Yang Guifei Die Konkubine des Kaisers Oper von Yijie Wang Libretto von Sören Ingwersen 1 Yang Guifei Die Konkubine des Kaisers Ein Arbeitsjournal Astrid Klein, Figurine „Yang Guifei“ 2 Yang Guifei Die Konkubine des K aisers K ammeroper in vier Bildern für Soli, Chor und Orchester Libretto von Sören Ingwersen Yang Yuhuan/Guifei Rebekka Reister Guifeis Schatten Ying Ma Kaiser Xuanzong Jianeng Lu Yang Guozong (Guifeis Vetter) Axel Wolloscheck An Lushan (General) Ronaldo Steiner Gao Lishi (Eunuch des Kaisers) Algirdas Bagdonavicius Hofdame Indre Pelakauskaite/ Sophie Reuter Projektchor der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Raika Maier, Yuxi Lu, Chen Ding, Jinhee Kim, Shengjia Xu, Sophie Reuter, Indre Pelakauskaite, Songyan He, Cheng Li, Bolun Wang, Jialiang Hu, Xiao Yang, Shuo Yang Projekt-Orchester der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Jueer Wang (Violine) Maya Lorenzen (Violine) Lucas Schwengebecher (Bratsche) Jiapeng Nie (Cello) Balthasar ­Brockes (Kontrabass) Dexin Kong (Flöte) Natsuki Ogihara (Oboe) Yunpeng Gou (Klarinette) Silas Gärtner (Fagott) Tomás Figueiredo (Horn) Leonard Huster (Trompete) Chih-Yen Chang (Posaune) Chia-Hui Chou (Percussion) Yang-Huang Huang (Percussion) Gäste Fengxia Xu-Wagner (Guzheng), Ya Dong (Pipa), Menglu Che (Erhu) Musikalische Leitung Bettina Rohrbeck Regie und Bühnenbild Dominik Neuner Kostüme und Maske Astrid Klein, Imke Ludwig Kostümassistenz Pia Zielke Dramaturgie und Musik­ vermittlung Bettina Knauer Choreografie Catherina Lühr Musikalische Assistenz Justus Tennie Regieassistenz Ryka Kobiella Inspizienz Maik Hoppe Wissenschaftliche Begleitung Prof. Dr. Beatrix Borchard, Prof. Dr. Georg Hajdu, Dr. Bettina Knauer Technische Leitung Heinz Ulbrich Bühnenmeister Wolfgang Thieß Beleuchtungsmeister Birger von Leesen Beleuchtungstechnik Ramzi Chenitir, Andreas Kehler, Klaus Uhlich Bühnentechnik Detlev Feist, Michael Haase, Andreas Heiß, Volker Teppich Werkstättenleitung Andreas Heiß Auszubildender Dennis Ulbrich Ton Katharina Raspe Junges Forum Musik und Theater Uraufführung: 23. Februar 2014 Weitere Vorstellungen: 25. und 27. Februar sowie 1. und 2. März 2014 Vorstellungen am Theater Kiel 26. und 30. April 2014 junges forum Musik + Theater Peter Krause (Ltg.), Nora Krohn, Wolfgang Wagner Produktionsleitung Dominik Neuner Eine fächerübergreifende ­Produktion der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Für die großzügige Unterstützung danken wir: Inhalt Inhalt der Oper9 Drei Fragen an die Komponistin Yijie Wang 14 Sören Ingwersen: 15 Im Schat ten der Schönheit Peter Michael Hamel: 19 Im Bad der Konkubine The e verl a sting regret23 Dominik Neuner und Bet tina Rohrbeck 30 im Gespräch Hans Stumpfeldt: 35 „Den Schwalben nachblickend und den Grillen l auschend“. Über die k aiserliche Konkubine Yang Guifei und ihre Lebenswelt Wissenschaf t und Kunst:45 Be atrix Borchard und Georg Ha jdu im Gespräch Juan Xu: 52 femme totale – Die Rolle der Frau in der gegenwärtigen Kunst in China am Beispiel der „Bald Girls“ Andreas Lorenz: 59 Neue KP-Führung in China: Die singende First L ady Biografien62 Impressum67 Bildnachweise67 6 Astrid Klein, Figurine „Schatten“ Inhalt der Oper 1. Akt Die junge, bildschöne Yang wird von ihrem Schwiegervater, dem Kaiser, ins Badehaus eingeladen. Dort offenbart er ihr seine Zuneigung und die feste Absicht, sie zu seiner Frau zu machen. Yang ist schockiert und verzweifelt, als ihr befohlen wird, den Bund der Ehe mit dem Kaisersohn zu lösen. 2. Akt Als Konkubine hat Yang sich in ihr Schicksal gefügt. Wie jeden Abend macht sie sich für den ersehnten Besuch des Kaisers zurecht. Sie fühlt sich vernachlässigt und sucht Trost im Alkohol. Der Eunuch Gao Lishi erscheint und bietet ihr an, an Stelle des Kaisers das Bett mit ihr zu teilen. Empört schickt Yang den Eunuchen fort. Plötzlich spricht die Stimme eines rätselhaften Schattens zu ihr und erinnert sie an ihre Kindertage, an eine Brücke, die in einen blühenden Garten führte, den die Kinder nicht betreten durften. Der Schatten verschwindet als Yangs Vetter den Raum betritt. Er ermahnt seine Cousine, nicht so viel zu trinken. Schließlich solle sie ihren Einfluss auf den Kaiser geschickt nutzen, um möglichst viele Mitglieder der Yang-Familie mit politischen Ämtern zu ­versehen. 3. Akt Li Chao-tao, Der Kaiser auf einer Reise nach Shu, um 700. Die kaiserliche Familie verlässt fluchtartig den Palast, als die letzte V ­ erteidigungslinie der kaiserlichen Truppen am Tong Pass gefallen war. Der Kaiser selbst floh mit wenigen Getreuen und Yang Guifei Richtung Sichuan. Doch die Leibgarde forderte die Hinrichtung Yang Guifeis, die in den Augen der Soldaten das Reich in den Untergang getrieben hat. Im Traum erschien dem Kaiser seine Konkubine Yang als Himmelsfee. In einem Theaterstück, das anlässlich der Vermählung des Kaisers mit Yang am Hofe aufgeführt werden soll und in dem Yang selbst als Tänzerin auftritt, möchte der Kaiser diese Vision realisieren. Yang jedoch hat andere Vorstellun­ gen und gerät in einen Streit mit dem Kaiser. General An Lushan und Yangs Vetter – inzwischen kaiserlicher Zensor – treten auf und berichten, dass das Reich von inneren Aufständen und äußeren Feinden bedroht werde und höchste Gefahr herrsche. Beide Männer verfolgen unterschiedliche Verteidigungsstrategien und verlangen vom Kaiser eine Entscheidung. Als dieser die Entscheidung verweigert, eskaliert der Streit und kann erst durch Yangs ­Eingreifen geschlichtet werden: Sie überrascht die Anwesenden mit ihrem ­Entschluss, General An Lushan adoptieren zu wollen. 9 4. Akt Der Kaiser und sein Gefolge sind aus der Kaiserstadt in den Südwesten des Landes geflohen. General An Lushan, der sich mit dem aufständischen Volk verbunden hat, tritt auf und fordert die Absetzung des Kaisers, der unter dem schlechten Einfluss seiner Frau und der ganzen Yang-Familie das Reich ins Chaos gestürzt habe. Wieder begegnet Yang ihrem Schatten, der sie an die ­ewigen Werte ihres Handelns und ihrer Staatsgeschäfte erinnert. Der Eunuch Gao Lishi kommt hinzu und verkündet Yang die grausame Hinrichtung ihres Vetters. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, legt er ihr nahe, sich selbst mit einem Dolch das Leben zu nehmen, um die Schuld der Yang-Familie zu sühnen. Yang erkennt, dass nur ihr Tod den Kaiser retten kann, verlangt aber, der Eunuch solle sie erdrosseln. Im letzten Moment kommt der Kaiser hinzu. Er kann den Mord an seiner geliebten Yang Guifei aber nicht mehr verhindern. 10 Astrid Klein, Figurine „Kaiser“ 11 Yijie Wang geb. am 10. Februar 1983 in Qingdao, China. Yijie Wang hatte seit dem fünften Lebensjahr Klavierunterricht bei ihrem Vater. Zwischen 1999 und 2002 besuchte sie die an das Konservatorium für Komposition angeschlossene Oberschule in Beijing. Von 2002 bis 2006 studierte sie Kom­position bei Prof. Wanchun Shi am Konservatorium in Beijing. Während des gesamten Studiums gewann sie sechsmal ein Stipendium für Komposition. Seit Oktober 2007 studiert sie Komposition an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei Prof. Peter Michael Hamel. Seit Oktober 2008 hat sie das Leistungsstipendium erhalten. Im August 2008 sind ihre Stücke Mondnacht und Vier Lieder nach Gedichten von Sappho beim Bayreuther „Junge KünstlerFestival“ uraufgeführt ­worden, im September 2008 wurde ihr Instrumentations-Projekt Oper Cosi fan tutte beim Schwetzinger Mozart-Festival uraufgeführt. Im Dezember 2008 hat sie ihr Stück Frankolin für eine Ausstellung der Hochschule für bildende Künste Hamburg komponiert. Im Mai 2009 wurde ihr Stück Vier Lieder nach Gedichten von Sappho im Ernst Barlach Haus aufgeführt. Im November 2009 ist ihr Stück Die Zeiten des Jahres bei den Hamburger Klangwerktagen in einer weiteren Besetzung aufgeführt worden. Im Juni 2011 wurden ihre zwei Orchesterwerke Himmelssprung und Chang’e’s Reise zum Mond in der Hammer Kirche mit der Hamburger Camerata uraufgeführt. In 2010 hat sie das Diplom im Fach Komposition abgeschlossen. Seit April 2011 promoviert sie als erste Ausländerin zum Dr. sc. mus. als Komponistin und Musikwissenschaflerin bei Frau Prof. Dr. Beatrix Borchard und Prof. Dr. Georg Hajdu, und erhielt hierfür ein Promotionsstipendium der Stadt Hamburg und ab 2013 ein Promotionsstipendium von „Pro Exzellenzia“. Im April 2012 wurde ihr Stück Chang’e’s Reise zum Mond in der Laeiszhalle Hamburg mit den Hamburger Symphonikern (Dirigent: Muhai Tang) aufgeführt. Im April 2013 wurde ihr Auftragskomposition Traumfänger mit dem Ensemble obligat im Jenisch Haus uraufgeführt. Darüber hinaus unterrichtet sie am International College of Music die Fächer Musiktheorie und Gehörbildung. 12 Drei Fragen an die Komponistin Yijie Wang Im Schatten der Schönheit Sören Ingwersen Mit welcher Musik sind Sie aufgewachsen? Und wie empfinden Sie die europäische Musikkultur? Ich bin mit europäischer Musik aufgewachsen. Mit fünf Jahren fing ich an ­Klavier zu spielen, damals spielte ich ausschließlich Musik europäischer ­Komponisten, beispielsweise Mozart, Beethoven und Bach. Daher ist für mich die europäische Musikkultur gar nicht fremd. Was ist an Ihren Werken chinesisch-traditionell, was europäisch, was individuell? Was hat sich an Ihrer Wahrnehmung von Musik in Deutschland verändert? In meiner Kindheit habe ich nicht so viel chinesische traditionelle Musik gehört und gespielt, ich habe erst während meines Studiums begonnen, sie kennenzulernen. Ich habe diverse traditionelle chinesische Opern kennengelernt, auch verschiedene Volksmusik. Die Musik hat mich stark inspiriert. Nach meinem Bachelor-Studium kam ich 2006 nach Deutschland, hörte dann viel europäische zeitgenössische Musik und nahm an zahlreichen Projekten teil. Durch diese Praxis sammelte ich mehr und mehr Erfahrungen und fand meinen eigenen Klang. Wie würden Sie selbst Ihren Kompositionsstil beschreiben? Mein Ziel ist es, meinen eigenen Weg zu finden und meine eigene Musik zu komponieren. […] Neue Musik muss nicht unbedingt zu kompliziert und schwer verständlich sein, sondern darf auch manchmal einfach schön sein. Die traditionelle chinesische Kultur ist für meine Kompositionen ebenfalls sehr wichtig. Ich liebe die alte Musik aus China, ich werde diese Musik mit meinem eigenen neuen Klang und westlichen Instrumenten kombinieren und ihr neues Leben geben – orientalische und westliche Kultur treffen in ihr aufeinander. [Aus: kammermusik heute e.V., Ausgabe 34, März 2013] Ein Herrscher, dem die Macht entgleitet, ein verräterischer General und eine schöne Konkubine, die am Ende stirbt: Liebe, Macht, Intrige, Tod – kann man sich einen schöneren Stoff für eine Oper wünschen? Ein Stoff, der auf einer wahren Begebenheit beruht, die aber so weit zurück liegt, dass die Mythen um ihn herum fast 1300 Jahre munter ranken konnten. Yang Guifei – diese Dame ist in China so bekannt wie bei uns die heilige Mutter Gottes. In ähnlich himmlischer Schönheit wurde sie auf Gemälden, Vasen, Paravents und in Stein verewigt. Mehrere tausend Dichter haben sie besungen, unzählige Romane, Kinofilme und TV-Serien bedienen sich in mehr oder weniger freier Form dieser Figur, die allerdings alles andere als eine ­Heilige war. Die fast 300 Jahre währende Tang-Dynastie, ein großes blühendes Kaiserreich sei an ihr zugrunde gegangen, heißt es. So eine Ungeheuerlichkeit traut man einer Frau, die zu den „Vier Schönheiten“ Chinas zählt und mit einem Gesicht gesegnet war, das „alle Blumen beschämen würde“ eigentlich nicht zu. Aber es gibt noch weitere Extreme, die diesen tragischen Stoff fast schon in die Nähe eines griechischen Dramas rücken: Bevor Yang eine Konkubine des Kaisers Xuanzong und schließlich seine Guifei, d.h. kaiserliche Nebenfrau zweiten Ranges wird, ist sie mit dessen Sohn Shou Li Mei verheiratet. Als die Frau des Kaisers stirbt, befiehlt dieser, die Ehe seines Sohns aufzulösen, da ihn seinerseits die Schönheit Yangs betört. Um einen Skandal zu vermeiden, wird die entehrte Prinzessin, ein Mädchen Anfang 20 und 34 Jahre jünger als der für damalige Verhältnisse alte Kaiser, ins Kloster gesperrt. Später zieht sie in den Nebenpalast ein, in dem viele hundert Frauen die erotischen Forderungen des Kaisers erfüllen müssen, sofern er sich denn überhaupt einmal bei ihnen blicken lässt. Ihres angesehenen Standes beraubt, muss Yang nun Vater und Sohn zugleich als Konkubine dienen. Doch – so will es die verklärende Über­ lieferung – der Kaiser ist in echter Liebe zu seiner neuen Konkubine entbrannt und macht sie zur einflussreichsten Frau am Hof. 15 Zhou Fang (attrib.), Hofdamen, 