Zusammenarbeit Studierende aus Namibia und der Schweiz entwickeln gemeinsam eine Ausstellung Frühförderung Quartiervernetzerinnen suchen Kontakt zu Familien und informieren über Angebote Landwirtschaft Schulklassen forschen zu Fragen des Klimawandels und der biologischen Vielfalt Zürich isst Erlebnismonat rund um Ernährung, Umwelt und Genuss Mercator magazin inhalt Nachrichten S. 2 — 4 Aktuelle Meldungen aus Projekten frage an die wissenschaft S. 5 Gibt es einen Schweizer Islam? Hansjörg Schmid, Leiter des Schweizer Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg, gibt Antworten. schwerpunkt zürich isst S. 6 — 63 zürich isst Ein Bilderbogen und Berichte blicken auf den Erlebnismonat rund um Ernährung, Umwelt und Genuss zurück. S. 10 —13 Wenn der Einkauf etwas ändert Auf verschiedenen Plätzen der Stadt stehen Einkaufswagen, die auf die globalen Auswirkungen unseres Lebensmittelkonsums aufmerksam machen. S. 16 —19 ein fest für die Vielfalt 82 Tomatensorten, 3500 Besucher: Beim Stadt-Tomaten-Fest machen sich die Gäste Gedanken über Saatgut, Patente und die Bedeutung der biologischen Vielfalt. S. 22 — 25 Genussfahrt quer durch die Stadt Mit dem ‹z4i-Tram› auf kulinarischer Entdeckungstour durch Zürich: Die Fahrgäste können lokale Produkte probieren. Literarische Häppchen machen Lust auf gutes, gesundes Essen. S. 28 — 31 2000 neue Geschmäcker Insekten essen? In vielen Teilen der Welt ist das selbstverständlich. Der Verein essento möchte Speiseinsekten in die Schweizer Einkaufsregale bringen und gibt eine kulinarische Kostprobe. S. 34 — 37 Gemüse, Kunst und Interviews In einem Forschungslabor gehen Primarschüler der eigenen Ernährung und der biologischen Landwirtschaft am Stadtrand auf die Spur. S. 38 — 39 Versorgung von Städten Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau beleuchtet in Vorträgen Fragen der Ernährungssouveränität von Städten und der nachhaltigen Lebensmittelversorgung. S. 44 — 47 genug essen für alle Valentin Thurn reist in seinem aktuellen Film ‹10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?› um die Welt, um Lösungen für die Welternährung zu suchen. S. 52 — 55 Auch krumme Rüebli schmecken gut Wie gut Essen aus unförmigem Gemüse schmeckt, zeigt die Aktion ‹Zürich tischt auf›: Über 1000 Menüs geben die Helfer aus, Stände und Ausstellungen informieren über Food Waste. S. 56 — 59 Gemüse und Pilze mitten in der Stadt Die Ausstellung ‹Aufgetischt. Von hängenden Gärten und Pilzgaragen› gibt Einblicke in die Urban-Gardening-Bewegung und zeigt, wie in der Stadt Lebensmittel produziert werden. S. 62 — 63 Einsatz für eine nachhaltige Ernährung Bei der Abschlussveranstaltung machen sich die zahlreichen Zürich-isst-Partnerorganisationen Gedanken über zukünftige Aktivitäten zur Förderung einer nachhaltigen Ernährung. tätigkeitsbereich Wissenschaft S. 64 — 67 Ein neuer Blick auf die Geschichte Studierende aus Basel und Windhoek erarbeiten gemeinsam eine Ausstellung über die namibische Eisenbahnstadt Usakos und ihre Bewohner. S. 68 — 69 Jugendkultur in Bild und Ton Die Universität Zürich hat das Phänomen ‹Handyfilme› untersucht. In einer Ausstellung reflektiert sie den Umgang mit dem Medium. tätigkeitsbereich Kinder und jugendliche S. 70 — 72 Für einen guten Start Mit der Initiative primano setzt sich die Stadt Bern für faire Bildungschancen ein. Quartiervernetzerinnen suchen mit verschiedenen Aktivitäten den Kontakt zu Familien. S. 73 — 75 Der Kreativität auf der Spur Bildschulen ermöglichen Kindern und Jugendlichen mit vielfältigen Kursen und Workshops eine fundierte künstlerische Bildung. Die Erfahrungen werden weitergegeben. tätigkeitsbereich mensch und umwelt S. 76 — 79 Detektivarbeit auf dem Biohof Eine Schulklasse erforscht Nützlinge und Schädlinge im Biolandbau. Dabei treten die Jugendlichen in einen Austausch mit einer Nachwuchsforscherin und einem Landwirt. engagiert S. 80 wie eine grosse Schwester Mirjam Hagmann ist Mentorin bei ‹Rock your Life!›. Die Studentin unterstützt Jugendliche, Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. kalender S. 81 Termine Januar bis Mai 2016 vorwort Liebe Leserinnen und Leser In Zürich gibt es viele Akteure, die sich mit Fragen der nachhaltigen Ernährung befassen. Zusammen mit der Stadt Zürich wollten wir ihnen eine Bühne bauen. Über 100 Partnerorganisationen, darunter verschiedene Dienstabteilungen der Stadt, haben im Rahmen des Erlebnismonats ‹Zürich isst› auf das wichtige Thema aufmerksam gemacht. Ausstellungen, Vorträge, Workshops oder Aktionen in Schulen und im öffentlichen Raum zeigten, was jede und jeder durch eine nachhaltige Ernährung bewirken kann – für die Umwelt, für hiesige Landwirte, für Kleinbauern in den Ländern des Südens. Über 200 Veranstaltungen umfasste das Programm, auf 63 blicken wir zurück: Wir nehmen Sie mit auf Rundgänge durch die Ausstellungen ‹Die Welt im Einkaufswagen› (S. 10–13) und ‹Aufgetischt. Von hängenden Gärten und Pilzgaragen› (S. 56– 59). Wir schauen beim Stadt-Tomaten-Fest (S. 16–19) vorbei, begeben uns mit dem z4i-Tram (S. 22–25) auf die Spuren lokaler Lebensmittelproduzenten und setzen uns bei der öffentlichen Kochaktion ‹Zürich tischt auf› (S. 52– 55) mit Herausforderungen der Lebensmittelverschwendung auseinander. Wir besuchen Schulkinder im Forschungslabor ‹Stadt! Pflanzen! Los!› (S. 34–37) und sprechen mit dem Regisseur des Films ‹10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?› (S. 44–47) über Lösungen für die Welternährung. ‹Zürich isst› war ein grossartiges Erlebnis, das nur dank des Engagements der beteiligten Organisationen und der engen Zusammenarbeit mit dem Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich möglich war. Der Erlebnismonat ist ein Beispiel dafür, was das Zusammenspiel von Stadt und Zivilgesellschaft bewegen kann. stiftung mercator schweiz Die Stiftung Mercator Schweiz fördert und initiiert Projekte in den drei Bereichen ‹Wissenschaft›, ‹Kinder und Jugendliche› und ‹Mensch und Umwelt›. Das Engagement der Stiftung gilt einer lernbereiten und weltoffenen Gesellschaft, die verantwortungsvoll mit der Umwelt umgeht. Mit ihren Projekten an Hochschulen möchte sie zur Stärkung des Wissens- und Forschungsplatzes Schweiz beitragen. Die Stiftung unterstützt die Wissenschaft, Antworten auf gesellschaftlich wichtige Fragen wie den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu finden. Damit Kinder und Jugendliche ihre Persönlichkeit entfalten, Engagement entwickeln und ihre Chancen nutzen können, setzt sich die Stiftung Mercator Schweiz für optimale Bildungsmöglichkeiten innerhalb und ausserhalb der Schule ein. www.stiftung-mercator.ch Nadine Felix Geschäftsführerin ≥ Zürich isst S. 6 — 63 nachrichten Kinder und Jugendliche 72 Stunden im einsatz Kinder und Jugendliche haben Spielplätze renoviert, älteren Menschen die neuen Medien nähergebracht, interkulturelle Tanzkurse organisiert, Spielsachen für Kinder in Asylzentren gesammelt oder eine Dorfchilbi organisiert: Als am 14. September 2015 der Zeiger auf 18.11 Uhr sprang, ging das grösste Freiwilligenprojekt der Schweiz zu Ende. 72 Stunden lang waren 28 000 Kinder und Jugendliche für den guten Zweck im Einsatz. Sie verwirklichten 450 gemeinnützige Ideen im ganzen Land – und die Bevölkerung unterstützte sie dabei tatkräftig. Die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände hat die Aktion 72 Stunden koordiniert. Co-Leiterin Patricia D’Incau ist zufrieden: Rund 1 Million Stunden unentgeltliche Arbeit wurden an den drei Tagen geleistet. Das ist etwa zehnmal mehr als ein durchschnittlicher Schweizer während eines ganzen Arbeitslebens tätig ist. Die Kinder haben Menschen verschiedener Hintergründe zusammengebracht und vorgemacht, wie Solidarität funktioniert. «Die Kinder und Jugendlichen engagieren sich jedoch nicht nur an den drei Tagen der Aktion 72 Stunden», betont Patricia D’Incau. «Jede Woche und jedes Wochenende leisten sie in Jugendorganisationen Freiwilligenarbeit. Dieses Engagement wollten wir sichtbar machen.» www.72stunden.ch 4 Mercator Magazin 02 / 1 5 nachrichten Wissenschaft Mensch und Umwelt Stipendiaten engagieren sich für internationale Themen Einsatz für die nachhaltigen Entwicklungsziele Seit September 2015 sind die 24 Stipendiaten des Mercator Kollegs für internationale Aufgaben in der ganzen Welt im Einsatz – unter ihnen die vier Schweizer Florian Egli und Tim Rutishauser aus Zürich, Flavia Fries aus Luzern und Patrick Renz aus Sutz (BE). Während des Mercator Kollegs verfolgen sie eigene Fragestellungen in zwei bis drei internationalen Organisationen, Nichtregierungsorganisationen oder Wirtschaftsunternehmen. Die Arbeitsstationen organisieren sie passend zu ihren Themen selbst. Seminare zu internationalen Themen und zur Entwicklung von Führungs- und Schlüsselkompetenzen ergänzen das 13-monatige Programm. Florian Egli beschäftigt sich während des Mercator Kollegs mit Fragen der Steuerung und Finanzierung von Innovationsprozessen in Umwelttechnologien. Die Menschenrechtsauswirkungen von global tätigen Unternehmen interessieren Flavia Fries. Dabei konzentriert sie sich insbesondere auf die Verbesserung von Lebensund Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern. Patrick Renz beschäftigt sich mit Fragen der Energiesicherheit und stellt die neuen Realitäten für Asiens fossile Brennstoffmärkte, nachhaltige Energiepolitik und geopolitische Veränderungen ins Zentrum. Tim Rutishauser beschäftigt sich mit Kooperationsmechanismen zwischen zivilen humanitären Akteuren und dem nationalen Militär. Das deutsch-schweizerische Stipendienprogramm führen in der Schweiz die Stiftung Mercator Schweiz und die Schweizerische Studienstiftung in Kooperation mit dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten durch. www.mercator-kolleg.ch Die Stiftung Biovision hat sich in den vergangenen Jahren dafür eingesetzt, dass die nachhaltigen Entwicklungsziele auch auf eine nachhaltige Landwirtschaft eingehen. Ende September 2015 wurden an der UNO-Generalversammlung alle 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) mit insgesamt 169 Unterzielen als Entwicklungsagenda 2030 verabschiedet. Die Stiftung Biovision konnte somit ihren Einsatz bei deren Ausarbeitung erfolgreich abschliessen. Biovision begrüsst die neue, auf umfassende Nachhaltigkeit ausgerichtete Entwicklungsagenda 2030. Besonders beim Ziel 2 der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele konnte Biovision zu der Formulierung beitragen: «End hunger, achieve food security and improved nutrition, and promote sustainable agriculture». Auf Deutsch: «Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern.» Das Engagement der Stiftung Biovision für die nachhaltigen Entwicklungsziele ist Teil des Projekts ‹Kurswechsel Landwirtschaft›. Die Stiftung Mercator Schweiz fördert dieses Projekt, das darauf abzielt, die nachhaltige Landwirtschaft auf nationaler, regionaler und globaler Ebene politisch zu stärken. www.biovision.ch Wissenschaft Märkte und Demokratie Mit den einwöchigen ‹Master Classes› zum Thema ‹Marktkulturen› bringt die Graduate School of Humanities and Social Sciences der Universität Luzern Doktorierende in einen Austausch mit renommierten Forschern. Unter dem Titel ‹Märkte und Demokratie› stellte vom 28. September bis 2. Oktober 2015 Professor Wolfgang Streeck, ehemaliger Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, seine Arbeit vor und erörterte ausgewählte Texte mit den internationalen Teilnehmenden. Die Doktorierenden präsentierten ihre Arbeiten zu Themen wie Arbeitsmigration, Auslandsdirektinvestitionen oder Politisierung der Schweizer Banken. www.unilu.ch 5 Nachrichten wissenschaft Krise und zusammenarbeit Der zweitägige Schweizer Kongress der Wissenschaftskommunikation ScienceComm widmete sich im September 2015 im Landhaus Solothurn zwei aktuellen Themen: Krise der Wissenschaft und Citizen Science. Gibt es eine Krise der Wissenschaft? Oder befindet sich die Wissenschaft wie Gesellschaft, Politik und Wirtschaft lediglich in «turbulenten Zeiten», wie es eine Referentin beschrieb? «In den Medien wird die Wissenschaft immer wieder als krisengebeutelt dargestellt», sagt Katja Manike, Projektleiterin bei der Stiftung Science et Cité. Erinnert seien an die Plagiate, die verschiedene Politiker ihr Amt kosteten, an irrelevante, nicht-reproduzierbare oder gar gefälschte Resultate. Die ScienceComm wollte einen Diskurs über Aufgaben und Möglichkeiten der Wissenschaftskommunikation anregen. Gleichzeitig ging es am jährlichen Kongress um Citizen Science, die Bürgerwissenschaft: Wie kann man interessierte Personen an der Datenerhebung beteiligen? Welchen Nutzen haben Bevölkerung und Wissenschaft von einer Zusammenarbeit in der Forschung? Wie können Citizen-Science-Projekte optimal entwickelt werden? Um diese neue, durch Partizipation geprägte Art der Forschung voranzubringen, sei die Vernetzung und Koordination zurzeit ein grosses Anliegen der Wissenschaftsgemeinschaft, stellen die Organisatoren des Kongresses fest. www.sciencecomm.ch Kinder und Jugendliche Plattform sammelt Anliegen Mit engage.ch sollen Jugendliche einfach und unbürokratisch ihre Anliegen und Ideen formulieren und in die Politik einbringen können. Auf der Plattform werden diese der Öffentlichkeit präsentiert. Die Jugendparlamente vor Ort kümmern sich darum, dass eine Auswahl der eingereichten Anliegen umgesetzt wird. 6 Mercator Magazin 02 / 15 Sie setzen diese mit eigenen Projekten um oder bringen sie in die Politik ein. Die umgesetzten Anliegen werden als Erfolgsgeschichten präsentiert. An der Entwicklung der Plattform waren die HTW Chur und der Dachverband Schweizer Jugendparlamente sowie Jugendparlamentarier beteiligt. Eine wichtige Grundlage war die Studie Scoop-it 2.0 zur politischen Partizipation von Jugendlichen, die im Rahmen des Projekts erstellt wurde. www.engage.ch frage an die Wissenschaft Gibt es einen Schweizer Islam? Hansjörg Schmid Sozialethiker Ein ‹Schweizer Islam› scheint – von aussen betrachtet – an vielen Stellen schon Realität zu sein: Junge Muslime orientieren sich in der Art, wie sie eine religiös motivierte Jugendarbeit betreiben wollen, an den Standards von Jugendorganisationen in der Schweiz. Muslime entwickeln in ihren Gemeinden, in Spitälern und Gefängnissen neue Formen religiöser Betreuung, die es in ihren Herkunftsländern nicht gibt und die sie unter Aufnahme der in der Schweiz gängigen Begrifflichkeit als muslimische Seelsorge bezeichnen. Die muslimischen Gemeinden organisieren sich auf lokaler, kantonaler und nationaler Ebene und orientieren sich dabei an den politischen Strukturen und an der demokratischen Diskussionskultur der Schweiz. Viele muslimische Organisationen sind Ansprechpartner der Kommunen und Kantone für soziale Themen und Integrationsfragen. Dabei kommt ein hohes Mass an freiwilligem bürgerschaftlichem Engagement zum Ausdruck, das Werte der Schweiz verkörpert. Innermuslimische Debatten Trotz dieser Entwicklungen sind Muslime gegenüber dem Begriff ‹Schweizer Islam› oder ‹europäischer Islam› vielfach zurückhaltend. Sie befürchten, dass ihre Wurzeln abgeschnitten werden und vom Islam etwas weggenommen wird. Ausserdem sehen sie eine Spannung zum Ideal der Einheit des Islams. Die Befürchtungen hängen sicherlich auch mit dem gesellschaftlichen Klima und oft hegemonial geführten Islamdebatten zusammen. So wird nicht selten gefordert, dass Muslime die Aufklärung nachholen und ein modernes Religionsverständnis entwickeln sollen. Dabei übersehen diejenigen, die diese Forderung stellen, welch reiches intellektuelles Erbe es im Islam gibt und wie sehr die Auseinandersetzung mit der Moderne bereits seit dem 19. Jahrhundert muslimische Diskurse geprägt und auch innovative theologische Entwürfe hervorgebracht hat. Die innermuslimischen Debatten in der Schweiz können nicht losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Diskursen betrachtet werden. Niemand würde auf die Idee kommen, analog von einem ‹Schweizer Christentum› zu sprechen. Ganz zu schweigen davon, dass es gar nicht so leicht zu bestimmen ist, worin das spezifisch Schweizerische oder Europäische besteht. Im Fall des ‹Schweizer Islams› geht es in erster Linie um einen Integrationsprozess mit Lernschritten für alle Beteiligten: Muslime stehen vor der Aufgabe darüber nachzudenken, in welcher Form sie ihre Religion in der Schweiz öffentlich zur Sprache bringen wollen. Umgekehrt bedarf es in vielen Feldern – von der Spitalseelsorge über die Schule bis zur Universität – pluralitätssensibler Lösungen unter Einbeziehung von Muslimen. Im britischen Kontext wurde schon vor über 20 Jahren eine rege innermuslimische Debatte über britische muslimische Identitäten geführt. Die weltweite Diskussionslage im Blick auf Islam hat sich seitdem verschärft, was die Sache jetzt für die Schweizer Muslime nicht einfacher macht. Kommunikation mit dem Umfeld Identitäten – sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene – sind höchst dynamische und komplexe Gebilde. Biografien sind heute häufig transnational geprägt. ‹Schweizer Islam› bedeutet nicht, dass dieser nicht auch albanisch, bosnisch, türkisch oder arabisch sein kann. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass gerade in der Schweiz auch bei Muslimen kleinteiligere Bezugsräume eine wichtige Rolle für die eigene Identität spielen. So wird etwa im Rahmen des Verbands der muslimischen Vereine im Kanton Waadt (UVAM ) über das Thema ‹Waadtländer und Muslim sein› nachgedacht. Religionen sind keine isolierten Gebilde, sie nehmen auf, kommunizieren mit dem Umfeld. So hat der Islam im Laufe seiner Geschichte und in verschiedenen Regionen ganz unterschiedliche Formen angenommen. Dennoch bilden Koran, Sunna und weitere Traditionen ein gemeinsames Referenzsystem. Es ist jedoch an den Muslimen, die Balance zwischen Verwurzelung und Öffnung auf den jeweiligen gesellschaftlichen Kontext neu auszuhandeln. Dafür ist es wichtig, dass Räume entstehen, in denen Muslime wissenschaftlich und selbstbestimmt über ihre Identitäten und ihr Religionsverständnis nachdenken können. Hansjörg schmid ist Leiter des Schweizer Zentrums für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg. Zusammen mit Serdar Kurnaz baut er das von der Stiftung Mercator Schweiz geförderte Doktoratsprogramm ‹Islamisch-theologische Studien› auf. Sechs Nachwuchsforschende aus der Schweiz bekommen durch Stipendien die Gelegenheit, sich in Dissertationsvorhaben mit sozialethischen, gesellschaftlichen und religiösen Fragen mit Bezug zur Schweizer Realität auseinanderzusetzen. [email protected] 7 schwerpunkt zürich isst Zürich isst Woher kommt unser Essen? Wie wird es hergestellt? Was bedeutet das für Mensch und Umwelt? Der Erlebnismonat ‹Zürich isst› hat die Bevölkerung eingeladen, sich mit Fragen der nachhaltigen Ernährung auseinanderzusetzen. Die Stadt Zürich und die Stiftung Mercator Schweiz haben ‹Zürich isst› im September 2015 zusammen mit 100 Partnerorganisationen verwirklicht. 200 Veranstaltungen prägten das Programm, 63 werden auf den folgenden Seiten vorgestellt. 8 Mercator Magazin 02 / 15 1Erntezeit im Biogarten Zucchini, Randen, Karotten, Bohnen: Im Bildungsgarten der Stadtgärtnerei wurden im Frühjahr verschiedene Gemüsesorten angepflanzt. Im Rahmen von ‹Zürich isst› wurde geerntet. Die Gäste durften das Gemüse mit nach Hause nehmen. Sie erhielten Einblicke in den Biogarten und erfuhren, worauf sie zuhause bei Anbau und Ernte achten müssen. 2Essbare Wildkräuter Es gibt unzählige Wildkräuter, die den eigenen Speiseplan bereichern können. Der Botanische Garten der Universität Zürich zeigte in einem Kurs die Vielfalt von Wildkräutern. 3 Politisches Kochbattle Wer kocht am besten? Jugendliche und Politiker aus der Stadt Zürich bereiteten im Hiltl-Kochatelier ein vegetarisches Fünf-Gang-Menü aus mehrheitlich regionalen Produkten zu. In fünf Gruppen traten sie auf Einladung der OJA Zürich gegeneinander an. Die frisch zubereiteten Leckereien wurden den anderen Teilnehmenden und der Jury als Fingerfood serviert. Am Ende konnten die Jugendlichen im Kochwettstreit drei der Gänge für sich entscheiden. 9 schwerpunkt zürich isst 4 Filme für die Erde Wie werden wir in Zukunft 10 Milliarden Menschen ernähren? Welche Auswirkungen hat die ‹Fast Fashion› der Kleiderketten? Was hat Thule am Nordpol mit Tuvalu im Pazifik zu tun? Sechs Filme boten am ‹Filme für die Erde Festival› im Volkshaus Einblicke in verschiedene Aspekte der Nachhaltigkeit. Auf Schulen warteten zur Vor- oder Nachbereitung Impulslektionen der Klima- und Energiepioniere.ch. 5Energie aus Bioresten Wie entstehen aus Bioabfällen Energie und Kompost? Die Biogas Zürich AG führte durch das Vergärwerk und die Biogas-Aufbereitungsanlage Werdhölzli und erklärte, welche Stationen die Bio-Abfälle in der Anlage durchlaufen. 