FEUILLETON Rhein Main Presse Die Schrift als Bild „Alles anders, alles kürzer“ THEATERTREFFEN Iris Laufenberg über Tendenzen und Qualitäten junger Dramatik BERLIN. Die zehn „bemerkenswertesten“ Inszenierungen der Saison zeigt das Berliner Theatertreffen von diesem Freitag an. Für Theatertreffen-Chefin Iris Laufenberg ist es die letzte „Bühnen-Olympiade“, ihr Vertrag endet zum Jahresende. Im Gespräch erklärt sie, wie sich das Theatertreffen deutschsprachiger Bühnen in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat und warum Theaterabende immer kürzer werden. Gibt es beim 48. Theatertreffen einen thematischen roten Faden oder ein inoffizielles Motto? Alles anders, alles neu! Beim Theatertreffen waren jahrzehn- viele Inszenierungen haben inzwischen das klassische TVFormat von 90 Minuten, Herbert Fritschs TheatertreffenInszenierung von Hauptmanns „Der Biberpelz“ dauert eine Stunde 20 Minuten. Warum wird alles immer kürzer – auch beim Theatertreffen? Tendenziell sind die Stücke eher kürzer – unter zwei Stunden. Unsere „Ausreißer“, was früher ganz normal war, sind der dreieinhalbstündige JelinekAbend zur Eröffnung, und der „Don Carlos“ mit Burghart Klaußner ist auch nicht viel kürzer. Die Tendenz in der Gegenwartsdramatik geht zu kürzeren Stücken. Die aktuellen Stücke haben auch nicht mehr so eine INTERVIEW telang immer wieder die selben Regisseure zu Gast: Peter Zadek, Claus Peymann oder Luc Bondy waren prägend für das Festival. Man sieht aber, dass sich in den vergangenen zehn Jahren eine neue Generation mit eigener Handschrift und Klassiker-Interpretation durchgesetzt hat. Neu hinzugekommen sind zum Beispiel Arbeiten von Stefan Pucher, Nicolas Stemann, Stephan Kimmig. Es ist einfach Bewegung drin. Iris Laufenberg, die Leiterin des Berliner Theatertreffens.Foto: dpa Auffallend ist, dass in diesem Jahr kleinere Theater, die OffSzene und Bühnen aus dem Osten Deutschlands stark vertreten sind. Sind die großen Theater-Tanker von Berlin, Hamburg oder Wien nicht mehr innovativ genug? Die großen Theater-Metropolen sind nicht schlechter als sie sonst waren. Aber das Augenmerk liegt nicht mehr nur auf ihnen. Haltbarkeit. Die Welt ist komplex, aber die Reflexion im Theater setzt auf eine Auswahl von Themen. Der durchschnittliche Theaterabend wird immer kürzer – Das Interview führte Elke Vogel Für Sie ist es das 9. und letzte Theatertreffen. Haben Sie Ihre Ziele erreicht? Die deutschsprachige Gegenwartsdramatik haben wir nachhaltig gefördert. Was die internationale Dramatik angeht, da sind wir noch nicht so erfolgreich. THE ART OF WRITING Wiesbaden zeigt kalligrafische Kunst weltweit WIESBADEN. Schrift, die – wie gewohnt – zu lesen wäre, gibt es auch. Erklärungstexte in Deutsch/Englisch geben eine hilfreiche Orientierung zu den gezeigten 120 Werken. Diese Werke arbeiten selbst auch mit Schrift, wollen aber gelesen werden – als Bild. In den Wiesbadener Kurhaus-Kolonnaden ist ab heute die hochrangige Ausstellung „The Art of Writing“ oder auch: „Bilder werden geschrieben“ zu sehen. Sie ist eine Gemeinschaftsidee von Kommunikationswissenschaftler Professor Heinz Kroehl und Christian Boehringer (Gesellschafterausschuss-Vorsitzender von Boehringer Ingelheim). Der Letztgenannte erkannte die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Zeichen der Zeit, um das weltweite Projekt mit seinem Schwerpunkt Ferner und Naher Osten zu unterstützen, der Grafik-Experte Kroehl nutzte seine Kenntnisse und Verbindungen, um