungen und höheren Steuern auf
ungesunde Nahrungsmittel und Getränke.
6. Freund-Feind-Verwirrung. Wer sind
Ihre Freunde, Feinde und/oder «Freinde»?
Antworten in Politik, Technologie und
anderen Bereichen werden komplizierter.
7. Frauen setzen sich durch. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist global
im Vormarsch. Zudem wird unser Sensor
für Sexismus grösser, denn die in den Sozialen Medien erzählten Geschichten von
Geschlechtsrelevanz haben eine universelle
Gültigkeit und werden so überall lokal.
8. Der Ruf der Wildnis. Die steigende Urbanisation hat unseren Durst nach allem
Wilden geweckt – von Buchthemen über
Ferien in unberührten Gegenden bis hin
zur Wiederansiedlung von Raubtieren in
ihrem natürlichen Lebensraum. Schuldenbelastete Millennials können solche Impulse aber auch mit «mobile devices» (und
der Protestbewegung Occupy?) ausleben.
9. Kleine sind die neuen Grossen. Technologie, Kultur und eine neue Einstellung –
plus die Sicherheit, sein eigener Chef zu
sein – machen kleine Firmen zu einem
globalen Trend. Sprich: «Small (business)
is the new big».
10. Zu Hause ist, wo alles ist. Die essenziellen Dinge des Lebens werden immer
tragbarer, weshalb «lokal» überall, irgendwo und nirgendwo gleichzeitig bedeutet.
ANZEIGE
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
9
SPECIAL MARKETING
Es ist höchste
Zeit für Fehler
Digitaler Darwinismus Traditionelles Marketing hat
ausgedient. Der Konsument will nicht nur reagieren.
Er will teilhaben und mitmischen. Das fordert Firmen.
SIBYLLE MÜLLER
D
ie digitale Transformation hat
das Zeitalter des Konsumenten eingeläutet. Im Internet
bestimmen Nutzer, welche
Produkte Unternehmen entwickeln. Je näher an den Bedürfnissen der
Kunden, desto besser. «Imagewerbung ist
total überholt», erklärt Erich Joachimsthaler. Er ist Gründer und Chef von Vivaldi
Partners Group, einem der weltweit führenden Dienstleister in der Strategie- und
Marketingberatung mit Sitz in New York.
Am diesjährigen Worldwebforum in Zürich referierte er kürzlich zum Thema digitaler Darwinismus. Dieser umfasst die These,
dass nur jene Unternehmen den digitalen
Wandel überleben, die sich schnell genug
anpassen. Die Zukunft sieht Joachimsthaler
in der Sensorik. «Weg von den Bildschirmen, hin zu den Sensoren», lautet sein Credo. Die neue Apple Watch lasse grüssen.
Was das alles für die Firmen und ihre
Chief Marketing Officers (CMO) bedeutet,
hält die Vivaldi Partners Group in einer aktuellen Studie zur neuen Rolle des CMO fest.
Es braucht einen Alleskönner. Analytisch
sattelfest, datenversiert, allzeit flexibel und
nicht zuletzt fähig, ein multidisziplinäres
Team zu führen. Wo solche Personen zu fin-
den sind, lassen die Autoren offen. Ohnehin
klingt alles einfach. «Es gilt eine alte Weisheit: Man muss den Kunden besser verstehen und seine Bedürfnisse kennen, bevor er
sie selbst kennt», sagt Joachimsthaler.
Begeistert erwähnt er als Beispiele BMW
und Burberry, denen es gelungen ist, sich
auf innovative Weise mit ihren Kunden zu
vernetzen. Der Autohersteller BMW geht
weit über sein eigentliches Produkt hinaus,
indem er das Fahrzeug mit einer Reihe anderer Dienstleistungen verknüpft. Mit den
von BMW initiierten Angeboten DriveNow
und JustPark lässt sich jederzeit und überall
ein Auto mieten oder parken. Der Kleiderhersteller Burberry veröffentlicht Videos der
Proben seiner Modeschauen bereits eine
Stunde vor der offiziellen Veranstaltung online. Die Kunden können die gewünschten
Produkte direkt kaufen. Keine Lagerkosten,
kein Planungsaufwand. Produziert wird,
was bestellt und bezahlt wurde.
Joachimsthaler lächelt Bedenken weg
Doch nicht jeder vermarktet Luxusprodukte. Joachimsthaler sieht darin kein Problem. Ihm sei noch nie ein Unternehmen
untergekommen, bei dem keine Möglichkeiten zur Nutzung neuer Technologien
bestünden. Selbst Zahnpasta kann seiner
Meinung nach damit attraktiv vermarktet
VIVALDI PARTNERS
Von American Express über Rivella bis UBS
Global In einer zunehmend vernetzten
Welt entwickelt die Vivaldi Partners
Group starke Marken, entfacht Innovationen und transformiert Geschäftsmodelle. Gegründet wurde das global
führende Unternehmen in der Strategieund Marketingberatung mit Sitz in New
York im Jahre 1999 vom Deutschen
Erich Joachimsthaler, renommierter
Marketingexperte und Vordenker. Die
Schwerpunkte im Leistungsangebot
liegen bei Customer Insights, Marketing,
Brandstrategie im digitalen Kontext
und Strategieimplementierung, stets
mit einem Fokus auf greifbare Resultate.
10
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
National Die Schweizer Niederlassung in
Zürich wird von Roland Bernhard geleitet, der als Senior Partner auch im weltweiten Führungsteam ist. Er hat Dutzende
von Projekten in unterschiedlichsten
Branchen im In- und Ausland geleitet.
Vor seiner Beraterkarriere war er unter
anderem globaler CMO von Red Bull.
Kunden Zu den Kunden des Dienstleisters Vivaldi Partners zählen namhafte
und zukunftsgerichtete Unternehmen
wie American Express, BMW, Colgate,
Lego, Lonza, Migros, Rivella, SAP, Small
Luxury Hotels of the World oder UBS.
«Das Tolle an der neuen
Welt ist, dass man mehr
experimentieren kann.»
Erich Joachimsthaler
Chef, Vivaldi Partners, New York
werden. Colgate ist sein Kunde. Was anderes
zu behaupten, wäre geschäftsschädigend.
Von den Gefahren und Risiken der digitalen Welt spricht er nicht. Sie sind trotzdem
real. Nicht umsonst wittern Versicherer
neue Geschäftsmodelle in der Absicherung
von Firmen gegen Entrüstungsstürme in sozialen Medien (Shitstorm) und deren Folgen
für die Reputation. Joachimsthaler lächelt
solche Bedenken weg. Er ist schon lange im
Marketing, das merkt man. In Fehlern sieht
er eine Chance. Diese verhindern zu wollen,
ist für ihn Negativdenken. «Wir müssen Fehler machen. Das Tolle an dieser neuen Welt
ist, dass man sehr viel mehr experimentieren
kann als früher», ergänzt er.
Experimente sind potenziell teuer. Die
Ressourcen für solches Marketing sind aber
insbesondere bei kleineren und mittleren
Unternehmen (KMU) beschränkt. Darauf
angesprochen hat Joachimsthaler einmal
mehr eine passende Antwort parat. «Viele
dieser neuen Technologien sind zutiefst
demokratisierend.» Damit eröffneten sich
gerade für Mittelständler Wachstumschancen. Als Beispiel nennt er Netflix. Die Firma
ist zwischenzeitlich im Streaming von Videos zu einer namhaften Grösse herangewachsen. Mit sehr wenig Geld und bescheidener Technologie habe es Netflix geschafft,
Konkurrent Blockbuster in den Ruin zu treiben. Blockbuster war die ehemals grösste
Videothekenkette der USA und musste im
Jahr 2010 Insolvenz anmelden.
Genau das bringt den digitalen Darwinismus gemäss Joachimsthaler auf den
Punkt. Er birgt das Potenzial für neue, innovative Unternehmen, sich zu etablieren.
Gleichzeitig sind konventionelle Marken
gefährdet, in der Versenkung zu verschwinden, weil sie sich angesichts des Wandels
SPECIAL MARKETING
nicht behaupten können. Dienstleister wie
die Vivaldi Partners Group braucht es laut
deren Vordenker, weil sich deren Kunden
in einem Chaos von neuen Technologien
zurechtfinden müssen. Oft würden diese
Technologien jedoch gar nicht zusammenpassen. «Somit braucht es jemanden, der
die Spreu vom Weizen trennt und hilft, die
gröbsten Fehler zu vermeiden.»
Hierzulande Verbesserungspotenzial
Auch in der Schweiz ist die Thematik der
digitalen Transformation angekommen, wie
eine 2014 veröffentlichte Studie des Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG zeigt. Umso überraschender ist
jedoch, dass die 30 anlässlich der Erhebung
befragten Firmen aus verschiedenen Branchen weder eine einheitliche Digitalstrategie haben noch künftig planen, eine solche
ANZEIGE
zu implementieren. Vielmehr werden digitale Initiativen in bestehende Geschäfts-,
Informatik- und Marketingstrategien integriert. Über 50 Prozent der Befragten geben
zudem an, eine grosse Herausforderung im
digitalen Kulturwandel sei ein fehlendes angemessenes Budget. Dazu ins Bild passt die
Tendenz in der Schweiz, auf die Schaffung
der Position eines Chief Data Officer (CDO)
zu verzichten. Stattdessen soll es eine verstärkte Kooperation von Informatik- und
Marketingabteilung richten.
Gekonnt in den Dialog mit ihren Kunden
getreten ist die Migros – auch Joachimsthalers Kunde – mit ihrer Online-Konsumenten-Plattform Migipedia. Darauf können
Kunden Meinungen austauschen und sich
aktiv in die Produktinnovation einbringen.
Bisher scheint die landesweit einzigartige
Plattform ein voller Erfolg zu sein. Bereits
mehr als 50 Produkte sind über die Migipedia-Community entwickelt worden.
Joachimsthaler hält drei Faktoren für
entscheidend, um sich gekonnt an die digitale Transformation anzupassen: Daten,
Technologien und Analysen. Unternehmen
müssen Daten sammeln, analysieren und
zum eigenen Vorteil nutzen. Das Marketing
der Zukunft stellt den Menschen in den
Fokus. Denn letztlich sind es Menschen, die
Märkte schaffen. Ihren Puls zu fühlen, ist
also zentral. Das Ende der traditionellen
Werbung ist eingeleitet. Oder wie es Joachimsthaler formuliert: «Werbung ist heutzutage ein Nebenschauplatz.»
Sibylle Müller absolviert während des Lehrprogramms
Wirtschaftsjournalismus am Institut für Medien- und
Kommunikationsmanagement der Universität St.Gallen
ein Praktikum auf der Redaktion der «Handelszeitung».
SPECIAL MARKETING
Swiss Poster Award 2014 Kategorie «Commercial Local and Regional»
Gold
Plakatsujet:
«Otrivin-Blumen»
Auftraggeber:
Novartis, Rotkreuz
Werbeagentur:
Y&R Group, Zürich
Silber
Plakatsujet:
«Badi-Lancierung»
Auftraggeber:
Haus Hiltl, Zürich
Werbeagentur:
Ruf Lanz, Zürich
12
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
Bronze
Plakatsujet:
«Maximal reduziert»
Auftraggeber:
OBI, Schaffhausen
Werbeagentur: Jung von
Matt/Limmat, Zürich
SPECIAL MARKETING
«Je ne cherche
pas, je trouve»
Big Data Noch geht es um die Decodierung des
Homo algorithmicus. Doch ohne neue Impulse
droht der Wirtschaft die Spirale des Stillstands.
trotz der ebenso aufgeregten wie anregenden Diskussion nicht einmal klar ist, womit
man es da zu tun hat, auch und vor allem
nicht nach Durchsicht von Hunderten aktueller Stellungnahmen, Analysen, Angebote,
Kritiken und Projekte zum Thema. Was also
charakterisiert Big Data?
HOLGER RUST
ANZEIGE
FOTOLIA
N
ach anderthalb Jahrzehnten
Managementforschung, Beratung und publizistischer
Recherche, nach Hunderten
von Gesprächen mit Führungspersönlichkeiten, Nachwuchskräften
und Ehemaligen gab es eine relativ einfache
Antwort auf die Frage nach den Urgründen
des Erfolgs. Erfolgreich sind in der Regel die,
die zwei auf den ersten Blick widerstreitende Aufgaben zu verknüpfen wissen.
Erstens: Die Sicherung von Routine und
Planbarkeit im Unternehmen und die
Entwicklung angemessener Kennzahlen für
die Beziehungen zu Wettbewerbern und
Kunden mithilfe von kreativ angewendeten
Modellen, Performance-Measurement-Systemen, Programmen und aktuellen Kombinationen von Hardware und Software.
Zweitens: Die Förderung ungezügelter
Flexibilität für die Fälle, in denen alle Sicherheiten und Planungen obsolet werden,
um schnell mit der gesamten intellektuellen
Potenz des Unternehmens auf unerwartete
Herausforderungen reagieren und exklusive
Chancen erkennen zu können.