10 Mercator Magazin 02 / 15 6 Pestizide in der Lebensmittelkette Weltweit werden jährlich Millionen Tonnen Pestizide eingesetzt. Sie entfalten ihre Wirkung nicht nur bei Schädlingen und Unkräutern, sondern auch bei Mensch und Umwelt. «Neue Studien weisen darauf hin, dass die Auswirkungen von Pestiziden auf Gesundheit und Ökosysteme möglicherweise unterschätzt wurden», sagt Projektleiter Frank Eyhorn von Helvetas. «Da wir viele landwirtschaftliche Rohstoffe importieren, tragen wir auch Verantwortung für den Pestizideinsatz in anderen Ländern.» In einem Symposium ging Helvetas an der ETH Zürich der Frage nach, ob und wie der Pestizideinsatz reduziert werden kann. Über 130 Vertreter aus Landwirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diskutierten über das kontroverse Thema. Dabei wurde deutlich, dass die Reduktion des Pestizideinsatzes eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die das Zusammenspiel von Forschung, landwirtschaftlicher Praxis, Einzelhandel, Konsumenten und Politik bedingt. 7Street Food Festival Burger, Dumplings, Tacos, Sushi, Ceviche, Austern, Raclette, Pralinen oder Cupcakes: Das Angebot beim 4. Street Food Festival am Hafendamm Enge war breit und abwechslungsreich. Das Festival bot nicht nur eine breite Auswahl an Street-FoodKöstlichkeiten aus aller Welt, sondern gestaltete mit Unterstützung des Vereins foodwaste.ch und eines neuen Abfallkonzepts den Imbiss-Trend auch verstärkt nachhaltig: Anstelle von Wegwerf- gab es Mehrweg-Geschirr, es wurde recycelt, Biomüll und Abfall wurden strikt getrennt. 9Gesund essen – eine Kostenfrage? Für seinen Vortrag hat sich Luca Casetti einen passenden Ort ausgesucht: Im Caritas-Markt an der Reitergasse stellte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Berner Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften die Erkenntnisse einer aktuellen Studie zum Zusammenhang zwischen einer gesunden Ernährung und den finanziellen Möglichkeiten vor. «Die Kosten werden gerne als Grund aufgeführt, um weniger gesund zu essen», erklärte er. «Dieses Argument stimmt nicht.» Zwar koste ein gesunder Warenkorb mit vielen Früchten und Gemüse mehr als ein ungesunder Warenkorb. Doch die Forscher haben herausgefunden, dass ein Haushalt mit tiefem Einkommen im Monat mehr für Essen ausgibt als der gesunde Warenkorb kosten würde. «Auch mit kleinem Budget kann man gesund essen.» Die Studie habe gezeigt, dass Menschen mit wenig Geld dieses sogar effizienter für gesunde Lebensmittel ausgeben als Wohlhabende. Zwar geben vermögende Leute mehr Geld für Lebensmittel aus, jedoch seien diese nicht ausgewogener. 8Urbaner Wildpflanzengenuss Mitten in der Stadt wachsen essbare Wildpflanzen. Armin Heyer, Mitgründer des Bio-Velokuriers Öpfelchasper, nahm Interessierte mit auf eine Wildkräutertour durch Zürich. Anschliessend wurden die gesammelten Kräuter und Salate, das Gemüse und der Tee gemeinsam zubereitet und genossen. 11 schwerpunkt 10 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 10Wenn Der Einkauf etwas ändert Mit sieben verschiedenen Posten war die Ausstellung ‹Die Welt im Einkaufswagen› in der ganzen Stadt zu sehen. Sie regte dazu an, sich Gedanken darüber zu machen, welche globalen Auswirkungen die Produktion unserer Lebensmittel hat. Text / Nadine FIeke Sie sind auf Plätzen in der ganzen Zürcher Innenstadt verteilt: Sieben Einkaufswagen, gefüllt mit Bananen, Gemüse, Wurst, Milchflaschen, Schokolade, Kaffee und Brot. Menschen, schwer bepackt mit Einkaufstaschen, hetzen vorbei. Manch einer bleibt einen Moment stehen, sieht sich die Infotafel an – und erfährt, wie die Produktion der Lebensmittel, die wir täglich in unseren Einkaufswagen legen, Mensch und Umwelt in anderen Teilen der Welt beeinflussen. Wer sich intensiv mit der Thematik auseinandersetzen möchte, läuft die sieben Posten der Ausstellung ‹Die Welt im Einkaufswagen› gezielt ab oder nimmt an einer Führung teil. Milena Adnyanata und Veronika Hofer stehen am Rande der Pestalozzi-Wiese vor dem Globus an der Bahnhofstrasse. Sie ziehen sich das rote T-Shirt der Erklärung von Bern (EvB) über und warten auf Interessierte. Nach und nach trudeln diese am Einkaufswagen zum Thema Kaffee ein, 20 Personen kommen zur Führung. Die zwei jungen Frauen sind zufrieden. Beide engagieren sich als Freiwillige für die Erklärung von Bern – und damit für faire Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und anderen Ländern. «Wir setzen uns dafür ein, dass Unternehmen die Menschenrechte achten, sozial und ökologisch verantwortungsvoll handeln», erklärt Veronika Hofer der Gruppe das Engagement der EvB. «Und wir möchten die Öffentlichkeit über die Folgen ihres Konsumverhaltens aufklären.» Für ‹Zürich isst› haben 15 junge Freiwillige der Regionalgruppen Zürich und Winterthur ‹Die Welt im Einkaufswagen› erarbeitet. Um möglichst viele Menschen zu erreichen, ist die Ausstellung auf verschiedene Posten im öffentlichen Raum verteilt. Die sieben ausgewählten Produkte dienen als Aufhänger, um globale Herausforderungen des Lebensmittelkonsums zu beleuchten. Posten: Kaffee «Kaffee ist der meist gehandelte Agrarstoff der Welt», erklärt Milena Adnyanata. Und diese Abhängigkeit von den globalen Handelsmärkten sei das grösste Problem der Kaffeebauern: Die Preise schwanken stark, seit 2002 befindet sich der Kaffeepreis auf einem dauerhaften Tiefpunkt. Das Einkommen der Kleinbauernfamilien schwindet, sie haben keine Planungssicherheit. «Viele geben die Landwirtschaft auf und ziehen in die Stadt», sagt Milena Adnyanata. «Doch dort warten oftmals Armut und Erwerbslosigkeit auf die Menschen.» Wer im Kaffeeanbau bleibt, ist von den Preisen der Zwischenhändler abhängig. Mit dem Kauf von zertifizierten Produkten können sich die Konsumenten für eine Verbesserung der Situation in den Produktionsländern einsetzen. Zertifizierte Kooperativen erhalten einen Mindestpreis und eine Prämie für ihren Kaffee. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit in lokalen Produktionsgemeinschaften gestärkt. In kaum einem Land wird so viel Kaffee getrunken wie in der Schweiz: 3,5 Tassen trinken wir am Tag – neun Kilo Kaffee pro Jahr. Und der Wunsch nach fair gehandeltem Kaffee steigt. Freiwillige der Erklärung von Bern führen Interessierte durch die Stadt – von Einkaufswagen zu Einkaufswagen. 11 schwerpunkt zürich isst Passend zu den Themen der Posten liegen Produkte in den Einkaufwagen. Im Niederdorf geht es um den Fleischkonsum. schränken den Pestizideinsatz ein. Bio-Label garantieren einen Anbau ohne synthetische Mittel und achten auf soziale Standards. Posten: Fleisch Posten: Bananen Der Apfel ist die beliebteste Frucht in der Schweiz, dicht gefolgt von der Banane. Während Äpfel in unterschiedlichsten Formen und Farben verkauft werden, dominiert in der Bananenproduktion eine einzige Sorte. «Monokulturen sind ein Paradies für Krankheiten und Schädlinge», stellt Veronika Hofer fest. Um Ertragsverluste oder Totalausfälle zu vermeiden und die Pflanzen zu schützen, werden Unmengen von Pestiziden gespritzt – bis zu 40 Mal pro Jahr per Helikopter oder Flugzeug. «Nur 25 Prozent der Pestizide landen tatsächlich auf den Pflanzen», bemerkt die Agronomin. Der Rest belastet die Umwelt und auch die Menschen, die vermehrt unter Hautkrankheiten, Allergien und einem erhöhten Krebsrisiko leiden. Hinzukommt, dass der Lohn für Plantagenarbeiter oft unter dem Mindestlohn liegt. «Doch es gibt Hoffnung», erzählt Veronika Hofer der Gruppe auf dem Werdmühleplatz. In der Schweiz seien bereits 50 Prozent der verkauften Bananen fair gehandelt. Label haben verschiedene Bedeutungen: Fairtrade-Label bestimmen Standards für Arbeitsbedingungen und 12 Mercator Magazin 02 / 15 Was hat unser Fleischkonsum mit der Abholzung des Regenwalds zu tun? Tatsächlich sehr viel, wie der Einkaufswagen am Hirschenplatz deutlich macht: Die Schweizer essen 400 000 Tonnen Fleisch im Jahr – das ist ein Kilo Fleisch pro Person und Woche. Fast die Hälfte des Sojas, das als Kraftfutter für die Fleischproduktion genutzt wird, wird aus den Ländern des Südens importiert. «Unser Fleischkonsum hat soziale und ökologische Folgen für Entwicklungsländer», weiss Milena Adnyanata. Das Soja wird in grossen Monokulturen angebaut, der hohe Pestizideinsatz belastet Böden, Grundwasser und Menschen, Bauernfamilien wird das Land geraubt. «Und für immer grössere Anbauflächen wird immer mehr Regenwald abgeholzt», erklärt die Studentin. Jedes Jahr gehen so 31 000 Quadratkilometer – drei Viertel der Fläche der Schweiz – verloren. Auch mit Blick auf die Ernährungssicherheit ist der Fleischkonsum ein Problem: Drei Viertel der weltweiten Agrarflächen werden für die Futtermittelproduktion verwendet, statt darauf Nahrungsmittel für Menschen anzubauen. «Mensch und Nutztier sind Nahrungsmittelkonkurrenten.» Was können wir in der Schweiz tun? «Wenn wir nur halb so viel Fleisch essen würden, könnte die Schweiz auf Soja-Importe verzichten», betont Milena Adnyanata. Wer bei seinem (reduzierten) Fleischkonsum auf eine Bio-Zertifizierung achtet, fördert eine tiergerechte Haltung und eine nachhaltige Fleischproduktion. Posten: Gemüse «Es gibt 50 000 essbare Pflanzen auf der Welt», sagt Veronika Hofer am Posten an der Rathausbrücke. «Nur 7000 davon werden kultiviert.» Traditionell funktionierte die Züchtung so: Landwirte hielten jedes Jahr einen Teil ihrer Ernte zurück, um sie im nächsten Jahr wieder auszusäen. Der Tausch von Samen stellte den Zugang zu neuem Saatgut sicher. Die besten Sorten wurden gekreuzt, so entstanden lokal angepasste Züchtungen. Heute ist dies nicht mehr ohne weiteres möglich: «Konzerne können sich besondere Eigenschaften von Pflanzen patentieren lassen», erklärt Veronika Hofer. «Selbst wenn die Eigenschaft auf natürliche Weise in einer Pflanze vorkommt.» Mit dem Patent sind alle Pflanzensorten geschützt, die die jeweilige Eigenschaft – zum Beispiel die Resistenz gegen eine Krankheit – besitzen. Das Ziel eines Patents sei es eigentlich, Erfindungen zu schützen und Innovationen zu fördern, meint die EvB-Freiwillige. Doch im Fall der Pflanzenzüchtung verhindere es Innovationen, denn die Entwicklung neuer Sorten sei auf den freien Zugang zu Saatgut angewiesen. «Patente auf Saatgut gefährden die Sortenvielfalt», betont Veronika Hofer. Und das habe Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit: Je geringer die genetische Vielfalt, desto schwieriger ist es für Pflanzen, sich an neue Umweltbedingungen, Krankheiten oder Schädlinge anzupassen. Aktuell setzt sich die Koalition ‹No Patents on Seeds› aus über 300 internationalen Organisationen, darunter die Erklärung von Bern, auf europäischer Ebene mit einer Petition für ein Gesetz ein, das die Patentierung von konventionell gezüchteten Pflanzen und Tieren verhindert. Wer Saatgut und Gemüse von ProSpezieRara kauft, unterstützt lokale Sorten. Posten: Milch Industrieländer unterstützen ihre Landwirtschaft mit Subventionen und Direktzahlungen. «Das ist gut für die Bauern vor Ort, schlecht für Bauern in Entwicklungsländern», betont Milena Adnyanata. Den Entwicklungsländern fehlen die finanziellen Mittel, um ihre eigene Landwirtschaft zu unterstützen. Trotz der tieferen Lohnkosten können ihre Produkte nicht mit den subventionierten Produkten aus den Industrieländern konkurrieren. «Die Entwicklungsländer werden durch billige, subventionierte Produkte überschwemmt», erklärt die EvB-Freiwillige. So kostet Milchpulver aus Europa in Afrika die Hälfte der lokalen Waren. Immer mehr lokale Bauern müssen ihre Höfe aufgeben – und damit werden die Länder in der Nahrungsversorgung mehr und mehr abhängig von Importen. Entsprechend problematisch sei auch die Praxis der Schweiz, jedes Jahr Milchpulver im Wert von 20 Millionen Franken an Entwicklungsländer zu verschenken, sagt Milena Adnyanata. Nach Überzeugung der Erklärung von Bern sollten auch bei humanitären Katastrophen Nahrungsmittel nicht verschenkt, sondern in Nachbarländern eingekauft werden, um die Landwirtschaft in den Regionen zu unterstützen. «Viele europäische Staaten sind bereits zu dieser Praxis übergegangen.» An diesem Posten am Limmatquai endet die offizielle Führung. Die beiden EvB-Freiwilligen beantworten letzte Fragen und laden Interessierte ein, die zwei weiteren Posten der Ausstellung auf eigene Faust zu erkunden. Posten: Kakao Süss für uns, bitter für die Produzenten: In der Schweiz werden pro Kopf und Jahr zwölf Kilo Schokolade gegessen – so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt, verdeutlicht die Infotafel am Züghusplatz. Doch Anbau, Pflege und Ernte des Kakaos sind harte Arbeit, und der Lohn ist mager. Bestimmt wird der Kakaopreis an den Rohstoffbörsen im Westen. Die Preise schwanken stark, die Bauernfamilien können kaum von ihrem Einkommen leben. Und entsprechend ist es ihnen kaum möglich, in die Pflege und Produktivität ihrer Bäume zu investieren. Kinderarbeit auf den Plantagen ist unter diesen Voraussetzungen ein grosses Problem. Und damit zementiert sich die Armut auch für die kommende Generation. Mit dem Kauf von Produkten aus zertifiziertem Kakao können sich die Konsumenten für faire Preise und verbesserte Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern engagieren. Posten: Getreide Angebot und Nachfrage bestimmen die Nahrungsmittelpreise. Kommt es durch Dürren oder Starkniederschläge zu einer Verknappung des Angebots, steigen die Nahrungsmittelpreise. Doch das alleine kann die starken Schwankungen der Nahrungsmittelpreise nicht erklären. Ebenso wenig die Nahrungsmittelkrisen in den Jahren 2008 und 2011. Tatsächlich ist es laut der Infotafel am Rennweg die Spekulation mit Nahrungsmitteln, die zu Preisspitzen beiträgt. Fatal sind explosiv steigende Nahrungsmittelpreise für Menschen in Entwicklungsländern. Im Vergleich zu Industrieländern wird dort ein wesentlich höherer Anteil des Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel verwendet. Während dies in der Schweiz durchschnittlich 11,5 Prozent sind, liegt es in Äthiopien bei 46 Prozent. Gleichzeitig nehmen starke Preisschwankungen Kleinbauern die Planungssicherheit, sie können weniger in ihre Produktion investieren. Fallende Preise bringen sie in eine finanzielle Notlage. Kontakt / Erklärung von Bern, Ursina Mayor, [email protected] 13 schwerpunkt zürich isst 11Open-Air-Kino Mit einem solarbetriebenen, mobilen Open-Air-Kino zeigte Helvetas im Rahmen der Veranstaltungsreihe ‹Cinema Sud› den Dokumentarfilm ‹Hunger. Genug ist nicht genug› und gab damit Einblicke in eine der schwerwiegendsten Herausforderungen unserer Zeit. Filmemacher David Syz diskutierte mit dem Publikum. 13 aus der region Woher kommen unsere Lebensmittel? Mit der Ausstellung ‹Heimisch› zeigt der Zürcher Bauernverband, welchen Beitrag die Bauernfamilien zur Ernährung der Bevölkerung beitragen. Regionalität und Saisonalität stehen im Vordergrund. Die Ausstellung wurde an der Erlebnismesse Züspa gezeigt. 12Interkultureller Welttisch Mitbringen, teilen und ausprobieren: Menschen aus unterschiedlichen Kulturen boten im GZ Hirzenbach Speisen aus ihrer Heimat an. Die Gäste konnten Essen aus der ganzen Welt probieren – und durch freie Kombinationen ganz neue Gerichte kreieren. Das GZ Hirzenbach und der Verein ExpoTranskultur haben den interkulturellen Welttisch organisiert. 14Konfitüren-Wettbewerb Wie schneidet die eigene hausgemachte Konfitüre im Vergleich mit anderen ab? Eine fünfköpfige professionelle Jury bewertete im Wettbewerb von BioZH im Alterszentrum Kluspark die süssen Brotaufstriche. 14 Mercator Magazin 02 / 15 15 Postenlauf durch Zürich Oft ist uns nicht bewusst, welche Auswirkungen unser Konsum auf Mensch und Umwelt in verschiedenen Teilen der Welt haben. Mit den Stadtführungen ‹Konsum Global› möchte das Ökozentrum auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen, Denkanstösse geben und Alternativen für einen nachhaltigen Konsum aufzeigen. Die Stadtrundgänge werden von jungen Freiwilligen geleitet, die sich zu Regionalgruppen zusammenschliessen und für Interessierte – vor allem Schulklassen – Postenläufe durch Basel, Bern, Baden oder Zürich organisieren. Für ‹Zürich isst› hat sich der Zürcher Stadtführer Jerry Arnold auf Themen rund um die Ernährung konzentriert: Die Teilnehmer sollten vor einem Krämerladen überlegen, was die Inhaltsstoffe auf verschiedenen Lebensmittelpackungen ökologisch bedeuten. Vor einem Kolonialwarenladen breitete der Student eine Weltkarte auf dem Boden aus und diskutierte mit der Gruppe über Arbeitsbedingungen auf Kakaoplantagen. Vor einer Metzgerei inszenierte er eine Diskussionsrunde zum Fleischkonsum: Was spricht dafür, den Fleischkonsum bewusst zu reduzieren? Welche Chancen bietet eine fleischlose Ernährung? Warum bestehen manche auf ihre tägliche Portion Fleisch? Dass die Teilnehmer in den Diskussionen in Rollen schlüpfen mussten, die nicht unbedingt ihrem eigenen Ernährungsstil entsprechen, war eine besondere Herausforderung. Vor einem Backwarengeschäft, das Brot vom Vortag verkauft, vertiefte die Gruppe das Thema Food Waste. Die Teilnehmer sollten Werbeslogans für Lebensmittel entwerfen, die – weil sie unförmig, überreif oder das Mindeshaltbarkeitsdatum überschritten haben – oft im Müll landen. Besonders dieser letzte Posten liess die Gruppe aufhorchen: «Pro Jahr entstehen in der Schweiz 2,3 Millionen Tonnen Food Waste», erklärte Jerry Arnold. «Das entspricht dem Gewicht von 900 Elefanten pro Tag.» 15 schwerpunkt 16 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 16Ein Fest für die Vielfalt Tomate ist nicht gleich Tomate: Über 3500 Besucher degustierten auf dem Stadt-Tomaten-Fest von ProSpecieRara 82 verschiedene Tomatensorten. Sie tauschten Saatgut und erfuhren, warum dieses heute nicht mehr allen gehört. Text / Nicole Egloff Von der ‹Allschwil› über die ‹Gelbe von Thun› und die ‹Schöne von Toggenburg› hin zur ‹Zwetschgentomate Carmen›: Alphabetisch geordnet stehen 82 Tomatensorten an 19 Ständen zum Degustieren bereit. Die Stadtgärtnerei Zürich hat perfekte Arbeit geleistet und die Vielfalt termingerecht für das Stadt-TomatenFest der Stiftung ProSpecieRara produziert, die sich für den Erhalt gefährdeter Kulturpflanzen und Nutztierarten einsetzt. «Ganz einfach war das nicht, wir sind ja kein Gemüseanbaubetrieb», erzählt Andreas Meili, Leiter der Stadtgärtnerei. «Aber es hat Spass gemacht, die Vielfalt der alten Sorten beim Gedeihen zu begleiten.» So sind sie an diesem ersten Sonntag im September schön anzusehen, die riesigen orangepinken Fleischtomaten, die kleinen gelben, birnenförmigen Cherrys und alle Variationen dazwischen. Immer wieder hört man die Besucher auf der Stadthausanlage am Bürkliplatz staunen: «Ich wusste gar nicht, dass es so viele Tomatensorten gibt!» Eine Idee funktioniert Gut besucht ist auch die Saatgut-Tauschbörse: Im Frühling hatten viele Interessierte kostenlos mehrere 1000 Samensäckchen von 50 verschiedenen Tomatensorten auf www.stadt-tomaten.ch bestellt. Möglich gemacht hat dies unter anderem die Unterstützung von Coop, Ricoter sowie der Städte Genf und Lausanne. Die Bestellenden wurden gebeten, ihre Tomaten nicht bloss anzubauen und zu essen, sondern daraus Saatgut zu ernten. Wie dies funktioniert, zeigte ihnen eine Anleitung, die den Kreislauf vom Samen über den Setzling zur Frucht und wieder zum Samen darstellt. Tatsächlich brachten zahlreiche Hobbygärtner ihre selbst gewonnenen Samen zum Stadt-Tomaten-Fest mit, um sie gegen andere Sorten zu tauschen. «Ich könnte laut jubeln, wenn ich sehe, dass so viele Leute mit liebevoll verpackten Samenportionen zu unserer Tauschbörse kommen», freut sich Anna Kornicker, Projektleiterin der Stadt-Tomaten. Während der Tausch von Saatgut früher normal war, ist dies heute nur noch selten möglich. Denn die meisten im Handel erhältlichen Tomatensorten sind Hybrid-Züchtungen. Im Gegensatz zu den ProSpecieRara-Sorten kann man aus ihrer Ernte kein brauchbares Saatgut gewinnen. Um im nächsten Jahr wieder Tomaten anzubauen, muss das Saatgut jeweils neu gekauft werden. Damit steckt hinter dem fröhlichen Stadt-Tomaten-Fest ein ernster Hintergrund: Der Grossteil des Saatguts ist heute nicht mehr frei. Man kann es nicht problemlos vermehren und tauschen. «Saatgut ist heute eine gewinnbringende Ware», sagt Béla Bartha, Geschäftsführer von ProSpecieRara. Heute beherrschen gerade einmal fünf Firmen 95 Prozent des europäischen Gemüsesaatgutmarktes. Sie bestimmen, welche Sorten und Arten gezüchtet werden – und damit letztendlich auch, was wir essen. Gemüsearten, die nicht dem Mainstream entsprechen, verschwinden so rasch aus den Regalen. «Die Vielfalt, die unsere Vorfahren über viele Generationen gezüchtet haben, schwindet rasant», bedauert Béla Bartha. Damit wird unsere Ernährung von wenigen Sorten abhängig. Mit Blick auf klimatische Veränderungen, sich wandelnde Anbaubedingungen oder neue Pflanzenkrankheiten sei das ein grosses Problem. Eine weitere Herausforderung seien Patente auf Eigenschaften in verschiedenen Sorten: «Das macht die Weiterzüchtung für Dritte praktisch unmöglich und schränkt das Angebot weiter ein.» Appell an die Politik Diese Problematik beleuchten François Meienberg von der Erklärung von Bern, Peter Latus vom Bundesamt für Landwirtschaft, Amadeus Zschunke von Sativa Rheinau, Monika Messmer vom Forschungsinstitut für Biologischen Landbau und Béla Bartha von ProSpecieRara in einer Podiumsdiskussion. Die vier Gäste haben verschiedene Sichtweisen auf die Thematik, doch in einem sind sie sich einig: Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz offiziell Stellung gegen Patente auf Leben bezieht, wie dies unter anderem bereits Österreich, Deutschland, Frankreich und die Niederlande getan haben. In einer weiteren Diskussionsrunde kommen die Samenbibliothekarin von ProSpecieRara, Mira Langegger, und drei langjährige Sortenbetreuer zu Wort. Sie sorgen in ihren 17 schwerpunkt zürich isst Tomaten in unterschiedlichsten Formen und Farben können die Besucher probieren. Viele nehmen Samen mit, um ihre Lieblingssorten im eigenen Garten anzubauen. Gärten für das Überleben zahlreicher alter Sorten. Annafried Widmer-Kessler ist eine von ihnen und seit über 20 Jahren dabei: «Damals erhielten mein Mann und ich die allerletzten Samen der Stangenbohne ‹Klapprotts Lila Schecke› zur Vermehrung», erzählt sie. «Wir waren ganz schön aufgeregt, da nun die Verantwortung dieser Sorte in unseren Händen lag. Aber wir haben’s geschafft und betreuen die Sorte heute noch.» Nur Dank engagierter Menschen wie sie kann das Erhaltungssystem von ProSpecieRara funktionieren: Die Vermehrung und Erhaltung der aktuell rund 1500 Garten- und Ackerpflanzen von ProSpecieRara liegt in den Händen von rund 400 freiwilligen Hobbygärtnern. Das Saatgut, das von den Sortenbetreuern und Privatanbieterinnen jeweils Ende des Jahres per Post in den ProSpecieRaraHauptsitz in Basel geliefert werden, wird in einer 18 Mercator Magazin 02 / 15 Samenbibliothek gelagert. Neue Sortenbetreuer zu finden ist entsprechend auch ein mittelfristiges Ziel des Projekts Stadt-Tomaten. Denn erst wenn eine Sorte in drei Gärten regelmässig angebaut wird, gilt sie als ausreichend abgesichert. Nicole Egloff ist Medienverantwortliche bei ProSpecieRara. Kontakt / ProSpecieRara, Anna Kornicker, [email protected] 19 schwerpunkt zürich isst 17Stadtgemüse Auf über 430 Quadratmetern pflanzten Kinder und Jugendliche für ‹Zürich isst› Stadtgemüse in 25 Schulanlagen: Von ProSpecieRara offeriert und von Grün Stadt Zürich gezogen wurden die Setzlinge in den Schulgärten gepflegt. Im September wurde geerntet. Auch auf der Terrasse des Amtshauses Walche wuchs Stadtgemüse. 