8. Jh. Dieser Einfluss ist es auch, der ihr zum Verhängnis wird. Yang, anfangs von den Menschen geliebt und verehrt, wird nun verantwortlich gemacht für die Missstände im Land. Dürrekatastrophen, kriegerische Auseinandersetzungen und Korruption führen zu politischen und sozialen Unruhen. Dem gegenüber steht eine dem Luxus verfallene Yang Guifei, die viele politische Ämter mit ihren unfähigen Familienmitgliedern besetzt hat und den Kaiser mit ihrer Genusssucht vom Regieren abhält, so der Vorwurf der Aufständischen, an­geführt vom abtrünnigen General An Lushan. Ebenfalls ein pikantes Detail: An Lushan wurde Jahre zuvor von Yang Guifei als Sohn adoptiert. Nun fordert er als Wortführer des chinesischen Volks ihren Tod. Ein Stoff, so reichhaltig und vielschichtig, dass man als Librettist Schwerpunkte setzten muss, um den Rahmen einen Opernabends nicht zu sprengen. Zudem wird die Überlieferung der Geschichte Yang Guifeis von ikonografi­ schen Topoi begleitet, die man kaum ignorieren kann: der Kaiser und seine Konkubine im Badehaus; die betrunkene Yang, die ihre Einsamkeit beklagt; der Federtanz, den Yang am kaiserlichen Hof aufführt; und der steinalte Kaiser, dem die verstorbene Yang als Geist erscheint – vier „Stationen“, von denen drei ins Libretto aufgenommen wurden. Die allererste Frage jedoch war: Soll unsere Oper eine (chronologische) Erzählung werden, oder sollen wir die Figuren und Themenkomplexe in 16 ­freierer Form befragen? Da die Geschichte Yang Guifeis in der westlichen Welt kaum bekannt ist, entschieden wir uns für ersteres. Die zweite wichtige Frage betraf das Ende: Das weibliche Opfer, dass die (männliche) Ordnung wieder herstellt, unreflektiert auf die Bühne zu bringen, hieße, eine Ideologie des männlichen Blicks zu übernehmen, die hier die Historie (über-)formt. Wie also die Geschichte erzählen, ohne die schillernde Protagonistin in den patriarchalen Kanon passiv leidender Erlöserinnen einzureihen? Robert Sheas historischer Roman Die Konkubine des Kaisers bot eine gute Möglichkeit, sich in die Zeit der Tang-Dynastie „hineinzulesen“ und zugleich auf die Gefahren aufmerksam zu werden, die eine allzu melodramatische Ausdeutung des Stoffes mit sich bringt. Bei Shea erkennt Yang Guifei aufopfernd die Notwendigkeit ihres Todes an und geht dabei soweit, den Kaiser zu betäuben, um von ihrem Liebsten unbehelligt Selbstmord begehen zu können. Ein schwacher, machtloser Kaiser auf der einen, eine Liebe und Güte verströmen­ de Heilige auf der anderen Seite – eine wirkungsvolle Möglichkeit, den Stoff für die Unterhaltungsliteratur zu idealisieren. Wie aber wollen wir selbst uns der Figur nähern? Besteht Yangs „heroische“ Tat wirklich „nur“ in der selbstlosen, absoluten Hin- und Aufgabe ihres ­Körpers? Oder macht sie die Forderung der Aufständischen zu ihrer eigenen Entscheidung? Nicht, um sich freiwillig zu opfern, sondern um das begehrte Objekt, ihren Körper, dem männlichen Zugriff zu entziehen. Mit ihrem Tod verhindert sie zwar den des Kaisers, zurück jedoch bleibt ein gebrochener Mann, der seiner Macht enthoben ist. Die „kastrative“ Bedrohung des Subjekts durch den Tod trifft hier weniger die Sterbende selbst, als den kaiserlichen Potentaten. Nicht von ungefähr ist es der Eunuch, den Yang als ihren Todes­ engel auserwählt. Interessant ist in dieser Hinsicht auch die offensichtliche Gebärunfähigkeit der Heldin. Weder die Ehe mit dem Prinzen Shou Li Mei noch die mit Kaiser Xuanzong war mit Kindern gesegnet. Es ist sogar vorstellbar, dass ihre erste Ehe auch aus diesem Grund aufgelöst wurde. Hier fällt einem Richard Straussʼ Die Frau ohne Schatten ein: die Kaiserin, die keine Kinder bekommen kann, deren kastrativer Mangel sich in der Abwesenheit ihres Schattens manifestiert, was letztendlich dazu führt, dass ihr Mann, der Kaiser, zu einer leblosen ­Statue erstarrt. In unserer Oper hingegen hat die Heldin einen Schatten und kommuniziert sogar mit ihm: ein unwirklicher Begleiter aus Kindertagen, der ihr Mut zu­spricht und sie daran erinnert, dass sie einst geschworen hat, ihre eng gesetzten Grenzen zu überschreiten. Doch indem sie dieses tut und man konstatiert, 17 sie mische sich in Staatsgeschäfte ein, werden auch die Grenzen des chinesischen Reichs von äußeren und inneren Feinden bedroht. Der Irrtum des ­Kaisers wird offenbar. Er, der politisch desinteressierte und überforderte Herrscher, glaubte an die ordnende Kraft seiner Guifei. Sie war von Anfang an mehr als eine bloße Gespielin, sollte ihn und das Reich mit ihrer lebendigen, lebensspendenden Kraft erhalten, wie man sie gemeinhin dem Weiblichen und der weiblichen Schönheit zuspricht. Diese Schönheit ist es auch, die den Kaiser in ihren Bann zieht, als er Yang – noch bevor die Handlung der Oper einsetzt – zufällig im Badehaus erblickt, unbekleidet und durch den Fensterausschnitt wie in einen Bilderrahmen gefasst. Schönheit aber ist nichts anderes als das paradoxe „Bild dessen, was sie verdecken und ausschließen soll, nämlich des Todes, der Kastration und Verdrängung“, sagt die amerikanische Literaturwissenschaft­ lerin Barbara Johnson. Die Unfruchtbarkeit der schönen Yang Guifei verstärkt den Eindruck umso mehr, als wir es hier – hinsichtlich der ästhetischen Ikonografie – mit einer Maske zu tun haben, hinter der noch etwas ganz anderes lauert: eine unmögliche Wunscherfüllung, verkörpert durch das „Ersatzkind“ An Lushan und dessen destruktive Energie. Sören Ingwersen arbeitet als freier Redakteur für das Magazin hamburgmusik, das Magazin der TheaterGemeide Hamburg und das Online-Theatermagazin GODOT, das er 2010 mit ins Leben gerufen hat. In den Jahren 2011 und 2012 leitete er die aus Schülern und Studenten bestehende Redaktion des MusikMagazin ElbNews, ein Kooperationsprojekt der Elbphilhar­monie und SZENE Hamburg. Als Kultur-Journalist mit den Themenschwerpunkten klassische Musik und Theater schreibt er unter anderem für die Hamburger Morgenpost und das ­Klassikmagazin concerti. Außerdem ist er als Booklet-Autor für verschiedene Klassik-Labels tätig und unterrichtet im Rahmen des Projekts „Leporello“ des Kulturforum21 des Katholischen Schulverbandes Hamburg journalistisches Schreiben an gemeinbildenden Schulen. Er schrieb zahlreiche Libretti, vorrangig für Kinder- und Jugendopern sowie Chorprojekte, die in Hamburg (Laeisz­halle, Opernloft, Haus im Park etc.) und am Theater Freiburg aufgeführt wurden. Als Autor tritt Ingwersen regelmäßig in literarischen Veranstaltungen auf. 18 Im Bad der Konkubine Peter Michael Hamel Erster glücklicher Umstand Im interkulturellen Seminar des WS 2007 stellt sich heraus, dass Yijie Wang, die gerade neu in meine Klasse aufgenommene Kompositionsstudentin, aus Qingdao stammt, der früheren deutschen Handelsniederlassung Tsing Tau, wo Richard Wilhelm von 1899-1920 als Missionar und Übersetzer klassischer chinesischer Texte (u. a. das I Ging) wirkte. Im nahe gelegenen Laoshan-­ Gebirge sind die seit 1984 wieder erstandenen taoistischen Klöster heute ein begehrtes Reiseziel. Da will ich hin, auf den Spuren Richard Wilhelms! Zweiter glücklicher Umstand Xiaoyong Chen, als Komponist ehemaliger Ligetischüler wird Gastprofessor an unserer Hochschule, ist inzwischen zum Teilzeitprofessor berufen, um nach meiner Emeritierung (auch) das interkulturelle Seminar zu übernehmen. Er vermittelt mir eine Einladung in die alte Kaiserstadt Xi‘an an die dortige drittgrößte chinesische Musikhochschule, die ich 2011 als Dienstreise wahrnehmen kann, begleitet von meiner inzwischen erfolgreich diplomierten Schülerin Yijie Wang und ihrem Mann Jin. Vorher geht es ins Laoshan-Gebirge. Dritter glücklicher Umstand Zheng Liu, Komponist und Kollege an der Lübecker Musikhochschule und dort Schüler von Friedhelm Döhl gewesen, wird zum Leiter der Musikhochschule seiner Heimatstadt Xi‘an berufen. Er betreut uns dort nun bei den Vorlesungen, Konzerten und Seminaren und begleitet uns auf einer anschließenden Reise ins alte China. Die Exkursion führt uns zur legendären Wirkungsstätte des Laotse, zur Terracotta Armee und schließlich zu den Heißen Quellen von Huaqing mit dem Bad der kaiserlichen Konkubine Yang Guifei. Vierter glücklicher Umstand Im Jahre 748 n.Chr. ließ Kaiser Xuanzong in dieser wunderbaren, am Fuß des Berges Lishan gelegenen Landschaft mit seinen heilsamen Thermalquellen die ursprüngliche Palastanlage mit künstlichem See und Badehäusern erbauen, um dort mit seiner zweiten Konkubine den Winter zu verbringen. Heute krönt 19 eine edle Marmorstatue der Yang Guifei diese von chinesischen und ausländischen Touristen frequentierte Stätte. Durch einen Zufall bekommen wir das bunte Programmheft einer aufwendigen Ballettaufführung in die Hände: wie eine Ausstattungsoperette wird hier der Mythos der Yang Guifei „nachgespielt“, denn zahllose Dichter besangen ihre Schönheit. Fünfter glücklicher Umstand Da wir während der ganzen Zeit in China mit Yijie Wang überlegt hatten, was sie denn als Opernstoff für den künstlerischen Teil ihrer Promotionsarbeit in Angriff nehmen könnte, gab dieses Prospekt auf Glanzpapier den ersten Impuls. In ihren frühen Liedern bereits, dann in ihrem Himmelssprung und ihrem Mondmärchen war das musikdramatische Talent von Yijie Wang evident. Sie kann für Singstimmen schreiben und geschmackvoll heutige europäische Musik mit chinesischen Instrumenten und Zitaten verschmelzen, hat auch ­keine Angst vor Süße und Expressivität. Sie „züchtet Hybride zwischen den Gattungen“, schrieb Lutz Lesle im Sommer 2011 in der Welt. Sechster glücklicher Umstand An der Rückseite einer der Paläste befand sich eine riesige Holztafel mit chinesischen Schriftzeichen. Song of the Everlasting Sorrow war daneben auch auf Englisch zu lesen. Alle fotografierten diese lange Schrifttafel, denn es handelte sich um die ins Holz gravierte Original-Handschrift von Mao Zedong. Im Jahre 755 war wegen der politischen Einflüsse der Konkubine eine als An-LushanAufstand bekannt gewordene Militärrevolte ausgebrochen, welche die Dynas­ tie an den Rand des Abgrunds bringen sollte. Das mag Mao Zedong 1200 ­Jahre später als revolutionärer Vorbote erschienen sein. „Komm, Yijie, jetzt wirst du vor deinem Opernprojekt fotografiert!“ Siebter glücklicher Umstand Auf der Suche nach jemandem aus der raren Gattung „Opernlibrettist“ hatte Bettina Knauer eine glückliche Hand. Sören Ingwersen war schon bei der Kollektivoper Über Frauen – Über Grenzen für die Münchner Biennale 2000 und zum 50. Jubiläum der Hochschule als Statue der Yang Guifei bei den Quellen von Huaqing. 21 Schauspieler und Videokünstler dabei. Ihm ist es gelungen, dieses nur den ­ hinesen allseits bekannte Polit- und Liebesdrama in nachvollziehbare HandC lungsabäufe und eine sang- und vertonbare deutsche Sprache zu bringen. Achter glücklicher Umstand Dass die Uraufführung von Yang Guifei – Die Konkubine des Kaisers jetzt zur Abschiedsvorstellung eines der künstlerisch professionellsten Kollegen unserer Hochschule werden wird, scheint mir schließlich der eigentliche Glücksfall der ganzen Angelegenheit zu sein: Dominik Neuner war auch schon der Regisseur von Alkestis und Medea, jenen erfolgreichen Opernprojekten, die, wie jetzt Yang Guifei, „das fächerübergreifende Verständnis unserer Hochschule abbilden, in der alle Dekanate und Fachrichtungen miteinander verzahnt, Hand in Hand an der Realisation zusammenarbeiten.“ (Hochschulzeitung zwoelf) Peter Michael Hamel, 1947 in München geboren, Schüler von Büchtger und Bialas, Musikwissenschaften bei Georgiades und Dahlhaus, Improvisationsgruppe „Between“, Beschäftigung mit politischem Kabarett, experimenteller Avantgarde und ­Elektronik, Zusammenarbeit mit Cage, Feldman, Ferrari, Orff, Riedl, Riley und Stockhausen, weltweite Tätigkeit als „self performing artist“ (Tasteninstrumente und Stimme), Musiktheater-, Orchester-, Chor- und Kammermusikwerke (Bärenreiter/E.R.P./Schott), zahlreiche CD-Veröffentlichungen (www.harmonies.com/www.wergo.de). Von 1997–2012 Professor an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 1998 Gründung des Interkulturellen Musikinstitutes in Aschau im Chiemgau. (www.p-m-hamel.de) 长恨歌 THE EVERLASTING REGRET 汉皇重色思倾国, 御宇多年求不得。 Beauty-loving monarch longed year after year, To find a beautiful lady without peer. 杨家有女初长成, 养在深闺人未识。 A maiden of the Yangs to womanhood just grown, In inner chambers bred, to the world was unknown. 天生丽质难自弃, 一朝选在君王侧。 回眸一笑百媚生, 六宫粉黛无颜色。 Endowed with natural beauty too hard to hide, One day she stood selected for the monarch’s side. Turning her head, she smiled so sweet and full of grace That she outshone in six palaces the fairest face. 