Die herrschende Tendenz im Management ist aber nun, die zweite Aufgabe mit
den formalen Ideen der ersten Aufgabe anzugehen. Dies umso mehr, als gegenwärtig
Das Problem ist nur, dass trotz
der ebenso aufgeregten wie
anregenden Diskussion noch
nicht klar ist, was Big Data ist.
(wieder einmal) ein einschlägiges Heilsversprechen kursiert, das mit einer ultimativen
Kombination aus Hardware und Software
einen geradezu mystischen Automatismus
beim Blick in die Zukunft ermöglichen soll –
Big Data und die Decodierung des Homo
algorithmicus. Das Problem ist nur, dass
Da ist noch viel Raum für Weiteres
Schon bevor die Diskussion irgendwie
virulent wurde, beschäftigten sich viele
Unternehmensberatungen mit Data Mining
als Rückgrat der Business Intelligence. Bei
dieser Suche stösst man auf einen Ansatz,
der durch drei Worte charakterisiert war, die
alle mit V beginnen. Sie stammen aus einer
Studie der Meta Group und lauten: Volume,
Velocity und Variety. Solche Wortfolgen, die
alle mit derselben Initiale beginnen, sind in
der Management-Ratgeberliteratur beliebt.
Deshalb folgten geradezu zwanghaft in den
nächsten anderthalb Jahrzehnten in unsystematischer Reihenfolge Veracity, Viability,
Value, Visibility, Visualization, Volatility und
ein reanimierter Begriff aus der klassischen
Sozial- und Marktforschung namens Validity, sprich der Nachweis, dass das, was man
zu messen vorgibt, auch gemessen wird.
Nun ist das Problem aber, dass sich diese
definitorischen Fingerübungen nicht mit
dem Prinzip selber auseinandersetzten,
sondern nur eine Beschreibung liefer- `
SPECIAL MARKETING
` ten. Dabei geriet aus dem Blickfeld, dass
die Dinge des Lebens ebenfalls in zwei
Gruppen eingeordnet werden müssen: In
die, die berechenbar sind (sich also in Daten
offenbaren), und in die, die es nicht sind.
Das Muster wiederholt sich. Mittlerweile
ist wohl klar, dass Big Data ein geniales und
tiefschürfendes Konzept für die Decodierung verborgener Routinen ist, die sich in
unstrukturierten Daten äussern und auf
derart charakterisierten Gebieten zu unglaublichen Erkenntnissen führen können –
in der Geophysik, den Life Sciences, der
Meteorologie, den Earth Data, bei der
Vorhersage von Epidemien und Naturkatastrophen, ja auch sogar in den Handlungs-
In jeder Sekunde kann
irgendjemand online
eine Kaskade mit globalen
Auswirkungen lostreten.
feldern, in denen Menschen Routinen
folgen wie etwa in der Mobilität oder bei
ökologischen Verhaltensweisen.
Kritisch wird es nun aber bei den volatilen Ausdrucksaktivitäten in Mode, Stil,
Ästhetik, Essen oder Interieurs und der unaufhörlichen Kommunikation über all das.
Wenn man schon von Big Data spricht – hier
findet man ein Beispiel: Hunderte Millionen
Blogs mit Postings und Repostings, Modifikationen und Transformationen, auf denen
sich Abermillionen Individuen austauschen,
meist mit Bildern und Filmen, stets in Bewegung, jedem Algorithmus vorauseilend.
YouTube, Twitter, Tumblr, Pinterest, Instagram, Google+, Flickr und ungezählte
andere Blogs und Plattformen. In jeder Sekunde kann irgendjemand eine Kaskade mit
globalen Auswirkungen lostreten. Ob es sich
nun um den amüsanten Unsinn der Mode
handelt, sich mit Pulverfarben zu bewerfen,
oder ein Musikstück, das völlig unerwartet
zum Millionenseller avanciert.
Immer ein Echo der analogen Welt
Doch die Versuchung ist gross, auch das
alles ins masslose IT-System einzufüttern:
Die Bilder und Filme und Facebook-Einträge, die Dates in Freundes-Netzwerken, zu
verknüpfen mit RFID, Meldungen der Sensortechnik aus dem Internet der Dinge, um
es dann mit Hadoop und HDFS und MapReduce und anderen Zauberwerken in den
Datenfarmen durchzukämmen, um ungeahnte Korrelationen zu entdecken, schliesslich auf dieser Grundlage Produkte und
Dienstleistungen vor allem im Hinblick auf
eine Funktion zu entwickeln: Daten zu
generieren, mit deren Hilfe die Produkte
und Dienstleistungen noch geschmeidiger
auf die durch diese Daten identifizierten
Bedürfnisse zugeschnitten werden können.
Und immer so weiter. Datafication.
14
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
HOLGER RUST
Ein Kritiker der
Trendforschung
Person Der Deutsche Holger Rust
(68) ist Professor für Wirtschaftssoziologie. Er war und ist an
verschiedenen Universitäten des
In- und Auslandes tätig, bekleidete
eine Reihe von verantwortlichen
Positionen in Unternehmen, ist
Wissenschaftlicher Berater von
mittelständischen Unternehmen
und Grosskonzernen. Rust gilt als
Kritiker der Trendforschung und der
Managementforscher. Einer breiten
Öffentlichkeit ist er als Autor für
renommierte Tageszeitungen und
Magazine bekannt, darunter das
deutsche «Manager Magazin»,
wo Rust mehrere Jahre exklusiv als
Publizist tätig war, und der
«Harvard Business Manager», in
dem seit 2008 seine monatliche
Wirtschaftskolumne erscheint.
Inhalt Die diesem Beitrag zugrunde
liegende Forschung untersuchte
die Dynamik der Entwicklung von
Geschmackskulturen im Internet.
In fünf Research Units aus jungen
Nachwuchssoziologen (Digital
Natives) wurden die Welt der Blogs
und die Methoden ihrer Analyse
durchforstet. Die Daten, Gespräche,
Bildsequenzen und Iterationen von
Motiven befinden sich gegenwärtig
im Prozess der Auswertung.
Und dann? Dann könnte ein kleines Problem entstehen. Die Wirtschaft geriete in
eine Spirale des rasenden Stillstands, weil
sie keine unerwarteten Impulse mehr zu
verarbeiten hätte. Man vernachlässigt jene
zweite Aufgabe – den produktiven Zweifel
daran, ob (Validity!) die digitalisierten Daten
als Indikatoren für Handlungsoptionen in
der analogen Welt taugen. Man erläge der
Verführung, jeder algorithmisch plausiblen
Konstellation zu folgen, statt etwas zu finden, das man gar nicht gesucht hat. So, wie
es Picasso auf eine Frage nach den Ursprüngen seiner Ideen einmal formulierte: «Je ne
cherche pas, je trouve.» Man kann nun nicht
gerade sagen, dass sein Geschäftsmodell
wenig Erfolg hatte. Früher nannte man die
Einfälle, die sich so ergaben, Serendipität.
Geboren aus Berechnung und Phantasie.
Von Menschen mit Begabung für beides.
Plötzlich finden wir wieder den Verweis
auf eine Qualifikationskultur, die nur noch
an wenigen Bildungsstätten gepflegt wird,
vom Physiker und Romancier Charles Percy
Snow im Mai 1959 in einer hellsichtigen
Rede an der University of Cambridge «Third
Culture» genannt. Er beklagte damals die
wechselseitige Arroganz der Natur- und
Geisteswissenschafter, die aus fachegoistischen Gründen die grossen Möglichkeiten
Früher nannte man Einfälle,
die sich zufällig ergaben,
Serendipität. Geboren aus
Berechnung und Phantasie.
gemeinsamer Problemlösungen torpedierten. Dass der Hinweis auf diese alte Rede
keineswegs nur ein zufälliges, opportunes
Fundstück darstellt, belegt ein Beitrag der
«Financial Times» im Mai 2009 zum 50. Jahrestag von Snows Vortrag. Der zähle zu den
wichtigsten des 20. Jahrhunderts.
Dennoch liegt in diesem intellektuellen
Konzept ein Impuls – für den Moment nämlich, in dem die wolkigen Daten nun irgendwie systematisiert auf dem Bildschirm erscheinen und sich die Frage aufdrängt, was
sie bedeuten. Dann wird schnell klar, dass
die Mathematik ihre wahre Eleganz erst entfaltet, wenn ihre Potenziale für die erste Aufgabe im Unternehmen ausgeschöpft sind:
Die Grenzen der Berechenbarkeit zu offenbaren, den Punkt sichtbar zu machen, an
dem die zweite Aufgabe beginnt.
Dem Management erwächst an dieser
Stelle eine personalpolitische Herausforderung. Drauf zu achten, dass die dringend
gesuchten MINT-Absolventen kultursoziologisch geerdet sind und begreifen, dass alles
Digitale immer nur ein Echo der analogen
Welt darstellt. Ihr verborgenes kulturelles
Betriebssystem zu verstehen, ist die Voraussetzung dafür, Daten – wie «big» sie auch immer sein mögen – richtig zu interpretieren.
SPECIAL MARKETING
NEWS
` GfM BRUSH UP
` HAVAS BRAND PREDICTOR
«Hot Mobile Marketing» mit Raj Venkatesan
Diesen Marken gehört in
der Schweiz die Zukunft
Vorlesung Am Freitag, 5. Juni 2015,
präsentiert die Gesellschaft für
Marketing (GfM) Raj Venkatesan,
Marketingprofessor und Inhaber
des Lehrstuhls als Bank of America
Research Professor of Business Administration der Darden School of
Business an der University of Virginia in Charlottesville (USA). Am
GfM Brush Up von 8 bis 9 Uhr im
Auditorium der Hochschule für
Wirtschaft Zürich (HWZ) referiert
er auf Englisch zum Thema «Hot
Topics in Mobile Marketing». Die
Teilnahme für GfM-Mitglieder ist
kostenlos, Nichtmitglieder bezahlen
100 Franken. Anmelden kann man
sich online via Website der GfM.
` MARKETINGPREIS
Firmen nominieren, Benedikt Weibel hören
Verleihung Seit 1984 würdigt die
Gesellschaft für Marketing (GfM) mit
ihrem «Jahrespreis der Stiftung für
Marketing in der Unternehmensführung» jeweils ein schweizerisches
Unternehmen, das sich fortwährend
durch herausragendes Wirken ausgezeichnet hat. Ab sofort können bis
zu drei Firmen als Kandidaten vorgeschlagen werden. Das Formular
findet sich online unter der Landingpagemarketingpreis.ch/nominie-
rung. Danach kürt eine Fachjury unter Leitung von IMD-Professor Stefan
Michel den Gewinner – vergangenes
Jahr war es Swisscom. Der Marketingpreis wird zum 31. Mal am Dienstag, 27. Oktober 2015, im Luxushotel
The Dolder Grand in Zürich verliehen. Vor der Gala findet die 74. Generalversammlung der GfM statt, an der
der ehemalige SBB-Konzernchef
Benedikt Weibel das Gastreferat halten wird. Teilnahme auf Einladung.
Ranking Die Top-Marke der Schweiz in
diesem Jahr ist Migros vor M-Budget und
Nespresso. 2014 lautete das Ranking
M-Budget vor Migros und Google. Die TopMarke der Schweiz in zwei Jahren wird
Migros vor Ikea und Google sein. 2014 war
Nespresso vor Google und iPad positioniert. Zu diesem Schluss kommt die vierte
Brand-Predictor-Studie der Werbeagentur
Havas Worldwide Switzerland, deren Resultate der «Handelszeitung» exklusiv
vorliegen. Unterschieden wird nach den
Kriterien Vertrauen und Dynamik – in
Kombination beider Kategorien ergeben
sich die Top-Marken. Eine Besonderheit
des Rankings ist, dass Trendsetter als sogenannte Brand Predictors die Top-Marken
von morgen schon heute eruieren. Laut ihrer Wertung ist 2017 Migros die vertrauenswürdigste Marke vor Toblerone und Chocolat Frey. Die dynamischste ist Ikea, vor
Migros und WhatsApp. Was die Gegenwart
betrifft, ist Migros die vertrauenswürdigste
Marke, gefolgt von Toblerone und Chocolat
Frey. Punkto Dynamik schwingt dieses Jahr
M-Budget obenaus, gefolgt von YouTube
und Zalando. Für die aktuelle Ausgabe der
Brand-Predictor-Studie wurden im Auftrag
von Havas in der Schweiz 4145 Personen zu
560 in- und ausländischen Marken befragt.
www.brandpredictor.ch
ANZEIGE
HWZ.
Exzellente Weiterbildung.
Karrierebegleitend weiterbilden. Direkt beim HB Zürich.
Bis zu 100 % Arbeitstätigkeit möglich.
Marketing:
n Executive MBA – Marketing
n CAS Brand Leadership
n CAS Customer Intelligence
n CAS Luxury Management
fh-hwz.ch
Kommunikation:
n MAS/DAS Business Communications
n CAS Corporate Communications
n CAS Marketing Communications
SPECIAL MARKETING
Innovative Preismodelle
Price Excellence Strategien zur Steigerung der Profitabilität – trotz Frankenstärke.