das Projekt mit 100 international renommierten Künstlern zu konzipieren, organisieren und zusammenzustellen. Und warum feiert diese Ausstellung, die nach Boston und Peking weiterreisen soll, ihre Premiere in Wiesbaden? „Weil ich Wiesbadener bin“, sagt Christian Boehringer. Und weil Wiesbaden die Kolonnaden als Ort zur Verfügung stellt. Die Räumlichkeiten werden ideal genutzt. Ein paar Fahnen vor der Front zum Bowling Green winken heran. Und da die Gegenüberstellung ostasiatischer Schriftkunst (China, Taiwan, Japan, Korea) mit ihren Wirkungen auf europäische Künstler (nach 1945) ein Hauptthema ist, betreten die Besucher zunächst den linken Flügel. Dessen Mittelschiff OPER Frankfurt gräbt Pizettis „Murder In The Cathedral“ aus Grewenig wird Interims-Chef Schriftkunst in Bilderrahmen und im aufwändigen Katalog: Christian Boehringer, Projektleiter Heinz Kroehl und Dieter Schlempp von der Stadt Wiesbaden in der Kalligrafie-Schau. Foto: wita/Müller zeigt u.a. die uns Bekannten: Hans Hartung, Arnulf Rainer, A.R. Penck gemeinsam mit den europäisch beeinflussten Amerikanern Cy Twombly oder Mark Tobey. Links wie rechts eine kalligrafische Kunst aus dem Fernen Osten, die als Avantgarde ihrerseits Impulse westlicher Sehgewohnheiten übernommen hat. Hinter der Mitte des Foyers lässt die in Syrien geborene FRANKFURT. Der Märtyrertod, der christliche zumindest, mag glücklicherweise ein wenig aus der Mode gekommen sein. Und so ist Ildebrando Pizzettis Oper „Murder in the Cathedral“ eine in mehrfacher Hinsicht retrospektive Angelegenheit. 1958 in der Mailänder Scala aufgeführt und nun an der Oper Frankfurt zu erleben, versetzt uns die Szene des gerade anderthalb Stunden langen Werks ins tiefe Mittelalter. Und musikalisch blendet Pizzetti (1880-1968) das ihm durchaus gegenwärtige PucciniMelos weitgehend aus, knüpft an Gregorianik und italienischen Frühbarock an. Das schwierige Stück eines schwierigen Komponisten, der mit dem italienischen Faschismus zumindest sympathisierte, ist in Deutschland so gut wie vergessen. Auch die Oper Frankfurt mit ihrem spielplanprägenden Pioniergeist zeigt „Murder in the Cathedral“ zum überhaupt ersten Mal – nicht im Italienisch der Uraufführung, sondern auf Englisch, in der Sprache des zugrunde liegenden Dramas von T.S. Eliot. Die Szene, die Regisseur Keith Warner und sein Bühnenbildner Tilo Steffens errichtet haben, ist eine düstere, darin bleibt sich der Regisseur treu, der in Bayreuth „Lohengrin“ und in Frankfurt zuletzt Thomas Ades’ „The Tempest“ inszenierte. Das passt durchaus zum finsteren Mittelalter der Canterbury-Kathedrale, in der John Tomlinson HEIDELBERG. Auf Henrik Ibsens Stück „Die Frau vom Meer“ beruht Alexander Munos erste Oper „Vom Meer“, die jetzt im Heidelberger Opernzelt uraufgeführt wurde. Der 1979 geborene Muno bekam damit Gelegenheit, sich als Opernkomponist zu präsentieren. Er hat diese Herausforderung mit Bravour bestanden. Eindringlich zeichnet er das Bild der am Meer aufgewachsenen Frau (Ellida) eines Bezirksarztes (Dr. Wangel), die unverhofft ihren ehemaligen, tot geglaubten Liebhaber (Johnston) wiedertrifft und sich zwischen den beiden Männern entscheiden muss. Die reichhaltige Personnage des Ibsenschen Stückes ist bei Muno stark reduziert. Der Focus der Oper liegt auf der Dreiecksbeziehung zwischen Ellida, Dr. Wangel und Johnston. Mit Ausnahme des Malers Lyngstrand geraten die anderen Personen etwas ins Hintertreffen. Muno ist eine interessante Musik von großer