春寒赐浴华清池, 温泉水滑洗凝脂。 She bathed in glassy water of warm-fountain pool, Which laved and smoothed her creamy skin when spring was cool. 侍儿扶起娇无力, 始是新承恩泽时。 Upborne by her attendants, she rose too faint to move, And this was when she first received the monarch’s love. 云鬓花颜金步摇, 芙蓉帐暖度春宵。 Flowerlike face and cloudlike hair, golden-headdressed, In lotus-flower curtain she spent the night blessed. 春宵苦短日高起, 从此君王不早朝。 She slept till sun rose high, for the blessed night was short, From then on the monarch held no longer morning court. 22 承欢侍宴无闲暇, 春从春游夜专夜。 In revels as in feasts she shared her lord’s delight, His companion on trips and his mistress at night. 后宫佳丽三千人, 三千宠爱在一身。 In inner palace dwelt three thousand ladies fair, On her alone was lavished royal love and care. Zhou Fang, Hofdamen, 8.Jh. 金星妆成娇侍夜, 玉楼宴罢醉和春。 Her beauty served the night when dressed in Golden Bower Or drunk with wine and spring at banquet in Jade Tower. 姊妹弟兄皆列士, 可怜光彩生门户。 遂令天下父母心, 不重生男重生女。 All her sisters and brothers received rank and fief And honours showered on her household, to the grief. Of the fathers and mothers who’d rather give birth To a fair maiden than any son on earth. 骊宫高处入青云, 仙乐风飘处处闻。 缓歌慢舞凝丝竹, 尽日君王看不足。 The lofty palace towered high into blue cloud, With wind-borne music so divine the air was loud. Seeing slow dance and hearing fluted or stringed song, The emperor was never tired the whole day long. 渔阳鼙鼓动地来, 惊破霓裳羽衣曲。 But rebels beat their war drums, making the earth quake And “Song of Rainbow Skirt and Coat of Feathers” break. 九重城阙烟尘生, 千乘万骑西南行。 A cloud of dust was raised o’er city walls nine-fold; Thousands of chariots and horsemen southwestward rolled. 翠华摇摇行复止, 西出都门百馀里。 Imperial flags moved slowly now and halted then, And thirty miles from Western Gate they stopped again. 六军不发无奈何, 宛转蛾眉马前死。 Six armies would not march -- what could be done? -- with speed Until the Lady Yang was killed before the steed. 花钿委地无人收, 翠翘金雀玉搔头。 None would pick up her hairpin fallen to the ground Or golden bird and comb with which her head was crowned. 君王掩面救不得, 回看血泪相和流。 The monarch could not save her and hid his face in fear; Turning his head, he saw her blood mix with his tear. 黄埃散漫风萧索, 云栈萦纡登剑阁。 The yellow dust spread wide, the wind blew desolate; A serpentine plank path led to cloud-capped Sword Gate. 峨嵋山下少人行, 旌旗无光日色薄。 Below the Eyebrow Mountains wayfarers were few; In fading sunlight royal standards lost their hue. 蜀江水碧蜀山青, 圣主朝朝暮暮情。 On western waters blue and western mountains green The monarch’s heart was daily gnawed by sorrow keen. 行宫见月伤心色, 夜雨闻铃肠断声。 The moon viewed from his tent shed a soul-searing light, The bells heard in night rain made a heart-rending sound. 天旋地转回龙驭, 到此踌躇不能去。 马嵬坡下泥土中, 不见玉颜空死处。 鸳鸯瓦冷霜华重, 翡翠衾寒谁与共? 悠悠生死别经年, 魂魄不曾来入梦。 Suddenly turned the tide. Returning from his flight, The monarch could not tear himself away from the ground Where ‘mid the clods beneath the slope he couldn’t forget Where ‘mid the clods beneath the slope he couldn’t forget The lovebird tiles grew chilly with hoar frost so strong, And his kingfisher quilt was cold, not shared by a mate. One long, long year the dead and the living were parted; Her soul came not in dreams to see the brokenhearted. 君臣相顾尽沾衣, 东望都门信马归。 临邛道士鸿都客, 能以精诚致魂魄。 He looked at ministers, with tears his robe was wet; They rode east to the capital, but with loose rein. A Taoist sorcerer came to the palace door, Skilled to summon the spirit from the other shore. 归来池苑皆依旧, 太液芙蓉未央柳。 为感君王辗转思, 遂教方士殷勤觅。 Back, he found her pond and garden in the old place, With lotus in the lake and willows by the hall. Moved by the monarch’s yearning for the departed fair, He was ordered to seek for her everywhere. 芙蓉如面柳如眉, 对此如何不泪垂! 春风桃李花开日, 秋雨梧桐叶落时。 排空驭气奔如电, 升天入地求之遍。 上穷碧落下黄泉, 两处茫茫皆不见。 Willow leaves like her brows and lotus like her face; At the sight of all these, how could his tears not fall Or when in vernal breeze were peach and plum full-blown Or when in autumn rain parasol leaves were shed? Borne on the air, like flash of lightning he flew; In heaven and on earth he searched through and through. Up to the azure vault and down to deepest place, Nor above nor below could he e’er find her trace. 西宫南内多秋草, 落叶满阶红不扫。 忽闻海上有仙山, 山在虚无缥缈间。 楼阁玲珑五云起, 其中绰约多仙子。 In western as in southern court was grass o’ergrown; With fallen leaves unswept the marble steps turned red. 梨园子弟白发新, 椒房阿监青娥老。 Actors, although still young, began to have hair grey; Eunuchs and waiting maids looked old in palace deep. 夕殿萤飞思悄然, 孤灯挑尽未成眠。 迟迟钟鼓初长夜, 耿耿星河欲曙天。 Fireflies flitting the hall, mutely he pined away; The lonely lampwick burned out; still he could not sleep. Slowly beat drums and rang bells; night began to grow long; Bright shone the Milky Way; daybreak seemed to come late. He learned that on the sea were fairy mountains proud That now appeared, now disappeared amid the cloud Of rainbow colours where rose magnificent bowers And dwelt so many fairies as graceful as flowers. 中有一人字太真, 雪肤花貌参差是。 Among them was a queen whose name was Ever True; Her snow-white skin and sweet face might afford a clue. 金阙西厢叩玉扃, 转教小玉报双成。 Knocking at western gate of palace hall, he bade The porter fair to inform the queen’s waiting maid. 闻道汉家天子使, 九华帐里梦魂惊。 钗留一股合一扇, 钗擘黄金合分钿。 When she heard there came the monarch’s embassy, The queen was startled out of dreams in her canopy. Keeping one side of the case and one wing of the pin, She sent to her dear lord the other half of the twin. 揽衣推枕起徘徊, 珠箔银屏迤逦开。 云鬓半偏新睡觉, 花冠不整下堂来。 但教心似金钿坚, 天上人间会相见。 Pushing aside the pillow, she rose and got dressed, Passing through silver screen and pearl shade to meet the guest. Her cloudlike hair awry, not full awake at all, Her flowery cap slanted, she came into the hall. 风吹仙袂飘飘举, 犹似霓裳羽衣舞。 The wind blew up her fairy sleeves and made them float As if she danced the “Rainbow Skirt and Feathered Coat.” 玉容寂寞泪阑干, 梨花一枝春带雨。 Her jade-white face crisscrossed with tears in lonely world Like a spray of pear blossoms in spring rain impearled. 含情凝睇谢君王, 一别音容两渺茫。 She bade him thank her lord, lovesick and brokenhearted; They knew nothing of each other after they parted. “If our two hearts as firm as the gold should remain. In heaven or on earth we’ll sometime meet again.” 临别殷勤重寄词, 词中有誓两心知。 At parting she confided to the messenger A secret vow known only to her lord and her. 七月七日长生殿, 夜半无人私语时。 On seventh day of seventh moon when none was near, At midnight in Long Life Hall he whispered in her ear, 在天愿作比翼鸟, 在地愿为连理枝。 “On high, we’d be two lovebirds flying wing to wing; On earth, two trees with branches twined from spring to spring.” 天长地久有时尽, 此恨绵绵无绝期! The boundless sky and endless earth may pass away, But this vow unfulfilled will be regretted for aye. 昭阳殿里恩爱绝, 蓬莱宫中日月长。 Love and happiness long ended within palace walls; Days and months appeared long in the fairyland halls. 回头下望人寰处, 不见长安见尘雾。 Turning her head and fixing on the earth her gaze, She saw no capital ’mid clouds of dust and haze. 唯将旧物表深情, 钿合金钗寄将去。 To show her love was deep, she took out keepsakes old For him to carry back, hairpin and case of gold. (Bai Juyi / Übersetzung: Xu Yuanchong) Dominik Neuner und Bettina Rohrbeck im Gespräch mit Bettina Knauer Yang Guifei wird ihre letzte Inszenierung an der HfMT sein. Warum haben sie sich zusammen mit der Dirigentin Bettina Rohrbeck gerade für dieses Werk entschieden? D. N. Es wurde ja wohl Zeit, an der Hochschule für Musik und Theater auch mal die Uraufführung einer Oper zu wagen. In diesem Fall die einer enorm begabten chinesischen Kompositionsstudentin aus unserem Haus. Und unseren Gesang- und Oper-Studierenden gibt das die notwendige Gelegenheit, sich auch mit aktueller Musik befassen. Und dann ist da dieser Stoff! Als Schweizer habe die Geschichte der Yang Guifei vorher nicht gekannt. Aber offenbar genießt sie in China die legendäre Größe von „Wilhelm Tell“. Doch die historisch verbriefte Geschichte um Yang Guifei greift ins Innerste, ins Abgründigste der Menschen, wie wir es aus den griechischen Tragödien kennen. Und dieses in den jungen Menschen aus Europa, Südamerika und China zu wecken war mir ein Bedürfnis. B. R. Immer mehr Studierende aus dem asiatischen Raum kommen an die Hochschule. Sie lernen unsere Kultur kennen, wir aber setzen uns kaum mit der ihren auseinander – dahinter steht eine Arroganz. Es ist also mehr als überfällig, dass wir mit diesem Opernprojekt in einen Dialog mit der chinesischen Kultur treten. Was ich zudem spannend finde ist, dass chinesische Künstlerin­ nen und Künstler oft viel unvoreingenommener mit stilistischen Fragen um­gehen. Das zeigt sich in der Musik aber auch in der bildenden Kunst. Neue Impulse kommen heute nahezu ausschließlich aus Asien, wie ich auch beim Besuch der Biennale in Venedig immer wieder feststellen kann. Auch die Neue Musik steckt in Europa in einer Sackgasse. Was darf ich überhaupt noch? – ­diese Frage behindert viele Entwicklungen. Yijie Wang hingegen scheut sich nicht Melodien zu komponieren und geht mit verschiedensten Einflüssen unverkrampft um. Darauf sollten wir uns einlassen. 30 Das Opernprojekt entwickelte sich in einem fächerübergreifenden Prozess. Was bedeutet ihnen diese Verbindung zugleich wissenschaftlichen und künstlerischen Forschens? D. N. Jedem künstlerischen Prozess liegt zuerst eine Frage zugrunde. So auch der Wissenschaft. Solche Transferprojekte wie diese Opernproduktion helfen, ein verschultes und isoliertes Lehr- und Lernverständnis aufzubrechen. Und die Zeit des Studiums wird wieder zur wichtigsten Zeit im Leben, in der es gilt, eben dieses Leben auch in seinen Untiefen auszuloten, es zu befragen, es in der Rolle zu erspüren und zu erforschen. Da gehen Kunst und Wissenschaft Hand in Hand. Unbefragt darf nichts auf die Bühne gestellt werden. Welche Kontexte rufen sie mit ihrer Deutung der Yang Guifei auf? D. N. Yang Guifei wird zumeist als femme fatale bezeichnet. Zweifellos eine männliche Projektion, die ich brechen möchte. Femme fatale meint eine un­ergründliche Frau, die im selben Maße von Männern begehrt wird wie sie diesen zum Verhängnis wird. Um den Verhängniszusammenhang aufzulösen, bleibt den Männern dann nur der Mord resp. die Opferung der Frau. Am Ende steht bei diesem europäischen Topos der femme fatale also die tote Frau. Yang Gufei fällt insofern aus diesen Zuschreibungen heraus, da sie immer Handelnde bleibt, bei sich ist – auch im Tode. Und sie ist Realistin, sich der gesellschaftlich-politischen Implikationen ihres Handelns stets bewusst. Anders der Kaiser. Dieser flüchtet sich in die Kunst, verliert sich in seinen Projektionen. Er wagt den Blick auf Yang Guifei nur in Momenten der Verführung oder der Aggres­ sion, wenn er schwärmt, dann projieziert er sie in ein Jenseitiges, wo die „himmlischen Jungfrauen auf rosa Wolken thronen“. Der 3. Akt macht das besonders deutlich: „Ich erkenne dich als Bild in meinem Traum …“. Yang Guifei antwortet: „Fass mich nur an! Ist das vielleicht ein Traum?“. Yang Guifei weiß, dass Kunst immer geerdet sein muss. Als Referenztext für die Selbst­ bewusstheit Yang Guifeis ist mir das Gedicht von Ingeborg Bachmann wichtig. Dieses Gedicht – symbolisch im chinesischen Zeichen für „Ich“ verdichtet – ist ein Kernpunkt meiner Interpretation. Das Vogel-Motiv, verdichtet in Yang Guifeis Schatten, spielt eine große Rolle in ihrer Inszenierung. D. N. Gleich zu Beginn der Oper erschrecken sich die Hofdamen des Kaisers über einen Vogel, der ins Bad gefallen ist. Das Bad, in dem der Kaiser seine ange­betete Yang Yuhuan zu seiner Frau als Yang Guifei machten möchte. Der Schatten und die Bewegungsabläufe der Inszenierung sind „vogelhaft“. Das 31 Ich. Sklaverei ertrag ich nicht Ich bin immer ich Will mich irgend et was beugen Lieber breche ich. Kommt des Schicksals Härte oder Menschenmacht Hier, so bin ich und so bleib ich Und so bleib ich bis zur letzten Kraft. Darum bin ich stets nur eines Ich bin immer ich Steige ich, so steig ich hoch Falle ich, so fall ich ganz. Ingeborg Bachmann Un­berechenbare von Vögeln fasziniert mich. Sie sind scheu, sie sind schnell. Ich möchte dieses Motiv bis in die einzelnen Bewegungsabläufe hinein aus­ falten. Zudem gelten Vögel als Träger eines anderen, geheimen Wissens. Für mich hat Yang Guifei eine solche Vogelseele; sie ist eine Frau, die im Gegenwärtigen Vergangenes erfährt und es in die Zukunft wirft – ein „Ahnungs­ wesen“. Die Arbeit an einer Uraufführung ist immer mit besonderen Herausforderungen verbunden? Wie sehen sie diesen Prozess? B. R. Sehr positiv. Das Projekt ist ein ständiger Dialog und das muss vor allem für die Sängerinnen und Sänger so sein. Viele Werke der Neuen Musik für Stimme sind kaum oder nicht umsetzbar, sie werden abstrakt konzipiert und achten nicht darauf, was Sängerinnen und Sänger leisten können. Anders bei Yijie Wang: sie schreibt gesanglich, hat mit uns gemeinsam mit den Sänger­ Innen und InstrumentalistInnen gearbeitet und ständig geprüft, was stimmlich und spieltechnisch machbar ist. Übrigens: früher war dies absolut üblich; Mozart hat immer für seine Sänger geschrieben. Und Yijie Wangs Musik ist für Menschen mit Menschen geschrieben. Sie arbeitet außerordentlich strukturiert und als verlässliche Partnerin für alle Ausführenden. D. N. Zu einer solchen Uraufführung gehört ein ganz strikter Fahrplan. Und es braucht viel Zeit. Vier Fassungen des Librettos sind gemacht worden, mehrmals dramaturgisch hinterfragt worden, dann erst konnte der Kompositionsprozess einsetzen. Auch hier gab es ein permanentes, offenes Miteinander. Man muss sich als Partner verstehen, auf allen Ebenen, dann wird solch eine Uraufführung ein großartiges gemeinsames Projekt. Dominik Neuner (Regie, Bühne) Der in Basel geborene Regisseur kam 1973 nach Stuttgart, wo er die Schauspielschule absolvierte. Seine Laufbahn als Schauspieler und Regieassistent begann 1976 am Staatstheater Stuttgart und am Theater Heidelberg. 