JOHN-OLIVER BRECKOFF UND
PATRICK PFÄFFLI
D
er seit der Aufhebung der
Euro-Bindung noch stärker
aufgewertete Franken und
seine Auswirkungen auf die
Exporte von Schweizer Unternehmen in das Euro-Gebiet ist zurzeit in aller
Munde. Doch auch Anbieter von aus dem
Euro-Gebiet in die Schweiz importierten
Produkten sind hiervon betroffen. Was für
einen Einfluss hat die Frankenstärke zum
Beispiel auf das Pricing (Preisgestaltung)?
Hierzu die damals aktuelle Kommunikation einer sehr hochpreisigen Boutique aus
Zürich für Mode von internationalen TopDesignern: «Aufgrund des starken Frankens
Nicht einzelne gute Ideen führen
zur Price Excellence, sondern
die richtigen Entscheidungen in
allen preisrelevanten Themen.
und des damit verbilligten Einkaufs werden
wir unsere Preise entsprechend reduzieren.
Da wir bereits im vergangenen Dezember
unsere georderte Ware mit einem prozentualen Anteil angezahlt haben, können wir
leider nicht über die gesamten Kosten von
dem neuen Wechselkurs profitieren, den
verbleibenden Anteil geben wir jedoch zu
100 Prozent an unsere Kunden weiter.»
Das Unternehmen, das starken Wert auf
Kundenorientierung und Kundenbindung
legt, verfolgt offensichtlich den Grundsatz
der Preisfairness und Preistransparenz.
Eine sinnvolle und mit der Kundenorientierung konsistente Win-Win-Strategie, die ohnehin schon hohen Margen nicht
noch weiter auszureizen, sondern unterstützt durch eine vorbildliche Preiskommunikation lieber in eine vertiefte Kundenbindung zu investieren, um das hohe Preispremium ebenfalls in Zukunft abzuschöpfen.
Übergreifendes Framework
Doch es sind nicht einzelne gute Ideen,
wie hier im Bereich der Preisfestlegung oder
Preiskommunikation, die ein Unternehmen
zur Price Excellence führen. Es sind die richtigen Entscheidungen in allen preisrelevanten Themen wie Preisstrategien, -modellen
und -management. Sie – das liegt auf der
Hand – können nicht isoliert voneinander
betrachtet werden, sondern sie bedingen
16
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
sich vielmehr gegenseitig. Dementsprechend ist es hilfreich, wenn den für Preisentscheidungen verantwortlichen Managern
ein übergreifendes Framework zur Verfügung steht, also ein Gesamtsystem, das die
Wirkungszusammenhänge der miteinander
verzahnten Preisthemen berücksichtigt und
dem Management somit einen roten Faden
bietet für die erforderlichen Analysen, Konzeptionen und darauf beruhenden strategischen und operativen Preisentscheidungen
(siehe QR-Code 1 auf Seite 17).
Preispsychologie in der Praxis
Ein Experiment an einem Theater zeigte,
dass die No-Show-Rate bei einer Aufführung
bei Kreditkartenzahlungen zehnmal höher
ist als bei Cash-Zahlungen. Dieses Ergebnis
ist sowohl grundsätzlich als auch vom Ausmass her überraschend. Der Mensch – und
das zeigt eine Vielzahl weiterer Erfahrungen
und empirischer Erkenntnisse – entscheidet
sich, so erscheint es auf den ersten Blick,
oftmals sehr unlogisch. Zumindest ist sein
Verhalten sicherlich nicht alleine aufgrund
einer Angebots-und-Nachfrage-Analyse
und der gängigen mikroökonomischen
Theorien erklärbar; vielmehr müssen psychologische Aspekte beigezogen werden,
um scheinbar irrationale Verhaltensweisen
von Menschen zu erklären. Entsprechende
Preisexperimente, die im Rahmen des sogenannten Behavioral Pricing (Preispsychologie), ein relativ junges und hochinteressantes Forschungsgebiet, durch-
geführt werden, sind nicht nur für Wissenschafter, sondern auch für Manager von hoher Relevanz, da daraus direkt Preisstrategien abgleitet werden können.
Hierzu ein reales Praxisbeispiel: Die
Einführung einer dritten, deutlich teureren
Preislage des Menüsortiments eines Schweizer Systemgastronomie-Anbieters erhöhte
den Absatz der bestehenden zweiten Preislage um 30 Prozent. Die dritte Preislage fungierte hier als sogenannter Anker, der die
subjektive Preiswahrnehmung des Kunden
für die zweite Preislage in Richtung «günstig»
verschoben hat. Hier liegt es auf der Hand,
diesen Effekt für eine Framing-Strategie auszunutzen, indem man Leistungsangebote
ohne eigentliche Verkaufsabsicht anbietet,
sondern bewusst lediglich als Frame (Anker)
einsetzt, um dann den Absatz für ein ganz
anderes Leistungsangebot, nämlich dasjenige mit der besten Marge, zu steigern.
Klare Preispositionierung
Eine weitere grundlegende strategische
Entscheidung ist die der Preispositionierung.
Interessant, aber auch anspruchsvoll ist die
Tiefpreispositionierung. Diese ist jedoch
nicht mit schlichten Preissenkungen zu verwechseln, wobei ein Unternehmen, bei dem
die Voraussetzungen für eine durchhaltbare
Tiefpreisstrategie gar nicht vorliegen, in
einem Markt mit einem seit langem etablierten Preisgefüge plötzlich die Preise
senkt, was häufig zu abwärtsdrehenden
Preisspiralen und letztlich zu gefürchteten
BUCHTIPP
Praxistauglich für operatives Tagesgeschäft
Kommentar «Mit dem Buch
‹Price Excellence› ist es Pfäffli,
Breckoff und Michel gelungen,
ein extrem praxistaugliches
Framework zu schaffen, das
nicht nur als Basis für strategisch-konzeptionelle Diskussionen über die Preisgestaltung
eingesetzt werden kann, sondern von grossem Nutzen im
operativen Tagesgeschäft ist», sagt JeanMarc Grand, Geschäftsführer der GfM.
Patrick Pfäffli Partner, Verwaltungsrat
und Miteigentümer, Input Consulting AG.
Referent für Price Excellence. Seit 20
Jahren Beratung von Schweizer Unternehmen im Bereich Strategie, Marktorientierung, Pricing und Servicemanagement.
J
John-Oliver
Breckoff Selbstsständiger Unternehmensberater
iin den Bereichen Strategie,
Reorganisation/ChangemanageR
ment und strategisches Markem
tting, vorher Geschäftsleitender
P
Partner, Input Consulting AG.
Verwaltungsrat, Spain Active
V
A
AG. Dozententätigkeit an der
Hochschule Luzern (HSLU) für
H
Sales and Distribution Management.
Stefan Michel Professor für Marketing
und Service Management am IMD in
Lausanne. Präsident des Stiftungsrates
der Gesellschaft für Marketing (GfM).
«Price Excellence» von Pfäffli, Breckoff und Michel,
368 Seiten, Versus Verlag Zürich, 69 Franken.
ZVG
SPECIAL MARKETING
Michael O’Leary: Der exzentrische Ryanair-Konzernchef liefert ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Tiefpreisstrategie, die auch rentabel ist.
Preiskriegen führt, weil Konkurrenten sich
gezwungen sehen, nachzuziehen, um ihren
Marktanteil zu verteidigen. Eine Tiefpreisstrategie zeichnet sich hingegen durch ein
hierauf abgestimmtes Geschaftsmodell aus
(QR-Code 2 auf Seite 17).
Ryanairs Rentabilität
Ryanair ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Tiefpreisstrategie. Der Preis für
das reine Flugticket – ohne Flughafengebühren, Kerosinzuschlag und Servicepauschale
– kann bei Ryanair bis auf null runtergehen.
Die hierfür erforderlichen extrem niedrigen
Kosten erzielt Ryanair durch Anflüge von
günstigen Flughäfen ausserhalb der grossen
Städte, Beschränkung auf einen Flugzeugtyp und damit Rabatte bei der Beschaffung
und Einsparungen in der Wartung, höhere
Kapazitäten durch zusätzliche Sitzreihen
und dadurch höhere Kosteneffizienz pro
Flug, Reduktion des Service und damit Einsparungen beim begleitenden Flugpersonal.
Allerdings ist Ryanair in letzter Zeit
wegen ihres zum Teil rüden Umgangs mit
Kunden und mehrerer Vorfälle in Bezug auf
die Flugsicherheit verstärkt in die Negativschlagzeilen geraten. Auf Facebook existieren gegenwärtig sieben Ryanair Hate Pages
mit Tausenden von Likes. Ryanair-Piloten
mussten wiederholt bei den Fluglotsen um
eine Änderung der Anflugsequenz ersuchen, weil das Kerosin knapp wurde. Ryanair betankt ihre Flugzeuge mit möglichst
wenig Kerosin, um somit Gewicht und damit Treibstoff zu sparen. Ebenso öffentlich
diskutiert wurden 2010 die Ideen von Ryanair-Konzernchef Michael O’Leary, Stehplätze anzubieten, die Toiletten von drei auf
eine zu reduzieren sowie WC-Türen einzu-
bauen, bei denen die Fluggäste 1 Pfund einwerfen müssen, um das Klo zu benutzen.
Dennoch hat Ryanair mit dieser Strategie
2013 einen Umsatz von rund 4,9 Milliarden
Euro bei einem Ebit von 718 Millionen ausgewiesen, das entspricht einer Umsatzrendite vor Steuern von 14,7 Prozent. Zum Vergleich: Die Lufthansa-Tochter Swiss erzielte
2013 mit einem etwas grösseren Umsatz von
Wer laut Warren Buffet vor einer
Preiserhöhung Stossgebete zum
Himmel schicken muss, der hat
ein miserables Unternehmen.
5,2 Milliarden Franken einen weniger als
halb so grossen Ebit von 264 Millionen.
Das entspricht einer Umsatzrentabilität
vor Steuern von 5,1 Prozent, also lediglich
einem Drittel des Wertes von Ryanair.
Learnings für Preisprofis
Zahlreiche Unternehmen haben mittlerweile das grosse Potenzial gut gemanagter
Preise erkannt. Doch wie gelangt man zur
Price Excellence? Dorthin führt ein kontinuierlicher Prozess der ständigen Verbesserung aller im Framework dargestellten Themen. Preisprofis haben dies verinnerlicht
und weisen drei herausstechende Merkmale
auf, die sie in der Praxis erfolgreich machen:
Preisprofis geben Preisentscheidungen
eine überaus hohe Management Attention. Sehr oft sind sie bei Preisprofis vom
Chef initiiert oder unterstützt. So meinte
Geberit-Konzernchef Albert Baehny einst:
«Wer Pricing delegiert, es im schlimmsten
Fall dem Markt überlässt, wird über das
Mittelmass nicht hinauskommen.»
Das zweite Kennzeichen von Preisprofis ist deren Fähigkeit, nicht nur bessere Preise festzulegen, sondern diese durch
entsprechende Verhandlungstaktiken und
-techniken und eine abgestimmte Preiskommunikation im Markt auch durchzusetzen. Investmentlegende Warren Buffett sagt
dazu: «Wer die Preise erhöhen kann, ohne
Aufträge zu verlieren, hat ein sehr gutes
Unternehmen. Und wer vor einer zehnprozentigen Preiserhöhung Stossgebete zum
Himmel schicken muss, der hat ein miserables Unternehmen.»
Als drittes Element haben Preisprofis
ein ausgebautes System etabliert, wie
sie das nach aussen gerichtete Pricing inklusive der Preisdurchsetzung nach innen verankert haben. So fördern ihre Anreizsysteme
die Preisdurchsetzung, die Mitarbeiter
verfügen über ein grosses Price-Know-how,
Preisinformations- und -controllingsysteme
sorgen für die erforderliche Transparenz,
die Preisverantwortungen sind klar geregelt.
Fazit: Das Management hat die Aufgabe,
den Unternehmenswert nachhaltig zu steigern. Die Erreichung von Price Excellence
ist dabei eine nicht einfache, aber effektive
Strategie zur Steigerung der Profitabilität.
2.
3.
QR-Code 1
QR-Code 2
1.
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
17
SPECIAL MARKETING
Swiss Poster Award 2014 Kategorie «Public Service»
Gold
Plakatsujet:
«Schneekristall»
Auftraggeber:
Suva, Luzern
Werbeagentur:
Ruf Lanz, Zürich
Silber
Plakatsujet:
«Zündholz-Hand»
Auftraggeber:
Suva, Luzern
Werbeagentur:
Ruf Lanz, Zürich
18
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
Bronze
Plakatsujet:
«Hilfe schenken»
Auftraggeber:
HEKS, Zürich
Werbeagentur:
Y&R Group, Zürich
ZVG
SPECIAL MARKETING
Jean-Claude van Damme: Das YouTube-Video «The most epic of Splits» von Volvo Trucks wurde 78 Millionen Mal angeschaut.