19Begrünte Spirale Durch die Windungen der Migros-Spirale an der Pfingstweidstrasse wachsen Bäume dem Himmel entgegen. Unzählige Balkonkisten mit essbaren Pflanzen säumen die Rampe der ehemaligen Parkdeck-Auffahrt. Zum 50-Jahre-Jubiläum der Betriebszentrale Herdern und passend zu ‹Zürich isst› hat Migros die Inszenierung ‹Stammbaum› verwirklicht. 18 Friss oder stirb Die Theatergruppe Compagnie nik beleuchtet im Stück ‹Friss oder stirb› das Thema Hunger in all seinen Facetten: Welthunger, Lebensmittelproduktion und Verteilung, Essstörungen, Überfluss und Mangel. Die Abteilung ‹schule&kultur› der Bildungsdirektion des Kantons Zürich hat es Schulen ermöglicht, das Theaterensemble ins eigene Haus zu holen. 22 Mercator Magazin 02 / 15 20 Kür der kartoffelkönigin Wer wird Kartoffelkönigin? Aus zehn alten und seltenen Sorten konnten die Gäste der Stadtgärtnerei an zwei Tagen ihre liebste Knolle wählen. Gewonnen hat Baselbieter Müsli knapp vor Corne de Gatte und Röseler. 100 Kilo Kartoffeln hat das Team von Grün Stadt Zürich für über 100 Gäste gekocht. Weil der Sommer 2015 sehr trocken war, reichte die Ernte in der Stadtgärtnerei nicht für das Kartoffel-Fest. Ein Grossteil der Kartoffeln stammte von einem Biobauern aus Filisur (GR): Auf über 1000 Metern über dem Meer hat er die verschiedenen ProSpecieRara-Sorten angebaut. «Der Boden dort oben ist sandig, fast schwarz. Sie erwärmen sich sehr schnell», erklärt Andreas Meili, Leiter der Stadtgärtnerei. 21 schwerpunkt 24 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 21Genussfahrt Quer durch die Stadt Apfel, Wurst, Brot, Schokolade, Milch – das sind nur fünf von zahlreichen Produkten, die in der Stadt Zürich produziert werden. Das z4i-Tram begab sich auf die Spuren lokaler Lebensmittelherstellung. Literarische Texte machten Lust auf gutes, gesundes Essen. Text / Nadine FIeke Literatur und Genuss hängen eng zusammen. Wer liest, nimmt sich Zeit. Geniesst den Moment, den Ausflug in andere Welten – und in diesen wird wie im echten Leben gegessen, geschlemmt, getafelt und getrunken. «Essen als Motiv kommt in der Literatur in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen vor», erzählt Melanie Katz. Sie steht an einem kleinen Rednerpult mitten im z4i-Tram von Slow Food Youth. Die Sitze sind gefüllt mit Menschen, die mehr über lokale Produkte aus Zürich erfahren wollen. Sie halten kleine Jutebeutel in der Hand. ‹z4i-Tramfahrten› ist in hellem Mintgrün darauf gedruckt. Darin befinden sich ein Apfel, eine Wurst, ein Bio-Dinkelbrötchen, ein Kirschstengeli und ein Stadtmilch-Gutschein. Der Beutel ist ihr Tramticket für die nächsten 1,5 Stunden, durch die Melanie Katz zusammen mit Emanuel Lobeck führt. Die Schriftstellerin und der Gastronomie-Experte sind Mitglieder von Slow Food Youth. Sie haben die kulinarische Tramfahrt entwickelt. Langsam bahnt sich das Tram den Weg vom quirligen Bellevue die Forchstrasse hinauf im Richtung Rehalp. Die Stadt zieht am Fenster vorbei, die Häuser werden kleiner, Gärten häufiger. Von hier oben stammt der Apfel im beigen z4i-Beutel: Im Obstgarten Burghölzli der Psychiatrischen Universitätsklinik stehen 569 Obstbäume. Auf 162 Apfelbäumen wachsen 61 verschiedene Sorten, darunter auch alte und fast vergessene, die mit ökologischen Methoden gepflegt werden. Katz nachdenklich fest, schmeckt nicht mehr so wie früher. Sie zitiert die Schriftstellerin Iris Radisch, die Schneewittchens vergifteten Apfel heute zu Schnäppchenpreisen in jedem Supermarkt sieht. Sie liest aus einem Text des Autors Tex Rubinowitz, der über aromalose Äpfel aus Übersee klagt. «Wenn man genau hinschaut», appelliert Melanie Katz, «finden sie sich, die Bäume mit den alten Apfelsorten.» Von einem solchen Ort, wo Sorten wie die Goldparmänen, Purpurella oder die Reinette Bergamotte wachsen, hat Slow Food Youth Äpfel mitgebracht. Einige Gäste beissen herzhaft hinein. Kehrtwende an der Station Rehalp, zurück in Richtung Bellevue. Die fünf Produkte im z4i-Beutel sind nicht zufällig gewählt. Mit einer Frucht, mit Brot, Fleisch, Milch und einer Süssigkeit wollten die jungen Organisatoren der Tramfahrt die Grundelemente der Ernährung abdecken. Alle Produkte entsprechen dem Nachhaltigkeitskonzept von Slow Food: Sie sind mit Sorgfalt und grösstenteils in Handarbeit produziert, mit Respekt für Ausgangsprodukte, Mensch und Natur. Die z4iTramfahrt soll die Bevölkerung einladen, ihre Stadt als Produktionsstandort für gute Lebensmittel wahrzunehmen. Die Bio-Würste ‹Stadtjäger› und ‹Stadtjägerli› gehören dazu: Die gesamte Verarbeitung, Veredelung und Trocknung der Wurst findet innerhalb der Zürcher Stadtgrenzen statt. «Der Apfel ist das Symbol für Verführung, Vergiftung, aber auch der Unschuld und des Herbstes», erzählt Melanie Katz. Sie liest während der Tramfahrt immer wieder Auszüge aus literarischen Texten vor – passend zu den vorgestellten Produkten. «Das gute Lebensmittel braucht Zeit», bemerkt sie. «Es ist regional, saisonal und nachhaltig produziert.» Und vor allem habe es Geschmack. Doch der Apfel, stellt Melanie Sondertram durch Zürich: Auf der Fahrt können die Gäste verschiedene lokale Produkte probieren. 25 schwerpunkt zürich isst «Was ist eine gute Wurst?», fragt András Németh, Geschäftsführer des Marktladens ‹Berg und Tal›. Auf die Herkunft des Fleischs komme es an, auf den Inhalt, die Verarbeitung, den Geschmack. «Der Stadtjäger ist eine besondere Wurst.» Eigentlich wollte der Hersteller sich und seine Arbeit selbst vorstellen. Da Mika Lanz jedoch krank war, übernahm mit András Németh jemand das Mikrofon, der die Zürcher Bio-Wurst mit Überzeugung verkauft. «Die Vision von Mika war es, die Wurst der Stadt zu machen», erinnert der Spezialist für nachhaltige und regionale Lebensmittel an die Anfänge des Stadtjägers. In seinen Würsten verarbeitet Mika Lanz Stadtschweine vom Waidhof in Zürich-Seebach ganz, womit auch edelste Fleischstücke in sein Produkt kommen. Das Geschmacksgeheimnis ist zudem eine Rezeptur mit Rotwein, Salz, Grappa und verschiedenen Gewürzen. Chili prägt den Stadtjäger, das bleistiftdicke Stadtjägerli ist milder. «Packen Sie die Wurst aus, riechen Sie daran», ermuntert András Németh. Folie knistert, ein würziger, verführerischer Geruch zieht durchs Tram. «Vor wenigen Minuten war die beste, saftigste Wurst noch leibhaftig da», liest Melanie Katz aus Robert Walsers Werk ‹Die Wurst›. Der Ich-Erzähler beklagt Seite um Seite den Verlust seiner krachenden, wohlriechenden, appetitlichen Wurst, die er voreilig – wenn auch genussvoll – verschlungen hat. «Bitte die Wurst noch nicht essen!», unterbricht Emanuel Lobeck immer wieder die Lesung. Doch kaum einer kann lange widerstehen. Da geht es den Tramfahrern wie dem Wurst-Vertilger aus der Erzählung. Das z4i-Tram rollt die Forchstrasse hinunter, vorbei am Tram-Museum, zurück in Richtung Bellevue. Einen Kilometer Luftlinie entfernt, unten am Zürichsee, befindet sich ein anderes Museum: das Mühlerama. In den Räumen der ehemaligen Hürlimann-Brauerei wird 26 Mercator Magazin 02 / 15 seit 1913 Mehl gemahlen. 1983 wurde die Produktion der Mühle in den Kanton Luzern verlegt. In der ehemaligen Mühle Tiefenbrunnen entstanden Wohnungen, Büros, Läden, ein Restaurant, ein Theater – und das Museum, in dem eine Dauerausstellung die Geschichte des Getreides zeigt und sich wechselnde Sonderausstellungen der Ess- und Trinkkultur widmen. Die industriegeschichtlich bedeutende Mühle wurde erhalten. Sie produziert noch heute jährlich mehrere Tonnen Halbweiss- und Ruchmehl, das im Museumsshop verkauft wird. Und jeden Freitag wird im Mühlerama Brot verkauft. Brot wie das im z4i-Tram-Beutel. «Brot galt lange als Grundnahrungsmittel und spielt auch heute noch eine prominente Rolle in der schweizerischen Küche», sagt Emanuel Lobeck. Er persönlich misst die Qualität eines Restaurants an der Qualität seines Brotes. Als Melanie Katz ein Buch von Wolfgang Borchert zur Hand nimmt und aus der in der Nachkriegszeit spielenden Kurzgeschichte ‹Das Brot› liest, wird deutlich, dass Brot vor gar nicht allzu langer Zeit auch hierzulande von grossem Wert war. «Einem Wert, den wir unter Umständen manchmal unterschätzen», gibt Emanuel Lobeck zu bedenken. Fraumünster und Grossmünster hat das Tram hinter sich gelassen, es fährt den Limmatquai hinauf. Früher gab es hier eine Fleischhalle, die Altstadt war geprägt von Märkten und einem florierenden Einzelhandel mit Lebensmitteln und Feinkost. Familie Schwerzmann, bekannt für ihre handgemachten Kirschstengeli, hat ihren Produktionsstandort seit drei Generationen in der Oberdorfstrasse. Eine Besonderheit der Schokoladenspezialität: Die übliche Zuckerkruste fehlt. So schmecken die Kirschstengeli nur nach Schokolade und der alkoholischen Füllung aus Schweizer Früchten. Das Herstellungsverfahren ist ein wohl gehütetes Familiengeheimnis. Eine Helferin von Slow Food Youth wandert mit einem Korb voll Schokolade durch die Reihen. Kinder und Personen, die gerne auf Alkoholisches verzichten möchten, können die Kirschstengeli gegen Schokoladen-Taucherli eintauschen. Und diese lassen sich nicht nur lutschen, sondern auch in warme Milch tauchen. «Milch, das schreibt der Literaturwissenschaftler Florian Werner, ist in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderer Saft», erzählt Michaela Katz. Sie gebe Kraft, mache starke Knochen. Und weil es ohne die Kuh keine Milch gibt, liest sie aus dem Tierskizzenbüchlein des Schriftstellers Hellmut von Cube vor, in der er liebevoll die Sanftmut, die Geduld, das Staunen im Blick der runden, dunklen Augen dieser ruhigen Tiere beschreibt. «Die Geschichte der Stadtmilch hat auf dem Hönggerberg angefangen», erinnert sich Flurin Conradin, als er ans Rednerpult tritt. Er hatte dort einen Milchautomaten entdeckt und wollte seither nur noch da seine Milch kaufen. «Als ich irgendwann wieder einmal verschwitzt mit dem Velo oben angekommen bin, habe ich mir gesagt: Der Milchautomat müsste eigentlich unten in der Stadt stehen.» Die Idee war im Kopf, im Herbst 2014 stellte er ein ‹Milchhüsli› in die Markthalle im Viadukt, wo man sich Milch in eine Glasflasche abfüllen kann. Die Milch stammt vom Hof Längimoos in Rüschlikon, fünf Kilometer von der Zürcher Stadtgrenze entfernt. Die Stadtmilch-Kühe sind nicht enthornt, sie verbringen die meiste Zeit auf der Weide und fressen nur, was auf dem Hof angebaut wird. Mit seiner Stadtmilch möchte Flurin Conradin die Konsumenten dafür sensibilisieren, was artgerechte Tierhaltung bedeutet. Gleichzeitig möchte er den Produzenten zeigen, wie sie ihre Milch besser vermarkten können. Seinem Produzenten könne er durch eine alternative Wertschöpfungskette einen fairen Preis zahlen, erzählt der Initiant der Stadtmilch. Genüsslich probieren die Zuhörer die Milch, auf der Rahm schwimmt, wenn man sie stehen lässt. «Milch wie früher», sagt Flurin Conradin stolz. Er ist ein moderner Milchmann – ganz anders als der aus dem Werk von Peter Bichsel, den Michaela Katz mit ruhiger Stimme zum Leben erweckt. Das Tram verlässt den Escher-Wyss-Platz und rollt am Viadukt vorbei. Dem Ort, wo der Stadtmilch-Automat steht und der Marktladen ‹Berg und Tal› regionale und nachhaltige Produkte verkauft. Über Limmatplatz, Bahnhofsquai und Bahnhofstrasse geht es zurück zum Bellevue. Nicht nur Äpfel, Brot, Wurst, Schokolade und Milch werden in Zürich produziert. Die Angebote sind vielfältig: Bier, Suppen, Sirup, Konfitüre, Wein, Honig, Gemüse… In der ganzen Stadt werden Lebensmittel angebaut, hergestellt und verkauft. z4i-Tramfahrer, die noch mehr über lokale Produkte erfahren möchten, haben mit dem Büchlein ‹Zürich by Food› von Martin Walker eine Hilfe für eigene kulinarische Entdeckungstouren an die Hand bekommen. Melanie Katz serviert während der Fahrt literarische Häppchen aus der deutschsprachigen Literatur. Kontakt / Slow Food Youth, Emanuel Lobeck, [email protected] 27 schwerpunkt zürich isst 22Brunnentour durch die Altstadt 1224 Brunnen verschönern die Stadt Zürich – und aus allen sprudelt Trinkwasser. 70 Prozent des Züriwassers stammen aus dem Zürichsee, 15 Prozent sind Quellwasser, der Rest ist Grundwasser. Ein 1500 Kilometer langes Leitungsnetz versorgt die Haushalte mit Wasser. Die Wasserversorgung der Stadt Zürich vermittelte auf einem Rundgang durch die Altstadt Wissenswertes zu Geschichte und Kultur der Zürcher Brunnen. 24Historischer Rundgang Was wir essen und trinken, die Zubereitung der Speisen und die Sitten bei Tisch ändern sich im Laufe der Zeit. Produktion und Konsum von Lebensmitteln spiegeln die unterschiedlichen Rollen von Frauen und Männern in der Gesellschaft wider: Das Bier und das Schlachten zum Beispiel waren Männersache, während die Vegetarier-Bewegung stark von Frauen geprägt wurde. Der Verein Frauenstadtrundgang Zürich entführte zum historischen Rundgang ‹Zapfhahn und Suppenhuhn›. 23Schwimmende Ausstellung Wie verhalten sich Fische in der Wildbahn? Wie steht es um die Überfischung? Ist Aquakultur eine Alternative zu Wildfang? Wie kann ich bewusst und nachhaltig Fisch geniessen? Diese und andere Fragen griff die schwimmende Ausstellung ‹fair fish geht baden› im Seebad Enge auf. 28 Mercator Magazin 02 / 15 25Rallye durch den Schülergarten Nach der Schule kommt eine Gruppe Kinder regelmässig in den Schülergarten an der Aemtlerstrasse. Mit biologischen Methoden bauen die Kinder in ihren eigenen Beeten Gemüse an. Dabei lernen sie die Kreisläufe der Natur kennen. Was sie ernten, können die Kinder mit nach Hause nehmen. An einem Tag der offenen Tür gab der Garten an der Aemtlerstrasse, der zur Gesellschaft für Schülergärten der Stadt Zürich gehört, Einblicke in seine Arbeit. Die Gäste machten eine Wildkräuter-Rallye und lernten Interessantes über Heilkräuter, die in einem kleinen Beet angepflanzt sind. Stolz zeigten die Gartenkinder den Besuchern auch die Hühnerschar, die auf dem Gelände lebt. 29 schwerpunkt 30 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 26 2000 neue Geschmäcker In vielen Teilen der Welt gehören Insekten ganz selbstverständlich auf den Speiseplan. Sobre Mesa und der Verein essento gaben Einblicke in die Welt der Speiseinsekten und ermöglichten neue kulinarische Erfahrungen. Text / Nadine FIeke Insekten essen? Während dieser Gedanke in unseren Breiten für Stirnrunzeln sorgt, läuft zwei Milliarden Menschen auf der Welt das Wasser im Mund zusammen. Knusprig angebraten, mit Chili, Curry oder Essig gewürzt: In vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gelten Insekten als Delikatessen. «Insekten ermöglichen neue, überraschende Geschmäcker», schwärmt Christian Bärtsch. Nussig, honigoder zitronenartig – die Geschmackspalette ist bei über 2000 essbaren Insekten breit. Schon während seines Studiums an der Universität St. Gallen hat sich Christian Bärtsch mit Fragen der nachhaltigen Ernährung auseinandergesetzt. Auf Reisen lernte er Speiseinsekten kennen und damit eine ökologische Alternative zum Fleisch, für die er sich als CoGründer des Vereins essento seit 2013 einsetzt. Schokolade, Pasta und Mehlwürmer Die Initiative ‹Sobre Mesa› hat den Verein essento eingeladen, an einem Genussabend im BachserMärt die Welt der Speiseinsekten vorzustellen. Christian Bärtsch zeigt 25 Gästen, wie Insekten an anderen Orten der Welt gegessen werden. Er erklärt, wie essento für den europäischen Markt aus Insekten Burger und Desserts entwickelt. Wie Insekten schmecken, soll die Gruppe gleich selbst erfahren. Erwartungsvoll sitzen die Gäste um einen langen Holztisch im gemütlichen Zürcher Quartierladen für nachhaltige Lebensmittel. Links und rechts von ihnen stehen deckenhohe Regale mit Tee, Wein, Bier, Schokolade, Pasta. Auf ein Tuch an der Wand sind drei Delikatessen projiziert, die es nach Überzeugung von essento bald in die Schweizer Lebensmittelregale schaffen sollten: Acheta domesticus (Heimchen), Tenebrio molitor (Mehlwürmer) und Locusta migratoria (Wanderheuschrecke). «Insekten sind gesund, nachhaltig und lecker», sagt Christian Bärtsch. Proteine und Nährstoffe seien hochwertig und mit Fisch oder Fleisch vergleichbar. Und nicht zu vergessen die nachhaltige Produktion – neben dem Geschmack für essento ein zentrales Argument für Insekten: «Die Zucht von Insekten erzeugt deutlich weniger Treibhausgase als die Produktion von anderen tierischen Proteinen», erklärt Christian Bärtsch. Der Bedarf an Wasser, Nutzfläche und auch an Futtermitteln sei gering. So können Insekten zwei Kilo Futter in ein Kilo Körpermasse umwandeln. Rinder brauchen acht Kilo Futter für ein Kilo Fleisch. «Fleisch essen war noch nie so nachhaltig.» Sind Insekten das Fleisch der Zukunft? Christian Bärtsch sieht grosses Potenzial in der Entomophagie, wie das Essen von Insekten im Fachjargon heisst. In Belgien und den Niederlanden sind Insekten bereits legal im Supermarkt erhältlich. In der Schweiz könnte dies ab 2017 mit einer neuen Lebensmittelverordnung möglich sein. Doch es bleibt die kulturelle Hürde: «Wir sind es nicht gewohnt, Insekten zu essen», sagt Christian Bärtsch. Doch die Nachfrage steigt. Das zeigt auch dieser Abend: Genussvoll greifen die Gäste zu, füllen krosse Mehlwürmer in ihre Handflächen, führen sie zum Mund. Nur eine Besucherin kann sich nicht überwinden. Bei ihr ist nach den Crostini mit einer Insekten-Gemüse-Paste Schluss. Diese Erfahrung macht das Team von essento oft bei Probeessen ihrer Produktentwicklungen: «Die Hemmschwelle ist tiefer, wenn die Insekten verarbeitet sind», sagt Christian Bärtsch. Nach einem Vortrag probieren die Gäste knusprige Insekten. 31 schwerpunkt zürich isst Laura Schälchli bringt an ihren Veranstaltungen im Quartierladen BachserMärt Genuss und Nachhaltigkeit zusammen. Zurück zum Genuss Essen ist mehr als ein Grundbedürfnis, es ist Genuss. Doch unsere Ernährung wirft auch politische und moralische Fragen auf: Woher stammen unsere Lebensmittel? Welche Auswirkungen hat unser Konsum für die Umwelt, für die Produzenten? Welches Zeichen setzen wir mit unserem Essen? Mit der Initiative ‹Sobre Mesa› möchte Laura Schälchli Wissen zur Ernährung vermitteln. Die junge Frau will Genuss und Nachhaltigkeit verbinden. Dabei folgt sie der Philosophie der Slow-Food-Bewegung, die sich für gute, saubere und fair produzierte Lebensmittel stark macht. Regelmässig nach Ladenschluss verwandelt Laura Schälchli den BachserMärt in der Zürcher Kalkbreite in einen Ort für Begegnungen rund um Esskultur: Sie organisiert den Weinkurs ‹Schöner saufen›, entführt in die Welt der südostasiatischen Gewürze, bringt mit der ‹Welsch-Anschauung› Wein und Wurst aus biologischer Kleinproduktion zusammen. Und im Rahmen von ‹Zürich isst› ermöglichte sie kulinarische Einblicke in die Welt der Speiseinsekten. 