1978 wurde er als ­Dramaturg, Regisseur und Schauspieler an die Württembergische Landesbühne Esslingen engagiert. Gastinszenierungen führten ihn nach Aachen, Luxemburg, Saarbrücken, Basel und Luzern. 1985-88 leitete Neuner als Oberspielleiter das Schauspiel am Stadttheater Würzburg. Seit 1990 trat er als Opernregisseur in Maastricht, Amsterdam, Rotterdam und wiederholt in den Opernhäusern von Prag, Innsbruck, 32 33 Regensburg, Braunschweig, Kiel und Münster mit den Werken von Verdi, Wagner, ­Puccini, Tschajkowsky, R. Strauss, und B. Britten in Erscheinung. 1996 wurde Neuner Operndirektor am Hessischen Staatstheater Wiesbaden. Die langjährige Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Toshijuki Kamioka, den Bühnenbildnern Roland Aeschlimann und Hans Dieter Schaal, sowie den Dramaturgen Norbert Abels und ­Margrit Poremba fand ihre Fortsetzung am Badischen Staatstheater Karlsruhe mit H ­ offmanns Erzählungen von J. Offenbach, Mazeppa von Tschajkowsky, Puccinis Manon Lescaut – und in Wuppertal mit Tschajkowskys Pique dame. 2010 brachte er am Staatstheater Saarbrücken eine viel gelobte Inszenierung von Puccinis Turandot auf die Bühne. Neben Essays zu Re­zeptionsfragen des Musiktheaters erschienen die Biographien Mozart auf Reisen und Rossini. Seit 2002 bekleidet Dominik Neuner eine Professur an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und ist Gast-Regisseur an diversen Opernhäusern. Im Juni 2014 inszeniert er am Staatstheater Saarbrücken R. Strauss’ Die Frau ohne Schatten. Bettina Rohrbeck (Musikalische Leitung) studierte Klavier, Komposition und Dirigieren. Zusammenarbeit als Assistentin mit den Dirigenten Kent Nagano, Reinhard ­Goebel, Eduardo Lopez-Banzo, Ruben Dubrowski, als Klavier­ begleiterin u. a. der SängerInnen Renate Behle, Horst Laubenthal, Mirella Freni, Felicity Lott. Konzertreisen führten sie durch Europa, Asien und Südamerika, es entstanden Rundfunk und CD-Aufnahmen (u. a. mit Hammerflügel: Schubertlieder, ­Loewe-Balladen, Winterreise), Gastverträge beim SchleswigHolstein-Festival, den Opernfestspielen Freistadt, dem Rossini-Festival auf Rügen, der Chorakademie Siena, dem Grieg-Festival-Bergen, den Weber-Tagen Eutin, bei den ­Goethe-Instituten in Lima, La Paz, Bogota, Caracas, dem Center of the Arts Singapor, der Universität Brasilia, der ISAF Afghanistan u. a. Als Dirigentin arbeitete sie in Frankreich und Österreich sowie an Opernhäusern in Deutschland und der Schweiz. Bettina Rohrbeck ist Studienleiterin und Kapellmeisterin an der Oper Kiel und hat einen Lehrauftrag an der Hochschule für Musik Hamburg inne. 2012 leitete sie in Zusammenarbeit mit der Oper Kiel und dem Festival für neue Musik „Chiffren“ die Uraufführung eines von Jugendlichen in einem 2-jährigen Kurs komponierten Opernprojektes, das von ARTE dokumentiert wurde. „Den Schwalben nachblickend und den Grillen lauschend“ Über die k aiserliche Konkubine Yang Guifei und ihre Lebenswelt Hans Stumpfeldt „Den Schwalben nachblickend und den Grillen lauschend“, so lautet ein altes kulturelles Klischee über die Befindlichkeiten der weiblichen Angehörigen des Hofstaates chinesischer Kaiser in lange vergangenen Jahrhunderten, also auch im 8. Jahrhundert, in dem diese Oper Yang Guifei der jungen chinesischen Komponistin Yijie Wang spielt. Vielleicht hat allein diese berühmte Frauengestalt aus der chinesischen Geschichte sie auf dieses Thema gebracht. Vielleicht waren das aber auch Erlebnisse von Opernaufführungen aus der westlichen Theatertradition oder solche aus der so ganz anders gearteten chinesischen Oper. Da mag viel zusammengekommen sein, bevor sie in Hamburg Kompositionslehre studierte. Wahrscheinlich hat Yijie Wang den Stoff für ihre Oper mit großem Bedacht ausgewählt. Die chinesische Geschichte böte viel Stoff für herzergreifende Opernlibretti, doch dieser ist zusätzlich einer der volkstümlichsten, aber hundertmal in Gedichten, Stücken, Filmen dargestellt. In Kurzfassung, ­dieser Stoff klingt wie folgt: Ein alternder Kaiser liebt eine seiner vielen Konkubinen beinahe abgöttisch, begünstigt sie und ihre Verwandtschaft verschwenderisch, vernachlässigt über den Liebesfreuden das Regieren, er­regt so Ummut unter Würdenträgern und Untertanen und fordert hierdurch Rebellionen machtlüsterner Provinzherren heraus. Als einer dieser 34 Portrait der Konkubine Yang Guifei nach dem Bade, Ende der Ming-Dynastie. Privatbesitz. 35 aufrührerischen Militärs gegen die Hauptstadt vorrückt, müssen der Herrscher und seine Schöne fliehen. Am Ende muß der Kaiser zusehen, wie die ebenfalls rebellische Leibgarde, nach anderen ein Obereunuch, seine Liebs­te erdrosselt, doch er gelangt auf den Thron zurück, ein gebrochener Mann. Bereits am Beginn dieser Liebe stand eine Ruchlosigkeit. Erstmals sah der ­Kaiser Yang Guifei nämlich bei der Verheiratung seines 18. Sohnes mit ihr. Ihre Schönheit betörte ihn, voll Leidenschaft begehrte er sie, doch er konnte sie nicht einfach kaiserlich-väterlich für sich beanspruchen, denn nach der ­Sitte der Zeit wäre das eine inzestuöse, blutschänderische Verbindung gewesen. Die Schöne muß erst einmal in ein Nonnenkloster, um das zu „heilen“. Skandalfrei blieb auch die Liebeszeit nicht. Yang Guifei holte nicht nur drei ältere Schwestern als Genossinnen in den Harem, sondern sorgte auch für immense Bereicherungen mehrerer männlicher Verwandter. Für das eigene Wohlbehagen neben dem alternden Kaiser soll der spätere Aufrührer An Lushan gesorgt haben, ein Koloß von drei Zentnern Gewicht. Damit er ungestört bei ihr im Harem verweilen könnte, soll sie ihn sogar als Adoptivsohn angenommen haben. Nach ihrem schmählichen Ende beauftragt der Kaiser, sich nach ihr verzehrend, einen Magier, sie im Jenseits aufzustöbern. Auf einer der Inseln der Seligen im Ostmeer – nach einem Volksmärchen sogar auf dem Mond – findet der sie, noch im Jenseits putzmunter. Zwar will sie nicht zum Kaiser zurück, versichert ihn jedoch ihrer unverbrüchlichen Liebe und verheißt ihm, künftig könnten sie einander am siebten Tag des siebten Monats erneut begegnen. Das ist der Tag, besser: die Nacht, des chinesischen Liebesfestes. Leicht lässt sich vorstellen, dass diese Geschichte viele Menschen bewegte. Leider lässt sich von kaum einer ihrer Einzelheiten behaupten, dass sie historischer Wirklichkeit entspricht. Am ehesten darf das lediglich davon gelten, Yang Guifei habe dafür gesorgt, dass Angehörige von ihrem hohen Konkubinenstatus profitierten. – Das war eine andere Welt, China im 8. Jahrhundert, wie China uns bis heute fremd geblieben ist! In Europa war das die Zeit von Karl dem Großen und seinem Frankenreich. Den Affinitäten und Unterschieden zwischen den beiden Reichen am westlichen und östlichen Ende der Welt will ich in einem Vortrag mit Lesungen und Bildern am 21. Februar nachgehen*. – Lagen Tang- und Frankenreich tatsächlich an den beiden genannten Weltenden? Der kaiserliche Harem, in China oft „die hinteren Hallen/ die hinteren Paläste“ genannt, wäre nicht ein solcher gewesen, wenn viel von den Vorgängen in sei- 36 Li Kung-lin, Ausritt von Hofdamen (Ausschnitt), 12. Jh. nen Abgeschiedenheiten an die Öffentlichkeit gedrungen wäre. Deshalb ­konnte auch die historische Überlieferung kaum etwas hierüber weitergeben. Nur umrisshaft lässt er sich schildern, der wie eine abgegrenzte und ummauerte Kleinstadt in der ebenfalls von stattlichen Mauern umgebenen Kaiserstadt in der Hauptstadt Chang’an war. „Seitenpalast“, neben dem Kaiserpalast, ­nennen zeitgenössische Quellen oft den Harem, und ein Palast ist nicht etwa ein einzelnes stattliches Bauwerk, sondern eine ausgedehnter Komplex von herrlichen Bauten, die bescheiden „Pavillon“, „Halle“, sogar „Hütte“ genannt wurden, aber auch poetisch anmutende besondere Namen hatten, die auf mit ihnen verbundene Besonderheiten verwiesen. Mehrere tausend Menschen bevölkerten beständig diese Harem-Kleinstadt, mehr oder weniger ausschließlich Frauen und Eunuchen, deren beide Gruppen durch strenge Hierarchien gegliedert waren. An der Spitze der Frauen jeglichen Alters stand in der Regel die Kaiserin, die oder eine Hauptfrau des Herrschers. An Würde und Rang über ihr konnte die Kaiserinwitwe stehen, die Gemahlin eines verblichenen Kaisers. Ihr folgten die kaiserlichen Konkubinen, deren Wertschätzung durch den ihnen zuerkannten Rang angedeutet wurde, der bei Yang Guifei, dem Familiennamen Yang nachgestellt, „Wertgeschätzte Konkubine“ bedeutete. „Huldvolle Konkubine“ war der nächste Rang, und noch die untersten Ränge klangen bedeutend oder wenigstens ansehnlich. 37 Mehrere hundert Konkubinen, die besser Hofdamen genannt werden sollten, lebten beständig in diesen Hinteren Hallen beziehungsweise dem Seitenpalast; nach manchen Berichten waren das zur Zeit der Yang Guifei sogar dreitausend. Unbekannt ist, ob allein kaiserliche Wertschätzung für die Zuerkennung solcher Rangstufen verantwortlich war; auch Schönheit oder Liebeskünste dürften nicht allein darüber entschieden haben. Wahrscheinlich gelangten junge Mädchen aus Familien geringen Standes wegen ihrer Schönheit in den Harem, doch auch große und angesehene Würdenträger- und Adelsfamilien waren bestrebt, Töchter aus ihrem Hause im Harem unterzubringen, wo ihre Aufgabe unter anderem war, zum Wohle der Familie und deren männlichen Angehörigen auf den Kaiser einzuwirken. Für alle wichtigen Lebensbereiche waren im Harem besondere Funktionäre zuständig, natürlich für den Schmuck und die Gewänder, auch die Gebäude und die Gartenanlagen, für die Speisen und die Getränke, allein für die aufwendigen Frisuren drei Würdenträger. Alle diese Funktionäre verfügten über Untergebene, deren Zahl unbekannt ist, wie auch den Hofdamen Zofen und Dienerinnen zur Seite standen. Meistens wurden diese Hofdamen, von der Kaiserin angefangen, auch zu kleinen Arbeiten angehalten, vor allem bei der Herstellung von Seide, was seit dem Altertum ein Privileg der feinen Damen war. Aber auch die Bildung kam nicht zu kurz, denn drei Würdenträger waren für ihre Kenntnisse in den Klassikern und der Geschichte zuständig. Kaiser Ming richtete zusätzlich im Jahre 714 das Hofunterhaltungsamt ein, in dem jeweils einige hundert Hofdamen in Musikübungen und mehreren darstellenden Künsten unterrichtet wurden. Vor allem in diesen Bereichen, Literatur und Kunst, erneuerte sich die chinesische Kultur in dieser Tang-Zeit, im 7. und 8. Jahrhundert, die als Chinas ­Goldenes Zeitalter und zugleich als eines von großer Weltoffenheit gelten. Alle damals weitverbreiteten Religionen – Judentum, Manichäismus, Christentum, sogar schon der Islam – hatten sich in der Hauptstadt Stätten für fromme Übungen geschaffen, doch der indische Buddhismus dominierte, in seinem chinesischen Gewand, obwohl das Kaiserhaus den einheimischen Daoismus stärker beachtete, denn es fühlte sich dessen Ahnherrn Laozi familiär verbunden und hatte solche vorgebliche Nähe schon für seine legitimatorische Propaganda genutzt. Nachhaltig gewirkt haben die anderen Religionen nicht, denn auch sonst waren die Menschen in der Tang-Zeit nicht so recht philosophischen und tran- 38 szendentalen Problemen zugetan. Ihnen lagen die Lebensfreuden näher am ­Herzen, darunter auch und vor allem die Poesie. Wegen der Eigenart der chinesischen Sprache und