Der epischste
aller Spagate
Markenbotschafter Immer mehr Unternehmen lassen
berühmte oder weniger berühmte Testimonials für ihre
Brands sprechen. Ist das noch zeitgemäss?
SIMON REHSCHE
P
rominente in der Werbung sind
ein Evergreen. Ihr Potenzial für
die Markenführung ist offensichtlich und verführerisch. Mit
dem wachsenden Anspruch von
Konsumenten an Werbung ist die reine Platzierung von berühmten Gesichtern neben
Logos aber längst nicht mehr zielführend.
Der wirkungsvolle Einsatz von Prominenten
wird zum Prüfstein für Relevanz, Schärfe
und Konsequenz einer Idee. Der vermeintlich simple und in Fachkreisen zuweilen
belächelte Selbstläufer mit garantiertem
Erfolg wird zur grossen Herausforderung für
die zeitgemässe Markenführung. Dies bietet
auch vielseitige Potenziale, die nur selten in
ihrer ganzen Kraft realisiert werden.
Seit es Werbung gibt, gibt es Markenbotschafter, sogenannte Testimonials. Gemäss
wissenschaftlichen Analysen setzen 20 bis
25 Prozent aller Kampagnen auf prominente
Protagonisten. Vom Alt-Skirennfahrer, der
einer Automarke Authentizität verleiht und
für die Verlässlichkeit von Leistungsverspre-
chen bürgt, über Ex-Missen, die alles Mögliche mit einem Hauch Begehrlichkeit anreichern, zum Schauspieler, der Kaffee zum
Symbol alltagskompatibler Luxusmomente
macht. Markenverantwortliche suchen Vertrauenswürdigkeit, Erfolg und Attraktivität
populärer Bekanntheiten als positive Treiber für das Brandimage. Dies verstärkt den
funktionalen Nutzen beworbener Produkte
emotional mit Glaubwürdigkeit oder lädt
ihn mit zusätzlicher Begehrlichkeit auf.
Wir alle brauchen Testimonials
Menschen sind von der Komplexität
unserer Welt überfordert. Heute mehr denn
je. Und das gilt nicht nur für Kaufentscheide.
Rollenmodelle und Vorbilder waren und
sind für das menschliche Hirn effiziente
Strategien, um Komplexität zu bewältigen.
Testimonials spielen deshalb nicht nur in
der Werbung eine wichtige Rolle, sondern in
unserem gesamten Alltag. Schon bei der
Imitation von Handlungen im Sandkasten,
später beim Prüfen der Referenzen von Stellenbewerbern oder der Beobachtung von
Konsumentscheiden unseres Umfelds ler-
nen wir, dass Nachahmung und Orientierung an Vorbildern unser Leben vereinfacht. Die Psychologie erklärt dies mit sozialen Lerntheorien oder kognitiven Strategien
zur Entscheidungsfindung bei Unsicherheit.
Mit den erwähnten Theorien können wir
auch verstehen, wie Testimonialwerbung
funktioniert – und warum sich die oft willkürlich wirkenden Summen für das Engagement Prominenter eben doch lohnen können. In Bezug auf die Potenziale lassen sich
praktisch alle Modelle zwei Clustern zuordnen: Entweder wird das Ziel als die Ergänzung von Attributen, bei denen der Brand
Defizite aufweist, oder in der Vertiefung und
Festigung bestehender Attribute betrachtet.
Was für die Beurteilung der Eignung eines
Markenbotschafters der Bezugsrahmen ist,
entscheidet allein die gegenwärtige Situation, in der sich der Brand befindet.
Neben der Wahl von passenden Persönlichkeiten verdient ein anderer Faktor aber
mehr Beachtung. Marken machen heute
den emotionalen Unterschied bei den meisten Konsumentscheiden. Ihre Kraft schwindet jedoch, wenn Testimonials – die sich `
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
19
GfM Marketingpreis
Nominieren Sie Ihre Favoriten für
den 31. GfM Marketingpreis bis zum
30. April 2015
www.marketingpreis.ch
Swisscom – Marketingpreisträger 2014
Mobility – Marketingpreisträger 2013
FREITAG lab ag – Marketingpreisträger 2012
` schon lange selbst als Brand entdeckt
haben und diesen konsequent pflegen – mit
einer Markenbotschaft in Konkurrenz treten. Häufig stehen Brands denn auch nicht
wirklich im Zentrum, sondern werden von
Testimonials regelrecht kannibalisiert. In
der Literatur finden sich dazu Studien unter
dem Stichwort «Vampire Effect». Diejenigen,
die die Werbung finanzieren, laufen dann
Gefahr, zu reinen Sponsoren für deren Auftritt zu werden. Die Folge ist ein hoher Wert
für den Werbe-Recall für das Testimonial,
der ohne Markenzuordnung aber fehlinvestiertes Geld bedeutet.
Darum ist es heute (auch) für die Werbung mit Testimonials essenziell, dass
Marken eine eigene und klare Idee zur
Botschaft machen. Testimonials dürfen
nicht als eine einfache Alternative zur Idee
betrachtet werden, sondern sind vielmehr
eine grosse Chance für ihre Aktivierung.
Wer Prominente nicht nur zur Dekoration
gekaufter Werbeflächen und als ohnehin
meist unglaubwürdige Referenz nutzt, gewinnt. Wer aufmerksamkeitsstarke Protagonisten mit der eigenen Story interagieren
lässt, verleiht dem Markenversprechen mehr
Kraft. Testimonials sollten ein Markenversprechen in einer überraschenden Art und
Weise erleben. Dies muss in der werblichen
Dramatisierung keineswegs immer realistisch, aber in der Story klar und damit
nachvollziehbar sein.
Die vier Erfolgsfaktoren
Die Werbung mit Testimonials unterliegt
einem spezifischen Wandel, den folgende
interessante Aspekte veranschaulichen:
Prominente sind auch online berühmt.
Sie erzielen über ihre Fans, Likes und
Followers in sozialen Netzwerken Reichweiten, die sie als zielgruppenspezifisches
Medium wertvoll machen. Wie man dies als
Marke nutzt, ist nicht nur eine vertragliche
Frage. Marken, die ihren Testimonials mit
attraktiven Kampagneninhalten dabei helfen, ihre Anhänger zu unterhalten, liefern
dankbaren Content.
1.
TESTIMONIALS
Bis eine halbe
Million im Jahr
Kosten Was sich Unternehmen ihre
Markenbotschafter kosten lassen,
lässt sich nicht generell beziffern.
Die bestimmenden Faktoren dafür
sind der Marktwert, die Einbindung
und die Dankbarkeit. In der aktuellen Studie von Advant Planning zur
Wirksamkeit von Sporttestimonials
wird spekuliert, dass mehr als
11Prozent der Deals in Österreich,
der Schweiz und Deutschland über
500000 Euro kosten – und das
allein an jährlichen Aufwendungen.
ZVG
SPECIAL MARKETING
George Clooney: Der Weltstar unter den Markenbotschaftern wirbt für Schweizer Nespresso.
2.
Neue Formen von fortlaufendem erfolgreichen Umgang mit Letzteren. Wer
Campaigning über das gesamte Jahr indes eine kommunikative Markenvision
hinweg ermöglichen es, Testimonials nicht findet, die authentisch, relevant und diffenur punktuell zu inszenieren,
renzierend ist, und den Einsondern ihre Rolle mit einer
satz von Testimonials an dieStory zu entwickeln. Dadurch
ser orientiert, wird dem Brand
Wer Prominente
kann Vertrauen und Akzepauch in Zukunft einen Gefalnicht nur zur
len tun. Dies garantiert zudem,
tanz für die Zusammenarbeit
dass Marken die Hauptrolle
geschaffen werden.
Dekoration von
Steigende Ressourcen für
behalten, was gleichzeitig für
Werbeflächen
nicht direkt produktTestimonials spannender ist
gekoppelte Markenführung benutzt, gewinnt.
als reine Präsenz. So können
ermöglichen es, dass sich Tessie ihr Image mit Facetten
timonials mit Markenwerten
erweitern, die ihnen in ihrer
und Markenpersönlichkieten auseinander- standesgemässen Domäne so nur schwer
setzen. Daraus entstehen kommunikative zugänglich sind.
Angebote, die nicht nur Produktvorzüge
Eindrücklich wurde dies vor eineinhalb
zelebrieren und so mehr Potenzial haben, in Jahren bewiesen, als die Konsumenten ihre
sich selbst für Zielgruppen attraktiv zu sein. Liebe zum als Schauspieler nicht mehr ganz
Entertainment-Angebote vermögen Kon- so gefragten Jean-Claude van Damme als
sumenten über die vermehrt kurzlebigen Markenbotschafter für schwedische LastProduktlebenszyklen hinaus langfristig an wagen neu entdecken konnten (siehe Bild
Marken zu binden, was direkt verkaufsorien- auf Seite 19). Beispiele für solche Testimonialstrategien gibt es auch in der Schweiz. So
tierter Werbung schwerer fällt.
Prominenz wird zunehmend ein frag- lernen hiesige Konsumenten den besten
mentiertes Konzept. Über soziale Schweizer Tennisspieler aller Zeiten zurzeit
Medien wie YouTube erlangen Persönlich- über die Kommunikation eines Telekomkeiten innerhalb von Szenen und kulturellen munikationsanbieters in einem Kontext kenStrömungen eine Popularität, die massen- nen, der sonst nicht mit ihm assoziiert wird.
Wenn dieser Kontext nicht einfach nur
medial ohne Beachtung bleibt. Communities fühlen sich durch den Einsatz ent- lustig ist, sondern durch ein in Erinnerung
sprechender Testimonials verstanden und bleibendes Markenversprechen entsteht,
attestieren Marken Wertekongruenz und begünstigt das Einzigartigkeit und nachhalideologische Verankerung. Dies schafft tige Differenzierung. Und wenn die so geneue Möglichkeiten für das Erschliessen schaffenen Assoziationen auf Imageebene
von über die Massenansprache schwer er- auch noch auf Produktebene relevant sind,
so sind alle Kriterien für gute Testimonialreichbaren spezifischen Zielgruppen.
werbung erfüllt. Mit anderen Worten: Sie
Nicht nur Marken wachsen
lohnt sich. Für die Stärkung der Marke, den
Testimonials sind weiterhin mehr oder Verkauf – und für das Testimonial.
weniger sichere Garanten für Aufmerksamkeit und Sympathie. Die Austauschbarkeit Simon Rehsche, Strategy Director, TBWA, Zürich. Die
sowohl von Produkten als auch von Marken- Werbeagentur verantwortet etwa die Kampagnen von
botschaftern erschwert aber den nachhaltig Sunrise mit ihrem Markenbotschafter Roger Federer.
3.
4.
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
21
SPECIAL MARKETING
Marken werden
heute zu Medien
Content Marketing Wie Schweizer Unternehmen Werbeinhalte erfolgreich
implementieren und weshalb sie dafür ihre Organisation umstellen müssen.
CYRILL HAUSER
D
ie Digitalisierung der Gesellschaft hat das Informationsverhalten und damit die Anforderungen an das Marketing
nachhaltig verändert. Bei etablierten Push-Massnahmen wird es immer
teurer, die gleiche Anzahl Personen zu erreichen. Zudem verliert Paid Media durch die
ungebremste Fragmentierung der analogen
und digitalen Medien weiter an Relevanz.
Der Konsument von heute bewegt sich aktiv
in einer vernetzten Welt und sucht primär
nach Inhalten, die sein Bedürfnis nach
Information oder Unterhaltung decken.
Was heisst das für die Marketing- und Kommunikationsverantwortlichen? Unternehmen und Marken, die im digitalen Raum
nicht zu relevanten Themen auffindbar
sind, werden für die Nutzer zunehmend
unsichtbar.
Dies haben viele Firmen erkannt. Aus
Marken werden immer öfters Medien: Statt
in Werbezeiten zu investieren, bauen Unternehmen eigene Informations- und Unter-
ANZEIGE
haltungsangebote auf. Bekanntestes Beispiel ist die Marke Red Bull, die konsequent
die Sparte Extremsportarten besetzt. Aber
auch der Haarkosmetikhersteller Schwarzkopf hat mit seiner kompromisslosen Ausrichtung der Webplattform auf das Thema
Hairstyling beachtliche Erfolge erzielt.
Obschon der Begriff Content Marketing
erst nach der Jahrtausendwende erstmals in
der Fachliteratur auftaucht, ist das Konzept
Der Konsument bewegt sich
aktiv in einer vernetzten Welt
und sucht nach Inhalten,
die sein Bedürfnis decken.
bereits über 120 Jahre alt. Denn schon
1891, als Dr. Oetker auf der Rückseite seines
Backpulvers Rezeptvorschläge druckte, ging
es bereits um die Vermarktung von Inhalten.
Im Jahr 1900 druckten die Gebrüder Michelin, die Hersteller von Autoreifen, ein Buch,
das ihre Kunden zum Autofahren anregen
sollte. Der «Guide Michelin» war geboren.