32 Mercator Magazin 02 / 15 Frau Schälchli, müssen wir künftig Insekten essen, um uns nachhaltig zu ernähren? Manche ernähren sich aus einem Nachhaltigkeitsgedanken vegetarisch oder vegan. Andere reduzieren bewusst ihren Fleischkonsum. Und wieder andere werden in Zukunft vielleicht Insekten essen. Ich würde nie jemandem sagen, was er essen muss. Ich möchte einfach die verschiedenen Möglichkeiten aufzeigen, wie man sich nachhaltig und fair ernähren kann. Am Ende ist es eine persönliche Entscheidung, was wir essen. Fest steht jedoch: Insekten sind eine ökologische Proteinquelle, über die wir uns Gedanken machen sollten. Wie haben Ihnen die Insekten geschmeckt? Sie waren zwar keine Geschmacksbomben, aber ihre Nussigkeit fand ich sehr interessant. Ich denke, Insekten können ein guter Geschmacksträger sein, um ein Gericht zu unterstützen. Welche Chancen sehen Sie, dass sich Insekten auf unserem Speiseplan durchsetzen? Das wird wohl noch sehr lange dauern. Wir haben den Bezug zu Insekten als Lebensmittel verloren, obwohl historisch gesehen auch in Europa Insekten gegessen wurden. Wenn man Insekten kulturell wieder in unsere Gesellschaft integrieren könnte, würde es funktionieren. Nur weil etwas nachhaltig ist, setzt es sich nicht durch. Was ist für Sie gutes Essen? Essen ist etwas, das verbindet. Deshalb kommt es mir bei einem guten Essen immer auch auf die sozialen Aspekte an: Wie esse ich? Zusammen mit Freunden und Familie? Sitzen wir zusammen an einem grossen Tisch? Gleichzeitig muss das Essen sauber und fair sein: Wie wird das Essen produziert? Belastet es die Umwelt und unseren Körper? Wer hat das Essen produziert? Unter welchen Bedingungen? Gutes, sauberes und faires Essen – das sind auch die Grundsätze der Slow-Food-Bewegung. Wenn ich meine Produkte auf dem Markt, direkt beim Produzenten kaufe, bezahle ich dafür zwar oft mehr. Aber ich weiss, dass die Produkte eine hohe Qualität haben, dass ich die Umwelt damit nicht so belaste, dass ich dem Produzenten mit Respekt begegne. Gutes Essen ist für mich auch sehr simples Essen. Und trotzdem habe ich immer das Gefühl, ich esse wie eine Königin. Woher kommt Ihre Leidenschaft für gutes, nachhaltiges Essen? Ich habe zehn Jahre in New York gelebt. Dort bin ich auf unser Lebensmittelsystem aufmerksam geworden, das einfach nicht funktioniert. Je weiter man in New York mit der U-Bahn fährt, desto dicker werden die Leute. Es gibt Stadtteile, in denen es kaum Möglichkeiten gibt, Frischwaren zu kaufen. Alles ist abgepackt und industriell produziert. Doch das macht uns und unsere Umwelt kaputt. Ich habe das als so extrem empfunden, dass ich angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich wurde bei Slow Food aktiv, habe mich in einer Landwirtschaftskooperative engagiert. Ich habe damals in New York Design Management studiert und eine Zeit lang in diesem Bereich gearbeitet, aber bald gemerkt: Ich muss meine Arbeit wechseln. So habe ich in Italien an der Slow Food Universität für gastronomische Wissenschaften ‹Food, Kultur und Kommunikation› studiert. Heute mache ich Catering und Pop-up-Restaurants. Vor einem Jahr habe ich Sobre Mesa gegründet und organisiere Events und Begegnungen rund um Esskultur. Was möchten Sie mit ihren Projekten erreichen? Ich möchte den bewussten Genuss fördern. Ich möchte die Leute ermutigen, sich mehr Gedanken darüber zu machen, was sie essen und was das für andere Menschen und für die Umwelt bedeutet. Essen ist ein sehr politischer Akt. Viele Leute sind sich dessen nicht bewusst. Das würde ich gerne ändern. Wie wollen Sie das erreichen? Für mich steht dabei immer die Lust und Freude am Essen und Trinken im Zentrum. Viele essen und trinken ohne ein Bewusstsein dafür, was dahinter steckt. Ich möchte den Leuten zeigen: Das alles sind landwirtschaftliche Produkte, die mit viel Know-how von den Produzenten hergestellt wurden. Ich möchte Respekt zum Produkt und zum Produzenten aufbauen. Wenn ein Konsument den Produzenten kennt, der hinter einem Produkt steckt, bekommt er einen anderen Bezug zum Essen. Man ist bereit, mehr für gutes und nachhaltiges Essen zu bezahlen. Und man wirft weniger Lebensmittel weg. Wenn ich weiss, wer das Produkt angebaut oder gebacken hat, lasse ich es nicht so schnell im Kühlschrank schlecht werden. Hood Food ist neben Sobre Mesa ein aktuelles Projekt von Ihnen. Was steckt dahinter? Mit unserem Pop-up-Restaurant wollen wir Produkte aus der Umgebung überraschend zubereiten. Im April 2015 haben wir eine Frühlingsmetzgete gefeiert. Dafür haben wir das Schwein komplett verarbeitet und eine alte Tradition frisch interpretiert. Uns ging es auch darum zu zeigen, dass das ganze Jahr über geschlachtet wird – und nicht nur im Herbst, wenn viele Restaurants die Metzgete auf ihre Karte nehmen. Die meiste Zeit des Jahres werfen wir den Grossteil vom Tier einfach weg oder machen daraus Tierfutter. Das ist eine grosse Verschwendung. Bevor wir darüber nachdenken, Insekten zu essen, sollten wir vielleicht anfangen, alles vom Tier zu verwerten. Kontakt / Sobre Mesa, Laura Schälchli, [email protected] 31 schwerpunkt zürich isst 28Tauschmarkt Es wurde getauscht, was der eigene Garten hergab: Beim Tauschmarkt wechselten Gemüse, Früchte, Kräuter und Selbstgemachtes wie Konfitüren oder Sirup die Besitzer. Mit ihrem Tauschmarkt sorgten BioZH, IN-FINITUDE und der Quartiertreff Hirslanden für mehr Vielfalt im Vorratsschrank. 27Züriwasser-Bar Aus sämtlichen Wasserhähnen der Stadt sprudelt jederzeit hervorragendes Züriwasser. An einem Infostand der Wasserversorgung der Stadt Zürich konnten die Passanten im Shopville des Hauptbahnhofs nicht nur Wasser kosten. Sie erfuhren, wie aus Zürichsee-Wasser einwandfreies Trinkwasser wird. 29Ernährung in Kinderbüchern Das Thema Ernährung ist in der Kinder- und Jugendliteratur ein wichtiges Element: Es wird gegessen und genossen, geschlemmt, getrunken und verschlungen. Das Schweizerische Institut für Kinder- und Jugendmedien (SIKJM) hat für ‹Zürich isst› Bücher zum Thema zusammengestellt. Zudem hat es in verschiedenen Vitrinen seiner Bibliothek historische Kinder- und Puppenkochbücher ausgestellt. 34 Mercator Magazin 02 / 15 30 Food Waste – Die Ausstellung Wie viele Lebensmittel landen eigentlich im Abfall? Wieso verbraucht jede und jeder von uns 4000 Liter Wasser am Tag? Und was sind die kleinen Heldentaten im Alltag, die dazu beitragen, dass wir weniger Lebensmittel wegwerfen? Die interaktive Ausstellung von foodwaste.ch im Shopville gab Antworten. «Uns freut es, dass viele Schulklassen unsere Ausstellung besucht haben und wir so besonders viele Jugendliche für einen reflektierten Umgang mit Lebensmitteln sensibilisieren konnten», sagt Dominique Senn, Geschäftsführerin von foodwaste.ch. Die Jugendlichen wurden in kleinen Gruppen durch die Ausstellung geführt, wo ihr aktives Mitwirken und ihre Ideen gefragt waren. So sollten sie zum Beispiel aus Lebensmittelresten, die als Fotos in Tupperdosen zu finden waren, kreative Menüs zusammenstellen. An einer Magnetwand waren sie aufgefordert, Einkäufe richtig in Kühlschrank, Regal und Brotkorb zu versorgen. Auf diese Weise erfuhren sie unter anderem, warum sich Tomaten und Salat nicht vertragen. Hinter Klappen an einer Wand zum Thema Einkaufen entdeckten sie Tipps für den Alltag. 35 schwerpunkt 36 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 31Gemüse, Kunst und Interviews Wir essen jeden Tag. Doch woher kommen eigentlich unsere Lebensmittel? Eine Schulklasse untersuchte im Forschungslabor ‹Stadt! Pflanzen! Los!› die eigene Ernährung und die biologische Landwirtschaft am Stadtrand. Text / Nadine FIeke Mit ganzer Kraft ziehen die Kinder am Rotkohl. Langsam löst sich das Gemüse aus dem Boden – und mit einem Ruck halten sie es in der Hand. Die Wurzeln sind mit Erde verklebt. Grosse grün-violette Blätter stehen in alle Richtungen ab. Noch ähnelt der Rotkohl so gar nicht dem, was die Schüler aus dem Supermarkt kennen. Einen Kohl nach dem anderen holen sie aus der Erde. «75 sind es jetzt!», ruft ein Junge und wartet neben der Schubkarre auf die fehlenden fünf Stück. Die Klasse 4a des Zürcher Schulhauses Bühl beschäftigt sich im Forschungslabor ‹Stadt! Pflanzen! Los!› intensiv mit dem Thema Ernährung. Und dabei ist die Ernte eine wichtige Erfahrung. Was essen wir eigentlich den ganzen Tag? Woher kommen unsere Lebensmittel? Wie werden sie angebaut? Wie kommen sie zu uns? Wie kochen wir nachhaltig? «Diese Themen stehen auch auf dem Lehrplan», sagt Klassenlehrerin Andrea Maier. Statt die Fragen nur theoretisch zu behandeln, hat ihre Klasse die Chance, sich aktiv mit diesen auseinanderzusetzen. An sieben Tagen, auf drei Wochen verteilt, arbeiten die Theater- und Kunstvermittlerin Grit Röser und die Expertin für Bildung für Nachhaltige Entwicklung Anna Schmuki vom Verein wolkenkratzerkombinat mit den Primarschülern zusammen. Sie verlegen einige Lektionen auf den Pflanzplatz Dunkelhölzli am Stadtrand von Zürich und ermutigen die Kinder, sich künstlerisch-forschend Fragen der Ernährung zu nähern. «Dieser Ansatz ist neu», freut sich Andrés Rando, der zweite Klassenlehrer der Kinder. schen die Kinder den Pflanzplatz ästhetisch. Welche Farben und Formen erkennen sie? Was bestimmt das Aussehen ihres Lieblingsgemüses? Und schliesslich treffen sie auf Menschen, die Gemüse anbauen und vertreiben. In Interviews mit den Gartenexperten und Genossenschaftlern lernen die Kinder viel über die biologische Landwirtschaft in der Stadt und über die Arbeit der Gartenkooperative. Sie erfahren, warum sich Leute zusammenschliessen, um eigenes Gemüse zu produzieren. Sie überlegen, warum es solche Alternativen zu herkömmlichen Produktionsprozessen gibt, worin die Unterschiede bestehen. «Es ist spannend zu beobachten, wie sich die Erwachsenen auf die Fragen der Kinder einlassen und wie sie ihre Erklärungen der kindlichen Neugier anpassen», erzählt Grit Röser. Künstlerische Umsetzung Ihre Forschungsergebnisse setzen die Schülerinnen und Schüler künstlerisch um. Sie werden am letzten Projekttag im Rahmen eines grossen Abschlussessens den Familien präsentiert. Auf Tischtüchern und Menükarten entstehen bunte Gemüsedrucke. Die Kinder erarbeiten kurze Theatersequenzen, die ihre Erlebnisse und Erkenntnisse zusammenfassen. «Das erlaubt es den Kindern, das Gelernte zu verarbeiten und zu verinnerlichen», erklärt Grit Röser. Die Verbindung von Kunst und aktuellen Themen ist es, was die Forschungslabore ausmacht: «In künstlerischen Prozessen lernen Kinder, sich auf Unbekanntes einzulassen», sagt die Kunstvermittlerin. Sie sind Dokumentation in Tagebüchern Bunt gestaltete Forschungstagebücher begleiten die Kinder durch das Projekt. Darin dokumentieren sie ihre vielfältigen Erkenntnisse. Sie überlegen, welches Gemüse und Obst in dem steckt, was sie täglich essen – und zeichnen diese: In Spaghetti Bolognese sind Tomaten, in Rösti sind Kartoffeln, in einem Schinkenbrot haben sie eine Essiggurke entdeckt, in den Cornflakes lassen sich getrocknete Erdbeeren erahnen. Beim Ausflug zur Gartenkooperative erforWas hinter der Produktion von Lebensmitteln steckt, erfahren die Kinder bei der Ernte am Stadtrand von Zürich. 37 schwerpunkt zürich isst Fürs gemeinsame Abschlussessen bedrucken die Kinder Tischdecken mit bunten Gemüse-Mustern. Die Zutaten für das Menü haben sie selbst geerntet. 38 Mercator Magazin 02 / 15 gefordert, gemeinsam Lösungen zu entwickeln, sich abzustimmen, Kompromisse zu finden. So passiere auch viel auf der sozialen Ebene. Gleichzeitig erlauben die Künste es, sich Fragestellungen aus einer anderen Perspektive zu nähern und eine neue Wahrnehmung für die Thematik zu entwickeln. Und das Wissen, die Ergebnisse ihren Familien präsentieren zu dürfen, wirkt motivierend, stellt der Lehrer Andrés Rando fest: «Die Kinder sind sehr engagiert und strengen sich an.» Ernte fürs Abschlussfest Es bleibt noch ein Tag bis zur Abschlusspräsentation. Es regnet, der Boden ist matschig, die Finger sind dreckig und kalt. Doch die Kinder packen begeistert an, um die Zutaten für das grosse Abschlussessen zu ernten. «Wann hat man schon einmal die Chance, eine Ernte zu erleben?», fragt Lehrerin Andrea Maier zufrieden. Auf einer Seite des Felds ernten die Kinder Rotkohl, auf der anderen Lauch und Petersilie. Sie laufen hin und her, bringen Gemüse und Kräuter hinter das Haus, wo ihre Klassenkameraden bereits damit begonnen haben, den Kohl zu entblättern und die violetten Kohlköpfe in grüne Gemüsekisten zu legen. Morgen wird zusammen ein Dreigang-Menü gekocht. Saisonal und biologisch. Was das bedeutet, haben die Kinder im Forschungslabor gelernt. «Die Ernährung ist ein Alltagsthema, es betrifft die Lebenswelt der Kinder», sagt Andrés Rando. Dem Lehrer ist es wichtig, dass sich seine Schüler aktiv damit auseinandersetzen, woher ihr Essen kommt. Nicht nur den künstlerischen Ansatz schätzt er am Projekt – auch den forschenden: Die Kinder lernen, genau zu beobachten, die richtigen Fragen zu stellen und ihre Erkenntnisse zu dokumentieren. Auf diese Erfahrungen möchte der Lehrer aufbauen. Nächstes Jahr wird er den Schülergarten in den Unterricht einbeziehen. «In Arbeitsgruppen sollen die Kinder jeweils eine Parzelle beobachten – und so über ein Jahr den gesamten Wachstumszyklus von Pflanzen erleben und beschreiben.» Kontakt / wolkenkratzerkombinat, Grit Röser, [email protected] 39 schwerpunkt 40 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 32Städtische Ernährungssysteme Viele Städte wollen ihre Lebensmittelversorgung nachhaltiger gestalten. Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) dachte mit dem Publikum über Ernährungssysteme von Städten auf dem Weg zur Nachhaltigkeit nach. 33 Versorgung von Städten mit Lebensmitteln Wie viel landwirtschaftliche Fläche braucht es, um eine Stadt zu versorgen? Das FiBL gab an einem Vortragsabend Denkanstösse zur Bedeutung der Ernährungssouveränität von Städten. Text / Otto Schmid Lokal erzeugte Lebensmittel sind immer mehr Menschen wichtig. Für Städte ist das eine Herausforderung: Sie haben nicht genug landwirtschaftliche Flächen. Wie viel Fläche für die Versorgung einer Stadt benötigt wird, hängt vom Ernährungsstil, vom Kalorienbedarf, von den Lebensmittelabfällen und von der Bewirtschaftungsweise ab. Allgemein gültige Schätzungen zu Ernährungsflächen für Städte gibt es nicht. Modellberechnungen für Zürich, Basel, Rennes und Strassburg erlauben eine europäische Perspektive: Pro Person braucht es 0,15 bis 0,35 Hektar für die Ernährung mit den wichtigsten Lebensmitteln. Auf die Stadt Zürich hochgerechnet heisst das: Es werden insgesamt 60 000 bis 140 000 Hektar benötigt, um die rund 400 000 Einwohner zu versorgen. Der Fleischanteil in der Ernährung hat grosse Auswirkungen auf den Flächenbedarf. Im Fall von Zürich würde bei einer rein vegetarischen Ernährung der Bevölkerung bis zu sechs Mal weniger Land benötigt. Zürich kann auf den städtischen landwirtschaftlichen Flächen nur zwei bis vier Prozent der benötigten Lebensmittel selbst produzieren. Würde es im Fall einer Krisensituation nötig, mehr Flächen in der Stadt für den Anbau von Lebensmitteln zu verwenden, könnten zu den auf dem Stadtgebiet vorhandenen 849 Hektar landwirtschaftlich nutzbaren Flächen zusätzlich 363 Hektar Grünflächen rekultiviert und 160 Hektar Parks für Fruchtbäume genutzt werden. Diese Massnahmen würden den Selbstversorgungsgrad um bis zu 2,5 Prozent erhöhen. Zusätzliches Potenzial bieten Dachflächen und Urban Gardening. Trotz der geringen Selbstversorgung durch die landwirtschaftlichen Flächen in der Stadt ist es sinnvoll, Grünflächen und Kulturland beizubehalten: Sie tragen zu Erholung und Lebensqualität bei. Heidrun Moschitz und Otto Schmid beleuchten in ihren Referaten aktuelle Fragen der Lebensmittelversorgung von Städten. Verschiedene Städte Europas suchen nach Möglichkeiten, ihre Lebensmittelversorgung wieder lokaler und vor allem nachhaltiger zu gestalten: In Bristol wurde auf Anregung von gesellschaftlichen Gruppen ein Ernährungsrat gegründet. Darin arbeiten die lokale Lebensmittelindustrie, Urban-Gardening- und Food-Waste-Initiativen, die Stadtbehörde und Hochschulen gemeinsam an Lösungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem. Andere Städte wie Vancouver, Gent, Brighton & Hove haben Ernährungsstrategien erarbeitet. Kopenhagen und Malmö fördern als Teil eines nationalen Bio-Aktionsplans den Einkauf von biologischen Produkten für die öffentliche Verpflegung. In Rotterdam ist zur Verminderung von Lebensmittelabfällen eine vorbildliche Initiative entstanden: Ein Kleinunternehmen produziert in einem ehemaligen Hallenbad Speisepilze auf Kaffeeabfällen, die per Velokurier von Cafés abgeholt werden. In Rotterdam wurde ausserdem eine über zwei Hektar grosse Fläche auf einem ehemaligen Bahnhofsgelände in einen Agro-Park mit ökologischer Landwirtschaft, Bildungszentrum und Restaurant umgewandelt. So unterschiedlich diese Projekte sind, sie zeigen, dass die Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung, Wirtschaftsakteuren und zivilgesellschaftlichen Gruppen auch für andere Städte vielversprechend sein können, um ihre Versorgung nachhaltiger zu gestalten: Diese Zusammenarbeit generiert neue Ideen. Finanzielle Förderungen und die Zurverfügungstellung von öffentlichem Raum und Infrastruktur ermöglichen innovative Projekte. Stadtverwaltungen können durch eine nachhaltige öffentliche Lebensmittelbeschaffung und eine Koordination der Aktivitäten ihrer verschiedenen Abteilungen das Thema voranbringen. Und nicht zuletzt kann die Bevölkerung durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten für die Bedeutung einer nachhaltigen Ernährung sensibilisiert werden. Kontakt / FiBL, Otto Schmid, [email protected] 41 schwerpunkt zürich isst 34Die Kuh und der Astronaut Modernste Technik für das Tierwohl: Auf dem städtischen Juchhof bestimmen die 75 Kühe selbst, wann sie sich vom Melkroboter ‹Astronaut› melken lassen wollen. Betriebsleiter Donat Streuli gab der Besuchergruppe der ‹Nahreisen› Einblicke in die Arbeit auf dem Hof und zeigte, wie die Maschine funktioniert: Ein Roboterarm fährt unter die Kuh, die gemütlich in die Melkbox trottet. Laserstrahlen orten das Euter, zielsicher setzen die vier Milchbecher an. Täglich produziert der Juchhof auf diese Weise 1800 Liter Milch, die vor Ort pasteurisiert und verpackt werden, um sie an städtische Altersheime und Spitäler zu liefern. Der Juchhof ist der grösste der zehn städtischen Landwirtschaftsbetriebe und der einzige, der nicht verpachtet ist. Die Nahreisen sind ein Angebot von Grün Stadt Zürich und Migros Kulturproduzent. 42 Mercator Magazin 02 / 15 35 Filmabend auf dem Bauernhof Auf dem ‹Hof-Narr› in Hinteregg zeigten Nebenrolle Natur und die Vegane Gesellschaft Schweiz den Film ‹Gabel statt Skalpell›. Dieser gab Einblicke in den Zusammenhang von Essen und Gesundheit. Bei einer Führung konnten die Gäste den Bauernhof kennenlernen. 37Deutschunterricht im Schülergarten Das Schulhaus Wollishofen hat seinen Deutschunterricht für fremdsprachige Kinder in den Schulgarten verlegt: Vier Kinder aus Eritrea, Italien und Somalia pflanzten, jäteten, gossen und ernteten jeden Freitag ihren Salat, ihr Gemüse und ihre Blumen im Schulgarten Wollishofen – und sprachen dabei Deutsch. 36Speed-Dating Was heisst umweltfreundliche Ernährung? Wie vermeiden wir Food Waste? Ist Mineral- oder Hahnenwasser umweltfreundlicher? Fachleute beantworteten beim Speed-Dating im Shopville Fragen zur Ernährung in der 2000-Watt-Gesellschaft. Darunter war auch Sonja Gehrig, Mitarbeiterin vom Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich (UGZ) und Co-Gesamtleiterin von ‹Zürich isst›. Das UGZ hat die Begegnungen organisiert. 38Vegi-Burger Im Foodtruck auf dem Bullingerplatzfest bereiteten Jugendliche der OJA Kreis 9 & Hard Vegi-Döner und Vegi-Burger zu. Viele der dafür verwendeten Zutaten stammten aus dem eigenen Garten. 41 schwerpunkt zürich isst 39Saisonal und umweltfreundlich Was hat meine Ernährung mit dem Klima zu tun? Wie kann ich ökologisch und genussvoll kochen? Der Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich hat Kochabende mit der Fachschule Viventa organisiert: Zwölf verschiedene saisonale Gerichte standen auf dem Programm. Eine Köchin beantwortete Fragen und lieferte Tipps für einen umweltbewussten Genuss. 