Schrift lässt sich nicht leichthin feststellen, ob sich fremdländische Einflüsse auch in der Dichtkunst zeigen. Unübersehbar ist aber, dass Anonym, Hofdamen beim Musizieren, 9. Jh. die Musik sich erneuerte, vor allem durch die Einführung neuer Musikinstrumente, meistens aus Zentralasien und über die Seidenstraße nach hier gelangt. Auf den gleichen Wegen erreichten neue, oft florale Ornamente aus dem Westen China und bereicherten die Dekore von Spiegeln, Schminkdöschen, kostbaren Schalen und weiteren Werken der chinesischen Handwerkskunst, während einzigartige Gläser aus Syrien anscheinend öfter unversehrt die weite Reise nach hier überstanden. Eine Reise ganz anderer Art erlebte ein Bauwerktyp: Die kleinen Stupas als Ausdruck indisch-buddhistischer Gedenkfrömmigkeit wurden von noch frommen Baumeistern auf dem Weg dieses Baukonzepts über die Seidenstraße nach China zu sieben-, gar neungeschossigen Pagoden aufgetürmt. Aberhunderte solch himmelstürmender und oft kostbar ausgestatteter Pagoden im Tang-Reich haben ihren Betrachtern fraglos Botschaften vermitteln wollen, doch darüber lässt sich einstweilen nichts genauer sagen. Für mentalitätsgeschichtliche Studien wäre zwar reichlich Material vorhanden, doch bisher wurden solche Studien nicht versucht. Eine überaus anschauliche Materialgruppe hierfür wären die sogenannten Grabfiguren, kleine Skulpturen von 40 bis 80 Zentimeter Höhe, mit Darstellungen vor allem von Tieren und Menschen. Als der Brauch, den Toten solche Skulpturen ins Grab mitzugeben, Jahrhunderte früher aufgekommen war, ­deuteten diese vor dem Jenseits an, welche soziale Stellung der Verblichene im irdischen Leben eingenommen hatte. Diese Funktion blieb in der Tang-Zeit wohl nur eingeschränkt bewahrt. Offensichtlich ist, dass eine Freude am Bizarren die gestaltenden Künstler und wohl auch die Betrachter ihrer Werke erfüllte. Das zeigt sich allein schon daran, dass von den Tieren vor allem das 39 Kamel, das Lastentier der Seidenstraße, dargestellt wurde. Alle seine Lebenshaltungen erschienen den Tang-Menschen offenbar als so ungewöhnlich und bestaunenswert, wenn nicht bizarr-lächerlich, dass sie nicht genug darüber staunen konnten. üppigen reifen Frau, weshalb sie zur Blüte des fünften Monats ­erhoben wurde, nach dem Mond­ kalender im Hochsommer. Als besonders interessant erschienen ihnen wohl die heute sogenannten Musikantenkamele, die mehrere abenteuerlich aussehende Musiker ausländischer Herkunft transportierten. Überhaupt waren Ausländer – von blondlockigen Knaben bis zu wildbärtigen, hakennasigen Armeniern – unter den Menschendarstellungen besonders beliebt. Aber auch Beamte und Diener, letztere nicht selten in frechen Posen, wurden wiedergegeben. Natürlich gilt das auch für Frauen, vornehme und Dienerinnen, welche Skulpturen erlauben, die Mode und die Modetorheiten, auch die des Schminkens, jener Zeit zu rekonstruieren. Nur wenige beiläufige Aufzeichnungen lassen etwas über Liebe und Liebesleben damals erkennen, doch weite Bevölkerungskreise lebten anscheinend zumindest die Sexualität unbefangen und unreglementiert aus. Da erscheint dann als naheliegend, dass – wie die Grabfiguren erweisen – das Dekolleté bei den Kleidern der Damen aufkam – und schnell ­größer wurde. Angeblich stammte diese „Erfindung“ aus Persien, und in diesem Zusammenhang sollte ich sagen, dass ein berühmter Dichter Tonfigur einer Hofdame. in einer Art Ratesspiel fragte: „Was ist ein Widerspruch in sich?“ Eine der Antworten lautete: „Ein armer Perser.“ – Ungefähr 15.000 lebten damals in China, vor allem als Kaufleute und im heutigen Kanton. Wir können uns nur allmählich vorstellen, wie anders die Welt und China damals aussahen, doch darüber werde ich mehr, wie gesagt, am 21. Februar erzählen. Sie vermitteln aber auch eine Vorstellung von idealer Frauenschönheit damals. Üppige Fülle gehörte dazu, jedenfalls in „feinen“ Häusern, und die Gesichter sollten vollen Monden gleichen, die Augenbrauen den kräftigen Leibern von Nachtfaltern. Frauen, denen die Natur das nicht gegeben hatte, schminkten sich kräftig und zeitweise so stark, dass die gestalteten Augenbrauen einen großen Teil der Stirn einnahmen, mit einer üppigen Hochfrisur ­darüber. Als Haarschmuck, neben Nadeln und Spangen aus edlen Materialien, steckten sich die üppigen Hofdamen dann noch ­Päonien, Pfingstrosen, in die Haare. Um die Züchtung immer neuer ­Formen dieser prachtvollen Blüten entfalteten deren Liebhaber und professionelle Blumengärtner einen Kult, dem nur viel später die Tulpen­lust in den Niederlanden im 16. Jahrhundert ähneln sollte. Die Zweithauptstadt Luoyang wurde ein Zentrum der Päonienliebe – und sieht diese Blüte bis heute als ihre Blüte an. Zur Wertschätzung der Päonie hat beigetragen, dass sie nicht wie die Frühlingsblüher Winterkirsche, Aprikose und ­Pfirsich junger Mädchenblüte Zhou Fang, ­verglichen wurde, sondern einer Hofdamen beim Triktrakspiel, 8. Jh. 40 In Zusammenhang mit Welt und Zeit der Yang Guifei dürfen die beklagenswerten Eunuchen nicht verschwiegen werden. Einige tausend wieselten stets durch den kaiserlichen Harem, auch in vornehmen Privathäusern der Hauptstadt waren sie anzutreffen. Meistens kamen sie als Knaben aus den südlichen Provinzen des Reiches in die Hauptstadt, an den Kaiserhof sogar regelrecht als „Tribut“. In der Regel wurden sie von älteren Eunuchen adoptiert und auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Hierzu gehörte jedoch nur selten so etwas wie Bildung. So ist von nur wenigen Eunuchen bekannt, dass sie wenigstens lesen und schreiben konnten. Im Gegenteil wird beinahe allen Macht- und Geldgier nachgesagt, was bei einigen zu legendärem Reichtum führte. Weil sie unmittelbaren Zugang zum Kaiser hatten, konnten sie auch dessen Würdenträgern 41 solchen Zugang vermitteln oder verwehren und den Herrscher zusätzlich über die ihm liebsten Haremsdamen manipulieren. Anscheinend war nicht geregelt, wie der Kaiser unter den vielen Schönheiten für seine Beiwohnungen wählen sollte. Kaiser Ming, der jeweils ungefähr ­dreißig namentlich bekannte männliche und weibliche Nachkommen gezeugt haben soll, scheint das mit einiger Umsicht getan zu haben. Eine hübsche Anekdote erzählt, er habe den Hofdamen aufgetragen, sich Blüten in die Haare zu stecken. Dann habe er eigenhändig einen Schmetterling gefangen und ­wieder freigelassen. Der Dame, auf deren Haarblüte sich der Schmetterling niederließ, „beglückte“, wie auch im seinerzeitigen Chinesisch der Begriff dafür lautete, er in der kommenden Nacht. Ein Schmetterling war schon lange Symbol für männliches Liebesverlangen, und später wählen künstlerisch ambitionierte Literaten häufig das Motiv „Blüte mit Schmetterling“, wobei die dargestellte Blüte ebenfalls symbolhaft oder anspielend wirkt. Solche Hintergründigkeiten in der Malerei kamen in der Tang-Zeit auf, doch die eben angeführte Anekdote endet schnöde mit den Worten: „Als er mit der Yang zusammen war, endete dieses Schmetterlingsspiel.“ Zwei überaus unterschiedliche Gruppen von Personen beherrschten also den Harem, die schönen Hofdamen und die Eunuchen. Beide Gruppen waren ihrerseits nicht homogen, sondern nach Alter, Nähe zum Herrscher und anderen Kriterien stark differenziert, aber in großer persönlicher Nähe verbunden. Solches Verbundensein führte freilich nur überaus selten zu Vertrautheiten. Sowohl die Damen als auch die Kastraten waren bestrebt, ihr trostloses persönliches Geschick durch Selbstsucht in anderen Lebensbereichen aufzuhellen, wobei die Damen eher ihre Familien als die eigene Person im Sinn hatten, die bei den Eunuchen naheliegenderweise weniger galt. Insgesamt erscheint der kaiserliche Harem als ein gewaltiger Intrigantenstadl, in dem auf zwei Bühnen – bei den Damen und bei den Eunuchen – gleichzeitig gespielt wird. Niedertracht und Giftmischerei dürften oft die Szenen des Lebens hier bestimmt haben, und ein Rührstück wie das um die kaiserlich-unsterbliche Liebe zu der Wertgeschätzten Konkubine Yang dürfte dort selten vorgekommen sein. In den Augen der Zeitgenossen dürften seine Empfindungen für Yang Guifei befremdlich erschienen sein, denn die romantische Liebe war damals noch nicht entdeckt worden. Vielleicht hat ein Gedicht des großen Bai Juyi (772–846) zur Verklärung der romantischen Liebe, insbesondere dieser kaiserlichen, geführt oder zumindest zu ihr beigetragen. In den meisten Ge­dichten 42 aus jener Zeit begegnen in Zusammenhang mit den Hofdamen aber Schwalben. Leicht nachvollziehbar ist, dass die meist streng bewachten Hof­damen an diese munteren Zugvögel ihre Sehnsüchte hefteten. Mit den Grillen verglichen sie sich noch direkter und hielten diese Tierchen ihrerseits in kostbaren kleinen Käfigen gefangen, die sie sogar mit auf ihre Nachtlager nahmen, um ihrem traurigen Gezirpe nicht weniger betrübt zu lauschen. Vielleicht gehören Schwalben und Grillen aber in Zusammenhang mit den Hofdamen auch zu einem kulturellen Klischee, das mit der Lebenswirklichkeit im kaiserlichen Harem nur ungefähr zu tun hatte. Frühe Bilddokumente zeigen die Hofdamen ansonsten nicht nur beim Spielen von Musikinstrumenten und bei Brettspielen wie dem chinesischen Schach und Halma, sondern auch polospielend zu Pferde. Für dieses Spiel mussten sie sich gewiss in die freie Natur und auch die Gesellschaft von anderen Männern begeben, wie Bilder und Grabfiguren zeigen. Außerdem durften sich die Hofdamen zum Liebesfest am 7. 7. sowie zum Laternenfest beim ersten Vollmond im neuen Jahr unter das gewöhnliche Volk mischen, was natürlich auch liebevolle Begegnungen erlaubte. Ein berühmtes Gedicht erzählt von einer solchen Begegnung: „Der Mond schien in die Weidenzweige, / und paarweis’ trafen sich die ­Menschen. – In diesem Jahr, an diesem Tage, / leuchten Mond und Laternen ganz wie damals,/ doch nirgends ist der Mann vom letzten Jahr, / und Tränen netzen mir das Frühlingshemd.“ Das Frühlingshemd deutet nicht nur auf Eleganz und Schönheit, sondern auch auf Liebesverlangen, das bei dieser Hofdame vielleicht unerfüllt blieb, aber diese Feste boten den Schönen nicht nur Gelegenheit für liebenwürdige Eskapa­den. Bekanntlich nutzten einige solche Gelegenheiten auch, um ganz aus dem Harem zu verschwinden. Sonst erlaubte ihnen erst der Tod des Herrschers die Freiheiten, zu ihren Familien zurückzukehren, einen Mann aus dem einfachen Volk zu finden oder als daoistische Nonne ein einigermaßen selbstbestimmtes Leben zu führen. Ganz so schlimm wie auf den ersten Blick erscheint das abgeschiedene Leben der Hofdamen also nicht. Klar ist auch, dass sich polospielende Damen nicht von ungebildeten Eunuchen gängeln ­ließen. Literarische Überlieferungen aus der Tang-Zeit deuten manchmal immerhin an, dass einige Hofdamen außerordentlich starke und eigenständige Persönlichkeiten waren und dass sich solche auch unter den Frauen anderer sozialer Schichten befanden. Aber die verstreuten und zugleich vielgestaltigen Materialien für solche sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Überlegungen müssten erst noch gesichtet und umsichtig interpretiert werden, bevor die 43 Gestalt von Yang Guifei und ihre Verbindung mit dem Kaiser genauer gewürdigt werden können. Sicher heute schon ist, dass Yang Guifei nicht unter eingebundenen Füßen, den später sogenannten Lilienfüßen, zu leiden hatte. Dieser scheußliche Brauch, der Benachteiligung und Entmündigung der Frauen symbolisiert, kam erst ungefähr hundert Jahre nach ihrem Tod, der eigentlich eine Ermordung war, auf. Und ihre Mörder leitete ein in vorchristliche Zeiten zurückreichendes kulturelles Klischee, demzufolge die enge emotionale Bindung eines Kaisers an eine Frau abträglich für seine Herrschaft und das ganze Reich sei. In Zusammenhang mit chinesischer Kultur und Geschichte, auch chinesischer Gegenwart, muss sich ihr Freund oder ein aufgeschlossener Interessent unablässig mit Klischees auseinandersetzen, den eigenen und chinesischen. Für die Tang-Zeit, die Lebenswelt der Yang Guifei, rühmt ein solches Klischee deren Glanz, während ein anderes besagt, noch viel an ihr sei geheimnisvoll. Beides, höfischen Glanz und Geheimnisse von damals, lässt die Oper von Yijie Wang aufscheinen – auch die Musik in dieser fernen Welt. * Prof. Hans Stumpfeldt wird im Rahmen des „Ateliers“ zur Uraufführung (19. und 21.