Das sind die Schweizer Pioniere
Auch hierzulande gibt es Firmen, die
Content Marketing erfolgreich eingesetzt
haben: Etwa die Warenhauskette Globus,
die in den 1940er-Jahren zum 25. Jubiläum
mit der Figur Globi neu die Familien ansprechen wollte. Oder Betty Bossi, ursprünglich
kreiert, um das Speisefett von Astra vermehrt in die Schweizer Küchen zu bringen.
Ein drittes Beispiel ist Maggi. Unter dem
Titel «Erprobte Rezepte» publizierte man
1930 ein Kochbuch und sicherte sich so
einen festen Markenplatz im deutschsprachigen Raum. Dabei wurden nicht die
Produkte beworben, sondern die Rezepte.
Ein aktuelleres Beispiel ist Mammut. Der
Schweizer Sportartikelhersteller produziert
regelmässig emotionale und für seine Zielgruppe relevante Inhalte – jüngst mit dem
«#Project360», das die Besteigung des Matterhorns für den Konsumenten interaktiv
erlebbar macht. Aber auch die Migros hat in
ihrer Marketingkommunikation den Mehr-
SPECIAL MARKETING
Ein Geheimrezept gibt es nicht
Wie schaffe ich es als Firma, einen integrierten Marketing- und Kommunikationszyklus zu etablieren, der die Kundenbedürfnisse und nicht das Unternehmen ins Zentrum stellt? Nebst begrenzten Ressourcen
und fehlendem Know-how in der Produktion von Inhalten ist die erfolgreiche Implementierung von Content Marketing äusserst
komplex. Ein universales Geheimrezept gibt
es nicht – da sind sich die Experten einig.
Es gibt aber ein paar Faktoren, die man
unabhängig von Firma und Markt beachten
sollte. Content Marketing muss zwingend
als abteilungsübergreifende Funktion und
Disziplin innerhalb des Marketingmix angesehen werden, die im Rahmen eines
Change-Management-Prozesses implementiert wird. Die gewachsenen Silos der einzelnen Unternehmensbereiche müssen abgebaut und eine netzwerkartige ThemenGovernance etabliert werden. Es braucht
das Bekenntnis der Geschäftsleitung ebenso
wie eine klare Content-Marketing-Strategie
und ein internes Stakeholder-Management.
Zudem müssen das nötige Know-how aufgebaut, die Verantwortlichkeiten definiert
und neue Prozessabläufe verankert werden.
Wie ein Blick auf die Geschichte von
Content Marketing zeigt, ist die Vermarktung
von Inhalten kein eigentlich neues Konzept.
Firmen treffen heute aber stark veränderte
Rahmenbedingungen an. Das Mediennutzungs- und Kaufverhalten der Kunden
hat sich mit der Digitalisierung und der Etablierung von Suchmaschinen stark gewandelt, die Differenzierung über Produkte ist
schwieriger geworden, die Akzeptanz und
damit die Effizienz von Push-Massnahmen
nimmt ab. Ignorieren die Unternehmen
diese veränderten Rahmenbedingungen,
werden sie Marktanteile verlieren.
Es ist wichtig, dass Firmen im deutschsprachigen Raum eine eigene ContentMarketing-Strategie entwickeln, die über
alle Medien in Owned, Paid und Earned
funktioniert. Besser heute als morgen.
Cyrill Hauser, Geschäftsführer, Jung von Matt/Limmat
Public Relations (PR), Jung von Matt/Limmat, Zürich.
ZVG
wert von Inhalten erkannt. In einer letztjährigen Kampagne konnten Herr und Frau
Schweizer in einem 143-seitigen Büchlein
lesen, welche «100 Dinge» sie diesen Sommer unbedingt gemacht haben sollten.
Fakt ist aber: Es gibt in der Schweiz bis
heute keinen einheimischen Consumer
Brand von nationaler Bedeutung, der seine
Gesamtkommunikation so konsequent auf
Inhalte ausgerichtet hat wie Red Bull oder
Schwarzkopf. Glaubt man den Aussagen der
wenigen hiesigen Studien zum Thema, so
haben vier von fünf Marketing- und Kommunikationsentscheidern das Potenzial von
Content Marketing erkannt und geben auch
an, bereits heute darin zu investieren. Wieso
gibt es also nicht mehr gute Beispiele?
Mammut: Das «#Project360» macht die Besteigung des Matterhorns interaktiv erlebbar.
` 10 TIPPS FÜR DIE ERFOLGREICHE IMPLEMENTIERUNG
Die folgende Checkliste basiert auf den
Ergebnissen von Expertenbefragungen
im Rahmen der Master-Arbeit «Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche
Implementierung von Content Marketing
in Unternehmen» von Cyrill Hauser und
Birger Armstrong. Eingereicht im Studiengang Executive MBA Marketing an der
Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).
1. Einstellung: Sich bewusst sein, dass
erfolgreiches Content Marketing ein komplexer Change-Management-Prozess ist.
2. Unterstützung: Die Unterstützung der
internen Stakeholder ist entscheidend für
den Erfolg.
3. Schritt für Schritt: Eine schrittweise
Implementierung führt zu schnelleren
Ergebnissen.
4. Strategie: Es braucht eine Strategie,
um folgende Frage beantworten zu
können: Welche Kunden möchte ich
mit welchen Zielen in welchen Kanälen
mit was für Inhalten angehen?
5. Keine Silos: Die klare Trennung von
Aufgaben und Verantwortlichkeiten der
einzelnen Abteilungen innerhalb der
Organisation muss aufgehoben werden.
Silos verhindern eine optimale Nutzung
der Synergien.
6. Verantwortung: Es ist unabdingbar,
dass jemand auf C-Level (CEO, COO,
CMO etc.) die Verantwortung für alle
Aktivitäten übernimmt und steuert.
7. Wissensaufbau: Eine Investition in zusätzliches internes sowie externes Knowhow begünstigt die schnelle Entwicklung.
8. Mannschaft: Ein schlagkräftiges Team
aus Spezialisten begünstigt die Erfolgschancen.
9. Synergien: Content Marketing muss
als Teil im gesamten Marketingmix betrachtet werden.
10. Definitionen: Es braucht klare Prozesse und neue Tools für die Produktion von
Inhalten.
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
23
SPECIAL MARKETING
Swiss Poster Award 2014 Kategorie «Culture»
Gold
Plakatsujet:
«Weingart Typografie»
Auftraggeber: Museum
für Gestaltung, Zürich
Werbeagentur: Ralph
Schraivogel, Zürich
Silber
Plakatsujet:
«Hans Richter»
Auftraggeber:
Museo d’Arte, Lugano
Werbeagentur:
CCRZ, Balerna
Bronze
Plakatsujet:
«Sommernachtstraum»
Auftraggeber: Junges
Theater Sempach, Sempach
Werbeagentur: Erich
Brechbühl, Luzern
24
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
SPECIAL MARKETING
Einblick in die Zukunft
Singapur Der starke Fokus auf die Kundenerfahrung über sämtliche
Kanäle ist ein neuer zentraler Erfolgsfaktor des boomenden Staates.
NORMAN C. BANDI
Robin Barraclough, CMO von Emmi, Luzern: «Singapur ist nicht nur als Staat und
hochentwickelter Markt eindrücklich, sondern hat uns hinsichtlich grundlegender
Konsumentenorientierung und mobiler
digitaler Kommunikation einen kleinen
Einblick in die Zukunft gewährt.»
Bruno Chiomento, Country Managing Partner von EY Schweiz, Zürich: «Singapur ist
eine Erfolgsstory – in vielem vergleichbar
mit der Schweiz. Doch stellen sich im globalen Wettbewerb für beide als Länder ohne
Rohstoffe analoge Fragen: Wie sollen der erworbene Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit gesichert und immer aufs Neue
kreiert werden, ohne den gesellschaftlichen
Zusammenhalt dabei zu gefährden?»
Jean-Marc Grand, Geschäftsführer der GfM,
Zürich: «Singapore Sling – Singapore Girl –
Singapore Flyer. Obwohl Singapur dieses
Jahr erst 50 Jahre jung wird, gibt es bereits
Markenikonen, die weltberühmt sind: Der
ANZEIGE
ZVG
V
om 24. bis 29. Januar 2015
folgten 20 Vertreter aus der
hiesigen Wirtschaft und Wissenschaft dem Ruf der Universität St. Gallen (HSG), von
Google Schweiz sowie der Gesellschaft für
Marketing (GfM) und packten ihre Koffer für
eine Studienreise nach Singapur. Die Mission war klar: In kürzester Zeit möglichst
viel über den Stadtstaat in Südostasien, seine Konzerne und Startups sowie die digitale
Transformation zu lernen. Die wichtigsten
«lessons learned» der Teilnehmer ...
1936 vom Bartender im Hotel Raffles kreierte
Singapore Sling Cocktail. Seit 1972 steht das
Singapore Girl im Kebaya Sarong gehüllt
für die hohe Servicequalität der Singapore
Airlines. Das seit 2008 grösste Riesenrad der
Welt, der Singapore Flyer, reiht sich nahtlos
in die Liste dieser starken Brands ein.»
Chris Hanan, Partner von Webrepublic,
Zürich: «Hier bestimmt die Frage ‹Warum
nicht?› das Denken und Handeln. Es ist diese positive und auch risikofreudige Grundeinstellung, die im Verbund mit klarer staatlicher Innovationsförderung und einem
freundlichen Geschäftsklima eine starke
Plattform für Wachstum schafft.»
Hans-Peter Rohner, Verwaltungsrat der
Publigroupe, Lausanne: «Zwei Dinge haben
mich nebst vielem anderem besonders beeindruckt. Eine Geschäftsgründung dauert
dank standardisierten Prozessen drei Arbeitstage mit allem Drum und Dran. Ein
traditionelles Bankhaus, das sich neu auch
als ‹bank for below 30’s› konzipiert – dies in
Die Studienreise-Gruppe
während ihrer Stippvisite
bei Singapore Airlines.
einer Konsequenz, wie ich es in Europa bei
weitem noch nirgends gesehen habe.»
Manfred Strobl, CEO von Mediaschneider,
Zürich: «Ein Stadtstaat, der wie ein grosses
Unternehmen funktioniert, vielleicht sogar
besser ... Singapur hat über Jahrzehnte
bewiesen, dass staatliche Investitions- und
Optimierungsstrategien keine wirtschaftliche Sackgasse sein müssen, sondern als
Langfristpolitik mit gesellschaftlicher Integration äusserst erfolgreich sein können.»
Martin Sturzenegger, Direktor von Zürich
Tourismus, Zürich: «Wir haben selbstbewusste, innovative und kundenorientierte
Firmen angetroffen. Wenn wir in Europa an
dieser Dynamik partizipieren möchten,
brauchen wir einen gewaltigen Ruck.»
Gaudenz Thoma, Direktor von Graubünden
Ferien, Chur: «Mich beeindruckt, mit welch
klarem Fokus an der Customer Experience
gearbeitet wird und dies nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern echt gelebt wird.»
SPECIAL MARKETING
«Keine Angst
vor Misserfolg»
Keywan Nadjmabadi und Peter Mittemeyer Die SAPManager über die Innovationsmethode Design Thinking.
INTERVIEW: ISABEL STEINHOFF
Welche Rolle spielt Design Thinking im
Innovationsprozess?
Keywan Nadjmabadi: Design Thinking
sucht nutzerzentrierte, ganzheitliche Lösungen mithilfe kollaborativer Kreativität.
Früher stoppte Konsens Innovation häufig,
weshalb diese Methode bewusst unkonventionelle Ansätze fördert und fordert. Das
bewusste Ausklammern von vorgefassten
Meinungen und Annahmen erlaubt optimale Lösungen. Design Thinking ist so versatil,
dass es die Entwicklung eines neuen Produkts, einer Dienstleistung, eines neuen
Prozesses, einer neuen Software oder eines
ganz neuen Geschäftsmodelles zum Ziel
haben kann. Geschäftsmodelle sind nämlich wesentlich schwerer kopierbar als neue
Produkte oder Dienstleistungen.
Erläutern Sie den Design-Thinking-Prozess
anhand eines Beispiels.
Peter Mittemeyer: Illustrativ ist die Kooperation Connected Car zwischen SAP, Shell
und Volkswagen. Die Challenge lautete:
Kreiere ein angenehmes Fahrerlebnis für
den Fahrer, das gleichzeitig für Erstausrüster und Dienstleister rund um eine Autofahrt eine Umsatzgenerierung bedeutet und
durch das das digitale Automobil ermöglicht wird. Nach einer initialen 360-GradAnalyse wurden Autofahrer betreffend ihrer
Wünsche, Bedürfnisse und Gewohnheiten
befragt. Daraus wurde der Kundenbedarf
definiert und die initial definierte Design
Challenge angepasst. Mit typischen DesignThinking-Methoden wie Low-Fi-Prototyping und durch kontinuierliches Anpassen wurden die besten Ideen ausgewählt
und verfeinert. Im Ergebnis wurden zahlreiche Szenarien für das Fahrerlebnis der
Zukunft erarbeitet. Das Zusammenbringen
der Services für das Finden und mobile Bezahlen eines Parkplatzes sowie das Identifizieren der nächsten Tankstelle, das Tanken
durch einen Servicemitarbeiter und das direkte Bezahlen über das integrierte mobile
Device im Auto oder über ein portables Device zum Beispiel waren die Ergebnisse eines zweitägigen Workshops, der von einem
Hackathon ergänzt wurde, in dem innert
drei Wochen ein erster Software-Prototyp
26
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
entstand. Ende letzten Jahres ging der
Prototyp des Connected Car übrigens in
Deutschland bereits in die Testphase.