Intensität gelungen, die im dramatischen dritten Akt ihre stärkste Wirkung entfaltet. Atonalität, eine komplizierte Rhythmik und Leitmotivtechnik prägen die Partitur. Gleichsam die gesamte Satztechnik der Oper lässt sich mit dem Meer assoziieren, findet ihren Ausdruck in einer komplexen Lautmalerei. Es ist nicht immer einfach, die teilweise nur sehr kurz aufklingenden Motive zu erfassen. Irisierende und oft nur fetzenartig anmutende Töne symbolisieren das Glitzern des Meeres, das ständi- Alles Weitere ist, unter dem riesigen Korpus des Gekreuzigten, vor allem werkdienlich, so wie auch Beau Gibson, Simon Bailey, Brett Carter und Magnus Baldvinsson erst die vier Versucher, dann die vier Mörder des Erzbischofs geben. Neben Tomlinsons dominantem Becket und dem stark geforderten Frankfurter Opernchor werden sie ebenso zu Seitenfiguren wie das Priester-Terzett von Hans-Jürgen Lazar, Dietrich Volle und Vuyani Mlinde. Und das vor allem akkurate Dirigat von Martyn Brabbins lässt Pizzettis sperrige Musik mehr passieren, als für sie zu plädieren. i Nächste Auff. 5., 8. und 12. Mai; Tel. 069/1340 400 Die „Shooting Stars“ von Khaled Al Saai blenden nicht nur auf der Einladungskarte – der in Dubai lebende Syrer hat zehn Tage lang in Wiesbaden vor Ort aktuell ein großformatiges Werk geschaffen und dabei die Stadt kennengelernt: „It’s a wonderful town.“ i Bis 23. Mai; geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr; Eintritt 6 Euro; Katalog 30 Euro. URAUFFÜHRUNG Alexander Munos Ibsen-Oper „Vom Meer“ in Heidelberg Von Ludwig Steinbach Foto: Monika Rittershaus Künstlerin Buthayna Ali mit ihrer 35-teiligen „Schaukel“Installation existenzielle Begriffe, wie Liebe oder Frieden, ineinander schwingen. Die Installation (die Künstlerin hat selbst in Wiesbaden aufgebaut – und Achtung: die Sandfläche gehört zum Kunstwerk!) lenkt die Schritte nach rechts in den Raum für kalligrafische Kunst aus arabischen Ländern und dem Iran. Komplexe Lautmalerei Von Axel Zibulski John Tomlinson als Thomas Becket. Duden kostenlos im Internet MANNHEIM (dpa). Der Duden ist das Nachschlagewerk für die deutsche Rechtschreibung – jetzt gibt es ihn auch kostenlos im Internet. Über die Suchfunktion auf der Startseite von www.duden.de finden Internetnutzer Informationen zu wichtigen Fragen der deutschen Sprache, wie das Bibliografische Institut am Dienstag in Mannheim mitteilte. Der Online-Duden bietet über die klassischen Wörterbuchfunktionen hinaus weitere Informationen, unter anderem Hörbeispiele, Bilder oder typische Wortverbindungen. Nutzer können ihre Texte mit der Duden-Rechtschreibprüfung automatisch korrigieren lassen. Der Verlag will mit dem ständig aktualisierten Angebot vor allem junge Menschen erreichen, die das Internet stark nutzen. „Für unsere Markenpolitik ist es wichtig, dass wir auch online die Nummer eins sind in Sachen deutsche Sprache“, sagte die verlegerische Geschäftsführerin des Dudenverlags Marion Winkenbach. Zum Bibliografischen Institut gehören die Marken Duden und Mayer. Von Viola Bolduan Düsterer Blick zurück als Thomas Becket dominiert: Wie gelbstichige Erscheinungen treten ihm in ungesunden Visionen drei Verführer entgegen, denen er jesusgleich widersteht, bis ihn ein vierter Verführer mit der Aussicht auf das Märtyrertum schwanken lässt. Warners Szene bannt gewiss mehr als das Sujet. Der 64-jährige Brite John Tomlinson, ebenfalls Bayreuth-erfahren, hat mit Pizzettis Becket eine ideale Gelegenheit zu reifer vokaler