–23. Februar 2014) Vorträge zu den Themen Musik und Dichtung am Kaiserhof und in der Hauptstadt im Jahre 750, China und die Welt um 750 und Die schönste Frau der T’ang-Zeit und die Stellung der Frau in ihrer Zeit halten. Prof. Dr. Hans Stumpfeldt, geb. 1941, aufgewachsen in Lohme auf Rügen, studierte nach seiner Flucht aus der DDR in Freiburg Politik, Geschichte und Sinologie. Nach seiner Promotion 1967 (Titel der 1970 publizierten Dissertationsschrift: Staatsver­ fassung und Territorium im antiken China: über die Ausbildung einer territorialen Staatsverfassung) wurde er Wissenschaftlicher Assistent an der Sinologischen Abteilung der Universität Münster, 1979 wurde er als Professor an die Universität Hamburg be­rufen und vertrat dort den Studiengang Staat und Gesellschaft Chinas. Seit September 2006 ist Hans Stumpfeldt Emeritus. Neben seinem Forschungsschwerpunkt, der Geschichte und Staatsphilosophie der Han- und Vor-Han-Zeit, interessiert er sich für die vielfältigsten Themen, die er in zahlreichen Vorträgen, ­Artikeln und Rundfunksendun­gen auch einem breiteren Publikum vorgestellt hat. Seit dem Jahr 2000 hat er eine eigene Homepage (www.stumpfeldt.de), auf der er in regelmäßigen Abständen Wissenswertes zu China, seiner Geschichte und Gegenwart, aber auch zum deutschen Chinabild und zu Hamburger China-Kontakten zusammenträgt. 44 Wissenschaft und Kunst: Beatrix Borchard und Georg Hajdu im Gespräch mit Bettina Knauer Das Opernprojekt Yang Guifei entwickelte sich in einem fächerüber­ greifenden Prozess – in einem „Zugleich“ von wissenschaftlichem und künstlerischem Forschen. Wie ist dieses „Zugleich“ vorzustellen? B. B. Am Anfang stand zwar die Idee eines „Zugleichs“, aber de facto stand in diesem Falle der künstlerische Prozess im Vordergrund. Die wissenschaftlichanalytische Auseinandersetzung zunächst in der Arbeit am Libretto, dann in Gestalt von Seminaren und Kolloquien sowie von Texten blieb nachgeordnet. Das hat sicher nicht nur, aber auch mit kulturellen Unterschieden zu tun. Ein analytischer Umgang mit Themen und Stoffen ist eher europäische als chinesische Tradition. Ein erster Schritt der verbalisierten Reflexion bot das die Produktion begleitende Arbeitsbuch sowie das wissenschaftlich-künstlerische Atelier, das wir als Einstieg für die Uraufführung veranstalten. Der zweite wird dann nach der Uraufführung erfolgen. Es handelt sich bei dem Projekt ja um die erste künstlerisch-wissenschaftliche Promotion an unserem Hause, also um eine Verknüpfung von künstlerischen mit diskursiven Reflexionsformen. Für uns alle ist die Entstehung von Yang Guifei eine wichtige Erfahrung auch im Hinblick auf die Betreuung eines so komplexen Vorhabens. Es hat der Komponistin eine einzigartige, aber auch ungewohnte Chance der Kooperation und Praxiserfahrung geboten. G. H. Komposition, wie wir sie seit dem 20. Jahrhundert verstehen, ist in zunehmendem Maße mit Forschung verbunden. Je nach Temperament und Ausrichtung des Komponisten/der Komponistin ist das eher eine historischgesellschaftswissenschaftliche oder/und naturwissenschaftlich-systematische. In dem gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der Musikwissenschaft entworfenen Promotionsstudiengang geht es neben dem künstlerischen ­Projekt ja auch darum, Techniken der Forschung zu erlernen, diese zur Fortsetzung S. 48 45 Imke Ludwig, Figurinen „Yang Gufei“, „Yang Guozhong“, „Schatten“ und „An Lushan“ ­ nwendung zu bringen und am Ende einen konsistenten Text zu verfassen, A der den Anforderungen einer Promotion genügt. Gibt es an der HfMT Hamburg besondere Strukturen, die diesen Prozess ­wissenschaftlich-künstlerischen Forschens unterstützen? B. B. Für das Selbstverständnis der Hochschule spielt die wissenschaftliche Reflexion künstlerischer Prozesse eine zentrale Rolle und es gibt seit langem eine ganze Anzahl fächerübergreifender Projekte wie das Alkestis- und MedeaProjekt, die Salons, die seit 15 Jahren stattfindenden Gender-Ringveranstaltungen, die stets einen künstlerischen Teil miteinbegreifen, u.v.m. Deswegen wurde ein besonderes Dekanat, das „Dekanat Zwölf“, geschaffen, in dem sich Kollegen und Kolleginnen aus allen Bereichen zusammenfinden. Dieses Selbstverständnis spiegelt sich auch in der Entwicklung einer künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion (Dr. sc. mus.). Aber die am Konservatoriumsmodell des 19. Jahrhunderts orientierte Fächerstruktur ist noch dominant. Jeder Umorientierungsprozess braucht Zeit und Menschen, die ihn tragen. G. H. Ja, seit ca. drei Jahren studieren bei uns Komponistinnen und Komponisten in diesem neuartigen Promotionsstudiengang, der mit einem Dr. scientiae musicae abschließt. Das entspricht in etwa dem Doctor of Musical Arts, wie er an einigen amerikanischen Universitäten angeboten wird. Wir hatten in Hamburg, im Gegensatz zu den meisten anderen deutschen Musikhochschulen, das Glück, dass dieser Abschluss bereits an der HfMT existierte und wir ihn nur an unsere Anforderungen anpassen mussten. Da wir relativ geringe Vergleichmöglichkeiten hatten, sind wir beim Verfassen der Promotions- und Studienordnung durch manche Fassungen gegangen, bevor wir mit dem Ergebnis ganz zufrieden waren. Ein Ergebnis, das einerseits eine rigorose Struktur besitzt, aber andererseits den unterschiedlichen Profilen und Interessen der Bewerber genügend Spielraum lässt (wobei dies hauptsächlich das zu studierende Nebenfach betrifft). Yijie Wang komponiert transkulturell, europäische und chinesische ­Traditionen durchdringen sich. Es geht um Verbindung und nicht um die Markierung von Differenz. Ist das eine Entwicklung, die als exemplarisch zu bezeichnen wäre? B. B. Sicher, aber ich glaube, dass durch die Verbindung die Differenzen durchaus markiert werden. Wirklich neu ist „Transkulturalität“ natürlich nicht. Schon immer waren Musiker und Musikerinnen Reisende und haben alles aufgegriffen und sich anverwandelt, was sie angeregt hat. 48 G. H. Ja und nein. Natürlich ist es ein Glücksfall das Yijie Wangs Promotion alle diese Aspekte umfasst, andererseits können wir das nicht von allen Bewerbern erwarten. Allerdings bringen alle meine Promovenden, von denen zwei Drittel aus dem Ausland kommt, eine aparte Kombination von Eigenschaften und Talenten mit. Das kann die Beschäftigung mit ungewöhnlichen Tonsystemen bei Nora-Louise Müller, die Erforschung von Theaterrequisiten als musikalische Instrumente bei Todd Harrop oder die Nutzung ungewöhnlicher Controller für die live-elektronische Performance bei Alexander Schubert sein. Im „Atelier“, das die Uraufführung vorbereitet und kontextualisiert, haben sie das musikalische Programm konzipiert. Welche Schwerpunkte haben sie gesetzt und warum? G. H. Es ging mir dabei erst einmal um das Ungewöhnliche des Ost-West-­ Dialogs, der in seiner Intensität ständig zunimmt. Der erste chinesische Komponist, dem ich in der Ligeti-Klasse begegnete (es muss ungefähr 1987 gewesen sein), war mein jetziger Kollege Xiaoyong Chen. In meiner kalifornischen Zeit kam ich dann in engeren Kontakt mit Amerikanern chinesischer Herkunft und entdeckte meine Affinität zu ihrer Kultur und Mentalität. Dort traf ich auch ganz zufällig die in Frankreich lebende Komponistin Tona Scherchen-­Hsiao, die Tochter des berühmten Dirigenten Hermann Scherchen und der ­chinesischen Komponistin Xiao Shuxian, bei der Xiaoyong Chen in Peking Kontrapunktunter­ richt hatte. Tona Scherchen-Hsiao studierte in den 60er Jahren ebenfalls bei Ligeti. Trotz ihres wirklich interessanten Hintergrunds und nicht zu unterschätzenden Oeuvres, in dem westlich-avantgardistische und östlich-traditionelle Elemente zur Synthese gelangen, ist sie bei uns so gut wie unbekannt – ein Umstand, den es unbedingt zu ändern gilt. Während meiner Reisen nach China habe ich auch Jian Feng kennengelernt, die am Konservatorium in Wuhan unterrichtet, das als eines der besseren der chinesischen 9 Musikkonservatorien gilt. Die seit 2010 in Hamburg lebende Multimediakünstlerin Xiao Fu hat bei ihr in den 90er Jahren im Studiengang für elektronische Musik gelernt, der erste seiner Art in China. Mein Beitrag ist das Stück Swan Song, ein Metakommentar mit multimedialen Mitteln zu dem Film Lebe Wohl meine Konkubine, der in den 90er Jahren Furore machte und als einer der Hauptwerke des neuen chinesischen Film gilt; er dreht sich um das Leben zweier Peking-Opernsänger. Mein Stück wird der Nachtigall von Karsten Gundermann gegenüber gestellt, der einen europäischen Märchenstoff im Stil der Pekingoper vertont hat und damit sowohl in Asien wie Europa Erfolg hatte. So schließen sich in der Programmgestaltung mehrere Kreise zu einem hoffentlich harmonischen Ganzen. 49 (An Beatrix Borchard) Herrschaft – Geschlecht – Kunst: das könnte der ­Obertitel der Auseinandersetzung mit dem Mythos Yang Guifei sein. ­Insbesondere aus Perspektive der Gender-Forschung birgt Yijie Wangs Oper interessante Fragestellungen. B. B. Im Zentrum der Oper steht eine historische Frauenfigur. Die Geschichten, die sich seit Jahrtausenden um sie ranken, wurden bisher – soweit ich weiß – unter Gendergesichtspunkten von chinesischer Seite aus nicht hinterfragt. Wir hingegen stellen den Mythos Yang Guifei in den Kontext des Entwurfs von Frauen- und Männergestalten in der europäischen Operngeschichte. Da gibt es Parallelen – nicht der Kaiser, der seine politischen Aufgaben vernachlässigt, sondern die Frau, die er liebt, muss sterben. Erotische Anziehung als Bedrohung männlicher Herrschaft ist also nicht nur im Christentum ein zentrales Motiv. Der Kaiser und seine Konkubine, beide sind Künstler. Ihr Versuch, Liebesgemeinschaft und Schaffensgemeinschaft miteinander zu verknüpfen, unterläuft die staatserhaltene Hierarchie zwischen Männern und Frauen, Kaiser und Untertanin. Auch hierin liegt eine Bedrohung der bestehenden Verhältnisse. Schließlich das Thema Haupt- und Nebenfrauen. Eine Konkubine ist keine Prostituierte, auch keine Kurtisane. Was aber war ihre Funktion in der Tang-Zeit, was erzählt die Geschichte von Yang Guifei über Geschlechterverhältnisse, wenn wir sie heute und hier auf die Bühne bringen? Georg Hajdu, geboren 1960 in Göttingen, gehört zu den ersten Komponisten, die sich systematisch der Verbindung von Musik, Naturwissenschaft und Informatik verschrieben haben. Nach Studien in Köln und in Berkeley, promovierte er mit der multimedialen Oper Der Sprung. Neben seinen Werken, die mehrfach mit Preisen ausgezeichnet worden sind, schrieb er Publikationen zu verschiedenen Themen im Grenzbereich von Musik und Naturwissenschaft. Zu seinen Forschungsgebieten gehören Multimedia, Mikrotonalität, algorithmische Komposition, Echtzeit-Interaktion und der Einsatz von Netzwerken in der Musik. Seit 2002 ist er Professor für multimediale Komposition an der HfMT Hamburg. 2010 war er Visiting Professor an der Northeastern University und Artist in Residence am Goethe-Institut in Boston. Mehr zu Georg Hajdu: http://georghajdu.de/ Beatrix Borchard, Prof. Dr. phil. habil. studierte in Bonn und Berlin Musikwissenschaften, Germanistik und Geschichte und promovierte über Clara Wieck und Robert Schumann, ­Bedingungen künstlerischer Arbeit in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, Weinheim-Basel: Beltz 1984. 2000 Habilitation: ­Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim. Biographie und Interpretationsgeschichte, Wien: Böhlau 2005. Beatrix Borchard lehrte zehn Jahre an der Hochschule der Künste Berlin Musikwissenschaft und arbeitete für das Goethe-Institut, vor allem in China, Portugal und Rumänien. Seit 2002 ist sie Professorin für Musikwissenschaften an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Hier leitet sie ein von der DFG gefördertes Forschungsprojekt zum Thema Orte und Wege europäischer Kulturvermittlung durch Musik. Pauline Viardot – Sängerin, Pianistin, Komponistin, Arrangeurin, Volksmusiksammlerin, Pädagogin und Veranstalterin und die Forschungsplattform Musik/ Musikvermittlung und Gender: http://mugi.hfmt-hamburg.de. Mehr zu Beatrix Borchard: http://mugi.hfmt-hamburg.de/Borchard/ 50 51 femme totale – Die Rolle der Frau in der gegenwärtigen Kunst in China am Beispiel der „Bald Girls“ “Bald Girls”. Ausstellung Iberia 798, Peking 2012. Juan Xu „Abrasieren“. Performance Xiao Lu, Lixinmo und Jiny Lan, Ausstellung Iberia 798, Peking 2012. “By that yardstick alone, the Saturday opening of ‘Bald Girls’, a feminist art show in the 798 arts district of Beijing, was a tremendous success. Plainclothes officers rushed into the Iberia Center for Contemporary Art shortly before the afternoon opening and demanded the removal of two paintings by Lan Jiny, an artist based in Germany, according to the show’s organizer, Xu Juan. Feminist art in China, a country where very few women dare say they are feminists for fear of social ostracism, is still a tiny phenomenon. But, in fact, the show on Saturday didn’t need the censorship to have an impact. The artist’s actions were ­dramatic enough. And what they said was: The world’s attention may be transfixed by a handful of female Chinese billionaires, but the true situation of the country’s 653 million women is parlous. So schreibt die „New York Times“ am 07. 