Wie identifiziert man die beste Lösung aus
der Menge an Ideen?
Mittemeyer: Die Lösungen müssen in der
Schnittmenge der drei Dimensionen Attraktivität, Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit
liegen. Dies bezeichnen wir als den «sweet
spot» der Innovation. Die Auswahl der besten Ansätze im Problem- oder Lösungsraum
kann durch Bewertung und wiederholte
Iterationen erfolgen. Sollte ein Ansatz sich
als nicht machbar erweisen, kann jederzeit
eine Alternative gewählt und weiterverfolgt
werden. Hier gilt: Keine Angst vor Misserfolg. «Fail early, fail cheaply, fail often!»
Worin liegen die Stärken der Methode?
Nadjmabadi: Oberste Priorität hat die Customer Centricity. Durch das intensive, kontinuierliche Hinterfragen von Bedarf und
Nutzen wird ein optimales Ergebnis für den
Endkunden kreiert. Für das Unternehmen
selbst wird das Innovationsrisiko gesenkt
und die «time to value» beschleunigt.
Generell stellen wir höhere Mitarbeitermotivation und Kundenzufriedenheit fest.
Welche Risiken stehen dem gegenüber?
Nadjmabadi: Einerseits herrscht oft ein falsches Verständnis von Design Thinking vor.
Es handelt sich dabei nicht nur um einen
blossen Prozess, sondern viel mehr auch um
eine Geisteshaltung. Es geht um die Empathie für den Kunden, um das Verständnis
des «job to be done» oder des wirklichen
Kundenbedarfs sowie die Aktivierung aller
kreativen Potenziale der Mitarbeiter. Anderseits gibt es auch seitens der Kunden zu
hohe Erwartungen, denn Design Thinking
ist nicht die Lösung zu jedem Problem.
In welchem Umfeld funktioniert die
Methode denn am besten?
Nadjmabadi: Heterogene Teams aus mehreren Managementebenen und Fachexpertisen liefern die besten Ergebnisse, da viele
Aspekte des Problems und viele Denkweisen in die kreative Lösungsfindung einfliessen. Das Unternehmen muss bereit sein,
nach Ideen und Ansätzen ausserhalb des
SPECIAL MARKETING
KEYWAN NADJMABADI
PETER MITTEMEYER
Funktion: Managing Principal, SAP
Business Transformation Services
Alter: 45
Wohnort: Zürich
Ausbildung: Studium der
Betriebswirtschaftslehre
und Wirtschaftsinformatik
Funktion: Head of Business
lnnovation & Transformation
EMEA, SAP Business
Transformation Services
Alter: 49
Wohnort: Zürich
Ausbildung: Dipl.-Betriebswirt
üblichen Lösungsraums zu suchen, seine
Perspektive auf den Endkunden hin zu verändern und das Bedürfnis zu hinterfragen
sowie gegebenenfalls umzuformulieren.
In welchem Verhältnis steht der SAPKonzern zu Design Thinking?
Mittemeyer: 2004 wurde Hasso Plattner,
einer der Gründer von SAP, in Stanford auf
Design Thinking aufmerksam. So wurde er
zum Mitgründer des Institute of Design –
d.school – der Universität Stanford und hat
ebenfalls eine d.school am Hasso Plattner
Institut der Universität Potsdam gestiftet.
SAP kooperiert mit beiden Instituten intensiv, um die Methode stetig weiterzuentwickeln. Ausserdem arbeiten wir auch mit
anderen Bildungsinstitutionen wie der Uni-
versität St. Gallen im Bereich Geschäftsmodellinnovationen zusammen, in dem wir
Design Thinking massiv einsetzen. Wir bieten Design Thinking nämlich nicht nur unseren Kunden an, sondern wenden es auch
unternehmensintern an.
Und wie sieht Ihre persönliche Erfahrung
mit Design Thinking aus?
Nadjmabadi: Während meiner Tätigkeit im
Bereich Value Management wurde Design
Thinking als ein wesentliches Instrument
eingeführt, um gemeinsam mit Kunden
nicht allein bestehende Prozesse zu optimieren, sondern auch um über neue, innovative Geschäftsmodelle nachzudenken.
Die Zusammenarbeit mit interdisziplinären
Teams, die Begeisterung der Teilnehmer, die
Möglichkeit, kreativ zu sein und schliesslich
die positiven Projektergebnisse sind für
mich persönlich die Treiber, warum ich als
Design Thinking Coach tätig bin. In meiner
Freizeit bin ich im Rahmen des CSR-Programms von SAP als Tutor und Mentor für
Startups tätig, wo ebenfalls Design Thinking
und Business-Model-Innovation-Elemente
zum Einsatz kommen.
Mittemeyer: Nach meinem initialen fünftägigen Design Thinking Bootcamp war mir
noch nicht klar, wo der Mehrwert oder auch
der Neuwert dieser Methode liegen sollte.
Erst nachdem ich Design Thinking mehrfach angewendet hatte, wurde mir bewusst,
welche kreative Kraft teilnehmende Teams
an dieser Methode entwickeln können. Ein
Design-Thinking-Projekt mit einem Kunden
in Tokio war dann der entscheidende AhaMoment. In nur zwei Tagen wurde die Vision des Unternehmens für das Jahr 2020 erarbeitet – sie nannten es «The Social Enterprise». Die Begeisterung der Mitarbeiter des
Kunden für den Prozess war fast körperlich
spürbar. Seither konnte ich Design-Thinking-Projekte in China, Europa und Nordamerika leiten, überall waren die Prinzipien
dieser Arbeitsweise erfolgreich. Mir wurde
klar, dass in allen Menschen ein erstaunliches Mass an Kreativität steckt, das man aktivieren kann.
DESIGN THINKING
Eine erste Idee kann jederzeit durch eine neue Idee ersetzt werden
Vorurteil Clayton Christensen, Professor an
der Harvard Business School, behauptet in
seinem Buch «The Innovator’s Dilemma»,
dass grosse Unternehmen nicht zu disruptiven Innovationen fähig sind. Das heisst,
zu Innovationen, die Wachstum generieren
und nicht nur die augenblickliche Marktposition sichern. Inkrementelle Verbesserungen und die Expansion in zusätzliche
Märkte schliessen das Wachstumsloch nur
kurzfristig. Hier kommt die Innovationsmethode Design Thinking ins Spiel, die
ursprünglich aus dem Bereich Produktdesign stammt, aber immer mehr begeistere Anhänger in der Wirtschaft findet.
Methode Design Thinking kombiniert kreative und analytische Verfahren. Der iterative Prozess ist in zwei grundsätzliche Phasen eingeteilt: Problem- und Lösungsphase. Zunächst entwickelt das Team ein tiefes
Verständnis der Situation des Kunden und
seiner Bedürfnisse. Es wird auch recherchiert, welche Gründe zum Bedarf führen.
Das Team formuliert dann die sogenannte
Design Challenge, sprich das zu lösende
Problem, wobei das eigentliche Problem
oder der eigentliche Kundenwunsch hinterfragt und bei Bedarf umformuliert wird.
Danach beginnt der eigentliche Lösungsfindungsprozess. Er umfasst die Weiterent-
wicklung des Problemverständnisses, die
Ideenfindung sowie die Entwicklung und
das Testen von Low-Fi-Prototypen, die
auch physisch mit Schere und Papier designt werden können. Durch stetigen Abgleich mit dem Kunden und kontinuierlicher Optimierung soll die bestmögliche
Deckung der Problemlösung mit dem Kundenbedarf gesichert werden. Der letzte
Schritt ist die Umsetzung. Wesentlich an
der Methode sind mögliche Iterationen zu
jedem Zeitpunkt. Das bedeutet dass eine
Idee jederzeit verworfen und durch eine
neue ersetzt werden kann, die anschliessend weiterentwickelt und verfolgt wird.
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
27
SPECIAL MARKETING
Swiss Poster Award 2014 Kategorie «Poster Innovations»
Gold
Plakatsujet:
«Transparenz»
Auftraggeber:
Bank Coop, Basel
Werbeagentur:
Ruf Lanz, Zürich
Silber
Plakatsujet:
«Potatoe Slicer»
Auftraggeber:
McDonald’s, Crissier
Werbeagentur:
TBWA, Zürich
Bronze
Plakatsujet:
«Wahn oder Wirklichkeit?»
Auftraggeber: Departement
Gesundheit Kanton BS, Basel
Werbeagentur:
CR, Basel
28
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
SPECIAL MARKETING
Hindernisse in den
Köpfen der Nutzer
Service-Design Jedem Unternehmen sollte daran gelegen sein, seine
Zielgruppen möglichst gut zu verstehen. Leider ist das oft schwierig.
SANDRO GRAF UND MARC BLUME
M
arkteinführungen sind
teuer und mit Unsicherheiten behaftet. Gemäss
einer Studie des Marktforschungsunternehmens
Nielsen scheitern drei Viertel aller Lancierungen in der Konsumgüterindustrie. Eines
von zahlreichen Beispielen aus der Schweiz
ist der Milchserum-Drink «Lacto Tab» von
Emmi, der 2006 lanciert wurde. Trotz Werbeträger Roger Federer war dem innovativen
Produkt kein Erfolg vergönnt. 2007 verschwand es wieder aus den Regalen. Wie
Emmi zugeben musste, hatte man die
Bekanntheit und Akzeptanz des darin enthaltenen und prominent beworbenen Coenzyms Q10, einer vitaminähnlichen Nahrungsergänzung, falsch eingeschätzt. Auch
für das neuartige Verpackungsdesign liessen sich die Konsumenten nicht begeistern.
Flops gibt es aber nicht nur bei Konsumgütern: So scheiterte VW beim Versuch, mit
dem Phaeton in den Premiummarkt vorzustossen. Die Zulassungen blieben deutlich
unter den Erwartungen, in den USA wurde
der Verkauf gar eingestellt. Wie es scheint,
haben die Kunden nicht auf eine Luxuslimousine aus dem Hause Volkswagen gewartet und kaufen lieber Modelle prestigeträchtigerer Marken wie Audi, BMW oder
Mercedes. Kleiner Trost: Zumindest im Fall
von Audi bleibt das Geld im VW-Konzern.
Konsumenten zu wenig im Fokus
Diese Beispiele unterstreichen: Wer Vorhersagbarkeit liebt, verzweifelt bisweilen an
den Verhaltensweisen von Kunden, die sich
trotz aufwendigen Tests nur schwer voraussagen lassen. Selbst bei Produkten und
Dienstleistungen, bei denen die Vorteile
objektiv betrachtet auf der Hand liegen, bestehen bisweilen Hindernisse in den Köpfen
der Nutzer. Ein entscheidender Erfolgsfaktor
neuer Technologien liegt somit stets darin,
Bedürfnisse, Gewohnheiten und Befürchtungen der Anwender genau zu verstehen.
Bei der Gestaltung des Zusammenspiels
von Mensch und Technik sollte systematisches Service-Design eine tragende Rolle
spielen. Es stellt die Anwender bei der Entwicklung von Produkten und Dienstleistung
konsequent in den Fokus. Dabei wird danach gestrebt, Technologien und Personen
(-Gruppen) so zu verknüpfen, dass ein attraktives Angebot entsteht, das Kunden als
nützlich und bedienerfreundlich erleben.
Diesem Ansatz hat sich das Service Lab
des Instituts für Marketing Management an
der ZHAW School of Management and Law
verschrieben. Mit entsprechender Kompetenz und speziellen Einrichtungen zur
Nutzerforschung geht man dem Kundenerlebnis auf den Grund. Die Vorgehensweise
orientiert sich an einem Mix qualitativer
(verständnisorientierter) und quantitativer
(statistikorientierter) Verfahren, die sich gegenseitig stützen. So wird sichergestellt,
dass sich zwei Perspektiven ergänzen: Zum
Unternehmen, die mit Kunden
statt nur für Kunden neue
Angebote entwickeln, haben
in der Regel mehr Erfolg.
einen, wie Anwender Angebote subjektiv
wahrnehmen und bewerten. Zum anderen,
wie sie sich objektiv messbar in verschiedenen Situationen entscheiden und verhalten.
Diese Gesamtsicht hilft das Zusammenspiel
von Einstellung und Verhalten aufzudecken
und zu erklären, einschliesslich der Gründe
für inkonsequente Verhaltensweisen.