44 Mercator Magazin 02 / 15 40Bio im Geschmackstest Das Forschungsinstitut für biologischen Landbau und BioSuisse präsentierten aktuelle Studien zur Qualität von Biolebensmitteln im Vergleich zu nicht-biologisch produzierten Lebensmitteln. Die Referentinnen nahmen Besonderheiten der Verarbeitung von Bioprodukten unter die Lupe: Was heisst ‹schonende Verarbeitung›? Warum werden auch bei Bioprodukten Zusatzstoffe verwendet? Sind Aromen und Konservierungsstoffe erlaubt? Bei einer Degustation erlebten die Teilnehmer die sensorischen Unterschiede von Wurst mit und ohne Pökelsalz, von geschwefelten und unbehandelten getrockneten Aprikosen, von verschiedenen Schokoladensorten, von Saft aus Konzentrat und Direktsaft. Zudem probierten sie unterschiedlichen Milcharten. 45 schwerpunkt 46 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 41Genug Essen für alle Regisseur Valentin Thurn sucht in seinem neuesten Film nach Lösungen für die Welternährung. Das World Food System Center der ETH Zürich zeigte die Dokumentation im Beisein des Filmemachers im Kino Riffraff. Interview / Nadine FIeke 10 Milliarden Menschen werden 2050 auf der Erde leben. Bereits heute hat jeder dritte Mensch nicht genug zu essen. Gleichzeitig werden Agrarflächen und Wasservorräte immer knapper. Können wir in Zukunft genug Essen für alle erzeugen? In seinem Dokumentarfilm ‹10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?› sucht Valentin Thurn nach Antworten und nimmt die Zuschauer mit auf eine 106-minütige Reise um die Welt: Er blickt in die Labore eines Saatgutherstellers in Belgien, spricht mit einem Düngemittelproduzenten in Deutschland, schaut hinter die Kulissen einer indischen Hühnerfabrik. Die Menschen, die er in diesen Unternehmen trifft, sind sich einig: Nur mit hochproduktiven, technisierten Lösungen lässt sich dem Hungerproblem begegnen. Valentin Thurn ist skeptisch: «Die industrielle Landwirtschaft produziert billig und viel. Aber langfristig geht das schief. Sie plündert knappe Ressourcen.» Seine Suche führt den Filmemacher nach Japan, wo Wissenschaftler auf 16 Etagen vollautomatisiert Gemüse produzieren. Er trifft einen holländischen Forscher, der im Labor Fleisch aus Stammzellen einer Kuh herstellt. Sind das Lösungen für die Zukunft? Die Methoden funktionieren nur für die reichen Märkte, stellt Valentin Thurn fest. Ihn überzeugen Menschen mit viel einfacheren Ansätzen: Biobauern, die mit geschlossenen Kreisläufen die Bodenfruchtbarkeit erhalten. Eine Kleinbäuerin, die sich mit Mischkulturen gegen Ernteausfälle absichert. Die Leiterin einer Saatgutbank, die traditionelle Reissorten erhält und verbreitet. Engagierte Guerilla-Gärtner, Aktivisten der solidarischen Landwirtschaft, des urbanen Landbaus. Diese Personen, deren Arbeit er an verschiedenen Orten der Welt dokumentiert, wirtschaften umweltschonend, lokal angepasst, unabhängig von den globalisierten Märkten. So sollte nach Überzeugung von Valentin Thurn die Ernährung von 10 Milliarden Menschen aussehen. Valentin Thurn reiste für seinen Film um die Welt. Darin zeigt er verschiedene Methoden der Lebensmittelproduktion. Herr Thurn, auf der Suche nach Lösungen für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung sind Sie durch verschiedene Länder gereist. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis? Auf der Reise ist mir klar geworden: Es kann nur viele kleine, lokale Lösungen für das Hungerproblem geben. Die Sehnsucht nach einer einfachen, grossen Antwort ist trügerisch. Wenn wir mit industriellen Lösungen zwar die nötige Menge an Nahrungsmitteln produzieren, ist das Essen noch lange nicht an die Hungernden verteilt. Wie sehen lokale Lösungen aus? Hunger ist nichts anderes als ein Mangel an Kaufkraft. Die Bedürftigen können sich das Essen nicht leisten. Zwei Drittel der Hungernden sind Kleinbauern. Sie brauchen Zugang zu Land und Wasser, aber auch zu den Märkten. Kleinbauern sollten ihre Grundversorgung selbst produzieren können und die Möglichkeit haben, alles, was darüber hinausgeht, zu verkaufen. Es ist es fatal, wenn wir ihnen als Lösung sagen: Produziert nur für den Weltmarkt, der wird es schon richten. Die Preisschwankungen, die durch die Börse in den vergangenen Jahren verursacht wurden, sind für Kleinbauern mörderisch geworden. Es ist wichtig, dass sie durch eine ausreichende Selbstversorgung eine gewisse Unabhängigkeit vom Weltmarkt haben. Die Abhängigkeit vom Weltmarkt ist die eine Seite des Problems. Wie sollte die Nahrungsmittelproduktion aussehen, um dem Hunger zu begegnen? Wir machen einen Fehler, wenn wir meinen, dass wir die Landwirtschaft global industrialisieren müssen. Es sind die Kleinbauern, die für die Versorgung in ärmeren Ländern entscheidend sind. Wir sollten ihren Wert erkennen und sie unterstützen. Meine Recherchen haben gezeigt: Kleinbauern in Entwicklungs- und Schwellenländern holen mehr pro Hektar aus den Feldern als Grossfarmen. Das hat mich erstaunt. Denn ich wusste, dass unsere Biobauern ein Viertel pro Hektar weniger produzieren als die konventionellen Bauern. Und ich wusste auch, dass die Kleinbauern nahezu ökologisch produzieren, weil sie kein Geld für 47 schwerpunkt zürich isst Dünger und Pestizide haben. Wie kann es dann sein, dass sie im Gegensatz zu unseren Biobauern mehr produzieren als Grossfarmen? Die Antwort ist einfach: Ihnen stehen ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung, sie arbeiten schlicht intensiver. Unser Biobauer lebt in einem Hochlohnland, er kann nicht so viele Arbeitskräfte einsetzen und muss mit Maschinen arbeiten. Deshalb erntet er weniger. Trotzdem machen Sie sich für den Biolandbau stark. Können Biobauern – obwohl sie weniger produzieren – auch die Ernährung in Europa sichern? Ein wichtiges Argument für die biologische Landwirtschaft ist die Nachhaltigkeit: Die Bodenfruchtbarkeit wird erhalten – und damit die Grundlage der Landwirtschaft. Wenn wir bei uns komplett auf Bio umstellen würden, hätten wir es mit Ertragseinbussen zu tun. Trotzdem würde ich sagen: Ja, wir können Europa mit Bio ernähren. Aber nicht mit der Menge an Fleisch, die wir derzeit essen. Der Wandel ist sicher nicht ganz einfach: Wer will sich schon gerne vorschreiben lassen, was und wie viel er isst? Wie kann man die Leute überzeugen, ihr Konsumverhalten zu ändern? Mit einem moralischen Appell erreicht man nur wenige Menschen. Am Ende entscheidet der Preis. Im Moment sind die Preise ja unehrlich: Wir zahlen 48 Mercator Magazin 02 / 15 einen Liter Milch oder ein Kilo Fleisch doppelt – einmal an der Supermarktkasse und einmal über die Steuer. Die Kosten für die Umweltschäden werden über die Steuer der Allgemeinheit aufgebürdet. Wenn hingegen der Hersteller für die Umweltschäden zahlen müsste und diese Kosten auf die Lebensmittel umschlägt, würde Bio unterm Strich sogar günstiger sein als Produkte der konventionellen Landwirtschaft. Lebensmittel wären zwar teurer, aber das Verursacherprinzip würde konsequent durchgesetzt. Ist so ein Ansatz realistisch? Es ist tatsächlich ein Harakiri-Programm für Politiker, wenn sie sagen, Lebensmittel müssen teurer werden. Ich sehe das ein bisschen so wie bei der Energiewende. In den 80ern haben wir gegen Atomkraft demonstriert. Da wurde gesagt: Die Spinner, das geht nicht, ein Industrieland braucht billige Elektrizität. Dann haben diese ‹Spinner› kleine Insellösungen geschaffen. Und diese wurden immer grösser. Der Gau in Fukushima hat dazu geführt, dass man die Insellösungen der regenerativen Energien ausdehnte. Ich erhoffe mir eine ähnliche Ernährungswende: Wir müssen jetzt an Insellösungen basteln. Und diese müssen auch soziale Aspekte beinhalten. Wenn wir sagen, der Bauer muss fair entlohnt werden und die Preise müssen hoch, dann müssen wir uns auch überlegen, was mit den Leuten passiert, die zu wenig verdienen. Modelle wie die solidarische Landwirtschaft denken das schon mit. Die sind auch untereinander solidarisch. Agrarindustrie und Gentechnik überzeugen Sie nicht. Auch Hightech-Lösungen wie Fleisch aus dem Labor oder Gemüsefabriken stehen Sie in Ihrem Film kritisch gegenüber. Was überzeugt Sie an den alternativen Projekten? Das sind die vielen Insellösungen. Was Urban Gardening oder regionale Landwirtschaft bei uns sind, das sind Zukunftssicherungsmethoden in Entwicklungs- und Schwellenländern. Während wir über Industrie und weitere Wertschöpfung genug Geld haben, um Nahrungsmittel zu importieren, ist das Besinnen auf regionale Kreisläufe dort existenzwichtig. Auch in Megacities werden die Einwohner von den Bauern aus der Nachbarschaft versorgt. Dieses System der Lebensmittelversorgung ernährt zwei Drittel der Weltbevölkerung. Wie kann man dieses System stärken? Wir sollten dafür sorgen, dass die regionalen Kreisläufe ungestört funktionieren. Doch das geht nur, wenn wir es Staaten mit einer schlechten Ernährungssicherheit erlauben, ihre Grenzen für unsere hochsubventionierten Produkte dicht zu machen. Die Produkte aus Europa sind so billig, dass sie die dortige Landwirtschaft kaputt machen und Bauern zum Aufgeben zwingen. Doch wenn Entwicklungsländer ihre Grundversorgung nicht mehr selbst erzeugen, sondern importieren, hängen sie an unserem Tropf und sind für Krisen äusserst anfällig. Wenn der Freihandel diese Länder ausspart und ihnen trotzdem erlaubt, ihre Produkte zu exportieren, tut uns das nicht weh. Vielmehr würde es Hunderten Millionen Menschen aus dem Hunger helfen. Sie appellieren in Ihrem Film an die Verantwortung jedes Einzelnen: Wie können wir einen Beitrag zur Ernährungssituation in der Welt leisten? Wenn ich beschliesse, nur noch regional und Bio einzukaufen, kann ich die kleinen und mittleren Bauern stärken. Ich sorge dafür, dass der Trend zu immer grösseren Produktionseinheiten, die nicht nachhaltig wirtschaften, schwächer oder sogar umgedreht wird. Das ist ein wichtiges Signal an die Politik. Gleichzeitig müssen wir von unserem hohen Fleischkonsum runter, wenn wir die Hungerbekämpfung ernstnehmen. Unsere Massentierhaltung ist von Soja-Importen und damit von Anbauflächen im Ausland abhängig. Für diese Anbauflächen werden Kleinbauern vertrieben, Regenwald wird abgeholzt. Das Land ist mit Futtermitteln statt Lebensmitteln belegt. Wir verfüttern ein Drittel der Getreideernte an Tiere. Und immer mehr Menschen essen Fleisch. 49 schwerpunkt zürich isst 42 Panda und Minigolf Ein riesiger Panda machte auf die Aktion vom WWF Schweiz im Shopville des Hauptbahnhofs aufmerksam: Die Passanten konnten an einem Stand ihren persönlichen ökologischen Fussabdruck berechnen, beim Minigolf mehr über Food Waste erfahren und sich spielerisch mit den Auswirkungen unserer internationalen Ernährung auseinandersetzen. 43Dinner Battle Fünf ambitionierte Köche kämpften in einem Dinner Battle von myblueplanet und Nebenrolle Natur um die Gunst des Publikums. Zwischen den vegetarischen Gängen warteten unterhaltsame künstlerische Darbietungen auf die Gäste. 50 Mercator Magazin 02 / 15 44Essbare Wildpflanzen Unsere Grossmütter kochten oder ergänzten ihre Menüs noch mit Pflanzen aus dem Garten, vom Wegrand oder aus dem Wald. BioZH und IN-FINITUDE erinnerten in einem Kurs an diese kulinarischen Besonderheiten. 46poulet im Bahnhof Ein überdimensionales Poulet zeigt, wie viel Fleisch die Schweizer jedes Jahr essen: 53 Kilo. Die Tischaktion von Helvetas mit interaktiven Elementen und einem Wettbewerb Zürich stellte im Shopville des Hauptbahnhofs Fragen rund ums Essen und servierte die Antworten auf einem gedeckten Tisch. 45Wissenschaft im Garten Auf einem Rundgang zeigten Wissenschaftler des Forschungsinstituts für biologischen Landbau in den Familiengärten Schweighof, welche Auswirkungen Gärten auf die Qualität des Bodens, die Biodiversität und die Lebensqualität der Stadtbevölkerung haben. 51 schwerpunkt zürich isst 47 Faires Bio-Menü Im Jugendkulturlokal Planet 5 bestimmen und organisieren Jugendliche und junge Erwachsene das Programm selbst. Beim vierten ‹Jam and Art› integrierte die Grupppe das Thema Ernährung in die Veranstaltung. Ein faires und biologisches Menü wartete auf die Gäste, zudem gab es Informationen über den Inhalt und Ressourcenverbrauch des Essens. 49Rund ums Herbstgemüse Bei Veg and the City drehte sich am Aktionstag rund um die Europaallee alles um Herbstgemüsesorten. Wer mochte, konnte nicht nur viele Informationen mit nach Hause nehmen, sondern auch eine selbst bemalte Obstkiste. Parallel haben die Ladenlokale und Gastronomen in der Europaallee weitere Aktionen zum Thema Ernährung und Nachhaltigkeit organisiert. 48 Faire Schoggi-Bananen Die OJA Kreis 5 hat zur Einweihung des Quartierparks Pfingstweid faire Schoggi-Bananen auf einer Feuertonne zubereitet. Dazu gab es Informationen über Fairtrade-Produkte. 50Bunte Joghurtautomaten Joghurt ohne Konservierungsstoffe und künstliche Aromen: Kinder und Jugendliche haben im GZ Hirzenbach platzsparende, umweltfreundliche Joghurtapparate gebaut, in denen sie sich nach ihrem Geschmack Joghurts mit Beeren und Früchten zubereiten können. 52 Mercator Magazin 02 / 15 52 Lokale Lebensmittel Es ist der Kompass für lokal produzierte Lebensmittel und das offizielle Büchlein zu ‹Zürich isst›: Autor und Verleger Martin Walker stellt in ‹Zürich by Food› Gärten, Bauernhöfe, Märkte und Quartierläden in der Stadt vor. Zudem zeigt er, wo man Bier, Schokolade, Konfitüre, Honig, Obst, Gemüse, Wurst und mehr aus Zürich bekommt. 51Wir essen die Welt Der Mensch muss essen, will er leben. Und er entscheidet täglich aufs Neue, was auf den Teller kommt. Woher stammen die Lebensmittel? Wie wurden sie produziert? Unsere Kaufentscheide haben Auswirkungen auf unsere Gesundheit, beeinflussen aber auch die Umwelt und das Leben anderer Menschen – in der Schweiz, in Afrika und anderswo auf der Welt. Die Ausstellung ‹Wir essen die Welt› von Helvetas lud in der Pädagogischen Hochschule Zürich zu einer kulinarischen Weltreise ein. Die Besucherinnen und Besucher reisten in verschiedene Länder und trafen Menschen, die ihnen erzählten, wie sie sich ernähren oder wie unsere Nahrung produziert und gehandelt wird: Unter anderem berichteten ein Sojabauer aus Brasilien, ein junger Fischer aus Bangladesch, eine kämpferische Agronomin aus Indien und ein Börsenhändler aus den USA von ihrer Arbeit und ihren Lebensbedingungen. Bei Führungen und selbstständigen Rundgängen erfuhren die Besucher mehr über Nahrungsproduktion und Handel, Genuss und Geschäft, Hunger und Überfluss. 53Tausch von Köstlichkeiten Ob aus eigenem Anbau oder selbst eingemacht, getrocknet, gebacken oder mit Liebe hergestellt: Der Öpfelchasper lud zur Tauschbörse für gartenoder balkonfrische Köstlichkeiten ein. 51 schwerpunkt 54 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 54Auch Krumme Rüebli Schmecken Gut Die Kartoffeln waren zu klein, die Zucchini zu krumm, die Karotten zu unförmig. Aus Lebensmitteln, die es nicht in die Geschäfte geschafft haben, zauberten die Helfer des Vereins foodwaste.ch ein schmackhaftes Essen. Text / Dominique Senn Mit grossen Kellen rühren unzählige Helfer auf dem Helvetiaplatz in riesigen Pfannen und Kochtöpfen. An Festtischen wird Gemüse gerüstet. Verlockende Düfte steigen auf und ziehen Neugierige an. Als an diesem letzten Samstag im September gegen Mittag die ersten Portionen ausgegeben werden, bildet sich eine lange Schlange vor der Essensausgabe – und diese reisst den ganzen Tag nicht ab. In den Kochtöpfen und Schüsseln befinden sich 600 Kilo Ausschussware: Kartoffeln, Rüebli, Peperoni, Tomaten, Zwiebeln und Salate. All diese Lebensmittel wären niemals in den Verkauf gekommen, weil sie nicht den Qualitätsanforderungen des Marktes entsprachen. Sie waren zu gross, zu klein, zu unförmig, nicht schön genug. Mit ‹Zürich tischt auf› will der Verein foodwaste.ch zeigen, dass auch unförmiges Gemüse wunderbar schmeckt. Vor Ort kochen das Kochkollektiv Liechtenstein und das Kochkollektiv Retroduktion aus Bremgarten. Bratkartoffeln, Kartoffelbrei, Ratatouille, Blumenkohl-Curry, Rüeblisuppe, verschiedene Salate und eine herbstliche Apfel-Zimt-Kreation füllen die Teller der Besucher. In wenigen Stunden werden mehr als 1000 Portionen ausgegeben. Die Leute sind vom Essen begeistert. Viele sind erstaunt darüber, dass diese leckeren Esswaren zu Food Waste geworden wären. Genossenschaft el Comedor, das Bio-Outlet ‹Die Biorampe›, die Initiative foodsharing, das Gastronomie-Start-up ‹Zum guten Heinrich› und Slow Food Youth. Damit die Besucher auch etwas mit nach Hause nehmen können, stellt der Verein ‹Bio für Jede› fast 1,5 Tonnen Ausschussgemüse in Bioqualität bereit. «Wir konnten viele Leute anregen, sich über ihren Food Waste Gedanken zu machen», blickt Jeremias Arnold, Botschafter von foodsharing Zürich, auf ‹Zürich tischt auf› zurück. Ein schönes Erlebnis Lebensmittelverschwendung ist ein sehr emotionales Thema. Schliesslich gibt niemand gerne zu, Lebensmittel wegzuwerfen. Entsprechend wichtig ist es foodwaste.ch, bei seinen Veranstaltungen positive Erlebnisse zu schaffen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen statt den Mahnfinger zu heben. So möchte auch ‹Zürich tischt auf› mit leckerem Essen, Musik, interessanten Begegnungen, kreativen Ideen und spannenden Informationen zum Nachdenken anregen und dazu motivieren, die Food-WasteProblematik aktiv anzugehen. Nicht nur die beteiligten Organisationen, sondern auch die Besuchenden schätzen diesen Ansatz: «Es war ein grandioser Anlass, das Essen einfach wunderbar und das Team unglaublich», schreibt eine Besucherin per E-Mail. Erdbeerschweinchen und TomatenEnten Wie attraktiv unförmiges Obst und Gemüse aussehen kann, zeigt eine Ausstellung mit Bildern eines Fotowettbewerbs von foodwaste.ch. Erdbeerschweinchen, Tomaten in Entenform, Peperoni mit langen Nasen: Die Bilder sorgen für Schmunzeln und Staunen. Neben der Ausstellung reihen sich Stände von Organisationen, die sich im Raum Zürich für eine nachhaltige Ernährung einsetzen. So können Besucher mit Greenpeace ein Quiz zum Wissen über den CO2-Ausstoss verschiedener Lebensmittel bestreiten. Die CO2-Waage von eaternity macht das Thema anschaulich und fassbar. Mit eigenen Ständen vertreten sind auch die Gartenkooperative ortoloco, die kooperative Käserei Basimilch, die 55 schwerpunkt zürich isst In grossen Töpfen kochen die Helfer Köstliches aus überschüssigen Lebensmitteln. Die Schlangen sind lang, die Informationen zu Food Waste vielfältig. 