3. 2012 über eine außergewöhnliche Ausstellung in Peking: „Bald Girls“, die erste feministische Künstlerinnengruppe in China. “Bald Girls – A Door”. Poster „Bald Girls“, Ausstellung 2013. 52 Der Titel „Bald Girls“ ist von dem berühmten absurden Theaterstück der Kahlen Sängerin inspiriert worden, das der französische Schriftsteller Eugène Ionesco in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts schrieb. Die Aussprache der Worte von „Bald Girls“ in der chinesischen Sprache hat zwei Bedeutungen, „Sängerin“ oder „Kämpferin“. Diese Doppeldeutigkeit soll darauf hindeuten, dass „Feministische Kunst“ gerade erst in China Einzug gehalten hat und sich noch einen Platz erkämpfen muss. Künstlerinnen sehen sich in der zeitgenössischen feministischen Kunst als Kämpferinnen und sie fühlen sich verpflichtet, für die Aufklärung und das Bewusstwerden der modernen Frau zu kämpfen. 53 In der Tat ist die zeitgenössische chinesische Gesellschaft fast so absurd wie dieses absurde Theaterstück: „Ich würde lieber in einem BMW weinen als auf einem Fahrrad zu lächeln“ war ein berühmter Slogan der Sendung Nur wenn Du der/ die Richtige bist im chinesischen Fernsehen. Es ist inzwischen ein Motto für chinesische Mädchen auf dem Heiratsmarkt geworden. Der Sendung nach sieht die Beziehung zwischen Männern und Frauen in China folgendermassen aus: „Frauen lieben Geld, Männer reizvolle Frauen“. Dies stimmt aller“Second Sex”. dings nur teilweise. Denn nicht nur Fotographie von Li Xinmo Zajia Peking 2013. die Frauen finden Geld sexy, auch In Anlehnung an Simone de Beauvoirs Buch Männer lieben Geld. Wenn Geld Das andere Geschlecht. und Sex als entweder und oder zur Wahl stehen würden, würden Männer allerdings eher Geld bevorzugen. Dass erotische Frauen bei reichen Männern so begehrt sind, liegt einfach an der Tatsache, dass Frauen als Waren nicht so teuer, vor allem leicht zu bekommen sind. Hingegen ist es auch nicht so, dass die chinesischen Frauen nur Geld lieben und nichts für sexy Männer empfinden. Dass für manche Frauen in China Geld attraktiver als ein gutaussehender Mann ist, hängt mit der Tatsache zusammen, dass Geld ein angenehmes und beneidenswertes Leben bietet. Mit anderen Worten: Geld ist quasi eine Art von Sozialversicherungskarte für ein menschenwürdiges Leben. Die Vorliebe zum Geld bei chinesischen Frauen ist nicht nur eine kulturelle Tradition, sondern auch ein Beweis dafür, dass das ökonomische Sein das ideologische Bewusstsein bestimmt. Es ist doch eine kraftvolle ­Aussage, dass Frauen als benachteiligte soziale Gruppe immer noch nicht „die Hälfte des Himmels“ sind. Liebe zum Geld bei Frauen findet man sogar im chinesischen Sprichwort: „Einen Mann zu heiraten bedeutet Kleidung und Nahrung zu bekommen“. Nach konfuzianischen gesellschaftlichen Prinzipien steht der Mann über der Frau. 54 “Woman”. Malerei von Li Xinmo 2011 Peking. Diese Tradition ist seit 2000 Jahren Kulturkonsens in China, einschließlich der Frauen selbst. Im vormodernen China musste die Frau fast Unerträgliches ertragen, bis sie schließlich als Schwiegermutter an die Macht der Familienbande kam. Ähnlich wie im antiken Griechenland gilt der Mann in China als Kulturträger, war das Maß aller Dinge, die Frau stand hingegen stellvertretend für das Unvollständige, das Unvollkommene. Die Chinesen glaub(t)en: „Schwacher Körper, schwacher Geist“. Das heißt, die Frau ist körperlich ­schwächer, war selbstverständlich aber auch geistig schwach. Zusammen­ fassend gesehen wurde in den letzten 2000 Jahren die Frau in China entweder als Übermutter verehrt oder als Prostituierte verdammt, nur hat sie keine gleichberechtigte und unabhängige Persönlichkeit. Bis in die heutige Zeit wird der Mann in China als mutig und abenteuerlustig betrachtet, denn er galt als der einzige Schöpfer materiellen und geistigen Reichtums und stand damit im Zentrum. Dieser Androzentrismus hat sich jedoch bis heute noch nicht grundlegend v­ erändert, auch wenn die Bewegung der Gleichberechtigung der Geschlechter der späten Qing-Dynastie und am Anfang der Republik, vor allem die von der 55 Politik veranlasste kommunistische Ideologie der Gleichheit in den letzten 60 Jahren chinesischen Frauen zwar günstige soziale Bedingungen gegenüber der Frauenbewegung in den westlichen Ländern schaffte. Da es aber von oben nach unten verordnet ist und nicht aus Forderungen der Frauen selbst kommt, fehlt es an Fragen nach dem Konzept der inneren Wandlung und bleibt somit erzwungen. Auf der kulturellen Ebene mangelt es auch an der Bildung einer subversiven Kraft innerhalb des Gender-Bewusstseins. Erst in den letzten Jahrzehnten hat der Wirtschaftsaufschwung und die Öffnung-nach-Außen-Politik der Emanzipation der Frau einen hervorragenden Nährboden bereitet. Die Situation der Frau ist allerdings sehr unterschiedlich: Auf der einen Seite gibt es bereits in den großen Städten eine Menge von selbstbewussten, finanziell unabhängigen, emanzipierten Frauen mit höherer Bildung, die im Prozess der wirtschaftlichen Reform immer mehr Freiheit zur Selbstverwirklichung genießen, wie zum Beispiel Künstlerinnen und Unternehmerinnen; auf der anderen Seite gehen gleichzeitig doch nicht wenige Frauen in der traditionellen Rolle der Frau im alten China auf: als Hausfrauen, Nebenfrauen oder Konkubinen. Diese Frauen sind ­passiv, abhängig und geben dabei sogar ihre Persönlichkeit auf. Diese Koexistenz von verschiedenen und komplexen Zuständen der Frauen als Phänomen der chinesischen Gesellschaft ist eigenartig und so absurd wie das Theaterstück Die kahle Sängerin von Ionesco. In der chinesischen Kunstgeschichte und in dem patriarchalischkünstlerischen Diskurs wurde die Frau entmachtet, sie hat keine eigene Stimme. Chinas zeitgenössische Kunst der Frauen ist von der feministischen Kunstsprache westlicher Frauen inspiriert: In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts kam die westliche feministische Theorie 56 “Vagina’s Memory”. Performance 2008. Dieses Foto wurde verboten bis zur Ausstellung “Bald Girls” 2012. zum ersten Mal in China an. Seitdem existiert in China „Feminis­ tische Kunst“ in der zeitgenössi­ schen Kunstbetrachtung. Sie unterscheidet sich wesentlich von der sogenannten „Frauenkunst“ der Vergangenheit. Die zeitgenössische feministische Kunst in China will den Status Quo ändern: Indem sie den traditionellen männlich künstlerischen Ausdruck hinter sich lässt und ihre eigene weibliche Kunstsprache findet. Hier geht es nicht nur um das Geschlecht der Künst­ lerinnen, also die weiblichen Merkmale des biologischen Körpers. Erprobt wird vor allem vielmehr die soziale Rolle der Frau unter ­verschiedenen soziokulturellen ­Perspektiven. „Bald Girls“ ist die erste chinesische Kunstgruppe mit eindeutig feministischen Gedanken. Sie präsentiert das Konzept des Genders: Reflek­ tion soziokultureller Strukturen bzw. kritisches Gender-Bewusstsein. „Bald Girls“ wendet sich gegen die Konventionen und gibt sich in der zeitgenössischen Kunst kämpferisch: Sie gehen in China mit Frauen-Aktivistinnen auf die Straße und lenken die Aufmerksamkeit auf spezielle Frauenproblematiken, nämlich auf ihre eigenen Gefühle, geistige Aktivität und auf die Verzwickung der Frauenrolle im sozialen und kulturellen Kontext. „Gegen Ungerechtigtkeit des Bildungsministeriums“. Foto von der Protestaktion der Frauen-Aktivistinnen Guangzhou 2012. (Chinesische Schriften: Nicht groß genug, nicht schön genug). “Fifteen Shots … from 1989 to 2003”. Performance Xiao Lu 2003 Peking. 57 Neue KP-Führung in China: Die singende First Lady Andreas Lorenz Sie ist berühmter als ihr Ehemann Xi Jinping, der auf dem Parteitag zum neuen Chef der KP ernannt wird: China bekommt mit der Sängerin Peng Liyuan eine schillernde First Lady. Ihre Rolle als brave Gattin spielt die Sopranistin schon jetzt perfekt. “One Person Wedlock”. Performance Xiao Lu 2009. Im Gegensatz zur traditionellen „Femme Fatale“ Yang Guifei (eine von den „Vier Schönheiten“ in der 2000 Jahre alten chinesischen Geschichte), die allein durch ihre Schönheit Staatsangelegenheiten der Tang Dynastie beeinflusst hat, steht „Bald Girls“ für eine aktive soziopolitische, wirtschaftliche und geistige Veränderung der Rolle der Frauen in China. Also statt einer „Femme Fatale“ eher die „Femme Totale“: eine neue, zukunftsweisende Form von weiblich ­orientiertem, selbstbestimmtem Denken und Handeln, in dem „alles kann und nichts muss“. Juan Xu, geboren in Chengdu, China. Sie hat in Tübingen studiert und sich mit dem Feminismus in der zeitgenössischen Kunst Chinas intensiv auseinandergesetzt. Sie ist die Kuratorin der chinesischen Künstlergruppe „Bald Girls“ und Direktorin von „China-in-Motion“, des chinesischen Filmfestivals in Frankfurt. Sie lebt in Wiesbaden und Peking. 58 „Ich fand seine Kleidung altmodisch und einfach, und sein Gesicht sah älter aus als er war.“ So beschrieb die damals 24-jährige Sängerin Peng Liyuan die erste Begegnung mit ihrem späteren Ehemann. Das war 1986, und Xi Jinping diente als Vize-Bürgermeister der südlichen Hafenstadt Xiamen. Er selbst hatte offenbar keine Ahnung, dass er einen Star vor sich hatte und zeigte sich als nicht gerade galanter Verehrer. „Er fragte mich, was für ein Talent man braucht, um zu singen“, erinnerte sich Peng später. Dennoch war es Liebe auf den ersten Blick, ein Jahr darauf heirateten die Sopranistin und der Funktionär. 25 Jahre später dürfte Xi auf dem 18. Parteitag von Chinas KP zum neuen Parteichef, und damit zu einem der mächtigsten Männer der Welt bestimmt werden. Und China bekommt somit eine richtige First Lady – eine, die sogar populärer ist als ihr Mann, der bislang, wie alle Spitzenkader, mehr im Verborgenen wirkte. Auf die Frage: „Wer ist Xi Jinping?“ wissen viele Chinesen nur eine Antwort: „Der Mann von Peng Liyuan.“ Pengs Karriere ist ebenso erstaunlich wie die ihres Gatten. Über ihr Elternhaus ist wenig bekannt. Nur soviel: Ihre Eltern zögerten, als sie den aufstrebenden KP-Funktionär anschleppte, weil sie die Genossen alle für korrupt hielten. In der ostchinesischen Provinz Shandong geboren, wurde sie mit 18 Jahren Soldatin. Damals war dies keine ungewöhnliche Entscheidung für eine junge Frau, denn die Volksbefreiungsarmee galt als sicherer und begehrter Arbeitsplatz, fernab von politischen Wirren, die unter Mao Zedong jahrzehntelang das Land erschüttert hatten. 59 Ihr Lied „Auf den Ebenen der Hoffnung“ begeisterte China Ihre Vorgesetzten entdeckten bald, dass sie gut singen konnte und kommandierten sie zur Kulturtruppe ab, die durch das Land reiste, um die Moral der Soldaten und Bauern zu stärken. Ihren Durchbruch erlebte Peng 1982 auf der Frühlingsfest-Gala des staatlichen Fernsehens, das TV-Ereignis des Jahres, weil fast das ganze Volk vor dem Bildschirm sitzt. „Auf den Ebenen der Hoffnung“ hieß das Lied, mit dem sie China begeisterte. Mit Volksliedern und patriotischen Gesängen wie „Mein Vaterland“, „Die Menschen meines Dorfes“ oder „Berg Chomolungma“ schmachtete sie sich später in die Herzen der Funktionäre und Generäle – mal in tibetischer Tracht, mal in Uniform mit Ordensband, die Frisur streng onduliert, mal in brauner Kaderkluft, das Haar neckisch zu zwei Zöpfen geflochten. Oft begleiten sie Kinder- oder Armeechöre, hinter ihr wedeln Tänzerinnen mit den Armen, das Gesicht in revolutionärer Glückseligkeit verzückt, und sie schmettert mit sehr hoher Stimme etwa: „Auf der Straße, sonnenbeschienen, in der Luft aufflatternde Fahnen. Entwicklung auf wissenschaftlicher Grundlage und Harmonie – sie sind es, die China zu helleren Ufern führen.