Auch neue Bezahlsysteme stossen bisweilen auf wenig Akzeptanz. So wurde das
Projekt Cash nach Jahren mit mässigem
Erfolg 2013 endgültig eingestellt. Das bequemere kontaktlose Bezahlen, das sich
mittlerweile positiv entwickelt, hatte ebenfalls Startschwierigkeiten. Ein möglicher
Grund für die Zurückhaltung: Der Entscheid
für die Nutzung eines Zahlungsmittels ist
eine fest verankerte Gewohnheit, die kaum
je bewusst hinterfragt wird. Wir neigen
dazu, je nach Betrag und Einkaufsort ein
bestimmtes Zahlungsmittel einzusetzen.
Für Anbieter kontaktloser Bezahlsysteme ist
es eine grosse Herausforderung, solche
Verhaltensmuster zu durchbrechen. Umso
nötiger und ergiebiger ist der beschriebene
Service-Design-Ansatz. Es gilt, konsequent
den Blickwinkel der Konsumenten einzunehmen, um zu verstehen, wie sie Entscheidungen treffen. So lassen sich Ansatzpunkte identifizieren, die beeinflusst werden
können.
Empirisch erhärtete Erkenntnisse
Das Service Lab hat jüngst das Bezahlverhalten mithilfe eines Feldexperiments
praktisch untersucht. Schauplatz waren die
Cafeterien und Kantinen des Campus der
ZHAW in Winterthur. Die zentrale Frage
war, wie wirksam verschiedene Anreize zur
Nutzung des kontaktlosen Bezahlens sind.
Zu Beginn wurde anhand von Fachliteratur sowie Einzel- und Gruppeninterviews
ein provisorisches Erklärungsmodell erarbeitet. Dieses umfasste die fundierte Analyse der «Payment Decision Journey», also der
Gedankengänge und Entscheidungspfade
beim Bezahlvorgang. Das Erklärungsmodell
diente zur Ausarbeitung der Anreize. Ein als
Gewohnheit verankertes Bezahlverhalten
lässt sich auf zwei Arten beeinflussen:
Indem man in der Bezahlsituation die
verschiedenen Möglichkeiten bewusst
macht oder indem die Nutzung eines
Zahlungsmittels durch bestimmte Vorteile
(etwa Rabatte) besonders attraktiv gemacht
wird.
Entsprechende Anreize wurden ausgearbeitet und getestet. Es hat sich gezeigt,
dass Konsumenten vor allem durch Informationsbroschüren, Rabatte und Loyalitätsprogramme zum erstmaligen Gebrauch der
Kreditkarte für das kontaktlose Bezahlen
bewogen wurden. Promotionsanlässe und
Hinweisaufkleber auf der Ware hatten sowohl Einfluss auf den Erstgebrauch als auch
auf die Loyalität zur kontaktlosen Bezahlung.
Das Service Lab verwendet die Erkenntnisse solcher Experimente für die Gestaltung und Markteinführung von Produkten
und Dienstleistungen. Dabei wird ebenfalls
der Erfahrungsschatz der Sozialwissenschaften und der Verhaltensökonomie genutzt. Schon oft hat sich gezeigt: Wer mit
Kunden statt nur für Kunden neue Angebote
entwickelt, hat mehr Erfolg.
Sandro Graf, Leiter des Service Lab, und Marc Blume,
Dozent für Customer Experience Management,
ZHAW School of Management and Law, Winterthur.
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
29
SPECIAL MARKETING
ZVG
Zentrum Regensdorf ZH:
Digitale Werbeflächen in
einem Shoppingcenter.
Plakatstellen
mit Big Data
Clear Channel Die vergangenes Jahr lancierte Mobility
Map soll den hiesigen Aussenwerbemarkt aufmischen.
GÉRARD MOINAT
D
ie Geschichte der Mobility
Map begann vor 50 Jahren.
Damals wurden erste einfache
Verkehrsmodelle erstellt. Bei
der ETH Zürich gingen schon
bald Anfragen des Bundes ein, ob diese das
Verkehrsverhalten der Schweizer modellieren und vorhersagen könnten. Einfache
computergestützte Modelle gibt es seit den
1980er-Jahren. Sie sollen etwa Aussagen darüber treffen, was mit dem Verkehrsfluss
geschieht, wenn Umfahrungen gebaut oder
Tunnels geschlossen werden. Mit dem 21.
Jahrhundert entwickelte sich die ETH zu
einem Know-how-Zentrum in diesem Bereich. Am Institut für Verkehrsplanung und
Transportsysteme wurde ein iteratives
Modell entwickelt, eine Art künstliche Intelligenz, die dazulernt und das reale Verkehrsaufkommen simuliert. Es war die Geburtsstunde eines agentenbasierten Modells der Verkehrsnachfrage in der Schweiz.
Im Rahmen eines KTI-Projekts wurde
nachgewiesen, dass derartige Modelle beziehungsweise das Wissen um Verkehr und
Mobilität über die Verkehrsplanung hinaus
auch einen kommerziellen Nutzen stiften
können. «In der Zusammenarbeit mit Clear
Channel wurde anschliessend konkret ge-
30
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
zeigt, auf welche Weise die Modelle für
werbetechnische, also privatwirtschaftliche
Zwecke nutzbar gemacht werden können»,
sagt Oliver Schönfeld, Marketing Director
des Schweizer Aussenwerbespezialisten.
Doch warum erfolgte die Zusammenarbeit ausgerechnet mit Clear Channel und
nicht mit der viel grösseren APG? «Unser
Geschäftsmodell basiert auf Einzelstellen»,
erklärt Schönfeld, «wir stellen unsere Plakatstandorte für jede Kampagne Stelle für
Stelle einzeln zusammen, picken also für
jeden Kunden individuell die Rosinen aus
unserem Inventar.» Durch die Kooperation
mit dem Lieferanten für GeomarketingKonzepte, der damaligen Firma Endoxon
(heute Axon Active), ergab sich letztlich die
Zusammenarbeit mit der ETH Zürich.
Herausforderung Multisourcing
Aber damit man überhaupt Rosinen picken konnte, mussten die ETH-Daten zuerst
aufbereitet und mit Personen- und Firmendaten ergänzt werden. Sie genügten zwar
den Zwecken der Verkehrsplanung, nicht
aber den Anforderungen eines Werbeunternehmens. Also musste eine Drittfirma – die
erwähnte Axon Active in Luzern, ein führender Anbieter im Bereich Big Data – hinzugezogen werden, um Daten aus unterschiedlichsten Quellen in einem Tool zu fusionie-
ren oder zu «multisourcen», wie man das
nennt. Dies umfasste das Beisteuern von
Personen-, Arbeitsstätten- und Firmendaten
sowie Daten über zahllose Points of Interest
von Seiten Axon Active. Zudem musste eine
Front-End-Software entwickelt werden, die
die vorhandenen Daten plan- und nutzbar
machte. «Möglich gemacht wurde dies erst
durch den übergeordneten forscherischen
Ansatz des ETH-Projekts», sagt Schönfeld.
Alleine hätte Clear Channel solch ein Tool
weder inhaltlich noch finanziell stemmen
können. Es brauchte eine lange Entwicklungszeit, diverse Datenquellen und auch die
Fähigkeit, mit riesigen Datenmengen umgehen zu können. Eine der grössten wissenschaftlichen Herausforderungen war es, die
gigantischen Datenmengen in sinnvoller Zeit
verrechenbar zu machen. Die Analyseläufe
dauerten erst Tage, später Stunden. Durch
eine neue Datenstruktur können heute komplexe Berechnungen in weniger als zwei
Minuten abgeschlossen werden.
Im Spätherbst 2014 war es dann endlich
so weit: Clear Channel lancierte die Mobility
Map. «Für uns ist das Tool eine extreme Bereicherung», schwärmt Schönfeld. Es sei zu
einem unerlässlichen Planungs- und Optimierungshilfsmittel geworden, weil es die
Absicht der Passanten mit einberechne und
Streuverluste minimiere. So kann in einer
Planung differenziert werden, ob die Zielgruppen auf dem Weg zur Arbeit, zum
Einkaufen, zu Ausbildungszwecken oder zu
einer Freizeitbeschäftigung unterwegs sind.
Eine Plakatstelle könne sich zwar im Umfeld
von McDonald’s befinden. «Wenn die Leute
aber nur zum Arbeiten vorbeigehen, passt
sie trotzdem nicht auf die Zielgruppe», sagt
Schönfeld. Jede Plakatstelle sei also individuell. Dem könne nun mit dem Mobilitätsverhalten Rechnung getragen werden.
Traditionell wird Plakatwerbung in zwei
Schritten geplant. Erstens: Wie viele Personen kann man mit einer Plakatstelle erreichen. Zweitens: Passt das Umfeld? Nun
kommt neu die Mobilität als dritte Dimension hinzu (siehe Box): Sie erlaubt es, Plakatkampagnen nicht nur darauf auszurichten,
wie viele Personen an einer Plakatwand vorbeigehen, sondern auch darauf, woher sie
kommen, wohin sie gehen und mit welcher
Absicht sie unterwegs sind. «Damit können
wir die Zielgruppen in der richtigen Stimmung ansprechen», ergänzt Schönfeld.
Seit drei Monaten ist Clear Channel mit
einer Roadshow unterwegs, um das Tool bekannt zu machen und es zu optimieren. Die
Frage nach der durch die Mobility Map gesteigerten Wirksamkeit einer Kampagne
konnte der Aussenwerbespezialist allerdings noch nicht wissenschaftlich beweisen. Er befindet sich derzeit auf der Suche
SPECIAL MARKETING
MOBILITY MAP
So funktioniert die Plakatplanung 2.0
Ausgangslage Als Erstes wird definiert,
wie viel Geld für eine Kampagne zur Verfügung steht, welches Gebiet abgedeckt
werden soll, welche Zielgruppe erreicht
und welche Filialen einbezogen werden
sollen. Und dann tauchen aufgrund dieser
Angaben erste Händlerkoordinaten auf.
Diese stammen aus GPS-Daten, in denen
1,7 Millionen Gebäude gespeichert sind.
«Kein Kunde, der ein
Filialgeschäft betreibt,
kommt am Tool vorbei.»
Oliver Schönfeld
Marketing Director,
Clear Channel, Hünenberg ZG
nach einem Kunden, der seine Abverkäufe
und Frequenzen über das Tool mit einer gemeinsamen Fallstudie ausweist.
Umkreissuche Dann geht es als Zweites
an die Grobplanung mit dem Anfangsschritt der Umkreissuche: Wie viele Plakatstellen befinden und qualifizieren sich
im Umfeld des gewünschten Standorts?
Zielgruppen Anschliessend kommen
die vier folgenden Punkte der sogenannten Zielgruppenmobilität zum Tragen:
đƱ.!-1!*6čƫ%!ƫ2%!(!ƫ.+6!*0ƫ !.ƫ%!(gruppe auf der Mobility Map biegen
auch wirklich richtig ab oder fahren
nur an einer Zufahrtsstrasse vorbei?
đƱ%$0.'!%0čƫ/0ƫ %!ƫ('03* ƫ*1.ƫ1"ƫ
der Rückseite oder aus einem komischen
ANZEIGE
Internationalisierung schwierig
Die für die Planung mit der Mobility Map
relevanten Werbekunden des Dienstleiters
sind hauptsächlich in den Sektoren Automobil, Telekom, Detailhandel, Sportgeschäfte, Apotheken und Baumarkt zu Hause
– also alles Firmen mit Filialgeschäften. Für
sie sei die Dienstleistung ohne Aufpreis, so
Schönfeld. Denn das Tool sei vielmehr ein
Alleinstellungsmerkmal von Clear Channel:
Es verbessere die Qualität von Aushängen –
nicht nur bezüglich der Kostenberechnung
pro Stelle, sondern indem es der Plakatplanung die Dimension Zielgruppe hinzufüge.
«Kein Kunde, der ein Filialgeschäft betreibt,
kommt am Tool vorbei», ist er überzeugt.
Das bedinge allerdings eine andere Art der
Konversation mit der Agentur. Es gehe nicht
mehr nur um eine bestimmte Anzahl Plakate zu einem Preis X, sondern auch der Zielgruppe und den Filialeinzugsgebieten komme eine hohe Bedeutung zu.
Die Anwendung auch im Ausland wäre
wünschenswert; viele Ländereinheiten hätten bei Clear Channel Schweiz bereits Interesse bekundet. Sie waren begeistert, mussten aber gleichzeitig feststellen, dass die
benötigten Datenquellen in ihren Ländern
oft nicht in genügender Menge und Qualität
vorhanden sind. «Es gibt zwar im Ausland
Verkehrsplanungsmodelle, aber der Mix mit
Personen- und Firmendaten ist meistens
nicht vollzogen», sagt Schönfeld. Somit sei
die Umsetzung in den meisten anderen
Ländern vorerst noch zu teuer. Die Lösung
könnte ihm zufolge darin bestehen, internationalisierte Standarddaten einzusetzen.