Charakterdarstellung gefunden. Als weißhaarig greiser Fundamentalist jedenfalls baut er weniger Distanz auf als Regisseur Warner, der immerhin am Anfang die Bühne mit drei Weihnachtsbäumen drapiert hat. Mittwoch, 4. Mai 2011 ger Bewegung unterliegt und deshalb auch keiner eindeutigen Tonart zugeordnet werden kann. Unter die Orchesterstimmen mischen sich manchmal ein Schiffshorn oder das Geräusch einer zerknitternden Zeitung, was der Musik einen ziemlich wirklichkeitsnahen Aspekt verleiht. Dirigent Dietger Holm hat sie zusammen mit dem blendend disponierten Orchester prägnant wiedergegeben. Überzeugend geriet auch die Inszenierung von Susanne Ogland. Bedingt durch den krankheitsbedingten Ausfall der Sängerin Silke Schwarz, wurde die Konzeption der Figur der Ellida praktisch im letzten Moment noch geändert. Sie erfuhr eine Dreiteilung: Während Maraile Lichdi die Partie mit insgesamt solidem, in der Höhe aber manchmal etwas hartem Sopran sang, verkörperte die mit einer trefflichen schauspielerischen Ader ausgestattete Regiehospitantin Tabea Schattmaier die Ellida stumm auf der Bühne. Eine von der Regieassistentin Hannah Ehrlichmann gespielte dritte Ellida sprach einige eingestreute zentrale Sätze. Durch diesen Kunstgriff wurde die innere Zerrissenheit der Figur erst so richtig deutlich. Prachtvolle Bass-Baritonstimmen brachten Lucas Harbour und Amadeu Tasca für die Rivalen Dr. Wangel und Johnston mit. i Nächste Auff. 6., 9. und 21. Mai; Tel. 06221/5820 000 Tabea Schattmaier als stumme Ellida in der Heidelberger Opern-Uraufführung „Vom Meer“. Foto: Markus Kaesler SAARBRÜCKEN (dpa). Nach der Untreue-Anklage gegen den Chef der Saar-Museen, Ralph Melcher, übernimmt der Generaldirektor des Weltkulturerbes Völklinger Hütte, Meinrad Maria Grewenig, vorerst dessen Aufgaben. Die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz bestellte den 56-jährigen Kunsthistoriker als Interimschef, teilte Kulturminister Karl Rauber (CDU) gestern nach einer Sondersitzung des Kuratoriums in Saarbrücken mit. Melcher war kurz vor Ostern beurlaubt worden, als sich eine Affäre um angebliche Gourmet-Essen und Luxusreisen zugespitzt hatte. Kelten-Schau verlängert VÖLKLINGEN (dpa). Die Kelten-Ausstellung im Weltkulturerbe Völklinger Hütte hat seit dem Start im November 100 000 Besucher angezogen – und wird nun wegen des Interesses um drei Monate bis zum 21. August verlängert. Ursprünglich hätte die Schau bis 22. Mai laufen sollen. Die Ausstellung informiert auf etwa 6000 Quadratmetern über Kultur und Leben der ersten großen Hochkultur Europas in der Eisenzeit vor 2500 Jahren. Insgesamt sind in der Gebläsehalle des Weltkulturerbes 1650 Exponate von 41 Leihgebern aus neun europäischen Ländern zu sehen – unter anderem wertvolle Waffen, Helme und Goldschätze. Polar-Preis für Patti Smith STOCKHOLM (dpa). Die USRockkünstlerin Patti Smith und das Kronos Quartett aus San Francisco teilen sich den PolarMusikpreis 2011 aus Schweden. Die Auszeichnung wird seit 1992 an je einen Preisträger aus der „Unterhaltungsmusik“ und aus der „ernsten Musik“ vergeben und ist mit zusammen zwei Millionen Kronen (225 000 Euro) dotiert. Über die 64-jährige Smith hieß es in der Begründung der Stockholmer Jury, sie habe gezeigt, „wie viel Rock ’n’ Roll in der Poesie steckt und wie viel Poesie im Rock ’n’ Roll“. Das seit über 40 Jahren zusammenspielende experimentelle Kronos-Streichquartett aus den USA würdigten die Juroren als „Revolutionäre“ der Kammermusik.