“ Zwölfmal ist Peng inzwischen auf der Frühlingsfest-Gala aufgetreten, was einem Ritterschlag für konservative und linientreue Künstler gleichkommt; einmal gewann sie sogar einen Künstlerpreis im Wert von einer Million Yuan (derzeit umgerechnet rund 123.000 Euro). Nach wie vor dient sie im Militärmusikkorps der Armee im Rang eines Generalmajors. Seitdem ihr Mann Vizepräsident ist, tritt sie allerdings weniger häufig auf. Dafür engagiert sie sich als „Botschafterin des Guten Willens“ der Weltgesundheitsorganisation WHO für Tuberkulosekranke und HIV-Infizierte und rät zum Gebrauch von Kondomen. Der Star spielt die Rolle vom Heimchen am Herd Ihren Mann, den künftigen Ober-Mandarin, findet sie schlicht „exzellent“, der Star selbst spielt stets die Rolle vom Heimchen am Herd. Tatsächlich versagte sie sich für ihren Mann eine Gesangskarriere außerhalb von Armee und KPKulturszene. Nie ließ sie sich für Werbefilme engagieren – und verzichtete damit auf viel Geld. Die „Familie“, betont sie in Interviews, sei ihr das Wichtigste auf der Welt. Sie sei der „friedliche Hafen für eine Frau und ein Fels in der Brandung“. Gleichwohl schwirren Gerüchte durch China, dass die beiden längere Zeit getrennt voneinander lebten. Die gemeinsame Tochter, Mingze, studiert derzeit unter falschem Namen an der Harvard Universität. Für die KP und ihren Mann ist Peng womöglich ein politischer Glücksfall. 60 Mit ihrem Charme könnte sie die Untertanen für den farblosen Apparatschik einnehmen und den beschädigten Ruf der Partei aufbessern. Und in der Welt könnte sie ein sympathisches China-Bild verbreiten – die Armee-Muse als Teil von Chinas Soft-Power. Schon werden Erinnerungen an eine andere First Lady wach: Song Meiling, die als Ehefrau des Mao-Gegners Chiang Kai-shek Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit Schönheit und Intelligenz die Herzen der Amerikaner eroberte und sogar vor dem US-Kongress sprechen durfte. Später hatten die Chinesen nicht mehr so viel Glück mit den Ehefrauen ihrer Staats- und Parteichefs. Jiang Qing, vierte Frau Maos und Schauspielerin, war leidenschaftliche Kulturrevolutionärin, schwang eifrig das Mao-Büchlein, hielt geifernde Reden und hatte schließlich viele Menschen auf ihrem Gewissen. Als führendes Mitglied der „Viererbande“ verurteilte Maos Nachfolger sie 1981 zum Tode – auf Bewährung. Ihre Nachfolgerinnen blieben stets im Schatten ihrer Ehemänner. Liu Yongqing, Frau von Hu Jintao, wirkt so steif und unbeholfen wie ihr Mann. 2003, als Bundespräsident Johannes Rau Peking besuchte, erlebte Christina Rau sie bei einem Staatsempfang in der Großen Halle des Volkes als eine uninteressierte Tischnachbarin. Auch Wang Yeping, Frau von Hus Vorgänger Jiang Zemin, war selten in der Öffentlichkeit zu sehen, und wenn doch, dann schwieg sie. Und nun? Wird die Sopranistin Peng Liyuan womöglich eine zweite Carla Bruni? Kann sie gar Michelle Obama die Schau stehlen? Eines steht fest: Es wird nicht ihre Entscheidung sein. Über ihre Rolle entscheidet das künftige Politbüro. Und das besteht überwiegend aus Männern. [Aus: SPIEGEL ONLINE, Andreas Lorenz, 8. November 2012] 61 BIOGRAFIEN Dominik Neuner (Regie, Bühne) s. Seite 33 Bettina Rohrbeck (Musikalische Leitung) s. Seite 34 Astrid Klein (Kostümbild) geboren 1987, studierte Kostümdesign bei Prof. Maren Christensen an der Hochschule Hannover und bei Gary Thorne am ­Central St. Martins College London. Während des Studiums hospitierte Astrid Klein u. a. am Staatstheater Nürnberg, mehrfach am Thalia Theater Hamburg, an der Oper Magdeburg und übernahm eine Stylingassistenz im modejournalistischem Bereich beim Neon Magazin in München. Sie ent­wickelte und realisierte das Kostümbild zu Benjamin Brittens Albert Herring für die HmTmH Hannover, assistierte als Gast am Staatstheater Kassel und realisiert neben ihrem derzeitigen Masterstudium an der HAW, bei Prof. Reinhard von der Thannen, eigene Projekte, wie zuletzt Shakespeares Der Sturm am Lichthof Theater Hamburg mit Regisseur Hans-Jörg Kapp oder Nussbaumeders Eisenstein am Stadttheater Gießen, in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Titus Georgi. Imke Ludwig (Kostümbild) geboren 1987 in Münster. Seit 2008 Studium Kostümdesign und Szenografie an der FH Hannover bei Prof. M. Christensen. Hospitanzen am Stadttheater Dortmund unter anderem bei der Abschlussinszenierung von Christine Mielitz, sowie weitere ­Hospitanzen und Assistenzen am Staatstheater Hannover. ­Ausstattung einer Franz Kafka-Collage am Mittwoch: Theater Hannover. Im Juli 2012 Bachelorabschluss; seit dem Winter­ semester 2012/2013 Masterstudium Design mit dem Schwerpunkt Kostüm an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg bei Prof. Reinhard von der Thannen. Ausstattung der Oper Il Combattimento di Tancredi e Clorinda unter der Regie von Rahel Thiel, in Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater. 62 Rebekka Reisert (Yang Guifei) ist in Freiburg im Breisgau geboren. Ihr Gesangsstudium absolvierte Sie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg bei der amerikanischen Sopranistin Prof. Carolyn Grace James, so wie dem Pianisten und Spezialisten für Liedbegleitung und Interpretation Prof. Burkhard Kehring. Sie ist Preisträgerin des Mozartpreises für Gesang der Absalom-Stiftung der Freimaurer zu Hamburg, so wie Stipendiatin der Yehudi Menuhin Stiftung Live Music Now. Nach mit Auszeichnung bestandenem Opern­ diplom führten Sie erste Engagements an die Oper Kiel (Sirene in Rinaldo von Händel, Blondine, schwangere Türkin und 1. Chefsekretärin in Sekretärinnen von Wittenbeinl), an das Theater Lübeck, wo sie in der Spielzeit 2011/12 Mitglied des Internationalen Opernelitestudios war und Partien wie die Valencienne in der Operette Die Lustige Witwe von Lehar, die Gretel in Hänsel und Gretel von Humperdink und die Zeitel in Anatevka gab. Weiter sang Sie am Landestheater Neustrelitz (Die Partie der Anna Reich, aus Die Lustigen Weiber von Windsor von Nicolai) und in der Kammeroper Hamburg (2012/13 Nedda im Bajazzo von Leoncavallo, 2013/14 Celestina in Lauter Verrückte von Simon Meyer und Hester in Der Scharlachrote Buchstabe von ­Frederic Krol, eine deutsche Uraufführung). Neben der Oper ist Sie eine begeisterte Konzertsängerin. Konzertreisen führten sie bereits in einige, namhafte Konzertsäle, wie in den großen Saal der Laeiszhalle in Hamburg, den Herkulessaal in München, das Konzerthaus und die Philharmonie in Berlin, das Gewandhaus Leipzig, die Philharmonie Dresden, den Königin Elisabeth Saal in Antwerpen, Belgien und zu Letzt in das Theatro Muncipale in Sao Paulo, Brasilien. Weitere Reisen und Konzerte sind geplant, wie in den Konzertsaal des German Forum in New York. Ein Satie-Abend mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter der Leitung von Ruben Gazarian (Juni 2014) und einen Liederabend mit Werken von Rachmaninow, Debussy und Richard Strauss mit der Konzertpianistin Mzia Jajanitze im Foyer der Oper Kiel im Mai 2014. Diesen Sommer ist Rebekka Reister erstmals bei den Eutiner Schlossfestspielen zu sehen, als Tochter Hodel in Anatevka. Ying Ma (Yang Guifeis Schatten) Die chinesische Sopranistin wurde 1988 in Shanghai geboren. Sie erhielt bereits ab dem Jahr 2000 Gesangsunterricht bei Prof. Xiaoqun Chen vom Shanghai Conservatory of Music. 2007 begann sie ihr Studium am Shanghai Conservatory of Music im Fach Operngesang. Neben ihrem erfolgreichen Studium in ­China hat sie zahlreiche Preise bei verschiedenen Wettbewerben erhalten, z. B. den dritten Preis des „ersten Nachwuchsgesangswettbewerbs der V. R. China“. Im Jahr 2010 erhielt sie Gesangsunterricht bei Kammersängerin Jeanette Scovotti am Hambur- 63 ger Konservatorium. Seit September 2011 studiert sie bei Prof. Carolyn Grace James an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg im Fach Gesang und Oratorium. 2013 war sie Drittplatzierte beim „Mozart-Preis“ und gewann danach den 2. Preis des Wett­ bewerbs 2013 der Elise-Meyer-Stiftung für Studierende der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Jetzt studiert sie im ersten Semester im Masterstudiengang Oper der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Jianeng Lu (Kaiser Xuanzong) geboren 1985 in Suzhou in der Nähe von Shanghai im Südosten Chinas, studierte von 2000 bis 2003 am Konservatorium Shanghai bei Prof. Jingzu Bian. Als 16-Jähriger gewann er den 3. Preis beim Internationalen Gesangswettbewerb „The 7th Takasaki International Art & Musik Competition“ in Japan. 2003/04 ­studiert er am Hamburger Konservatorium bei Kammersängerin Jeanette Scovotti. Im Herbst 2004 begann sein Studium an der Musikhochschule Lübeck bei Prof. Günter Binge. Im Jahr 2006 sang er Jonathan in Saul von Händel in der Aegidienkirche Lübeck. Gastspiele führten den jungen Tenor ans Lübecker Theater und zum Theater Bern (Vögeli in Per Norgards Oper Der Göttliche Tivoli). Von 2007 bis 2011 studierte er an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin bei Prof. Scot Weir. Im Sommer 2007 sang er die Partie des Nathanaël in Offenbachs Hoffmanns Erzählungen und Bote in ­Verdis Aida bei den Eutiner Festspielen. 2009 war er in der Rolle des Harlekin in Viktor Ullmanns Oper Der Kaiser von Atlantis am Konzerthaus Berlin zu hören. Im Jahr 2010 debütierte Jianeng Lu als Rudolph in Wilhelm Tell an der Philharmonie in Berlin. Im Sommer 2010 sang er als Podesta in Mozarts Die Gärtnerin aus Liebe beim Gut Immling Opernfestival. 2011 gab er sein Debüt als Königssohn in Kinderoper Eisenhans an der Berliner Staatsoper. Von 2011 bis 2013 vertiefte er seine solistische Ausbildung an der Hochschule für Musik Trossingen bei Prof. Moldenhauer.Im Jahr 2013 debütierte er in der Hauptrolle des Barigoule in Pauline Viardots Oper Cendrillon mit Berliner Philharmoniker bei den Baden-Baden Festspiel. Seit Oktober 2012 ist er als Gesangsdozent an der Brandenburgische Technische Universität im Fachbereich Instrumental-und Gesangspädagogik in Cottbus tätig. Er ist Stipendiat des Vereins „Live Music Now ­Yehudi Menuhin“. 64 Axel Wolloscheck (Yang Guozong) wurde in Dortmund geboren und begann seine musikalische Ausbildung zunächst auf dem Klavier, später im Fach Dirigieren. 2007 begann er in beiden Fächern das Studium in Osnabrück. 2009 wechselte er an die Hochschule für Musik Detmold, um dort Opern- und Konzertgesang zu studieren. Der mit mehreren Stipendien ausgezeichnete Sänger sammelte die ersten Bühnen­ erfahrungen mit den Partien des Vaters aus Hänsel und Gretel von E. Humperdinck und des Sprechers aus der Zauberflöte von W.A. Mozart, sowie des Herrn Fluth aus Die Lustigen Weiber von Windsor von O. Nicolai. Später folgten Partien wie Eugen Onegin von P.I. Tschaikowsky und die des David aus L’amico Fritz von P. Mascagni. 2012/13 gastierte er bei dem ­Detmolder Kammerorchester mit der Titelpartie aus Der Kaiser von Atlantis von V. Ullmann und sang mit der Neuen Philharmonie Westfahlen in vielen großen Theatern im Ruhrgebiet eine Zusammenfassung des Fliegenden Holländers. Neben den Engagements auf der Opernbühne singt Axel Wolloscheck regelmäßig Konzerte und Lieder­ abende, die ihn bereits bis nach Korea und Japan führten. Er besuchte zahlreiche ­Meisterkurse u. a. bei Andras Schiff, Thomas Heyer und Lars Woldt. Seit dem Winter­ semester studiert er in der Master Oper Klasse von Geert Smits an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Ronaldo Steiner (An Lushan) der brasilianische Bariton wurde in Boston, USA geboren. Er studierte Schulmusik auf Florianópolis, Brasilien, und Gesang an der University of Georgia in Athens, USA. in 2013 schloß er einen Master in Operngesang an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg unter Prof. Geert Smits ab. In seiner bis­ herigen Karriere sang Ronaldo Steiner zahlreiche Oratorium und Partien seines Fachs, u. a. den Grafen Almaviva in Figaros Hochzeit, der Titelrolle in Mozarts Don Giovanni, Mikado in ­Gilbert and Sullivans The Mikado, Escamillo in Bizets Carmen, Junius in Brittens The rape of Lucretia, Baron Pictordu in Pauline Viardots Cendrillon und Theseus in Martinus Ariadne. 65 Algirdas Bagdonavicius (Gao Lishi) Der Tenor und Countertenor studierte zunächst Wirtschafts­ wissenschaften an der Universität Vilnius, mit einem Abschluß als Master. Von 2001-2009 studierte er Gesang bei Professor Vytautas Juozapaitis an der Akademie für Musik und Theater Litauen. 2005 und 2006 nahm er am Sommersfestival „Oper Oder Spree“ teil, 2006 debütierte er in der Rolle des Pilėnietis in V. Klova’s Opera Pilėnai an der Lithuanian Opera of Chicago. Seit 2006 ist er Solist am Panevėžys Music Theatre, seit 2007 Gastsolist im Klaipėda State Music Theatre. Seit 2009 unter­ richtet er an der Fakultät der Künste der Vilnius University of Applied Sciences. 2010 wurde er als Countertenor entdeckt und singt seitdem sowohl als Tenor wie Counter­ tenor. 2011 wurde er zweiter beim International Chamber Singers Competition „Beatri“ in Vilnius. 66 Impressum Redaktion: Dr. Bettina Knauer Gestaltung: Veronika Grigkar, grigkar.de Bildnachweise (S. 12+22) Fotos: © Torsten Kollmer China-Bildarchiv, Hamburg Hochschule für Musik und Theater Eine Produktion der Hochschule für Musik und Theater Hamburg 68