Winkel zu sehen? Dieser Punkt ist laut
Oliver Schönfeld eine grosse Herausforderung. «Wir führen jeweils eine Sichtbarkeitsbereinigung durch. Das heisst,
wir müssen dem Tool sagen, wie der
Passant die Plakatstelle sieht.»
đƱ+6%+ !)+#."%!čƫ'0!*ƫ3%!ƫ(0!.Čƫ!schlecht, Einkommen oder Bildung.
đƱ+0%20%+*čƫ1ƫ#10!.ƫ!060ƫ'+))0ƫ %!ƫ
Zielgruppencharakteristik Motivation
ƫ$%*61Čƫ(/+ƫ3.1)ƫ %!ƫ!10!ƫ1*0!.3!#/ƫ
sind. Dazu gehören zum Beispiel Arbeit,
Shopping, Ausbildung und Freizeit.
Feintuning Das Tool führt eine Rangierung aufgrund dieser Kriterien durch.
An welcher Plakatstelle kommt die Zielgruppe mit hoher Frequenz vorbei und
taucht sie auch im Radius des Händlers
auf? Das Feintuning geschieht dann am
Schluss per Hand: Ein Planer von Clear
Channel kann sich inhouse jede einzelne
Plakatstelle per Mouseover mit Fotos anschauen, manuell optimieren und danach
einzelne Stellen (de)selektieren.
SPECIAL MARKETING
Das kreative
Chamäleon
Christoph Bürge Der Chef der jungen Agentur Metzger Rottmann
Bürge Partner über die Ausrichtung auf die digitale Transformation.
ZVG
Christoph Bürge:
«Wir wollen die
Schweiz mit unseren
Ideen begeistern.»
MÉLANIE KNÜSEL-RIETMANN
W
er mit Christoph Bürge,
dem neuen Chef der
jungen Werbeagentur
Metzger Rottmann Bürge Partner (früher Metzgerlehner) spricht, wird sofort von der Leidenschaft angesteckt, die er und seine drei
Partner in diesem Unternehmen verbreiten.
Es sind nicht allein die klingenden Namen
auf der Referenzenliste, die beeindrucken.
«Ich bin ein potenzieller Kunde. Wie
würden Sie mich von Ihrer Philosophie
überzeugen?» Bereits seine Antwort auf die
erste Frage verblüfft. Bürge konnte sich auf
dieses Gespräch nicht vorbereiten, weil wir
stereotype Antworten verabscheuen. Er pariert wie erhofft unkonventionell. «Nehmen
wir ein Lagerfeuer. Jeder, der diese Atmosphäre erlebt hat, liebt sie und will sie wieder
einmal geniessen. Gute Kommunikation ist
seit dem Lagerfeuer unverändert. Wenn die
Geschichte eingängig ist, wird sie gerne ge-
32
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
hört. Immer wieder.» Bürge spricht damit
an, was heute unter «Love Brands» verstanden wird. «Wir möchten bei den Kunden
Begeisterung für Produkte und Dienstleistungen unserer Auftraggeber wecken.
Das bedeutet, dass sie selbst die grössten
Erwartungen der Kunden übertreffen und
nicht nur in ihren Köpfen, sondern auch in
ihren Herzen einen festen Platz erobern.»
In den Kunden hineinhören
Dann stellt Bürge eine Frage, was auch
unüblich ist: «Wissen Sie, warum wir am
Morgen gerne aufstehen?» Und beantwortet
sie gleich selber: «Wir wollen die Schweiz
mit unseren Ideen begeistern und unseren
Kunden und ihren Marken zu Mehrwert
verhelfen. Wer Begeisterung auslöst, dem
wird im Gegenzug Engagement und Involvement geschenkt.» Womit wir wieder
beim Lagerfeuer wären, das alle Beteiligten
wärmt und anfacht.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel:
Metzger Rottmann Bürge Partner (MRBP)
bekommt den Auftrag, um für ein bekanntes
Warenhaus im Vorfeld von Weihnachten die
Temperatur bei den Kunden zu erfühlen.
Anstatt sich einfach ausschliesslich auf ausgeklügelte Studien und sophistizierte Kommunikationskonzepte zu verlassen, wird –
beispielsweise – auch eine Art Anti-MysteryShopping betrieben. Kunden werden direkt
befragt, wieso sie just diesen Gegenstand
kaufen, was ihnen am vorweihnachtlichen
Treiben gefällt und was sie nervt. Das verströmt Empathie, vor allem, wenn die Befragten ihrem Ärger über Preiskämpfe in
einer an sich mit emotionalen Inhalten
besetzten Jahreszeit Luft machen können.
Diese Szenerie lässt sich problemlos auf
Ostern übertragen. Was für Werbeprofis
dabei herausschaut? Eine ganze Menge
Informationen, die dann in das Gesamtprojekt einfliessen. Jedenfalls kommt dabei
mehr heraus als bei lästigen Telefonumfragen, gestellten Interviews oder unglaubwürdigen Testimonials, bei denen von vorneherein feststeht, dass sowieso jene `
SPECIAL MARKETING
Swiss Poster Award 2014 Kategorie «Digital Out of Home»
Gold
Plakatsujet:
«Überwachungskameras»
Auftraggeber: WOZ Die
Wochenzeitung, Zürich
Werbeagentur:
Leo Burnett, Zürich
Silber
Plakatsujet:
«Gründer-Garagen»
Auftraggeber:
VBZ, Zürich
Werbeagentur:
Ruf Lanz, Zürich
Bronze
Plakatsujet:
«Chancengleichheit»
Auftraggeber:
HEKS, Zürich
Werbeagentur:
Y&R Group, Zürich
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
33
SPECIAL MARKETING
` zum Zug kommen, die nur das sagen,
was mit dem Auftraggeber abgesprochen
wurde und ihm genehm ist.
«Wir wollen in die Kunden unserer Auftraggeber hineinhören und nicht das kolportieren, was sie möglicherweise denken
oder sagen könnten», liesse sich eines der
Geschäftsgeheimnisse von MRBP preisgeben. «Wir gehen mit offenem Visier auf die
Menschen zu, die wir für unsere Ideen und
Inspirationen begeistern wollen», sagt Bürge. Das Resultat seien ehrliche Antworten.
Darauf basieren auch Kampagnen, die nicht
nur im Kopf ankommen, sondern auch das
Bauchgefühl stimulieren. Letztlich baut
man auch bei MRBP auf einen zwar abgedroschenen, aber halt immer noch gültigen
Werbeslogan, nämlich den von der Mundzu-Ohr-Propaganda – allerdings verbirgt
sich dahinter viel Überzeugungsarbeit.
METZGER ROTTMANN BÜRGE PARTNER
Von Biotta über Suisse Garantie bis Villiger
Gestern Die inhabergeführte Kreativagentur wurde 1982 von Ted Metzger
gegründet und firmierte 33 Jahre unter
dem Namen Metzgerlehner Worldwide
Partners mit Sitz in Erlenbach ZH. Sie
gehört seither zu einer soliden Grösse
in der nationalen Werbelandschaft, zuletzt mit einem Jahresumsatz von rund
4 Millionen Franken. Silvan Metzger trat
2005 in die Fussstapfen seines Vaters.
der führenden Werbe-, Media- und Kommunikationsagenturen in der Schweiz.
Team MRBP beschäftigt gegenwärtig 20
Mitarbeitende. Ihre führenden Angestellten sind die vier Partner Christoph Bürge
(CEO), Silvan Metzger (Client Service Director), Michael Rottmann (Creative Director) und Andreas Meier (Key Account
Director). Sie engagieren sich aktiv in allen tonangebenden Branchenverbänden.
Heute Seit diesem Februar heisst das
Unternehmen neu Metzger Rottmann
Bürge Partner (MRBP). Es rangiert nach
wie vor unter den Top Twenty des Rankings des BSW, des Branchenverbands
Kunden Im Palmares der Auftraggeber
findet man so bekannte Namen wie
Biotta, Manor, Migros Klubschule,
Suisse Garantie, Suzuki sowie Villiger.
ZVG
Vom ROI zum ROE
Was uns zum nächsten Erfolgsrezept der
Agentur führt: Der Begriff Return on Invest- ten Agenturen an der richtigen Adresse.
ment (ROI) ist nicht erklärungsbedürftig. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie
Aber was Return on Excitement (ROE) be- nicht nur innovative Ideengeber sind, sondeutet, schon eher. Darunter verstehen die dern auch Wertschöpfungspartner – eine
eingefleischten Partner alles, was wie ein Art kreative Unternehmensberater.»
Echo zurückkommt, wenn sie ihre AuftragDavon, dass das keine hohlen Phrasen
geber und ihre anvisierten Kunden mit ihrer sind, zeugt ein Projekt, das derzeit noch in
Begeisterung angesteckt hader Pipeline, aber bereits weit
ben. Bürge spricht immer wieausgereift ist. Es dürfte zu eider von einem Enthusiasmus,
nem Quantensprung in der
Bürge schwebt
der nicht nur das Heute, sonQualität der angebotenen
ein Labor vor,
dern auch das Morgen überDienstleistung von MRBP
lebt. Für ihn ist dieser ein
in dem aus allem führen. Erstaunlich daran ist
Schmieröl der Wirtschaft. Ernur, dass Bürge freimütig daSpezialwissen
lahmt er, verlangsamt sich
rüber berichtet. Hat er keine
ein Ganzes wird.
auch deren Motor. Eine PhiloBefürchtungen, dass dies bei
sophie, die sich in 33 Jahren
der Konkurrenz auf allzu
bewährt hat: Metzgerlehner ist
fruchtbaren Boden fallen
zu einer soliden Grösse in der schweizeri- könnte? Immerhin ist er in einer Branche
schen Agenturlandschaft geworden und fir- tätig, in der man nicht nur das Werbegras
miert heute als Metzger Rottmann Bürge wachsen hören muss, sondern auch erPartner mit neuen, kreativen Köpfen, um in spriessliche Anregungen, die nicht auf dem
der digitalen Transformation zu bestehen.
eigenen Mist gewachsen sind, so schnell wie
Wie würde Bürge die idealen Kunden möglich internalisieren sollte. Bürge hat
charakterisieren? «All jene, welche kein diesbezüglich keine Bedenken und erinnert
Agentursystem, sondern ein kooperatives an die bekanntesten Exponenten der St. GalMiteinander mit viel gesundem Menschen- ler Stickerei-Industrie.
verstand und Partner mit hochgekrempelJa, richtig gehört. Wenn es Branchenverten Ärmeln suchen, sind bei inhabergeführ- treter gibt, die vor Kopisten auf der Hut sein
Die vier Partner: Silvan Metzger, Andreas Meier, Christoph Bürge, Michael Rottmann (v.l.).
34
HANDELSZEITUNG | Nr. 12 | 2015
müssen, sind es die kreativen Kräfte in diesen Gefilden, wo entschieden wird, was
morgen auf dem Catwalk Furore macht.
«Einfach so schnell neue Ideen entwickeln,
dass die Konkurrenz eine Nasenlänge hinterherhinkt», sagen die Stardesigner von
Forster Rohner, Hans Schreiber oder von Jakob Schlaepfer, Martin Leuthold unisono.
Ohne ihren Einfallsreichtum sind grosse
Modeschauen und atemberaubend schöne
Frauen in raffinierten Roben gar nicht denkbar. Bürge gefällt dieser Vergleich. «Es geht
im Grunde genommen doch wirklich um
diese berühmte Nasenlänge», bestätigt er
und hebt den Vorhang für den nächsten
Coup der Agentur ein bisschen in die Höhe.
Lösungen à la carte
Gerade weil Lösungen, die MRBP erarbeitet, immer à la carte sind und einen ganz
eigenen Stempel tragen, gibt es in diesem
Haus keine festgefügten Hierarchien oder
Stallordnungen. Je nach Bedarf werden
Leute ihres Spezialfachs hinzugezogen, die
sich dann zusammenraufen. «Das können
Fachleute für Social Media sein, Gestalter
von Websites, Eventprofis, PR-Spezialisten
oder sogar branchenfremde Exponenten,
die zu unüblichen Ideen inspirieren.»
Es gibt in der Werbewelt bestimmt 100
verschiedene Untergruppen – egal ob analog oder digital –, die zum Gelingen einer
Kampagne beitragen. Sie lassen sich finden,
aber der Mix muss stimmen. Und genau
darum geht es Bürge mit seiner Zukunftsvision. Ihm schwebt ein Labor vor, in dem
alle Involvierten ihr Spezialwissen zu einem
Ganzen zusammenfügen, wobei jeder von
jedem profitieren kann. «Und das ist ganz
wichtig: Der Output dieses fruchtbaren Prozesses ist dem jeweiligen Auftrag angepasst
und verändert sich immer wieder neu.»
Man könnte sich das wie ein Chamäleon
vorstellen, das die Farben seiner Umgebung
annimmt, die sich aus den Facetten der
jeweiligen Aufträge zusammensetzt.
Herunterladen