56 Mercator Magazin 02 / 15 Eine Mahlzeit pro Tag endet im Abfall ‹Food Waste› sind Lebensmittel, die für den menschlichen Konsum produziert, jedoch nicht von Menschen konsumiert werden. Dazu zählen zum Beispiel Gemüse und Früchte, die aufgrund ihres Aussehens bereits vor dem Verkauf aussortiert werden, abgelaufene Produkte, die aus den Supermarktregalen verschwinden, Tellerreste im Restaurant oder Essensreste, die zu Hause im Kühlschrank vergessen gehen. Rund ein Drittel aller in der Schweiz produzierten Lebensmittel wird auf diese Weise verschwendet. Das sind pro Jahr 2,3 Millionen Tonnen Nahrungsmittel – oder die Ladung von rund 140 000 Lastwagen, die aneinandergereiht eine Kolonne von Zürich bis Madrid ergeben. Obwohl entlang der gesamten Lebensmittelkette Verluste anfallen, entstehen die meisten Abfälle bei uns zu Hause: Pro Person landen in der Schweiz täglich 320 Gramm einwandfreie Lebensmittel im Abfall. Das entspricht fast einer ganzen Mahlzeit. Zusammengerechnet sind die Haushalte damit für knapp die Hälfte aller Lebensmittelabfälle in der Schweiz verantwortlich. Die Abfälle im Haushalt lassen sich im Alltag ohne grossen Aufwand vermeiden. Denn die meisten Abfälle entstehen, weil wir zu viel einkaufen oder zu viel kochen. Wer kennt es nicht, das Gefühl, den ganzen Laden leer essen zu können, wenn man hungrig einkaufen geht? Wer eine Einkaufsliste macht oder vor dem Einkauf etwas Kleines isst oder trinkt, vermeidet unnötige Einkäufe. Zu Hause angekommen ist die richtige Lagerung der Lebensmittel wichtig für eine möglichst lange Haltbarkeit. Und damit nach dem Kochen möglichst wenige Reste entstehen, kann man kleinere Portionen servieren und dafür nachschöpfen. Dominique Senn ist Geschäftsführerin von foodwaste.ch Kontakt / foodwaste.ch, Dominique Senn, [email protected] 57 schwerpunkt 58 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 55Gemüse und Pilze mitten in der Stadt Immer mehr Menschen pflanzen ihr eigenes Gemüse an – auf dem Balkon, im Familiengarten, auf Brachen. Was motiviert sie? Welche Möglichkeiten des urbanen Landbaus gibt es? Die Ausstellung ‹Aufgetischt. Von hängenden Gärten und Pilzgaragen› von Grün Stadt Zürich zeigte Projekte und Visionen. Text / Nadine FIeke Es ist ein kleiner Balkon, wie man ihn überall in Zürich sieht. Nur was darauf wächst, ist nicht alltäglich: Auberginen, Bohnen, Tomaten, Kräuter, Salate, Beeren, essbare Blüten, Weinreben … Auf kleinstem Raum gedeiht auf dem 1,2 mal 3 Meter grossen Modell, was sonst eher in üppigen Gärten zu finden ist. «Urban Gardening ist ein Trend», sagt Ursula Pfister von Grün Stadt Zürich. «Stadtbewohner, Architekten, Stadtplaner, Ökologen und Forschende in grossen und kleinen Städten überall auf der Welt beschäftigen sich zunehmend mit dem Thema.» Weil das Interesse so gross ist, hat Grün Stadt Zürich die erste Ausstellung im neuen Bildungszentrum der Stadtgärtnerei diesem Thema gewidmet: ‹Aufgetischt. Von hängenden Gärten und Pilzgaragen› zeigt, wie vielfältig der urbane Landbau ist. Und der bepflanzte Balkon ist nur eine der zahlreichen Möglichkeiten, in der Stadt Gemüse und Kräuter anzubauen. Städtische Selbstversorgung Doch bevor die Ausstellung in die aktuelle UrbanGardening-Bewegung eintaucht, geht es zurück in die Vergangenheit: «Vor 300 Jahren war es ganz normal, dass mitten in der Stadt Zürich Gemüse und Obst angebaut wurden», erzählt Ursula Pfister. Die Projektleiterin steht mit einer Besuchergruppe im Ausstellungsraum der Stadtgärtnerei. Links und rechts von ihr sind grüne Gemüsekisten aufeinander gestapelt. Sie dienen als Wände für Bilder, als Regale für Ausstellungsstücke. Historische Zeichnungen zeigen den Betrachtern, wie die Landwirtschaft bis ins 18. Jahrhundert die Stadt Zürich prägte – bis sie mehr und mehr aus dem Zentrum verdrängt wurde. «Mit zunehmender Bildung empfand die Oberschicht die Produktion von Nahrungsmitteln in der Stadt als rückständig und dreckig», erklärt Ursula Pfister. Ziergärten und Parks ersetzten Gemüsegärten, Nutztiere verschwanden von den blitzblanken Strassen. In Krisenzeiten zeigt sich wieder, wie wichtig die Selbstversorgung einer Stadt ist: Alte Fotos erinnern in der Ausstellung daran, wie im zweiten Weltkrieg Kartoffeln auf dem Sechseläuten- platz und Wurzelgemüse auf Schulhöfen angebaut wurden. Heute kann sich die Stadt Zürich gerade einmal zu zwei Prozent selbst versorgen. Bepflanzte Balkone und Dachterrassen, gemeinschaftliche Zwischennutzungen von Brachen, Schulund Familiengärten – Urban Gardening hat viele Gesichter. Als die Projektleiterin Ursula Pfister für die Ausstellung recherchierte, fiel ihr auf, wie vielfältig auch die Gründe sind, warum Menschen eigene Beete und Pflanzkästen pflegen: «Aus purer Not baut heute in Zürich niemand Gemüse oder Obst an.» Vielmehr wollen immer mehr Menschen Kontrolle über ihre Nahrung haben. Sie wollen wissen, was sie essen, woher ihre Lebensmittel kommen. Deshalb möchten sie lokal vor Ort eine möglichst gesunde und umweltschonende Nahrungsmittelproduktion aufbauen. «Urbanes Gärtnern bedeutet aber auch Gemeinschaft», weiss die Projektleiterin. Zusammen arbeiten, sich austauschen, voneinander lernen, miteinander feiern – viele Menschen suchen diese Erfahrungen und engagieren sich in Gärten. Andere wünschen sich einen Bezug zur Natur, haben Freude am Experiment oder sehnen sich einfach nach Ruhe und Besinnung abseits des Alltags. Auch für die Artenvielfalt in der Stadt sind Gemeinschaftsgärten wertvoll: In Zürich gibt es über 1200 Pflanzenarten und bis zu 15 000 Tierarten. «Gärten können diese Artenvielfalt in der Stadt fördern», betont Ursula Pfister. Zehn Gemeinschaftsgärten stellen sich in der Ausstellung vor, Kurzfilme geben vertiefte Einblicke in die vier Stadtgartenprojekte Stadiongarten, Kalkbreite, Merkurgarten und Garten am Grenzsteig. Wie solche Projekte grössere Ausmasse annehmen und sogar eine grüne Infrastruktur in einer riesigen Stadt schaffen können, macht eine Dokumentation über New York deutlich. Hängender Garten Gärten sind die traditionelle Form des urbanen Landbaus. In der Stadt Zürich gibt es 5555 Kleingärten. Hinzukommen 18 319 206 Quadratmeter Hausgärten, das entspricht der Grösse von 2566 Fussballfeldern. Dass die Möglichkeiten von Urban Gardening mit ein bisschen Fantasie nicht dort enden müssen, wird auf dem Hof der Stadtgärtnerei deutlich: Kohl, Nüsslisalat 59 schwerpunkt zürich isst und Kräuter wachsen in einem ‹Hängenden Garten› an einer Wand. «Noch ist es eher eine Spielerei, Gemüse in der Vertikalen anzubauen», sagt Lukas Meier, der die Führung durch die Aussenanlagen der Ausstellung übernimmt. Doch tatsächlich mache die Vertikalbegrünung viel Sinn, betont der Zivildienstleistende: Sie isoliert, bietet Schallschutz, ist gut fürs Stadtklima – und überall möglich. Nur wenige Meter entfernt wachsen im 1,5 Meter hohen ‹Pendularis-Turm› 150 Nutzpflanzen, vor allem Kräuter. Ein Solarpanel betreibt eine Pumpe, die Wasser durch die Konstruktion aus ineinander verschlungenen Plastikröhren pumpt. Fügt man noch ein Fischbecken hinzu, entsteht ein so genanntes Aquaponic-System: Die Exkremente der Fische dienen als Dünger für die Pflanzen. Die Pflanzen wiederum reinigen das Wasser. «So werden Gemüse und Fisch in einem geschlossenen Kreislauf nachhaltig produziert», erklärt Lukas Meier und führt die Gruppe zu einer kleinen, weiss getünchten Garage. Neue Funktion für Garagen Es ist dunkel, riecht modrig. Überall in der Garage spriessen Pilze. «Einige Zukunftsforscher und Soziologen sind der Meinung, dass wir uns vor allem in den grossen Metropolen mit der Zeit den individuellen Autoverkehr nicht mehr leisten können», sagt Lukas Meier. «Damit werden viele Garagen und Parkhäuser frei. Und diese Flächen sollte man sinnvoll für die Lebensmittelproduktion nutzen.» Zum Beispiel als Pilzgarage: Für die Ausstellung wurden in der Stadtgärtnerei Jutesäcke und Plastikflaschen Eine dunkle Garage und eine Mischung aus Sägemehl, Gips und Kalk in einer PET-Flasche reichen aus, um Speisepilze zu züchten. 60 Mercator Magazin 02 / 15 mit Sägemehl, Gips und Kalk gefüllt, mit Pilzmyzel (Pilzsaat) versehen, unter die Garagendecke gehängt und in Regale gelegt. Jetzt wachsen darin ohne grossen Energieaufwand Speisepilze, die man für die Ernte einfach abzupfen kann. «Wir haben in der Schweiz viel Holz. Durch die Pilzzucht könnten wir diesen Rohstoff für unsere Ernährung nutzbar machen», erzählt Lukas Meier begeistert. Und wenn der Pilz nicht mehr genug Nährstoffe aus dem Holz ziehen kann, seien diese immer noch optimal für die Zucht von Speiseinsekten: Aus einem Kilo Holz lassen sich 500 Gramm Pilze und mehrere 100 Gramm Insekten produzieren. Vorsichtig nimmt Lukas Meier eine dicke, zehn Zentimeter grosse Käferlarve in die Hand, die tief unten in einem dunklen Kleiderschrank lebt. In seinen Augen sind sie und ihre Artgenossen die optimale Proteinquelle: Im Gegensatz zu unseren herkömmlichen Nutztieren nehmen Insekten wenig Fläche für die Zucht in Anspruch, sie brauchen nur wenig Energie fürs Wachstum – und die meisten Speiseinsekten fressen nichts, was Menschen ernähren könnte. Die perfekte Lösung für eine nachhaltige Ernährung? Es bleibt ein Problem, das man den Gesichtern der Besucher auch im Dämmerlicht deutlich ansieht: Viele können sich einfach nicht vorstellen, Insekten zu essen. Solange sich das nicht ändert, bleibt zumindest dieser Teil der Pilzgarage eine Vision. Kontakt / Grün Stadt Zürich, Ursula Pfister, [email protected] Auf einem Turm aus Plastikröhren wachsen 150 Pflanzen, vor allem Kräuter. 61 schwerpunkt zürich isst 56 Vegane Shoppingtour Wie ernähren sich Veganer? Auf einer Entdeckungstour durch Supermärkte und Bioläden in Zürich zeigte die Vegane Gesellschaft Schweiz, was vegan ist und wo man vegane Nahrungsmittel bekommt. 57Moschtfäscht Aus mitgebrachten Äpfeln und Birnen entstand im Innenhof des GZ Hirzenbach mit Hilfe einer alten Presse frischer Most. 62 Mercator Magazin 02 / 15 58OJA baut an Ein grosses mit Erde gefülltes Pflanzenbeet und drei grosse Paletten standen Jugendlichen vor dem Jugendlokal der OJA Kreis 9 & Hard zur Verfügung, um Kräuter und Gemüse anzubauen. Jeweils am Donnerstag pflegte eine Oberstufenklasse der Schule Albisriederplatz ein eigenes Gemüsebeet. 59So isst Zürich SRF1-Moderatorin Christina Lang las im Antiquitätengeschäft ‹Rost und Gold› aus dem Buch von Yvonne Eckert und Vera Markus ‹So isst Zürich›. Die Gäste erhielten Einblicke ins Leben verschiedener Zürcherinnen und Zürcher. Darunter eine Architektin, die im Schrebergarten ein Mini-Reisfeld hegt, ein Weltenbummler, der Quittenschnaps brennt, eine koscher kochende Familienfrau und ein Pilzsammler auf dem Friedhof. 60CLEVER einkaufen Das Angebot in einem Supermarkt ist überwältigend. Landwirtschaftliche Produkte sind oft unabhängig von der Saison verfügbar. Aus der ganzen Welt werden Produkte importiert. Dazu kommt eine kaum mehr zu überblickende Flut von Labels, die uns nachhaltige, umweltgerechte und sozial faire Produkte anpreisen. «Es ist nicht einfach, sich im Dschungel der Einkaufsmöglichkeiten zu orientieren», sagt Sabine Lerch, Projektleiterin bei der Stiftung Biovision. Mit der interaktiven Ausstellung CLEVER möchte Biovision Besucherinnen und Besuchern zeigen, wie sie sich bei Alltagseinkäufen verantwortungsvoll gegenüber Natur, Umwelt und Mitmenschen verhalten können. Die Ausstellung ist wie ein kleiner Supermarkt aufgebaut: Am Eingang stehen Einkaufskörbe bereit, am Ende des Rundgangs befindet sich die Kasse. Die einzelnen Produkte werden nach den Kriterien Klima, Umweltverschmutzung, Lebensgrundlage, soziale Verantwortung, Biodiversität und Ressourcenverbrauch beurteilt. An der Kasse erhält jeder Besucher die Quittung für seinen Einkauf in Form eines Spinnendiagramms, das schlechtere oder besonders gute Kaufentscheidungen dokumentiert. «Den Gästen wird der konkrete Mehrwert von nachhaltigen Produkten verdeutlicht», erklärt Sabine Lerch. «Deren in der Regel etwas höhere Preise werden in einen Kontext gestellt und damit nachvollziehbar.» Zur Eröffnung des Erlebnismonats ‹Zürich isst› machten Stadträtin Claudia Nielsen, Gemeinderatspräsident Matthias Wiesmann und Albert Kesseli, Vizepräsident des Stiftungsrates der Stiftung Mercator Schweiz, einen Gang durch die Ausstellung. Ihr Auftrag: Sie sollten für ein Nachtessen mit Freunden möglichst nachhaltig und fair im CLEVER Supermarkt auf dem Hechtplatz einkaufen. Passend zu ‹Zürich isst› hat Biovision den CLEVER-Onlineshop lanciert und in einem Wettbewerb die cleversten Zürcher gesucht. 61 Viehwirtschaft und Umwelt Nebenrolle Natur zeigte im Openki die Umweltdokumentation ‹Cowspiracy: The Sustainability Secret›, in der der Filmemacher Kip Andersen den Einfluss der Viehwirtschaft auf die Umwelt darstellt. 62Essen wir den Regenwald? Der grösste Teil von Milch, Fleisch und Eiern, die wir konsumieren, wird in der Schweiz produziert. Allerdings werden dazu beträchtliche Mengen Kraftfutter importiert – zum Beispiel Soja aus Südamerika, für dessen Anbauflächen immer mehr Regenwald abgeholzt wird. Könnten wir uns ausschliesslich vom Schweizer Boden ernähren? Gibt es eine Lösung, bei der wir weniger Futter- und Nahrungsmittel importieren und trotzdem genussvoll und gesund essen? Peter Spring, Andreas Keiser und Urs Scheidegger von der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften der Berner Fachhochschule gingen diesen Fragen auf den Grund. 61 schwerpunkt 64 zürich isst Mercator Magazin 02 / 15 63Einsatz für eine nachhaltige Ernährung ‹Zürich isst› lebte vom Engagement der über 100 Partnerorganisationen. An einer Schlussveranstaltung zogen die zahlreichen Beteiligten ein positives Fazit: Sie möchten das neu entstandene Netzwerk weiter nutzen. Text / Nadine Felix Es wurde gekocht und gegessen, degustiert und diskutiert, gelernt und gelacht: Vier Wochen lang stand Zürich im Zeichen von Ernährung, Umwelt und Genuss. Zusammen mit rund 100 Partnerorganisationen haben die Stadt Zürich und die Stiftung Mercator Schweiz im September 2015 den Erlebnismonat ‹Zürich isst› organisiert. 200 Veranstaltungen ermöglichten es der Bevölkerung, sich mit Fragen einer nachhaltigen Ernährung auseinanderzusetzen. Festivals, Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen, Führungen, kulinarische Tramfahrten, Koch-Battles oder Speed-Datings mit Fachpersonen machten die Thematik ebenso erlebbar wie spezielle ‹Zürich isst›-Menüs in Restaurants und städtischen Verpflegungsbetrieben. Stadt und Stiftung blicken zufrieden auf ‹Zürich isst› zurück: Es ist gelungen, der Öffentlichkeit zentrale Aspekte der nachhaltigen Ernährung näherzubringen. Gleichzeitig hat der Erlebnismonat viele Jugendliche erreicht – was dank der Offenen Jugendarbeit und besonderer Schulangebote möglich war. Vernetzung und Synergien Bereits einige Tage vor dem offiziellen Ende von ‹Zürich isst› fand eine Abschlussveranstaltung für die Partnerorganisationen in der Stadtgärtnerei Zürich statt. Stadt und Stiftung wollten diesen für ihr Engagement danken und ihre Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse für zukünftige Aktivitäten zur nachhaltigen Ernährung abholen. In den Diskussionen wurde deutlich: Die Bühne, die der Erlebnismonat den Akteuren für ihre Veranstaltungen gebaut hat, war wertvoll. Insbesondere freuten sich verschiedene Veranstalter, dass ihre Aktivitäten in einen umfassenderen gesellschaftlichen Kontext gestellt und so als Teil eines grösseren Ganzen wahrgenommen wurden. Sie schätzten den Austausch mit anderen Organisationen, den ‹Zürich isst› erleichtert hat. Gleichzeitig zeigte sich gerade in diesem Bereich weiterer Bedarf: Die Vernetzungen sollten ausgebaut, Synergien zwischen Organisationen noch besser genutzt werden, hiess es in verschiedenen Rückmeldungen. Gemeinsames Engagement In seinem Referat ‹Speiseräume – die Ernährungswende beginnt in der Stadt› hat der Raumplaner Philipp Stierand gezeigt, wie gesellschaftliche Akteure Entwicklungen im Ernährungsbereich vorantreiben und Städte Experimentierräume für Neues werden: In Köln haben Guerilla-Gärtner eine Brauereibrache in einen grossen Gemeinschaftsgarten verwandelt. Im englischen Bristol zeigt ein Ernährungsrat Probleme des Ernährungssystems auf, entwickelt Ideen und initiiert Projekte. In anderen Orten werden lokale Ernährungsstrategien in Form von konkreten Handlungsprogrammen erarbeitet und die Ernährung bei der Stadtplanung berücksichtigt. Durch die Zusammenarbeit von Gesellschaft und Stadtverwaltung werden auf lokaler Ebene Lebensmittelproduktion, Handel und Konsum neu organisiert – und Lösungen für eine nachhaltige Ernährung gesucht und getestet. Die internationalen Beispiele legten Fährten, wie sich Städte und gesellschaftliche Akteure über einen Erlebnismonat hinaus für eine nachhaltige Ernährung einsetzen können. In Zürich bietet sich die Chance, an ‹Zürich isst› und die entstandenen Kooperationen anzuknüpfen, um neue Ideen zu entwickeln. ‹Zürich isst› ist in kurzer Zeit zu einer Marke für gemeinsames Engagement im Sinne einer nachhaltigen Ernährung der Zukunft geworden. Die Stiftung Mercator Schweiz wird diese Marke sorgfältig pflegen und Möglichkeiten suchen, sie weiter mit Leben zu füllen. Wie, das wird auch die Evaluation des Erlebnismonats zeigen, die von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) erstellt wird. Nadine Felix ist Geschäftsführerin der Stiftung Mercator Schweiz. Die Partnerorganisationen von ‹Zürich isst› kommen in der Stadtgärtnerei zusammen, um auf den Erlebnismonat zurückzublicken. 65 Ein neuer Blick auf die Geschichte Studierende aus Basel und Windhoek arbeiten zusammen an einer Ausstellung über die kleine namibische Eisenbahnstadt Usakos. Sie forschen, führen Interviews, entwickeln ein Ausstellungskonzept – und gewinnen dabei persönliche Einblicke in Kultur und Geschichte eines anderen Landes. Text / Noah Gasser 66 Mercator Magazin 02 / 1 5 TätigkeitsbereichWissenschaft Dass vier ältere Damen aus der namibischen Kleinstadt Usakos Historikern ihre privaten Fotosammlungen zur Verfügung gestellt haben, ist ein Glücksfall: Die Bilder aus den Jahren 1920 bis 1960 zeigen Studioaufnahmen, Porträts von Schulklassen, posierende Menschen, Gebäudeansichten, Landschaften. Lokale Fotografen haben Momente aus Freizeit, Sport und Musik ebenso wie von sozialen Treffpunkten aufgenommen. Solche Bilder vom afrikanischen Alltagsleben fehlen in den namibischen Archiven fast gänzlich. Deren Fotosammlungen dokumentieren fast ausschliesslich den Blick der herrschenden Siedlergesellschaft auf sich und ihre Umwelt. Die privaten Sammlungen von Cecilie Geises, Wilhelmine Katjimune, Gisela Pieters und Olga Garoës ermöglichen einen alternativen Blick auf die Geschichte. Diese Fotos nutzt das internationale Studierendenprojekt ‹Photographs beyond Ruins› der Universitäten Basel und Windhoek, um daraus eine Wanderausstellung zu schaffen. Internationale Forschungsgruppe Wir – Studierende der Universitäten Basel und Namibia – haben uns drei Monate lang mit der Geschichte der kleinen Eisenbahnstadt Usakos beschäftigt. Ende Juni 2015 trafen beide Gruppen zum ersten Mal in Namibia aufeinander. Von Windhoek ging es ins 215 Kilometer entfernte Usakos. Im Ort sollte eine Dauerausstellung auf Basis der Fotos der vier Einwohnerinnen entstehen. Da diese inhaltlich schon von Historikern sowie einem Fotografen und einer Kuratorin aus Kapstadt vorbereitet war, halfen wir vor allem beim Aufbau. So erhielten wir Einblicke in wichtige Aspekte der Ausstellungsgestaltung, was für unser eigenes Projekt wichtig war: In den kommenden Monaten sollten wir in enger internationaler Zusammenarbeit eine eigene Ausstellung zum gleichen Thema für ein europäisches Publikum erstellen. Neben dem Aufbau hatten wir in Usakos genug Zeit für die nötigen Recherchen. In Gruppen forschten wir zu verschiedenen Inhalten, die unsere Ausstellung prägen sollten. Wir versuchten mehr über Themen wie Wanderarbeit, Freizeitaktivitäten und Stadtentwicklung herauszufinden und führten mit Bewohnern von Usakos Interviews. Dabei konnten wir uns in den gemischten Arbeitsgruppen gut ergänzen: Während die Basler bezüglich ‹Oral History› und ihren Herausforderungen sensibilisierter waren, konnten die Studierenden aus Namibia das Projekt mit dem notwendigen Hintergrundwissen und ihren Sprachkenntnissen voranbringen. Unterstützt wurde unsere Gruppe von vier Männern der ‹Youth-Group› von Usakos, die uns beim Knüpfen von Kontakten und bei den zahlreichen verschiedenen Sprachen wie Afrikaans, Otjiherero und Damara behilflich waren. Ein bewegender Moment war die Ausstellungseröffnung am Ende der arbeitsreichen Woche: Stolz haben die vier älteren Frauen und Stifterinnen der Fotosammlung das Band vor der Tür zur Ausstellung durchgeschnitten und ihre Fotos betrachtet. Nach der Projektwoche in Usakos hatten wir die Aufgabe, aus den vielen Informationen, Interviews und anderen Materialien innerhalb eines Monats optisch wie inhaltlich ansprechende Informationstafeln für die Wanderaus- Private Fotoalben von vier älteren Damen aus Namibia sind die Grundlage für zwei Ausstellungen. 67 TätigkeitsbereichWissenschaft stellung in Basel zu entwerfen. Die Koordination der Arbeit innerhalb der verschiedenen Gruppen und zwischen den Kontinenten war zeitintensiver als von den meisten erwartet. Zudem mussten wir Werbung für die Ausstellung in Basel machen, um Besucher zu gewinnen. In Usakos war das nicht nötig. Der Ort ist so klein, viele kannten die Menschen auf den Fotos – da wusste jeder vom Projekt. Mitte August kamen die Studierenden aus Namibia schliesslich für zwei Wochen nach Basel, um mit uns die Ausstellung zu installieren. Wir haben die Ausstellung in den Basler Afrika Bibliographien nicht nur inhaltlich angereichert, wir haben das gesamte Konzept überarbeitet: So haben wir die Ausstellung um Cecilie Geises, eine der vier Stifterinnen der Fotos, aufgebaut und die Bilder thematisch geordnet. In Usakos standen alle vier Frauen gleichermassen im Zentrum und die einzelnen Kollektionen wurden nicht durchmischt. Einblicke in zwei Länder Ausstellungskonzeption und -aufbau, internationale Zusammenarbeit, eigene Forschungsprojekte und Recherchen vor Ort – das Semesterprojekt ermöglichte uns viele neue Erfahrungen. Gleichzeitig konnten wir Einblicke in die namibische Geschichte und Kultur gewinnen, während die Namibier die Schweiz und unsere Gepflogenheiten kennenlernten. Besonders wertvoll war der persönliche Austausch in der arbeitsfreien Zeit. In den stunden- 68 Mercator Magazin 02 / 1 5 langen Gesprächen mit den Studenten aus Namibia konnten wir ein ganz neues Gefühl für das Land entwickeln. Nach der erfolgreichen Ausstellungseröffnung in Usakos reisten wir durch die Wüste Namib, vorbei an dem Berg Spitzkuppe bis an den Ozean bei Swakopmund, einer Feriendestination der wohlhabenderen Namibier. Der Höhepunkt des Ausflugs war für mich der Sonnenuntergang auf einer der grössten Dünen der Welt, den wir gemeinsam erlebten. In der Schweiz machten wir unter anderem eine Führung durch Aarau, wo nicht nur die Namibier lernten, dass dies für kurze Zeit einmal die Hauptstadt der Schweiz war. In der Spinnerei Neuthal erfuhren wir mehr über die Schweizer Industrialisierungsgeschichte der Wasserkraft. Die Führung lag auf dem Weg zu unserem eigentlichen Ziel: Urnäsch im tiefsten Appenzell. Wir wanderten mit den Namibiern, von denen kaum jemand jemals Berge gesehen hat, auf eine Hochalp. Genauso wie wir in Namibia von der Schönheit der ausgedörrten trockenen und flachen Landschaft fasziniert waren, war es nun an den Namibiern, beim Wandern auf die Hochalp nach hinten zu blicken und die Fülle an Grün und Hügeln zu bewundern. Noah Gasser studiert Geschichte und Philosophie an der Universität Basel und hat am Projekt ‹Photographs beyond Ruins› teilgenommen. Studierende aus Basel und Windhoek erarbeiten zusammen eine Ausstellung in der Schweiz – vom Konzept bis zum Aufbau. Usakos, eine Eisenbahnstadt Aufgrund seiner natürlichen Wasserquellen und geografischen Lage am Rande der Namib Wüste wurde Usakos im frühen 20. Jahrhundert zum Zentrum der damals einflussreichen Eisenbahngesellschaft OMEG (Otavi Mines and Railway Company). Seine anhaltende Bedeutung als Eisenbahnstadt verdankte Usakos zwei Faktoren: Einerseits trafen dort zwei Eisenbahnlinien mit verschiedenen Spurweiten aufeinander, von denen Transportgüter umgeladen werden mussten. Andererseits befand sich in Usakos die seinerzeit wichtigste Reparaturwerkstatt. Dies führte bis in die 1950er Jahre zu einem steten wirtschaftlichen Aufschwung in der Stadt. Neuankömmlinge auf der Suche nach Arbeit erhielten üblicherweise schon am Abend ihrer Ankunft einen Job bei der Eisenbahn. Die wirtschaftliche Blüte von Usakos kam zu einem jähen Ende, als in den 1960er Jahren Windhoek – die heutige Hauptstadt Namibias – zum neuen Eisenbahnzentrum wurde. Viele Arbeiter folgten der Bahn und verliessen Usakos. Erst heute leben mit rund 6000 Personen wieder so viele Menschen in der Stadt wie zu ihrer bevölkerungsreichsten Zeit. Usakos hat neben all den sozialen Herausforderungen nach der Apartheid auch mit dem Zerfall ihrer Infrastrukturen und mit ökonomischer Stagnation zu kämpfen. Der wirtschaftliche Abschwung in Usakos fiel zeitlich mit der rücksichtslosen Umsetzung der Apartheidsgesetze zusammen, die auch in der südafrikanischen Kolonie Namibia (1915–1990) zur Anwendung kamen. Mitte der 1950er Jahre begann die Planung für eine radikale Umgestaltung der Stadt. Im Geist der Apartheidsideologie sollten die Bewohner der Stadt – aufgeteilt nach ihrer Hautfarbe ‹schwarz›, ‹weiss› oder ‹farbig› – jeweils in eigenen Quartieren (townships) leben. Dazu wurden Beamte aus Pretoria (Südafrika) und aus Windhoek versandt, die zu dem Schluss kamen, dass derjenige Teil der Stadt, in dem die schwarze Bevölkerung bisher wohnte (heute als ‹old location› erinnert), zu nahe am Stadtteil der weissen Bevölkerung läge. Als Konsequenz wurde die so genannte schwarze Bevölkerung in ein neues Quartier einige Kilometer ausserhalb der Stadt zwangsweise umgesiedelt. Die Ausstellung ‹Usakos – Photographs Beyond Ruins› hat diese sozial und wirtschaftlich stark bewegte Zeit und die ‹old location› im Fokus. 69 TätigkeitsbereichWissenschaft Jugendkultur in Bild und Ton Handyfilme verunsichern die Öffentlichkeit, gehören jedoch zum Alltag von Jugendlichen. Dass dahinter in den meisten Fällen wertvolles Medienschaffen steht, zeigt eine Wanderausstellung der Universität Zürich. Text / Christian Ritter Viele Jugendliche machen mit ihren Smartphones eigene Filme – und dies zu unterschiedlichsten Gelegenheiten. Handyfilme sind aus dem Alltag vieler Jugendlicher nicht wegzudenken. Sie nutzen das neue Medium auf vielfältige und kreative Weise, um sich mit ihrem Alltag auseinanderzusetzen. Bei Erwachsenen haben Handyfilme aber oft einen schlechten Ruf: Wenn sie über Handyfilme sprechen, denken sie an die zahlreichen Berichterstattungen der vergangenen Jahre über Vorfälle physischer und sexueller Gewalt, bei denen das Filmen mit dem Handy eine wichtige Rolle spielte. Sexting, Cybermobbing, Happy Slapping – auch die Medienpädagogik sensibilisiert für die Probleme, die Handyfilme mit sich bringen können. Die Wanderausstellung ‹Handyfilme – Jugendkultur in Bild und Ton› der Universität Zürich zeigt seit Oktober 2015 an verschiedenen Standorten der Deutschschweiz, dass Handyfilme mehr sind als ‹Sex and Crime›. 70 Mercator Magazin 02 / 1 5 Globale Medienkultur Mit aktuellen Beispielen und einer interaktiven Szenographie verdeutlicht die Ausstellung, zu welchen Gelegenheiten Jugendliche mit ihren Smartphones filmen, was für Filme dabei entstehen und wie diese sich auf die globale Medienkultur beziehen. Dabei geht es auch darum, Handyfilme als Teil der Film- und Technikgeschichte zu verstehen. Sichtbar und hörbar wird aber auch, was Handyfilme von Handyfotografie unterscheidet – und dass dabei ganz neue Motive ins Interesse rücken: Etwa wenn junge Männer Handyfilme nutzen, um Motorengeräusche aufzuzeichnen, damit sie diese ihren Kollegen vorspielen können. Vermittelt werden solche und andere Aspekte des Themas im interaktiven Zusammenspiel von Beispielfilmen und kurzen Texten. Die Ausstellung richtet sich an Jugendliche wie an Erwachsene, die sich beruflich oder privat für das Phänomen Handyfilme interessieren. Mit der Ausstellung soll ein gemeinsamer Reflexionsraum geschaffen werden. Die Gelegenheiten, dass Jugendliche und Erwachsene zusammen Handyfilme anschauen, sind für gewöhnlich selten und finden oft unter den Vorzeichen gegenseitiger Skepsis statt. Entsprechend ist die Ausstellung so gestaltet, dass sie für den Besuch mit Schulklassen geeignet ist. Begleitet wird die Ausstellung durch Workshops für Jugendliche und thematische Weiterbildungen für Fachpersonen aus der Praxis. Die Jugendlichen sollen durch den Dialog mit Experten aus Wissenschaft und Filmgeschäft zu einem reflektierten Umgang mit Handyfilmen angeleitet werden und erkennen, dass ihre Alltagsfilme durchaus von Bedeutung sind. Die Fachpersonen aus Schule und ausserschulischer Jugendförderung wiederum werden vom Projektteam unterstützt, Kompetenzen zu entwickeln, um die produktive und kreative Dimension jugendkulturellen Medienhandelns nachhaltig zu fördern. Wissenschaftliche Erkenntnisse Die Grundlagen für die Ausstellung wurden im Forschungsprojekt ‹Handyfilme – Künstlerische und ethnographische Zugänge zu Repräsentationen jugendlicher Alltagswelten› erarbeitet. Im Mittelpunkt der Studie, die von 2012 bis 2014 mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds SNF von der Universität Zürich und der Zürcher Hochschule der Künste durchgeführt wurde, stand die Frage nach sozialen Funktionen von Handyfilmen im Alltag von Schweizer Jugendlichen. Dafür sammelte und sichtete das Forschungsteam zahlreiche Handyfilme und führte Interviews mit jungen Frauen und Männern im Alter von 13 bis 23 Jahren. Die Studie zeigt unter anderem: Im Alltag der meisten Jugendlichen spielt das Filmen und Anschauen von gewalthaltigen Vorfällen keine Rolle. Entsprechend stehen viele junge Frauen und Männer der eindimensionalen Sicht auf Handyfilme kritisch gegenüber und sehen darin eine ungerechtfertigte Pauschalisierung der Jugend. Dies führt auch dazu, dass sie ihre Handyfilme kaum als wertvoll und bedeutsam wahrnehmen. Durch die Herabwürdigung des Mediums wird auch die Relevanz und Legitimität der alltäglichen Themen und Probleme in Frage stellt, die Jugendliche über das Filmen mit dem Handy verhandeln und verarbeiten. Eine weitere Herausforderung für die Anerkennung von Handyfilmen als kreatives Schaffen ist die Qualität. Aufgrund ihrer geringen technischen Leistungsfähigkeit bringen Handys Filme hervor, deren Ästhetik sich (noch) deutlich von professionellen und semi-professionellen Produktionen unterscheiden. Handyfilme, so der allgemeine Tenor, seien eben keine ‹richtigen› Filme. Handyfilme als soziale Ressource In der kulturwissenschaftlichen Auswertung der erhobenen Filme und Interviews zeigt sich, wie wichtig das Herstellen und Anschauen eigener Handyfilme im Alltag der Jugendlichen ist: sei es zur Erinnerung, zur Dokumentation, zur Beziehungspflege oder um soziale Identitäten zu entwickeln und auszuprobieren; etwa durch das Nachinszenieren und Filmen von Körperbewegungen aus Musikvideos. Dennoch wird das alltägliche Filmen mit dem Handy in der Jugendförderung bisher kaum als soziale Ressource wahrgenommen und aktiv gefördert. Viele Fachpersonen teilen die verbreitete Skepsis gegenüber dem Medium und befürchten, in Teufels Küche zu geraten. Das hat auch damit zu tun, dass bis anhin kaum fundiertes Hintergrundwissen über das Phänomen Handyfilme zur Verfügung steht. Ebenso fehlt es an konkreten Vorschlägen, wie das Thema in Schule, Jugendarbeit und Sozialpädagogik ressourcenorientiert angegangen werden kann. Beides – Hintergrund- und Praxiswissen – sind aber wichtige Voraussetzungen, um bei den Jugendlichen ein Bewusstsein für die Relevanz ihres Medienhandelns zu schaffen. Neue Sichtweisen Um diesen Prozess anzustossen, muss das Wissen aus der universitären Forschung hinaus in Felder von Jugendkultur und Jugendförderung eingebracht werden. Die Ausstellung ermöglicht den Dialog zwischen Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit. Sie schafft neue Sichtweisen auf das Jugendmedium Handyfilme, aber auch auf den gesellschaftlichen Umgang mit neuer Medientechnik im Allgemeinen – bei Fachpersonen aus der Praxis ebenso wie bei Jugendlichen und allen, die mit Handyfilmen zu tun haben. Um den Wissenstransfer über die Laufzeit der Ausstellung hinaus aufrecht zu erhalten, erscheint zum Ausstellungsbeginn die erste deutschsprachige Publikation zum Thema Handyfilme. Das wissenschaftliche Sachbuch ‹Handyfilme als Jugendkultur› vermittelt die wichtigsten Erkenntnisse aus dem SNFForschungsprojekt. In einem Praxisteil macht es Vorschläge, wie diese in der Jugendförderung umgesetzt werden können. Speziell für die Sekundarstufe II hat das Projektteam zusammen mit der Berufsfachschule BBB in Baden zudem ein Manual für die Medienbildung im Schulunterricht erstellt, das kostenlos auf der Projekt-Website verfügbar ist. wanderausstellung Um den Dialog zwischen Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit zu fördern, bespielt die Wanderausstellung ‹Handyfilme› unterschiedliche Orte. Dazu zählen neben dem Berner Generationenhaus und dem Stadtmuseum Aarau auch Institutionen mit einem expliziten Jugend- oder Praxisbezug wie die Pädagogische Hochschule Zürich oder die Kantonsschule Romanshorn. An jedem Standort findet eine Weiterbildung für Fachpersonen satt. Workshops ermöglichen es Jugendlichen, ihre Filme gemeinsam mit Experten der Universität Zürich und der Schweizer Jugendfilmtage zu besprechen. Aus erster Hand erhalten sie Tipps und Tricks für das Filmen mit dem Handy. Die Publikation von Ute Holfelder und Christian Ritter ‹Handyfilme als Jugendkultur› (UVK Verlag) gibt weiterführende Informationen. www.handyfilme.net Christian Ritter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich. Er leitet die Wissenschaftskommunikation zum Projekt ‹Handyfilme›. Kontakt / Universität Zürich, Christian Ritter, [email protected] 71 Tätigkeitsbereich kinder und jugendliche Für einen guten Start Kinder wollen vom ersten Tag an lernen. Damit alle Kinder faire Bildungschancen erhalten, setzt sich die Stadt Bern mit der Initiative primano für die Frühförderung ein. Text / Mona Baumann Hohe Wohnblöcke umgeben das Einkaufszentrum Freudenberg in Bern. Auf der einen Seite befindet sich die Autobahn mit Lärmschutzwänden, auf der anderen Seite eine stark befahrene Strasse. Die Bevölkerungsstatistik zeigt: Hier leben viele Familien mit Kleinkindern. Diese möchte Sandra Gafner an diesem Mittwochmorgen im Einkaufszentrum erreichen, um mit ihnen über Möglichkeiten der Frühförderung zu sprechen. In der Eingangshalle hat sie einen kleinen Tisch mit allerlei Prospekten aufgebaut, daneben steht eine Kinderstaffelei, auf dem Boden liegt ein buntes Plastiktuch. Ein Junge hat es sich darauf bequem gemacht und spielt konzentriert mit Bauklötzchen. Seine Mutter erfährt unterdessen im Gespräch, wie, wo und wann das MukiDeutsch – ein Deutschkurs für Mütter und ihre Kleinkinder – stattfindet. dener Probleme wie Erwerbslosigkeit, Armut oder Sorgen um Angehörige im Herkunftsland belastet sind. Einsatz für die Frühförderung Wenn Kinder aufgrund einer ungenügenden Frühförderung mit Entwicklungsdefiziten in den Kindergarten eintreten, können sie diese im Laufe der Schulzeit kaum mehr aufholen. Um zu fairen Bildungschancen für alle Kinder beizutragen, setzt sich die Stadt Bern für die Frühförderung ein. Mit der Initiative primano möchte die Stadt Kindern spielerisch die Erfahrungen ermöglichen, die sie für ihre Entwicklung und Entfaltung benötigen. Wichtige Voraussetzungen sind dafür tragende Beziehungen zu ihren Eltern und Betreuungspersonen, der Austausch mit anderen Kindern sowie ein anregendes Spielund Lernumfeld. Um dies zu fördern, kombiniert primano drei Massnahmen in den drei wichtigsten Lebenswelten von kleinen Kindern: Kontakte zu eltern Die aufsuchende Informationsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der Initiative primano der Stadt Bern. Regelmässig ist eine Quartiervernetzerin in den verschiedenen Stadtteilen unterwegs: Auf Siedlungsspielplätzen oder in Einkaufszentren knüpft sie Kontakte zu Eltern und informiert über Spielgruppen und verschiedene Eltern-Kind-Angebote im Quartier. «Es gibt vielfältige Angebote der frühen Förderung», sagt Sandra Gafner. «Doch für viele Eltern ist es nicht einfach, sich zu orientieren und die nötigen Informationen zu erhalten, um ihr Kind anzumelden.» Das gelte insbesondere für Familien, die wenig am sozialen Leben teilhaben oder mit der Bewältigung verschie- 72 Mercator Magazin 02 / 1 5 1 Zuhause – Kinder fördern, Eltern stärken: Familien mit erhöhtem Unterstützungsbedarf und einem Kind im Alter von eineinhalb bis zwei Jahren erhalten während 18 Monaten regelmässig Besuch einer Hausbesucherin. Sie bringt Spielaktivitäten mit, die die Interaktion zwischen Eltern und Kind fördern und Lernerfahrungen ermöglichen. In regelmässigen Gruppentreffen werden mit den Eltern Erziehungsthemen vertieft. 2 Quartier – Vernetzung, Information, Schaffung von Zugängen: Quartiervernetzerinnen sind mit Aktivitäten für Kleinkinder im Quartier präsent. Sie vernetzen die Akteure des Frühbereichs und sind Informations- und Anlaufstelle für Eltern. Ziel ist es, allen Kindern den Zugang zur frühen Förderung zu öffnen. Kinder und Familien sollen kontinuierlich und bedarfsgerecht gefördert und unterstützt werden. Übergänge – zum Beispiel von der Spielgruppe oder Kita in den Kindergarten – sollen erfolgreich gestaltet werden. 3 Spielgruppen – Sicherung von Qualität und Zugang: Spielgruppenleiterinnen bilden sich im primanoFördermodul weiter, prüfen ihr Material, setzen Gelerntes um und führen thematische Elternveranstaltungen zu Motorik, Ernährung, Sprachförderung und Sozialkompetenz durch. Zum Abbau finanzieller Zugangshürden hat die Stadt Bern für Familien ein System zur individuellen Vergünstigung der Spielgruppenbeiträge geschaffen. Die Vergünstigung wird gewährt, wenn das Kind mindestens zweimal pro Woche eine Spielgruppe besucht, die gewisse Qualitätskriterien erfüllt. Im Jahr 2007 startete primano. Und dies mit Erfolg, wie die Evaluation des Instituts für Psychologie der Universität Bern zeigt: Die Kinder treten besser vorbereitet in den Kindergarten ein – mit Blick auf ihre Alltagskompetenzen, die Entwicklung ihrer Feinmotorik, ihr Sprachverständnis und ihre Sprechfreude, ihre emotionale Stabilität und Sozialkompetenzen. Auch wenn alle Kinder von einer Frühförderung profitieren, tun es solche aus sozioökonomisch belasteten Familien besonders stark. Die positiven Ergebnisse und der grosse Bedarf an Frühförderung haben die Stadt Bern ermutigt, primano nach der sechsjährigen Pilotphase weiterzuführen und – mit verschiedenen Weiterentwicklungen – auf die ganze Stadt Bern auszuweiten. Vernetzung im Quartier Das Augenmerk von ‹primano 2013–2016› liegt auf der Förderung sozio-ökonomisch benachteiligter Familien. Um diese noch besser zu erreichen und ihre Kinder in Frühförderangebote zu vermitteln, werden die Massnahmen zur Vernetzung im Quartier auf Empfehlung der wissenschaftlichen Evaluation ausgebaut. Wie in der Pilotphase arbeitet die Stadt im Bereich der Vernetzung mit Quartierorganisationen zusammen. Weiterhin kümmern sich Quartier- Mit Spielaktionen machen Quartiervernetzerinnen auf Angebote zur Frühförderung aufmerksam. Tätigkeitsbereich kinder und jugendliche vernetzerinnen um Aufbau und Pflege des Frühfördernetzwerkes in den verschiedenen Stadtteilen. Eine intensive Beziehungsarbeit und persönliche Kontakte zu Eltern und Fachpersonen sind dafür zentral. Neu lenkt primano die Aufmerksamkeit der Quartiervernetzerinnen gezielt auf Stadtteile, die von Quartieraktivitäten kaum erreicht werden. Mit verstärkt aufsuchender Arbeit stellen sie Kontakte zu Familien in diesen Wohnumfeldern her. Sie probieren neue Methoden aus. So spielen auch Stand- und Spielaktionen eine wichtige Rolle, um Familien zu erreichen. «Wiederkehrende Aktionen fördern die Bekanntheit von primanoAngeboten und bauen Vertrauen auf», sagt Sandra Gafner. Ebenso wichtig sei es jedoch, spontan über Frühförderangebote im Quartier zu informieren. Wann immer sie und die anderen Quartiervernetzerinnen in ihren Stadtteilen unterwegs sind, haben sie Flyer von Spielgruppen und vom MukiDeutsch bei sich. Da sie mit ihrer Funktion im Quartier bekannt sind, haben sie oft die Möglichkeit, bedarfsgerecht Informationen zu Angeboten an Eltern zu vermitteln. Die Quartiervernetzerinnen – ‹Frau primano› werden sie von vielen Eltern liebevoll genannt – nutzen das durch Konstanz und Verlässlichkeit aufgebaute Vertrauen, um auch bildungsfernen Eltern die Bedeutung der Frühförderung für die Bildungsperspektive ihrer Kinder aufzuzeigen. Mona Baumann vom Gesundheitsdienst der Stadt Bern leitet das Programm primano. Kontakt / Stadt Bern, Mona Baumann, [email protected] 74 Mercator Magazin 02 / 1 5 Qualität von Spielgruppen In der Stadt Bern besucht rund ein Drittel der Kinder eine Spielgruppe. Damit sind Spielgruppen ein wertvoller Pfeiler der frühen Förderung, vorausgesetzt die pädagogische Qualität ist hoch. Um diese weiterzuentwickeln und zu etablieren, ermöglicht primano Weiterbildungen für Spielgruppenleiterinnen. Bereits in der Pilotphase von primano konnten Spielgruppenleiterinnen der Stadt Bern kostenlos vier Fördermodule zu den Themen Ernährung und Bewegung, Sprachförderung, soziale Kompetenzen und Elternarbeit besuchen. Gleichzeitig wurden sie finanziell in der Optimierung der räumlichen und materiellen Infrastruktur unterstützt. Im Gegenzug verpflichteten sich die Leiterinnen, das Gelernte im Spielgruppenalltag umzusetzen und die Elternarbeit in der Spielgruppe zu verstärken. Die Rückmeldungen der Spielgruppenleiterinnen und der Eltern zeigen, dass das primano-Fördermodul bei der Sicherung und Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität in den Spielgruppen einen wichtigen Beitrag leisten kann. Die Evaluation der Universität Bern erkannte bei den Kindern, deren Spielgruppe vom Fördermodul profitierte, vor allem in den Bereichen Motorik und Sprache bedeutsame Wirkungen. Auf Empfehlung der Wissenschaftler wurden die einzelnen Module für ‹primano 2013–2016› zu einer zweijährigen Weiterbildung zusammengefügt. Dabei erhielt die Sprachförderung ein noch grösseres Gewicht. Neu wurde die Weiterbildung auch für Spielgruppenleiterinnen des Kantons Bern geöffnet. 20 Spielgruppenleitlerinnen aus Stadt und Kanton starteten im August 2015 mit dem primano-Fördermodul. primano Die Stadt Bern möchte durch Frühförderung zu fairen Bildungschancen beitragen. Die Förderangebote erfolgen bei den Familien zu Hause, im Quartier und in Spielgruppen. Anknüpfend an das erfolgreiche Pilotprojekt primano werden im Projekt primano 2013– 2016 weitere Innovationen entwickelt und auf die ganze Stadt Bern ausgeweitet: Benachteiligte Familien sollen mehr Zugang zu den Angeboten erhalten. Spielgruppen werden in der Entwicklung und Sicherung ihrer pädagogischen Qualität unterstützt. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt die Weiterentwicklung des Programms mit 240 000 Franken. www.primano.ch Der Kreativität auf der Spur Text / Thomas Duarte Beim Zeichnen oder Malen, beim Fotografieren oder Filmen, beim Drucken oder textilen Werken greifen Kinder und Jugendliche gestaltend in ihre Umwelt ein. Sie stellen sie dar, machen sie sich zu eigen, verwandeln sie, erfinden sie neu. In einer Welt, die von Bildern beherrscht wird, lernen sie auf diese Weise, kritisch und produktiv mit diesen umzugehen. Um Bildungsmöglichkeiten im gestalterischen und künstlerischen Bereich auch ausserhalb des Schulunterrichts zu fördern, wurde im Jahr 2005 die K’Werk Bildschule bis 16 in Basel gegründet, sogar schon etwas früher entstand die Kleine Kunstschule St. Gallen. Inzwischen sind weitere Bildschulen in den Kantonen Zug, Aargau und Bern hinzugekommen, eine Schule in Zürich befindet sich im Aufbau. Bildschulen sind Kunstund Gestaltungsschulen für Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 16 Jahren. In Kursen und Workshops wird eine kontinuierliche, fundierte Bildung mit hohem künstlerischem und pädagogischem Niveau im gestalterischen Bereich vermittelt. Diskussionen anstossen Eine Ausstellung zeigt die Arbeit von Bildschulen und regt Diskussionen über die Bedeutung der gestalterischen Bildung an. Die Konferenz Bildschulen Schweiz möchte als Dachorganisation die Arbeit der Bildschulen bekannt machen. Und vor allem möchte sie in Öffentlichkeit und Politik, unter Pädagogen und Künstlerinnen Diskussionen darüber anstossen, warum gestalterische Bildung wichtig ist, wie künstlerische Arbeitsweisen vermittelt werden können, wie man Kinder und Jugendliche in ihrer Kreativität fördern kann – und welche Rolle dabei die Bildschulen spielen. Die Bildschulen verfügen inzwischen über grosse Erfahrungen im Bereich der künstlerischen Bildung. Sie verstehen sich als Laboratorien 75 Tätigkeitsbereich kinder und jugendliche kindlicher Kreativität und künstlerischer Pädagogik. Mit einer Wanderausstellung, einem Symposium und einer Publikation will der Dachverband das Know-how und die Erfahrungen der Bildschulen weitergeben und zur Diskussion stellen. Die Stiftung Mercator Schweiz fördert diese Aktivitäten der Konferenz Bildschulen Schweiz mit 50 000 Franken. Auf Tournee Seit August 2015 ist die Wanderausstellung ‹Bauplatz Kreativität› auf Tournee. Gestalterisches Leitbild für die Ausstellung ist die Baustelle. Sie steht für das produktive Tun in den Kursen und künstlerischen Prozessen der Bildschulen – und im übertragenen Sinne für den Begriff der Kreativität insgesamt, dem Kernthema der Bildschulen. Die Kreativität dient der ganzen Ausstellung als übergeordnete Klammer: Woher kommt der Begriff? Welche Vorstellungen verbinden wir damit? Welche Erwartungen sind daran geknüpft? Was geschieht, wenn wir kreativ sind? Was bedeutet Kreativität für Kinder? Wie gestaltet sich der kreative Prozess? Wie kann Kreativität gefördert werden? Die Ausstellung möchte verschiedene Facetten von Kreativität aufzeigen. Sie möchte Fragen aufwerfen und die Besucherinnen und Besucher dazu anregen, Antworten zu suchen. Mehrere Spuren laufen durch die Ausstellung, entsprechend unterschiedlich sind die Lesearten: Es gibt eine niederschwellige und sinnliche Spur für das junge Publikum, eine rasch erfassbare für das breite Publikum und eine vertiefende Spur für das Fachpublikum. Bildschulen wollen im künstlerisch-gestalterischen Bereich das leisten, was die Musikschulen im musikalischen Bereich schon lange tun: gestalterische Grundbildung, künstlerische Praxis, Begabungsförderung und Breitenangebot miteinander verknüpfen. Die Ausstellung zeichnet mit Informationstafeln die Entstehung der ersten Bildschulen in der Schweiz nach. Sie zeigt Bilder aus den verschiedenen Standorten und Arbeiten, die in den vergangenen zehn Jahren am K’Werk Basel entstanden sind. Videos mit Experteninterviews machen deutlich, warum gestalterische Bildung für Kinder und Jugendliche wichtig ist. 76 Mercator Magazin 02 / 1 5 Die Ausstellung zeigt auch, wie Kreativität und gestalterisches Arbeiten vermittelt werden können. Dies ist ein besonderer Schwerpunkt auf der Spur für Lehrpersonen und Pädagogen durch die Ausstellung: Sie erfahren, wie an den Bildschulen unterrichtet wird, wie sich der Unterricht an den Bildschulen von jenem an den Volksschulen unterscheidet und wie sich beide Institutionen gegenseitig ergänzen können. Anhand konkreter Beispiele entdecken Lehrpersonen Anregungen für ihren eigenen Unterricht. Die Ausstellung widmet sich auch dem Stellenwert kreativer Berufe in der Arbeitswelt. Obwohl die Bildschulen nicht in erster Linie auf die Berufswelt ausgerichtet sind, so ist es ihnen doch wichtig, die Möglichkeiten von Laufbahnen im gestalterischen Bereich zu thematisieren. Eine spezielle Spur für Kinder bietet diesen die Möglichkeit, an vier Stationen selbstständig zu zeichnen, mit Werkzeugen zu hantieren, eine Kugelbahn zusammenzubauen oder den Filmstreifen für ein Tischkino zu gestalten. Beiträge von Kindern Kinder und Jugendliche sind in der ganzen Ausstellung präsent. Ihre Arbeiten – Bilder, Installationen, Trickfilme – sind ausgestellt. In kurzen Videobotschaften geben sie Einblicke in ihre Erlebnisse und Erfahrungen an den verschiedenen Standorten der Bildschulen. Und in verschiedenen Kursen haben sie speziell Beiträge für die Ausstellung erarbeitet. So wurden etwa die Stühle, die den Gästen überall in der Ausstellung zur Verfügung stehen, von Kindern im Kurs ‹Raumlabor› entworfen, der Kurs ‹Stoff + Faden› hat einen Vorhang beigetragen und im Fotokurs entstanden die Illustrationen zu den vorgestellten Unterrichtsmethoden. Die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen am Ausstellungsprojekt zeigt einen wichtigen Aspekt der Arbeit an den Bildschulen: Es geht nicht nur darum, dass Kinder und Jugendliche eine eigene gestalterische Sprache finden, sondern auch darum, für konkrete Aufgabenstellungen und Projekte Lösungen auszuarbeiten und zu präsentieren. Die Besucher können verschiedene Aspekte der künstlerischen Bildung vertiefen – und auch selbst aktiv werden. Thomas Duarte ist Geschäftsleiter der Konferenz Bildschulen Schweiz. Kontakt / Konferenz Bildschulen Schweiz, Thomas Duarte, [email protected] 77 Tätigkeitsbereich Mensch und umwelt Detektivarbeit auf dem Biohof Schulklassen verlegen ihren Unterricht auf einen Bauernhof: Sie forschen und diskutieren zusammen mit Nachwuchswissenschaftlern und Landwirten zu aktuellen Fragen des Klimawandels und der biologischen Vielfalt. Text / Eric Wyss «Ich wusste nicht, dass im biologischen Landbau auch Spritzmittel eingesetzt werden», sagt eine Schülerin erstaunt. «Ich dachte, dass man die Obstbäume einfach so lässt, wie sie sind.» Einen Tag hat ihre Klasse vom Gymnasium Leonhard in Basel zusammen mit ihrem Biologielehrer Ruedi Küng auf dem Biobetrieb von Paul Nussbaumer in Aesch (BL) verbracht und viele neue Erkenntnisse zum Biolandbau und zu Aspekten der Biodiversität gewonnen. Begleitet von der Agrarwissenschaftsstudentin Lisa Studer erforschte die Klasse Schädlinge und Nützlinge in den Obstanlagen des Betriebs. Die Ergebnisse diskutierten sie mit dem Biobauern. Eben dieser Dialog zwischen Praxis, Forschung und Schule ist ein wichtiges Ziel des Projekts LERNfeld. Die Bildungsinitiative GLOBE Schweiz hat das Schulprojekt für forschendes Lernen im Bereich der Landwirtschaft entwickelt. Im Jahr 2015 fand das Pilotprojekt mit zwölf Klassen statt. Zählen, Bestimmen, Dokumentieren Nach einer kurzen Einführung durch den Betriebsleiter und einer erkundenden Fotorallye über den Hof begann die Forschung: Um die verschiedenen Insekten und Spinnentiere – die eigentlich nur der Mensch in Schädlinge und Nützlinge gruppiert – auf den Obstbäumen untersuchen zu können, mussten die Schülerinnen und Schüler selbst so genannte Klopftrichter bauen. Mit diesem Werkzeug haben sie Apfel-, Birnen- und Kirschbäume nach wissenschaftlicher Vorgabe untersucht, die Tiere gezählt, bestimmt und in Datenblättern erfasst. Zudem haben sie in den Obstbäumen nach den typischen Schadbildern Ausschau gehalten: Frassstellen an Blättern, Frassgänge an Früchten oder eingerollte Blätter. Bei dieser Detektivarbeit half ihnen die Expertise des Bauern und der Studentin. Denn zu den Untersuchungen auf dem Biohof sollten die Schülerinnen und Schüler Berichte verfassen. Dass gewisse Insektizide im Biolandbau erlaubt sind, war einigen Schülern neu. Und dass man gegen Blattläuse auch Marienkäferlarven freilassen kann, gab zu grundsätzlichen Diskussionen Anlass: «Weshalb muss man überhaupt Nützlinge einsetzen?» «Kann man nicht einfach alles so lassen, wie es ist?» «Das ist doch irgendwie gegen die Natur!» Der Biobauer Paul Nussbaumer erklärte, dass Wirtschaftlichkeit, Anforderungen des Marktes und der Konsumierenden solche Massnahmen nötig machen. Larven gegen Blattläuse Wie die Nützlinge gegen Blattläuse wirken, konnten die Schüler beobachten: Ihr Biologielehrer hatte Marienkäferlarven gezüchtet. Da diese schon geschlüpft waren, konnten die Jugendlichen den Marienkäfern beim Fressen der Blattläuse zuschauen. Auch Ohrwürmer wirken gegen Blattläuse. Mit Blumentopf und Holzwolle baute In einer Obstanlage erforscht die Studentin Lisa Studer zusammen mit einer Schulklasse Schädlinge und Nützlinge. 79 Tätigkeitsbereich Mensch und umwelt Pflanzenvielfalt verschiedener Flächen, beobachten die Vielfalt der Blütenbestäuber, messen die Abbaugeschwindigkeit von organischen Materialien im Boden, zählen die Kauschläge von Kühen und errechnen deren Verdauungseffizienz. Diese und weitere Themen ermöglichen es Schulklassen, auf landwirtschaftlichen Betrieben naturwissenschaftliche Methoden einzuüben, Resultate zu analysieren und zu diskutieren. Zusammenarbeit mit Experten die Klasse ihnen ein Hotel. Die Wirkung dieser Fördermassnahme wird sich im nächsten Jahr zeigen. Hat die Vielfalt der Nützlinge in Obstanlagen einen Einfluss auf das Schädlingsaufkommen? Können die Nützlinge die Schädlinge wirklich in Schach halten? Wie viele Schädlinge duldet der Bauer, bevor er spritzt? Intensiv diskutierten die Schülerinnen und Schüler mit dem Betriebsleiter und der Jungforscherin über diese Fragen. Antworten bis ins letzte Detail sind noch nicht gefunden. Deshalb geht die Forschung der Jugendlichen weiter: Sie werden die vielen erhobenen Daten analysieren und Berichte schreiben. Die Jungforscherin wird für die Schlussdiskussion ins Klassenzimmer kommen, um offene Fragen zu beantworten. «Dieser interaktive Wissenstransfer ist eine tolle Herausforderung», erzählt Lisa Studer. Dass ihr Engagement für das Studium an der ETH Zürich angerechnet wird, ist ein schöner Pluspunkt. Biodiversität und Klimawandel Für das Projekt LERNfeld hat Globe Schweiz zusammen mit der ETH Zürich, mit der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz, mit dem Forum Biodiversität und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau verschiedene Lernaktivitäten für Mittelstufe, Sekundarstufe I und II erarbeitet. Im Zentrum stehen die Themen Biodiversität und Klimawandel im Kontext der Landwirtschaft: Schüler erforschen Unterschiede der 80 Mercator Magazin 02 / 1 5 Die teilnehmenden Bauern und Jungforschenden sind wichtige Begleiter, Experten und Gesprächspartner für die Schulklassen. Die Lehrpersonen koordinieren diese Lerngemeinschaften. Ruedi Küng ist zufrieden mit dem Forschungsausflug: «Biologie findet draussen statt. Eine Lektion im Klassenzimmer kann die vielfältigen Erfahrungen auf dem Bauernhof nicht ersetzen.» Mit Unterstützung der Studentin haben die Jugendlichen gelernt, genau hinzusehen, zu beobachten und zu analysieren. «Die Klasse konnte erleben, was Wissenschaft bedeutet», sagt der Biologielehrer. Die Zusammenarbeit mit den externen Experten fand er sehr wertvoll. Die Studentin und der Landwirt haben den Jugendlichen neue Sichtweisen erschlossen und unerwartete Diskussionen angestossen. «Dass sie als Konsumenten die Landwirtschaft beeinflussen können, war für die Schülerinnen und Schüler eine ganz neue Erkenntnis», erzählt Ruedi Küng. Die Jugendlichen bauen Klopftrichter, mit deren Hilfe sie Nützlinge und Schädlinge sammeln, um sie zu untersuchen. Globe Schweiz GLOBE (Global Learning and Observations to Benefit the Environment) ist ein internationales Umweltbildungsangebot für alle Schulstufen – von der Unterstufe bis zur Sekundarstufe II. Das Programm bietet praxisorientierte Lernaktivitäten ausserhalb des Schulzimmers im Fachbereich ‹Natur Mensch Gesellschaft› und ‹Natur und Technik› an. Damit fördert es naturwissenschaftliche Grundkompetenzen. Die Unterrichtsmaterialien sind von Experten aus Forschung und Bildung entwickelt und unterstützen den kompetenzorientierten Unterricht. Behandelt werden komplexe Themen wie Boden, Wetter und Klima, System Erde, Jahreszeiten, Hydrologie und Biodiversität. www.globe-swiss.ch Eric Wyss ist Co-Geschäftsleiter von GLOBE Schweiz. Kontakt / GLOBE Schweiz, Eric Wyss, [email protected] 81 Engagiert Wie eine grosse Schwester Mirjam Hagmann Rock your Life! Wir haben Erlebnisse ausgetauscht, uns näher kennengelernt. Sie hat mir viel von ihrer Familie, ihren Freunden und ihrer Schule erzählt. Mir war diese Zeit sehr wichtig, um Vertrauen aufzubauen. Das Vertrauen zwischen Mentor und Mentee ist entscheidend, damit die Zusammenarbeit funktioniert. Wir sprechen über Schulisches, aber auch über Privates. Die Mentees müssen sich darauf verlassen können, dass wir als Mentoren den Lehrern oder Eltern nicht weitererzählen, was sie uns anvertrauen. Von ‹Rock your Life!› wurden wir auf unsere Tätigkeit vorbereitet: Was erwartet uns? Wann sollten wir Hilfe holen? Wie kann man seinen Mentee dazu bringen, sich zu öffnen? Wie leitet man ein Gespräch in die gewünschte Richtung? Die Workshops waren wichtig. Schliesslich tragen wir als Mentoren viel Verantwortung. Regelmässige Treffen Ich hatte gerade mein Jurastudium begonnen, als ich von ‹Rock your Life!› erfahren habe. Von der Organisation und ihrem Ansatz war ich begeistert, so habe ich mich gleich als Mentorin beworben: Da meine Eltern für eine Menschenrechtsorganisation gearbeitet haben, bin ich in Jordanien und Südafrika aufgewachsen. Als wir zurück in die Schweiz gezogen sind, ist es mir nicht leicht gefallen, mich zu integrieren. Gerne hätte ich eine aussenstehende Person gehabt, die mir hilft. Entsprechend wichtig ist es mir, Jugendliche dabei zu unterstützen, Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. Ich möchte zeigen, dass man seinen Weg gehen kann, auch wenn es nicht immer einfach ist. Vertrauen und Verantwortung Seit Oktober 2014 arbeite ich mit Savannah zusammen. Wir haben uns sofort verstanden. Ich fühle mich wie ihre grosse Schwester, die ihre Erfahrungen weitergibt. Anfangs haben wir einfach miteinander geredet und viel gelacht. 82 Mercator Magazin 02 / 1 5 Ich treffe mich ein bis zwei Mal im Monat mit Savannah – immer an unterschiedlichen Orten: Bei mir in der WG haben wir zusammen Pizza gegessen. In einem Café haben wir ihre Bewerbungsunterlagen bearbeitet. Die Uni war auch schon ein Treffpunkt. Savannah sollte wissen, wo ich jeden Tag hingehe und studiere. Ich will ihr zeigen, dass Lernen Spass macht und Bildung einem viele Türen öffnet. Dass sie von meinen Erlebnissen im Ausland erfährt, war mir sehr wichtig, da Jugendliche die Welt sehen sollten. Vielleicht will Savannah einmal an einem Austausch teilnehmen oder eine Sprachschule besuchen. Da sie zurzeit eine Lehrstelle sucht, unterstütze ich Savannah vor allem dabei, Bewerbungen zu schreiben. Ich bin stolz, wenn ich sehe, wie sie als 14-Jährige ihre Zukunft in die Hand nimmt. Mein Mentee ist eine verantwortungsbewusste junge Frau, die sich für andere einsetzt. Ich verbringe gerne Zeit mit ihr. Es ist spannend, ihre Sichtweisen auf die Welt kennenzulernen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns auch weiterhin austauschen, wenn sie ihre Ausbildung angefangen hat. Mirjam Hagmann (22) aus Winterthur engagiert sich für das Mentoring-Programm ‹Rock your Life!›. Während zwei Jahren werden Jugendliche des 8. und 9. Schuljahres von Studierenden beim Übergang von der Schule in den Beruf begleitet. Partnerunternehmen ermöglichen ihnen Einblicke in verschiedene Berufe. Insbesondere wenn das Wissen zum Schweizer Ausbildungssystem, wenn Sprachkenntnisse oder die Unterstützungsmöglichkeiten zuhause fehlen, können Berufswahl und Lehrstellensuche für Jugendliche schwierig sein. Durch das persönliche Mentoring lernen die Schüler ihr individuelles Potenzial zu entfalten und Visionen für ihre Zukunft zu entwickeln. Die Stiftung Mercator Schweiz unterstützt Rock your Life. schweiz.rockyourlife.org Kalender Impressum Mercator Magazin, Ausgabe 02 / 15 Herausgeber / Stiftung Mercator Schweiz redaktion / Nadine Fieke bildnachweis / Cornelia Biotti (S. 56 — 59, 62, 76 — 79) / Nadine Fieke (S. 7, 9, 15, 20, 21, 26, 32, 34 — 37, 38, 40, 42, 43, 48, 51, 68) / Paul Grendon (S. 64) / Sophie Gysin (S. 74 — 75) / Jonas Jäggy (S. 65 — 67) / Vera Markus (S. 60) / Brendon Mikronis (S. 9) / Sabine Rock (S. 26) / Brigit Rufer (S. 10 —12, 16 — 19, 22 — 25, 28 — 30, 32, 33, 49, 52 — 55) / Julie Saacke (S. 80) / Judith Schäfer (S. 73) / Gian Vaitl (S. 61) / Cyrill Wunderlin (S. 14) / Berner Fachhochschule (S. 61) / Biogas Zürich (S. 8) / Bio ZH (S. 14, 32, 49) / Botanischer Garten (S. 7 ) / Compagnie nik (S. 20) / FiBL (S. 49) / Filme für die Erde (S. 8) / GZ Hirzenbach (S. 14, 50, 60) / Helvetas (S. 8) / myblueplanet (S. 48) / Nebenrolle Natur (S. 4 1, 61) / Öpfelchasper (S. 9, 5 1) / OJA Kreis 9 & Hard (S. 41, 60) / OJA Kreis 5 (S. 50) / Prokino (S. 4 4 — 47) / SAJV (S. 2) / Science et Cité (S. 4) / Stadt Bern (S. 7 1 — 72) / Stadt Zürich (S. 20, 41) / Universität Luzern (S. 3) / Vegane Gesellschaft Schweiz (S. 60) / Zürcher Bauernverband (S. 14) gESTALTUNG / Rob & Rose Lithografie / Andreas Muster, Basel druck / Odermatt AG, Dallenwil papier / PlanoPlus 90 g/m2 auflage / 1 500 Exemplare Januar März 21.01.2016 22.03.2016 Gemeindevision 2035 Städte und Gemeinden haben zahlreiche Möglichkeiten, energie- und ressourcenschonendes Verhalten vorzuleben und durch entsprechende Angebote oder Anreize zu fördern. An der Tagung ‹Gemeindevision 2035› der Stiftung Praktischer Umweltschutz Pusch entwickeln die Teilnehmenden im Volkshaus Zürich Bilder und Visionen für eine nachhaltigere und ressourcenschonendere Zukunft auf kommunaler Ebene. www.pusch.ch 28.— 31.01.2016 Auftritt mit eigenem Stück Die Junge Bühne Bern hat im Rahmen des Wettbewerbs ‹Satellit› innovative Ideen für Produktionen gesucht: Junge Theater- und Tanzbegeisterte erhielten die Möglichkeit, ein eigenes Stück zu realisieren. Zu den Gewinnern gehört das Stück ‹Wir wissen, wer wir sind›. Mit Musik und Tanz sowie Text in Baseldütsch erzählen Lea Agnetti, Cléo Amacher, Stephanie Brückner, Anja Delz, Franca Fellmann und Alina Immoos, wie es ihnen als junge Menschen geht. www.junge-buehne-bern.ch SC2015102701 Februar 26.02.2016 Kontakt Stiftung Mercator Schweiz Gartenstrasse 33 Postfach 2148 CH – 8022 Zürich Tel. + 41 ( 0 ) 44 206 55 80 info@stiftung - mercator.ch www.stiftung - mercator.ch Ansprechpartner Projekte Sara Fink [email protected] — primano 2013 – 2016 Olivia Höhener [email protected] — Mercator Kolleg für internationale Aufgaben — Master Class — Science Comm — Photographs beyond Ruins — Handyfilme stephanie huber [email protected] — Kurswechsel Landwirtschaft — LERNfeld Lisa Radman [email protected] — Engage.ch — Rock your Life! patric schatzmann [email protected] — Aktion 72 Stunden — Bauplatz Kreativität Katia Weibel [email protected] — Zürich isst Tagung zum Projekt ‹QuAKTIV› In einer Tagung stellt die Fachhochschule Nordwestschweiz auf ihrem Campus in Brugg-Windisch die Ergebnisse des Programms ‹QuAKTIV – Naturnahe, kinderund jugendgerechte Quartier- und Siedlungsentwicklung im Kanton Aargau› vor. Im Rahmen des Programms wurden in den drei Pilotgemeinden Herznach, Birmenstorf und Aarburg unter aktiver Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen naturnahe Erlebnisräume verwirklicht und vielfältige Partizipationsmethoden getestet. Die Tagung geht Fragen nach Voraussetzungen und Möglichkeiten, Chancen und Grenzen sowie Mehrwert und Aufwand von Partizipationsprojekten im Bereich der Planung und Gestaltung von Freiräumen nach. www.quaktiv.ch/tagung Treffen des Suffizienznetzwerks Wie viel ist genug? Wie können wir den aktuellen Ressourcen- und Umweltproblemen durch einen bewussten Konsum- und Lebensstil begegnen? Im Rahmen einer Ausschreibung unterstützt die Stiftung Mercator Schweiz Projekte, die sich anschaulich und kreativ mit dem Thema Suffizienz befassen. Am Netzwerktreffen in Zürich tauschen die geförderten Projektverantwortlichen ihre Erfahrungen aus. www.stiftung-mercator.ch/ suffizienzprojekte April 21.04.2016 Sustainable Universities Day Das ‹Sustainable Development at Universities Programme› unterstützt Projekte an Schweizer Hochschulen, um das Thema der nachhaltigen Entwicklung besser zu verankern. Am jährlichen Sustainable Universities Day geht es um die Frage, wie Universitäten ihre Rolle für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft wahrnehmen und stärken können. 2016 organisiert die Universität St. Gallen die Veranstaltung unter dem Thema ‹Responsible Leadership›. www.sd-universities.ch Mai 27.05.2016 eco.naturkongress Wenn von Welternährung gesprochen wird, gibt es immer zwei Seiten der Diskussion: Zum einen geht es um die Herstellung von Nahrungsmitteln, auf der anderen Seite um den fehlenden Zugang in einigen Regionen der Welt und um die Verschwendung von Lebensmitteln. Der eco.naturkongress 2016 in Basel widmet sich diesem Spannungsfeld. Dabei wird immer wieder ein Fokus auf die Rolle der Schweiz gelegt: Was ist unsere Verantwortung? Wo können wir Einfluss nehmen, wo nehmen wir ihn bereits wahr? Was ist die Rolle von Schweizer Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind? Wie berücksichtigt die Schweizerische Landwirtschaftspolitik die internationalen Verflechtungen unseres Ernährungssystems? www.eco.ch/kongress